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Oberförster KLAMM
NORTH CAROLINA STATE UNIVERSITY LIBRARIES
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THIS BOOK IS DÜE ON THE DATE
INDICATED BELOW AND IS SUB-
JECT TO AN OVERDUE FINE AS
POSTED AT THE CIRCULATION
DESK.
HINRICH NITSCHE
geboren 14. Februar 1845, gestorben 8. November 1902
1876 — 1902 Professor der Zoologie an der Kgl. Forstakademie in Tharandt
Die
Forstinsekten Mitteleuropas,
Ein Lehr- und Handbuch
K. Escherich,
Dr. med. et phiL, o. Pi-ofessor der Zoologie an der Forstakademie Tharandt.
Als Neuauflage von
Jodeich-Nitsche, Lehrbuch der mitteleuropäischen Forstinsektenkunde
bearbeitet.
Erster Band.
Allgemeiner Teil.
Einführung in den Bau und die Lebensweise der Insekten, sowie in die
allgemeinen Grundsätze der praktischen Forstentomologie.
Mit 248 Textabbildungen.
BERLIN
Verlagsbuchhandlung Paul Parey
Verlag fUr Landwirtschaft, Gartenbau und Forstwesen
SW. 11, Hedemannstraße 10 u. 11
1914.
Alle Rechte, auch das der Übersetzung, vorbehalten.
Copyright by Paul Parey, Berlin 1914.
Dem Andenken
Hinrich Nitsches.
Vorwort.
Als vor einigen Jahren die Verlagsbuchhandlung Paul Pare)^ auf An-
raten von Prof. Pauly (München) sich an mich wandte mit dem Antrage, die
Neuauflage von Judeich-Nitsches Lehrbuch der mitteleuropäischen Forst-
insektenkunden zu besorgen, fühlte ich mich natürlich einerseits sehr erfreut
über das Vertrauen, das man mir mit diesem Antrag entgegenbrachte, anderer-
seits aber war es mir vollkommen klar, daß ich eine sehr schwierige und
verantwortungsvolle Arbeit zu übernehmen hatte. Stellte doch Judeich-
Nitsches Lehrbuch das Standard-Werk der forstentomologischen Wissen-
schaft dar und war es gewissermaßen tonangebend in allen forstentomologischen
Fragen. Aber noch weit über die forstentomologischen Kreise hinaus er-
streckte sich der Ruf des Nitscheschen Lasektenwerkes; ja man darf getrost
sagen, daß es sich bei allen wissenschaftlichen Entomologen der Welt des
höchsten Ansehens erfreute.
Beinahe drei Jahrzehnte sind nun verflossen, seitdem die erste Abteilung
von „Judeich-Nitsche" erschienen — drei Jahrzehnte voll des Schaffens
und Ringens in unserer Wissenschaft. Überall, vor allem in Nord-Amerika,
hat man — in der Erkenntnis von der tief in unser Kulturleben einschneiden-
den Bedeutung der Insekten — der angewandten Entomologie mit einem vordem
noch nicht gekannten Eifer und wissenschaftlichem Ernste sich hingegeben.
Eine Unmenge neuer Tatsachen von allgemeiner Bedeutung sind dadurch zu-
tage gefördert worden, und andererseits mußte manche der früheren An-
schauungen mehr oder weniger modifiziert oder auch gänzlich über Bord ge-
worfen werden, so daß unsere Wissenschaft heute ein wesentlich anderes
Bild darbietet und auch wesentlich höhere Anforderungen an das Wissen und
Können ihrer Vertreter stellt als vor 30 Jahren: Weit mehr als damals
trachtet man heute danach, den Ursachen der Schädlingsvermehrung
nachzuforschen und die bestehenden Kausalzusammenhänge auf-
zudecken. Denn nur dann, wenn wir die Ursache eines Übels erkennen,
sind wir imstande, es an der Wurzel zu fassen und auszurotten. Die Zu-
sammenhänge aber, welche das organische Gleichgewicht erhalten, sind ge-
wöhnlich von ungemein komplizierter Struktur, deren Aufdeckung ein tiefes
Eindringen in das Problem erfordert: Es genügt nicht mehr, daß wir über
die Entwicklungsgeschichte eines Schädlings Bescheid wissen, sondern
wir müssen auch alle seine Abhängigkeiten von der Umwelt, der organischen
wie der anorganischen, genau kennen. Wir müssen wissen, wie der Schäd-
ling, resp. jedes einzelne Stadium desselben, sich gegen die verschiedenen
klimatischen Einflüsse wie Hitze, Kälte, Feuchtigkeit, Trockenheit^ ferner gegen
YI Vorwort.
die verschiedenen Kulturformen, Pflanzenrassen usw. verhält, welche Feinde
er hat und in welchem Verhältnis die verschiedenen Feinde auf ihn einwirken ;
ferner muß wieder jeder der Feinde ebenso genau wie der Schädling selbst
studiert werden, d. h. wir müssen von jedem Feind die Entwicklungsgeschichte
sowie seine Abhängigkeiten von der gesamten Umwelt zu eruieren suchen.
Die Feinde haben wieder ihre Feinde, und so müssen auch diese nach ihren
Entwicklungsbedingungen eingehend erforscht werden usw. Dazu kommen
die verschiedenen Infektionskrankheiten der Schädlinge, die ebenfalls als
gleichgewichtserhaltende Faktoren in Betracht zu ziehen sind und deren
Studium zu den schwierigsten Aufgaben der organischen Naturwissenschaft
überhaupt gehört.
Diese vielseitigen Aufgaben fordern gebieterisch, daß der moderne
Forstentomologe über sein eigenstes Spezialgebiet hinausblickt
und auch die Arbeiten der anderen Zweige der angewandten Entomologie,
vor allem der landwirtschaftlichen Entomologie, aufmerksam verfolgt, um
überall das für ihn Brauchbare aufnehmen zu können. Wenn z. B. irgendwo
in der Welt Studien über Tachinen oder über eine Krankheit irgend eines
Schädlings (sei es Obst- oder Wein- oder Getreideschädlings) gemacht werden,
so können die Ergebnisse dieser Forschungen auch für den Forstentomologen
von größtem Werte sein, und wenn es auch nur die Methodik der Forschung
ist, die er sich auf diese Weise aneignen kann. Eine Fülle von Anregung
wird dadurch dem Forstentomologen zuteil, während andererseits die ängst-
liche Beschränkung auf das Spezialgebiet zu Arbeitsvergeudung, Stagnation
und Selbsterschöpfung führen muß.
Allen diesen aus den Forschungen der letzten Dezennien sich
ergebenden Forderungen mußte in der neuen Auflage vollauf Rechnung
getragen werden, wenn der Ruf der alten Auflage gewahrt werden sollte.
Dies konnte aber nur dadurch erreicht werden, daß w^enigstens der allgemeine
Teil, der das Fundament und die Richtlinien der forstentomologischen Wissen-
schaft enthält, einer nahezu völligen Neubearbeitung unterzogen wurde.
Eine solche stellt denn auch der vorliegende erste Band, der dem allgemeinen Teil
der alten Auflage entspricht, dar. Ich habe mich bemüht, die Fortschritte der
angewandten Entomologie aller Länder, soweit sie für die Ausgestaltung der
Forstentomologie in Betracht kommen können, darin zu verwerten und im
Geiste Nitsches zu verarbeiten, und hoffe damit zu einem einigermaßen zu-
treffenden Bild des heutigen Standes unserer Wissenschaft gelangt zu sein.
Es mag wohl sein, daß manchem die Bearbeitung des allgemeinen Teiles
in einigen Kapiteln zu ausführlich und eingehend erscheint. Ich mache mich
von vornherein auf derartige Einwände gefaßt. Denn solange man noch die
Ansicht vertreten findet, daß ein einzelner Forscher imstande wäre, ein so
ungemein kompliziertes, aus zahlreichen schwierigen Einzelfragen zusammen-
gesetztes Problem wie z. B. die Nonnenbekämpfung in wenigen Jahren zu
lösen, solange ist die Erkenntnis von dem eigentlichen Wesen der Forst-
entomologie noch keineswegs Allgemeingut der forstlichen Kreise geworden.
Es dürfte aber — so wage ich zu hoffen — die Zeit nicht mehr allzuferne
sein, in der jene Erkenntnis sich durchgerungen, in der man die Schwierig-
Vorwort. VIT
keit der forstentomologischen Probleme allgemein einzusehen gelernt haben
wird (wie dies ja bei den anderen Heilwissenschaften, z. B. der Medizin,
längst der Fall ist), in der man verstehen wird, daß nur eine von der breitesten
Basis ausgehende Forschung erfolgreich sein kann, und in der endlich auch
der forstliche Praktiker zusammen mit dem Forscher gerne und verständnis-
voll die schwierigen und gewundenen Wege wandeln wird, die in die Tiefe
der Probleme führen.
Dann werden auch die Fortschritte nicht ausbleiben und viele der \^er-
heerenden Insekteninvasionen, die heute eine stete schwere Sorge des Forst-
mannes bilden, allmählich ihre Schrecken verlieren, gleichwie manche der
ehedem so fürchterlich wütenden menschlichen Seuchen dank der fort-
gesetzten intensiven Arbeit zahlreicher medizinischer und hygienischer Forscher
auf ein erträgliches Maß herabgedrückt wurde. Möge der vorliegende Band
dazu beitragen, den Weg zum Fortschritt zu zeigen und dem uns vor-
schwebenden Ziele näher zu kommen.
Was die Anlage des ganzen Werkes betrifft, so sind vier Bände vor-
gesehen, von denen der vorliegende erste der Einführung in den Bau und die
Funktion des Insektenkörpers sowie in die allgemeinen Grundsätze der praktischen
Forstentomologie gewidmet ist, während die drei übrigen Bände der speziellen
Forstentomologie (Behandlung der einzelnen Forstschädlinge) dienen sollen,
und zwar soll der zweite Band die Käfer (mit den Orthopteren s. 1., mit den
Amphibiotica und den Neuropteren), der dritte in der Hauptsache die
Schmetterlinge und der vierte die Hymenopteren, Dipteren und Hemipteren
enthalten.
Der erste Band ist in seinem Umfange wesentlich (mehr als um das
Doppelte) stärker geworden als der entsprechende Teil der alten Auflage,
was einmal in der notwendigen ausführlicheren Behandlung der Anatomie,
Physiologie und Entwicklungsgeschichte der Insekten, und sodann besonders
in der eingehenden Darlegung der vermehrungsbeschränkenden Faktoren
(Kap. VI) und der für eine rationelle Bekämpfung geltenden Grundsätze
(Kap. VII) begründet ist. Gerade die letzteren beiden Gebiete konnten
meiner Ansicht nach nicht eingehend genug bearbeitet werden, da sie die
Grundlage der forstentomologischen Praxis darstellen. Wer in diesen
Punkten richtig denken gelernt hat, wird in der Praxis vor groben Fehlern
bewahrt bleiben.
Um auch auf den mir ferner liegenden Gebieten zu einer möglichst zu-
verlässigen Darstellung zu gelangen, habe ich für die Bearbeitung der be-
treffenden Abschnitte bewährte .Spezialforscher herangezogen. So wurden
die insektentötenden Pilze (S. 258 — 291) von Dr. Georg Lakon, früher
Assistent am hiesigen botanischen Institut, jetzt Abteilungsvorstand an der
landwirtschaftlichen Hochschule in Hohenheim bearbeitet, während die Be-
handlung der „kulturellen Vorbeugungsmaßregeln" (S. 315 — 326) aus der
Feder des Herrn Prof. Dr. W. Borgmann Tharandt stammt. Den beiden
Herren Mitarbeitern sei für diese so überaus wertvolle Unterstützung auch
hier herzlichst gedankt.
Vm Vorwort.
Bezüglich der Literatur habe ich es so gehalten, daß am Ende jeden
Kapitels ein Verzeichnis der wichtigsten einschlägigen Schriften gegeben
wird: es sind da einmal die Titel aller jener Schriften angeführt, auf die im
vorhergehenden Text Bezug genommen ist, und außerdem auch noch solche
im Text nicht zitierte Arbeiten, in denen ausführliche Literaturnachweise zu
finden sind, so daß der wissenschaftlich arbeitende Forstentomologe sich
unschwer über die gesamte Literatur der ihn gerade interessierenden Fragen
orientieren kann.
Besonderer Wert wird auf die Illustrierung des Werkes gelegt
werden, und es ist beabsichtigt, die Gesamtzahl der Abbildungen gegenüber
der alten Auflage um ein Mehrfaches zu erhöhen. Schon in dem vorliegenden
ersten Band ist die Zahl der Figuren um weit mehr als das Doppelte ge-
stiegen gegenüber dem entsprechenden Teil der alten Auflage. Nur relativ
wenige Abbildungen (durch den Buchstaben „N." am Schluß der Figuren-
erklärung kenntlich gemacht) konnten von der alten Auflage übernommen
werden, da heute die Ansprüche an die Ausführungen der Zeichnungen und
Reproduktionen wesentlich gesteigert sind. Die neuen Abbildungen sind teils
anderen Werken entnommen, teils nach neuen Vorlagen angefertigt. Die
letzteren wurden, soweit Zeichnungen in Betracht kommen, von Herrn Dr.
O. Römer-Dresden, ferner von Fräulein Margarete Hummel -Dresden und
Fräulein Gertrud Kunze-Tharandt ausgeführt. Die photographischen Vor-
lagen verdanke ich zum großen Teil Herrn Forstassessor Fr. Scheidter,
Assistent am forstzoologischen Institut in München, z. T. wurden sie
im hiesigen Institut von Präparator Herpig hergestellt. Ihnen allen sei
herzlichst gedankt.
Vielen Dank schulde ich ferner noch Herrn Prof. Dr. Schwangart-
Neustadt a. Haardt, Herrn Dr. H. Prell -Tübingen und Herrn Assistenten
W. Baer-Tharandt, welche mich beim Lesen der Korrekturen in der hin-
gehendsten Weise unterstützt haben und mir dabei manche wertvolle Hin-
weise zuteil werden ließen. Letzterer hat sich außerdem noch der mühe-
vollen Arbeit der Herstellung der beiden Register unterworfen.
Endlich sei des Verlegers in dankbarer Gesinnung gedacht, der keine
Mittel scheute, dem Werke eine würdige Ausstattung zu geben, der allen
meinen oft recht weitgehenden Wünschen in der bereitwilligsten Weise ent-
gegengekommen ist, und der oft eine Geduld bewies, die ich aufrichtig
bewundere.
Tharandt, Ende November 1913.
K. Escherich.
Inhalt des ersten Bandes.
Kapitel I.
Stellung der Insekten im System. Seite
Die Stämme des Tierreichs 1
Definition und allgemeine Charakteristik der Arthropoden 1
Die Klassen der Arthropoden 8
Literatur 11
Kapitel II.
Die äußere Erscheinung der Insekten (Morphologie).
1. Der Kopf 13
A. Die Kopfkapsel 13
B. Die Anhänge (Extremitäten) des Kopfes: Fühler, Mundgliedmaßen • • • 17
2. Die Brust 25
A. Die Segmente 25
B. Die thorakalen Anhänge: Beine, Flügel 29
3. Der Hinterleib (Abdomen) 36
A. Zusammensetzung und Form des Hinterleibes 36
B. Die Anhänge des Hinterleibes 38
4. Skulptur und Färbung der Haut 40
5. Polymorphismus bezw. Dimorphismus 44
Literatur 48
Kapitel III.
Der innere Bau der Insekten (Anatomie und Physiologie).
Allgemeines (Lagerung der Organe) 50
1. Die Haut 51
2. Das Muskelsystem und seine Tätigkeit 54
Allgemeines (Bau der Muskulatur) 54
Ortsbewegungen 55
Lautäußerungen 59
3. Der Darmkanal und seine Anhänge (Verdauungs- und Excretionsorgane) • 62
4. Die Atmungsorgane (Tracheensystem) 71
Stigmenatmung 71
Hautatmung (Tracheen- und Blutkiemen) 76
5. Die Kreislauforgane 77
6. Temperatur der Insekten 81
7. Fettkörper einschl. Oenocyten, Pericardialzellen und Leuchtorgane • • • • 85
X Inhalt.
Seite
8. Nervensystem und Sinnesorgane 88
Nervensystem 88
Sinnesorgane (Tast-, Geruch-, Geschmacks-, Gehör- und Sehorgane) • ■ 92
9. Fortpflanzungsorgane 104
Allgemeines 104
Die w^eiblichen Fortpflanzungsorgane 105
Die männlichen Fortpflanzungsorgane 111
Literatur 114
Kapitel IV.
Fortpflanzung.
Allgemeines 116
Die Keimzellen (Ei und Samen) 117
Das Ei 117
Der Samen 119
Die Begattung 120
Parthenogenese und verwandte Erscheinungen 124
Parthenogenese und Heterogonie 124
Paedogenesis 127
Polyembryonie oder Germinogonie 128
Eiablage 129
Die Embryonalentw^icklung 138
Die nachembryonale Entw^icklung 142
Allgemeines über die Larven 142
Die Häutung 144
Entwicklungsstadien 145
Provisorische (larvale) Organisation 146
Die Imaginalanlagen der Larven 150
Die Puppe 151
Die verschiedenen Formen der Entwicklung 153
Epimorphose 153
Metamorphose 155
Hemimetabolie 155
Prometabolie 156
Holometabolie 156
Hypermetabolie (Polymetabolie) 158
Die verschiedenen Larvenformen 161
Primäre Larven 161
Sekundäre Larven 161
Tertiäre Larven 162
Die verschiedenen Formen der Puppe 165
Der Vorgang des Ausschlüpfens 168
Das Ausreifen 170
Zeitlicher Ablauf der Entwicklung (Dauer der Gesamtentwicklung) . • • ■ 170
Generation 176
Übervvinterungsstadium 179
Flugzeit 181
Lebensdauer der Insekten 183
Literatur 184
Inhalt. XI
Kapitel V. Seite
Die Insekten als natürliche und wirtschaftliche Macht im allgemeinen
und besonders in forstlicher Beziehung.
Die Bedeutung der Insekten im allgemeinen Naturhaushalt 186
Nutzen und Schaden der Insekten im allgemeinen 192
Nutzen und Schaden der Insekten für die Forstwirtschaft (Die Forstinsekten) 194
Die nützlichen Forstinsekten 194
Die schädlichen Forstinsekten 196
1. Physiologisch und technisch schädliche Insekten 196
2. Primär und sekundär schädliche Insekten 197
3. Kultur- und Bestandsverderber 198
Die verschiedenen Arten der Pflanzenbeschädigungen durch Forstinsekten 199
1. Verletzungen durch Zerstörung fester Pflanzensubstanz 199
Fraß an Blattorganen 199
Fraß an Stamm und Zweigen 201
Fraß an Wurzeln 203
2. Verletzungen, die nur Saftverlust zur Folge haben 204
3. Verletzungen, w^elche Gallbildungen zur Folge haben 205
Folgen der Angriffe auf die Pflanzen 209
Grad der Schädlichkeit der Forstinsekten 213
Wirkung der Insektenschäden auf den forstlichen Wirtschaftsbetrieb ■ ■ • 219
Literatur 220
Kapitel VI.
Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
Allgemeines 222
1. Insektenvertilgung durch Witterungseinflüsse 223
2. Insektenvertilgende Tiere 224
a) Säugetiere 225
b) Vögel 227
c) Schmarotzer und Raubinsekten, und andere insektentötende Arthropoden 237
Allgemeines 237
Parasiten 244
Raubinsekten 253
Andere räuberische Arthropoden 257
3. Die insektentötenden Pilze (Mykosen). Bearbeitet von Dr. Georg Lakon 258
A. Systematik und Biologie 258
Algenpilze 260
Fadenpilze 268
Fungi imperfecti 276
B. Wirtschaftliche Bedeutung der insektentötenden Pilze 284
Literatur über die Pilzkrankheiten der Insekten 289
4. Pathogene Mikroorganismen (Spaltpilze und Protozoen) 291
a) Bakterienkrankheiten 292
b) Nosema-Krankheiten (Pebrine) 295
c) Polyederkrankheiten 299
Literatur 304
Kapitel \ai.
Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
A. Die Entstehung von Kalamitäten 307
B. Vorbeugung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten 312
XII Inhalt.
Seite
Allgemeines 312
1. Die kulturellen Vorbeugungsmaßregeln. Bearbeitet von Prof. Dr. W. Borg-
mann 315
a) Allgemeine Grundsätze 315
b) Die besonderen Maßnahmen 320
2. Die biologische Bekämpfung 327
a) Schutz und Verwendung von insektenvertilgenden Säugern 327
b) Schutz und Verwendung insektenvertilgender Vögel 328
c) Schutz und Verwendung von Parasiten, Raubinsekten und anderen
räuberischen Arthropoden 332
d) Verbreitung von Mykosen und anderen Infektionskrankheiten 344
3. Die technische Bekämpfung 350
a) Allgemeine Gesichtspunkte 350
b) Die chemischen Methoden 351
c) Die mechanischen Methoden 362
Direktes Entfernen und Vernichten 362
Anlockung der Schädlinge durch Darbietung von Brut- und Nahrungs-
gelegenheiten 364
Fanggräben, Fanglöcher usw. 366
Leimring 368
4. Beurteilung der Notwendigkeit und Möglichkeit der Bekämpfung 379
Untersuchung über den Vermehrungsgrad der Schädlinge 380
Untersuchung des Gesundheitszustandes der Schädlinge 383
Untersuchung des befallenen Bestandes 387
Durchführung der Bekämpfung 389
Literatur 390
Kapitel VIII.
Allgemeine Übersicht über das System der Insekten.
Mit einem Anhang:
Anleitung zur Anlegung einer forstentomologischen Sammlung.
Das System der Insekten 393
Die Nomenklatur 397
Anhang: Anleitung zur Anlegung einer forstentomologischen Sammlung • • • 401
Das Sammeln der Forstinsekten 401
Die Zucht der Insekten 405
Das Präparieren der Insekten und Fraßstücke 410
Die Bestimmung der Forstinsekten 416
Aufbewahrung und Einordnung der präparierten Insekten 419
Lheratur 421
Namenregister 423
Sachregister .... 426
Allgemeiner Teil.
Kapitel I.
Stellung der Insekten im System.
Die Stämme des Tierreichs.
Das Tierreich wird gewölmlich in sieben Stämme oder Phyla eingeteilt:
1. Die Protozoa (Urtiere),
2. Die Coelenterata (Hohldarm- oder Pflanzentiere),
3. Die Vermes (Würmer),
4. Die Arthropoda (Gliederfüßler),
5. Die Mollusca (Weichtiere),
6. Die Echinodermata (Stachelhäuter),
7. Die Chordata (Chordatiere), die Tunicata (Manteltiere) und die Verte-
brata (Wirbeltiere) umfassend.
Die Insekten gehören dem vierten Stamm der Arthropoden (abgeleitet
von cig^QO}' das Glied, ttovc, nodög der Fuß) oder Gliederfüßler an.
Definition und allgemeine Charakteristik der Arthropoden.
Die Arthropoden sind bilateral symmetrische^) Tiere mit
meist kräftigem, chitinisiertem Außenskelett (Cuticula), mit
heteronom segmentiertem Körper und paarig angeordneten, ge-
gliederten Segmentanhängen oder Extremitäten.
Durch die Zerlegung des Körpers in eine Anzahl hintereinander ge-
legener Ringel, Metameren oder Segmente erinnern die Arthropoden deutlich
an die Ringelwürmer oder Anneliden, mit denen sie auch bezüglich der inneren
Organisation vielfach übereinstimmen und von denen sie phylogenetisch wahr-
scheinlich abzuleiten sind. Wurden doch früher die beiden sogar zu einem
gemeinsamen Stamm (Articulata oder Annulata) vereinigt.
Den übereinstimmenden Zügen stehen jedoch so wesentliche und charak-
teristische Unterschiede gegenüber, daß die Trennung der beiden und die
Berechtigung zur Aufstellung des Stammes der Arthropoden ohne weiteres
^) D. h. die rechte Hälfte des Körpers ist spiegelbildlich gleich der linken
Hälfte, während die gliedmaßentragende Bauchseite von der gliedmaßenlosen
Rückenseite verschieden ist.
..Escherich, Forstinsekten. 1
2 Kapitel I. Stellung der Insekten im System.
einleuchtet. — Die Unterschiede sind hauptsächlich bedingt durch zwei Mo-
mente: durch die Ausbildung eines Außenskeletts und durch das Auf-
treten gegliederter Extremitäten.
Das Außenskelett besteht zum größten Teil aus Chitin, einer orga-
nischen Substanz (von der Formel Qg/Zge^aöio)) <^i^ ungemein hart und
widerstandsfähig ist, und nur durch Kochen in konzentrierten Mineralsäuren
oder Kalilauge angegriffen resp. gelöst werden kann Sie wird von den
Epidermiszellen nach außen abgeschieden, wo sie die ganze Oberfläche des
Körpers überzieht und an der Luft allmählich zu einer festen Schicht erhärtet.
Wir haben es also nicht mit einem aus Zellen bestehenden Gewebe zu tun —
wie etwa bei der Hornschicht der menschlichen Haut — , sondern mit einem
erhärteten Sekret, einer Cuticula. Da die Epidermis durch die Überlagerung
der Cuticula von der Oberfläche abgerückt wird, so bezeichnet man sie als
Hypodermis. Sie wird übrigens, nachdem sie ihre Hauptfunktion (Chitin-
abscheidung) erfüllt hat, mehr oder weniger rückgebildet.
Das Chitinskelett dient sowohl der Bewegung (indem es Anheftungs-
stellen für die von der Haut losgelöste und in einzelne Muskeln zerlegte Be-
wegungsmuskulatur darbietet) als auch
dem Schutz. Um bei der Starrheit
des Panzers eine ausgiebige Be-
wegungsmöglichkeit zu erlangen, ist
es notwendig, daß jener in kleinere
Stücke zerlegt wird, die beweglich mit-
einander verbunden sind ■ — ähnlich
wie die Ritterrüstungen des Mittel-
Fig. 1. segmentpiatten (S) und intersegmentai- alters. Es ist dies bei den Arthro-
häute (i). In A die letzteren freiliegend, inJB , . , tx7- j i. t-u 4.
eingefaltet, so daß Platte an Platte zu liegen PO^^" ^^ ^er Weise durchgeführt,
kommt, wodurch der Schutz erhöht wird. daß dicke Starre Hautabschnitte mit
dünnen beweglichen abwechseln (Fig. 1)
(mit und ohne Ausbildung eigentlicher Gelenke). Erstere werden (soweit der
Körperstamm in Betracht kommt) als Segmentplatten bezeichnet, letztere als
Interseg mentalhäute. Von dem gegenseitigen Größenverhältnis der beiden
hängt der Grad der Beweglichkeit ab, d. h. je mehr die Intersegmentalhäute den
Segmentplatten gegenüber an Ausdehnung gewinnen, desto größer ist die
Beweglichkeit und umgekehrt. Da die Intersegmentalhäute bei ihrer Feinheit
wenig Schutz gewähren, so liegen diese für gewöhnlich nicht frei an der
Oberfläche, sondern sind so weit unter die Segmentplatten eingefaltet, daß
die Ränder der letzteren direkt aneinanderstoßen resp. über- oder unter-
einander zu liegen kommen (Fig. 1 B).
Die Abschnitte (Segmente), in welche der Körper in dieser Weise zerlegt
ist, sind keineswegs alle einander gleichwertig, sondern oft recht ungleichwertig
oder mit anderen Worten: die Segmentierung ist eine heteronome. Die
Heteronomie ist aber nicht als ursprünglicher Zustand zu betrachten, sondern
ist in der Hauptsache durch Verschmelzungen (sodann auch durch Reduktion)
einer größeren oder geringeren Anzahl von im Embryo homonomen Segment-
anlagen hervorgegangen. So entspricht also der Grad der Heteronomie der
Definition und allgemeine Charakteristik der Arthropoden.
3
Ausdehnung der stattgehabten Verschmelzungen (resp. Reduktionen). Am ge-
ringsten ist die Heteronomie ausgebildet bei den Tausendfüßen oder Chilo-
poden (Fig. 2), bei denen der einzige ungleichwertige Abschnitt der Kopf
(Cephalon) ist, der aus nicht weniger als sechs Segmenten verschmolzen
ist, also morphologisch auch sechs der folgenden Rumpfsegmente gleichzu-
setzen ist. Weitere Verschmelzungen finden wir bei den Insekten (Fig. 3), bei
denen außer dem aus 5 Segmenten gebildeten Kopf einmal auch die folgenden
7 8 9 10
Fig. 2. Ein Tausendfaß, Scolopendra morsitans L.
K Kopf; F{^ Fühler; 5—26 Extremitäten des Rumpfes.
(N.;
3 Segmente zur Brust (Thorax) verwachsen, und sodann auch mehr oder
weniger ausgedehnte Verschmelzungen (und auch Reduktionen) an dem auf
die Brust folgenden Stammabschnitt, dem Hinterleib (Abdomen) stattfinden
können. Ausgedehnte Verwachsungen finden wir auch bei den Spinnen-
tieren, deren Cephalon aus 7 Segmenten zusammengesetzt ist, und deren
Fig. 3. Männliche Hornisse, Vespa Crabro L. K Kopf; B Brust; H Hinterleib mit sieben Segmenten;
-F Fühler (erstes Gliedmaßenpaar); JS'A Seitenauge; pa Punktauge; 06 Ä" Vorderkiefer (zweites Glied-
maßenpaar); die 2 folgenden Kieferpaare sind in dieser Ansicht nicht wahrzunehmen; 5, 6, 7 Beine
(fünftes bis siebentes GUedmaßenpaar); Fl^ Vorderflügel; F12 Hinterflügel. — (N.)
Hinterleib ebenfalls starke Verschmelzungen aufweisen kann; stellt doch bei
vielen Spinnen der Hinterleib einen völlig einheitlichen Abschnitt dar (Fig. 4).
Ja, es kann sogar das Abdomen auch noch mit dem Vorderleibe (Cephalon)
verschmelzen, so daß die Segmentierung vollkommen verschwindet (Fig. 5)
und der Körper gänzlich ungegliedert erscheint (Milben). — In wieder anderer
Weise vollziehen sich die Segmentverschmelzungen bei den höheren Krebsen,
indem hier der Kopf mit der Brust verwachsen ist (13 Segmente) und als
sog. Kopfbruststück oder Cephalothorax dem größtenteils homonom ge-
gliederten Hinterleib gegenübersteht usw. (Fig. 6). So finden wir also bez.
1*
Kapitel I. Stellung der Insekten im System.
der Heteronomie der Segmentierung eine ungeheure Mannigfaltigkeit,
die, wie wir gleich sehen werden, für die systematische Einteilung von Wich-
tigkeit ist.
Die Heteronomie hängt innig zusammen mit der verschiedenartigen
Ausbildung der gegliederten Extremitäten. Wir müssen davon ausgehen,
daß ursprünglich jedem Segment ein Extremitätenpaar angehörte,
welches lediglich der Fortbewegung diente (wie wir es z. ß. noch am
Fig. 4. Kreuzspinne, Epeira diadema L.
KB Kopf brüst (richtiger Kopf); H Hinterleib.
Vi n. Gr. — (N.)
12 34 56
Fig. t>. Holzbock, Ixodes i-icinus L.
2/i n. Gr. — (N.)
Rumpf der Tausendfüße [Scolopender] beobachten können). Mit der besseren
Ausgestaltung der einzelnen Extremität und der Bewegungsmuskulatur wurde
eine Reduktion der Zahl der lokomotorischen Extremitäten ermöglicht, resp.
konnte die Fortbewegung des Körpers von einigen wenigen Paaren allein be-
sorgt werden. Die dadurch frei werdenden Extremitätenpaare konnten
nun entweder für andere Dienste herangezogen oder, wo solche nicht
nötig, gänzlich entfernt werden. So sehen wir denn auch in der Tat die ver-
Fig. 6. Der Flußkrebs, Astacus fliwiatilis Fahr. ÜTB Kopf bruststück ; H Hinterleib; NA gestieltes Netz
äuge; FI vorderer Fühler; Fll hinterer Fühler ; 9—13 die Extremitäten der Brust; 14—19 Extremitäten
des Hinterleibes. — iN.)
schiedensten Funktionen der für die Fortbewegung entbehrlich gewordenen Ex-
tremitäten übertragen, indem die einen zu Sinnesorganen (Fühler), die anderen
zu Greif- und Kauorganen, wieder andere zu Atmungsorganen geworden sind,
und sich endlich in den Dienst der Fortpflanzung (Begattungshülfsapparate)
gestellt haben. Die Umgestaltungen, die mit einem solchen Funktionswechsel
notwendig verbunden sind, konnten nicht ohne Einfluß auf die Form der zu
den betreffenden Extremitäten gehörenden Segmente bleiben. Besonders
Definition und allgemeine Charakteristik der Arthropoden. 5
stark mußte der Einfluß da sein, wo eine größere Anzahl Extremitätenpaare
zu einer gemeinsamen Funktion zusammentreten (wie z. B. die Mundglied-
maßen); das dadurch bedingte Zusammenrücken der betr. Extremitätenpaare
führte natürlich auch zu einem engeren Anschluß der Segmente und schließlich
zur völligen Verschmelzung dieser.
Wenn, wie wir oben ausführten, zu jedem Segment ursprünglich ein
Extremitätenpaar gehört, so müssen wir auch bei stattgehabten Verschmel-
zungen die Zahl der verwachsenen Segmente an der Zahl der an
dem betr. Abschnitt vorhandenen Extremitäten ohne weiteres er-
mitteln können; d. h. wo z. B. 3 Extremitätenpaare vorhanden sind, muß
der Abschnitt aus 3 Segmenten zusammengesetzt sein, auch wenn keine
sonstigen äußeren Anzeichen (Nähte) auf eine Zusammensetzung schließen
lassen. Dies trifft auch im allgemeinen zu, so sagen uns z. B. die 3 Bein-
paare der Insekten, daß der Brustabschnitt aus 3 Segmenten besteht; so läßt
uns ferner der Umstand, daß bei den Diplopoden (Tausendfüße) an jedem
Segment 2 Beinpaare vorkommen, erkennen, daß hier jedes Segment mor-
phologisch 2 Segmenten der übrigen Tausendfüße entspricht resp. daß es sich
um „Doppel Segmente" handelt usw. Doch müssen wir dabei uns stets
vergegenwärtigen, daß auch Rückbildungen von Extremitäten statt-
gefunden haben können, so daß also die Zahl der in einem Abschnitt ver-
einigten Segmente recht wohl auch größer sein kann als die Zahl der sicht-
baren Extremitäten. Solche Fälle sind gar nicht selten; so weist der Kopf
der Insekten 4 Paare Extremitäten (1 Paar Fühler, 3 Paare Mundgliedmaßen)
auf, enthält aber trotzdem die Elemente von 5 Segmenten, von denen 1
(Intercalarsegment) stark rückgebildet resp. nur noch in der Embryonalanlage
deutlich nachweisbar ist.
Vielfach kommen aber auch wohlausgebildete Segmente ohne
Extremitäten vor, wie z. B. die meisten Hinterleibssegmente der Insekten;
doch lassen sich in allen diesen Fällen wenigstens embryonal noch mehr oder
weniger deutlich Extremitätenanlagen nachweisen, so daß jene Extremitäten-
losigkeit demnach ebenfalls einen abgeleiteten (sekundären) Zustand darstellt
— und also unser oben ausgesprochener Satz, daß zu jedem Segment ein
Extremitätenpaar gehört, dadurch keine Einbuße erleidet.
Der Chitinpanzer, der den Arthropodenkörper umgibt, ist durch
seine Starrheit dem Wachstum natürlich sehr hinderlich. Es ist daher
notwendig, daß derselbe von Zeit zu Zeit gesprengt und abgeworfen und
durch einen neuen geräumigeren Panzer (der unter dem alten vorgebildet
wird) ersetzt wird — ein Vorgang, den man als Häutung bezeichnet. Das
Wachstum eines jeden Arthropoden ist also mit Häutungen ver-
bunden, deren Zahl recht verschieden sein und selbst bei ein und derselben
Art schwanken kann (z. B. bei der Nonne, deren Raupe 4 oder 5 Häutungen
durchmachen kann). Daraus folgt, daß da, wo die Zahl der Häutungen be-
grenzt ist, auch das Wachstum beschränkt ist, d. h. mit der letzten Häutung
die definitive Größe des Tieres bestimmt ist; ein ausgeschlüpfter
Käfer z. B. oder Schmetterling kann daher nicht mehr wachsen.
6 Kapitel I. Stellung der Insekten im System.
Infolge der Zerlegung des Hautskelettes in Segmente ist auch die an
der Innenseite dieses Skelettes angeordnete Körperniuskulatur — die bei
den Ringelwürmern einen kontinuierlichen Hautmuskelschlauch bildet — in
einzelne segmentale Muskelgruppen gesondert. Die Muskeln, gleichgültig ob
willkürliche oder unwillkürliche, sind (mit seltenen Ausnahmen) quergestreift
(rasche Reaktionsfähigkeit!).
Was die innere Organisation betrifft, so stimmen die Arthropoden
bez. der Lagerung der Hauptorgane mit den Ringelwürmern überein,
indem die Leibeshöhle (die allerdings nur teilweise der Annelliden- Leibeshöhle
entspricht) dorsal von dem Zentralorgan des Kreislaufes (Herz), in der Mitte vom
Darm und ventral vom Zentralnervensystem durchzogen wird (Fig. 7) — also
gerade umgekehrt wie bei den Wirbeltieren, bei denen das Herz auf der
Bauchseite und das Nervensystem (Rückenmark) auf der Rückenseite verläuft.
Die Leibeshöhle ist mit der entweder farblosen oder verschieden ge-
färbten und stets Zellen enthaltenden Blutflüssigkeit, welche alle Organe be-
spült, angefüllt. Das Blut der Arthropoden ist demnach identisch mit der
Leibesflüssigkeit oder dem „Körpersaft". Die Zirkulation des Blutes wird im
einfachsten Fall durch Bewegungen des ganzen Tieres, meist aber durch ein
Fig. 7. Lagerung der Organe im Insektenkörper. Jff Herz; Vd, Md, Ed Vorder-, Mittel- und Enddarm:
iV^ Nervensystem (Bauchmark); (? Geschlechtsorgane; Ensc Endoskelett.
bei den verschiedenen Gruppen sehr verschieden gebautes Herz bewirkt. An
dieses schließt sich bei vielen Formen ein mehr oder weniger kompliziertes,
aber niemals vollkommen gegen die Leibeshöhle abgeschlossenes Gefäß-
system an. — Die Ausbildung des Herzens- und Gefäßsystems hängt innig
zusammen mit der Ausbildung der Atmungsorgane: wo einerseits solche
ganz fehlen (Hautatmung) oder aber wo der ganze Körper von Atemröhren
(Tracheen) durchzogen wird, da treten die Gefäße zurück; wo andererseits
die Atmung auf bestimmte Körperstellen lokalisiert ist (Kiemen der Krebse,
Lungen der Spinnen), finden wir auch ein gut ausgebildetes Gefäßsystem.
Im letzteren Fall hat ja auch das Blut den Transport des Sauerstoffs von
den Kiemen oder Lungen nach allen Körperregionen hin zu besorgen, während
diese Funktion bei den Tracheen-Atmern wegfällt, indem hier die im ganzen
Körper verzweigten Tracheen selbst die Zuleitung des Sauerstoffs zu allen
Zellen übernehmen.
Der verschieden gegliederte und mit verschiedenen Anhangsdrüsen ver-
sehene Darmkanal, der nur in sehr seltenen Fällen verkümmert, ist zwischen
dem vorn (auf der Bauchseite) gelegenen Mund und der Afteröffnung aus-
gespannt. Er besteht aus 3 Abschnitten, dem Vorder-, Mittel- und Hinter-
Definition und allgemeine Charakteristik der Arthropoden. 7
darm, von denen der erste und letzte durch Hauteinstülpungen entstehen
und daher mit einer Chitinkutikula, die stellenweise zu Zähnen, Leisten usw.
verdickt sein kann, ausgekleidet sind (Fig. 7 Vd, Md und Ed).
Das Zentralnervensystem, welches dem „gangliösen Typus" an-
gehört, besteht aus dem über dem Darm gelegenen Gehirn (aus 3 Ganglien-
paaren verschmolzen), dem unter dem Darm von vorn nach hinten ziehenden
Bauchmark (Fig. 1 N) und endlich der diese beiden verbindenden Schlund-
kommissur. Das Bauchmark besteht der Anlage nach in jedem Segment
aus je zwei rechts und links von der Medianlinie gelegenen Ganglien (Nerven-
knoten), welche sowohl unter sich durch eine Querkommissur, als auch mit
den jeweils vorhergehenden und folgenden Ganglienpaaren durch je ein paar
Längskommissuren verbunden sind. Dadurch erinnert das Bauchmark ein
wenig an eine Strickleiter, weshalb man auch von einem „Strickleiter-
Nervensystem" spricht. Gewöhnlich aber tritt diese Form bei der Ent-
wicklung mehr oder weniger wieder zurück, indem ausgedehnte Verschmel-
zungen, sowohl der Länge als der Quere nach stattfinden. Die Konzentration
kann so weit gehen, daß das ganze Bauchmark außer dem vordersten, sog.
Unterschlundganglien, nur noch aus einem einzigen Nervenknoten besteht,
der dann natürlich auch entsprechend groß ist.
Als Exkretionsorgane finden sich entweder den Nephriden der
Ringelwürmer homologe Organe (wie die Schalen- und Antennendrüsen
der Krebse, die Coxaldrüsen der Spinnen) oder aber völlig neu auftretende
Organe, die sog. Malpighischen Gefäße, die als Ausstülpungen des Mitteldarms
(Spinnen) oder des Hinterdarms (Insekten) entstehen.
Auch bezügl. der Geschlechtsorgane weichen die verschiedenen
Klassen der Arthropoden mehr oder weniger voneinander ab. Den meisten
kommt bloß ein Paar Keimdrüsen zu, die durch (auf Nephridien rückführbare)
Ausführgänge entweder mit paarigen oder unpaaren Mündungen nach außen
führen. — Nur ganz wenige Arthropoden (wie z. B. die Cirripedien oder
Entenmuscheln, oder die bei Termiten parasitierende Fliegengattung Termt-
toxeniay) sind Zwitter oder Hermaphroditen, d. h. haben beiderlei Geschlechts-
organe in einem Individuum vereinigt. Alle übrigen sind getrennten Ge-
schlechts; allerdings scheinen in einigen Fällen die Männchen ganz in Wegfall
gekommen zu sein, so daß alle die betr. Arten nur noch im weiblichen Ge-
schlecht existieren.
Die Fortpflanzung der Arthropoden ist ausnahmslos eine geschlecht-
liche, geschieht also ausschließlich durch Keimzellen. Nicht selten kommt
[edoch Parthenogenese, d. h. Entwicklung unbefruchteter Eier, vor, und
zwar entweder rein oder in regelmäßiger Abwechselung mit Gamogonie (Ent-
wicklung nach vorhergegangener Befruchtung). Die Eier sind meist dotter-
reich und haben in der Regel die Fähigkeit zur totalen Furchung verloren.
Es wird nur die oberflächliche Schicht des Eies in Zellen zerlegt, während
der im Innern befindliche Dotter lange Zeit oder auch dauernd ungefurcht
bleibt. Wir bezeichnen diese Art der Furchung, die sonst nirgends mehr im
') Der Hermaphroditismus von Termitoxenia wird neuerdings (von Bugnion)
bestritten.
8 Kapitel I. Stellung der Insekten im System.
Tierreich vorkommt, als superficielle. — Aus dem ursprünglich gleich-
artigen Blastoderm — wie jene oberflächlich gelegene Zellschicht benannt
wird — sondert sich als erste Anlage des Embryos der deutlich segmentierte
„Keimstreif" ab, welcher der Bauchseite des jungen Tieres mit dem
Nerv^ensystem und den Extremitätenpaaren entspricht. Die Ausbildung des
Rückens vollzieht sich erst viel später, und zwar meist erst ganz am Ende
der Embryonalentvvicklung.i)
Nur wenige Arthropoden verlassen das Ei in der dem erwachsenen Tiere
eigentümlichen Form; die meisten durchlaufen vielmehr im Anschluß an die
Embryonalentwicklung noch eine Reihe unter mehr oder weniger zahlreichen
Häutungen (siehe oben) sich vollziehender Umgestaltungen, die je nach Art
und Kompliziertheit als Ana-, Epi- oder Metamorphose bezeichnet
werden. Das bekannteste Beispiel ist die Entwicklung des Schmetterlings,
welcher vor seiner definitiven Ausbildung ein Raupen- und Puppenstadium
durchzumachen hat (Metamorphose).
Die Klassen der Arthropoden.
Der Stamm der Arthropoden enthält vier natürliche Gruppen, Klassen,
die unter dem Namen Krebstiere (oder Crustacea), Spinnentiere (oder
Arachnoidea oder Chelicerata), Tausendfüße (oder Myriapoda) und
Insekten (oder Hexapoda) bekannt sind. Als Unterscheidungsmerkmale
verwendet man die Verschiedenheit der Segmentierung, die Zahl und Aus-
bildung der Extremitäten, die Beschaffenheit der Atmungsorgane, die Art
der Exkretionsorgane (Nieren), das Vorhandensein oder Fehlen gewisser
Darmdrüsen (Leber) usw. — Ziehen wir unter Berücksichtigung aller dieser
Merkmale Vergleiche zwischen jenen 4 Klassen, so ergibt sich, dass zwischen
den Myriapoden und Insekten eine weit größere Übereinstimmung
besteht, als zwischen diesen und den Spinnen oder Krebsen. Die Über-
einstimmungen bezieht sich auf den wohlausgebildeten Kopf (Cephalon)
mit nur einem Paar Fühler (Antennen), auf die Tracheenatmung, auf das
Fehlen von Leberdrüsen und auf das Vorkommen von Malpighischen Gefäßen
Man hat daher die Insekten und Tausendfüße unter dem Namen Ateloce-
rata (auch Antennata, Eucephalica) zu einer höheren systematischen Kategorie,
einem Unterstamm oder Subphylum, zusammengefaßt.
Auch die beiden anderen Klassen, die Krebse und Spinnen, zeigen
ihrerseits nähere Beziehungen untereinander, wie in dem Vorkommen von
Leberdrüsen am Mitteldarm oder in der Ausbildung des vordersten Körper-
abschnittes, der außer den eigentlichen Mundgliedmaßen (und event. Fühlern)
meist auch noch andere Extremitäten trägt (und deshalb auch als Cephalo-
thorax bezeichnet wird). Doch stehen hier den Übereinstimmungen so viele
wesentliche Unterschiede gegenüber, daß eine Vereinigung der beiden besser
unterbleibt.
^) Im Gegensatz zu den Wirbeltieren, bei denen zuerst die Rückenfläche mit
dem dort befindlichen Rückenmarke angelegt wird, während der Bauch zuletzt aus-
gebildet wird und sich auch zuletzt schließt, wie die Stellung des Nabels zeigt.
Man kann sich diesen Unterschied am besten an gekochten Krebseiern einerseits
und an jungen, eben ausgeschlüpften Forellen andererseits veranschaulichen.
Die Klassen der Arthropoden.
Der Zusammenfassung der Spinnen und Krebs
wie sie von Goette vorgesclilagen wird, steht der
^t, besitzt.
KB
Fig. 8.
stück ;
als „Cephalothoracica",
Umstand entgegen, daß die
Spinnen nach den vergleichend embryologischen Untersuchungen von Heymons
gar keinen eigentlichen Cephalothorax, der aus einer Verschmelzung des Kopfes
mit Teilen des Brustabschnittes hervorgegangen ist, besitzt. Der vordere Körper-
abschnitt der Spinnen enthält vielmehr,
trotzdem er neben den Mundgliedmaßen
noch die 4 Beinpaare trägt, keine Ele-
mente des Brustabschnitts, sondern ist
ein reines Cephalon. Die Laufbeine sind
also auch keine Brust-, sondern Kopf-
extremitäten und die Spinnen demnach
richtige „Kopffüßler". Der Körper der
Spinnen zerfällt also nicht in Cephalo-
thorax und Hinterleib (Abdomen), sondern
in Kopf (Cephalon) und Rumpf. Nur
bei wenigen Formen läßt sich noch eine
Teilung des Rumpfes in Brust und Hinter-
leib erkennen, wie z. B. beim Skorpion,
dessen breiter auf den Kopf folgender
Rumpfabschnitt (früher als Praeabdomen
bezeichnet) dem Thorax, und dessen
schmaler hinterer Teil (der sog. Schwanz)
mit dem Giftstachel (früher Postabdomen)
dem Abdomen der übrigen Arthropoden
entspricht. — Auch bei primitiven (aus-
gestorbenen) Formen und bei den Em-
bryonen jetzt lebender Spinnen ist jene
Teilung des Rumpfes meist noch deutlich
erhalten, und besitzt der Thorax auch
noch mehr oder weniger vollkommene
Extremitäten.
Vielfach findet sich in den zoologischen Lehrbüchern eine andere Gruppierung
der obigen Arthropodenklassen, welche in erster Linie die Beschaffenheit der
Atmungsorgane berücksichtigt und dabei zu zwei Hauptgruppen gelangt: die Kiemen-
atmer (oder Branchiaten) und die Tracheenatmer (oder Tracheaten). Die ersteren
entsprechen in der Hauptsache den Krebsen, die letzteren den Spinnen -|- Tausend-
füßen -|- Insekten. Nachdem aber nachgewiesen ist, daß die Tracheen der Spinnen
keineswegs den Insektentracheen homolog sind, sondern
vielmehr von den Kiemen der Krebse abzuleiten sind,
hat diese Gruppierung die Berechtigung verloren.
Wir teilen also den Stamm der Arthropoden
am besten in drei Unterstämme oder Subphyla
ein, nämlich: 1. die Teleiocerata (oder Crusta-
cea, Branchiata, Krebstiere); 2. die Chelicerata
(Arachnoidea, Spinnentiere); 3. die Atelocerata
(Eucephalica, Eutracheata). Sehen wir von ein-
zelnen ganz aborranten Formen ab, so können
folgendermaßen charakterisieren :
Teleiocerata (Krebstiere). Kopf mit 2 Fühlerpaaren und
3 Paaren Mundwerkzeugen (Mandibeln und zwei Maxillenpaaren),
meist mit der Brust (Fig. 6) oder wenigstens Teilen der Brust
(Fig. 8) verwachsen (Cephalothorax). Atmung durch die Haut oder
Flohkrebs. Gammanis KB Kopfbrust-
! die 7 freien Brustringe; H Hinterleib;
NA sitzendes Netzauge; FI vorderer Fühler (erstes
Gliedmaßenpaar): FII hinterer Fühler (zweites
Gliedmaßenpaarj. Die 3 folgenden Gliedmaßen-
paare, die Kiefer, sind nur angedeutet; 6 Kiefer-
fuß (6. Gliedmaßenpaar, das letzte des Kopfbrust-
stückes i; 7 — 13 die 7 Fußpaare der freien Brust-
ringe; 14—16 Schwimmfüße des Hinterleibes
(14.— 16. Gliedmaßenpaar): 17—19 Springfüße des
Hinterleibes (17.-19. Gliedmaßenpaar).
5/i n. Gr. — (N.)
Fig. 9. Kreuzspinne, Epe
diadevial L, — (N.)
diese drei Gruppen
10
Kapitel I. Stellung der Insekten im System.
durch Kiemen. Mitteldarm mit „Leber". Exkretionsorgane (Niere)
kopfständig, nephridienartig (Antennen- und Maxillendrüse).
Chelicerata (Spinnentiere). Kopf ohne eigentliche rücken-
ständige Fühler, mit 6 Extremitätenpaaren, von denen die ersten
beiden (Cheliceren und Pedipalpen) als Mundgliedmaßen und die
folgenden 4 als lokomotorische Extremitäten (Laufbeine) dienen.
Rumpf gewöhnlich einheitlich, nur selten in Thorax und Abdomen
geschieden. Atmung durch Tracheenlungen oder Tracheen. Mittel-
darm meist mit leberartigen Drüsen. Exkretionsorgane meist in
den Mitteldarm, zuweilen auch an den Coxen direkt nach außen
mündend („Coxaldrüsen").
Zu den Spinnentieren werden vielfach auch die sog. Bärtierchen oder
Tardigraden gestellt. Es sind dies mikroskopisch kleine, im Wasser oder feuchten
Moos lebende Tiere, welche an einem unsegmentierten Körper 4 Paar mit „Krallen"
bewaffnete Extremitätenstummel besitzen. Nachdem aber die „Krallen", die so
7 a 9 10
Fig. 10. Ein Tausendfuß, ScoJopendra morsitans L.
K Kopf; F{i) Fühler; 5—26 Extremitäten des Rumpfes. — (N.)
ziemlich das einzige Arthropodenmerkmal darstellen, als eine Gruppe
von Borsten sich erwiesen haben, die viel Ähnlichkeit mit den Borsten der
Annelliden-Parapodien haben, sind die Tardigraden aus dem Stamm der Arthropoden
zu entfernen und den Annelliden anzugliedern.
Atelocerata (Insekten- und Tausendfülse). Kopf mit einem
Paar Fühler (nur ganz selten fehlend: Protura und verschiedene
Larven) und 3 Paaren Mundgliedmaßen (Mandibeln und zwei
Maxillenpaaren). Körper in 2 (Kopf und Rumpf) oder 3 deutliche
Abschnitte (Kopf, Brust und Hinterleib) zerlegt. Atmung durch
Tracheen. Mitteldarm ohne Leber. Als Exkretionsorgane dienen
Ausstülpungen des Hinterdarms (Malpighische Gefäße).
Zu den Atelocerata werden neben den Tausendfüßen und Insekten gewöhnlich
auch noch die Protracheaten oder Onychophoren angeführt, die mit wenigen
(5) Gattungen, von denen Peripattis am bekanntesten ist, und ca. 50 Arten in weit
entfernten Gegenden (Süd-Afrika, Westindien, Neuseeland) vorkommt. Diese An-
gliederung an die Antennaten beruht lediglich auf dem Vorkommen von
Tracheen. Da aber gerade die Tracheen, wie wir oben schon sahen, ganz un-
abhängig voneinander auf verschiedenem Wege sich bilden können, so ist dieses
Merkmal allein jedenfalls nicht genügend, eine so abweichende Tiergruppe, die in
ihrer inneren wie äußeren Organisation (ohne Hautskelett und ohne deutliche äußere
Gliederung, mit Hautmuskelschlauch, mit undeutlich gegliederten Stummelfüßen, mit
Segmentalorganen und mit größtenteils glatter Muskulatur) noch weit mehr Annelliden-
als Arthropodencharaktere zeigt, in eine so scharf umschriebene und spezialisierte
Gruppe, wie die Atelocei-aten, einzureihen. Wenn wir die Onychophoren überhaupt
bei den Arthropoden belassen wollen, so müssen wir sie jedenfalls als einen be-
sonderen Unterstamm auffassen.
Die Klassen der Arthropoden. — Literatur. H
Die beiden Klassen der Ateloceraten lassen sich, wie folgt, leicht von-
einander trennen i^)
Myriapoden: Körper nur in zwei deutlich gesonderte Regionen
(Kopf und Rumpf) geteilt; letzterer meist mit zahlreichen Seg-
menten, die fast sämtlich mit gut gegliederten Extremitäten ver-
sehen sind (Fig. 10).
Insekten: Körper stets in drei Regionen gesondert, Kopf,
Brust (Thorax) und Hinterleib (Abdomen). Thorax mit drei Paaren
ansehnlicher Bewegungsextremitäten (Beine) und häufig auch am
2. und S.Segment mit zwei dorsalen Flügelpaaren. Abdomen meist
ohne ausgebildete Extremitäten (Fig. 11).
Von den Krebsen, Spinnen und Tausendfüßen wird, soweit sie
Interesse für den Forstmann haben, am Schlüsse des Werkes in einem be-
sonderen Anhang noch die Rede sein. Wir wenden uns im folgenden gleich
zu den Insekten.
Literatur.
Berlese, A., Monographia dei Myrientomata. Redia. Bd. 6. 1910.
Bütschli, O., Vorlesungen über die vergleichende Anatomie. Bd. I und II. Leip-
zig 1910 und 1912.
Claus- Grobben. Lehrbuch der Zoologie. 8. Aufl. Marburg 1910.
Gölte, Alexander, Lehrbuch der Zoologie. Leipzig 1902.
Handlirsch, A., Die fossilen Insekten und die Phylogenie der recenten Formen.
Leipzig 1906—1908.
Hertwig, Richard, Lehrbuch der Zoologie. 10. Aufl. Jena 1912.
Hevmons, R., Die Entwicklungsgeschichte der Scolopender. (Zoologica Heft 33.)
-Stuttgart 1901.
Pocock, R. }., On the Classification of the Tracheate Arthropoda. Zool. Anzeiger,
XVI. Jahrg. 1893, p. 271—275.
Prell, H., Das Chiünskelett von Eosentomen. Stuttgart 1913 (Zoologica).
^) Der wahren Stammverwandtschaft näher kommt wohl die Einteilung
Po Cooks nach der Lage der Geschlechtsöffnungen.
Unter Berücksichtigung späterer Modifikationen zerfallen darnach die Atelo-
ceraten in zwei Reihen:
1. Die Progoneaten: Die Geschlechtsöffnung befindet sich im vorderen Teil des
Rumpfes. Hierher die Diplopoden, Pauropoden, Symphylen.
2. Die Opisthogoneaten: Die Geschlechtsöffnung befindet sich am Hinterende
des Rumpfes. Hierher die Chilopoden und Insekten.
Kapitel 11.
Die äußere Erscheinung der Insekten
(Morphologie).
Der Körper der Insekten zerfällt in drei mehr oder weniger deutlich
voneinander gesonderte Abschnitte, die als Kopf (Cephalon), Brust (Thorax)
und Hinterleib (Abdomen) bezeichnet werden (Fig. 11). Der Kopf trägt ein
Paar rückenständiger Fühler (Ausnahme Protura) und 3 Paar bauchständiger
Kiefer, die Brust 3 Paar Beine und meist 2 Paar Flügel, während der Hinter-
leib im allgemeinen gliedmaßenlos ist.
Fig. 11. Männliche Hornisse, Vespa Cräbro L. E Kopf; B Brust; H Hinterleib mit sieben Segmenten;
F Fühler (erstes Gliedmaßenpaar); NA Seitenauge; pa Punktauge; ObK Vorderkiefer (zweites Glied-
maßenpaar); die 2 folgenden Kieferpaare sind in dieser Ansicht nicht wahrzunehmen; 5, 6, 7 Beine
(fünftes bis siebentes Gliedmaßenpaar); Fl\ Vorderflügel; F12 Hinterflüge], — (N.)
Um die Zusammensetzung des Insektenkörpers richtig zu beurteilen, müssen
wir auf die embryonalen Anlagen zurückgreifen; denn selbst bei den primitivsten
Insekten haben so viele Umbildungen und Reduktionen usw. stattgefunden, daß die
ursprüngliche Zusammensetzung teilweise stark verdeckt wird. — Nach Heymons,
dem wir die umfassendsten und bezüglich der Klarheit geradezu klassischen Unter-
suchungen verdanken, besteht der Insektenkörper aus folgenden Teilstücken: einem
vor der Mundöffnung gelegenen extremitätenlosen Oralstück oder Acron, einem
hinter, der Afteröffnung gelegenen, ebenfalls extremitätenlosen Analstück oder
Telson und 19 zwischen diesen beiden gelegenen homonomen, mit je einem Paar
Extremitäten versehenen Segmenten (Fig. \2 A). Wir haben also zwei morphologisch
verschiedenwertige Elemente in der Anlage zu unterscheiden, nämlich einerseits die
extremitätenlosen Kopf- und Schwanzstücke, Acron und Telson, und andererseits
Der Kopt.
13
die dazwischenliegenden echten Segmente. Von diesen 19 Segmenten gehen nun
nicht weniger als 5 in die Bildung des Kopfes ein, 3 in die Bildung der Brust,,
während die restlichen 11 auf das Abdomen entfallen. — Die weitgehendsten Um-
bildungen erleiden die Kopfsegmente, indem sie teilweise ihre ursprüngliche Lage
und Formen verändern und auch ihre Extremitäten teils gänzlich verlieren (2. Segment),,
teils stark umbilden (1. und 3. — 5. Segment). Die ersten zwei Segmente, das An-
tennal- und Intercalarsegment (und damit auch die Extremitäten des 1. Segments,
die Fühler oder Antennen) rücken über die Mvindöffnung, so daß also nur noch drei
Segmente, das Mandibelsegment und die beiden Maxillensegmente, hinter der Mund-
öffnung verbleiben (Fig. 12 B). — Die Brust läßt ihre Zu.sammensetzung aus 3 Seg-
JnA.
d B
Fig. 12. Schematische Darstellung der embryonalen Segmentierimg. A junges, B älteres Stadium.
Zwischen Acron und Telson liegen 19 Segmente, von denen die ersten 5 in die Bildung des Kopfes^
die folgenden 3 die Bildung der Brust und die letzten 11 in die Bildung des Abdomens eingehen.
Beim jüngeren Stadium zeigen die Abdominalsegmeute noch die rudimentären Beinanlagen. M Mund;
A und« After (ist in Fig. .B unter der mittleren Lam. anal, liegend, also endständig zu denken); Nerv
Anlage des Nervensystems; Ant. Fühler; J,— 3 Kiefer 1—3; ^1—3 Beine 1—3; b^—^o rudimentäre Bein-
anlagen der Abdominalsegmente; Cerc. Cerci.
menten bei allen Insekten, auch beim erwachsenen Tiere, der sog. Imago, noch
deutlich erkennen, sowohl an dem Vorhandensein der 3 Beinpaare, als auch an den
Segmentgrenzen. — Die Abdominalsegmente bleiben meist deutlich gegeneinander
abgegrenzt, verlieren aber größtenteils ihre Extremitäten, nur das 11. Segment be-
hält bei einer Anzahl Insekten seine Extremitäten in Form von langen fühlerähnlichen
Anhängen (Cerci) bei. Bei den meisten Insekten sind jedoch auch diese verloren,
wie überhaupt die Zahl der Segmente mehr oder weniger reduziert wird.
1. Der Kopf.
A. Die Kopfkapsel.
Der vorderste Abschnitt der Insekten, der Kopf, stellt eine starre, meist
sehr kräftig chitinisierte Kapsel dar, welche gewöhnlich zwei Öffnungen be-
14
Kapitel II. Die äußere Erscheinung der Insekten (Morphologie).
sitzt: die ventral gelegene Mundöffnung und das auf der Hinterseite befind-
liche Hinterhauptsloch, durch welches die Speiseröhre, das Nerven-
system usw. in den folgenden Brustabschnitt übertritt.
Die Trennung des Hinterhauptsloches von der Mundöffnung wird durch eine
Kehlplatte (Gula) und Teile der Unterlippe bewirkt. Bei niederen Insekten bleibt
die Gula frei oder verschmilzt mit der Unterlippe, bei höheren bildet sie durch
Vereinigung mit den Seitenteilen des Kopfes eine Brücke zwischen denselben.
(Prell.)
Arvb.
Kojtf
A.
L^ 21.
Ard.
Fig. 13. Schematische Darstellung der Segmentierung und Regionenbildung. A die drei Regionen
noch nicht voneinander gesondert; B Kopf, Brust und Abdomen deutlich geschieden. Kopf aus Acron
und 5 Segmenten sich zusammensetzend. 1 Acron-, 2 Antennal-, 3 Intercalar-, 4—6 Kiefersegmente;
Ant. Fühler; Br Brust; AM. Abdomen; !• Oberlippe; M Mund; Ä,_3 Kiefer 1—3; B^ ^ Brustbeine 1—3.
Nach B erlese, etwas vei'ändert.
Der Kopf ist der Träger der wichtigsten Sinnesorgane (Geruch, Ge-
sicht, Tast und Geschmack) und der der Nahrungsaufnahme dienenden Mund-
werkzeuge. Letztere sind es vor allem, welche die Konfiguration des
Kopfes bestimmen. Das notwendige enge Zusammenrücken der drei Kiefer-
paare bedingt natürlich auch einen ebenso engen Anschlnß der betr. Seg-
mente (Fig. 13), und die Muskulatur für die Kiefer verlangt kräftige Ansatz-
punkte, was zu einer Verschmelzung der Segmente und kräftigen Chitini-
sierung führt. So können wir überall deutliche Beziehungen zwischen der
Ausbildung der Mundgliedmaßen und der Größe und Festigkeit der
Kopfkapsel feststellen: Je stärker die Mundgliedmaßen ausgebildet und je
höhere Anforderungen an ihre Kraft gestellt werden, desto größer und härter
ist auch die Kopfkapsel.
Es wäre also gänzlich verfehlt, aus der Größe des Kopfes etwa auf die Höhe
der geistigen Fähigkeiten schließen zu wollen. Ein sehr schönes Beispiel dafür
Der Kopf.
15
bieten die sog. Soldaten der Ameisen und Termiten dar, deren Köpfe mitunter
enorme Dimensionen erreichen und um ein Vielfaches größer sein können als die
Köpfe der Arbeiter, obwohl die Soldaten den Arbeitern geistig unterlegen sind. Die
riesigen Köpfe sind lediglich bedingt durch die überaus kräftige Muskulatur, welche
für die der Verteidigung dienenden starken Vorderkiefer notwendig ist.
Obwohl der Kopf, wie gesagt, eine einheitliche starre Kapsel darstellt,
lassen sich doch einige durch Nähte oder Furchen usw. mehr oder weniger
deutlich begrenzte Abschnitte oder Regionen unterscheiden. Betrachten
wir z. B. die Vorderseite des Kopfes einer Küchenschabe iFig. 14), so sehen
wir zu oberst eine mediane Längsnaht, die sich nach kurzem Verlaufe gabelt.
Dazu kommen weiter unten (ventralwärts) noch 2 weitere, kürzere Quernähte.
Den dorsal gelegenen, durch die Längsnaht in 2 Hälften geteilten Abschnitt
AnL
Mxt
ABC
Fig. 14. Regionen der Kopfkapsel. X Kopf von Periplaneta (Küchenschabe) von vorn gesehen;
B derselbe von der Seite gesehen; C Kopf einer Schmetterlingsraupe. F Vertex (Scheitel); Fr Frons
(Stirne); Cl Clypeus; WWange; ä Hinterhaupt; 06 Oberlippe; Mä Mandibel; l/xMaxille; JWir# Maxillar-
taster; £.e Lobus exterior; FZ Unterlippe; T?^ Uuterlippentaster; Oc Ocelleu; AhJ Fühler. NachBerlese.
bezeichnen wir als Scheitel (Vertex); die darauf folgende Region, die
einerseits durch die Gabelnaht, andererseits durch die vor den Fühlern gelegene
Quernaht begrenzt ist, stellt die Stirne (Frons) dar. Der durch die letztere Naht
von der Stirne abgegrenzte Teil wird als Kopfschild (Clypeus) bezeichnet,
auf welchen endlich die durch eine weitere Quernaht abgetrennte und
meist mit dem Clypeus gelenkig verbundene Oberlippe (Labrum) folgt, die
dicht über der Mundöffnung gelegen ist, und deren Unterseite gelegentlich
besonders ausgebildet ist und dann als Epipharynx bezeichnet wird. — An
der Hinter Seite des Kopfes unterscheiden wir eine über (dorsal) dem
Hinterhauptsloch gelegene Region, das Hinterhaupt (Occiputi, und eine
ventral davon gelegene, die Kehle (Gula), welche das Hinterhauptsloch von
der Mundöffnung trennt (häufig stark reduziert). — Die seitlichen Partien
des Kopfes endlich, welche von der Stirne, den Augen, dem Scheitel, Hinter-
haupt, der Kehlplatte und der Basis der Vorderkiefer begrenzt werden, benennt
man als Wangen (Genae und Postgenae).
Manche Autoren gehen in der Regioneneinteilung noch welter und unter-
scheiden eine Vorder- und Hinterstirn (Prae- und Postfrons), ferner einen Ante- und
Postclypeus und ein Ante- und Postlabrum. — Übrigens ist die Begrenzung der
16
Kapitel II. Die äußere Erscheinung der Insekten (Morphologie).
Regionen keineswegs überall so klar wie im obigen Beispiel, sondern im Gegenteil
meist undeutlicher, so daß es oft schwer fällt, die Regionen richtig zu deuten. Es
liegt dies gewöhnlich daran, daß die Nähte mehr oder weniger verschwinden, oder
daß einzelne Regionen besonders ansehnlich ausgebildet und dadurch andere >tark
reduziert sind, oder aber daß besondere Bildungen (Hörner, Zacken usw.) auf-
treten, welche die Grenzen verdecken oder verschieben.
Was die Beteiligung der verschiedenen Segmente
A an der Bildung der Kopfregionen betrifft, so lehrt die
Embryologie, daß das Acron und die ersten 3 Segmente
an dem Aufbau der Stirne nebst Clypeus und Labrum
beteiligt sind, während der Scheitel, das Occiput und
die Wangen von den Seiten- und Rückenteilen der
Segmente 4 — 6 gebildet werden.^) In welcher Weise
dies geschieht, dürfte am besten aus den schematischen
Figuren 13 A u. B hervorgehen.
An der Bildung der Kopfkapsel nehmen auch
die Augen teil, und zwar mitunter in hervorragen-
dem Maße. Wir unterscheiden Seitenaugen, die
zu beiden Seiten der Stirne (zwischen Stirne,
Scheitel und Wange [siehe Fig. 15]), und Stirn-
augen, die in verschiedener Zahl (1 — 3) zwischen den
Seitenaugen auf der Stirne gelegen sind. Die letzteren sind meist klein und
erlangen nur ganz selten eine nennenswerte Größe; die ersteren dagegen
können eine solche Ausdehnung erreichen, daß der größte Teil der Kopfkapsel
von ihnen eingenommen wird (einige Dipteren, Libellen usw.), während die
übrigen Regionen (Stirne, Scheitel usw.) stark reduziert sind. — Näheres über
Fig. 15. Kopf einer Schlupf
wespe. '/i n. Gr. a die 3 Punkt-
äugen; hb die paarigen Seiten-
augen; cc die Fiibler. ~ (N.1
Fig. 16. Beispiele für die verschiedene Kopf Stellung. A hypognather Typus ( Feldheuschrecke i
B prognather Typus (Laufkäfer. Cychrus spec).
die Formenmannigfaltigkeit der Augen wird unten bei Besprechung der Sinnes-
organe noch vorgebracht werden.
Was die Stellung des Kopfes gegen den folgenden Körperabschnitt,
den Thorax, betrifft, so kommen zwei verschiedene Typen vor: entweder
steht der Kopf so, daß die Mundteile nach unten, d. h. ventralwärts (und also
die Stirne nach vorne), oder aber so, daß die Mundteile nach vorne (und die
Stirne nach oben) gerichtet sind. Ersterer Typus, der als hypognath
(Fig. 16 A) bezeichnet wird, stellt, wie aus obigen embryologischen Andeutungen
hervorgeht, den ursprünglichen Zustand vor, letzterer, der sog. prognathe.
^) Nach Riley, dem sich neuerdings auch Prell anschheßt, werden von den
Kiefersegmenten (4 — 6) nur das Occiput und die Postgenae gebildet, während der
Scheitel und die Wangen (Vertex und Genae) dem Acron ihre Entstehung verdanken.
Der Kopf.
17
den abgeleiteten. — Auch die Verbindung des Kopfes mit dem Brust-
abschnitt kann eine verschiedene sein, indem der Kopf entweder mit seiner
ganzen hinteren Breite dem Thorax aufsitzt oder nur durch einen dünnen
Hals mit ihm zusammenhängt. Im ersten Fall ist der Kopf oft mehr oder
weniger tief in den ersten Brustring eingesenkt, mitunter so weit, daß er bei
der Ansicht von oben völlig von diesem verdeckt wird (Borkenkäfer, Fig. 17).
Fig. 17. Zwei extreme Formen der Verbindung des Kopfes mit der Brust. Bei A (Blattwickler,
Apoderus coryli) ist der Kopf vollkommen frei, hängt nur mit einem dünnen Hals mit der Vorderbrust
zusammen; bei B (Borkenkäfer) ist der Kopf in den ersten Brustring (Halsschild) eingesenkt, so daß
er von oben überhaupt nicht zu sehen ist. Aus Oudemans.
Im Innern der Kopfkapsel ist bei den meisten Insekten ein gut ausgebildetes
Entoskelett, das sog. Tentorium, vorhanden. Dasselbe stellt ein Stützgerüst
dar, von dessen mittlerer Platte je ein Paar Arme nach vorn, hinten und oben sich
erstrecken. Die Platte liegt zwischen dem Ober- und Unterschlundganglion, unter
dem Oesophagus, welch letzterer zwischen den Armen hindurchzieht.
B. Die Anhänge (Extremitäten) des Kopfes.
Trotz seiner Zusammensetzung aus Acron und 5 Segmenten besitzt der
Kopf nur 4 Gliedmaßenpaare, von denen das vorderste, die Fühler oder
Antennen, als Sinnesorgan dient, während die 3 folgenden zur Ergreifung
und Aneignung der Nahrung eingerichtet sind und daher als Mundglied-
maßen bezeichnet werden.
Die Fühler.
Die Fühler oder Antennen sind stets nur in einem Paar vorhanden
und stellen die vordersten, vor der Mundöffnung gelegenen Gliedmaßen dar;
sie sind stets gegliedert und mit der Kopfkapsel gelenkig verbunden. Die
Stelle der Insertion kann sehr verschieden gelegen sein: entweder vor
den Augen (zwischen diesen und der Basis der Vorderkiefer), oder an der
Innenseite der Augen (mehr oder weniger der Stirnmitte genähert), oder aber
an der Außenseite, oder endlich auch (allerdings selten, z. B. Flöhe) an der
Hinterseite der Augen.
Bezüglich der Gliederung herrscht eine schier unermeßliche Mannig-
faltigkeit, sowohl was die Zahl der Glieder als die Form derselben betrifft.
Wir kennen einerseits Fühler mit nur 2 oder 3 Gliedern, andererseits solche
Escherich, Forstinsekten. 2
18
Kapitel II. Die äußere Ersclieinung der Insekten (Morphologie).
mit 40 und mehr.^) — Die Glieder können entweder alle annähernd einander
gleich gebaut sein, oder aber es können einzelne Glieder oder ganze Glieder-
gruppen bedeutende Formabweichungen von den übrigen zeigen; im ersteren
Fall spricht man von „gleichartigen" (antennae aequales), im zweiten von
„ungleichartigen Fühlern" (antennae inaequales).
A B C D E F G
Fig. 18. Gleichartige tühler. A borstenförmig (Laubheuschrecke); S fadenförmig (Laufkäfer); Cperl-
schnurförmig; -D gesägt (Schwärmer); E gekämmt (Schnellkäfer); F doppelt gekämmt (Kammmückej;
G -wirtelförmig behaart (Stechmückenmännchen). — (N.)
Unter den gleichartigen Fühlern kann man wieder, je nach der
Gestaltung der einzelnen Glieder, verschiedene Formen unterscheiden, wie:
borstenförmige, fadenförmige, perlschnurförmige, gesägte, einfach
und doppelt gekämmte und gefiederte (Fig. 18).
Fig. 19. Ungleichartige Fühler. A gekeult (Kohlweißling); B mit nackter Fühlerborste; C mit be-
haarter Fühlerborste (Fliegen); D gebrochener Fühler mit Schaft und einfacher Geißel (Hornisse,;
E gebrochener Fühler, Geißel mit viergliedriger, gekämmter Keule (Hirschkäfer); F gebrochener
Fühler, Geißel mit einfacher Keule (Borkenkäfer); G gebrochener Fühler mit geblätterter Keule (Mai-
käfermännchen). — (N.)
Bei den „ungleichartigen Fühlern" handelt es sich meistens um
eine Veränderung der Endglieder, die gewöhnlich in größerer oder geringerer
Ausdehnung verdickt sind, einen Knopf oder eine Keule bildend (Fig. 19).
Wir sprechen dann von geknöpften oder gekeulten Fühlern (und zwar
einfacher, gekämmter oder geblätterter Keule). Andererseits können
^) Bei manchen Insekten (den Proturen und den 99 der Stylopiden) und
zahlreichen Larven sind die Fühler vollkommen rückgebildet.
Der Kopf.
19
die Endglieder aber auch stark reduziert und verdünnt sein, wie z. B. bei
vielen Fliegen, bei denen die letzten Glieder verschmolzen und zu einer
Borste („Endborste") rückgebildet sind, die höchstens noch an der Ringelung
die Zusammensetzung aus Gliedern erkennen läßt. — Außerdem kann die
Ungleichartigkeit auch auf der starken Verlängerung (und event. Verdickung)
des 1. Gliedes beruhen, wodurch der Fühler gewissermaßen in zwei Teile
zerlegt wird: den durch das lange erste Glied gebildeten „Schaft" (scapus)
und die aus den übrigen Gliedern bestehende „Geißel" (flagellum). Ist die
Geißel winkelig gegen den Schaft eingelenkt, so bezeichnet man den Fühler
als „gebrochen" oder „gekniet", eine Eigenschaft, die häufig (z. B. Borken-
käfer) mit einer Keulenbildung kombiniert
ist (Fig. 19, E u. F). Endlich kommen
auch noch gänzlich „unregelmäßige"
Fühler vor, die auf Verwachsungen, Fort-
satzbildungen, Knickungen usw. beruhen
und auf spezielle, oft mit Funktions-
wechsel verbundenen Anpassungen an
eine ganz besondere Lebensweise zurück-
zuführen sind.
Zwischen den gleichartigen und un-
gleichartigen Fühlern kommen auch Über-
gänge vor, so daß es schwierig ist, sie einem
der beiden Typen zuzuteilen. Streng ge-
nommen existieren „gleichartige" Fühler
überhaupt nicht, da das 1. Glied bei allen
Fühlern in einem gewissen Gegensatz zu
den übrigen Gliedern steht, sowohl funk-
tionell als morphologisch (durch seine Größe,
Struktur usw.), und man daher bei allen
Fühlern gewissermaßen von einer Zwei-
teilung in Schaft und Geißel reden könnte.
Vom praktischen Standpunkte aus ist jedoch
die oben vorgeschlagene Einteilung trotz-
dem wohl gerechtfertigt und in den weitaus
meisten Fällen auch gut durchzuführen.
Fig. 20 A. Kauende Mundgliedmaßen einer
Feldgrille (Gryllus campestris) in situ, von hinten
gesehen. Hl Hinlerhauptsloch; Ant Fühler;
Md Mandibel; Mxt Maxillartaster; Le Lohns
externus (äußere Lade); ii L. internus (iiinere
Lade) ; Oh Oberlippe ; UH Unterlippen- (= Labial)
taster; Z Zunge (Glossa): Kz Nebenzunge
(Paraglossa).
Die Mundgliedmaßen.
Die Mundgliedmaßen dienen in der Hauptsache zur Ergreifung und An-
eignung der Nahrung und sind deshalb um die Mundöffnung herum gruppiert.
Entsprechend der ungeheuren Mannigfaltigkeit der Nahrung der Insekten
und der Art des Nahrungserwerbes treten uns auch die Mundgliedmaßen in
großer Verschiedengestaltigkeit entgegen. Je nachdem die Nahrung fest oder
flüssig ist, sind die Mundwerkzeuge zum Kauen oder zum Lecken oder
Saugen eingerichtet. So sehr nun auch dadurch der Bau jener Organe be-
einflußt wird und so grundverschieden auch die kauenden und saugenden
MundwerRzeuge erscheinen (man denke an die Kiefer eines Käfers oder den
Rüssel eines Schmetterlings!), so lassen sich doch, wie die vergleichende
Morphologie und Embryologie lehrte, die einzelnen Formen voneinander ab-
leiten ; d. h. alle entstehen aus den drei am 3., 4. und 5. embryonalen Kopf-
2*
20
Kapitel IL Die äußere Erscheinung der Insekten (Morphologie).
Segment auftretenden Extremitätenpaaren (oder wenigstens aus Teilen
derselben).
Dem ursprünglichen Zustand am nächsten stehen die kauenden oder
beißenden Mundwerkzeuge. Bei ihnen lassen sich die drei Extremitätenpaare
unschwer erkennen (Fig. 20 A u. 20 B): das vorderste stellt die Vorderkiefer
(auch Oberkiefer oder Mandibeln) dar, das darauffolgende die Mittelkiefer
(auch Unterkiefer oder Maxillen) und das dritte Paar die Hinterkiefer
(auch Unterlippe oder Labium).
Die Vorderkiefer oder Mandibeln stellen einfache, ungegliederte,
meist äußerst stark chitinisierte Gebilde dar, die, direkt hinter der Oberlippe
gelegen, mit der Kopfkapsel gelenkig
(Scharniergelenk) verbunden sind und
mit Hilfe einer kräftigen Muskulatur
gegeneinander bewegt werden können.
Am Innenrand befinden sich meist
mehrere Zähne, von denen häufig der
basal gelegene eine besondere Größe
und Bedeutung als „Mahlzahn" erreicht.
Die Form der Mandibeln ist sehr
wechselnd, je nach der Verwendung. Bei
Raubinsekten (z. B. Laufkäfer) sind sie meist
lang, spitz und mit ebensolchen Zähnen
besetzt und greifen mit ihren Enden über-
einander (siehe Fig. 28), bei Pflanzenfressern
(z. B. Maikäfer) dagegen breit und kurz usw.
Bei manchen Larven {Dyttscus, Lampyris
usw.) sind die Mandibeln zum Saugen ein-
gerichtet, indem sie mit einem feinen Kanal
versehen sind. — Die Mandibeln dienen
aber auch noch anderen Zwecken als dem
Nahrungserwerb, wie dem Wohnungsbau
(Bienen, Wespen, Ameisen und Termiten),
der Verteidigung (Ameisen und Termiten-
soldaten) usw., was natürlich auch wieder
zu besonderen Formbildungen führte. —
Welch enorme Kraft die Oberkiefer besitzen
können, zeigen die Borkenkäfer, die das
härteste Holz durchnagen, oder gewisse
Laufkäfer, die starke Schneckenschalen zer-
brechen, oder die Holzwespen, die sich
sogar durch dicke Bleiplatten fressen können.
Die Mittelkiefer (auch Unterkiefer oder Maxillen), zu beiden Seiten
der Mundöffnung gelegen, sind weit weniger kräftig als die Mandibeln aus-
gebildet, andererseits aber viel komplizierter gebaut, indem sie aus einer An-
zahl mehr oder weniger gegeneinander beweglichen Glieder zusammengesetzt
sind. Wir unterscheiden zunächst Stammglieder und Endglieder; die
ersteren zerfallen wieder in die Angel (oder Cardo) und den Stamm (oder
Stipes), die letzteren in die Taster (Palpus) und die beiden Laden
(Lobus internus und externus). Am Stamm kann sich noch ein weiteres
Fig. 20 B. Kauende Mundgliedmaßen der
Küchenschabe (Periplaneta Orientalis), zerlegt,
ir Labrum (Oberlippe) ; md Mandibeln; c Cardo ;
si Stipes; le und li Lobus externus und inter-
nus; pm Maxillarpalpus ; sm Submentum; m
Mentum; gl Glossen (Zunge); pg Paraglossen
(Nebenzungen); pl Labialpalpus (Unterlippen-
taster). Aus Hertwig.
Der Kopf.
21
Fig. 21. Kopf einer Libellenlarve mit vorgestreckter
Unterlippe (^Maske"), die zum Fang eingerichtet ist. Fr
Stime; Cl Clypeus; Ob Oberlippe; Md Mandibel; Max
Maxille; Sm Submentum; Mt Menttim; Palp Unterlippen-
taster.
Stück abgliedern, welches den Palpus trägt und daher als Tasterträger oder
Palpiger bezeichnet wird.
Bei den Mittelkiefern ist die Extremitätennatur noch deutlich erhalten, und
wir finden auch an ihnen sämtliche Teile eines Laufbeines wieder. Die Stamm-
glieder entsprechen der Coxa und
die Laden Coxalanhängen, während
der Palpus allen auf die Coxa
folgenden Beingliedern (wie Tro-
chanter, Schenkel, Schiene, Tarsus)
gleichzusetzen ist. — Die Funktion
der Mittelkiefer besteht teils im
Zerkleinern der Nahrung, teils in
der Formung des Bissens und teils
in der Aufsuchung und Prüfung
der Nahrung (Taster). Natürlich
kommen auch hier — entsprechend
der mannigfaltigen Nahrung —
große Formverschiedenheiten vor,
die sich hauptsächlich auf die
Ausgestaltung der beiden Laden
beziehen.
Die Hinterkiefer (oder Unterlippe, Labium) endlich, die hinter
der Mundöffnung gelegen sind, stehen bezüglich ihrer Gliederung den Mittel-
kiefern nahe, unterscheiden
sich jedoch dadurch wesent-
lich von diesen, daß sie in
der Regel zu einem unpaaren
Stück verwachsen sind. Die
Verwachsung bezieht sich in
erster Linie auf die Stamm-
stücke (d. h. die beiderseitigen
Cardines und Stipites), die
zu 2 hintereinander gelegenen
unpaaren Platten, dem Sub-
mentum und Mentum
(Kinn), verschmolzen sind.
Sodann verschmelzen auch
die inneren Laden gew^öhnlich
miteinander zur sog. Zunge
oder Glossa, während die
äußeren (wenn überhaupt
vorhanden) paarig bleiben
(Nebenzungen, Para-
glossen), ebenso die mehr-
gliedrigen Taster (Lippentaster, Palpi labiales).
Häufig treten noch weitgehendere Verschmelzungen und Reduktionen ein,
so daß die Unterlippe aus einer einzigen ungegliederten unpaaren Platte besteht,
an denen als einzige Anhänge nur noch die Taster sitzen. — Die Unterlippe hat
im allgemeinen die Bedeutung eines Hilfsorganes, welches dazu
dient, „ein Ausgleiten der Nahrungsbrocken, die von den beiden Kieferpaaren ver-
A
Fig. 22. Kopf und leckende Mundteile einer Bienenarbeiterin.
A von vorn, B von der Seite gesehen. C Querschnitt durch
die Zunge. — Ant Fühler: Aug Seitenaugen; Oe Stirnaugen;
Fr Stirn; Cl Clypeus; 06 Oberlippe ; Md Mandibel ; Mxt Maxillar-
taster; ilfe- Maxille ; Ult Labial- (Unterlippen-) taster; .2 Zunge;
iVz Nebenzungen; Kf Mentum; Sm Submentum. (NachZander.)
22
Kapitel II. Die äußere Erscheinung der Insekten (Morphologie)
arbeitet werden, zu verhindern" (Hesse). In manchen Fällen ist die Unterlippe
besonderen Funktionen angepaßt und dementsprechend umgebildet. So ist bei den
Libellenlarven Mentum und Submentum stark verlängert und gelenkig miteinander
verbunden, so daß die Unterlippe wie ein Arm weit ausgestreckt werden kann, um
Beute zu ergreifen (Fig, 21).
Bei den Raupen (und wohl noch bei vielen anderen kauenden Insekten,
welche Stücke aus IJlättern usw. herausreißen) dient die Unterlippe (im \'erein mit
der Oberlippe) zum Halten und Führen des Blattes während des Reißaktes.
Hierüber gibt Jordan gelegentlich der Beschreibung des Freßaktes von Bombyx
mori folgende treffende Schilderung: „Unsere Raupen fressen stets am Rande des
Blattes, das sie mit den vorderen Beinen festzuhalten pflegen. Der Kopf mit einem
Teil des Vorderkörpers beschreibt halbkreisförmige Bewegungen, je einen regel-
mäßigen Halbkreis in den Blattrand fressend. Schicht um Schicht konzentrisch ab-
weidend, dringt der Kopf — von oben nach unten fressend, von unten nach oben
„leerlaufend" und den Aus-
gangspunkt wieder gewin-
nend — weiter und weiter
in das Blatt vor. Die Man-
dibeln schneiden auch bei
diesen Raupen nicht eigent-
lich; sie packen ein Stück
Blattrand, dann wird der
ganze Kopf ein Stückchen
zurückgezogen und dadurch
das zwischen den Kiefern
eingeklemmte Stück ab-
gerissen, wie von einer
weidenden Kuh das Gras ab-
gerissen wird. Das Zurück-
ziehen des Kopfes führte an
sich nicht zum Ziele, der
Blattrand würde jeweils mit-
gezogen werden und das ge-
klemmte Stück sich nicht
ablösen. Hier treten nun
Oberlippe und Unterlippe in
Tätigkeit. Ihre Bewegungs-
richtung ist etwa senkrecht
zur Längsachse der Raupe,
d. h. vom Munde aus senk-
recht nach unten (ventral,
wie wenn wir die Zunge
gerade herausstrecken). Dabei erfolgt jeweilig solch ein Vorstoß genau dann,
wenn der Kopf nach Mandibelschluß sich zurückzieht. Da nun beide Lippen
auf den Blattrand sich aufstützen, so drücken sie ihn von dem zwischen den
Mandibeln eingeklemmten Stücke ab, es muß losgerissen werden. Es ist schön
zu sehen, mit welcher Präzision dieser Apparat arbeitet, gleich der Kolbenstange
einer Dampfmaschine zwischen zwei Steuerungsstangen. LTnd obwohl der Kopf
mit den Mandibeln Stück für Stück in Windeseile aus dem Blattrand zupft, so rührt
sich das z. B. lose auf dem Tisch liegende Blatt nicht vom Flecke Die Oberlippe
ist mit einem Einschnitt in der Mitte versehen; in diesen Einschnitt paßt der Blatt-
rand. Ähnliches finden wir bei der Unterlippe. Der Blattrand stützt sich auf die
Zunge, während die beiden Maxillen ein Abrutschen verhindern. So ward einmal
vermieden, daß das Blatt bei der geschilderten Funktion der beiden Lippen von
diesen abrutscht, zugleich aber leisten die beiden Organe hierdurch der Nahrungs-
aufnahme einen neuen Dienst. In den beiden Einschnitten läuft das Blatt — bei
Fig. 23. A Kopf einer weiblichen Stechmücke mit auseinander
gelegten Mundteilen. B vergrößerter Querschnitt durch die
Mundteile. — Ant Fühler; Mx Maxille; Mxt Maxillartaster; Md
Mandibel; Hyp Hypopharynx; Oi Oberlippe; Z7i Unterlippe. — (N.)
Der Kopf.
23
Änt.
Jfd,. *Mx.
den schnellen Halbkreisen, die der Raupenkopf beim Fressen ausführt — in sicherer
Führung, wie in einer Nute. Trotz aller Eile treffen daher die Mandibeln stets den
erwünschten Rand. So wird es auch verständlich, daß die Raupen so große
Schwierigkeiten haben, ein Blatt in der Mitte anzufressen. Ist dies aber einmal ge-
lungen, haben sie in die Mitte der Blattspreite ein Loch gefressen, so wird von da
an der Rand des Loches gleich dem Blattrande behandelt."
Im Anschluß an die Unterlippe ist noch ein Organ zu erwähnen, welches
der Innenseite der Unterlippe anliegt und häufig auch mit dieser verwachsen
ist und welches als „Innenlippe" oder Hypopharynx bezeichnet wird.
Dieses Organ stellt gewissermaßen das Gegenstück zur Oberlippe resp. dem
Epipharynx dar, insofern, als es die Unter- oder Hinterseite des Schlund-
einganges einnimmt, wie die Oberlippe j^
(resp, der Epipharynx) den Schlund-
eingang oben resp. vorne begrenzt.
Die Ausbildung des Hypopharynx
der kauenden hisekten ist eine sehr ver-
schiedene: bei manchen (besonders
niederen) Formen ist er groß und in
mehrere Teile (Mittelstück und 2 seit-
liche Stücke) gegliedert, bei anderen
relativ klein, einfach, zapfenförmig; bei
wieder anderen mehr oder weniger voll-
kommen rückgebildet. Früher erblickte
man in dem Hypopharynx ein weiteres
Paar echter Mundgliedmaßen (Extremi-
täten); neuere embryologische Studien
(Heymons) haben jedoch dargetan, daß
der Hypopharynx mit Extremitäten nichts
zu tun hat, sondern vielmehr als Reste
der Bauchplatten (Sternite) der 3 (oder
wenigstens 2) letzten Kopfsegmente
(Mandibel- und Maxillensegment) auf-
zufassen ist.
Die Mundöffnung der kauenden
Insekten wird also von folgenden
Skelettstücken umgeben: zu oberst
(resp. vorn) von der Oberlippe und
dem Epipharynx, zu beiden Seiten
von den Mandibeln und Maxillen, zu
Unterst (resp. hinten) von dem H3'popharynx und der Unterlippe.
Alle diese Teile liegen (in der Anlage) auch den leckenden, stechenden
und saugenden Mundgliedmaßen zugrunde; nur haben hier teilweise der-
artige Umbildungen, Reduktionen, Verwachsungen usw. stattgefunden, daß es
mitunter schwierig ist, die einzelnen Stücke wiederzuerkennen, und daß oft
nur die Embryologie die richtige Deutung zu geben vermochte.
Den kauenden Mund Werkzeugen am nächsten stehen die leckenden
der Hymenopteren (Bienen, Hummeln usw.). Hier gelingt die morpho-
logische Analyse ohne Schwierigkeit (Fig. 22). Das Labrum und die
Mandibeln sind überhaupt nicht verändert; dagegen haben Maxillen und
Flg. 24. A Kopf einer Feldwanze (Pentatoma).
B Vergrößerter Durchschnitt in der Höhe der
Oberlippe. Bezeichnungen wie auf den vorigen
Figuren. — (N.)
24
Kapitel II. Die äußere Ersciieinung der Insekten (Morphologie).
Unterlippe wesentliche Umbildungen erfahren, besonders die Unterlippe,
die hier (im Gegensatz zu den kauenden Mundwerkzeugen) die Hauptrolle
bei der Nahrungsaufnahme spielt. Das hervorstechendste Merkmal ist die
mächtig verlängerte Zunge (herv^orgegangen aus den beiden inneren
Laden), die durch Einrollung der Ränder eine Rinne oder ein Rohr bildet
(Fig. 22, C). Die Nebenzungen sind wesentlich kürzer geblieben, dennoch deut-
lich ausgebildet; sehr lang dagegen sind die Labialtaster, deren ersten beiden
Glieder beinahe die Länge der Zunge erreichen. Bei den Maxillen fällt vor
allem die ansehnliche Ausbildung der beiden Laden auf, die zu einem lanzett-
förmigen Gebilde verwachsen, während die Taster stark rückgebildet sind.
Von den Stammstücken sind die Stipites und das Mentum verlängert, während
die Cardines und das Submentum nur ganz kleine Skelettstücke darstellen.
^it Weit mehr weichen die stechenden und
saugenden Mund Werkzeuge der Dipteren (wie
z. B. der Stechmücken) von dem ursprünglichen
Typus ab, Sie setzen sich in der Hauptsache
aus vier Bestandteilen zusammen (Fig. 23):
Flg. 25. A Kopf eines Schmetterlings von vorn gesehen; B derselbe von der Seite gesehen mit ein-
gerolltem Rüssel; C vergrößerter Querschnitt durch den Rüssel. MxIA Innere Lade der Maxille; Sgr
Saugrohr. Die übrigen Bezeichnungen wie auf den vorigen Figuren. — (N.)
\. den Stechborsten zum Verwunden, 2. dem Gleitrohr zur Führung der
dünnen Stechborsten, 3. dem Saugrohr zur Hebung der aus der Wunde
fließenden Flüssigkeit, und 4. dem Speichel röhr zur Zuführung entzündungs-
erregender Speichelsekrete zur Wunde. — Die Stechborsten, 5 an der Zahl,
entsprechen den Mandibeln, Maxillen und dem Hypopharynx, welch
letzterer zugleich das Speichelrohr enthält; das Gleitrohr wird gebildet von
der Unterlippe und Überlippe, und das Saugrohr größtenteils von der
Oberlippe (in Verbindung mit dem Hypopharynx). Von den Tastern sind
nur die der Maxillen gut ausgebildet.
Einigermaßen ähnlich liegen die Verhältnisse bei den Schnabelkerfen
(Wanzen usw.), indem auch hier der (meist gegliederte) Rüssel (das Gleitrohr)
von der Ober- und Unterlippe gebildet wird (Fig. 24). Dagegen sind nur
4 Stechborsten vorhanden, zwei mittlere und zwei äußere, von denen die letzteren
den Mandibeln entsprechen, und die ersteren den Maxillen, resp. nur den
Die Brust.
25
inneren Laden derselben (der Stamm wird zur Bildung der Kopfkapsel mit
verwandt). Die beiden mittleren Borsten besitzen an ihrer Innenseite 2 Rinnen
und legen sich damit so aneinander, daß 2 getrennte Röhren entstehen
(Fig. 24, B), von denen die eine als Saugrohr, die andere als Speichel röhr
dient. Maxillartaster sind höchstens noch rudimentär vorhanden.
Gänzlich verschieden von diesen beiden Typen saugender Mundglied-
maßen ist der Saugrüssel der Schmetterlinge aufgebaut. Da die
Schmetterlinge nur freiliegende Säfte (Nektar) aufsaugen, sind bei ihnen Stech-
organe unnötig und stellt der Rüssel nur ein einfaches Rohr dar (Fig. 25).
Dasselbe wird gebildet von den beiderseitigen, mächtig in die Länge ge-
zogenen Innenladen der Maxillen, die, auf der Innenseite rinnen-
förmig ausgehöhlt, sich der ganzen Länge nach aneinanderlegen und mit-
einander verbinden (Fig. 25, C). Alle übrigen obengenannten Komponenten
der ursprünglichen kauenden Mundwerkzeuge treten dagegen mehr oder
weniger zurück. Die Mandibeln sind zu unscheinbaren Höckern reduziert;
Flg. 26. Eine Feldheuschi'ecke, in die verschiedenen Körperregionen zerlegt: Kopf, Brust (Vorder-
Mittel-, Hinterbrust) und Abdomen. £pm Eplmerum ; Spsi Episternum ; Tj/ Tympanalorgan ; -S% Stigma;
Hf Hinterflügel; yf Vorderflügel. Nach Pack ard.
die Oberlippe und Unterlippe stellen nur noch kleine, dreieckige Stücke dar,
welche kleine Lücken an der Rüsselbasis ausfüllen, und von den Tastern ist
meist nur ein Paar gut entwickelt, und zwar entweder die Maxillar- oder
aber die Labialtaster, während das entsprechende andere Paar stark rück-
gebildet oder auch gänzlich geschwunden ist.
Die Mundgliedmaßen der saugenden Insekten sind also auf recht verschiedene
Weise zustande gekommen; so wird das Saugrohr bei den Fliegen zum größten
Teil von der Oberlippe, bei den Bienen von der Unterlippe und bei den Wanzen
und Schmetterlingen von den inneren Laden der Maxillen gebildet. Das
deutet darauf hin, daß die verschiedenen Saugapparate nicht direkt voneinander ab-
zuleiten sind, sondern unabhängig, nebeneinander aus der Urform der kauenden
Mundgliedmaßen hervorgegangen sind.
2. Die Brust (Thorax).
A. Die Segmente.
Wie wir den Kopf als den Träger der Mundwei-kzeuge und hauptsäch-
lichen Sinnesorgane gekennzeichnet haben, so können wir den Thorax als
26 Kapitel II. Die äußere Erscheinung der Insekten (Morphologie).
den Träger der hauptsächlichsten lokomotorischen (zur Fortbewegung
dienenden) Organe (Beine und Flügel) auffassen. Im Gegensatz zum Kopf
sind hier die Segmente mehr oder weniger deutlich (wenigstens teilweise) in
ihrem ursprünglichen Aufbau erhalten, wenn auch durch mannigfaltige Ver-
wachsungen usw. (infolge der verschiedenen Ausbildung und Gruppierung
der Bewegungsmuskeln) manchmal die richtige Deutung der Segmentgrenzen
mit Schwierigkeiten verbunden ist.
Bei den meisten Insekten setzt sich die Brust aus 3 Segmenten zu-
sammen, die wir als Vorderbrust (Prothqrax), Mittelbrust (Meso-
thorax) und Hinterbrust (Metathorax) bezeichnen. Jedes der 3 Segmente
trägt ventral ein Paar gegliederte Extremitäten, außerdem kann der Meso-
und Metathorax auch noch dorsal je ein Paar beweglicher Anhänge zum
Fliegen (Flügel) besitzen (Fig. 26). — Jedes Segment stellt einen geschlossenen
Ring dar, der aus einer dorsalen und ventralen Platte (Terguni und
Stern um) und den diese verbindenden beiderseitigen Weichen (Pleuren)
gebildet wird. Zwischen den letzteren
und dem Sternum befindet sich die
Einlenkungsstelle für die Beine, wie
zwischen den Pleuren und demTergum
die Einlenkungsstelle für die Flügel
gelegen ist (Fig. 27).
Meist bleibt es nicht bei diesen
einfachen Gliederungen , sondern
kommt es durch sekundäre Teilungen
resp. Neubildungen zu weiterer Re-
.,. „, c ,, .. i, T^ V, 1, -^4. j i, A gionenbildung. Vor allen stellen sich
tilg. 27. Schematischer Durchschnitt durch den * °
mittleren Brustring eines Insekts. Terg Tergum Solche an den Terga des Meso- und
(Notum); Stern Sternum; PI Pleura. Nach Koibe. Metathorax ein in Verbindung mit dem
Auftreten von Flügeln resp. der kräf-
tigen Flügelmuskulatur, welche natürlich (durch ihre Anheftung) nicht ohne Ein-
fluß auf die Gestaltung des Chitinskelettes bleiben konnte. Wir können an jedem
der genannten Terga nicht selten 4 durch Nähte getrennte Regionen unter-
scheiden, die (in der Reihenfolge von vorne nach hinten) als Praescutum,
Scutum, Scutellum und Postscutellum bezeichnet werden. Der größte Anteil
fällt dem Scutum und Scutellum zu, während die beiden anderen meist nur
unansehnliche Stücke am Vorder- und Hinterrand des Tergums darstellen
(Fig. 28 B). Besondere Beachtung verdient das Scutellum des Mesothorax
(auch Schildchen genannt), weil es bei den Flügeldecken tragenden Insekten
(bei geschlossenen Flügeldecken) der einzige von oben sichtbare Teil der
beiden letzten Brustabschnitte ist und weil es mitunter durch seine enorme
Ausdehnung auch einen wesentlichen Einfluß auf den Habitus erlangen kann
(siehe Fig. 35, S. 33). — Weit weniger ward das Tergum des Prothorax von
sekundären Teilungen betroffen (Mangel der Flügelmuskulatur!); dasselbe stellt
meist eine einheitHche Platte dar, welche bei den mit Flügeldecken versehenen
Insekten als Halsschild bezeichnet wird (Fig. 28 B).
Die Brust.
27
Auch die Pleuren
zerfallen gewöhnlich in
2 durch eine deutliche
Naht getrennte, hinter-
einander gelegene
Stücke, deren vorderes
das Episternum und
deren hinteres das Epi-
merum darstellt (Fig.
26, 28 u. 30). Die Bauch-
platten (Sterna) dagegen
bleiben meist einheitlich,
wiewohl sie embryonal
aus je drei Stücken
(einem mittleren und
2 lateralen) sich zu-
sammensetzen.
Die sekundäre Tei-
lung der Segmentele-
mente geht vielfach Hand
in Hand mit der Aus-
bildung eines Ento-
skelettes, d. s. Fortsätze
und Leisten, die an der
Innenseite des Skelettes
entstehen und als Ansatz-
punkt für die Muskulatur
dienen. Gewöhnlich
lassen sich 3 Gruppen von
Entoskeletteilen unter-
scheiden: dorsale von den
Terga entspringende
plattenförmige Fortsätze
(Entoterga oder Phrag-
men), seitliche, von den
Pleuren entspringende
zapfenförmige Fortsätze
(Entopleura oder Apo-
demen) und ventrale von
der Sterna entspringende
Fortsätze (Entosterna oder
Apophysen) ; die letzteren
sind gewöhnlich gabel-
förmig und dienen außer
als Ansatzstellen für die
Muskulatur , vor allem
auch dem Schutze der
Ganglien, die zwischen
den Zinken gelegen sind
(vgl. S. 6, Fig. 7, Ensc).
Bei manchen Insek-
ten (Hymenopteren) tritt
Jfd.
Flg. 28 A. Unterseite eines Sandläufers (dcindelä). sf^, st^ und st^
Sternumdes l., 2. und 3. Brnstrinses; epst Episternum; epm Epimerum;
i'i_, Ventralplatten des l.— 7. Abdominalsegmentes; Pe Penis; «r,
Trochanter des 3. Beinpaares; Md Mandibeln.
Fig. 28 B. Oberseite eines Saudläufers (Cicindela). epst Episternum
epm Epimerum; H Halsschild; seidig Scutellum (Sehildchen); scut^
Scutum des Metathorax; pscutl^ PoHtscutellum des Metathorax;
Vfl Vorderflügel (Flügeldecke); Hfl Hinterflügel; t^—tg Tergum des
1.— 8. Abdominalsegmentes. Nach G an gib au er.
28 Kapitel II. Die äußere Erscheinung der Insekten (Morphologie).
zu den drei typischen Thoraxsegmenten noch ein viertes, das sog. Mediansegment
(„Segment mediaire"), welches dem 1. Abdominalsegment der anderen Insekten ent-
spricht. Dasselbe tritt während der postembryonalen Entwicklung (Metamorphose)
in innige Verbindung mit dem Metathorax und bildet so den hinteren Abschluß des
Brustabschnittes (Fig. 30 epn).
Die Form und Größe der einzelnen Segmente ist ungeheueren Schwan-
kungen unterworfen, und zwar in unverkennbarer Abhängigkeit von der
Ausbildung der lokomotorischen Anhänge resp. der diese bedienenden
Muskulatur. Wo an die Extremitäten der drei Segmente annähernd gleiche
Anforderungen gestellt werden (wie z. B. bei den Larven oder den flügel-
losen „Silberfischchen"), da sind auch die Segmente von annähernd gleicher
Gestaltung. Wo jedoch einzelnen Paaren besondere Leistungen zufallen, da
finden wir die dazu gehörigen Segmente auch besonders umfangreich aus-
gebildet. So ist z. B. bei der Maulwurfsgrille, die die Vorderbeine zum
Graben gebraucht, die Vorderbrust am größten, während sie bei Fliegen oder
Bienen sehr klein ist; so übertrifft ferner bei den Fliegen, Schmetterlingen,
Bienen, Wespen usw., wo die Fortbewegung hauptsächlich durch die Vorder-
flügel bewirkt wird, der Mesothorax (der diese Flügel trägt) den Metathorax
Fig. 29. Seitenansicht einer Holzwespe (Sirea:). J, JJ, Ji7 erster, zweiter, dritter Brustring; i—io erstes
bis zehntes Abdominalsegment; St Legestachel; F/f, Hfl Vorder- und Hinterflügel: Sctl Scutellum;
K Kopf. Mit Benutzung einer Figur von Zander.
sehr beträchtlich an Ausdehnung, während bei den Käfern, bei denen die
Hinterflügel allein dem Flug dienen, der Metathorax die größere Aus-
dehnung besitzt.
Wie sehr die Konfiguration des Thorax von den Flügeln abhängig ist, läßt
sich am auffallendsten bei solchen dimorphen oder polymorphen Insekten erkennen,
die in einer ungeflügelten und geflügelten Form auftreten. Man vergleiche nur
den mächtigen gewölbten Thorax des geflügelten Ameisenweibchens mit der flachen
Brustform der ungeflügelten Arbeiter; oder den großen Unterschied, der zwischen
dem Thorax einer geflügelten und ungeflügelten Form einer Blattlausart besteht.
Aber nicht nur auf die Größe, sondern auch auf die Art der Verbindung
der 3 Segmente hat die Bewegungsmuskulatur den größten Einfluß. Im all-
gemeinen gilt der Satz, daß die ursprüngliche Selbständigkeit (gelenkige Ver-
bindung) der Segmente um so mehr verschwindet, je mehr die Insekten von
der Laufbewegung zur Flugbewegung übergehen. Sind doch bei aus-
gesprochenen Fluginsekten, wie den Fliegen oder Schmetterlingen, alle drei
Segmente fest miteinander verbunden, so daß die ganze Brust eine ein-
heitliche Chitinkapsel bildet, die nur an den Nähten ihre Zusammensetzung
erkennen läßt. Bei anderen, mehr auf Gehbewegungen und den selbständigen
Gebrauch der Vorderbeine angewiesenen Insekten (Käfer, Wanzen, Heu-
schrecken) bleibt dagegen die Vorderbrust völlig selbständig und gegen den
st
Die Brust. 29
aus Meso- und Metathorax bestehenden hinteren Brustabschnitt beweglich
verbunden.
B. Die thorakalen Anhänge.
An der Brust können wir ventrale und dorsale Anhänge unter-
scheiden. Erstere, die Beine, sind in ihrem Vorkommen überaus konstant,
indem (wenigstens bei den Imagines) fast stets 3 Paare vorhanden sind;
letztere dagegen, die Flügel, sind in recht verschiedener Weise ausgebildet,
entweder in 2 Paaren oder nur in einem Paare oder können aber auch
ganz fehlen.
Die Beine.
Die drei Beinpaare stellen die Extremitäten der drei Brustsegmente dar.
Sie sind auf der ventralen Seite eingelenkt, und zwar zwischen den Pleuren
und den betreffenden Sterna. Jedes Bein besteht aus folgenden Abschnitten:
l.derHüfte(Coxa), 2.demSchenkel- Pp
ring (Trochanter), 3. dem Schenkel
(Femur), 4. der Schiene (Tibia),
5. dem Fuß (Tarsus) und 6. dem
Klauenapparat (Prätarsus) (Fig. 31).
Die Hüfte, das Grundglied des
Beines, stellt die gelenkige Verbindung
mit dem Brustskelett her. In Größe ^^_ 3, ^^^^^ ^.^^^ ^^^.^^ ^,^ Pronotum
und Form sehr verschieden, ist sie (Tergum des Prothorax); msn Mesonotum; prs
oft nur ein kleines, größtenteils in der Proscuteiium ; sct Scuteiium; epn Epinotum (Me-
„. ,f , 0.11 diansegment);pe< Stiel; st, st^ u. st^ Sternum
Gelenkpfanne verborgenes Stuck, kann ^^^ Pro-, Meso- und Metathorax; em Epimemm;
jedoch auch einen ansehnlichen Um- es Episternum. (Aus Escherich, Die Ameise.)
fang annehmen und entweder platten-
förmig zwischen die ventralen Skelettelemente sich einfügen oder stielartig
vom Sternum abstehen.
Bei manchen Insekten läßt sich noch ein besonderes Verbindungsstück
zwischen Sternit und Coxa (sog. Subcoxa oder Trochantinus) feststellen. Bei
primitiven Insekten {Machtiis) tragen die Mittel- und Hinterhüften ziemlich große,
griffeiförmige Anhänge, die als Hüftgriffel oder Styli bezeichnet werden.
Das auf die Hüfte folgende Glied, der Schenkelring, ist meist relativ
klein und gewöhnlich einfach. Nur bei einigen Gruppen der Hymenopteren
ist er in zwei aufeinanderfolgende Teile gegliedert, so daß man hier von
einem „doppelten Schenkelring" spricht.
Die Doppelnatur ist nicht auf eine Zweiteilung des eigentlichen Trochanter
zurückzuführen, sondern auf Abgliederung des obersten Schenkelstückes.
Der Schenkel ist fast stets das größte und dickste Glied des Beines;
enthält er doch auch die hauptsächlichste Beinmuskulatur. — Die Schiene,
deren Gelenkverbindung mit dem Schenkel als „Knie" bezeichnet wird, ist
meist weit dünner, nimmt allerdings gegen das periphere Ende am Umfange
gewöhnlich wieder mehr oder weniger beträchdich zu. Hier finden sich
häufig auch 1 oder 2 (oder mehrere) „Sporen" (Calcaria); ferner mitunter
auch ein tiefer Einschnitt, der in Verbindung mit den Sporen als Putz-
apparat dient.
30
Kapitel II. Die äußere Erscheinung der Insekten (Morphologie).
Während Schenkel und Schiene aus einem Stück bestehen, ist der Fuß
in den meisten Fällen mehrfach gegliedert; nur selten begegnen wir ein-
gliedrigen Füßen (Pediculiden, Cocciden cT, Collembolen). Am häufigsten
finden wir den ögliedrigen Tarsus, weniger häufig den 4- und Sgliedrigen.
Auf den Tarsus folgt als letztes Beinglied derPrätarsus oder Klauen-
apparat, der 1 oder 2 (einfache oder gespaltene, gezähnte oder gekämmte)
Klauen trägt. Zwischen den Klauen befinden sich häufig noch unpaare oder
paarige oder dreiteilige lappenförmige Anhänge von der verschiedensten
Form und Ausbildung, die als Haftorgane (beim Laufen auf glatten Flächen
usw.) dienen und mit den verschiedensten Bezeichnungen, wie Afterklaue,
Empodium, Pulvillus, Onychium usw. belegt werden (Fig. 31).
Bei manchen Insekten {Ateuchus, Onitis usw.) sind die beiden letzten Bein-
abschnitte, Tarsus und Prätarsus, an den Vorderbeinen gänzlich rückgebildet, bei
anderen fehlt nur der Prätarsus, während der Tarsus mehr oder weniger erhalten
ist, und bei wieder anderen dagegen fehlt der
Tarsus (resp. bildet mit der Tibia einen ein-
heitlichen Tibiotarsus), während der Prätarsus
wohlausgebildet ist (bei manchen Collembolen,
Wasserwanzen). — Wahrscheinlich ist als der
ursprüngliche Typus des Insektenbeins der
4gliedrige auzusehen, bestehend aus: der Coxa,
einem einheitlichen „Trochanterfemur", einem
ebensolchen „Tibiotarsus" und dem Prätarsus.
Durch Trennung des 2. Gliedes in Trochanter
und Femur und des 3. in Tibia und Tarsus
entstand dann aus dem 4gliedrigen der ßgliedrige
Typus. Ist diese (von Born er herrührende)
Auffassung richtig, so wäre also der Prätarsus
phylogenetisch älter als der Tarsus.
Der großen Mannigfaltigkeit in der
Verwendung der Beine entspricht die
Mannigfaltigkeit der Form. Durch Ver-
längerung oder Verkürzung, Abflachung
oder Verdickung der ganzen Beine oder
einzelner Teile, durch Verkrümmungen,
Haken, Zähnen, durch dichten Haarbesatz
usw. werden die verschiedensten Formen erzielt und die verschiedensten
Funktionen ermöglicht. Die Umgestaltungen betreffen nicht immer alle
3 Beinpaare in gleicher Weise, sondern sehr oft nur ein Paar. So sind
in vielen Fällen nur die Vorderbeine verändert, die ja überhaupt (auch
in bezug auf die Stellung) in einem gewissen Gegensatz zu den beiden
übrigen Paaren stehen und auch weit mehr wie diese zu anderen (als loko-
motorischen) Leistungen herangezogen werden (zum Graben, Ergreifen von
Beute usw.).
Die meisten Insekten haben gewöhnliche Laufbeine, z. B. die Laufkäfer.
Tritt eine Sohlenbildung an dem Fuße auf, so spricht man von Gangbeinen, z. B.
bei den Bockkäfern. Werden die Beine lang und schlank, so nennt man sie
Schreitbeine, z. B. bei den Gespenstheuschrecken. Beine, welche infolge starker
Muskelausstattung des Schenkels das Insekt zum Springen befähigen, heißen Spring-
beine, so bei Heuschrecken und Erdflöhen. Kann die Schiene wie die Klinge
Fig. 31. Mittleres Bein einer Biene. Cr
Coxa (Hüfte); Tr Trochanter (Schenkei-
ring); Fe Femur (Schenkel); Th Tibia
(Schiene); Ts^—Ts^ Tarsenglied 1—5; Pts
Prätarsus; Pulv Pul vi Uns. Nach Zander.
durch Bewaffnung mit Dornen,
Die Brust.
31
eines Taschenmessers gegen das Heft, so gegen den Schenkel eingeschlagen werden,
daß hierdurch ein Ergreifen der Beute möglich wird, so heißen die Beine Raub-
beine, z. B. bei dem Wasserskorpion. Eine Verbreiterung der Schiene macht das
Bein zum Graben geschickt: Grabbeine, welche z. B. bei der Werre und den
Mistkäfern vorkommen. Bei manchen der letzteren, z. B. bei Ateuchus, kann, wie
schon gesagt, außerdem auch der Tarsus und Prätarsus verkümmern. Eine starke
Verkleinerung der Fußglieder kommt auch bei den zu Putzbeinen verkümmerten
Vorderbeinen der Schmetterlinge vor. Stärkere Ausstattung der Hinterbeine mit
Haaren, in welchen sich der abgestreifte Blütenstaub festsetzen kann, oder das Auf-
treten eines von Haaren umgebenen „Körbchens" an der Schiene der Hinterbeine
zum Transporte des Pollens, wie sie sich bei vielen Blumenbienen finden, lassen
diese als Sammelbeine erscheinen. Die im Wasser lebenden Insekten haben
vielfach breite, zusammengedrückte, an der Schneide mit Schwimmhaaren versehene
Hinterbeine, Schwimmbeine, z. B. die Schwimmkäfer und viele W^asserwanzen.
B
D
Fig. 32. Verschiedene Beinformen. A verkümmertes Putzbein und B gut entwickeltes Schreitbein
eines Talgschmetterlings, Vanessa polychloros; C [Bein mit doppeltem Schenkelring und langer Ferse
von einer Holzwespe, Sirex gigas; D Schwimmbein eines Wasserkäfers, Dytiscus; E behaartes Sammel-
bein der Bürstenbiene, Dasypoda; Ji' Sammelbein mit „Körbchen" an der Schiene und stark entwickelter
Ferse einer Arbeitsbiene von Apis mellifica; G Raubbein des Wasserskorpions, Nepa cinerea; H Grab-
bein der Werre, Gryllotalpa, I Springbein eines Erdflohkäfers, Haltica. — c Hüfte; tr Sohenkelring;
f Schenkel; fb Schiene: ts Fuß. — (N.)
Die Flügel.
Die Flügel stellen häutige, flächenhaft ausgebreitete Anhänge der
Mittel- und Hinterbrust dar, welche rückenständig, zwischen Pleura und
Tergum, beweglich eingelenkt sind. Meistens werden sie durch ein mehr
oder weniger kompliziertes System von stärker chitinisierten Adern und
Rippen gesteift. Ursprünglich sind 2 Paar Flügel vorhanden, welche als
Vorder- und Hinterflügel unterschieden werden. Mehr als 2 Paar kommen
niemals vor, dagegen tritt nicht selten eine Rückbildung des einen Paares
(meist der Hinterflügel) ein, so daß nur noch ein Paar funktionierender Flügel
übrig bleibt.
Die Flügel sind keine Extremitäten in morphologischem Sinne, sondern stellen
vielmehr einfache Hautausstülpungen dar, die sich sekundär abgegliedert haben
unter gleichzeitiger x\usbildung von Gelenken (d. s. eine Reihe dorsaler und
32
Kapitel
Die äußere Erscheinung der Insekten (Morphologie).
Fig. 33. Eine Libelle, deren
Vorder- und Hinterflügel
annähernd gleich sind.
ventraler Gelenkstücke, von denen die dorsalen jedenfalls nur Abgliederungen der
Hauptflügeladern darstellen). Dieser Entstehung nach setzen sie sich aus einer
oberen und unteren Chitinlamelle zusammen, die an den Flügelrändern ineinander
übergehen und zwischen denen während der Bildung der Flügel die zellige Matrix
liegt. Letztere schwindet bei den fertigen Flügeln wieder und die beiden Chitin-
lamellen legen sich enge aneinander, so daß der sie trennende,
anfänglich auch von der Blutflüssigkeit des Körpers durch-
strömte Hohlraum stark reduziert wird bis auf die in den
„Adern" zurückbleibenden Kanäle, die als Bahnen für
Tracheen und Nerven dienen. — Wie man sich die erste
Entstehung der Flügel vorzustellen hat, ist ein schwer zu
beantwortendes Problem, welches schon eine vielseitige Er-
örterung von Seiten der vergleichenden Anatomen erfahren
hat. Die bekannteste Hypothese ist die von Gegen baur
aufgestellte, wonach die Ausstülpungen ursprünglich zur
Atmung dienten und demnach also die Flügel aus Tracheen-
kiemen hervorgegangen wären; während Born er die
Tracheenkiemen auf echte ventrale Extremitäten zurück-
führen möchte. Eine weitere viel behandelte Frage ist die,
ob bei den Urinsekten auch der Prothorax Flügel getragen
hat. Nach den paläontologischen (Palaeodictyopteren) und
entwicklungsgeschichtlichen (manche Termitenlarven tragen
flügelähnliche Prothoracalanhänge) Befunden ist die Möglich-
keit, daß 3 Paar Flügel vorhanden waren, nicht ausgeschlossen.
Die Form der Flügel ist eine überaus mannigfaltige; es kann dieselbe
rechteckig, dreieckig, oval, gestreckt oder gedrungen usw. sein, ferner aus-
geschnitten, geschwänzt oder am Rande mit Fransen besetzt (gefranst), oder
gefiedert usw. — Auch bezüglich der Struktur und des Größenverhältnisses
zueinander herrschen beträchtliche Verschiedenheiten, die wir etwa folgender-
maßen gruppieren können:
I. Vorder- und Hinterflügel von gleicher
häutiger Struktur; Hinterflügel können auch fehlen.
a) Hinter- und Vorderflügel von annähernd gleicher
Größe und Form (Beispiele: Libellen), Fig. 33;
b) Hinterflügel kleiner als die Vorderflügel (Beispiele:
Schmetterlinge, Bienen, Wespen);
c) Hinterflügel zu einem winzigen Rudiment reduziert
oder ganz fehlend (Beispiele : manche Eintagsfliegen
[Baefts], Männchen der Schildläuse usw.);
d) Hinterflügel zu mehr oder weniger langgestielten
Schwingkölbchen (Halteren) umgewandelt (Bei-
spiele: Dipteren), Fig. 34.
IL Vorderflügel in ihrer ganzen Aus-
dehnung oder wenigstens in ihrer vorderen
Hälfte stärker chitinisiert und als Flügeldecken
(Elytra) oder Halbdecken (Hemielytra) ausgebildet, die entweder (meistens)
den Hinterleib mehr oder weniger vollkommen bedecken (Fig. 35, 36^) u. 38),
oder aber auch stark verkürzt sein können, nur über die ersten Hinterleibs-
segmente reichend (Fig. 37); Hinterflügel häutig, meist wesentlich größer als
die Flügeldecken, seltener reduziert oder fehlend.
^) Fig. 36 (untere Figur auf S. 33) ist fälschlich dort als Fig. 34 bezeichnet.
Fig. 34. Weibliche Gall-
mücke (Ceddomyia), stark
vergrößert. Fl^ Vorder-
flügel gut ausgebildet; J7"
Hinterflügel zu Schwing-
kölbchen umgebildet. — (N.)
Die Brust.
33
Fig;. 35. Eine Schildwanze, deren Vorderflügel
zu Semielytren umgebildet sind.
e) Hinterflügel in der Ruhelage weit über die Elytren hinausragend (Beispiel:
Grillen), Fig. 37.
f) Hinterflügel in der Ruhelage vollkommen unter den Elytren verborgen
(Fig. 38).
g) Hinterflügel reduziert oder ganz fehlend, dabei die beiderseitigen Elytren
oft miteinander zu einer einheit-
lichen Decke verwachsen (Beispiele:
manche Rüsselkäfer).
III. Vorderflügel stark redu-
ziert, Hinterflügel gut ausgebildet.
Kommt selten vor (Stylopiden).
IV. Vorder- und Hinterflügel
stark reduziert oder gänzlich rück-
gebildet.
Die Reduktion kann beide Ge-
schlechter betreffen (Bettwanze, Kleider-
laus), oder aber nur auf ein Geschlecht
beschränkt sein, und zwar dann meistens
auf das weibliche (Leuchtkäfer, Frost-
spanner). Nur in einem Fall ist das
Weibchen geflügelt und das Männchen
flügellos, bei der parasitischen Ameisen-
gattung Anergates. — Es können auch ein und dieselben Individuen zuerst
geflügelt sein und dann durch Abwerfen der Flügel flügellos werden,
wie die Weibchen der
Ameisen und die beiden
Geschlechter der Ter-
miten, die nach dem
Hochzeitsflugsich selbst
ihrer Flügel berauben,
indem sie sie an der
Wurzel abbrechen.
Endlich ist auch
noch darauf hinzu-
weisen, daß es auch eine
primäreFlügellosig-
keit gibt (z. B. Lepisina,
Machilis usw.), die sich
von sekundären da-
durch unterscheidet, daß
in keinem Entwicklung
Stadium irgendwelche,
wenn auch noch so rudimentäre. Flügelanlagen sich nachweisen lassen.
Wir sehen aus dieser Übersicht, daß schier alle Möglichkeiten bezüglich
des morphologischen Verhaltens der 2 Flügelpaare verwirklicht sind. Diesem
entspricht auch das funktionelle Verhalten insofern, als in der ersten Gruppe
Escherich, Forstinsekten. ;-}
—m.
IgS- Fig. 34. Ein Käfer (Cm»!de?a'); Vorderflügel (TT?) zu Elytren umgebildet.
34 Kapitel II. Die äußere Erscheinung der Insekten (Morphologie).
die Flugbewegung entweder von beiden Flügeln in gleicher Weise (I. a.),
oder aber hauptsächlich (I. b.), oder auch ausschließlich (I. c. und d.) von den
Vorderflügeln besorgt wird, während in der zweiten und dritten Gruppe aus-
schließlich die Hinterflügel am Flug beteiligt sind. Die Flügeldecken machen
keine Flugbewegungen mit, sondern werden beim Flug meistens ruhig seitlich
gespreizt gehalten und dienen als Balancierorgan. (Nur relativ selten [z. B.
bei den Rosenkäfern] bleiben die Flügeldecken nach Entfaltung der Flügel in
der normalen geschlossenen Stellung über dem Abdomen, wobei die Be-
wegung der Hinterflügel durch einen besonderen Ausschnitt an den Seiten-
rändern der Elytren ermöglicht wird.) — Wo die beiden Flügelpaare (I. Gruppe)
Fig. 37. Maulwui'fsgrille. Vorderflügel kurze Ely-
tren, unter denen die gefalteten Hinterflügel weit
hervorragen (siehe linker Flügel).
Fig. 38. Kletterlaufkäfer, Calosoma
sycophanta L. l Oberlippe; B Vor-
derbrust, Halsschild; h Schildchen;
Fll zu einer Flügeldecke umge-
wandelter Vorderflügel der rechten
Seite ; FlII der zusammengefaltete
Hinterflügel der linken Seite. - (N.)
den Flug ausführen, sind Vorder- und Hinterflügel vielfach durch feine
Häkchen (Hymenopteren) oder durch eine kräftige Borste, die vom Vorder-
rand der Hinterflügel ausgeht und in einen Haken des Vorderflügels eingreift
(Schmetterlinge), derartig miteinander verbunden, daß sie wie eine einheitliche
Fläche wirken.
Bei den mit Flügeldecken versehenen Formen sind die Hinterflügel in der
Ruhelage meistens gefaltet, um unter den kleineren Elytren Platz zu finden.
Die Faltung findet der Länge und Quere nach statt, und zwar in umso aus-
gedehnterem Maße, je größer das Mißverhältnis zwischen Flügeldecken und
Hinterflügel ist. Am meisten also in den Fällen, in denen die Flügeldecken
stark verkürzt sind, wie bei den kurzflügligen Käfern (Staphylinen) oder
den Ohrwürmern (Forficula). Das Einfalten und Entfalten geschieht nicht
etwa durch einen besonderen Muskelapparat (Muskeln sind niemals innerhalb
Die Brust.
35
der Flügelfläche), sondern automatisch, zugleich mit dem Zurücklegen und
Ausspannen der Flügel, wovon man sich bei jedem frisch getöteten Käfer über-
zeugen kann.
„Beim Zurücklegen wird die Vorderrandader der ihr folgenden parallel
laufenden genähert; der zwischen ihnen gelegene Teil der Flügelmembran faltet sich
nach unten und zugleich klappt die Flügelspitze nach unten um. Umgekehrt wird
beim Ausspannen die Flügelmembran zwischen den beiden Adern gespannt und
damit zugleich das Aufklappen der Flügelspitze bewirkt" (nach Hesse).
Das Flügelgeäder, das zur Festigung der häutigen Flügel dient,
kann je nach den Ordnungen, Familien, Gattungen und Arten recht ver-
schieden sein und findet deshalb auch in der Systematik reichliche Ver-
wendung. Es besteht in der Hauptsache aus einer Anzahl von der Flügel-
wurzel ausgehenden Längsadern, die sich mehrfach verzweigen können,
und mehr oder weniger zahlreichen Queradern, welche die Längsadern
und ihre Abkömmlinge miteinander in Verbindung bringen. Dadurch wird
der Flügel in verschiedene größere und kleinere häutige Felder zerlegt, die
als „Zellen" bezeichnet werden.
Scj__3c2ji
A B
Fig. B9. Flügelgeäder (nach Comstok und Needham). A H3^potheti sehe Grundform der Aderbildung.
B Flügelgeäder eines Schmetterlings. C Costa; Sc Subcosta; R Radius; ii/ Mediana; Cu Cubitus; An
Analader.
Die einzelnen Adern werden mit verschiedenen Namen bezeichnet (wie
Costal-, Subcostal-, Radial-, Median-, Cubital-, Analader usw.), ebenso die „Zellen", die als
Costal-, Cubital-, Analzellen usw. unterschieden werden. Jedoch werden diese Be-
zeichnungen keineswegs von allen Autoren in gleichem Sinne gebraucht, so daß
man in den verschiedenen Ordnungen von Fall zu Fall sich erst in die gebräuch-
liche Nomenklatur einarbeiten muß. Wir werden im speziellen Teil uns noch öfter
damit zu beschäftigen haben. — Es hat nicht an Versuchen gefehlt, die mannig-
faltigen Bilder, die das Flügelgeäder in den verschiedenen Gruppen zeigt, in
genetische Verbindung miteinander zu bringen, d. h. die eine Form aus der anderen
abzuleiten (Adolph, Redtenbacher, Comstok und Needham); doch keiner
dieser Versuche führte zu einem befriedigenden Resultat. Es ist dies auch nicht
zu verwundein, wenn man bedenkt, daß doch die meisten der heutigen Insekten-
ordnungen sich unabhängig voneinander aus der Insektenurform entwickelt haben. —
Der neueste Bearbeiter des Flügelgeäders, Woodworth, hat denn auch jene Idee
aufgegeben und sucht die verschiedene Ausbildung des Geäders in der Hauptsache
auf mechanische Prinzipien zurückzuführen. — Aus praktischen Gründen dürfte es
3*
36 Kapitel II. Die äußere Erscheinung der Insekten (Morphologie).
sich empfehlen, überall, wo irgend angängig, die Nomenklatur von Comstok und
Needham anzuwenden (Fig. 39).
Was nun endlich die Ruhestellung der Flügel betrifft, so ist auch
diese eine recht wechselnde, je nach den verschiedenen Ordnungen oder
Familien. So werden z. B. bei den Libellen die 4 Flügel horizontal und quer
abstehend getragen, oder es werden die Vorderflügel bei noch wesentlich
horizontaler Stellung etwas über die Hinterflügel nach hinten und innen
übergeschoben (bei vielen Schmetterlingen), oder es werden die Vorderflügel so
vollständig über die Hinterflügel hinübergeschoben, daß sie die letzteren
gänzlich verbergen, und dabei entweder dachförmig den Hinterleib decken,
indem sich eine mehr weniger steile Firste über dessen Medianebene bilden
(viele Nachtfalter und Zikaden), oder aber dem Hinterleibe horizontal auf-
liegen, z. B. bei den Blattwespen. Die Mehrzahl der Tagfalter und einige
Spanner tragen die Flügel vertikal in der Medianebene aufgerichtet, so daß
die oberen Flächen beider Flügelpaare sich berühren.
Außer den Flügeln kommen bei einigen Insektenordnungen noch ein oder
zwei Paar kleiner dorsaler Anhänge vor, die als Patagia und Tegulae (Schulter-
decken, Squamuli usw.) bezeichnet werden. Die Patagia, die hauptsächlich bei
Schmetterlingen vorkommen, sind am Prothorax zwischen Rückenschild und Seiten-
teil beweglich eingelenkt und stellen ein Paar kleiner flügelähnlicher Anhänge dar,
die kräftig chitinisiert und meist dicht mit Haaren und Schuppen bekleidet sind. —
Die Tegulae sind kleine, muschelförmig gewölbte, häutige Anhänge, welche am
Mesothorax vor den Vorderflügeln eingelenkt sind, deren Wurzel bedeckend. Sie
finden sich ebenfalls bei Schmetterlingen, dann aber auch noch bei vielen anderen
Insekten, wie Trichopteren, Hymenopt eren, Fulgoriden usw. — Manche
Autoren haben die Patagia als Flügel des Prothorax aufgefaßt, doch zeigten ver-
gleichend anatomische Studien, daß sie morphologisch eher mit den Tegulae zu
vergleichen sind.
3. Der Hinterleib (Abdomen).
A. Zusammensetzung und Form des Hinterleibes.
Der Hinterleib oder das Abdomen beherbergt den größten Teil der
Verdauungsorgane und die Geschlechtsorgane. Da diese, speziell die letzteren,
von wechselnder Ausdehnung sind, so müssen auch die Wände des Abdomens
entsprechend ausdehnungsfähig sein. So finden wir denn auch — im
Gegensatz zu Kopf und Brust — nur relativ wenig ausgedehnte V^er-
wachsungen zwischen den das Abdomen zusammensetzenden Segmenten.
Diese sind vielmehr meist durch mehr oder weniger umfangreiche Inter-
segmentalhäute voneinander getrennt, von deren Länge natürlich der Grad
der Ausdehnungsfähigkeit abhängt. Wie weit letztere gehen kann, zeigen
am drastischsten die Termitenweibchen, deren Abdomen durch völlige Ent-
faltung der Intersegmentalhäute das Zehnfache der ursprünglichen Länge er-
reichen kann, wobei dann die eigentlichen Segmentplatten nur noch als
schmale Striche auf dem mächtigen weißen Hinterleib erscheinen.
Wie der Kopf und Thorax, setzt sich auch das Abdomen aus einer
konstanten Zahl von Segmenten zusammen, die, in der Embryonalanlage
stets nachweisbar, sekundär durch Verwachsungen, Reduktionen usw. während
Der Hinterleib.
37
der postembryonalen Entwicklung eine wesentliche Verringerung erfahren
kann. Es steht heute fest, daß das Abdomen der Anlage nach aus 12 Ringen
besteht (11 echten Segmenten und einem Schwanzstück oder Telson), deren
Bestandteile bei manchen niederen Insekten (z. B. Libellen) dauernd er-
kennbar sind.
Die einzelnen Segmente stimmen in ihrem Aufbau mehr oder w^eniger
miteinander überein und bestehen typischerweise aus folgenden Teilen:
1. einer Rückenplatte (Tergum), 2. einer Bauchplatte (Sternum) und 3. den sie
verbindenden Pleuralhäuten, in denen sich meist das Stigmenpaar vorfindet.
Nicht selten gelangen in der Umgebung der Stigmen noch selbständige Chitin-
plättchen zur Ausbildung, die dann als „Pleurite" zu betrachten sind. — Die
Segmentplatten können sehr stark chitinisiert und infolgedessen hart und
A B
Fig. 40. Verschiedene Abdomina. A von einem weiblichen Bockkäfer {Cermnhyx). B von einer weib-
lichen Fliege (CaUiphora). Die letzten 3 oder 4 Segmente sind fernrohrartig ausgestülpt; und dienen
als Legeröhren: in der Ruhelage sind dieselben in den Hinterleib eingezogen. Sti Stigmen; # Tergum;
s Sternum. A nach Kolbe, B nach Berlese.
Starr sein, andererseits aber auch weich, biegsam und faltbar. Bei den
Flügeldecken tragenden Insekten sind die von den Flügeldecken bedeckten
Terga meist weichhäutig oder jedenfalls stets viel dünner als die unbedeckten
Terga und die Sterna. Sehr schön kann man dies z. B. beim Maikäfer
sehen, dessen von den Flügeldecken freigelassenes letztes Tergum (sog.
Pygidium) stark chitinisiert ist — im Gegensatz zu den vorhergehenden,
im Bereich der Flügeldecken liegenden Rückenplatten.
Embryonal entstehen die Rückenplatten aus zwei lateralen Hälften, die sich
in der dorsalen Medianlinie aneinanderfügen und dort miteinander verschmelzen.
Die Sterna dagegen sind ursprünglich dreiteilig, indem mit einem medianen Ab-
schnitt sich zwei laterale verbunden haben, welch letztere zum Teil auf die ab-
geplatteten Extremitätenanlagen zu beziehen sind (vgl. Fig. 41).
Das Schwanzstück oder Telson, das in morphologischem Sinne
kein eigentliches Segment darstellt, tritt gewöhnlich in Form von drei Platten
auf, die als Afterklappen oder Lamina anales bezeichnet werden und
von denen die eine unpaare (Laminae supraanalis) dorsal, und die beiden
paarigen (Laminae subanales) lateroventral der Afteröffnung angelagert sind.
38 Kapitel II. Die äußere Erscheinung der Insekten (Morphologie).
Nur bei relativ wenigen Insekten ist die ursprüngliche Zusammensetzung
des Abdomens (11 Terga, 11 Sterna und 3 Laminae anales) im Imago-
zustand noch zu erkennen. Gewöhnlich finden wir eine geringere Zahl, ja
bei manchen Insekten sind äußerlich nur 3 — 4 Abdominalsegmente sichtbar.
Dies beruht entweder darauf, daß die hinteren Segmente von den vorderen
überwachsen resp. in die vorderen fernrohrartig eingezogen sind, oder aber
auf wirklichen Rückbildungen. — Im ersten Fall können die eingezogenen
Segmente meist auch wieder ausgestülpt werden und dienen so als „Lege-
röhre" zum Unterbringen der Eier in schmale Spalten, unter Rindenschuppen
usw. (z. B. bei vielen Fliegen, Schmetterlingen, Käfern usw.). — Was die
Reduktion anbetrifft, so spielen sie sich zunächst ebenfalls am Hinterende
ab, indem zuerst das 11. Segment, dann die 3 Analplatten, dann das Sternum
des 10., dann event. auch das Tergum desselben rudimentär wird. Auch das
9. Segment kann noch starke Veränderungen zeigen, und zwar ebenfalls (wie
beim 10.) zuerst an der Ventralplatte, was durch das Auftreten von Genital-
anhängen bedingt wird. Als eine Verkümmerungserscheinung muß ferner das
ständige Fehlen der Stigmen in den letzten 3 Segmenten gelten (das hinterste
Stigmenpaar pflegt schon am 8. Segment [Ausnahme: Lepisina am 9.] sich zu
befinden). — Aber auch am Vorderrande des Abdomens können Reduktionen
erfolgen, die sich ebenfalls meist zuerst auf die Sterna beziehen, während
die zugehörigen Terga noch länger sich erhalten können; so fehlen z. B.
bei den meisten Käfern die beiden ersten Sterna. — Um die Verhältnisse
der Glieder des Abdomens kurz und übersichtlich auszudrücken, bedient man
• u u j TT , ^ D 1, 2, 3, 4, 5, 6, 7, 8, 9, (10) ^ ^ , ,
sich besonderer 1* ormeln, z. ß.: -xt ^ — • — ^ 7^ — ^ — ^cTtt^ > d. h., dorsal
' V 3, 4, 5, 6, /, 8, (9)
sind die Segmentplatten 1 — 9 gut ausgebildet, 10 dagegen mehr oder weniger
reduziert; ventral fehlen die Platten 1, 2 und 10 ganz, 9 ist rudimentär, nur
3 — 8 sind vollkommen vorhanden.
Die Form des Abdomens kann recht verschieden sein: parallelseitig,
stabförmig, oval, rund, nach hinten verbreitert usw. Ferner kann der Hinter-
leib von rechts nach links zusamm.engedrückt sein (komprimiert), oder aber
von oben nach unten (deprimiert). Endlich kommt es noch auf die Art der
Verbindung des Hinterleibes mit der Brust an: Ist das 1. Hinterleibssegment
so breit wie der Metathorax und sitzt es diesem auch mit seiner ganzen
Breite an, so spricht man von einem festsitzenden Hinterleib (Käfer,
Blattwespen, Fliegen); sitzt es nur mit einem kleinen Teil seiner Vorderfläche
an, so spricht man von einem anhängenden Hinterleib (Wespen); sind
dagegen die ganzen ersten Segmente stielartig verdünnt, so haben wir einen
sog. gestielten Hinterleib vor uns (Ameisen, Schlupfwespen usw.).
B. Die Anhänge des Hinterleibes.
Wenn auch das Abdomen der erwachsenen Insekten im allgemeinen
(im Gegensatz zu Kopf und Brust) als der gliedmaßenlose Abschnitt be-
zeichnet wird, so kommen doch bei manchen niederen Insekten noch echte
abdominale Extremitäten als sog. Cerci (Raife) und Styli (Griffel) vor;
außerdem finden sich bei den meisten Insekten noch verschiedene andere
Der Hinterleib.
39
(allerdings wohl nur zum Teil auf Extremitäten zurückführbare) Anhänge, die
um die Geschlechtsöffnung gelegen sind, und daher als Genitalanhänge be-
zeichnet werden. —
Die Cerci (Raife) die bei Thysanuren, Orthopteren, Ephemeriden,
Perliden usw. vorkommen, sind der Anlage nach dem 11. Segment zuzu-
sprechen (können aber nach Rückbildung des 11. Segmentes an das 10. sich
anfügen) und stellen entweder lange, gegliederte, fühlerartige Anhänge („After-
fühler") dar, (wie z. B. die Schwanzfäden der Eintagsfliegen und Silberfische),
oder kräftige ungegliederte, gegeneinander beweg-
liche Zangen (wie z. B. bei den Ohrwürmern).
Bei manchen Insekten kommt neben den paarigen
Schwanzfäden (Cerci) noch ein dritter, unpaarer, über
der Afteröffnung gelegener Schwanzfaden vor. Auch
dieser gehört dem 11. Segment an und stellt das lang-
ausgezogene Tergum desselben dar.
Während es sich also bei den Cerci um
relativ gut ausgebildete Extremitäten handelt, haben
wir in den Styli nur noch kleine Extremitätenreste
vor uns, die noch mehr auf die primitiven Insekten-
formen beschränkt sind als die Cerci. Sie stellen
kurze eingliedrige Zapfen dar, die, am Hinterrand
der Sterna jederseits gelenkig eingefügt, bei einigen
Formen noch in 8 Paaren (Fig. 41) am 2. bis
9. Segment auftreten können, gewöhnlich aber nur
noch an den hinteren Segment zur Ausbildung
gelangen.
Die abdominalen Styli sind den Hüftgriffeln, die
wir oben an den Mittel- und Hinterbeinen von Machilis
kennen gelernt haben, morphologisch gleichwertig. Das
Vorkommen von Styli an 8 Abdominalsegmenten zeigt
uns wieder, daß die Vorfahren der Insekten an allen
Segmenten Beine besaßen (was ja, wie schon gesagt,
auch durch die embryologischen Befunde bewiesen ist).
Die Genitalanhänge sind je nach dem Ge-
schlecht verschieden. Beim Männchen handelt es
sich um 2 oder 4 klappenartige, kräftig chitinierte
Gebilde, die neben einem unpaaren medianen Anhang, dem Penis, sich erheben,
und als Parameren bezeichnet werden. Sie dienen wohl meistens als Halt-
zangen zur Befestigung der beiden Geschlechter während der Copula. — Im
weiblichen Geschlecht sind es gewöhnlich 6 (bei Thysanuren nur 4) längere
stabförmige Gebilde, welche sich zu einem gemeinsamen Legeapparat (auch
Legescheide oder Ovipositor genannt) zusammenfügen i^Fig. 42). Letzterer
hat vor der oben erwähnten „Legeröhre" den Vorzug, daß er infolge seiner
Härte auch in festere Körper einzudringen vermag, wobei vielfach auch säge-
oder bohrerartige Vorrichtungen mitwirken können. Wir finden daher Lege-
scheiden hauptsächlich bei solchen Insekten ausgebildet, welche ihre Eier in
den Boden (z. B. Heuschrecken), oder parasitisch in andere Tiere (Schlüpf-
rig. 41. Hinterleib von MachiUs
(nach L a n g). c Cerci ; hs Styli ;
Ir Ovipositor.
40
Kapitel II. Die äußere Ersclieinung der Insekten (Morphologie).
Wespen), oder in Holz (z. B. Holzwespen) usw. legen. Die Länge des Lege-
apparates kann mitunter sehr beträchtlich werden, wie manche Schlupfwespen
zeigen, bei denen der Legebohrer länger ist als das ganze Tier. — Bei
manchen Hymenopteren (Bienen, Wespen, Ameisen usw.) bekommt der Lege-
apparat entweder neben der ursprünglichen Funktion (Weibchen) oder auch
ausschließlich (Arbeiter) die Bedeutung eines Giftstachels, indem der Aus-
fuhrgang einer Giftdrüse mit ihm in Verbindung tritt (Funktionswechsel).
Der Legebohrer besteht meist aus 2 Bohrern oder Sägen, aus einer Rinne,
welche zur „Führung" dieser Bohrer dient (Stachelrinne, Gleitrinne), und zwei den
Bohrapparat beiderseits bedeckenden Scheidenklappen (Fig. 43). — Wahrscheinlich
sind die Genitalanhänge auf Extremitäten zurückzuführen , wenn' sie auch embryo-
onal an einer anderen Stelle, nämlich unmittelbar an der Medianlinie entstehen.
Möglicherweise verhalten sich aber die verschiedenen Insekten in dieser Beziehung
Fig. 42. Hinterleib einer weiblichen Laubheuschrecke mit
langem, kräftigem' Legesäbel Ov, der aus Anhängen des 8.
und 9. Segmentes gebildet wird- Nach B erlese.
Fig. 43. Querschnitt durch den
Legestachel einer Holzwespe. S
die beiden Sägen; i? Gleitrinne;
Seh Scheidenklappe. Nach
Taschenberg.
verschieden. — Die männlichen Genitalanhänge finden in der Systematik
reichliche Verwertung; sind sie doch auch einerseits fast bei jeder Art ver-
schieden geformt, während sie andererseits innerhalb der Art eine relativ hohe
Konstanz besitzen.
4. Skulptur und Färbung der Haut.
Skulptur.
Die Chitincuticula, die den Abschluß des Insektenkörpers nach außen
bewirkt, ist, wie aus dem Vorhergehenden ersichtlich, sehr verschieden stark
ausgebildet, und kann von dem zartesten Häutchen bis zum mehrfach ge-
schichteten dicken starren Panzer variieren. Auch die Oberflächenskulptur
zeigt große Mannigfaltigkeiten, indem sie glatt, fein oder grob gerunzelt, ge-
netzt, höckerig, genarbt, bedornt, mit Poren besetzt usw. sein kann. — Dazu
kommt, daß die Cuticula meistens auch mit Anhängen, Chitinhaaren oder
Schuppen bedeckt ist.
Die ersteren sind allgemein verbreitet und es gibt kein Insekt, welches
der Haare vollkommen entbehrt. Allerdings ist die Behaarung oft nur sehr
spärlich und nur auf einzelne Stellen beschränkt (Extremitäten, Flügeldecken-
ränder usw.); andererseits kann sie aber so dicht werden, daß sie wie ein
Pelz das ganze Tier umhüllt. Die Behaarung kann ferner anliegend oder
abstehend, lang oder kurz, seidenartig weich oder borstig sein.
Auch die Form der einzelnen Haare kann recht verschieden sein, wie: ge-
Skulptur und Färbung der Haut.
41
dreht, gespalten, gekäiiiiiit, gefiedert, geknöpft oder am Ende glockenförmig
erweitert usw. (Fig. 44).
Wie die Form, so ist auch die Funktion der Haare eine recht vielseitige.
Die wichtigste Aufgabe besteht in der Übermittlung äußerer Reize (Sinneshaare);
andere Haare dienen zum Schutz, wieder andere zum Sammeln von Blütenstaub
(Sammelhaare), oder zum Putzen (Putzhaare), oder zum Anheften an andere
Gegenstände (Hafthaare). Oft stehen sie auch im Dienst der Sekretion, wobei sie
sogar kleine ballonartige Auftreibungen zeigen können (siehe Fig. 52, S. 53), die als
Sammelreservoir für die abgeschiedenen Sekrete dienen (Drüsen- oder Gifthaare,
Toxophore, Trichome). Bei manchen Wasserinsekten dient das Haarkleid dazu,
Atemluft festzuhalten; bei Holzinsekten können die Haare zur Reinigung der Gänge
von Bohrmehl mitbenutzt werden.
Nicht so allgemein verbreitet wie die Haare sind die Schuppen;
immerhin kommen auch sie bei einer grossen Anzahl von Insekten vor: wie
bei den Apterygoten, Psociden,
Trichopteren,Lepidopteren, eini- g^
gen Coleopteren und Dipteren.
Bei den flügellosen Apter3^goten
(Silberfischchen, Felsenspringer
usw.), beiden meisten Schmetter-
lingen und vielen Käfern (vor
Fig. 44.
Verschiedene Haarformen.
Nach B erlese.
Fig. 45. Verschiedene Schuppenformen. A von einem
Schmetterling; B von Lepisma; C Duftschuppe eines
Schmetterlings.
allem aus der Familie der Rüsselkäfer, Hirschkäfer, Maikäfer, Borkenkäfer usw.)
ist häufig der ganze Körper mit einem mehr oder weniger lückenlosen Schuppen-
kleid überzogen, bei anderen dagegen (Trichopteren, einige Dipteren) sind
die Schuppen hauptsächlich auf die Flügel beschränkt oder vielmehr sogar
nur auf einzelne Regionen derselben (z. B. die Adern). — Wo es sich um
eine geschlossene Schuppendecke handelt (wie z. B. auf den Schmetterlings-
flügeln), sind die Schuppen gewöhnlich in regelmäßigen Reihen angeordnet,
dachziegelförmig übereinandergreifend.
Von den Haaren unterscheiden sich die Schuppen einmal gewöhnlich
durch ihre Kleinheit (mit bloßem Auge erscheinen sie als Staub), sodann durch
ihre Form (meistens flache, breite Blättchen mit dünnem Stiel) und endlich durch
ihren losen Zusammenhang mit der Cuticula; genügt doch meistens schon eine
leise Berührung, die Schuppen abzustreifen, während die Haare gewöhnlich
42 Kapitel II. Die äußere Erscheinung der Insekten (^Morphologie).
SO fest sitzen, dass sie nur durch gewaltsames Ziehen entfernt werden
können.
Die Formenmannigfaltigkeit der Schuppen ist mindestens ebenso groß
wie die der Haare ; wir kennen rechteckige, breite, schmale, dreieckige, ovale,
runde Schuppen, mit gerade abgestutzter, ausgerandeter, gerundeter, mehr-
zackiger Spitze usw. (Fig. 45). Manche Schuppen sind so schmal, dass sie
der Haarform nahekommen (haarförmige Schuppen), andere (ebenfalls lange,
schmale) sind an der Spitze gefranzt (Federbusch- oder Duftschuppen) oder
fächerartig verbreitert (Fächerschuppen). Oft finden sich verschiedene Formen
auf ein und demselben Tier. Im allgemeinen aber kommen doch den Schuppen
der einzelnen Insektenordnungen ganz charakteristische Merkmale zu, so daß
man z. B. ohne Schwierigkeit eine Käferschuppe von einer Schmetterlings-
schuppe zu unterscheiden vermag.
Wie die Haare, besitzen auch die Schuppen verschiedene (wenn auch nicht
so vielseitige) Funktionen; in erster Linie geben sie den betreffenden Insekten
Färbung und Zeichnung; sodann können sie zur Verdunstung aromatischer Sekrete
(zwecks Anziehung der Geschlechter) dienen (Duftschuppen), oder sie können dazu
verwandt werden, die abgelegten Eier zu bedecken und schützen (Eideckschuppen
der Prozessionsspinner) usw.
Im Anschluß an die Haare und Schuppen sei noch auf die sog.
Wachsbildungen hingewiesen, die aus besonderen Hautdrüsen (Wachs-
drüsen) abgeschieden werden, und in Form von weißen Haaren, Fäden, oder
eines flaumartigen Überzuges oder einer festen Schicht die Oberfläche des
Körpers (von Blattläusen, Zikaden, Schildläusen usw.) bedecken. Diese
Bildungen, die wohl als Schutzeinrichtungen aufzufassen sind, können mit-
unter eine sehr ansehnliche Größe erreichen und um ein mehrfaches länger
als der ganze Körper werden.
Färbung.
Die Farbenpracht der Insekten ist allbekannt; sie ist es ja in erster
Linie, welche die Insekten zu den populärsten Tieren gemacht hat. Die
Färbung ist entweder bedingt durch Farbstoffe oder durch Struktureigen-
tümlichkeiten der Cuticula (verschiedene Lichtbrechung). Wir unterscheiden
demnach Pigmentfarben oder Strukturfarben (auch optische Farben ge-
nannt); zu den ersteren gehören die roten, schwarzen, braunen und gelben
Töne, zu den letzteren hauptsächlich die blauen und grünen (vor allem die
Schillerfarben). Die schönsten Farbeneffekte werden durch Kombination
der Pigment- und Strukturfarben bewirkt; dadurch entsteht der wunder-
bare Glanz, der über den satten Farben mancher Schmetterlinge liegt, und
den nachzuahmen keinem Künstler gelingt.
Die Ursache der Färbung (Pigment oder Struktur) kann entweder in
der Haut selbst, oder in den Anhängen (Schuppen oder Haaren) gelegen
sein; bei den Schmetterlingen z. B. sind es größtenteils die Schuppen, welche
die Färbung bedingen, bei den Käfern liegt der Farbstoff gewöhnlich in der
Cuticula oder der Hypodermis oder in beiden (bei einigen allerdings auch in
Schuppen) usw.
Skulptur und Färbung der Haut. 43
Bei manchen Rüsselkäfern (z. B. Lixus, Larinus) beruht die Färbung auf
farbigen (gelben, gelbgrünen usw.) Exkreten, die als puderartiger Belag die Haut
bedecken. Derselbe läßt sich leicht abstreifen, erneuert sich aber beim lebenden
Tier in kurzer Zeit wieder.
Die Färbung und Zeichnung spielt in der Systematik eine große Rolle; jedoch
kann ihr nicht überall der gleiche Wert beigelegt werden, da sie nicht überall
konstant, sondern bei vielen Arten sogar recht inkonstant und variabel ist; so gibt
es Arten, bei denen man kaum 2 völlig gleich gefärbte Individuen trifft (z. B.
Tetropiutn luridum^ Callidium variabile).
Die Skulptur und Färbung dienen in vielen Fällen dem Schutze des
Tieres. — Es ist sicherlich kein Zufall, daß viele Insekten bezüglich ihrer
Färbung oder Skulptur so sehr mit ihrem gewöhnlichen Aufenthaltsort
übereinstimmen, daß man das ruhig sitzende Insekt von seiner Um-
gebung kaum zu unterscheiden vermag. Diese Übereinstimmung bedeutet
für die betreffenden Insekten zweifellos einen großen Schutz gegen die sie
verfolgenden Vögel usw., die an solchen Insekten natürlich eher vorbei-
fliegen, als an abstechend gefärbten, auffallenden Tieren. Man bezeichnet
daher eine derartige Anpassung an die Umgebung als „schützende
Ähnlichkeit."
Einheimische Beispiele dafür sind die grüne Färbung vieler Gras- und Baum-
tiere, z. B. die Laubheuschrecken; die bräunliche Färbung des Kiefernspinners,
welcher sich in der Ruhe nur schwer von der Kiefernborke unterscheiden läßt; die
rötliche (gescheckte) Färbung des Kieferntriebwicklers (Tortrix buoltana), die den
auf dem ebenso gefärbten Maitrieb sitzenden Schmetterling kaum entdecken läßt;
oder die plattgedrückten Baumwanzen (z. B. Aradus), welche einem abgelösten
Rindenschüppchen täuschend ähneln usw. Noch auffallender sind die „schützenden
Ähnlichkeiten" in den Tropen; wir erinnern nur an das allbekannte wandelnde
Blatt, das genau wie ein grünes Blatt aussieht, oder an die Stabheuschrecken, die
kleine Äste copieren, oder an die sog. Blattschmetterlinge, die in der Ruhestellung
ganz und gar einem verdorrten Blatt gleichen.
Bei allen diesen schützenden Ähnlichkeiten sind meist nur diejenigen Körperteile
übereinstimmend (mit der Umgebung) gefärbt, welche in der Ruhestellung nach
außen gekehrt, d. h. sichtbar sind. So ist bei den letztgenannten Blattschmetter-
lingen nur die Unterseite der Flügel blattähnlich, weil in der Ruhestellung nur
diese zu sehen sind ; bei Tortrix buoliana hat nur die Oberseite der Vorderflügel die
triebähnliche Färbung, da beim Sitzen nur diese offen daliegen ; und noch bei vielen
anderen Schmetterlingen (z. B. Ordensbänder) läßt sich die differente Färbung
zwischen Hinter- und Vorderflügel in der gleichen Weise erklären.
Eine andere Form der schützenden Ähnlichkeit besteht darin, daß eine
Insektenart einer anderen systematisch gänzlich verschiedenen Art in Habitus
und Farbe täuschend ähnelt, so daß die beiden bei oberflächlicher Betrachtung
leicht miteinander verwechselt werden können. Man bezeichnet diese Er-
scheinung als Nachahmung oder Mimikry. Biologisch ist dieselbe dadurch
verständlich, daß die nachgeahmte Art meistens wehrhaft ist (mit Giftstachel
ausgerüstet usw.), oder einen ekelerregenden Geruch oder Geschmack be-
sitzt, und deshalb von den Insektenfressern verschmäht wird, während die
nachahmende Art gewöhnlich weder die eine noch die andere Eigenschaft
besitzt. Die letztere profitiert also durch ihre Nachahmung (die gewisser-
maßen eine Verkleidung darstellt) von dem Respekt, den die nachgeahmten
Vorbilder infolge ihrer Waffen usw. genießen.
44 Kapitel II. Die äußere Erscheinung der Insekten (Morphologie).
Eines der bekanntesten Beispiele von Mimikry aus unserer Fauna ist der
Hornissenschwärmer, ein harmloser Schmetterling, der in Zeichnung und Form der
gefürchteten Hornisse sehr ähnlich ist (Fig. 46). Ferner gibt es unter den Schwebe-
fliegen mehrere Arten, welche Hummeln oder Bienen zum Verwechseln ähneln;
auch einige Käfer (Necydalis) ahmen Wespen nach. — Häufiger noch kommt die
Mimikry in der tropischen Insektenwelt vor, wobei es sich hauptsächlich um
Schmetterlinge aus verschiedenen Gattungen oder Familien handelt, die sich nach-
ahmen. Manchmal ahmt nur das weibliche Geschlecht ein geschütztes Vorbild
nach, während das Männchen sein Familienkleid unverändert bewahrt; bedarf doch
auch das weibliche Geschlecht im Interesse der Erhaltung der Art weit mehr des
Schutzes als das Männchen.
5. Dimorphismus (bezw. Polymorphismus).
Unter Polymorphismus verstehen wir die Eigenschaft einer Art, sich in
mehrere verschiedene Formen zu differenzieren, die alle mehr oder weniger
regelmäßig bei jeder Generation oder bei gewissen Generationen als Kinder
gleicher Eltern wieder erzeugt werden. Polymorphe Arten sind also solche,
welche in verschiedenen Formen auftreten, sei es gleichzeitig, oder zu ver-
schiedenen Zeiten oder in einem mehr oder weniger regelmäßigen Zyklus.
Fig. 46. Mimikry: Wespe und Hornissenscliwärmer. (Aus Claus- Grobb en.)
Es lassen sich (nach Döderlein) mehrere Kategorien von Polymorphis-
mus resp. Dimorphismus unterscheiden, von denen wir folgende hier erwähnen
wollen:
1. Sexueller Dimorphismus. Ein solcher liegt da vor, wo die beiden
Geschlechter sich nicht nur durch die eigentlichen Geschlechtsorgane (primäre
Geschlechtscharaktere) unterscheiden, sondern außerdem auch noch durch die
Gestalt, Färbung, Struktur usw. (sekundäre Geschlechtscharaktere) wesentlich
voneinander abweichen. Dadurch ist in vielen Fällen die Möglichkeit gegeben,
auf den ersten Blick Männchen und Weibchen einer Art zu erkennen. Die
Unterschiede können einerseits nur geringe sein, so daß man danach suchen
muß, andererseits aber auch so groß, daß Zuchtversuche und die Beobachtung
der regelmäßigen Begattung notwendig waren, um die Zusammengehörigkeit
der betr. Formen zu einer Art festzustellen.
Es seien im folgenden einige der auffallenderen und häufigeren Beispiele aus
unserer einheimischen Fauna genannt. Bei vielen Insektenarten, besonders lebhaft
gefärbten Formen, unterscheiden sich die beiden Geschlechter durch eine ver-
schiedene Färbung oder Zeichnung, so z. B. der Aurorafalter (Pieris
Cardaiuittes L.): beim cf Sphzenhäfte der Vorderflügel mit oranger, beim 9 niit
Dimorphismus. 45
weißer Grundfarbe; der Kohlweißling (Pietis Brassicae): $ mit zwei schwarzen
Flecken auf dem Vorderflügel, die dem cT fehlen; viele Bläulinge (z. B. Lycaena
Bellargus Rott): Flügel des cf schön himmelblau, des 9 dunkelbraun mit rotgelben
Randflecken; der Schwammspinner (^i^«m dispar L.): Grundfarbe der Flügel beim
cf graubraun, beim $ gelblich weiß; zwei Bockkäfer, Leptura testacea L.: cf Hals-
schild schwarz, Flügeldecken lehmgelb, 9 Halsschild und Flügeldecken rotbraun
- und den verwandten Toxotus cursor L.\ cf schwarz, 9 rötlich gelbbraun mit
einem roten Längsstreif auf jeder Flügeldecke; von Orthopteren die Wasserjungfer,
Calopteryx virgo L.: cT Körper und Flügel tiefblau, 9 Körper grün, Flügel braun.
Die als Größendifferenzen sich ausprägenden sekundären Geschlechts-
unterschiede können in zwei Richtungen ausgebildet sein; bei vielen Insekten ist
das Weibchen, bei anderen das Männchen der stärkere Teil. Der erstere und bei
weitem häufigere Fall hängt zusammen mit dem Umstände, daß die von dem
Weibchen produzierten Eier den von dem Männchen produzierten Samen an
Volumen bedeutend übertreffen. Kleiner sind die Männchen bei vielen Feld-
heuschrecken, bei vielen Bockkäfern, z. B. bei Pachyta cerambyciformis Schrank,
bei den Ölkäfern, Meloe, und der spanischen Fliege, Lytta vesicatoria L , bei den
Blatt- und Holzwespen, z. B. bei Lophyrus pini L. und Sirex juvencus L., sowie bei
den Ameisen; bei vielen Spinnern, z. B. dem Kiefernspinner, den Flöhen und der
Hirschlausfliege, Lipoptena cervi L. Der extremste Fall in unserer Fauna ist wohl
bei Tomicus dispar Fabr., einem Laubholzborkenkäfer, vorhanden. Der andere
Fall, daß die Männchen größer sind, tritt besonders bei den Formen ein, bei
welchen die Männchen um den Besitz der Weibchen kämpfen. Stärkerer Statur
sind z. B. die Männchen vieler Schaben, ferner der Lucam'dae, z. B. bei Dorcus
parallelopipedus L. und bei unserer Honigbiene.
Die eben erwähnten geschlechtlichen Färbungs- und Größenunterschiede sind
häufig verbunden mit der dritten Kategorie der sekundären Geschlechtscharaktere,
mit den Strukturverschiedenheiten gewisser Körperteile. Die solche Aus-
zeichnung zeigenden Körperteile können einmal stärker ausgebildet, anderersehs redu-
ziert sein. Ersteres ist meist das Teil der Männchen. Diese haben häufig stärker aus-
gebildete .Sinnesorgane als das Weibchen, eine Ausstattung, welche ihnen das Auf-
finden der Weibchen erleichtert. Die als Tast- und Geruchsorgane dienenden
Fühler sind stärker gebaut bei den Männchen vieler Käfer, z. B. des Maikäfers und
des Walkers, vieler Bockkäfer, z. B. Prionus coriarius L. und Astynomus aedilis L.
mancher Hymenopteren, z. B. Lophyrus pini, vieler Schmetterlinge aus den Gruppen
der Schwärmer, Spinner und Spanner, z. B. Kiefernspinner und Kiefernspanner,
der .Stechmücken, Culex pipiens L. u. s. f. Die Augen sind größer, ja sogar ge-
doppelt, bei den Männchen mancher Eintagsfliegen, z. B. der Ephemera vulgata L.
und Cloeon dipterum L. und vieler bienenartigen Insekten, z. B. bei den Drohnen der
Honigbiene, bei welchen sie auf dem Scheitel zusammenstoßen, während sie bei
Arbeiterinnen und Königin getrennt bleiben; bei den Männchen mancher Zweiflügler,
z. B. Bibio marci Z,., nehmen die Augen den ganzen Kopf ein, während sie bei den
Weibchen klein und getrennt bleiben. Die Männchen verschiedener Geradflügler
besitzen ferner Tonorgane, welche den Weibchen abgehen, während allerdings in
anderen Gruppen beide Geschlechter mh solchen Lockmitteln versehen sind. (Vgl.
den Abschnitt über die Lautäußerungen der Insekten in Kap. III.)
Der bedeutenderen Größe mancher Männchen gesellen sich noch ausgeprägte
Kampforgane bei, wie wir sie z. B. in den geweihartig verlängerten Vorder-
kiefern des Hirschkäfers kennen, sowie Apparate zum Festhalten des sich sträubenden
Weibchens, wie z. B. die Haftscheiben an den Vordertarsen vieler Schwimmkäfer,
z. B. des Dytiscus marginalis, und die Sohlenbildungen an den Vordertarsen vieler
Laufkäfermännchen, z. B. bei Calosoma sycophanta L. Hierzu kommen noch eine
Reihe von Auszeichnungen der Männchen, welche, da ihr Zusammenhang mit dem
Geschlechtsleben nicht ohne weiteres verständlich, uns als bloße Zierraten er-
scheinen, so die Hörner auf Kopf- und Halsschild, welche bei vielen exotischen
Lamellicorniern ihre höchste Ausbildung erreichen, aber auch in unserer Fauna
46 Kapitel II. Die äußere Erscheinung der Insekten (Morphologie).
vorkommen, z. B. bei dem Nashornkäfer, Oryctes iiasicornis L. und dem Sinoden-
dron cylindricum L.
Andererseits sehen wir bei vielen Weibchen, welche infolge des eier-
beschwerten Hinterleibes schon ohnehin häufig weniger beweglich sind als die
Männchen, die Bewegungsorgane und besonders die Flügel verkümmert. Die
schönsten Beispiele hierfür geben uns viele Schmetterlinge. So sind z. B. bei
einer häufigen einheimischen Motte, Chimabacche fagella, die Flügel des Weibchens
noch annähernd halb so lang als beim Männchen, bei dem Frostspannerweibchen,
Cheimatobia brumata Z.., sind sie bereits auf Rudimente reduziert, bei Orgyia
antiqua L. im Verhältnis zu dem Körper des Weibchens schon verschwindend,
und die Weibchen der Gattung Psyche^ welche madenförmig bleiben, ermangeln
der Flügel und ausgebildeter Beine völlig. Auch einige Käfer, z. B. unser gewöhn-
licher Leuchtkäfer Lampyris splendidula^ haben larvenähnliche, ungeflügelte, sowie
auch der Flügeldecken entbehrende Weibchen.
Es kommen aber auch Fälle vor, in welchen den Weibchen besondere, den
Männchen fehlende Ausstattungen zukommen; dieselben beziehen sich immer auf
die Brutpflege. Hierher können wir den verlängerten Rüssel der Weibchen der
Rüsselkäfergattung, Balaninus, rechnen, welche zur Unterbringung der Eier in der
Tiefe der Fruchtknoten dienen, sowie die zum Sammeln des als Larvennahrung
dienenden Blumenstaubes eingerichteten Hinterbeine der Weibchen vieler Blumen-
bienen.
Wenn auch die Insekten normalerweise getrennten Geschlechts sind, so
kommen doch hier und da als Monstrositäten Zwitter vor. Bezieht sich der Herma-
phroditismus auf sexuell dimorphe Arten, so prägt sich derselbe meist schon äußer-
lich aus; so existieren z. B. Zwitter vom Frostspanner, die auf der einen Seite die
wohlausgebildeten Flügel der Männchen tragen, auf der anderen Seite dagegen nur
mit den stark .verkümmerten Flügelresten der Weibchen ausgestattet sind. Auch
beim Schwammspinner und Kiefernspinner sind solche regelmäßig seitliche Zwitter
bekannt, bei denen die eine Seite die männliche, die andere die weibliche Zeichnung
trägt (siehe unten).
2. Der alternierende Polj'morphismus. Die verschiedenen Formen
treten in regelmäßigem Wechsel in aufeinanderfolgenden Generationen auf.
Wir finden diesen Polymorphismus da, wo parthenogenetische und gamo-
genetische (doppelgeschlechtliche) Generationen miteinander abwechseln, wie
bei den Gallwespen, wo die Unterschiede zwischen den Tieren der beiden
Generationen so bedeutend sind, daß man sie früher vielfach als verschiedene
Arten aufgefaßt, ja sogar in verschiedene Genera gestellt hat (z. B.
Tereas terminalis Hrtg. und Biorhiza aptera F.). Oder bei den Afterblatt-
läusen (Chermesiden), wo nicht nur zwei, sondern mehrere in einem regel-
mäßigen Z3^klus aufeinanderfolgende verschiedene Formen vorkommen.
3. Der Saisondimorphismus. Dieser kann als eine besondere Form
des alternierenden Polymorphismus aufgefaßt werden, wobei die Formver-
schiedenheiten direkt durch den Klimawechsel während der verschiedenen
Jahreszeiten veranlaßt werden. Hierher gehören die sog. Winter- und Sommer-
formen (resp. in den Tropen die Regen- und Trockenformen) bei den
Schmetterlingen, deren bekanntestes Beispiel Vanessa levana (braune Winter-
form) und V. prorsa (dunkle Sommerform) ist (Fig. 47).
4. Der fakultative Polymorphismus. Die Kinder der gleichen
Mutter treten ohne ersichtlichen äußeren Anlaß mehr oder weniger regel-
mäßig in verschiedener Gestalt auf, und zwar gleichzeitig nebeneinander.
Dimorphismus.
47
Fig. 47. Saisondimorphismus. Vanessa levana, Sommmerform (rechts)
und Winterform (links).
Der fakultative Poh-morphismus kann sich nur auf das eine Gesctilecht be-
schränken, wie z. B. bei dem Gelbrandkäfer {Dytiscus), bei dem die Weibchen
mit gerippten oder glatten Flügeldecken vorkommen; oder aber auf die beiden
Geschlechter in gleicher Weise sich beziehen, wie bei der Nonne, wo oft
dunkle und helle Formen
(9 und cf) nebenein-
ander vorkommen, und
bei vielen anderen stark
variablen Schmetter-
lingen und Käfern.
5. Der soziale
Polymorphismus.
Bei den sozialen Insek-
ten treten neben den Geschlechtsindividuen (Männchen und Weibchen), die für
die Fortpflanzung zu sorgen haben, noch die sog. Arbeitstiere oder Arbeiter
auf, welchen der Nestbau, die Herbeischaffung der Nahrung, die Pflege der
Larven usw. obliegt. Die Arbeiter unterscheiden sich von den Geschlechts-
tieren durch eine ganze Reihe auffallender Merkmale; im einfachsten Fall
(Wespen) nur durch kleinere Statur, bei den Bienen durch die längere Zunge,
das Vorhandensein
eines Sammelapparates ^^ ^ '^^^^f \
usw., bei den Ameisen
und Termiten durch
Flügellosigkeit und (da-
mit zusammenhängend
andere Thoraxbildung)
ferner kräftigere Man-
dibeln und meist auch
noch durch ihre kleinere
Statur. Die Unterschiede
zwischen Arbeitern und
Geschlechtstieren
können bei den Ameisen
und Termiten so groß
werden, daß es ein-
gehender Untersuchung
und direkter Beobach-
tung bedarf, um sie
als zusammengehörig zu
erkennen; gibt es doch Ameisenweibchen
dazu gehörigen Arbeiter (Fig. 48).
Die Formspaltung geht bei den Ameisen und Termiten aber vielfach
noch w^eiter, indem sich die Arbeiter wieder in 2 verschiedene Kasten teilen:
die Arbeiter s. str. und die „Soldaten", die speziell der Verteidigung angepaßt
sind, und die mitunter (vor allem durch Vergrößerung und Umgestaltung des
Kopfes nebst den Kiefern) mindestens ebenso sehr von den Arbeitern ab-
Fig. 48. Sozialer Polymorphismus bei Ameisen (Aphaenogaster). 1 — 3
großer, mittlerer und kleiner Arbeiter; 4 Königin (älteres, entflügeltes
Weibchen); 5 junges, geflügeltes Weibchen vor dem Hochzeitsflug;
6 Männchen. Nach Emery (Wandtafeln zur allgemeinen Biologie,
Verlag von Erwin Nägele, Leipzig).
die 10 mal so lang sind als die
48 Kapitel II. Die äußere Erscheinung der Insekten (Morphologie).
weichen, wie diese von den Geschlechtstieren. Endlich können auch innei-
halb der Soldaten und der Arbeiterkaste nochmals Differenzierungen Platz
greifen: in große, mittlere und kleine Soldaten resp. Arbeiter.
Die morphologische Differenzierung geht Hand in Hand mit einer immer
weiter greifenden Arbeitsteilung, indem die verschiedenen Funktionen mehr und
mehr auch von verschiedenen, besonders angepaßten Individuen ausgeführt werden.
Die Arbeiter stellen in den meisten Fällen rückgebildete Weibchen dar mit
verkümmerten Geschlechtsorganen (^die aber nötigenfalls event. wieder in Funktion
treten können); nur bei den Termiten besteht das Arbeiterheer sowohl aus männ-
lichen als auch aus weiblichen (natürlich rückgebildeten resp. nicht gänzlich aus-
gereiften) Individuen.
Literatur.
Lehr- und Handbücher.
Berlese, Antonio, Gli Insetti. Bd. I. (1004 S. und 1292 Fig. im Text und 10 Taf.)
Mailand 1909.
Es ist dies weitaus das beste der heute existierenden Handbücher der
Entomologie, das jedem wissenschaftlich arbeitenden Entomologen unent-
behrlich ist.
Escherich, K. , Die Ameise, Schilderung ihrer Lebensweise. Braunschweig 1906.
— — Die Termiten oder weißen Ameisen. Leipzig 1911.
Folsom, J. W, Entomologv. Philadelphia 1909.
Graber, V., Die Insekten.' 2 Bände. München 1877—1879.
Groß, J. , Die Insekten (Sammlung Göschen). Berlin 1911.
Henneguy, L. F., Les Insektes. 804 S., 622 Fig. und 4 Taf. Paris 1904.
Hesse-Doflein, Tierbau und Tierleben. Bd I. Der Tierkörper als selbständiger
Organismus von R. Hesse. 799 S., 480 Fig. und 15 Taf. Leipzig 1910.
Ein vorzügliches Werk, indem die Form des Tierkörpers und seiner Teile
aus der Lebensweise resp. aus seiner Funktion zu erklären versucht wird.
Houlbert C , Les Insektes. Paris 1901. 370 S., 202 Fig.
Kolbe, H. J., Einführung in die Kenntnis der Insekten. 709 S., 324 Fig. Berlin 1893.
Miall, L. C., The natural historv of aquatic Insects. London 1895.
Packard, A. S., A. Text-Book of Entomologv. 729 S., 654 Fig. Newyork 1898.
Schröder, Chr. Handbuch der Entomologie". Im Erscheinen begriffen.
Sharp, David, Insects. The Cambridge Natural history Bd. V und VI. London
1895 und 1899.
Wheeler, W. M., Ants. 63 S., 284 Fig. Newyork 1910.
Zander, Enoch, Handbuch der Bienenkunde. III. Der Bau der Biene. Stuttgart.
Eine klare Darstellung des Baues der Biene, welche auch zur ersten Ein-
führung in die Insektenkunde geeignet ist.
Spezialarbeiten, auf die im vorstehenden Kapitel Bezug
genommen ist.
Born er, C, Die Tracheenkiemen der Ephemeriden. Zoologischer Anzeiger, 33. Bd.,
1908, S. 806-823.
Die Gliederung der Laufbeine der Ateloceraten. Sitzungsbericht der Gesell-
schaft naturforschender Freunde zu BerUn 1902, Heft 9.
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27. Bd., 1904, S. 227—243.
Comstok u. Kochi C, The sceleton of the head of Insects. Amer. Nat. Vol. 36,
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Comstok u. Needham, The wings of Insects. Amer. Nat. Vol. 32 und 33, 1898
bis 1899.
Döderlein, Über die Beziehungen nahverwandter Tierformen zueinander. Zeitschr.
f. Morphol. und Anthropol., Bd. 4, 1902, S. 394-442.
Heymons, R., Die Segmentierung des Insektenkörpers. Abhandl. der Kgl. Preuß.
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Literatur. 49
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schaft naturforschender Freunde zu Berlin 1897.
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Naturhist. Hofmuseums. Wien 1904, S. 21—58.
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Zentralblatt, 31. Bd., 1911, S. 111—114.
Prell, H., Das Chitinskelett von Eosentomon. Stuttgart 1913.
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Woodworth, C. W., The Wing veins of Insects. University of California Publi-
cations. Entomologv. Vol. Nr. 1, 1906.
Escherich, Forstinsekten.
Kapitel III.
Der innere Bau der Insekten
(Anatomie und Physiologie).
Zur übersichtlichen Orientierung über die Anordnung der Organe resp.
Organsysteme und deren Lagebeziehungen zueinander betrachten wir am
besten einen Längsschnitt durch den Insektenkörper (Fig. 49). Da sehen
wir zu äußerst die Leibeswand, bestehend aus Cuticula, Hypodermis und
Muskulatur; die von ihr umschlossene Körperhöhle wird in der Mitte durch-
Fig. 49. Schematische Darstellung der Lage der Organe im Insektenkörper, b: Herz (Rückengefäß);
Yi Vorder-, Mi Mittel-, 'Eä Enddarm; Ä^ Nervensystem ; (? Geschlechtsorgan; .Ensc Endoskelett.
zogen von dem Darmkanal, der am Vorder- und Hinterende durch Mund
und After mit der Außenwelt in Verbindung steht, und der meist mehrere
Anhangsdrüsen besitzt, von denen vor allem die Speicheldrüsen und die
Malpighischen Gefäße (Harngefäße) größeren Umfang annehmen können.
Dorsal vom Darmrohr liegt das zarte, mit segmentalen Einschnürungen
versehene „Rückengefäß" oder Herz, während ventral davon der größte
Teil des Zentralnervensystems, das Bauchmark, sich hinzieht. Nur im
vordersten Körperabschnitt, im Kopf, ist das Nervensystem dorsalwärts
gerückt und liegt als sog. Gehirn über dem Darmrohr resp. Schlund; eine
jederseits des Darmes herabziehende Kommissur (Schlundkommissur) ver-
bindet den dorsalen Teil des Zentralnervensystems mit dem ventralen. —
Im hinteren Körperabschnitt, der Bauchhöhle, sehen wir neben dem Darm
die mehr oder weniger umfangreichen Geschlechtsorgane (Ovarien oder
Hoden und deren, meist mit Anhangsdrüsen versehenen Ausfuhrgänge), die
stets auf der Bauchseite, unterhalb des Darmes (resp. vor demselben) nach
außen münden. Endlich ist noch das Respirationsorgan, das sog. Tracheen-
system, zu erwähnen, welches von den segmental angeordneten Luftlöchern
Die Haut. 51
oder Stigmen entspringt und ein oder mehrere Paare Längsstämme bildet,
von denen zahlreiche, sich immer feiner verzweigende Äste abgehen.
Diese einfache Anordnung der Hauptorgane wird teilweise verschoben,
indem der Darmkanal länger wird, als der gerade Abstand von Mund zu
After, und auch die Ausführungsgänge der Fortpflanzungsorgane sich strecken.
Alsdann liegen Darm und Fortpflanzungsorgane, die seitliche Symmetrie
störend, aufgeknäuelt im Hinterleibe. — Der Raum zwischen den einzelnen
Eingeweiden wird zum Teil ausgefüllt von den regellosen Zellballen des
Fettkörpers. Festgehalten in ihrer Lage werden die sämtlichen Organe
durch die feinen und feinsten Verzweigungen der Tracheen, welche alle
Organe dicht umspinnen. Um- und durchspült wird das Ganze von der
Blutflüssigkeit, die (da ja kein geschlossenes Blutgefäßsystem vorhanden ist) frei
in der Leibeshöhle zirkuliert.
1. Die Haut.
Die Haut der Insekten setzt sich von außen nach innen aus folgenden
Schichten zusammen: 1. der Cuticula, 2. der Hypodermis und 3. der Grund-
membran oder Membrana basilaris.
Die Cuticula ist ein Abkömmling der Hypodermis und besteht in der
Hauptsache aus Chitin, über dessen chemische
Beschaffenheit oben bereits einiges erwähnt
ist (S. 2). Man kann an ihr deutlich zwei
Lagen unterscheiden, nämlich eine dünnere
äußere, oder dickere innere (Fig. 50), die
auch als „primäre" und „sekundäre" Cuticula
bezeichnet werden. Erstere ist vollkommen
homogen, letztere dagegen meist deutlich ge- Fig. 5o. Durchschnitt durch die Haut
schichtet und gewöhnlich von feinen Kanälen einer frisch geschlüpften Fliege mit
j , ^ ^ -.XT T^i^rr • 1 /"•^•i noch gut ausgebildeter H3T)odermis
durchsetzt. Wo Farbstoffe in der Cuticula ^j,^^^ c«. primäre, c«, sekundäre cuti-
vorhanden sind, haben sie ihren Sitz stets in cuia; Bas Basalmembran; ff Haar; Tr
der äußeren, primären Lage. trichogene Zeile. Nach B erlese.
Von der Skulptur und den Anhängen
der Cuticula (Haare, Schuppen) war oben (S. 40) schon die Rede. Es sei
hier nur noch hervorgehoben, daß wir unter den letzteren zu unterscheiden
haben zwischen rein cuticularen und solchen, welche in direkter Beziehung
zu Hypodermiszellen stehen. Häufig sind beide gleichzeitig vorhanden: ein
dichtes, feines, rein cuticulares Börstchen- oder Haarkleid, und daneben
größere hypodermoidale Borsten oder Haare (Fig. 50).
Die unter der Cuticula liegende Hypodermis besteht aus einer
Schicht mehr oder weniger deutlich voneinander abgegrenzter, polygonaler
Epithelzellen, welche nach außen, wie schon erwähnt, die Chitinsubstanz
als ein anfangs zähflüssiges, erst später erhärtendes Sekret absondern. Im
Hinblick auf diese Funktion bezeichnet man die Hypodermis auch als
chitinogene Schicht oder Matrix. Die Gleichmäßigkeit der Hypodermis
ist häufig unterbrochen durch auffallend große Zellen, welche nach innen
weit hervorraaen und auch nach außen durch die Cuticula hindurch einen
52 Kapitel III. Der innere Bau der Insekten (Anatomie und Physiologie).
Fortsatz entsenden, der mit einem Haar in Verbindung steht, resp. in das-
selbe eindringt. Es sind dies die sog. trichogenen oder Haarbildungs-
zellen, denen die meisten Haare ihre Entstehung verdanken, indem auf der
Oberfläche jener Zellfortsätze sich Chitin abscheidet (Fig. 50, Tr). Die so
entstandenen (hypodermoidalen) Haare bilden an ihrer Ansatzstelle meist
eine Art Gelenk aus. — Auch die Schuppen entstehen auf ähnliche Weise,
indem auch sie von Zellfortsätzen abgeschieden werden, welche ebenfalls von
besonders großen Zellen, den Schuppenbildungszellen ausgehen.
Beim ausgebildeten Insekt hat die Hypodermis keine Aufgabe mehr zu
erfüllen, da ja keine neue Cuticula mehr gebildet zu werden braucht (aus-
gewachsene Insekten häuten sich nicht mehr). Sie bildet sich daher, wie
alle außer Funktion gesetzten Organe zurück und ist meist nur als ganz dünne,
aus platten Zellen bestehende Haut unter der Cuticula aufzufinden.
Die Grundmembran (Membrana basilaris) ist äußerst fein und besteht
aus sternförmigen Zellen, welche eine die Zwischenräume zwischen ihnen
ausfüllende Intercellularsubstanz ausscheidet. — Sie liegt der Innenseite der
Hypodermis an und über-
^Cut zieht auch die großen
Haarbildungszellen usw.,
soweit sie aus der Hypo-
dermis nach innen zu vor-
ragen (Fig. 50, Bas).
Bei den meisten In-
sekten ist die Haut mehr
oder weniger reichlich mit
Fig.51. Zwei verschiedene Typen einzelliger Hautdrüsen. C?«<Cuti- Drüsen hvDodermalen Ur-
cula; -ffi/i) Hypodermis; Ba Basalmembran; As Ausfulirröhrchen ;
Em Endblase. Nach B erlese. sprungs ausgestattet, deren
Form, Aufbau und Funk-
tion ungemein wechselnd ist. Da haben wir auf der einen Seite einzellige
Drüsen, die sich nur wenig von den Hypodermiszellen unterscheiden, anderer-
seits höchst komplizierte vielzellige Drüsenorgane mit besonderen Aus-
führgängen, Sammelreservoir usw., — und zwischen diesen Extremen alle
möglichen Zwischenformen.
Schon die einzelligen Drüsen weisen eine große Mannigfaltigkeit
der Form auf; neben solchen, die den gewöhnlichen Hypodermiszellen
noch recht ähnlich sehen, finden sich andere, die mehr und mehr von
diesen abweichen, in erster Linie durch ihre bedeutendere Größe und
sodann auch durch die Struktur, die sehr charakteristisch ist. Es senkt
sich nämlich von der Ausfuhröffnung in der Cuticula ein feines cuticulares
Röhrchen bis tief in das Zellplasma hinein, wo es in einem eigentüm-
lichen radiär gestreiften Körper (Endblase) endet. Durch Verlängerung
des freien Teiles dieses Röhrchens (Fig. 51) rückt die sezernierende Zelle
mehr oder weniger von der Haut ab ins Innere des Körpers. — Ein-
zellige Drüsen finden sich allenthalben: auf den Flügeldecken, an den
Abdomensegmenten, an den Beinen, an den Fühlern usw., sowohl einzeln
zerstreut, als auch zu größeren oder kleineren Gruppen vereinigt, und so
Die Haut.
53
Cbergangszustände zu den vielzelligen Drüsen bildend. Die von ihnen aus-
geschiedenen Sekrete sind sehr vielseitiger Natur, den verschiedensten
Zwecken entsprechend; vielfach handelt es sich um wachsartige Körper,
^^^'^k
A B
Fig. 52. Drüsenhaare mit blasenförmigen Erweiterungen (Toxophore), in denen das Sekret sich an-
sammelt. Kommen bei verschiedenen Schmetterlingsraupen (Spinnern) vor. A Durchschnitt durch
eine Raupe; B Drüsenhaare, vergrößert. Nach B erlese.
die zum Schutz gegen Nässe oder tierische Feinde dienen (Blattläuse usw.)
oder als Baumaterial für die Brutstätte verwandt werden (Bienen); andere
Sekrete (aus Gelenkdrüsen) dienen als Schmiermittel für die Gelenke;
wieder andere enthalten angenehme oder widrige Geruchsstoffe zum An-
locken oder zur Abwehr, in welchem Fall die Drüsenzellen häufig mit
Haaren oder Schuppen (Duftschuppen) in Verbindung stehen (siehe oben).
Bei den Wachsdrüsen der Honigbiene handelt es sich
streng genommen nicht um einzellige Drüsen, sondern es
beteiligen sich an der Wachsabsonderung ganze Strecken
der Hypodermis der abdominalen Ventralplatten, deren
Zellen von den gewöhnlichen chitinogenen Zellen nur
wenig sich unterscheiden.
Noch mannigfaltiger fast als die einzelligen sind
die vielzelligen Drüsen. Meist sind dieselben mit
einer mehr oder weniger ausgedehnten Einstülpung
der Haut verbunden, entweder in der Weise, daß die
ganze eingestülpte Partie von Drüsenzellen besetzt ist,
oder aber so, daß die letzteren nur um den ge-
schlossenen Endteil herum sitzen, während der übrige
Teil als Ausfuhrgang resp. Sammelreservoir dient
(Fig. 53). Oft ist der Ausfuhrweg mit einer kom-
plizierten Muskulatur, und anderen Vorrichtungen (Gas-
rezipienten usw.) ausgerüstet, wodurch ein rasches
explosionsartiges Ausstoßen der Sekrete ermöglicht
wird (z. B. die neben dem After ausmündenden
Explosionsdrüsen der Bombardierkäfer). Bei manchen
Insekten können die Hauteinstülpungen handschuh-
fingerähnlich nach außen vorgestülpt werden, so daß deren mit Sekret be-
deckte Innenfläche direkt nach außen zu liegen kommt (z. B. die roten
Drüsensäcke am Thorax von MalachiuSy oder die P3"gidialdrüsen mancher
Fig. 53. Beispiel einer viel-
zelligen Drüse mit deut-
licher Scheidung eines se-
zernierenden (s) und aus-
führenden Abschnittes (a).
Nach B erlese.
54 Kapitel III. Der innere Bau der Insekten (Anatomie und Physiologie).
Staphylinen). Bei den Giftdrüsen der Bienen, Wespen usw. steht der Aus-
fuhrgang mit einem kräftigen Stachel in Verbindung, mit dessen Hilfe das
Gift in den Körper des Feindes injiziert werden kann. — Wie diese drei
hier genannten Beispiele, so stehen die meisten übrigen der vielzelligen
Hautdrüsen im Dienste der Verteidigung und Abwehr.
2. Das Muskelsystem und seine Tätigkeit.
An die Hypodermis schließt sich nach innen zu eine mehr oder weniger
geschlossene Muskelschichte an. Dieselbe setzt sich aus einer großen An-
zahl von Einzelmuskeln zusammen, deren Anordnung deutlich segmental ist,
d. h. in jedem Segment sich in gleicher Weise wiederholt. Nur in stark ab-
geänderten Segmenten oder Segmentkomplexen, wie im Kopf und in der
Brust, ist davon wenig zu merken, und scheint die Muskulatur gänzlich ab-
weichend von der des Hinterleibes.
Immerhin dürfte es sich auch hier
nur um Modifikationen der ursprüng-
lichen segmentalen Muskeln handeln
und wird es auch wohl einem ein-
gehenden vergleichenden Studium noch
gelingen, die verschiedenen Brust-
und Kopfmuskeln auf die letzteren
zurückzuführen. Die Zahl der Einzel-
muskeln ist eine ungeheuer große; hat
doch Lyonet für eine Schmetterlings-
raupe nicht weniger als 2000 Muskeln
berechnet.
Wir können die Muskulatur ein-
teilen in Stamm- und Extremitäten-
muskeln. Erstere besorgen die Be-
wegungen des Kopfes und Hinter-
leibes gegen die Brust, die Krümmungen
des Hinterleibes und seine Ausdehnung
resp. Zusammenziehung (Atembe-
wegung), ferner die Bewegungen der
Mundwerkzeuge, Beine, Flügel, Genitalanhänge usw. gegen den Stamm;
letztere dagegen führen die Bewegungen der einzelnen Glieder der Extremi-
täten gegeneinander aus (Fig. 54). Je nachdem ferner die Bewegung in
einer Beugung, Streckung, Ausdehnung, Zusammenziehung, Drehung usw.
besteht, teilt man die Muskeln in Flexoren, Extensoren, Elevatoren, De-
pressoren, Rotatoren usw. ein.
Näher auf die einzelnen Muskeln einzugehen, ist hier nicht der Platz.
Eine sehr ausführliche Darstellung der teilweise überaus komplizierten Ver-
hältnisse findet sich in Berleses großem Handbuch (und außerdem bei Voß
und A. Bauer [siehe Literatur]).
Die Muskeln der Insekten bestehen aus farblosen oder weißlichen
Fasern, die eine deutliche Querstreifung erkennen lassen. Ihre Inser-
Fig. 54. Muskulatur eines Insektenbeines (Lepisma).
Cx Coxa; Fe Femur; Tr Trochanter; Tb Tibia;
Ts Tarsenglied; Pts Praetarsus; Ks Krallensehne.
Das Muskelsystem und seine Tätigkeit. 55
tion findet meist mittels einer aus chitinösen Fasern (aus Hypodermiszellen
hervorgegangen) zusammengesetzten Sehne direkt an der Cuticula statt.
Die Kraftleistung der Muskeln ist (relativ genommen) eine sehr be-
deutende; können doch die meisten Insekten ein Vielfaches ihres eigenen
Körpergewichts tragen. So kann z. B. der große Nashornkäfer {Oryctes
nasicornis) das 4^/^ fache, der etwas kleinere Mistkäfer {Geotrupes stercorarius)
das ca. 10 fache und der viel kleinere Onthophagits das 14^/0 fache seines
Körpergewichts heben. Bei manchen Käfern steigert sich die Leistung
sogar bis zum 40 fachen des Körpergewichts (z. B. Trichius fasciatus,
Donacia, Crioceris usw.). — Auch die gewaltigen Sprünge, die ein Floh
macht (etwa das 200 fache seiner Körperhöhe) oder die langen anhaltenden
Flüge der Wanderheuschrecken oder Libellen, oder das oft stundenlange
Musizieren der Grillen geben uns einen Begriff von der gewaltigen Kraft-
leistung der Insektenmuskeln.
Die Tätigkeit des Muskelsystems ist eine ungemein vielseitige;
wir wollen hier jedoch nur auf einige der auffallendsten Muskelwirkungen
näher eingehen: nämlich die Ortsbewegungen und die Lautäußerungen.
Ortsbewegungen.
Unter diesen Begriff fallen in der Hauptsache die Schreit-, Schwimm-,
Sprung- und Flugbewegungen.
Die Schreitbewegungen werden von den Beinen der Brust ausgeführt,
und zwar in folgender Weise : Es werden zuerst das rechte Vorder- und Hinter-
bein zugleich mit dem linken Mittelbein vorgesetzt (vgl. Fig. 38, S. 34, Ri, Rni
und Ln) und sodann, während der Körper vorwärts gezogen resp. geschoben
wird, das linke Vorder- und Hinterbein zugleich mit dem rechten Mittelbein.
Das Insekt ruht also beim Gehen stets auf einem für das Körpergleichgewicht
durchaus nötigen Dreieck, welches gebildet wird von dem Vorder- und Hinter-
bein der einen und Mittelbein der anderen Seite, während es die drei übrigen
Beine hebt und nach vorn setzt (Packard). Entsprechend der Beinstellung (die
Vorderbeine sind nach vorn, die Hinter- und Mittelbeine nach hinten gerichtet)
ist beim Vorsetzen der drei Beine das Vorderbein gestreckt, das Mittel- und
Hinterbein dagegen gebeugt. Der Körper wird nun durch das vorgesetzte
Vorderbein gezogen und durch das aufgesetzte Mittelbein der einen und
Hinterbein der anderen Seite vorwärts geschoben. Unmittelbar darauf treten
die drei entsprechenden anderen Beine in dieselbe Tätigkeit. Dabei leisten
die Hinterbeine (wie bei den Säugern) die Hauptarbeit, was meist auch in
dem kräftigeren Bau derselben zum Ausdruck kommt.
Viele Insekten haben bekanntlich die Fähigkeit, an glatten senkrechten
Wänden in die Höhe zu klettern oder an der Unterseite einer horizontalen
Fläche zu laufen (wie z. B. die Stubenfliegen, Bienen, Heuschrecken usw.).
Dieses Vermögen beruht auf besonderen an der Sohle oder zwischen den
Klauen angebrachten Heftvorrichtungen, wie Saugnäpfen, Hafthaare oder Haft-
lappen, deren Oberfläche auch noch häufig durch Drüsensekrete feucht ge-
halten wird — zwecks Verstärkung der Adhäsionswirkung. Umgekehrt ist
56 Kapitel III. Der innere Bau der Insekten (Anatomie und Physiologie).
bei den auf der Wasseroberfläche laufenden sog. Wasserläufern (Wanzen)
die Unterseite und das Ende der Füße so ausgestattet, daß keine Wasser-
teilchen an ihnen adhärieren. Denn würden die Füße einmal benetzt, so
würden die Tiere (infolge Störung der Oberflächenspannung des Wassers)
einsinken, ähnlich wie eine sorgfältig gereinigte Nähnadel untersinkt, während
eine schwach eingefettete und so vor dem Benetzen geschützte auf der
Wasseroberfläche schwimmt (Hesse.)
Die Schwimmbewegungen werden durch die stark abgeplatteten
Mittel- und Hinterbeine oder durch die Hinterbeine allein ausgeführt, welche
hierbei weniger eine Beugung und Streckung als eine mit einer Drehung um
ihre Achse verbundene Vor- und Rückwärtsbewegung ausführen.
Dies geschieht stets nach der Art der Bewegung eines Bootsruders,
indem die mehr weniger abgeplatteten Extremitäten bei ihrer Bewegung nach
hinten ihre breite Fläche dem Wasser zukehren, während sie bei der Zurück-
bewegung nach vorn ihre schneidende Kante verwenden, so daß sie also bei
letzterer Bewegung einen geringeren Widerstand linden als bei ersterer.
Schöne Beispiele hierfür sind die Schwimmkäfer {Dytisais) und Wasserwanzen
{Notonecta).
Die Springbewegungen werden in den meisten Fällen von den
Hinterbeinen bewirkt, die durch ihre verdickten Schenkel auch morphologisch
sich als Sprungbeine dokumentieren. Diese Verdickung ist bedingt durch
die überaus starke Ausbildung der Streckmuskeln, durch deren plötzliche
Kontraktion die in der Ruhelage dem Schenkel dicht anliegenden Schienen
so kräftig gestreckt resp. gegen die Unterlage gestemmt werden, daß der Körper
mit großer Wucht nach vorn und oben geschleudert wird. In dieser Weise
springen z. B. die Heuschrecken, Flöhe, Springrüßler, Erdflöhe usw. Doch
kennen wir auch andere Vorrichtungen zum Springen; so besitzen die sog.
Springschwänze (zu denen der „Gletscherfloh" gehört) an der Bauchseite des
Abdomens eine Sprunggabel, die mit großer Kraft nach hinten und unten
geschlagen werden kann, wodurch das Tier natürlich in entgegengesetzter
Richtung in die Luft geworfen wird. Bei den Felsenspringern oder Stein-
hüpfern {Machilis) sind es die jedem Abdominalsegment in je 1 Paar zu-
kommenden sog. Abdominalgriffel (Styli), welche in ähnlicher Weise wirken
wie die Sprunggabel der Springschwänze (siehe Fig. 41). Wieder anders
springen ferner manche Ameisen (exotische), indem sie durch rasches Zu-
sammenschlagen ihrer langen Kiefer auf weite Strecken sich fortschnellen.
Eine ganz besondere Art des Springens kommt endlich den Schnellkäfern
(Elateriden) zu, worüber im speziellen Teil (bei der Besprechung dieser
Käfer) noch näheres berichtet wird.
Die Flugbewegung. — Der Flug der Insekten, diese sie vor allen
anderen Arthropoden charakterisierende Bewegungsart, wird vermittelt durch
die gleichzeitig ausgeführten, schlagenden Bewegungen der Flügel beider
Seiten. Eine Erhebung in die Luft, d. h. eine Überwindung der Schwerkraft,
wird dadurch möglich, daß bei dieser Bewegung die Flügel beim Nieder-
schlag einem größeren Widerstände begegnen als beim Aufschlage. Hierdurch
Das Muskelsystem und seine Tätigkeit. 57
gewinnt der beim Niederschlage entstehende, nach oben wirkende Rückstoß
der Luft die Oberhand und das Insekt wird gehoben.
Die Verschiedenheit des Luftwiderstandes wird bewirkt durch die ver
schiedene Einstellung der Flügelebenen beim Auf- und Niederschlag. Da
nämlich die Vorderzone der Flügel durch eine stärkere Aderung viel mehr
gesteift wird als die Hinterzone, so wird beim Niederschlag der Hinterrand
gegenüber dem Vorderrand gehoben, beim Aufschlag dagegen umgekehrt,
was, bei der gewöhnlich schiefen Einstellung des fliegenden Insektes gegen
die Ebene des Horizontes, eine Änderung des Luftwiderstandes in obigem Sinne
bedeutet. Eine Verkleinerung der Flugfläche zur Verminderung des Luft-
widerstandes bei der Hebung der Flügel, wie sie durch Zusammenfalten bei
den Vögeln und Fledermäusen erfolgt, kommt bei den Insekten nicht vor. —
„Hält man ein Insekt, etwa eine Fliege oder Wespe fest, so daß es seine
Flügel schwirrend bewegt, so beschreiben die Flügelspitzen eine Figur von
der Form einer 8; d. h. beim Senken schiebt sich die Flügelspitze nach vorn,
unten wird sie nach hinten gezogen, um sich beim Hub wieder nach vorn
zu bewegen, worauf oben wieder eine Verschiebung nach hinten erfolgt.
Bei der Vorwärtsbewegung des Insektes
muß sich die Achterfigur in eine Zickzack-
linie mit kleinen Schleifen an den Wende-
punkten auflösen" (Hesse). (Fig. 55.)
Die Zahl der Flügelschläge ist bei
den verschiedenen Insekten recht wechselnd,
entsprechend der Größe der Flugflächen
und der Schnelligkeit des Fluges. So
machen die langsam fliegenden Tagschmetter-
linge mit ihren großen breiten Flügeln nur
relativ wenig Schläge (ein Weißling ca. 9 Fig. 55. Schema der Flügelbewegung einer
o 1 1 \ j j- 1 iin- ^ j Wespe. (Nach Marey, aus Zander.)
pro Sekunde), dagegen die schnelliliegenden
Nachtschwärmer mit ihren viel kleineren
schmalen Flügeln 70 — 80. Noch größer ist die Zahl der Schläge bei der
Biene (ca. 190), oder gar bei der Stubenfliege, bei der sie 330 pro Sekunde
beträgt. Ist doch auch bei der letzteren die wirkende Flugfläche durch
Reduktion der Hinterflügel besonders klein. Wo die 4 Flügel am Fluge sich
beteiligen, sind, wie wir oben bereits erwähnt (S. 34), die Vorder- und Hintei-
flügel jeder Seite häufig derartig zusammengekoppelt, daß sie der Wirkung
nach nur eine Flugfläche bilden; und auch da, wo eine solche mechanische
Verkoppelung fehlt, geschieht die Bewegung der Vorder- und Hinterflügel
meist so gleichzeitig, daß sie ebenfalls wie eine Fläche wirken. Nur gewisse
Libellen machen davon eine Ausnahme, indem sie ihre Vorder- und Hinter-
flügel unabhängig voneinander bewegen.
Die Bewegung der Flügel wird durch die im Meso- und Metathorax be-
findliche Flugmuskulatur hervorgebracht, die, besonders bei den guten
Fliegern, eine gewaltige Ausbildung erreichen kann. Bei weitaus den meisten
Insekten wirken die Muskeln jedoch nicht direkt auf die Flügel, sondern
indirekt durch Veränderung der Thoraxform; längs verlauf ende Muskeln
58 Kapitel III. Der innere Bau der Insekten (Anatomie und Physiologie).
steigern bei der Kontraktion die Wölbung der Brust (resp. der beiden Brust-
segmente), während dorsoventral (von der Rücken- zur Bauchseite) ver-
laufende Muskeln die Rückenfläche herabziehen; dadurch werden auch die
Flügel, die ja mit dem Brustskelett verbunden sind, bewegt, und zwar
bei der Wölbung gesenkt und bei der Abflachung gehoben. Es greifen
zwar, wie die Fig. 56 zeigt, einige kleinere Muskeln auch direkt an der
Flügelbasis an, doch dienen diese nicht der eigentlichen Flugbewegung,
sondern nur dazu, den Flügeln eine bestimmte Richtung zu geben, sie
bei ihrer höchsten und tiefsten Stellung von vorne nach hinten zu
ziehen usw. (Hesse). — Nur bei den oben schon genannten Libellen
kommen direkte Flugmuskeln vor, die an der Flügelbasis selbst angreifen;
diese Tiere sind daher auch in der Lage, die beiden Flügelpaare unabhängig
voneinander zu bewegen, so daf3 z. B. in demselben Moment die Hinterflügel
gesenkt und die Vorderflügel gehoben sein können.
Bei den Ameisenweibchen, die nach
dem Hochzeitsflug die Flügel abwerfen,
wird die überflüssig gewordene Musku-
latur wieder rückgebildet resp. aufgelöst
und zur inneren Ernährung benützt.
Die Bestimmung resp. Änderung
der Flugrichtung wird auf ver-
schiedene Weise bewerkstelligt. Viele
Insekten (Schmetterlinge, Hymeno-
pteren usw.) benutzen als Steuer ihren
Hinterleib; bei den meisten Käfern
werden die Flügeldecken, die ja im
Flug seitlich gespreizt gehalten werden,
dazu verwandt, und bei den Fliegen
spielen die kleinen, die Stelle der
Hinterflügel einnehmenden Schwingkölbchen eine wichtige (allerdings noch
nicht völlig aufgeklärte) Rolle bei der Steuerung.
Was endlich die Flugleistungen der Insekten betrifft, so finden wir
auch hierin die größten Unterschiede. Auf einer Seite haben wir schlechte
Flieger, die nur eine kurze Strecke unsicher dahinflattern können, nachdem
sie vorher in die Luft gesprungen (Schnarrheuschrecken); auf der anderen
Seite dagegen brillante Flieger, die viele hundert Kilometer in kurzer Zeit
zurückzulegen vermögen. Man denke nur an die Wanderheuschrecken,
die in oft riesigen Schwärmen von Land zu Land nach Nahrung ziehen
oder an die weiten Wanderungen der Libellen. Der Oleanderschwärmer,
der südlich der Alpen beheimatet ist, ist schon in Finnland gefangen
worden, muß also eine Strecke von ca. 1200 km durchflogen haben. Bei vielen
Schmetterlingen (z. B. Spinnern) fliegen die Männchen leichter als die
Weibchen, da die letzteren durch die Eier beträchtlich beschwert sind. Wie
groß die Schnelligkeit des Insektenfluges ist, darüber wissen wir wenig;
immerhin deuten die wenigen Beobachtungen darauf hin, daß manche Insekten
hohe Schnelligkeitsziffern erreichen. Die schnellsten Flieger sind wohl die
großen Libellen, die selbst der flüchtigen Schwalbe zu entkommen vermögen
Fig. 56. Querschnitt durch den mittleren Brust-
ring einer Biene. Fbn vertikale (indirekte) Hebe-
muskeln der Vorderflügel; Flg Flügel. Nach
Zander.
Das Muskelsystem und seine Tätigkeit. 59
und danach mindestens 15 m pro Sekunde zurücklegen. Auch die Schwärmer
bringen es zu hohen Leistungen, und es ist z. B. für das Abendpfauenauge
ca. 6 m pro Sekunde festgestellt worden, während die Geschwindigkeit anderer
Insekten wieder viel geringer sein kann (so z. B. von der Stubenfliege ca.
IV2 ni pro Sekunde). Manche der guten Flieger (z, B. die Libellen, Schwärmer,
Schwebefliegen) haben die Fähigkeit, unter beschleunigtem Flügelschlag,
gleichwie die rüttelnden Raubvögel, längere Zeit in der Luft an ein und der-
selben Stelle „stehen" zu bleiben. Viele Tagfalter (z. B. Segelfalter) mit
breiten Flügeln vermögen andererseits bei eingestelltem Flügelschlag, lediglich
getragen von den ausgebreiteten Flügeln, einige Zeit dahinzuschweben, wobei
die letzteren wie Papierdrachen wirken (Hesse).
Lautäußerungen.
Viele Insekten sind imstande, dem menschlichen Ohr wahrnehmbare
Töne hervorzubringen, deren Erzeugung in letzter Instanz stets auf Muskel-
wirkung beruht. Die biologische Bedeutung dieser Laute ist verschieden: da,
wo die Lauterzeugung ausschließlich (oder wenigstens in höherem Maße) dem
männlichen Geschlecht zukommt, dienen die Töne wohl sicher zur Anlockung
der Weibchen, wo jedoch die beiden Geschlechter in gleichem Maße Töne
hervorbringen, dürfte der Zweck wohl vielfach in einer Abschreckung der
Feinde gelegen sein.
Nach der Art der Erzeugung können wir verschiedene Kategorien von
Insektenlauten unterscheiden, nämlich:
1. Klopflaute,
2. Reibungs- oder Stridulationslaute,
3. Fluglaute und
4. Trommellaute.
Die Klopflaute werden erzeugt durch Aufschlagen eines festen Körper-
teiles, meistens des Kopfes, auf eine tönende Unterlage.
Hierher gehört z. B. das Klopfen der verschiedenen Atiobium-Arien, welche
im alten Holz leben und durch Aufschlagen der Vorderkiefer auf die Wandungen
der Gänge ein tickendes Geräusch hervorbringen, welches diesen Käfern den
populären Namen „Totenuhr" eingebracht hat. Auch die weithin hörbaren
raschelnden Geräusche, welche gewisse Termiten und Ameisen bei Beunruhigung
ihrer Nester ertönen lassen, werden dadurch erzeugt, daß die Soldaten mit ihren
großen Köpfen schnell aufeinanderfolgende Zitterschläge auf die aus Holz oder
Blättern bestehende L^nterlage geben.
Die Reibungs- oder Stridulationslaute werden dadurch hervor-
gebracht, daß zwei harte Teile des Chitinpanzers gegeneinander gerieben
werden, von denen der eine gewöhnlich aus einer fein gerillten oder be-
zahnten Reibleiste besteht, während der andere eine scharfe Kante darstellt.
Indem nun die letztere über die Reibleiste (oder auch umgekehrt) hin und
her gestrichen wird, entstehen jene charakteristischen Geräusche, die wir
von den Grillen, Heuschrecken usw. kennen, und die je nach der Zahl und
Feinheit der Rillen usw. starke Verschiedenheiten aufweisen können. Bei
manchen Insekten sind auch noch besondere Resonanzapparate vorhanden,
wodurch die Töne eine wesentliche Verstärkung erfahren. Der Sitz der
Stridulationsapparate ist sehr wechselnd, je nach der Insektenart; bei den
60
Kapitel III. Der innere Bau der Insekten (Anatomie und Physiologie).
einen finden wir die Reibleisten an den Vorderflügeln, bei den anderen an
den Beinen, und wieder bei anderen an der Brust oder am Abdomen an-
gebracht usw.
Um einige Beispiele zu erwähnen, beginnen wir mit den bekanntesten
Musikanten, den Heuschrecken und Grillen. Bei den Laubheuschrecken und den
Grillen sitzen die Schrillleisten an der Basis der Flügeldecken, und wir sehen daher
diese Tiere beim Musizieren ihre Vorderflügel gegeneinander reiben (Fig. 58). „Die
Oberflügel der zirpenden Feldgrille bewegen sich in einer Sekunde 6— 8mal hin und
her, da sich aber beide Oberflügel gleichzeitig bewegen, ist die Geschwindigkeit
doppelt so groß. Es liegen also die Verhältni.sse so, als ob die Schrillkante 32 mal
in der Sekunde über die 131 — 138 Zähnchen der ruhenden Schrillader vorbeigeführt
würde; das gäbe einen Ton von 131x32 = 4192 Schwingungen, was mit der be-
obachteten Tonhöhe (c') gut stimmt" (Hesse). Zur Schallverstärkung dienen be-
stimmte „Schrillfelder" der Flügel, die durch das Reiben der Schrillleisten in
Schwingung versetzt werden. — Bei den Gras- oder Feldheuschrecken befindet
sich die Schrillleiste an der Innenseite der hinteren Oberschenkel (Fig. 57), mit denen
sie über die starke Randader der Vorderflügel schnell hin und her fahren und dadurch
dieselbe in Schwingung versetzen. Die landläufige Meinung, daß nur den männ-
lichen Heuschrecken ein Tonapparat zu
kommt und daß auch nur die Männchen
Laute hervorzubringen vermögen, ist
übrigens in dieser Allgemeinheit nicht
zutreffend; denn Petr unke witsch und
Guaita haben gezeigt, daß eine ganze
Anzahl von Heuschreckenarten auch im
weiblichen Geschlecht einen Tonapparat
besitzen, und außerdem wurde auch von
Grab er direkt beobachtet, daß gewisse
weibliche Heuschrecken, „wenn auch
nur schwache Laute" hervorbringen
können.
Auch unter den Käfern gibt es
viele, welche Reibegeräusche erzeugen
können; allerdings sind dieselben meist
viel schwächer als bei den eben ge-
nannten Orthopteren und oft nur in der
nächsten Nähe hörbar. So können die Totengräberkäfer {Necrophorus) ein Geräusch
hervorbringen, indem sie zwei geriefte Längsleisten auf dem Rücken des fünften
Hinterleibsringes gegen eine am Hinterende der Flügeldecken angebrachte Quer-
leiste reiben. Die Bockkäfer erzeugen Töne durch Reibung des Hinterrandes des
Vorderrückens auf einem unter ihm vorragenden, fein quergerieften Fortsatz des
Mittelrückens. Bei den Dungkäfern sind sogar, wie Verhoeff zeigte, zwei ver-
schiedene Stridulationsorgane vorhanden, von denen eines an der Hinterhüfte und
das andere auf den Rückenplatten des vierten bis siebenten Hinterleibsegmentes ge-
legen ist. Das letztere besteht aus zahlreichen steifen Börstchen, die an die rauhe
LTnterseite der Flügeldecken reiben, während das erstere mit einer richtigen Reib-
leiste ausgestattet ist. Übrigens vermögen auch die Larven der Dungkäfer und
deren Verwandten deutliche Geräusche zu erzeugen, und zwar durch Reibapparate,
welche am zweiten oder dritten Beinpaar oder auch an den Mundteilen ihren
Sitz haben.
Gewisse Wanzen (Reduvüden) streichen mit der besonders bewaffneten
Spitze ihres Rüssels über eine an der Vorderbrust gelegene Reibplatte, und er-
zeugen so ein Geräusch; andere Wanzen benützen als Fiedelbogen ihre Beine, und
zwar in verschiedener Weise, z. B. so, daß sie mit dem Vorderfuß der einen
Seite über die auf der Innenseite des Vorderschenkels der anderen Seite gelegene
A B
Fig. 57. Stimmorgan einer Feldheuschrecke. A
Hinterbein (von der Innenseite) mit der Reibleiste
(R); S Reibleiste, vergrößert. Nach Petrunke-
witsch u. V. Galta.
Das Muskelsystem und seine Tätigkeit.
Gl
Reibleiste dahinstreichen, oder daß sie mit den Hinterfüßen auf Reibplatten spielen,
welche hinter ihnen gelegen sind {Pachycoris) usw.
Unter den Hymenopteren sind vor allem die Ameisen mit Stridulations-
organen ausgestattet; meist handelt es sich dabei um eine geriefte Platte, die am
ersten Tergum des Hinterleibes gelegen ist und über die ein Fortsatz vom zweiten
Stielgliedchen durch Auf- und Abbewegen des Abdomens hin und her ge-
rieben wird.
Auch Schmetterlinge können Reibgeräusche hervorbringen, die am auf-
fallendsten und bekanntesten beim Totenkopf sind. Eine Menge verschiedener
Ansichten wurden über die Lauterzeugung des Totenkopfs aufgestellt, und man ist
auch heute noch nicht ganz klar darüber, wie die Geräusche entstehen. Immerhin
steht so viel fest, daß es sich um Reibgeräusche handelt, die in der Kopfregion
hervorgebracht werden. Cobelli vertritt neuerdings die Anschauung, daß die
beiden Rüsselhälften gegeneinander gerieben werden, während früher Landois an-
genommen hatte, daß das Geräusch durch Reibung einer fein gerieften Stelle der
Lippentaster gegen die Basis des Saugrüssels entsteht.
Die Fluglaute entstehen dadurch, daß durch die Flügelschläge der
fliegenden Insekten die Luft in so zahlreiche Schwingungen versetzt wird,
daß sie für uns als Ton wahrnehmbar sind. Sie sind demnach nur bei
schnellfliegenden Insekten
(mindestens 20 Flügel- j0^^^
schlage pro Sekunde) zu
beobachten, während der
Flug der langsamen Flieger
wie z. B. der Tagfalter
völlig geräuschlos ist. Die
Tonhöhe hängt ganz und
gar von der Zahl der
Flügelschläge ab, d. h. der
Ton ist um so höher, je
zahlreicher die Flügel-
schläge sind. Darum finden wir auch die höchsten Töne bei den Fliegen
und Mücken, die ja, wie oben schon erwähnt, auch die höchste Zahl der
Flügelschläge erreichen; dann kommen die Bienen und Hummeln, deren
Flugton schon weniger hoch ist, dann die Schwärmer, die mit mehr oder
minder tiefem Brummen fliegen und endlich die größeren Noctuiden (z. B.
Catocalen), deren Flugton sehr tief ist und beinahe an das Unhörbare grenzt
(Prochnow),
Die Höhe des Flugtones gestattet auf die Zahl der Flügelschläge zu schließen,
indem die letztere der bekannten Schwingungszahl des Tones gleich sein muß.
So bestimmte Landois z. B. den Flugton der Stubenfliege auf e', was 330 Flügel-
schlägen pro Sekunde entspricht. Daß die Fliege auch tatsächlich so viel Schläge
macht, wurde später durch andere Methoden bestätigt.
Neben dem eigentlichen Flugton ist häufig noch ein zweiter Ton hörbar, der
auch als „zweiter" oder „sekundärer Flugton" bezeichnet wird, und der stets
höher als der erste ist. Landois nahm an, daß dieser Ton durch Membranen er-
zeugt wird, welche in den Tracheen in der Nähe der Stigmen eingefügt sind, und
wie die Stimmbänder des menschlichen Kehlkopfes wirken, indem sie durch die
austretende Atmungsluft in Schwingung versetzt werden; man sprach daher auch
von „Respirationstönen". Nach neueren Untersuchungen scheint aber diese
Theorie nicht haltbar zu sein, sondern entsteht der zweite Ton durch Schwingungen
Fig. 58. Musizierende Grille. Nach Regeu.
62 Kapitel III. Der innere Bau der Insekten (Anatomie und Physiologie).
der Thoraxwandung, die wegen der Elastizität des Chitins schneller erfolgen als die
normalen Muskelkontraktionen resp. die Flügelschläge. Um zu einer klaren Ent-
scheidung zu kommen, sind allerdings noch eingehende Studien notwendig.
Die Trommellaute sind nur einer kleinen Gruppe von Insekten eigen,
nämlich den Singcicaden. Der Trommelapparat besteht aus zwei paarig an-
geordneten, ziemlich großen Hohlräumen, welche an der Basis des Abdomens
gelegen und von breiten plattenförmigen Fortsätzen des Metasternums bedeckt
sind. In den Hohlräumen befindet sich eine trommelfellartige, elastische
Membran, an welcher sich ein an der gegenüberliegenden festen Wand ent-
springender Muskel anheftet. Durch rasch hintereinander erfolgende Kon-
traktionen des letzteren wird die Membran in Schwingungen versetzt, wodurch
der charakteristische Cicadenton entsteht. Verstärkt wird der Ton durch den
großen, zum größten Teil mit Luft gefüllten Hinterleib, der gewissermaßen
als Resonanzapparat dient.
3. Der Darmkanal und seine Anhänge.
Verdauungs- und Exkretionsorgane.
Der Darm beginnt an der von den Mundwerkzeugen umgebenen Mund-
öffnung und geht zu der am Ende des Abdomens gelegenen Afteröffnung, je
nach seiner Länge in geradem oder mehr oder weniger gewundenem Verlauf.
Er gliedert sich stets in drei ihrer Funktion und Entstehung nach verschiedene
Abschnitte, den Vorder-, Mittel- und Enddarm. Vorder- und Enddarm
entstehen durch Einstülpung des äußeren Keimblattes (Ektoderms), während
der Mitteldarm aus dem inneren Keimblatt, dem Entoderm, hervorgeht.
Dementsprechend zeigen auch die beiden ersteren Abschnitte einen anderen
geweblichen Aufbau als der letztere, was sich vor allem darin dokumentiert,
daß Vorder- und Enddarm mit einer chitinigen Cuticula (Intima) austapeziert
sind, die dem Mitteldarm fehlt.
Im Einklang mit der großen Verschiedenheit der Nahrungsaufnahme, die
bei den Insekten herrscht, zeigt auch der Darm eine schier unerschöpfliche
Mannigfaltigkeit und zwar nicht nur bei den verschiedenen Arten, sondern
auch bei den verschiedenen Stadien ein und derselben Art.
Vorderdarm. — Naturgemäß macht sich diese Mannigfaltigkeit am
meisten am Vord erdarm geltend, da ja dieser Abschnitt von der Verschieden-
artigkeit der Nahrungsaufnahme am direktesten und unmittelbarsten betroffen
wird. — Im allgemeinen können wir an ihm folgende Teile unterscheiden:
die Mundhöhle, den Schlund oder Pharynx, die Speiseröhre (Oeso-
phagus), den Kropf und endlich den Vor- oder Kaumagen.
Die Mundhöhle stellt den vordersten Abschnitt dar, welcher von den
oben beschriebenen Mundgliedmaßen und dem Epi- und H3^popharynx be-
grenzt wird.
Der auf die Mundhöhle folgende Schlund oder Pharynx zeichnet sich
meist durch eine stark verdickte Cuticula und eine kräftige Muskulatur aus.
Letztere besteht sowohl aus Ringmuskeln, durch deren Kontraktion das
Lumen verengert wird, als auch aus solchen Muskeln, welche die Darmwand
Der Darmkanal und seine Anhänge.
63
mit der Kopf wand verbinden und durch deren Kontraktion die Schlund-
wände auseinandergezogen (dilatiert) werden. Besonders stark ist diese
Muskulatur bei den saugenden Insekten ausgebildet, wo durch die abwechselnde
Kontraktion der Ringmuskeln und der Dilatatoren eine Pump- und Saug-
wirkung erzielt wird.
Die Speiseröhre (Oesophagus) stellt gewöhnlich ein einfaches dünn-
wandiges Rohr dar, dessen Muskulatur nur schwach ausgebildet und dessen
Intima mehr oder weniger gefaltet ist.
Der Kropf ist eine Erweiterung der Speiseröhre, die sich aber von dieser
meist auch strukturell etwas unterscheidet durch stärkere Faltelung der Intima
A B
Flg. 59. Darmkanal des Gelbrandkäfers (Dytiscus marginalis L.). A Imago, B Larve. Ph Pharynx; Oe
Oesophagus; Oest Oesophagusstiel; Kr Kropf; Km Kaumagen; Md Mitteldarm; Dd Dünndai'm; Ba Rectal-
ampulle; C Coecum (Blinddarm); Mip Malpighische Gefäße. Nach Rungius.
und bisweilen auch durch kräftigere Muskulatur. Der Übergang von der
Speiseröhre zum Kropf ist entweder ein allmählicher, so daß die beiden Ab-
schnitte gar nicht scharf voneinander abzugrenzen sind oder aber der Kropf
erscheint als eine (manchmal auch paarige) Ausstülpung der Speiseröhre,
wobei er oft weit von dieser abgerückt und nur durch einen dünnen Stiel
mit ihr verbunden ist (Fig. 61, Sm).
Letzteres trifft vor allem für solche Insekten zu, welche flüssige Nahrung zu
sich nehmen, weshalb man den gestielten Kropf mit der Saugtätigkeit in Zusammen-
hang brachte und ihn fälschlicherweise auch als „Saugmagen" bezeichnete (Honig-
blase). Bei manchen Insekten ist der Kropf ungemein ausdehnungsfähig und kann
durch Anhäufung von Nahrung (oder auch AnfüUung mit Luft) so groß werden, daß
er nicht nur den größten Teil des Hinterleibes ausfüllt, sondern den letzteren auch
noch mächtig kugelförmig auftreiben kann, wie z. B. bei den Honigameisen, bei
/
64 Kapitel III. Der innere Bau der Insekten (Anatomie und Physiologie).
denen die Kröpfe einzelner Individuen als Sammeltöpfe zum Aufspeichern von
Honig für die ganze Gesellschaft benützt werden.
Der Vormagen (auch Kau-, Pumpmagen, Ventiltrichter, Gesier
genannt) ist durch die Stärke der Intima, die gewöhnlich mit zahlreichen
Zähnen, Borsten usw. besetzte Falten bildet, und durch eine sehr kräftige
Muskulatur ausgezeichnet. Die Anordnung der chitinösen Falten, Zähne,
Borsten usw. ist meist sehr regelmäßig (Fig. 60), so daß auf Querschnitten
überaus zierliche Bilder entstehen, zeigt aber je nach den Familien, Gattungen
und Arten große Verschiedenheiten, so daß man sie vielfach auch in der
Systematik verwertet hat (z. B. bei den Borkenkäfern). Bei den Käfern
herrscht die Vierzahl in der Faltenbildung vor, bei den Orthopteren die
Sechszahl, wobei gewöhnlich gleiche Falten alternieren.
Über die Funktion des Vormagens gehen die Anschauungen der
Autoren vielfach auseinander: während die einen in ihm einen Kauapparat
sehen, in dem die Nahrung zerkleinert und zerrieben wird, erblicken die
anderen in ihm einen Schling-, oder Pump-, oder
Reußenapparat, dem die Funktion zufällt, die Nahrungs-
zufuhr zum Mitteldarm zu regeln, Nahrung vom Kropf
in den Magen zu pumpen (Ameisen, Bienen), oder
ungeeignete Nahrung vom Eintritt in den Magen ab-
zuhalten usw. Wahrscheinlich bestehen alle diese
Anschauungen mehr oder weniger zu Recht, indem
die Funktion des Vormagens bei den verschiedenen
Insekten zweifellos verschieden ist. Jedenfalls ist es
nicht gerechtfertigt, wie es einige neuere Autoren ge-
tan haben, dem Vormagen eine Kaufunktion durchweg
^ .^^ ^ ^ absprechen zu wollen; denn bei manchen Insekten, wie
Flg. 60. Längsschnitt durcli -rT,-, t-.i r-i-
den Kaumagen von Dytis- z. B. bei den Borkenkäfern, Schwimmkäfern usw., fällt
cus. Nach Rungius. ihm zweifellos eine solche Funktion zu.
Auf den Vormagen folgt gewöhnlich noch ein
dünnerer Vorderdarmabschnitt, welcher die Verbindung zwischen jenem 'und
dem Mitteldarm herstellt, und entweder frei vor dem letzteren gelegen ist
(„Oesophagusstiel", Fig. 59, Oest), oder mehr oder weniger tief in den Mittel-
darm hineinragt (Rüssel, Ventilschlauch, Appendix vermiformis usw.
Fig. 62, Vtr). Das hintere Ende dieses dünnen Abschnittes oder aber auch der
ganze Abschnitt bildet zugleich einen Verschlußapparat zwischen Mittel- und
Vorderdarm (Valvula cardiaca), der verhindert, daß Nahrungsteile aus dem
ersteren in den letzteren zurücktreten können. Meist handelt es sich um
eine Ringfalte mit Ringmuskulatur; bei manchen Insekten jedoch (Bienen)
geschieht der Verschluss dadurch, daß der rüsselartig in den Mitteldarm
hineinragende, zartwandige „Ventilschlauch" beim leisesten Druck von hinten
her zusammengequetscht wird.
Im Anschluß an den Vorderdarm sind auch noch die Speichel-
drüsen zu erwähnen, die zwar, zum Teil wenigstens, morphologisch nicht
eigentlich diesem Darmabschnitt angehören, aber doch physiologisch ihm zu-
Der Darmkanal und seine Anhänge.
zurechnen sind. Speicheldrüsen kommen bei den meisten Insekten vor, und
zwar in sehr verschiedener Zahl und Ausbildung: manchmal nur in einem,
manchmal in zwei oder auch in drei Paaren. Oft sind es einfache oder
verzweigte Schläuche, die länger als der ganze Körper und daher mehrfach
gewunden sind (z. B. die Speicheldrüsen der Fliegen), oft handelt es sich
auch um kleinere oder größere Drüsenpackete, und bisweilen finden sich
auch neben den eigentlichen Drüsen noch größere Reservoire, in welchen
das Sekret angesammelt wird. Die Ausmündung erfolgt gewöhnlich an der
Basis der Mundgliedmaßen, weshalb die betreffenden Drüsen auch als
Mandibular-, Maxillar- und Labialdrüsen unterschieden werden. Die
letzteren besitzen gewöhnlich einen unpaaren Ausführungsgang (Speichel-
te
m
7i
Fig. 61. Darmkanal eines Schmetterlings. A Imago; -B Larve; Oe Ösophagus; s»n „Saugmagen" (Kropf j;
W(J Mitteldarm ; Ml-p Malpighische Gefäße; D<? Dünndarm; .B Rektum; .5p Speicheldrüse; Spi Spinndrüse.
gang), und sind nur in ihrem drüsigen Teil paarig (Fig. 62 B). Nicht selten
münden auch noch in den Schlund ein paar Drüsen, welche als Pharyn-
geal- oder Schlunddrüsen (Fig. 62A, Dr-^ bezeichnet werden und die
bei den Bienen eine Länge von zusammen 2 cm (doppelt so lang als der
ganze Bienenkörper) erreichen können.
Die Funktion der genannten Drüsen ist eine verschiedene.
Meistens stehen sie im Dienst der Verdauung; die Labialdrüsen sind bei
vielen Larven zu Spinndrüsen umgebildet, der Schlunddrüse der Bienen
kommt die Funktion der Futtersaftabscheidung zu usw.
Mittel darm. — Entsprechend der einheitlichen Funktion des Mittel-
darmes (Verdauung der zugeführten Nahrung) zeigt auch der Bau dieses
Darmabschnittes bei weitem nicht so mannigfaltige Differenzierungen als der
Voiderdarm. Er stellt ein mehr oder weniger weites Rohr von ver-
schiedener Länge dar, dessen Außenseite entweder glatt oder mit dicht
Escherich, Forstinsekten. 5
66 Kapitel III. Der innere Bau der Insekten (Anatomie und Physiologie).
stehenden Zotten oder mit einzelnen fingerförmigen Anhängen besetzt ist.
Nicht selten lassen sich verschiedene Abschnitte an ihm unterscheiden, je
nach seinem dickeren oder dünneren Umfang, oder je nachdem der eine Teil
mit längeren, der andere mit kürzeren Zotten besetzt oder ganz glatt ist usw. ;
so spricht Sedlaczek bei den Borkenkäfern von 4 Mitteldarmregionen: der
erweiterten, der engeren, der Blindschlauch- und der Divertikelregion.
Die Hauptarbeit im Mitteldarm fällt den Epithelzellen zu, welche die
verdauenden Sekrete zu liefern und auch die Resorption zu besorgen haben;
daher sind dieselben hier auch besonders gut ausgebildet, meist als hohe
Zylinderzellen. Eine chitinöse Intima fehlt, wie oben schon gesagt, dagegen
sind die freien Zellenden gewöhnlich von einem feinen „Stäbchensaum"
eingefaßt, über dessen Entstehung und Bedeutung noch keine volle Klarheit
herrscht. Auf die Zellschicht folgt nach außen eine feine Membran, die als
Basal- oder Stützmembran oder als Grenzlamelle bezeichnet wird, und
welche die Zellen zusammenhält; und endlich kommt zu äußerst eine dünne
Muskelschicht, die aus Rings- und Längsmuskeln besteht.
Die meisten Verschiedenheiten finden wir an der Zellschicht, die nicht nur
bei den verschiedenen Arten, sondern auch bei Larve und Imago deutliche Ab-
weichungen zeigen kann. Ja sogar bei der Imago selbst kann das Epithel recht
verschieden erscheinen, je nach dem jeweiligen Stand der Verdauung, denn
meistens hat die Sekretion der Verdauungssäfte eine relativ rasche Zerstörung
der Zellen zur Folge. Bei minchen Insekten wird dabei die ganze Zellschicht
von Zeit zu Zeit (alle paar Tage) im Zusammenhang abgeworfen (Hydrophilus),
bei anderen dagegen erfolgt die Zellabstoßung partiell und allmählich, geht dafür
aber ununterbrochen vor sich.
Der Ersatz für die abgestoßenen Zellen erfolgt von Gruppen junger
Zellen aus, die als Regenerations-, oder Epithelmutter- oder Crypten-
zellen, oder auch kurzweg als Crypten bezeichnet werden. Sie liegen entweder
als kleine Nester zerstreut unter dem Epithel, oder aber am Grunde jener aus-
gestülpten Zellschläuche, die außen als Zotten hervortreten.
Hinterdarm. — Der Hinterdarm, der wie der Vorderdarm eine Haut-
einstülpung darstellt und daher mit einer chitinigen Intima austapeziert ist,
läßt bei den meisten Insekten nach seiner äußeren Konfiguration zwei differente
Abschnitte unterscheiden: den Dünndarm und den Mast- oder Enddarm,
auch Rektum oder Kotblase genannt. Der Anfang des Hinterdarms ist
durch die hier entspringenden Malpighi sehen Gefäße (siehe unten) äußerlich
stets gut gekennzeichnet.
Der Dünndarm ist der längere der beiden Abschnitte und zeigt meist
einen mehr oder weniger gewundenen Verlauf. Er beginnt mit dem sog.
Pylorus (Valvula pylorica), welcher aus hohen in das Lumen vorspringenden
Falten und einer kräftigen Ringmuskulatur besteht, und welcher die Beförderung
des Darminhaltes vom Mittel- zum Enddarm regelt.
Die Pylorusregion geht allmählich in das eigentliche Dünndarmrohr über,
indem die Muskulatur dünner und die Epithelzellen merklich größer und
vielfach anders strukturiert (streifig) erscheinen. Die Intima des Dünndarms
(wie auch des Rektums) ist oftmals mit verschieden geformten Zähnen und
Borsten, die meist nach hinten gerichtet sind, besetzt.
Der Darmkanal und seine Anhänse.
67
Das Rektum (Fig. 61 u. 62, R) ist durch die starke (oft blasenförmige)
Erweiterung deutlich vom Dünndarm abgesetzt; auch im geweblichen Aufbau
unterscheidet es sich wesentlich von dem vorhergehenden Abschnitt, und zwar
vor allem durch die Reduktion der Zellschicht, die gegenüber der starken Intima
gänzlich in den Hintergrund tritt. Nur an einigen Stellen bleiben Streifen von
hohen Epithelzellen erhalten, die als Längswülste in das Lumen vorragen und
B
ä''ig. 62. Darmkanal eiaer Biene. A Imago; B Larve; Di\ Schlunddrüse ; D>\ Mandibnlardrüse :
Oi-3 Labialdriise ; Vfr Ventiltrichter; Vd Vorderdarm; Ed Enddarm. Die übrigen Bezeichnungen
wie auf den Fig. 60 u. 61. Nach Z ander.
die als Rektaldrüsen bezeichnet werden. Ihre Funktion ist noch nicht mit
Sicherheit festgestellt, vielleicht spielen sie bei der Bildung der Kotballen
eine Rolle. — Auch die Muskulatur des Rektums ist von der des Dünndarms
verschieden durch ihre wesentlich stärkere Ausbildung; sie besteht aus einer
Anzahl Längsmuskelbündeln und einer Ringsmuskulatur, die in der Afterregion
als Sphinkter wirkt. Der After ist im letzten Segment gelegen und stellt
einen schmalen Spalt dar, dessen Wände durch den Besitz zahlreicher Falten
stai-k erweiterungsfähig ist.
5*
68 Kapitel III. Der innere Bau der Insekten (Anatomie und Physiologie).
Bei manchen Insekten besitzt das Rektum eine blindsackartige Ausstülpung,
die mitunter von der halben Länge des ganzen Tieres sein kann (z. B. Dytiscuslarve).
Der Bau des Darmkanals (Länge und Differenzierung der einzelnen
Abschnitte) ist, wie oben schon betont, ungemein verschieden, je nach der
Ernährungsart und dem Bau des betr. Insekts. Im allgemeinen kann man
wohl sagen, daß der Darm bei Pflanzenfressern länger ist als bei
Fleischfressern; doch trifft dies nicht ausnahmslos zu, so ist z. B. der
Darm des pflanzenfressenden Kolbenwasserkäfers {Hydrophilus) nicht nur
nicht länger, sondern sogar (relativ) kürzer als der Darm des fleischfressenden
Gelbrandkäfers {Dytiscus). Dies kann damit erklärt werden, daß bei diesen
Fleischfressern durch die große Energie ihrer Lebenstätigkeit ein rascherer
Verbrauch der Körpersubstanzen und damit zugleich ein beträchtlicherer
Ersatz bedingt ist (Leuckart), oder daß die Art der Lebensweise es nötig
macht, daß das betr. Tier auf einmal größere Mengen verschlingt, um für
längere Zeit versorgt zu sein (Rungius).
Um einen Begriff zu geben von dem Verhältnis zwischen Darm-
länge und Nahrung, seien hier einige Beispiele von verschiedenen Käfern
(nach G o r k a) angeführt:
bei coprophagen (kotfressenden) Käfern {Geotrupes usw.) beträgt die Länge des
Darms das 5 — 8 fache der Körperlänge;
bei phytophagen (z. B. Melolontha) das 3— 7 fache;
bei succiphagen (saftleckenden) Käfern (Cerambyciden) das 2— 3 fache;
bei saprophagen (von modernden Substanzen lebenden) Käfern das 2V2' — 4 fache;
bei sarcophagen (Fleischfressern) das 1,7 — 3,2 fache und
bei necrophagen (Aasfressern) das 4 — 7 fache.
Auch das Längenverhältnis der einzelnen Darmabschnitte zu-
einander ist recht verschieden. Bei manchen Insekten ist der Mittel dann der
längste Abschnitt (z. B. bei den coprophagen Käfern, bei denen er 80 — 90 ^Jq
der gesamten Darmlänge ausmacht, dann auch bei den phytophagen Käfern usw.);
in anderen Fällen ist der Vorderdarm der längste Abschnitt (z, B. bei den
Ameisen und Verwandten) und in, wieder anderen Fällen überragt der Hinter-
darm die anderen Abschnitte wesendich an Länge, so z. B. bei den Toten-
gräbern {Necrophorus), bei denen er ca. ^,'4 des gesamten Darmkanals beträgt^
oder bei Dytiscus^ bei dem er beinahe doppelt so lang als Vorder- und
Mitteldarm zusammen ist.
Was die Differenzierung der einzelnen Darmabschnitte betrifft,
so steht diese in bezug auf ihre Mannigfaltigkeit den eben besprochenen
Verhältnissen kaum nach, was sich in dem Fehlen oder Vorhandensein von
einem Kropf, Vormagen, Rektum, Rectaldrüsen usw. kund tut.
Natürlich weichen auch Larve und Imago der gleichen Art im Bau des
Darmkanals wesentlich voneinander ab, wenn die beiden eine verschiedene
Ernährungsweise besitzen; so kann man sich kaum größere Gegensätze vor-
stellen als den Darm der von Blattsubstanz sich nährenden Raupe und dem
von Nektar lebenden Schmetterling (Fig. 61 A u. B).
Bei manchen Insekten treten starke Reduktionen am Darm röhr ein ;
so ist bei den Eintagsfliegen, die während ihres kurzen Imagolebens überhaupt
keine Nahrung zu sich nehmen, der Vorderdarm verkümmert, resp. völlig zu-
sammengepreßt, so daß er unpassierbar ist. In anderen Fällen ist der Hinter-
d a r m funktionslos geworden, indem die Verbindung zwischen ihm und dem
Der Darmkanal und seine Anhänge. 69
Alitteldarni fehlt, resp. die Valvula pylorica geschlossen bleibt (Fig. 62 B). Solche
Zustände finden wir bei den Bienen und Wespenlarven, die ja eine sehr konzen-
trierte Nahrung dargereicht erhalten, welche fast restlos verdaut wird. Erst
während der Umwandlung zur Imago wird die Verbindung zwischen den beiden
Darmabschnitten hergestellt, worauf die wenigen unverdauten Reste nach außen
entleert werden.
Über die Verdau ungs Vorgänge sind wir noch recht schlecht unter-
richtet. Nach dem wenigen, was wir bis jetzt darüber wissen, können wir
uns ungefähr folgendes Bild machen: Die Verdauung beginnt schon in der
Mundhöhle, wo durch die Sekrete der Speicheldrüsen (wie bei den Wirbel-
tieren) Stärke in Zucker verwandelt wird. Im Kropf und Vormagen setzt
sich dieser Vorgang weiter fort, und daneben beginnt bereits (bei den Fleisch-
fressern) die Verdauung des Eiweißes, d. h. die Überführung der unlöslichen
Eiweißstoffe in lösliche (Peptonisierung) ; die nötigen Fermente hierzu stammen
zweifellos aus dem Mitteldarm.
Die Untersuchung des Kropfinhaltes hei Dyiiscus durch Deegener ergab,
daß die Erweichung der Nahrung mehrere Stunden in Anspruch nimmt. Die ersten
verflüssigten Bestandteile traten hier nach ^4 — 1 Stunde in den Mitteldarm ein.
Noch 17 Stunden nach der Nahrungsaufnahme waren im Kropf einige gequollene
Fleischreste zu finden, erst nach 20 Stunden waren größere ungelöste Bestandteile
im Kropfinhalt nicht mehr wahrnehmbar.
Wo ein Kaumagen vorhanden ist, wird die Nahrung weiter zerkleinert
und zerrieben und mit dem Magensaft durchgeknetet, um dann, soweit sie
richtig vorverdaut ist, in den Mitteldarm abgepreßt zu werden.
Der Mitteldarmsaft (Ch3dus), der von den Mitteldarmzellen aus-
geschieden wird, ist nach Biedermann stark eiweiß verdauend und enthält
außerdem stärkelösende und fettzersetzende Fermente. Merkwürdigerweise
findet sich in ihm kein zelluloselösendes Mittel, so daß also nur der
Inhalt derjenigen Blattzellen verdaut werden kann, die beim Kauen an-
geschnitten und eröffnet sind, während der Verdauungssaft zu den übrigen
noch von der Zellulosemembran umschlossenen Zellen keinen Zutritt hat
(Hesse). Daher besteht denn auch der Kot der Raupen aus vielen kleinen
Blattstückchen, die, mit Ausnahme der Randzellen, meist noch gut erhalten
sind. Die aufgenommene Nahrung kann also hier nur sehr unvollkommen
ausgenutzt werden, womit sich auch der außerordentliche Futterverbrauch
der Raupen erklären läßt: frißt doch die Raupe des Kiefernspinners vom
Ei bis zur Verpuppung ca. 1000 Kiefernnadeln und die Nonnenraupe bis zu
1300 Fichtennadeln.
Im Mitteldarm findet nicht nur die Verdauung, sondern auch die
Resorption statt, so daß also die gleichen Zellen zwei recht verschiedene
Funktionen zu erfüllen haben (vielleicht hängt damit auch ihr stetiger Zerfall
zusammen).
Übrigens scheint sich der Resorptionsvorgang auch auf den Dünndarm,
wenigstens auf seinen Anfangsteil fortzusetzen, wofür jedenfalls die oft sehr
respektable Länge dieses Darmabschnittes und seine relativ großen und oft
auch besonders strukturierten Epithelzellen sprechen. Der hintere Abschnitt
des Dünndarms, wie auch das Rektum, dienen wohl lediglich zur Aufsammlung
und Ausfuhr der unverdauten Nahrungsreste.
70 Kapitel III. Der innere Bau der Insekten (Anatomie und Physiologie).
Bei einigen Insekten findet die Verdauung r e s p. V o r v e r d a u u n g
außerhalb des Körpers statt (extraintestinale Verdauung),
wie z. B. bei der Dyh'scus -Larve, deren Mandibeln, wie bereits erwähnt, mit einem
feinen Kanal versehen und zum Saugen eingerichtet sind. Diese Zangen bohrt sie
ihrem Opfer in den Leib, dann läßt sie aus der Kanalmündung einen Safttropfen
austreten, der vorab durch Giftwirkung das Opfer tötet und sodann das Fleisch
auflöst. Den Speibewegungen (durch welche Gift und Fermentsaft in die Beute
gespritzt wird) folgen regelmäßig Saugbewegungen, und nach einer Viertelstunde
ist das Opfer (etwa eine Schmeißfliege) völlig ausgesogen (Nage 1). Ganz ähn-
liche Vorgänge spielen sich auch bei der Larve der Leuchtkäfer (nach R. Vogel),
des Ameisenlöwen {Myrmeleo) und der Florfliege ab. Neuerdings stellte Jordan
auch bei einem ausgesprochen kauendem Insekt, bei unserem Goldlaufkäfer {Carabus
auratus) eine extraintestinale Verdauung fest. Wenn dieser Käfer ein Stück Fleisch
fressen will, so versenkt er den Kopf in das Fleisch, sich mit den Mandibeln den
Weg bahnend, und läßt einen braunen Saft aus dem Munde austreten, der ferment-
haltig ist und das Fleisch auflöst. So verschwindet denn letzteres zusehends, ohne
daß der Käfer ein Stück davon verschluckte, während gleichzeitig sein Hinterleib
immer mehr anschwillt. Nach Jordan dauerte die Auflösung eines Stückchen
Fleisches von 1 cm Länge und 1/2 cm Dicke 3 Stunden und 15 Minuten.
Die Malpighischen Gefäße (Harngefäße). — Die Malpighischen
Gefäße sind längere oder kürzere, meist blind endigende, dünne Schläuche,
welche an der Grenze von Mittel- und Hinterdarm entspringen. Sie entstehen
als Ausstülpungen des Hinterdarmes, sind also diesem Darmabschnitt
zuzuzählen. Ihr geweblicher Aufbau ist ein sehr einfacher: die Wand besteht
aus großen Zellen, deren Grenzen oft undeutlich und deren Kerne meist
recht unregelmäßig geformt (mitunter verzweigt) sind. Eine chitinöse Intima
fehlt oder sie ist äußerst fein und nur teilweise erhalten. Außen ist die
Zellschicht von einer feinen Grundmembran umgeben, die von einem dichten
Netz feinster Tracheenäste umsponnen wird.
Bezüglich der Zahl, Form und Farbe der Malpighischen Gefäße herrschen
die größten Verschiedenheiten: Die Farbe kann weißlich, gelblich, grünlich
oder bräunlich oder sogar dunkelrot sein. Die Form ist meist einfach
zylindrisch, doch kommen auch keulenförmige (Phora), oder mehrfach aus-
gebuchtete oder geweihartig verzweigte Gefäße (Wachsmotte) vor. Auch
bezüglich der Länge und Dicke sind große Schwankungen vorhanden. Im
allgemeinen gilt der Satz, daß die Länge umgekehrt proportional ist der Zahl
der Gefäße; d. h. wo nur wenige (4 — -6) vorhanden sind, wie z. B. bei den
Käfern und Schmetterlingen, da sind sie sehr lang; je zahlreicher aber die
Gefäße werden, desto kürzer und zugleich auch dünner werden sie, wie das
z. B. bei den Geradeflüglern oder den Bienen und Wespen, bei denen die
Zahl 100 und mehr betragen kann, deutlich zu sehen ist. Im letzteren Fall
vereinigen sich die Gefäße zuweilen büschelförmig, um mit einem gemeinsamen
Gang in den Enddarm zu münden (Grillen). Übrigens auch da, wo nur
wenige Gefäße vorhanden sind, können sich zwei oder mehrere Gefäße zu
einem gemeinsamen Mündungskanal vereinigen. Bei gewissen Insekten zeigen
die Malpighischen Gefäße untereinander deutliche Verschieden-
heiten; so haben die Borkenkäfer zwei dünnere und vier dickere Gefäße
oder es tritt ein Teil der Gefäße mit ihren Enden in eine feste Verbindung
mit dem Darm, während die anderen frei endigen usw.
Atmunesorgane.
71
Was die Funktion der Malpighischen Gefäße betrifft, so stellen sie
zweifellos in der Hauptsache Exkretionsorgane (Harnorgane) dar. Denn
in ihren Ausscheidungen läßt sich stets reichlich Harnsäure nachweisen;
außerdem sind in ihnen auch noch Kristalle von oxalsaurem Kalk und Taurin,
ferner Kugeln von Leucin und harnsaurem Natron gefunden worden.
Daneben können allerdings noch andere Funktionen ausgeübt werden; so
werden bei einigen Insekten (Neuropteren) Spinnsekrete von den Malpighischen
Gefäße ausgeschieden, und einige Autoren schreiben ihnen auch eine resorbierende
Funktion zu. An solche Doppelfunktionen könnte man am ersten da denken, wo
die Gefäße untereinander verschieden sind (siehe oben).
Die Atmungsorgane (Tracheensystem).
S t i g m e n a t m u n g .
Die Insekten atmen durch Tracheen, das sind Luftröhren oder Kanäle,
welche einerseits meist durch paarige, segmental angeordnete Öffnungen
oder Stigmen mit der Außenwelt in Verbindung
stehen, andererseits durch reich verzweigte feinste
Äste überall im Körper sich verbreiten, um alle
Organe zu umspinnen und zu allen Zellen zu
gelangen. So wird der Sauerstoff, der durch die
Stigmen eindringt, direkt und unmittelbar den Ge-
weben zugeführt und ebenso die ausgeschiedene
Kohlensäure direkt auf demselben Wege ausgeführt.
Die Insekten bedürfen also keines besonderen Trans-
portorganes zum Hin- und Hertransport von Sauer-
stoff und Kohlensäure, wie dieses z. B. bei den
Wirbeltieren der Fall ist (Blutgefäßsystem).
Der gewebliche Aufbau der Tracheen ist fast
überall der gleiche. Da die Tracheen als eine
Einstülpung der Körperwand entstehen, so
ist ihre Innenwand von einer Cuticula ausgekleidet,
welche die Fortsetzung der äußeren Chitinhaut des
Körpers darstellt. Sie zeigt eine sehr charakteristische
Struktur, an der die Tracheen stets leicht zu er-
kennen sind: nämlich eine fadenförmig, spiralig fortlaufende Verdickung, den
sog. Spiralfaden, welcher durch seine Elastizität dafür sorgt, daß die Röhre
offen gehalten wird (Fig. 63). Nur in den dünnsten Endteilen der Tracheen
und in den Luftsäcken fehlt der Spiralfaden, sonst ist er stets vorhanden.
Die Zellschicht, welche die Intima ausgeschieden hat, und welche als die
Fortsetzung des Epithels der Körperwand zu betrachten ist, besteht gewöhn-
lich aus sehr niedrigen, platten Zellen.
Die Stigmen zeigen große Verschiedenheiten bezügl. ihres Baues; schon
ihre Form ist recht verschieden und kann sowohl rund, als auch breit- oder
schmaloval sein. Noch weit mehr aber variiert ihre Struktur; so finden wir
innerhalb des stark chitinisierten Stigmenringes, welcher zur Offenhaltung
der Stigmen dient, die mannigfaltigsten aus Falten, Borsten und Haaren
bestehenden Bildungen, die den Zweck haben, das Eindringen von Staub
Fig. 63. Bau einer Trachee
(nach Hertwig). A Haupt-
stamm; B, C,D Verästelungen;
a Epithel mit Kernen (6).
72 Kapitel
Der innere Bau der Insekten (Anatomie und Physiologie).
und anderen Fremdkörpern in das Tracheens3'stem zu verhindern und also
gewissermaßen als Filter oder Reusenapparat anzusehen sind.
Innerhalb der Filterapparate liegen an den von den Stigmen ausgehenden
Tracheenstämmen gewöhnlich mehr oder weniger komplizierte Verschluß-
apparate, welche dazu dienen, die eingetretene Luft festzuhalten, so daß
dieselbe durch die Atembewegungen bis in die feinsten Verzweigungen vor-
gedrückt werden kann. Sie bestehen aus Klappen oder Zangen oder einer
mit einem Hebel versehenen, mehrteiligen Chitinspange, welche um die Trachee
gelegt ist und durch Muskelwirkung dieselbe zusammenquetscht (Fig. 64).
Was die Anordnung des Tracheensystems betrifft, so sind ursprüng-
lich 10 Paar Stigmen vorhanden, die bei den Imagines folgendermaßen verteilt
sind: Je ein Paar am Meso- und Metathorax und den ersten acht Hinterleibs-
ringen. Kopf und Prothorax sind bei den Imagines, mit wenigen Ausnahmen
(z. B. Floh), ohne Stigmen. Bei den Larven dagegen besitzt meist der
Prothorax ein Stigma, während Meso- und Metathorax frei sind.
Die Stigmen liegen
im allgemeinen in den
Intersegmentalhäuten ;
doch rücken sie häufig
des besseren Schutzes
halber dorsal- oder ven-
tralwärts in die eigent-
lichen Segmentplatten ;
so liegen die Abdominal-
stigmen bei den Käfern
meistens derart, daß sie
von den Flügeldecken
vollkommen bedeckt
werden; bei vielen
Bienen liegen sie am Vorderrand der Segmentplatten, so daß sie durch die
übergreifenden vorhergehenden Platten geschützt sind usw.
Von den Stigmen tritt gewöhnlich je ein stärkerer Tracheenstamm nach
innen, der sich nach kurzem Verlauf gabelt, um mit den vom vorhergehenden
und nachfolgenden Stigma entspringenden Gabelästen in Verbindung zu
treten. So entsteht jederseits ein geschlossener Längsstamm, der den ganzen
Körper von hinten nach vorn durchzieht. Zu diesen seitlichen Hauptiängs-
stämmen können dadurch, daß die von diesen abgehenden Aste nochmals
Längsverbindungen eingehen, noch ein oder 2 weitere Paare solcher Stämme
(1 Paar ventraler und 1 Paar dorsaler) hinzutreten, so daß der Körper also
von 3 Paar Längsstämmen durchzogen wdrd, die alle durch Querkommissuren
miteinander verbunden sind (Fig. 65). Von diesen Stämmen und Kom-
missuren gehen wieder zahlreiche Äste ab, die sich immer mehr verzweigen
und immer feiner werden, um alle Organe mit einem dichten Netz zu um-
spinnen und schließlich als Capillaren in die Gewebe einzudringen.
Nur bei den niedersten Insekten finden wir bisweilen eine andere Anordnung
des Tracheensystems, indem hier die von den Stigmen abgehenden Tracheen-
Fig. 64. Schematische Darstellung des Tracbeenversohlusses bei
einem Hirschkäfer. A der geöffnete, B der geschlossene Apparat;
St Stigma mit vorspringendem Gitterverschluß; Ct Cuticula der
Leibeswand; Vk Verschlußkegel; Vhü Verschlußbügel; Vba Verschluß-
band; M Muskel. — (N.)
Atmungsorgane.
73
Stämme mit den benachbarten nicht in Verbindung treten, sondern völlig unab-
hängig voneinander sich verästeln, um die nächstliegenden Organe zu versorgen —
ein Zustand, der zweifellos als der primitivere anzusehen ist.
Bei vielen fliegenden Insekten sind die
Tracheen stellenvi'eise zu Luftsäcken er-
weitert, deren Wände, wie schon erwähnt,
des versteifenden Spiralfadens entbehren
(Fig. 66). Bei manchen Insekten (Bienen,
Fliegen, Schmetterlingen, Maikäfer usw.) können
sie so groß und zahlreich werden, daß, wenn
sie mit Luft gefüllt, den größten Teil der
Leibeshöhle einnehmen. Da die Luftsäcke
nur den fliegenden iVrten zukommen (den
Larven fehlen sie ganz und ebenso gehen sie
auch da, wo nur ein Geschlecht flugfähig,
dem flugunfähigen Geschlecht ab), so dürfen
wir sie wohl mit dem Flugvermögen in Zu-
sammenhang bringen, und zwar wahrschein-
lich in dem Sinne, daß sie als Sauerstoff-
reservoir während des Fluges, während dem
die Atembewegung stark gehindert ist, dienen.
Die lange geltende Anschauung, daß durch
die Füllung der Säcke mit Luft das spezifische
Gewicht des Körpers gegenüber der Luft ver-
ringert werde, ist heute gänzlich aufgegeben.
Die 10 stigmige Anordnung erleidet
mancherlei Modifikationen, was hauptsächlich
in einer Reduktion der Stigmenzahl sich
Fig. 65 Schematische Darstellung des
Tracheensystems der Küchenschabe
(Periplmieta). Sh' Stigmen; T/ seitlicher,
Tv ventraler, Tä dorsaler Längsstamm.
Nach Hatschek.
Sf/ Sn Tri TrK St 4:- 10
Fig. 66. Schematische Darstellung des Tracheensystems einer weiblichen Feldheuschrecke nach
Emerton und Packard. JT Kopf ; B Brust mit ihren 3 Segmenten /—///; H Hinterleib mit seinen
10 Segmenten i—iO; St die Stigmen; TvB die Tracheenblasen; Tri der äußere linke bauchständige
Tracheenhauptstamm ; Trll der linke rüi^kenständige Tracheenhauptstamm; TrIII der liuke innere
bauchstandige Tracheenhauptstamm Die entsprechenden rechten Stämme fehlen in dieser einseitigen
Darstellung. — (N.)
kund tut. Dieselbe kann so weit gehen, daß nur noch 2 Paare Stigmen (1 am
Thorax und 1 am Ende des Hinterleibes] bestehen bleiben (amphipneustischer
Typus) (Fig. 67), oder gar nur noch ein Paar, das entweder am Vorderende
(propneustisch) oder am Hinterende des Körpers (metapneustisch) gelegen sein
74 Kapitel II. Der innere Bau der Insekten (Anatomie und Physiologie).
kann. Derartig weitgehende Reduktionen finden sich hauptsächlich bei
Larven, welche im Wasser oder einem anderen für die Stigmenatmung un-
geeigneten Medium leben, wie z. B. die Larven
von Wasserkäfern, die Larve der Schlamm-
fliege, die Culex- oder Itpula-Larven, die
Larven der parasitisch lebenden Raupenfliegen
(Tachinidcn) usw. Bei manchen Larven und
Puppen sitzen die Stigmen auf langen Röhren,
mit deren Hilfe sie Luft von der Oberfläche
des Wassers her beziehen können, ohne sich
selbst an die Oberfläche begeben zu müssen,
wie z. B. bei gewissen Tipuliden (Fig. 68)
oder die als „Rattenschwanzlarve" bekannte
Larve der Schlammfliege, oder bei den frei-
beweglichen Puppen der Stechmücken, bei
denen die Atemröhi en am Vorderende des
Thorax sitzen („Hörnchen"). Um das Hängen
an der Oberfläche zu ermöglichen, sind die
Flg. 67. Amphipneustische Fliegenlarve
nach Lang), vs vorderes, hs hinteres
Stigmenpaar.
Fig. 68. Larve von Ptychoptera contaminata L. mach
Brauer), a Atemröhre. — (N.)
Flg.
Larve und Puppe einer Stechmücke. Beide atmen durch Atemröhren, die bei der Larve vom
Hinterende, bei der Puppe vom Thorax abgehen.
Stigmen oft mit Borstenkränzen usw. umgeben, die als Schvvebeapparate
dienen (Fig. 69).
Die rückgebildeten Stigmen lassen sich meist noch deutlich erkennen, be-
sonders an dem soliden Zellstrang, der von der Stelle, an der später (in der Imago)
das Stigma zum Durchbruch kommt, zu dem Tracheenlängsstrang zieht, und der
dem vom Stigma ausgehenden Tracheenstamm entspricht.
Atmungsorgane. 75
Die Stigmenreduktion betrifft übrigens durcliaus nicht alle im Wasser
lebende Insektenformen; so haben die Imagines der Wasserinsekten
meist die volle Stigmenzahl. Natürlich müssen diese zum Luft holen stets an
die Oberfläche heraufkommen; doch haben sich vielfach Vorrichtungen
herausgebildet, die ein längeres Verbleiben im Wasser ermöglichen; der
Kolbenwasserkäfer nimmt einen größeren Luftvorrat in seinem die Bauch-
seite bedeckenden Haarkleid mit; der Gelbrandkäfer {Dytiscus) saugt so
reichliche Luft in den unter den gewölbten Flügeldecken gelegenen Hohlraum
ein, daß er ca. 8 Minuten unter Wasser bleiben kann, usw.
Die Bewegung der Luft in den Tracheen wird durch abwechselnde Zu-
sammenziehung und Erweiterung des Körpers, vor allem des Hinterleibes
bewirkt (Atembewegung). Das Zusammenziehen geschieht durch Muskel-
tätigkeit, während die Ausdehnung größtenteils auf der Elastizität des Chitin-
skeletts beruht. Die Erweiterung des Körpers hat natürlich auch eine Er-
weiterung der Tracheen zur Folge und diese bewirkt ein Einströmen von
Luft (Einatmung). Die Verengerung kann eine zweifache Wirkung haben:
bei geschlossenem Verschlußapparat wird die Luft aus den Hauptstämmen
weiter in den Körper hineingepreßt bis in die feinsten Gefäße; bei offenem
Verschlußapparat dagegen wird die Luft nach außen geschafft (Ausatmung).
Die Zahl der Atembewegungen wechselt je nach der Art des Insekts und
den jeweiligen Lebensbetätigungen. Der Hirschkäfer und Wolfmilchschwärmer
z. B. machen ca. 20 — 25, eine Libelle 30 — 35, das große grüne Heupferd
{Locusta) 50 — 55 Ein- und Ausatmungen in der Minute. Bei den fliegenden
Insekten kann man oft eine Vermehrung der Atembewegungen vor dem Ab-
fliegen bemerken (die z. B. beim Maikäfer als „Zählen" bekannt ist), was
zweifellos mit der Füllung der oben erwähnten Luftsäcke (Einnahme von
Sauerstoffvorrat für die Luftreise) zusammenhängt.
Das Sauerstoffbedürfnis der Insekten ist vielfach ein sehr großes, was
in Anbetracht der regen Lebenstätigkeit nicht zu verwundern ist. Es über-
trifft zweifellos das aller anderen Wirbellosen und auch der Fische und
kommt wohl dem der Amphibien mindestens gleich. Ja, es soll sogar der
Sauerstoffverbrauch des Maikäfers etwa dem des Hundes gleich sein (natür-
lich relativ!) und der des fleischfressenden Schwimmkäfers oder gar der
Bienen noch weit größer.
Das Atembedürfnis der Bienen scheint besonders groß zu sein, worüber
Zander (nach P a r h o n) folgende Zahlen angibt: Bei 20 0 q verbraucht pro
1 kg Körpergewicht in jeder Stunde:
ein Hund 911 ccm Sauerstoff,
„ Mensch 233 „
„ Frosch 70 „
In derselben Zeit gibt
ein Hund 674 ccm Kohlensäure,
„ Mensch 16K „
„ Frosch 57 „ „ ab.
Dagegen bedarf 1 kg Bienen bei 20" C.
im Frühling 29774 ccm Sauerstoff,
„ Sommer 17336 „
„ Herbst 24795 „
„ Winter 22549 „
und gibt auch annähernd die gleichen Mengen Kohlensäure ab.
76 Kapitel
Der innere Bau der Insekten (Anatomie und Physiologie).
Die Bienen veratnien also (je nach der Jahreszeit) 20 — 250 mal mehr Sauer-
stoff und Kohlensäure als die genannten Tiere.
Solche Vergleiche sind allerdings, worauf Hesse hinweist, nicht allzu
wörtlich zu nehmen; im allgemeinen haben bei gleicher Lebhaftigkeit kleinere Tiere
einen regeren Stoffwechsel als größere und es sollten daher nur Tiere von gleicher
Größe verglichen werden. ,, Immerhin läßt sich aus jenen Angaben entnehmen,
daß die Atmung der Insekten eine relativ sehr intensive ist."
Hautatmung (Tracheen- und Blutkiemen).
Die oben beschriebenen Anpassungen der Stigmenatmung an das
Wasserleben sind alle mehr oder weniger unvollkommen, indem die
betreffenden Tiere zum Luftholen stets an die Oberfläche sich begeben und
wenigstens in der Nähe der Oberfläche sich aufhalten müssen. Von einer
vollkommenen Anpassung können wir erst da reden, wo die Tiere in den
Stand gesetzt sind, den Sauerstoff dem Wasser selbst zu entnehmen, wie es
die Krebse, Fische und Amphibienlarven usw. mit
ihren Blutkiemen zu tun vermögen.
Bei zahlreichen wasserlebenden Insektenlarven
sind derartige Einrichtungen voi"handen, und zwar
in den sog. „Tracheenkiemen" (auch Pseudo-
branchien genannt). Dieselben stimmen mit den
echten Kiemen darin überein, daß es sich um sehr
zartwandige Hautausstülpungen handelt, unterscheiden
sich aber von jenen dadurch wesentlich, daß sie an
Stelle des Blutkapillarnetzes (welches die echten
Kiemen auszeichnet) ein Tracheenkapillarnetz in
sich bergen (Fig. 70). Der Sauerstoff, der auf
osmotischem Wege die Haut der Kiemen passiert,
gelangt also direkt in die Luftgefäße und von da
zu den Geweben; ebenso tritt die Kohlensäure
direkt aus den Tracheenkapillaren durch die Kiemen-
haut nach außen. Die Stigmen fehlen in allen
diesen Fällen, so daß das Tracheensystem also vollkommen geschlossen ist.
Die Tracheenkiemen sind sehr verbreitet und kommen den Larven der
Ephemeriden (Eintagsfliegen), Libellen, Perliden, Trichopteren (Köcherfliegen)
zu; ferner auch einigen Schmetterlingsraupen [Paraponix), Käferlarven ((S^j'r?;7MS,
Hydrochares, Pelobius, Hydrobius usw.), Fliegenlarven usw.
Auch bei den Imagines finden sich zuweilen Tracheenkiemen (z. B. bei
Perla); doch gehören diese Fälle zu den Ausnahmen.
Die Form und Lage der Tracheenkiemen ist ungemein wechselnd
(Fig. 71): bald treten sie uns in Form von runden und lanzettförmigen Blättchen
mit einfachen oder gefiederten Rändern, und bald in Form von schlauchförmigen
Anhängen, einfachen und verästelten und gegliederten, einzelnstehend oder
zu Büscheln vereinigt, entgegen. Bald sitzen sie paarweise an den ersten
6 — 7 Hinterleibssegmenten, an der Seite oder am Rücken und am Bauch,
bald an der Brust, an der Basis der Extremitäten usw. Bei manchen Libellen-
larven {Agrion) erscheinen sie als drei lange Anhänge am letzten Hinterleibs-
ring; bei anderen {Libellula, Aeschna) sind die Tracheenkiemen in den End-
Fig. 70. Tracbeenkiemen der
Larve von Baetis binoculatus L.
nach Palmen. a Kiemen-
blätter; ?/ Tracheenlängsstamm ;
c Stämme, welche die Kiemen-
blätter versorgen; e Darm (N.)
Kreislauforgane.
77
darin verlagert, wo sie in dessen Lumen als Hautfalten (4—12) hineinragen
(wahrscheinlich aus den „Rektaldrüsen" hervorgegangen).
Wie bei den Blutkiemen, so ist auch bei den Tracheenkiemen eine
ständige Erneuerung des Atemwassers notwendig. Diese geschieht ent-
weder durch die Fortbewegung des betr. Tieres, oder dadurch, daß sie durch
Teilbewegungen des Körpers, die vielfach in Bewegungen der Tracheen-
kiemen selbst bestehen, einen Wasserstrom erzeugen. Die Libellenlarven
mit rektalen Tracheenkiemen versorgen die letzteren in der Weise mit neuem
Wasser, daß sie von Zeit zu Zeit Wasser in den Enddarm einsaugen und
es wieder ausstoßen, was so heftig geschehen kann, daß sie durch den Rück-
stoß nach vorne getrieben werden.
A B
Fig. 71. Verschiedene Formen von Tracheenkiemen. A SjaZWen-Larve ; ß .EpÄemeWcfew-Larve; C Libellen-
larve. Tk Tracheenkiemen. (Nach B erlese).
Außer der Atmung durch Stigmen und Tracheenkiemen kommen auch noch
andere Atmungsarten bei Insekten vor. So besitzen einige Mückenlarven {Chiro-
«ow«s) richtige Blutkiemen, d. h. Hautausstülpungen, die mit Blut gefüllt
sind. Über die Atmung der parasitisch lebenden Larven sind wir noch nicht
überall genügend unterrichtet; Ratzeburg hält die Endblase, die man bei vielen
parasitischen Hymenopteren findet, für ein Atmungsorgan. Eingehendere Unter-
suchungen in dieser Richtung wären sehr wünschenswert.
Die Kreislauforgane.
Die Kreislauforgane der Insekten bestehen in der Hauptsache aus
einem propulsatorischen Apparat (Herz), welcher für die Bewegung
der Blutflüssigkeit sorgt. Derselbe stellt einen Schlauch dar, welcher den
Körper von hinten nach vorne dicht unter der Rücken decke durchzieht
und deshalb auch als Rückengefäß bezeichnet wird. Sein hinteres Ende,
das meist im vorletzten Segment liegt, ist stets geschlossen, sein vorderes, in
die Brust- oder Kopfregion reichendes Ende dagegen mündet offen in die
Leibeshöhle (Fig. 72),
78 Kapitel III. Der innere Bau der Insekten (Anatomie und Physiologie).
Meist lassen sich zwei Abschnitte an dem Rückengefäß unterscheiden,
von denen der hintere breitere und deutlich segmentierte das eigentliche
Herz darstellt, während der vordere schmälere und unsegmentierte als aus-
leitendes Gefäß funktioniert und daher auch
als Aorta bezeichnet wird. Letztere ist ver-
schieden lang, manchmal viel länger als das
Herz, mehrere Windungen und Schlingen
bildend (z. B. bei der Biene), manchmal aber
auch kürzer und dann gerade verlaufend.
Der hintere Abschnitt (das eigentliche
Herz) ist in eine Anzahl (bis 9) Kammern ein-
geteilt, die durch Klappenventile miteinander
in Verbindung stehen. Außerdem ist jede
Kammer mit einem Paar Spaltöffnungen ver-
sehen, die seitlich gelegen und ebenfalls mit
nach innen vorspringenden Klappen versehen
sind. Die zarten Wandungen des Herz-
schlauches enthalten eine aus glatten Muskeln
bestehende Ringsmuskulatur, durch deren
Kontraktion der Schlauch zusammengedrückt
wird. Außerdem gehen vom Herzschlauch
zu den benachbarten Geweben, vor allem zu
An.
Fig. 72. Schematische Darstellung des
Rückengefäßes. Hintere Hälfte das
eigentliche Herz (propulsatorischer
Apparat), vordere Hälfte die Aorta.
Das Herz ist in eine Anzahl Kammern
eingeteilt, die durch Klappenventile
(Klv) miteinander in Verbindung stehen.
Jede Kammer ist mit einer Spalt-
öifnung iS^) versehen, diu-ch die das
Blut in das Herz zurücküießt. Unter
dem Herzschlauch das aus den Flügel-
muskeln (Flm) bestehende Septum.
Unter Anlehnung an eine Figur
Zanders.
Fig. 73. Querschnitt durch das Rückengefäß einer Ameise.
HHerz; Rm radiäre Muskeln (Dilatatoren) ; Jfe Fettzellen;
Oe Oenocyten; Fz Pericardialzellen; Mm Flügelmuskel;
D Darm. Die punktierte Linie unter den Flügelmuskeln
zeigt die Lage des Septums bei kontrahierten Muskeln an.
Nach Jan et aus Wheeler.
dem darunter liegenden Zwerchfell und zu der Rückendecke noch einzelne
radiäre Muskelfasern, welche den Herzschlauch in seiner Lage erhalten und
außerdem als Dilatatoren wirken (Fig. 73, Rtn).
Der so gestaltete Herzschlauch allein genügt aber nicht, das Blut durch
die ganze Leibeshöhle zu drücken und dann von da auch wieder anzusaugen.
Dazu sind noch Hilfsapparate notwendig, von denen das dorsale Zwerch-
Kreislauforsane.
79
feil die Hauptrolle spielt. Es ist dies ein Septum, welches, von den Seiten
der Rückenplatten ausgehend, dicht unter dem Herzschlauch ausgespannt ist,
und so einen schmalen Rückenraum, in welchem das Herz liegt, von der
übrigen Leibeshöhle abtrennt. Mit dem Herzschlauch selbst ist es, wie eben
erwähnt, nur lose durch feine Radiärfasern verbunden. Das Septum besteht
in der Hauptsache aus fächerförmig von außen nach innen sich ver-
breiternden Muskeln, welche „Flügeln gleichen, die am Herzschlauch hängen"
und deshalb auch als „Flügelmuskel" bezeichnet werden. In ihnen be-
finden sich eine Anzahl Spalten, die mit den Spaltöffnungen des Herz-
schlauches ungefähr korrespondieren. Im Ruhezustand der Flügelmuskeln ist
das Zwerchfell stark dorsalwärts gekrümmt und infolgedessen der Rücken-
raum beträchtlich eingeengt. Bei der Kontraktion der Muskeln dagegen wird
es herab (ventralwärts) gezogen, wodurch der Rückenraum und zugleich auch
der Herzschlauch erweitert und der darunter gelegene Teil der Leibeshöhle ver-
engert wird (Fig. 73) ; was zur Folge hat, dass die hier befindliche Flüssigkeit
nach dem Rücken gepreßt wird. Außer dem dorsalen Zwerchfell existiert noch
ein ventrales Zwerchfell, welches, von den Seiten der Bauchplatten aus-
:r~XTr\
Fig. 74. Schematische Darstelhing des Blutkreislaiifes eines Insekts. Vs ventrales, Ds dorsales Septum.
(Unter Anlehnung an Zander.)
gehend, über das Bauchmark hinweg durch die Leibeshöhle zieht, und einen
ventralen Raum, in dem das Bauchmark liegt (Ventral sinus), von dem
darüber gelegenen Teil der Leibeshöhle abtrennt.
Wenn wir nun den aus dem Zusammenwirken dieser Organe resul-
tierenden Blutkreislauf verfolgen wollen, so beginnen wir am besten mit
der S3'stole (Kontraktion) des Herzens (Fig. 74). Diese betrifft nicht gleich-
zeitig den ganzen Herzschlauch, sondern beginnt an der letzten Kammer und
schreitet von da von einer Kammer zur anderen nach vorne zu fort, und
preßt so das im Herzschlauch befindliche Blut nach vorne, zunächst in die
Aorta und von da in die Leibeshöhle. Ein Rückfließen des Blutes von einer
vorderen Kammer in eine hintere wird durch die Kammerventile verhindert,
ebenso wie die Klappen der seitlichen Spaltöffnungen, die sich durch den
Flüssigkeitsdruck schließen, ein Entweichen der Flüssigkeit nach der Seite
unmöglich machen. Das aus der Aorta herausgedrückte Blut gelangt zunächst
in den Kopf und seine Extremitäten, dann in die Brust, um von da aber nicht
gleich in den Hauptraum der Hinterleibshöhle zu strömen, sondern zuerst unter
dem ventralen Zwerchfell, das Bauchmark umspülend, nach hinten zu fliessen
und erst dann in die Bauchhöhle zu treten. Nachdem es hier den Darm, die
yO Kapitel III. Der innere Bau der Insekten (Anatomie und Physiologie).
Malpighischen Gefäße, die Geschlechtsorgane umspült, wird es durch den
Druck des dorsalen Zwerchfelles nach dem Rücken gepreßt, gelangt durch
die Spalten jenes in den Rückenraum, und wird von da in den gleichzeitig
erweiterten Herzschlauch (durch die seitlichen Spaltöffnungen) eingesaugt.
So wechseln also Kontraktion des Herzens (Systole) einerseits, Kontraktion
der Flügelmuskeln und Erweiterung des Herzens (Diastole) andererseits in
rhytmischer Weise miteinander ab.
Die Zahl der Herzschläge ist sehr verschieden, je nach der Lebhaftigkeit
der Art und nach der jeweiligen Tätigkeit. Ein ruhender Schwärmer z. B. hat
40 — 50 Schläge in der Minute, unmittelbar nach dem Fluge dagegen bis 140. Nach
Newport zeigen auch die verschiedenen Entwicklungsstadien große Unter-
schiede, so zählte er im ersten Raupenstadium von Sphtnx ligiistri 82 Schläge pro
Minute, im zweiten 89, im dritten 63, im vierten 45, im letzten nur 39, und bei der
Puppe gar nur 29. Im Winterschlaf ist natürlich die Herztätigkeit noch weit mehr
herabgesetzt.
Das Blut der Insekten ist meist eine farblose oder schwach gelbliche,
grünliche oder bräunliche Flüssigkeit, in der mehr oder weniger zahlreiche
Zellen (Blutkörperchen) schwimmen. Letz-
tere treten im Gegensatz zu den Blut-
körperchen der höheren Tiere nur in einer
Form auf, welche mit einem großen Kern
\^ ausgestattet und amoeboid beweglich sind
)^^- ,,«^ und somit etwa den weißen Blutkörperchen
^^ ^<^^ der höheren Tiere entsprechen (Fig. 75).
gl^ Steche stellte neuerdings fest, daß die Farbe
^P des Blutes in den beiden Geschlech-
tern gelegentlich verschieden ist, was
Fig. 75. Blutkörperchen aus dem Blut der vor allem bei den Raupen der Schmetter-
Nonnenraupe. linge in Erscheinung tritt. Bei den meisten
der untersuchten Raupen erschien die Blut-
flüssigkeit im männlichen Geschlecht wasser-
klar und farblos, im weiblichen dagegen von leuchtend grüner Farbe. Letztere rührt,
wie die chemische Untersuchung lehrte, von Chlorophyllderivaten her; es liegt
deshalb der Schluß nahe, daß im weiblichen Organismus das Chlorophyll in wenig
modifizierter Form in die Blutbahnen gelangt, während es beim Männchen ab-
gebaut wird. Und das deutet darauf hin, daß die Darmzellen im weiblichen Ge-
schlecht anders organisiert sind als im männlichen, indem jene das Chlorophyll in
ziemlich unveränderter Form durchgehen lassen, diese aber nicht. Das heißt aber
nichts geringeres, als daß bei den Insekten nicht nur die Sexual-
organe, sondern alle Körperzellen von vornherein sexuell
differenziert sind.
Die abweichende Beschaffenheit des Insektenblutes von dem der
höheren Tiere erklärt sich ohne weiteres daraus, daß beim Insektenblut die
respiratorische Funktion (Transport von Sauerstoff und Kohlensäure) in Weg-
fall kommt, da ja, wie wir oben gehört haben, bei den Insekten der Sauer-
stoff durch die Luftröhren direkt zu den Geweben hingebracht wird. Und
so bleiben also für das Insektenblut nur die zwei anderen Aufgaben
des Wirbeltierblutes übrig, nämlich:
L die verdauten Nahrungsstoffe vom Darm aufzunehmen und sie den
Geweben zuzuführen, und
Temperatur der Insekten. 81
2. die unbrauchbaren Stoffwechselprodukte nach außen zu
schaffen, resp. den Exkretionsorganen (Malpighischen Gefäßen) zuzu-
bringen und so den Körper von diesen Schlacken zu reinigen.
Temperatur der Insekten.
Über die Eigenwärme der Insekten hatten die früheren Untersuchungen
vielfach widersprechende Resultate ergeben, welche wohl zumeist auf die
Mangelhaftigkeit der Untersuchungsmethoden zurückgeführt werden müssen.
Erst durch Bachmetjews im letzten Jahrzehnt angestellte Untersuchungen
sind uns einwandfreie Daten geliefert worden.
Bachmetjew wandte, um möglichst genaue Werte zu erhalten, die
in der Physiologie schon länger gebräuchlichen thermoelektrischen Temperatur-
messungen an. Es wurde eine thermoelektrische Nadel aus Stahl und Manganin
in den Thorax des zu untersuchenden Insektes unter Beobachtung gewisser
Vorsichtsmaßregeln eingestochen. Die zweite Lötstelle befindet sich in einem
Paraffinbad, dessen Temperatur gemessen wird. Die Ableitung erfolgt zu einem
W i e d e m a n n sehen Galvanometer, dessen Empfindlichkeit noch 0,001 " zu
messen gestattet.
Nach Bachmetjews Untersuchungen variiert die Temperatur der Insekten
innerhalb sehr weiter Grenzen, ohne scheinbar schädliche Folgen für
das Leben nach sich zu ziehen. Die Eigentemperatur der in Ruhe
befindlichen Insekten ist gleich der Temperatur der umgebenden
Luft oder nur ganz unbedeutend höher. Es sind demnach die Insekten
den „wechselwarmen" oder „poikilothermen" Organismen zuzuzählen.
Die Anpassung der Eigentemperatur an die der umgebenden Luft erfolgt
aber nur innerhalb gewisser Grenzen und wird sehr wesentlich von äußeren
Faktoren, vor allem Feuchtigkeit, beeinflußt. Versuche an Deilephila
euphorbiae bei gewöhnlicher Luftfeuchtigkeit ergaben, daß die Temperatur
des Schmetterlings mit der Zunahme der Lufttemperatur zuerst iminer mehr
und mehr hinter der letzteren zurückbleibt und kurz vor der partiellen
Lähmung der Flügelmuskel (siehe unten) der Lufttemperatur sich wieder zu
nähern beginnt. Beim Tode sind die Temperaturen der Luft und des
Schmetterlings einander gleich.
Ist die umgebende Luft sehr feucht, dann besitzt der Schmetterling immer
eine höhere Temperatur als die umgebende Luft, wobei mit der Steigerung
der Lufttemperatur die Differenz zunimmt. Daraus geht hervor, daß die
Eigentemperatur des Schmetterlings von der Luftfeuchtigkeit genau
so beeinflußt wird wie die der Warmblüter. Andererseits zeigte sich
bei niedriger Luftfeuchtigkeit die Temperatur der Insekten geringer als die
der umgebenden Luft, was zweifellos mit der raschen Verdunstung der Körper-
säfte zusammenhängt, wobei die durch die Tracheen zirkulierende Luft sich
rasch mit dem Wasserdampf beladet und schnell entführt wird, während minder
gesättigte immer wieder an ihre Stelle tritt.
Nicht minder wichtig für die Höhe der Eigentemperatur der Insekten ist
die Körperbewegung, indem die Temperatur bei intensiver Muskeltätigkeit
steigt und mit dem Aufhören der Muskelarbeit sofort wieder fällt. Genauere
Untersuchungen über den Einfluß der Körperbewegung stellte Bachmetjew
Escherich, Forstinsekten. 6
82 Kapitel III. Der innere Bau der Insekten (Anatomie und Ph^^siologie).
an Sphinx pinastri an mit dem Ergebnis, daß der Schmetterling durch
Summen (sehr schnelle Flügelschläge) seine Eigentemperatur wesentlich
erhöht (um 10° und mehr), wogegen durch bloßes Flattern keine Temperatur-
erhöhung eintrat. Wenn eine gewisse Erhöhung der Eigentemperatur ein-
getreten war (36*'), hörte der Schmetterling sofort mit dem Summen auf
und vertauschte es mit Flattern, oder verfiel auch gar in Ruhe, was nach
Bachmetjews auf eine plötzliche Verminderung der Muskelkraft unter dem
Einfluß der Temperatursteigerung („partielle Muskelparal3^sation") hinweist.
Bemerkenswert ist auch die Beobachtung, daß der Schmetterling bei einer
desto höheren Temperatur zu summen aufhört, je höher die Temperatur der
umgebenden Luft ist; so brachte z. B. Deilephila elpenor seine Eigentemperatur
durch Summen bei einer Lufttemperatur von 19,2° auf 34,8°, bei einer Luft-
temperatur von 28,5° auf 37,0° und bei einer Lufttemperatur von 29 — 34°
gar bis auf 42,1°. Es finden also zweifellos Anpassungen an die höheren
Temperaturen statt.
Von großem Einfluß auf den Eintritt der Muskelparalysation (Wärme-
starre) ist auch der Feuchtigkeitsgehalt der Luft, und zwar in der Weise, daß
die Lähmung um so eher eintritt, je trockener die Luft ist. Dies
erklärt sich ohne weiteres daraus, daß trockene Luft eine starke Verdunstung
bewirkt, wodurch wiederum der Wasserreichtum der Gewebe abnimmt.
Über die optimale Temperatur sind noch wenig genaue Angaben
vorhanden, doch scheint daraus hervorzugehen, daß das Optimum sowohl
für die Bewegung des Protoplasmas in den Zellen als auch für die vitalen
Funktionen der Insekten bei ca. 26° liegt.
Wenn wir uns vom Temperaturoptimum entfernen, sowohl nach oben
als nach unten (oder auf der nebenstehenden Kurve nach rechts oder links),
so tritt nach gewissen Temperaturen (über- resp. unteroptimale Zone) zunächst
eine vorübergehende Wärme- resp. Kältestarre ein, die bei noch höheren
resp. tieferen Temperaturen in die permanente Wärme- oder Kältestarre
übergeht, wobei der Tod der Insekten stattfindet.
Wärmestarre, Wärmetod. — Die vorübergehende Wärmestarre
tritt je nach den äußeren Umständen bei recht verschiedenen Temperaturen ein;
schwankte sie doch in dem oben mitgeteilten Beispiel von Deilephila elpenor
zwischen 28,8° und 42,1°, je nachdem die Lufttemperatur 19° oder 30° betrug.
Die permanente Wärmestarre scheint im allgemeinen bei 46° zu liegen.
Doch wurden bei manchen Insekten weit niedrigere Temperaturen beobachtet,
so bei Phylloperiha horticola ca. 43°, bei Dytiscus marginalis ca. 40°, bei
Blatta Orientalis gar nur 33°. Andererseits gibt es auch Insekten, welche
wesentlich höhere Temperaturen ertragen können; so wurde für Ameisen 49"
und für Schildläuse nicht weniger als 54 ° — 55 ° als oberste Temperaturgrenze
festgestellt. Übrigens hängt das vitale Temperaturmaximum sehr viel von
der Zeit ab, während welcher das betreffende Insekt die hohen Temperaturen
auszuhalten hat. So blieben bei den Versuchen von Reh die Schildläuse
bei einer Temperatur von 54° noch 40 Minuten am Leben, während sie bei
55° schon nach 22 Minuten abstarben.
Temperatur der Insekten.
83
Außerdem spielen bei der Einwirkung erhöhter Temperaturen noch
folgende Faktoren eine nicht zu unterschätzende Rolle:
a) Der Stoffwechsel: Ist die Temperatur der Luft erhöht, so steigt
die Pulsation und die Atmung des Insektes, folglich verbraucht es von seinem
Körper mehr Material, welches in Form von Kohlensäure und Wasser ent-
weicht, als bei gewöhnlicher Temperatur. Das Insekt stirbt in diesem Falle
nicht infolge der erhöhten Temperatur, sondern an Erschöpfung, besonders
wenn es keine Nahrung einnimmt.
b) Die Feuchtigkeit: Ist die Luftfeuchtigkeit gering, oder die Luft
gar trocken, so verdampft das Wasser der Insektensäfte viel stärker als sonst,
und das Insekt stirbt wiederum nicht direkt wegen der erhöhten Temperatur,
sondern infolge der Austrocknung.
Verhalten der Insekten gegen hohe und niedere Temperaturen (nach Bachmetjew).
c) Die Wärmeleitungsfähigkeit des Insektenkörpers: Kleine Diffe-
renzen an der Behaarung, an der Beschaffenheit der Oberfläche usw. des
Insektes einer und derselben Spezies können offenbar auf die Größe des
vitalen Temperaturmaximums einen gewissen Einfluß haben. Die Folge davon
wird sein, daß unter sonst gleichen Umständen ein Exemplar derselben Spezies
stirbt und ein anderes noch am Leben bleibt.
d) Die Größe: Dieselbe Rolle wie unter c.
e) Der Säftekoeffizient: Unter sonst gleichen Umständen wird das-
jenige Exemplar einer Spezies früher sterben, welches mehr Wasser in seinen
Säften enthält, d. h. bei welchem die Säfte w^ässeriger sind. Denn das Eiweiß
gerinnt bei um so höheren Temperaturgraden, je wasserärmer es ist; somit
ist die Gerinnungsfähigkeit der Insektensäfte, welche ja Eiweiß enthalten, von
ihrem Wassergehalte abhängig.
Zieht man alle diese Umstände in Betracht, so stellt sich heraus, daß,
wenn bei erhöhten Temperaturen das Insekt 1. nicht erschöpft wäre, d. h.
6*
84 Kapitel III. Der innere Bau der Insekten (Anatomie und Physiologie).
künstlich gefüttert wäre, 2. nicht austrocknete, d. h. in entsprechender feuchter
Luft sich befinden würde, 3. gleiche Wärmeleitungsfähigkeit und gleiche
Größe seines Körpers für eine gegebene Spezies hätte, sein Leben nur
davon abhängen würde, ob seine Säfte resp. das Eiweiß des Körpers bei der
gegebenen Temperatur gerinnen würden oder nicht. Dann würde das vitale
Temperaturmaximum nichts anderes ausdrücken, als daß bei dieser
Temperatur seine Säfte gerinnen.
Kältestarre, Kältetod. — Während der Weg zum Wärmetod, wie wir
eben gesehen, in einfacher Linie vom Optimum aus verläuft, zeigt der Weg
zum Kältetod einige sehr interessante Komplikationen, die wir am besten an
der Hand der beigegebenen Kurve verfolgen wollen: Bei einer Abkühlung
gelangen wir von der optimalen Temperatur aus zunächst durch die unter-
optimale Zone zu Punkt K, bei dem die vorübergehende Kältestarre
beginnt. Die Lage dieses Punktes ist ungemein verschieden: bei gewissen
Arten (z. B. Tagfaltern) setzt die vorübergehende Kältestarre schon bei + 15®
ein, während sie bei anderen erst bei viel tieferen Temperaturen, sogar weit
unter 0° beginnt. So beobachtete Reh die reifen Fonscolombia fraxtm Kalt.
bei —2,5° bis —3,7° auf der Suche nach Weibchen; und nach Grum-
Grschimajlo führen die Mücken in der Mongolei noch bei —8° ein aktives
Leben. Lichtenstein beobachtete bei —7° das Kopulieren der Aphis
brassicae und Mordwilko fand die erwachten Wurzelläuse Pemphigus
coerulescens bei — 3°.
Die letzteren Angaben deuten bereits darauf hin, daß die Insektensäfte
unterkühlt werden können, ohne zu frieren, was durch Bachmetjews ein-
gehende thermoelektrische Messungen zur Gewißheit erhoben wurde, und
was zweifellos zu den interessantesten Erscheinungen der Biologie gehört.
Der Grad der möglichen Unterkühlung hängt wesentlich von der Abkühlungs-
geschwindigkeit ab; außerdem weichen auch die verschiedenen Arten in
dieser Beziehung noch mehr oder weniger stark voneinander ab.
Ist nun der tiefste Punkt der Unterkühlung, der „kritische Punkt",
erreicht, so macht die Temperatur plötzlich einen gewaltigen Sprung
bis zum Punkt N._, (— 1,5°), wobei nun die Säfte zu erstarren (gefrieren)
beginnen. Unter weiterer Abkühlung schreitet das Gefrieren der Säfte fort,
bis zu dem Punkt T., (normaler Erstarrungspunkt), bei dem alle Säfte gefroren
sind, und bei dem der sog. „anabio tische Zustand" beginnt. Wird ein
in diesem Zustand befindliches, also völlig erstarrtes, hart gefrorenes Insekt
erwärmt, so lebt es von neuem wieder auf. Somit bedeutet also das Gefrieren
der Säfte eines Insektes an und für sich noch lange nicht dessen
Tod. Dieser tritt vielmehr erst dann ein, wenn das gefrorene Insekt bis
ungefähr auf seinen kritischen Punkt Tg abgekühlt wird. Dann tritt die
permanente Kältestarre ein, die zum Tode führt.
Die Temperatur der permanenten Kältestarre ist sehr verschieden und
liegt nach Bachmetjew bei Larven zwischen —4° und —42°, bei Puppen
zwischen —4° und —25°, und bei Imagines zwischen —1,5° und —35°,
Wir können also sagen, daß, je höher das Entwicklungsstadium des Insekts
Fettkörper, Leuchtorgane. 85
ist, um so weniger tief die Temperatur der permanenten Kältestarre für
dasselbe liegt.
„Die Anabiose, die vor dem Eintritt der permanenten Kältestarie gelegen
ist, stellt einen Zustand des Insektes dar, in welchem es keinen Stoffwechsel
haben kann, denn seine Säfte sind erstarrt, wodurch die Blutzirkulation
unmöglich wird. Ein Insekt ohne Stoffwechsel kann nicht als lebend betrachtet
werden; es ist aber auch nicht gestorben, da es den Punkt Tg noch nicht
erreichte. Es befindet sich folglich zwischen T., und Tg in leblosem (ana-
biotischem) Zustande."
„Dieser Zustand ist nicht ein lethargischer; denn bei der Lethargie geht
der Stoffwechsel, wenn auch sehr langsam, dennoch vor sich, bis das Insekt
schließlich an Erschöpfung stirbt. Dieser Zustand kann vielmehr mit einer
Pendeluhr verglichen werden, bei welcher das Pendel absichtlich zum Still-
stehen gebracht wurde. Die Uhr ist dabei nicht verdorben, geht aber nicht.
Ein Stoß auf das Pendel und die Uhr ist wieder intakt. Wie die Uhr mit
stillstehendem Pendel unbegrenzt lange Zeit unverdorben bleiben kann, so
kann vermutlich auch das Insekt im anabiotischen Zustande be-
liebig lange Zeit verbleiben, ohne dabei zu sterben" (Bachmetjew),
vorausgesetzt natürlich, daß keine Verdunstung stattfindet.
Fettkörper einschl. Oenocyten, Pericardialzellen und Leuchtorgane.
Fettkörper usw.
Wenn wir eine Larve (z. B. eine Fliegenmade) öffnen, so tritt uns
zuerst eine weißliche Masse entgegen, die den größten Teil der Leibeshöhle
ausfüllt und alle Organe umgibt. Es ist dies der sog. Fettkörper, der aus
zahlreichen Fettzellen zusammengesetzt ist, und der in den verschiedensten
Formen, als Schollen, Lappen, dünne Platten oder lange Bänder auftreten
kann. Am reichlichsten ist er bei den Larven ausgebildet, bei denen er
gewöhnlich den größten Teil der Leibeshöhle einnimmt. Während der
Puppenzeit dagegen erfährt er eine starke Reduktion, so daß nur ein kleiner
Teil der enormen larvalen Fettmassen in das Imagostadium übergeht.
Die Fettzellen sind meist ziemlich große, mit einem ansehnlichen runden
Kern ausgestattete Zellen, die vor allem daran kenntlich sind, daß ihr Plasma
mehr oder weniger dicht mit Fettkügelchen von verschiedenem Durch-
messer angefüllt ist. Je zahlreicher die Fettkugeln werden, desto mehr wird
das Plasma verdrängt und desto größer wird der Umfang der Zelle.
Was die Funktion des Fettkörpers betrifft, so stellt er zweifellos
in erster Linie Reservematerial für die Ernährung dar. Alle jene Nährstoffe,
die bei der Versorgung der Organe übergeblieben sind, werden im Fettkörper
abgelagert, um später, wenn die Nahrungszufuhr von außen geringer wird oder
ganz unterbleibt, zur Ernährung herangezogen zu werden. (Daraus erklärt sich
auch die starke Abnahme des Fettkörpers während der Puppenruhe.)
Damit scheint aber die Aufgabe des Fettkörpers nicht erschöpft zu sein.
Da in ihm bisweilen harnsaore Salze gefunden werden, so hat man ihm auch eine
exkretorische Funktion zugeschrieben. Und manche Autoren wollen in der reich-
86 Kapitel III. Der innere Bau der Insekten (Anatomie und Physiologie).
liehen Durchsetzung des Fettkörpers mit feinsten Tracheenästen auch Anzeichen
für eine respiratorische Funktion erblicken.
In dem Fettkörper liegen vereinzelte differente Zellen zerstreut, die durch
ihr gleichmäßiges Plasma (Fig. 73, Oe) und vor allem durch ihre weingelbe
Färbung auffallen, und daran ohne weiteres von den Fettzellen zu unter-
scheiden sind. Man bezeichnet dieselben ihrer Färbung halber als Oenocyten.
Die weingelbe Färbung rührt von gelben Körnchen her, die mit der Zeit im
Plasma sich ansammeln, und wahrscheinlich Abscheidungsprodukte aus dem
Blut darstellen. Daher findet man diese Körnchen bei alten Tieren meist
viel zahlreicher als bei jungen. So fehlen sie z. B. bei jungen Bienen, nach
Zander, noch vollständig; bei alten Königinnen dagegen sollen sie massen-
haft vorhanden sein.
Über die Funktion der Oenocyten ist man noch nicht ganz klar.
Während die einen Autoren sie für ausfuhr lose Drüsen halten mit einer
physiologisch vielleicht wichtigen inneren Sekretion, sehen die anderen in
ihnen „Harnorgane ohne Ausführgang, deren Inhalt erst nach dem Tode des
betr. Insektes frei wird" (Zander).
Eine ähnliche Unklarheit bezügl. der Funktion herrscht über die zweite
der oben genannten Zellkategorien, die Perikardialzellen, das sind Zellen
mit feinkörnigem Plasma, die wesentlich kleiner sind als die Oenocyten und
die meist in größeren oder kleineren Reihen den Flügelmuskeln anliegen
(Fig. 73, Pz). Nach C u e n o t besitzen auch diese Zellen eine (wenigstens indirekte)
exkretorische Funktion, insofern als sie gewisse Stoffe aus dem Blute nehmen
und dieselben so verarbeiten sollen, daß sie, wieder in das Blut zurück-
gebracht, nunmehr durch die Malpighischen Gefäße ausgeschieden werden
können. Andere Autoren jedoch sind der Meinung, daß von den Perikardial-
zellen eine Neubildung der Blutkörperchen ausginge.
Leuchtorgane.
Die Leuchtorgane sind am besten im Anschluß an den Fettkörper
zu besprechen, da die jene Organe aufbauenden Zellen, die Leucht-
zellen, wohl zweifellos Derivate von Fettzellen sind. Wenn auch
der Bau der Leuchtorgane bei den verschiedenen Insekten im einzelnen
mehrfache Abweichungen zeigt, so stimmen sie doch wenigstens in den
Grundzügen mehr oder weniger überein. Wir haben es in den meisten
Fällen mit zwei Zellschichten oder Platten zu tun, die durch ihr Licht-
brechungsvermögen deutlich voneinander verschieden sind, indem die innere
Platte undurchsichtig, die äußere dagegen durchsichtig erscheint. Die Un-
durchsichtigkeit der inneren Zellplatte beruht auf der Anhäufung zahlreicher
Kristalle im Zellplasma, die in der Hauptsache aus harnsaurem Ammoniak
bestehen. Mit den Zellplatten tritt ein dichtes Tracheennetz in Verbindung,
deren feinsten in verschiedener Weise verzweigten Enden (die nach manchen
Autoren mit Flüssigkeit gefüllt sein sollen) die Zellen (besonders der äußeren
Leuchtplatte) umspinnen und teilweise wohl auch in dieselben eintreten.
Endlich zeigen auch die über den Leuchtorganen gelegenen Hautstellen
eine Veränderung, indem dieselben unpigmentiert und durchsichtig sind,
so daß das Licht durchtreten kann. Durch diese Hautfenster sind natürlich
Fettkörper, Lenchtorgane. 87
auch die hellen Zellschichten sichtbar, so daß die Leuchtorgane auch
äußerlich als weißliche oder gelbliche Flecke hervortreten.
Über die Physiologie des Leuchtens ist heute, trotzdem viele
Forscher sich mit dieser Frage beschäftigt haben, noch keine Klarheit erzielt.
Die reichliche Versorgung mit Tracheen deutet darauf hin, daß es sich um
einen Oxydationsprozeß handelt. Welche Stoffe es aber sind, die diesem
Prozeß unterliegen, darüber sind die Meinungen noch sehr geteilt.
Nach den einen ist der eigentliche Leuchtstoff in den harnsauren Kristallen
zu erblicken, nach den anderen dagegen in feinen Körnchen, die in der äußeren
Schichte sich finden (photogenic granules) usw. Daß es sich um einen sehr be-
ständigen Stoff handeln muß, geht daraus hervor, daß Leuchtorgane, die völlig
ausgetrocknet 10 Monate lang in einem Vakuum aufbewahrt wurden, durch ein-
faches Anfeuchten wieder zum Leuchten gebracht werden konnten (B o n g a r d t).
Diese Tatsache lehrt zugleich, daß ,,das Leuchten als eine sekundäre Erscheinung
scharf von den Lebensvorgängen zu trennen ist", etwa wie die eiweißlösende
Eigenschaft des Pepsins unabhängig vom Leben des Organismus fortdauert.
Zweifellos ist das Leuchten vom Willen des Tieres abhängig, indem es das
Insekt gewissermaßen in der Hand hat, das Licht abzustellen, schwächer oder
stärker leuchten zu lassen. Man braucht, um sich davon zu überzeugen, nur
einmal einen Leuchtkäfer zu beunruhigen, so wird man sofort eine Abnahme der
Lichtintensität wahrnehmen können. Wahrscheinlich geschieht diese Regulierung
durch eine Veränderung der Luftzufuhr, die wiederum durch Verengerung oder
Erweiterung der Tracheen bewirkt werden kann. Für eine Beeinflußbarkeit des
Leuchtens spricht auch die reichliche Versorgung des Leuchtorganes mit Nerven,
deren feinsten Endäste mit den Tracheenkapillaren und mit den Leuchtzellen in
Zusammenhang stehen.
Das von den Leuchtkäfern ausgehende Licht ist dadurch besonders be-
merkenswert, daß es keine warmen Strahlen besitzt und also vollkommen
kalt ist; d. h. a 11 e von den betreffenden Organen ausgehenden Strahlen werden als
Licht empfunden. Was das heißt, wird uns sofort klar, wenn wir bedenken, daß
eine Gasflamme nur 3 ^/o, eine elektrische Bogenlampe nur 10 % und selbst das
Sonnenlicht nicht mehr als 35 % Lichtstrahlen aussendet, während alle übrigen
(Wärmestrahlen und chemisch wirksamen Strahlen) nicht als Licht empfunden
werden. Danach kann also das Licht der Leuchtkäfer geradezu als ,, Ideallicht"
bezeichnet werden.
Leuchtorgane kommen fast nur bei Käfern vor, und unter diesen in
erster Linie in der Gruppe der Weichkäfer oder Malacodermata (unter
denen es ca. 1000 leuchtende Arten geben dürfte) und sodann auch bei einer
Anzahl (nur tropischer) Schnellkäfer oder Elateriden und noch einigen
anderen tropischen Käfern. Bei den Weichkäfern sitzen die Organe
meistens am Abdomen in einer je nach der Spezies und dem Entwicklungs-
stadium verschiedenen Anordnung; bei den Elateriden dagegen auf dem
Halsschild.
Auf unsere Fauna entfallen nur wenige Arten von Leuchtkäfern, unter
denen die im Volksmund als „Glühwürmchen" bezeichneten Lampyris
splendidula und noctihica die bekanntesten sind. Bei beiden Arten liegen
die Leuchtorgane auf der Bauchseite, und zwar an den hinteren Segmenten,
wenn auch in einer nach der Spezies und dem Geschlecht etwas ver-
schiedenen Anordnung.
Das cT von L. splendidula trägt sie am vor- und drittletzten Abdominal-
segment. Das cT von noctiluca dagegen nur am letzten Segment (da bei dieser Art
Kapitel
Der innere Bau der Insekten (Anatomie und Physiologie).
auch das „Hautfenster" nicht so durchsichtig ist, so ist das Organ weit weniger
deutlich als bei splendidula). Das (flügellose, larvenähnliche) $ von splendidula
hat ein großes Leuchtorgan am 6. Segment und einige kleinere am 5. und 3. Seg-
ment, und außerdem noch an jedem Abdominalsegment an den beiden Seiten je
ein kleineres („knollenförmiges"). Das (ebenfalls flügellose) 9 von L. noctiluca
besitzt am 5. und 6. Segment je ein großes Leuchtorgan, das fast die ganze Ventral-
platte einnimmt, und ferner noch einige kleinere Organe im 7. und 4. Segment.
Auch die Larven haben Leuchtorgane, die an den Seiten der Abdominalsegmente
gelegen sind (bei splendidula zahlreicher als bei noctiluca).
Wenn wir endlich nach der biologischen Bedeutung des Leuchtens
fragen, so dürfte diese wohl in erster Linie in der Anlockung der Ge-
schlechter (Liebessignal) zu sehen sein. Da-
für spricht u. a. die Beobachtung Bongardts,
daß die Weibchen von noctiluca während
der Flugzeit ausschließlich auf dem Rücken
liegen, so daß die Leuchtorgane sichtbar sind,
während sie nach der Flugzeit stets in natür-
licher Lage, den Rücken nach oben, ange-
troffen werden. — Daneben kann das Leuchten
vielleicht auch als Schreckmittel dienen zur
Abhaltung von Feinden. Allerdings scheint
das Leuchten keinesfalls auf alle nachstellenden
Tiere abschreckend zu wirken, da verschiedent-
lich Frösche, Kröten und Fledermäuse beim
Wegschnappen und Verzehren der leuchtenden
Tiere beobachtet werden (Riedel).
Nervensystem und Sinnesorgane.
Nervensystem.
Das Nervensystem der Insekten ist nach
dem gangliösen Typus gebaut, d. h. es be-
steht aus einer Anzahl Anschwellungen,
Nervenknoten oder Ganglien genannt, die
durch Nervenstränge oder Kommissuren
untereinander verbunden sind. Ursprünglich
kommt jedem Segment ein Paar Ganglien
zu, die unter sich durch Querkommissuren und
mit den vorhergehenden und nachfolgenden
durch Längskommissuren in Verbindung stehen
(Fig. 76). Dieses ursprüngliche Verhalten ist
jedoch nur noch bei Embryonen, Larven und
einigen tiefstehenden Insekten zu beobachten, wogegen bei allen höheren Insekten
mehr oder weniger umfangreiche Verwachsungen stattgefunden haben, die
sich sowohl auf die paarigen Ganglien der gleichen Segmente beziehen, — die
zu einem unpaaren Knoten verwachsen (wobei gelegentlich auch die paarigen
Längskommissuren zu einem unpaaren Strang zusammentreten) — als auch auf
die Ganglien der verschiedenen Segmente, von denen eine ganze Anzahl
zu einem größeren oder kleineren Ganglienkomplex verschmelzen kann.
Fig. 76. Scliematische Darstellung des
Zentralnervensystems ( Strickleiter-
form) eines Insekts. Og Oberschlund-,
TJg Dnterschlundganglien ; D Darm;
Sy sympathisches Nervensystem.
Nach B erlese.
Nervensystem und Sinnesorgane.
89
Der Grad der Verschmelzung (oder Konzentration) kann sehr mannig-
faltig sein, nicht nur bei den verschiedenen Arten, sondern auch bei
den verschiedenen Entwicklungsstadien; so nähern sich die Larven im
allgemeinen weit mehr dem ursprünglichen Typus, d. h. haben ein viel
weniger konzentriertes Nervensystem als dielmagines, doch kommt
auch das umgekehrte Verhalten vor. Es ist keineswegs die systematische
Stellung der betreffenden Insekten, welche den Konzentrationsgrad bestimmt,
sondern es können in ein und derselben Ordnung einerseits recht ursprüngliche
und andererseits extrem konzentrierte Foimen vorkommen (z. B. bei den
Dipteren (Fig. 77).
Da die Anordnung des Zentralnervensystems an eine Strickleiter oder
auch an eine Kette erinnert, so spricht man von einem „Strickleiter-
Fig. 77. Das Nervensystem von 4 Dipterenarten zur Demonstration des verschiedenen Grades der
Konzentration. A von aih-onomus; B von Empis; C von Tahanus und D von Sareopfiaga. Nach Lang.
nervensystem" oder einer „Ganglienkette." Da ferner diese Kette zum
weitaus größten Teil an der Bauchseite, unter dem Darmrohr gelegen ist, so
bezeichnet man diesen Teil des Nervensystems auch als Bauch mark, wo-
durch zugleich der Unterschied gegenüber den Wirbeltieren, bei denen das
Zentralnervensystem am Rücken liegt (Rückenmark), betont wird.
Die Variabilität der Form des Bauchmarkes bezieht sich in der Haupt-
sache auf den Rumpfteil (Brust und Hinterleib), während die Anordnung der
Ganglien des Kopfteiles eine relativ große Konstanz aufweist. Der
Kopfteil enthält sechs Ganglien, von denen die ersten drei über dem Darm
und die folgenden unter dem Darm gelegen sind. Sowohl die oberen als
auch die unteren sind stets zu einer einheitlichen Masse verschmolzen,
an denen die Zusammensetzung aus drei Ganglien meist noch deutlich
erkennbar ist. Die beiden Ganglienmassen sind durch Kommissuren, die
90 Kapitel III. Der innere Bau der Insekten (Anatomie und Physiologie).
jederseits des Darmes herabziehen, miteinander verbunden, so daß also der
Darm (resp. der Schlund) von einem förmlichen Nervenring umfaßt wird,
der auch als „Schlundring" bezeichnet wird.
Der oberhalb des Darms gelegene Ganglienkomplex stellt in seiner
Gesamtheit das Oberschlundganglien oder Gehirn dar, während die
dasselbe zusammensetzenden Ganglienpaare als erster, zweiter, dritter
Gehirnabschnitt oder Proto-, Deuto- und Tritocerebrum unterschieden
werden. Das Gehirn nimmt eine gewisse Sonderstellung unter den Ganglien,
resp. Ganglienkomplexen, ein und zwar nicht nur durch seine bedeutende
Größe, sondern auch durch seinen komplizierten Bau (Fig. 78).
Dies bezieht sich vor allem auf das Protocerebrum, welches den größten
Teil des Gehirnes bildet und durch denBesitz der sog. „pilzförmigen Körper"
ausgezeichnet ist. Letztere bestehen aus einer Anhäufung von Ganglien-
zellen und Fasermassen, die so angeordnet sind, daß sich aufschnitten ungefähr
Fig. 78. Gehirn der Arbeitsbiene. Pc Proto-, DcDeutero-, T«? Tritocerebrum ; P7z pilzhutförmige Körper;
£o Lobus opticus (Augenlappen) ; ci innerer Becher; ce äußerer Becher; Antw Antennennerven; Jl/x Nerven
zu den Maxillen; JlW Nerven zu den Mandibeln; iP>- Nerven zur Oberlippe und Stirn. NachJonescu.
die Form eines Pilzes ergibt (Fig. 79); äußerlich treten dieselben als geringere
oder stärkere Anschwellung oder Verdickung der Protocerebrum-Hälften hervor.
Man unterscheidet an ihnen die Stiele und die Becher, die aus Faser-
masse bestehen, ferner die innere Zellmasse, welche in der Höhlung der
Becher liegt, und die äußere Zellmasse, welche die Becher außen umgibt.
Die pilzförmigen Körper sind besonders stark bei den sozialen Insekten
(Ameisen, Bienen, Wespen) ausgebildet, und da diese Insekten in psychischer Be-
ziehung zweifellos am höchsten stehen, so hat man in jenen Körpern die Organe
der Intelligenz erblickt (F o r e 1). Neuerdings hat man jedoch diesen Stand-
punkt etwas modifiziert, und es scheint wenigstens nach den Forschungen von
J o n e s c u (Biene), Pietschker (Ameise) die Größe der pilzförmigen Körper
allein nicht maßgebend für die Höhe der geistigen Fähigkeiten zu sein (Fig. 79).
Vom Protocerebrum gehen auch die Sehnerven ab, von denen die
zu den seitlichen Augen gehenden als breite Lappen (Ganglia optica) er-
scheinen, während die zu den Stirnaugen ziehenden, entsprechend der Klein-
heit der Ocellen, nur dünne Stränge darstellen.
Der zweite Hirn ab schnitt, dasDeutocerebrum, ist wesentlich kleiner
und besteht in der Hauptsache aus den Riechlappen, von denen die Antennen-
nerven entspringen. Außer dem Geruchszentrum enthält das Deutocerebrum
wahrscheinlich auch noch das Zentrum für die Tast-, Geschmacks- und
Nervensystem und Sinnesorgane. 91
vielleicht auch Gehörsempfindungen. Der dritte Abschnitt, das Trito-
cerebrum, auch Oesophagusganglion genannt, liegt unter, resp. hinter dem
Deutocerebrum und geht nach hinten in die Schlundkommissuren über. Es
entsendet Nerven zu der Oberlippe und der Schlundwand.
Das Tritocerebrum entspricht dem Sclilundganglion der Krebse, die deren
zweites Antennenpaar mit Nerven versorgen. Bei gewissen apterygoten Insekten
kommen auch noch kleine Anhänge am Tritocerebrum vor, die als rudimentäre
Antennennerven (für ein zweites Antennenpaar) zu betrachten sind (F o 1 s o m).
Der unter dem Darm gelegene Ganglienkomplex der Kopfregion wird
als Unterschlundganglion bezeichnet. Es ist viel einfacher gebaut als
das Gehirn und gleicht seiner Struktur nach mehr den übrigen Bauchganglien.
Entsprechend seiner Zusammensetzung aus drei Ganglien gehen auch drei
Nervenpaare von ihm ab, von denen das erste zu den Mandibeln, das zweite
zu den Maxillen und das dritte zu der Unterlippe zieht.
Die Rumpfganglien versorgen im allgemeinen die den zugehörigen
Segmenten eigene Muskulatur mit Nerven; so gehen von den Brustganglien
/
^
Fig. 79. Schematisierter Frontalschnitt durch das Gehirn einer Ameisenarbeiterin, zur Demonstration
der pilzhutförmigen Körper (Ph); ci innerer, ce äußerer Becher. Nach Pietschker.
eine Anzahl Nervenpaare zu den Bein- und Flügelmuskeln, während von den
Abdominalganglien die Muskulatur des Hinterleibes und außerdem auch die
Geschlechtsorgane innerviert werden.
Neben dem hier besprochenen Zentralnervensystem mit den peripheren
Nerven kommt den Insekten (wie den Wirbeltieren) auch ein sympathisches
oder Eingeweidenervensystem zu, von denen wir einen dorsalen, vom
Gehirn entspringenden und einen ventralen, vom Bauchmark ent-
springenden Teil unterscheiden können. Ersterer verläuft auf der Dorsal-
wand des Vorderdarmes, teils als unpaarer Strang in der Medianlinie, teils
als paarige Stränge zu beiden Seiten, und ist mit verschiedenen Ganglien
ausgestattet, von denen das hinterste an der Grenze zwischen Vorderdarm
und Mitteldarm liegt (siehe Fig. 76, Sy). Von diesem dorsalen Teile aus
wird der Vorderdarm und wohl zum Teil auch der Mitteldarm, ferner die
Speicheldrüsen, die Tracheen des Kopfes und das Rückengefäß versorgt.
Der ventrale Sympathicus, der, von den Ganglien des Bauchmarkes ent-
springend, feine paarige Äste aussendet (Fig. 80), versorgt in der Hauptsache
die dem Willen nicht unterworfene Muskulatur des Hinterleibes (Darm,
Tracheen usw.) mit sympathischen Nerven.
92 Kapitel III. Der innere Bau der Insekten (Anatomie und Physiologie).
Die Zentralisation des Nervensystems geht bei den Insekten lange nicht so
weit als bei den höheren Tieren. So kann man einem Insekt ruhig den Kopf ab-
schneiden, ohne damit das Nervensystem zugleich völlig außer Funktion zu setzen.
Die einzelnen Ganglien sind auch getrennt voneinander noch längere Zeit (mit-
unter wochenlang) für sich allein selbständiger Tätigkeit fähig. Jedoch reagieren
sie dann nur auf direkte Reize; hören diese auf, so hören auch die Bewegungen
der von ihnen innervierten Organe (Beine, Flügel usw.) auf. Entfernt man einem
Insekt, z. B. einer Ameise, das Gehirn resp. die pilzförmigen Körper, so sucht sie
nicht mehr nach Nahrung, obwohl sie die Nahrung, die man ihr zwischen die
Mundteile schiebt, frißt; sie sucht ferner nicht mehr zu fliehen, nicht mehr an-
zugreifen, nicht mehr in ihr Nest zurückzukehren, auch nicht mehr vor Wasser
oder Kälte usw. sich zurückzuziehen, obwohl sie ihre Beine auf direkte Reize hin
bewegt; sie hat die elementarsten Instinkte der Furcht und Selbsterhaltung voll-
kommen verloren. Es geht daraus hervor, daß im Gehirn das eigentliche Asso-
Fig. 80. Zwei Ganglienpaare
des Bauchmarkes der Laubheu-
schrecke (Locusta viridissima
L.) (nach Leydig). 6 Gang-
lien; N peripherische Nerven;
NS Atmuugsnerv (Nervus sym-
pathicus). — (N.)
Fig. 81. Tasthaare {Th) an der Spitze des ünter-
lippentasters von Dectims (Laubheuschrecke).
Sz Sinneszellen ; N Nerven ; Cu Cuticula.
ziationszentrum gelegen ist, in dem die Sinneseindrücke aufgespeichert, fixiert
und in verschiedener Weise assoziiert werden, und von dem aus auch die Koordi-
nation (zweckmäßige Zusammenarbeit) geleitet wird.
Sinnesorgane.
Die biologische Beobachtung lehrt, daß die Insekten im allgemeinen
derselben Sinneswahrnehmungen fähig sind wie der Mensch, d. h, daß sie
einen Tast-, Geruchs-, Geschmacks-, Gesichts- und Gehörsinn be-
sitzen. Allerdings ist der Umfang der verschiedenen Sinneseindrücke nicht
immer der gleiche wie bei uns; so können z. B. die Ameisen die unserem
Auge unsichtbaren ultravioletten Strahlen wahrnehmen, w^ährend sie dagegen
unempfindlich gegen die von unserem Ohr als Töne empfundenen Schall-
schwingungen zu sein scheinen.
Tast, Geruch und Geschmack. — Wir können diese drei Arten von
Sinnesempfindungen gemeinsam behandeln, da die rezipierenden Endorgane
der gleichen Kategorie angehören. Gleichgültig ob es sich um eine Tast-,
Geruchs- oder Geschmacksempfindung handelt, stets sind es sog. Haut-
Nervensystem und Sinnesorgane. 93
Sinnesorgane, welche den adaequaten Reiz aufnelimen und nach innen
weitergeben. Dieselben stellen Cuticulai-bildungen dar, welche durch Ver-
mittlung von Sinneszellen (umgewandelte Hypodermiszellen) mit Nerven-
fasern in Verbindung stehen. Sie können überall auf der Körperoberfläche
vorkommen, wenn sie auch am zahlreichsten an den Extremitäten zu finden
sind, vor allem auf den Fühlern und Tastern, dann auch an den Beinen (be-
sonders den Trochanteren und Tarsen) und den verschiedenen Abdominal-
anhängen (Schwanzfäden usw.).
Bezüglich der Form der Hautsinnesorgane herrscht die größte
Mannigfaltigkeit, und man kann fast bei jeder Insektenart, die man genauer unter-
sucht, größere oder geringere Abweichungen finden. Trotzdem aber lassen sich
dieselben in einige gut umschriebene Kategorien einordnen, und können wir etwa
folgende Formengruppen unterscheiden:
1. Die Sinneshaare (oder -borsten oder -schuppen), auch T a s t -
haare oder Tastborsten oder Sensilla trichodea genannt (Fig. 81). Sie
ähneln ganz den gewöhnlichen Haaren oder Borsten oder Schuppen, unterscheiden
sich aber hauptsächlich dadurch von diesen, daß sie mit Sinneszellen und Nervenfasern
in Verbindung stehen; auch sind sie meist gelenkig mit der Cuticula verbunden. Sie
sind weitaus die verbreitetsten und häufigsten Hautsinnesorgane, die außer auf
den Fühlern und Tastern, wo sie am zahlreichsten stehen, auf der ganzen
Körperoberfläche vorkommen. Zweifellos haben wir in ihnen die eigent-
lichen Organe des Tastsinnes zu erblicken.
2. Die Sinneskegel.
a) Die Leydigschen Kegel, auch kurzweg „S i n n e s k e g e 1" oder
Sensilla basiconica genannt (Fig. 82 A). Diese stellen kürzere oder längere
Chitinzapfen dar, deren Wände äußerst zart sind und an der Spitze oft eine feine
Öffnung besitzen, und die entweder der Cuticula direkt aufsitzt oder auf besonderen
Stielen gelegen sind (Sensilla styloconica). Die Leydigschen Kegel finden sich
vor allem auf den Fühlern und Tastern und dann auch in der Mundhöhle,
und stellen zweifellos sowohl Geruchs- als auch Geschmacksorgane dar.
b) Grubenkegel, auch Sensilla coeloconica genannt. Sie unter-
scheiden sich von den vorigen dadurch, daß sie nicht frei auf der Oberfläche hervor-
ragen, sondern in Gruben liegen, wodurch sie mehr geschützt sind (Fig. 82 B). Die
Gruben können die verschiedensten Formen aufweisen; sie können seicht oder tief,
offen oder mit einer feinen Membran bedeckt sein, und häufig sind ihre Ränder auch
noch mit Borstenkränzen umstellt, die zweifellos eine Vermehrung des Schutzes
bedeuten. — Bei manchen Insekten, z. B. bei den Ameisen, kommen neben den
normalen Grubenkegeln auch noch ganz eigenartig gestaltete Gruben vor, die in
ihren Umrissen an Champagnerpfropfen erinnern, und daher von Forel auch
als „Champagnerpfropfenorgane" bezeichnet wurden. Sie sind meist
tief in die Haut eingesenkt und stehen nur noch durch eine kleine Öffnung mit der
Oberfläche in Verbindung (Fig. 82 C). Eine Abart dieser „Champagnerpfropfen"
stellen die ,,f laschen förmigen Sinnesorgane" (Sensilla ampul-
lacea, Forelsche Flaschenorgane) dar, bei denen die Grube zu einem
außerordentlich langen, halsförmig verengten Kanal ausgezogen ist. — Die Gruben-
kegel kommen speziell auf den Fühlern vor und sind wohl ebenfalls als Geruchs-
organe anzusehen.
d) Poren platten (Sensilla placodea). Sie stellen dünne Chitin-
plättchen dar, die über einer Spalte gelegen und mit der benachbarten Cuticula
durch eine feine elastische Haut verbunden sind. An die Platte tritt von innen her
ein Nerv heran. Erfährt die Platte von außen einen Druck, so rückt sie infolge ihrer
elastischen Verbindung nach innen und übt einen Reiz auf den darunter liegen-
den Nerv aus. Nach Schenk stellen die Porenplatten Organe zur Empfin-
dung des Luftdruckes dar. Nähert sich z. B. eine fliegende Biene einer
94 Kapitel III. Der innere Bau der Insekten (Anatomie und Physiologie).
Wand, so soll die zusammengepreßte Luft die Plättchen eindrücken und so die
Biene vor dem Anprallen bewahren. Die Porenplatten wurden bis jetzt haupt-
sächlich an den Fühlern gefunden.
Als eine Abart der Porenplatten können vielleicht die „S i n n e s k u p p e 1 n"
betrachtet werden. Hier wird der Hauptteil des Organes nicht durch eine ebene
Platte, sondern durch eine gleichmäßig gewölbte Kuppel dargestellt. An die Innen-
wand dieser nach außen völlig geschlossenen Chitinkuppel tritt die Sinneszelle
mit einem sehr charakteristischen Endapparat heran; derselbe be-
steht aus dem „Achsenfaden" (Fig. 82 EAx), welcher zunächst die „V a c u o 1 c"
Fig. 82. Verschiedene Hautsinnesorgane. A Leydigscher Kegel ; B Grubenkegel; C Cliampagnerpfropf-
organ; D Porenplatte; E Sinneskuppel. N Nerv; Sz Sinneszelle; Szk Sinneszellenkern; Hzk Hüll-
zellenkern; Kzk Kappenzellenkern; Vac Vacoule; Ax Axenfaden; Stk Stiftkörperchen; Cut Cuticula.
Nach Hauser, Schenk, Vogel.
(eine Erweiterung des Endschlauchs der Sinneszelle) und dann das sog. ,,S t i f t -
körperchen" durchzieht, um endlich an die Kuppelmembran zu stoßen. Zu
der eigentlichen Sinneszelle treten stets noch zwei andere Zellen, die Hüll- und
die Kappe nzelle, welche den Endapparat umgeben. — Die Sinneskuppeln,
deren nervöser Endapparat große Ähnlichkeit mit dem der Hörzellen besitzt,
kommen auf den Flügeln der Schmetterlinge (in Gruppen und einzeln, längs der
Adern) vor und dienen nach R. V o g e 1 als Flughilfsorgane, die es dem Schmetter-
ling ermöglichen, „seinen Flug auf Reize hin zu regulieren, kurz gesagt, zu
steuern".
Die hier besprochenen Hautsinnesorgane stehen oft auf engem Raum
durcheinander gemengt beisammen, ein Umstand, der die richtige Erkennung
Nervensystem und Sinnesorgane. 95
der Funktion der einzelnen Formen sehr erschwert. Es ist auch recht gut
möglich, ja sogar wahrscheinlich, daß verschiedene Formen ein und derselben
Kategorie von Sinnesempfindungen (z. B. dem Geruch) dienen. Wir können
allerdings aus der Lage der Hautsinnesorgane, in Verbindung mit der
Häufigkeit ihres Vorkommens, einen gewissen Schluß auf ihre Funktion
ziehen, wie es z. B. nahe liegt, den in der Gegend der Mundöffnung ge-
legenen und am zahlreichsten vertretenen Hautsinnesorganen Geschmacks-
funktion zuzuschreiben.
Am besten unterrichtet sind wir über die Geruchsorgane. Spielt
doch auch dei Geruch eine überaus wichtige Rolle im Leben der Insekten,
und werden doch die wichtigsten Lebensbetätigungen, wie die Nahrungs-
suche, Aufsuchung der Geschlechter und geeigneter ßrutplätze, bei den
sozialen Insekten die Erkennung von Freund und Feind, Heimfinden zum
Nest usw. durch den Geruch geleitet. Die Insekten sind ausgesprochene
Geruchstiere; beraubt man sie des Geruchsvermögens, so sind sie verloren.
Es steht heute zweifelhaft fest, daß die Geruchsorgane (wenigstens in der
Hauptsache) in den Fühlern ihren Sitz haben. Man hat dies mehrfach
experimentell nachgewiesen. Schneidet man einem Aaskäfer die Fühler ab,
so findet er selbst naheliegendes Aas nicht mehr, oder nimmt man einer
Ameise die Fühler, so kennt sie nicht mehr Freund und Feind auseinander
und ist infolgedessen unbrauchbar für das Gesellschaftsleben, oder schneidet
man dem Männchen eines Spinners die Fühler weg, so findet es das
Weibchen nicht mehr, usw.
Diese experimentellen Beweise werden auch noch durch andere Be-
funde gestützt: bekanntlich bedürfen nicht alle Insekten in gleichem Maße
des Geruchssinnes, und dem entspricht auch in jeder Weise die Ausbildung
der Fühler, indem solche Insekten, die ein besonders hohes Ge-
ruchsvermögen nötig haben, auch eine besonders große Fühler-
oberfläche besitzen. Am deutlichsten kann man dieses bei den Männchen
jener Insekten sehen, die ihre Weibchen auf weite Entfernung aufsuchen
müssen; so haben z. B. die Männchen der Spinner langgefiederte Fühler, die
Weibchen dagegen nur ganz schwach gefiederte; oder man denke an das
Männchen unseres Maikäfers mit seiner mächtigen Blätterkeule im Gegensatz
zu der viel kleineren Keule des Weibchens. Der Vergrößerung der Fühler-
oberfläche entspricht auch die Vermehrung der Einzelsinnesorgane,
resp. der Grubenkegel, so sind deren (nach Hesse) auf den weiblichen
Maikäferfühlern ca. 8000, auf den männlichen dagegen nicht weniger als
ca. 50000.
Die Geruchsschärfe der Insekten ist vielfach eine ganz erstaunliche,
und für uns beinahe an das Wunderbare grenzend. Daß Aas- und Mist-
käfer den vom Aas und Mist ausgehenden Geruch auf weithin riechen,
können wir noch verstehen, daß aber eine Schlupfwespe (Rhyssa) eine tief
im Holz sitzende Holzwespenlarve durch das dicke Holz hindurch zu riechen
vermag, und daß die Spinnermännchen ein Weibchen mitunter kilometerweit
wittern können, das geht über unsere Begriffe, da wir ja selbst in un-
mittelbarer Nähe und bei der Anwesenheit zahlreicher Weibchen geruchlich
96 Kapitel III. Der innere Bau der Insel^ten (Anatomie und Physiologie).
nicht das Geringste wahrnehmen. Eine solche Geruchsschärfe können wir
mit Hesse nur darauf zurückführen, daß „die Zahl der verschiedenen
Gerüche, für die das Riechorgan dieser Insekten zugänglich ist, sehr gering
ist. Wir dürfen annehmen, daß sie Geruchsspezialisten sind; der Duft,
durch den sie vorwiegend erregt werden, ist aufs engste mit ihrer Lebens-
weise verknüpft: ein Männchen wird durch den Duft seines Weibchens
gereizt, und nur durch diesen; eine Pflanze, die das eine Insekt von weitem
anlockt, läßt eines von einer anderen Art unberührt."
Weit weniger als über die Geruchsorgane wissen wir über die Ge-
schmacks Organe. Daß die Insekten Geschmacksempfindungen besitzen, ist
nicht zu bezweifeln. Wissen wir doch, daß viele Insekten sehr wählerisch
bezüglich ihrer Nahrung sind und nur ganz bestimmte Pflanzen annehmen,
auch sind verschiedentlich Experimente in dieser Richtung gemacht, die alle
zu dem gleichen Resultat geführt haben, daß die Insekten recht wohl
schmecken können. Wo aber diese Geschmacksorgane lokalisiert sind,
darüber wissen wir noch nicht allzuviel, wahrscheinlich liegen sie an ver-
schiedenen Stellen verteilt; so dürften die zahlreichen Grubenkegel, die man
vielfach in der Mundhöhle am Hypo- und Epipharynx findet, wohl sicher
der Geschmacksempfindung dienen; daneben mögen auch die Kegel an den
Maxillarloben und den Tastern als Geschmacksorgane funktionieren, des-
gleichen die Hautsinnesorgane, die an der Spitze des Schmetterlings-,
Wanzen- und Fliegenrüssel und an der Zunge der Bienen, Wespen usw.
gelegen sind.
Gehör. — Daß den Insekten ein Gehörvermögen zukommt, läßt sich
schon daraus schließen, daß viele Insekten Töne hervorbringen, welche
zweifellos dem Zwecke dienen, das andere Geschlecht anzulocken oder zu
erregen. Zudem ist auch durch Versuche nachgewiesen, daß manche
Insekten prompt auf Töne reagieren: „Küchenschaben halten beim Anstreichen
einer Violinsaite im Laufen inne, die Wasserwanzen Corixa und Notonecta
fahren wie wild durcheinander, wenn man das d' einer Violine anstreicht" usw.
(Hesse).
Früher glaubte man den Sitz des Gehörorgans in die Fühler legen zu
müssen (nach Analogie mit den Ohren des Menschen); doch heute weiß man,
daß die Ohren der Insekten an den verschiedensten Stellen des Körpers
gelegen sein können: in den Fühlern, Beinen, Flügeln, im Abdomen usw.
Wie die Lage, so zeigt auch der Bau der Gehörorgane eine große
Mannigfaltigkeit. Wenn wir in dieser Beziehung auch noch nicht überall
ganz klar sehen, so können wir nach den bis jetzt vorliegenden Untersuchungen
doch wenigstens zwei Haupttypen aufstellen: nämlich die Saiten- oder
Chordotonalorgane und die Trommelfell- oder Tympanalorgane.
Die Chordotonalorgane bestehen aus einer oder mehreren sehr
charakteristischen Sinneszellen, welche einerseits mit einer Nervenfaser,
andererseits mit der Haut verbunden sind. Die Verbindung mit der Haut
geschieht mittels eines aus mehreren Zellen bestehenden Schlauches, der als
Stiftchenträger oder Scolopophor bezeichnet wird. In ihn tritt nämlich
Nervensystem und Sinnesorgane.
97
von der Sinneszelle her ein Fortsatz der Nervenfaser ein, der nach längerem
Verlauf in einem hohlen Stifte mit kegelförmiger Spitze (Hörstift) endigt.
Der gesamte Apparat (Sinneszelle nebst Stiftchenträger) wird als Endschlauch
bezeichnet (Fig. 83, Edsch).
Selten kommt nur ein Endschlauch allein vor, gewöhnlich ist eine größere
oder geringere Zahl von solchen zu einem Bündel vereinigt. Die Endschläuche
verlaufen entweder in der Richtung des Nerven, so daß sie zwischen dem
Nerven und Haut ausgespannt sind, oder aber sie sind rechtwinklig gegen
den Nerven abgeknickt. In diesem Falle tritt an die Knickungsstelle von der
anderen Seite her ein Band (Fig. 83, Bd), welches die Endschläuche mit der
Haut verbindet, so daß sie also hier zwischen
zwei Hautstellen ausgespannt sind.
Gerät nun die Haut in Schwingung, so
überträgt sich diese auch auf die ausgespannte
Saite und damit auch auf die Hörstifte, wo-
durch eine Schallempfindung zustande kommen
kann. — Chordotonalorgane sind an den ver-
schiedensten Körperteilen, doch meist in den
Anhängen (Fühlern, Beinen, Tastern, Flügeln)
gefunden worden.
Die tympanalen Organe schließen
sich bezüglich der nervösen Endapparate den
Chordotonalorganen an, insofern als auch hier
jene Endschläuche vorkommen. Während
jedoch hier die darüberliegende Haut keine
Änderung erfahren hat, ist bei den Tympanal-
organen die betr. Hautstelle stark verdünnt,
so daß sie an ein Trommelfell erinnert,
zumal die verdünnte Stelle zwischen einem ver-
dickten Rahmen ausgespannt sein kann. Dieses
Trommelfell liegt entweder frei, oder ist durch
eine Hautfalte, die nur einen schmalen Schlitz
als Zugang offen läßt, geschützt. Unter dem Trommelfell befindet sich eine
Trachee, welche blasenförmig erweitert, oder in zwei dicht aneinander gelegene
Äste gespalten ist. Auf dieser Trachee oder zwischen derselben und dem
Trommelfell liegen die Endschläuche mit ihren Hörstiften, in einer Reihe
nach ihrer Größe angeordnet. Infolge der Verdünnung der Haut und der
darunter liegenden Tracheenblasen kommen die Schwingungen, die die Haut
treffen, weit mehr zur Geltung, resp. besitzen eine weit größere Wirkung
als bei den Chordotonalorganen, bei denen ja die darüberliegende Haut ihre
gewöhnliche Stärke besitzt, und so stellen also die Tympanalorgane viel
höher entwickelte und feiner empfindende Gehörorgane dar.
Am bekanntesten und auffälligsten sind die Tympanalorgane der Heu-
schrecken und Grillen, und da gerade diese Insekten durch ihre laute
Tonerzeugung sich auszeichnen, so hat man schon seit langem in jenen Organen
Gehörorgane vermutet. Sie liegen bei den Feldheuschrecken (Acridiern) frei
Escherich, Forstinsekten. 7
Fig. 83. Chordotonalorgan. B Bauch-
strang; Ggl Ganglion; N Nerv vom
Ganglion abgehend und zu den Sinnes-
zellen (Sz) ziehend ; Hst Hörstifte ; Edsch
Endschlauch; Bd Band, welches den
Endschlauch in Spannung hält.
Nach Grab er.
98
Kapitel III. Der innere Bau der Insekten (Anatomie und Physiologie).
an den Seiten des ersten Abdominalsegments (siehe S. 25, Fig. 26, Ty), bei
den Grillen und Laubheuschrecken (Locustiden) dagegen an den Schienen der
Vorderbeine, und zwar bei den ersteren ebenfalls frei, bei den letzteren von
Hautfalten bedeckt (Fig. 84 A). Neuerdings hat man auch bei Schmetter-
lingen tympanale Organe entdeckt, die an den Seiten des Thorax, resp. an
der Grenze zwischen Abdomen und Thorax, oder abei in der Wurzel der
Vorder- und Hinterflügel gelegen sind (nach Deegener, Eggers, Vogel).
Sehorgane.^) — Die Sehorgane der Insekten liegen stets am Kopfe und
empfangen ihre Nerven vom Gehirn, resp. dem Protocerebrum. Man unter-
scheidet zwei Arten: die einfachen Augen, auch Punktaugen oder Ocellen
genannt, und die zusammengesetzten Augen, auch als Netz- oder
Facettenaugen bezeichnet (Fig. 85).
Die einfachen Augen (Ocellen), die sich als glänzende, durchsichtige
Vorwölbungen der Cuticula präsentieren, liegen bei den Imagines meistens
Hst.
\\
Hst Tr, Tr^.
AB C
Fig. 84. Tympanalorgan einer Laubheuschrecke. A Vorderscliiene mit dem Tympanalorgan {s schlitz
förmiger Eingang) ; B Querschnitt, C Längsschnitt durch die Vorderschiene. H Trommelfellhöhle :
Tr Trachee; Sz Sinneszelle; Ty Trommelfell; Hst Hörstifte. Nach J. Schwabe.
zwischen den seitlichen, zusammengesetzten Augen auf der Mitte der Stirne
oder des Scheitels (in der Zahl von 1 — 3), und werden deshalb auch Stirn-
oder Scheitelaugen genannt. Nur bei den niederen Insekten (Springschwänze,
Silberfischchen) und einigen parasitisch lebenden oder bezügl. des Sehver-
mögens in Rückbildung begriffenen höheren Insekten (Flöhe, Läuse, Federlinge,
einige Ameisen usw.) liegen sie an den Seiten des Kopfes, wo sie die
Stelle der zusammengesetzten Augen einnehmen. Was bei den Imagines
Ausnahme ist, ist bei den (echten) Larven Regel, d. h. bei ihnen liegen die
Ocellen stets an den Seiten und stellen überhaupt die einzigen Sehorgane
dar. Während die Zahl der scheitelständigen Ocellen auf 1^ — 3 fixiert ist,
ist dieselbe bei den seitlichen Ocellen großen Schwankungen unterworfen;
so sind es deren bei den Springschwänzen bis 8, bei den Silberfischchen 12,
bei den Flöhen und Läusen nur je 1, bei den Käferlarven 1 — 6, bei den
1) In der Darstellung der Sehorgane folge ich in erster Linie Hesse, dem
wir die umfassendsten Untersuchungen in dieser Beziehung verdanken.
Nervensystem und Sinnesorgane.
99
Afterraupen der ßlattwespen 1, bei den echten Raupen der Schmetterlinge
6 — 7 usw.
Der feinere Bau der Ocellen ist recht verschieden, doch lassen sich stets
folgende Teile daran unterscheiden: zu äußerst die biconvexe, durchsichtige
Linse, hinter dieser liegt eine gleichfalls durchsichtige, aus der Hypodermis ent-
standene Zellenlage, der Glaskörper, und auf sie folgt nach innen die Sinnes-
zellenschichte, die Netzhaut oder Retina. Die Netzhautzellen bestehen
an ihrem der Linse zugewandten Ende aus Stäbchen (Rhabdomen), welche
die eigentliche Lichtwahrnehmung vermitteln, und gehen an dem anderen in die
Fasern des Sehnervs über (Fig. 86). Die Verschiedenheiten im Bau, auf die hier
nicht näher eingegangen werden kann, beziehen sich auf die Dicke der Linse, auf
die Form und Zusammensetzung der unter der Linse liegenden Zellenschichte und
auf die Zahl und Form der Netzhautzellen usw.
Die zusammengesetzten Augen, die stets an den Seiten des Kopfes
liegen (und daher im Gegensatz zu den Stirnaugen auch als Seitenaugen
bezeichnet werden), kann man sich durch den Zusammenschluß einer größeren
Fig. 85. Kopf einer Schlupfwespe. '/j n.
Gr. a die 3 Punktaugen ; 66 die paarigen
Seitenaugen; cc die Fühler. — (N.)
Fig. 86. Stiinocelle einer Blattlaus (Medianschnitt). 1 u.
2 Cuticula; 3 Linse; 4 Corneabildungszellen; 5 Sehzellen
mit ihren Rhabdomen (si. Nach Hesse.
Zahl von Ocellen entstanden denken. Äußerlich läßt sich die Zusammen-
setzung daran erkennen, daß die Oberfläche in eine größere oder kleinere
Anzahl von meist sechseckigen Feldern oder Facetten zerfällt, von denen
jede der Linse eines Ocellus entspricht.
Die Größe der Netzaugen ist sehr verschieden; während sie bei den
meisten Insekten nur einen Teil der Seitenflächen des Kopfes einnehmen
und daher durch die Stirn getrennt werden, stoßen sie bei anderen, z. B.
bei den Drohnen der Honigbiene, in der Mitte zusammen, und bei den
Männchen einer Mückengattung, Bibio, nehmen sie die gesamte freie Kopf-
fläche ein (Fig. 88).
Die Anzahl der sie zusammensetzenden Facetten kann von einigen 20
bis zu vielen Tausenden wechseln. So hat z. B. Pse/aphus, ein kleiner Käfer,
20, die Stubenfliege 4000, der Weidenbohrer 11000, eine Wasserjungfer 12000,
der Schwalbenschwanz 17 000 und ein anderer kleiner Käfer Mordella,
25000 Facetten in jedem Auge.
Die Form der Netzaugen ist meist rund, wird aber häufig länglich, und
bei vielen Käfern vorn nierenförmig eingebuchtet. In dieser niei enförmigen
Einbuchtung der Augen lenken sich häufig die Fühler ein, und es kann
100 Kapitel III. Der innere Bau der Insekten (Anatomie und Physiologie).
der Einschnitt so tief werden, daß die obere und untere Augenhälfte sich
nur in einem Punkte berühren, z. B. bei gewissen Borkenkäfern, PolygraphuSy
A B C D E F G
Fig. 87. Augenformen von Käfern. A Calosoma: rundes Auge; B Chrysolothrys: ovales Auge;
C Prionus: nlerenförmiges Auge; D Polygraphus : von der Fühlergrube eingeschnittenes Auge; E Geo-
trupes: von einer Leiste des Kopfschildes eingeschnittenes Auge; F Tetropium: Augen zweigeteilt,
aber durch eine kleine Facetten tragende Leiste verbunden; G Gyrinus: Augen zweigeteilt, jeder-
seits ein oberes und ein unteres Auge bildend. Die Größenverhältnisse der Köpfe untereinander
blieben unbeachtet. — (N.)
oder bei Bockkäfern, Tetropium; andererseits werden die Augen auch mit-
unter durch deij Rand des Kopfes in eine obere und untere Hälfte geteilt,
/^— 1^ z. B. bei den gew^öhnlichen Grabkäfern
y i 11 Geotrupes, und den Taumelkäfern, Gyrinus,
^=^y ir%>^ unserer stehenden Gewässer. Hier erscheint
•' die Sonderung der Augen in ein oberes
und unteres Paar vollendet (Fig. 87).
Der feinere Aufbau der zusammengesetzten
Augen ist sehr einförmig, indem jedes Einzel-
auge (Augenkeil, Ommatidium) durch annähernd
die gleiche Zahl von Zellen gebildet wird. Zu
äußerst liegt die L i n s e (C o r n e a), die meist einen
sechseckigen Umriß besitzt, darauf folgen nach
D • w ' innen vier Zellen, welche den lichtbrechenden
Kegel bilden und als Kegelzellen be-
zeichnet werden, und auf diese folgen endlich
Fig. 88. Köpfe verschiedener Insekten, um
die verschiedene Ausdehnung und Vor-
ragung der Augen. A von der Feuerwanze
(Pyrrhocoris) ; B von der Arbeitsbiene;
C von der Drohne ; D von einer männlichen
Mücke {Bibio). — (N.)
Fig. 89. Augenkeil A eines aconen, B eines pseudoconen,
C eines euconen Auges. L Linse; Kz Kegelzelle; Pi Pig-
mentzelle; Sz Sehzelle mit dem Rhabdom (R).
sieben bis zehn langgezogene S e h z e 1 1 e n. Letztere treten zu einem keil-
förmigen Bündel zusammen, und besitzen auf ihren inneren Längsseiten (d. h. der
Achse des Augenkeiles zugekehrt) die lichtrezipierenden Teile, d. s. feine Stäbchen-
säume, die zu einem einheitlichen Stab oder Rhabdom verschmelzen können.
Am zentralwärts gelegenen schmalen Ende treten die Sehzellen mit den Fasern des
Nervensystem und Sinnesorgane. 101
Sehnervs in Verbindung. Um jeden Augenkeil ist ein mehr oder weniger aus-
gedehnter Pigment m ante! gelegt, welcher als optischer Isolator dient. —
Je nach der Beschaffenheit der Kegelzellen unterscheidet man drei verschiedene
Typen von Augen: acone, pseudocone und e u c o n e. Bei den aconen Augen
haben die Kegelzellen ihre Zellennatur unverändert beibehalten (Zellkegel);
bei den pseudoconen haben die Kegelzellen nach außen gegen die Linse zu eine
durchsichtige Sekretmasse abgeschieden (Sekretkegel), und bei den euconen
ist der gesamte Zellinhalt in eine Masse von kutikularer Konsistenz und hoher
Lichtbrechung umgewandelt, der die Kerne distal aufliegen (Kristallkegel)
(Fig. 89). Zell- und Sekretkegel verhalten sich bez. der Lichtbrechung anders
als die Kristallkegel, wovon unten noch die Rede sein wird.
Nach dem hier geschilderten Bau leuchtet es ein, daß jeder einzelne
Augenkeil für sich arbeitet, d. h. nur einen einheitlichen Reiz in sich
aufnehmen kann; — wenigstens wenn die Pigmentscheide so angeordnet ist,
daß lediglich die in die Längsachse des Keiles fallenden Strahlen bis zu den
lichtempfindlichen Elementen durchdringen können. So gelangt z. B. auf dem
beigegebenen Schema (Fig. 90) von allen von der Spitze A des Pfeiles AF
auf das Netzauge fallenden Strahlen, also von allen zwischen al und aV vor-
handenen, nur der durch die Linie a dargestellte Strahl bis zum Punkte AI,
während alle anderen Strahlen, z. B. aH bis alV von Pigmentscheiden aufgefangen
werden. Dasselbe gilt von den von den Punkten B — F des Pfeiles ausgehenden
Strahlen, so daß also lediglich die Strahlen a, b, c, d, e und f bis zu den licht-
empfindlichen Nervenendigungen der Einzelaugen 6 — 11 gelangen und hier ein
aus sechs Einzeleindrücken zusammengesetztes, verkleiner-
tes, gekrümmtes, aber aufrecht stehendes Bild (AI FI) des Pfeiles
erzeugen. Da das Bild wie Mosaik aus lauter Teilstückchen zusammengesetzt ist, so
hat man das Sehen mittels Facettenaugen als musivisches Sehen bezeichnet
(J o h. Müller). Und wie ein Mosaik um so genauer ist, je feiner die Stückchen
sind, aus denen es zusammengesetzt ist, so wird auch das Bild im Facetten-
auge um so detaillierter und schärfer sein, je zahlreicher
die Augenkeile sind, die in einem gegebenen Winkel Platz haben. So
fassen z. B. die Schenkel eines Winkels von 40 Grad im Auge des Windigschwärmer
(sp, Sphinx convnlvuli) 50 — 60 Augenkeile zwischen sich, beim Gelbrandkäfer nur 30
und beim Ohrwurm nur 5 — 6. Danach sieht also der Windigschwärmer 10 mal
schärfer als der Ohrwurm.
Die so erzielte Erhöhung der Sehschärfe bringt aber einen Nach-
teil mit sich, daß nämlich das Sehfeld verkleinert wird. Denn, damit mög-
lichst viele Augenkeile in einen gegebenen Winkel fallen, dürfen diese möglichst
wenig divergieren, wodurch aber natürlich das Sehfeld kleiner wird. Um diesen
Nachteil auszugleichen, ist bei vielen Insekten eine Arbeitsteilung durchgeführt,
in der Weise, daß „in einem Teil des Auges die Augenkeile stark divergieren, also
ein großes Sehfeld bei geringer Bildschärfe beherrschen, während in einem anderen
Teil die Divergenz gering und daher die Bildschärfe groß, das Sehfeld aber klein
ist". Die Vergrößerung des Sehfeldes kann aber auch durch die Bewegung
der Augen erzielt werden. Da jedoch die Augen der Insekten unbeweglich
mit der Kopfkapsel K verbunden sind, so bleibt nichts anderes übrig, als den
ganzen Kopf zu bewegen. Und so können wir bei solchen Insekten, deren Lebens-
weise ein möglichst großes Sehfeld erheischt, wie bei den Libellen, Raubfliegen usw.,
eine auffallend große Beweglichkeit des Kopfes konstatieren.
Der Kleinheit der Linsenoberfläche entspricht die geringe Licht-
stärke des Facettenauges. Dieser Nachteil kann dadurch gemindert
werden, daß die Augenkeile möglichst lang werden, wodurch die
Facetten natürlich größer werden. Äußerlich macht sich diese Verlängerung durch
eine mächtige Auftreibung der Augen bemerkbar, wie wir dies z. B. bei den
Männchen vieler Eintagsfliegen, die infolge ihres Dämmerungslebens einer be-
sonders hohen Lichtstärke bedürfen, sehen können (sog. „Turbanaugen"). —
Oder aber die Vermehrung der Lichtmenge geschieht durch eine Ü b e r e i n -
102 Kapitel III. Der innere Bau der Insekten (Anatomie und Physiologie).
anderlagerung von Strahlenbündeln aus verschiedenen benach-
barten Kegeln in einem Rhabdom. Ein solcher Fall tritt nur bei den euconen
Augen ein, indem die Kristallkegel das Licht so brechen, daß die Strahlen zu
dem zugeordneten Rhabdom nicht nur durch den zugeordneten Kegel, sondern
auch durch dessen Nachbarkegel gelangen, wie aus Fig. 91 deutlich zu ersehen ist.
„Anstatt des nur auf eine Oberfläche fallenden Lichtes kommt daher die 6 fache
oder 18 fache Lichtmenge mehr zu dem Rhabdom, je nachdem nur die zunächst
oder auch die in zweiter Linie benachbarten Kristallkegel für diese Strahlen-
brechung in Betracht kommen." Man nennt solche aus übereinandergelagerten
Strahlenbündeln entstandenen Bilder Superpositionsbilder im Gegensatz
zu den oben geschilderten und in Fig. 90 dargestellten Appositionsbildern.
Natürlich muß bei den Superpositionsaugen die zwischen dem Kristallkegel
und dem Rhabdom gelegene Zone pigmentfrei sein, so daß die von den Nach-
barkeilen herkommenden Strahlen eintreten können. Und so finden wir auch bei
Fig. 90. Schematische Darstellung der Wirl
weise eines Netzauges. — (N.)
Fig. 91. Schematische Darstellung des Strahlen-
gangs im Superpositionsauge. Nach Hesse.
solchen Augen die Erscheinung der Pigmentwanderung: bei hellem
Sonnenlicht sind die Augenkeile durch eine ausgedehnte Pigmentscheide vonein-
ander isoliert, so daß keine Strahlen von den Nachbarkegeln eintreten können und
ein einfaches Appositionssehen stattfindet. „Im Dämmerlicht dagegen wandert das
Pigment gegen die Augenoberfläche, häuft sich zwischen den Kristallkegeln an und
gibt die mittlere Zone für die durchgehenden konvergenten Strahlen frei. Super-
positionsaugen treffen wir hauptsächlich bei Dämmerungstieren,
wie vor allem bei Nachtschmetterlingen und sodann auch bei vielen Käfern, wie
z. B. bei den Glühwürmchen usw.
Während über die Funktion und die Bedeutung der zusammengesetzten Augen
schon seit langem eine ziemliche Übereinstimmung herrscht, ist man über die
Bedeutung der Stirnocellen bis vor kurzem im Dunkeln getappt. An
Meinungen hat es allerdings nicht gefehlt, doch keine konnte recht befriedigen.
Nach den einen sollten die Stirnaugen zur Regulation der Körperhaltung beim Fluge
dienen, nach den anderen zum Fernsehen, und wieder nach anderen zum Nacht-
sehen oder zum Dämmerungssehen, oder zur Orientierung nach dem Licht, oder
man brachte sie in Beziehung zur schnellen Fortbewegung usw. Endlich wollten
eine Anzahl Forscher den Stirnaugen eine besondere Funktion überhaupt ab-
Nervensystem und Sinnesorgane. 103
sprechen. — Nun ist in neuester Zeit D e m o 1 1 mit einer Anschauung hervor-
getreten, die einer Lösung des Problems nahe zu kommen scheint. Nach D e m o 1 1
wirken die Ocellen nicht für sich allein, sondern nur in Verbindung mit
den Seitenaugen, und zwar in dem Sinne, daß sie das Insekt in den
Stand setzen, die Entfernung der gesehenen Gegenstände zu
empfinden (Entfernungslokalisation). Auf welche Weise durch
die Verkettung der Impulse der beiden Augenarten eine Entfernungslokalisation
zustande kommen kann, läßt sich am besten aus der beistehenden Fig. 92 ersehen,
dieselbe stellt einen Frontalschnitt durch den Kopf der Skorpionfliege {Panorpa
communis) dar, auf dem sowohl der laterale Ocellus sowie das Facettenauge ge-
troffen sind. Nehmen wir nun einen beliebigen Objektpunkt (J) — die Ent-
fernungen der Objekte sind hier aus praktischen Gründen sehr kurz gewählt — so
ist leicht zu verstehen, daß dieser Punkt in einer bestimmten Entfernung jeweils
auf dieselbe Sehzelle im Facettenauge (P) und auf dieselben im Ocellus (A) einen
Reiz ausüben muß. Verschiebt sich das Objekt J in der Richtung gegen K zu, so
wird zwar im Facettenauge stets das gleiche Rhabdom affiziert werden. Im
Ocellus dagegen wandert der Ort des Bildpunktes von A nach B, und zwar so,
daß jedem Punkt auf der Geraden K^J ein besonderer Bildpunkt entspricht.
Fig. 92. Funktion der Ocellen. Nach Dem oll.
Verschiebt sich andererseits der Punkt J gegen L zu, so bleibt die Affektions-
stelle im Ocellus dieselbe, während die des Facettenauges von P nach Q wandert.
Hieraus ersieht man, daß bei einer bestimmten Lage des Objekts jeweils in den
beiden Augen zwei ganz bestimmte Sehzellen gereizt werden oder umgekehrt;
werden in den beiden Augen zwei Partien von demselben Objekt aus affiziert, so
muß sich auch das Objekt in einer ganz bestimmten Entfernung befinden. Diese
Tatsache gibt die Möglichkeit an die Hand, durch Verkettung der Erregungen
beider Augen eine Entfernungsempfindung entstehen zu lassen (D e m o 1 1 und
S c h e u r i n g).
Eine ganze Anzahl von Insekten sind vollkommen augenlos. Es
handelt sich dabei stets um eine Verkümmerung der Augen, infolge
Dunkellebens. Daher finden wir blinde Formen hauptsächlich unter
solchen Insekten, welche in Höhlen leben oder unter Steinen oder im Holz
usw. Die bekanntesten Beispiele sind die Höhlenlaufkäfer {Anophthalmtis),
dann verschiedene bei Ameisen lebende Käfer (Ameisengäste), ferner die
Arbeiter der meistenteils unterirdisch lebenden Termiten usw. Noch mehr
augenlose Formen als unter den Imagines gibt es unter den Larven, von
denen nur an die Fliegenmaden, an die Larven der Bienen, Ameisen und
Wespen, der Schlupfwespen, der Borken- und Bockkäfer erinnert sei.
104 Kapitel III. Der innere Bau der Insekten (Anatomie und Physiologie).
Übrigens sind diese augenlosen Insekten keineswegs jeder Lichtempfindung
bar, sondern viele von ihnen reagieren ganz deutlich auf hell und
dunkel. Besonders auffallend ist dies bei den Fliegenmaden, die sogar die
Richtung der Strahlen unterscheiden können. Man nimmt an, daß solche
Empfindungen durch die Haut (resp. Hautsinnesorgane) übermittelt werden,
weshalb man auch von einem photodermatischen Sinn der Insekten
spricht (Grab er). Damit soll aber nicht gesagt sein, daß diese Insekten
vermittelst der Haut „sehen" können; sondern die photodermatischen Ein-
drücke dürfen viel eher unseren Empfindungen von Wärme und Kälte, oder
Schmerz oder Berührung usw. als unseren optischen Empfindungen verwandt
sein, so daß also das Licht, resp. seine Intensitätsabstufungen und die Länge
der Wellen, wohl nur „gefühlt" wird.
Fortpflanzungsorgane.
Die Insekten sind normalerweise fast ausschließlich getrennten Ge-
schlechtes. Nur in ganz seltenen Fällen kommt Hermaphroditismus als
normale Erscheinung vor, nämlich bei
einigen in Termitenbauten Ostindiens
lebenden winzigen Fliegen (Termi-
toxenien), die auch sonst — in An-
passung an die parasitische Lebens-
weise — die sonderbarsten Um- und
Rückbildungen zeigen.^) — Patholo-
gische Zwitter, auf anormalen Ent-
wicklungsvorgängen beruhend, kom-
Fig. 93. Lateraler HerDiaphroditismus eines men dagegen durchaus nicht SO selten
SchmetterlinKS [Ocnei-ia dispar). Links \»' eiblich, i • j u' J
, /^ .. ,. , , L , . , vor, und zwar m den verschiedenen
rechts männlich (aus Hertwig). '
Insektenordnungen. Am eingehendsten
hat man dieselben bei den Schmetterlingen und Ameisen studiert. Bezüg-
lich der Verteilung der männlichen und weiblichen Charaktere herrscht
(wenigstens bei den Ameisen) die größte Mannigfaltigkeit, so daß man kaum
zwei Formen findet, die nach genau dem gleichen Schema gebaut sind.
Im allgemeinen unterscheidet man folgende Kategorien von Zwittern:
Laterale Hermaphroditen: rechts weiblich, links männlich oder
umgekehrt (Fig. 93).
Transversale Hermaphroditen: dorsal weiblich, ventral männ-
lich oder umgekehrt.
Frontale Hermaphroditen: vorn weiblich, hinten männlich oder
umgekehrt.
Geinischte Hermaphroditen: unregelmäßige Verteilung der zwei
Geschlechter.
Die Zwitter sind natürlich um so auffallender, je größer der sexuelle Dimor-
phismus ist, d. h. je verschiedener gestaltet Männchen und Weibchen sind. Die
auffälligste Form entsteht da, wo das eine Geschlecht geflügelt, das andere unge-
flügelt ist (z. B. Frostspanner), indem hier beim lateralen Hermaphroditismus ein
Tier entsteht, welches auf der einen Seite ausgebildete Flügel besitzt, auf der
anderen Seite dagegen vollkommen flügellos ist.
0 Der Hermaphroditismus von Termitoxnia wird neuerdings, wie oben schon
erwähnt, bestritten.
Fortpflanzungsorgane. 105
Im Bau der Fortpflanzungsorgane läßt sich in den beiden Ge-
schlechtern der gleiche Grundplan erkennen, und können wir überall
folgende Hauptteile unterscheiden: (siehe Fig. 94 u. 99) ein Paar Geschlechts-
oder Keimdrüsen (Hoden, Eierstock), in denen die Geschlechtsprodukte
(Samen, Eier) gebildet werden; ferner paarige Ausfuhr kanäle (Samen-
leiter oder Vasa deferentia, Eileiter oder Ovidukte), welche die Geschlechts-
produkte von den Keimdrüsen aufnehmen; und endlich ein unpaarer
Endkanal (Samengang oder Ductus ejaculatorius. Scheide oder Vagina),
in welche jene paarigen Kanäle münden, und welche die Geschlechtsprodukte
nach außen leiten. Zu diesen Hauptteilen kommen noch folgende Neben-
resp. Anhangsteile: Schleim- oder Kittdrüsen, welche Sekrete für
verschiedene Zwecke liefern, und welche in verschiedener Zahl und an ver-
schiedenen Stellen (entweder an den paarigen Kanälen und dem unpaaren
Kanal) auftreten können; ferner Erweiterungen oder Ausstülpungen
der ausführenden Kanäle, welche zur Aufbewahrung der Geschlechts-
produkte oder Aufnahme der Begattungsorgane dienen.
Ihrer Entstehung nach setzen sich die Geschlechtsorgane aus zwei
differenten Teilen zusammen: der unpaare Endkanal entsteht nämlich als
Hauteinstülpung, ist also ektodermal und daher meist mit einer Chitin-
cuticula ausgekleidet, während die paarigen Abschnitte (Keimdrüsen
nebst Ausführgängen) aus dem Mesoderm hervorgehen und daher stets ohne
Cuticula sind. Die beiden so (unabhängig voneinander) entstandenen Abschnitte
wachsen einander entgegen, um sich schließlich miteinander zu verbinden.
Nur bei wenigen Insekten (Eintagsfliegen, Termitenweibchen, manchen
Ohrwürmern, Proturenmännchen usw.) fehlt der unpaare Endkanal, so daß die
paarigen Ausfuhrgänge direkt nach außen münden, und demnach auch paarige
Geschlechtsöffnungen vorhanden sind.
Die gesamten Fortpflanzungsorgane liegen stets im Hinterleib, dessen
Lumen sie, wenigstens im weiblichen Geschlechte, im reifen Zustand, oft
zum größten Teil einnehmen. Die Geschlechtsöffnung liegt beim Männchen
zwischen dem 9. und 10., beim Weibchen zwischen dem 8. und 9. Hinter-
leibssegment.
Die weiblichen Fortpflanzungsorgane.
Die weiblichen Keimdrüsen, die Eierstöcke oder Ovarien, bestehen
aus einer größeren oder geringeren Anzahl von Eir obren. Diese sind kurz
vor der Stelle, wo sie dem Eileiter, resp. dem erweiterten Endteil desselben,
dem sog. Eikelch, aufsitzen, am breitesten, um sich nach vorne, nach der Spitze
zu, allmählich zu verjüngen. Hier gehen sie in einen feinen Faden, den sog.
End faden, über, durch den sie an der Rückenwand in der Nähe des Herzens
befestigt werden. In diesen Eiröhren entstehen die Eier in linearer Aneinander-
reihung, so daß das dem Eikelch zunächst gelegene das reifste und größte,
das am weitesten nach der Spitze zu gelegene das jüngste und kleinste ist.
Da die Wandungen der Eiröhren sich (teils durch Muskeln) dicht den Eiern
anschmiegen, so nehmen die Röhren perlschnurartige Gestalt an (Fig. 96).
Jede Eiröhre besteht aus einer bindegewebigen, häufig mit Muskelfäden
bekleideten Membran, welche einen aus Zellen bestehenden Inhalt umschließt.
Dieselben sind zweierlei Natur, indem die einen einfache Epithelzellen
darstellen, welche zur Auskleidung der Eiröhren, resp. zur Umhüllung der
106 Kapitef
Der innere Bau der Insekten (Anatomie und Physiologie).
Eier dienen (Hüll- oder Follikelzellen), während in den anderen die
eigentlichen Keimzellen zu erblicken sind. Von den letzteren wird aber
gewöhnlich nur ein Teil zu wirklichen Eiern, während die übrigen zur Er-
nährung der Eier als sog. Nährzellen verwendet werden. Nur bei niederen
Insekten (ganz ausnahmsweise auch bei höheren [Floh]) kommt es vor,
daß sämtliche in den Eiröhren vorhandenen Keimzellen zu Eiern
heranwachsen. In diesem Falle spricht man von panoistischen, in jenem
von meroistischen Eiröhren. Letztere lassen wiederum zwei verschiedene
Typen unterscheiden, je nachdem alle Nährzellen im vorderen Ende der
Eiröhren, in einer besonderen, oft kolbig angeschwollenen Nährkammer
liegen (Eiröhren mit endständiger Nährkammer oder telol rophe Eiröhren),
oder aber die Nährzellen über die ganze Eiröhre verteilt und zwischen den
■Edf.
£d/:
A B
Fig. 94. Schematische Darstellung: der weiblichen Geschlechtsorgane. A mit büschelförmigen, B mit
kammförmigen Ovarien. JBfZf Endfaden ; £»• Eiröhren; Et Eikelch; Ei Eileiter; Sc?t Scheide (Vagina);
ST Begattungstasche (Bursa copulatrix); ST Samentasche (Recept. seminis); Anh Anhangsdrüse der-
selben; KB Kittdrüse.
Eizellen gelagert sind, so daß also Ei- und Nährkammern miteinander ab-
wechseln (Eiröhren mit wechselständigen Nährkammern, oder polytrophe
Eiröhren). Die Ernährung der Eier in den telotrophen Eiröhren geschieht
in der Weise, daß von der endständigen Nährkammer Nähr- oder Dotterstränge
zu den einzelnen Eiern ziehen, durch welche den letzteren die Nährsubstanzen
zugeführt werden (Fig. 95 C, ds).
Ursprünglich, d. h. im unreifen Ovarium erscheinen die Zellen der
Eiröhren noch annähernd gleichartig; erst allmählich tritt eine deutliche
Sonderung ein, die sich in der Größe und dem Aussehen kund tut. Dadurch
entstehen drei Arten von Zellen: 1. die kleinen Epithel- oder Follikel-
zellen; 2. die größeren, rundlichen Nährzellen und 3. die ganz großen
vereinzelten Eizellen. Sie gruppieren sich in bestimmten Abständen hinter-
einander und zwar in der Weise, daß eine Eizelle und eine bestimmte Anzahl
Fortpflanzungsorgane.
107
von Nährzellen (z. B. bei den Bienen 48, bei den Schmettertlingen meist 5,
bei Chironoimis nur eine) durch einen Mantel von Hüllzellen zu einem Eiherd
oder Ei fach vereinigt werden. Die Eizelle schiebt einen Fortsatz zwischen
die ihr zunächst liegenden Nährzellen,
um die ihr bereiteten Dotterstoffe auf-
zunehmen und wächst dabei rasch heran,
ohne daß die Nährzellen merklich kleiner
werden. Sobald die Eizelle ihre volle
Größe erlangt hat, resorbiei t sie die Nähr-
zellen. Die Hüllzellen ziehen sich um
das Ei zu einer einheitlichen Schicht zu-
sammen und sondern eine Cuticula ab,
welche die Eischale bildet, während
unter dieser, von der Eizelle aus, noch
eine zweite, sehr feine Haut, die sog.
Dotterhaut, entsteht (Zander).
Die reifen Eier werden durch
Platzen des Hüllmantels (Follikels) aus
der Eiröhre ausgestoßen und gelangen
in den Eikelch, Eileiter usw. Die zurück-
gebliebenen Follikelzellen sammeln sich
an der Basis des Eifaches an, degenerieren
fettig und erzeugen gelbliche Anhäu-
fungen, die sog. „gelben Körper" oder
„Corpora lutea" (Fig. 98 III, L). Diese
stellen demnach ein Kriterium des voll-
zogenen Eidurchganges, resp. der ge-
schehenen Eiablage dar (Nüßlin).
Die Gestalt des
Eierstockes hängt ab
einmal von der Zahl und
Länge der Eiröhren und
sodann von der Art und
Weise, wie die Eiröhren
dem Eikelch sich anfügen.
Man hat nach diesen Merk-
malen eine ganze Anzahl
von Typen aufgestellt, die
sich aber alle mehr oder
weniger leicht auf zwei
Grundformen zurück-
führen lassen, deren Bau
aus der beigegebenen
schematischen Figur 96
ohne weiteres hervorgeht:
trichterförmigem Eikelch, der alle Eiröhren zu einem Büschel vereinigt
Fig. 95. Verschiedene Typen von Eiröhren.
A panolstiseh, B meroistisch (polytroph), C
meroistisch (telotroph). €/■ Endfaden; ek End-
kammer; efa Eifächer; fe Follikelepithel; df
Nährkammer; äs Verbindungsstränge zwischen
End- und Etkammer (aus Lang).
Flg. 96. "Weibliche Fortpflanzungsorgane des großen Kiefern-
spinners (Bombyx pini L.) (nach Suc k o w). ER die vier Eiröhren
des einen Eierstockes, der andere Eierstock ist abgeschnitten;
pEL paarige Eileiter; ST Samentasche mit Anhangsdrüse; KD
Kittdrüsen; Seh Scheide; sr Begattungstasche; FG Verbindungs-
gang zwischen Begattungstasche und Scheide. — (N.)
nämlich 1. die büschelförmigen mit kurzem,
108 Kapitel III. Der innere Bau der Insekten (Anatomie und Physiologie).
trägt; 2. die kammförmigen mit langgestrecktem, schlauchförmigem
Eikelch, der in seiner ganzen Länge mit Eiröhren besetzt ist.
Büschelförmige Ovarien finden sich bei den Orthopteren (zahl-
reiche panoistische Eiröhren), dem größten Teil der Coleopteren, den Lepidopteren
(meist 4 lange polytrophe Eiröhren), den Hymenopteren [2 [Andrena) bis 180 (Honig-
biene) polytrophe Eiröhren], den brachyceren und pupiparen Dipteren (2 — 100
polytrophe Eiröhren), den Siphonapteren (5 panoistische Eiröhren) u. a. —
K a m m f ö r m i g e Ovarien kommen vor bei den Libellen, den Panorpaten,
einem Teil der Coleopteren (Lampyriden, Canthariden usw.), den nematoceren
Dipteren u. a.
Die Formen der Eierstöcke resp. die Zahl der Eiröhren steht in innigem
Zusammenhang mit der Eiproduktion der betreffenden Art. Je zahlreicher
und je länger die Eiröhren sind, desto mehr Eier können produziert werden;
und andererseits in je geringerer Zahl und zugleich je kürzer die Eiröhren
sind, desto geringer ist auch die Produktivität. Ferner können wir aus der
^o Zahl der Eiröhren auch annähernd
schließen, wieviel Eier gleich-
zeitig abgelegt werden können,
insofern als nur soviel Eier gleich-
zeitig reifen können, als Eiröhren
vorhanden sind.
Bei langlebigen Insekten,
welche ihre Eier in größeren
Zwischenräumen ablegen, werden
wir demnach in den meisten Fällen
nui wenige, aber entsprechend
lange Eiröhren mit vielen Eianlagen
finden (Borkenkäfer, Rüsselkäfer
usw.); kurzlebige Insekten dagegen,
welche ihre gesamte Eiproduktion
in kurzer Zeit erledigen müssen,
werden zahlreiche, dafür aber kurze Eiröhren besitzen. Die Schmetterlinge
machen darin allerdings eine Ausnahme; sie haben im allgemeinen nur ein
kurzes Imagoleben, und trotzdem nur wenig Eiröhren (in der Regel nur 4,
selten mehr). Dieser scheinbare Widerspruch erklärt sich aber daraus, daß
die Eiröhren der Schmetterlinge sehr lang sind, und daß die Eier schon
während der Puppenruhe völlig ausgebildet werden, so daß bereits
bei den frischgeschlüpften Schmetterlingen eine große Zahl fertiger Eier in
den Eiröhren enthalten sind.
Die Gestalt der Ovarien kann aber auch noch durch andere Faktoren
als die obengenannten beeinflußt werden, so vor allem durch den Grad der
Reife. Keineswegs alle Insekten treten nämlich mit völlig reifen Geschlechts-
organen in das Imagostadium ein, sondern bei einer ganzen Anzahl findet
die Reifung vielmehr erst während des Imagolebens statt, wie z. B. bei
den Rüssel- und Borkenkäfern. Untersuchen wir nun ein junges Weibchen
eines solchen Käfers, so treffen wir die Ovarien noch ganz klein und die
einzelnen Eiröhren noch kaum angedeutet (Fig. 98 1). Anders bei einem
Fig. 97. Weibliche Geschlechtsorgane eines Schwimm-
käfers {Dißiscus) (nach Stein). ER Eiröhren; ST
Samentasche ;-S2'D Samentaschendrüse ;ß3'Begattungs-
tasche ; EL Eileiter mit drüsigen Wandungen ; KD Kitt-
drüsen; Seh Scheide. — (N.)
Fortpflanzungsorgane.
109
älteren, ausgereiften Weibchen (Fig. 98 II): Hier sind die Eiröhren mächtig
entwickelt und durch Einschnürungen in Eifächer getrennt, welche von der
Nährkammer bis zum Eikelch allmählich an Größe zunehmen (Nüßlin).
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'S « '^ .p
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« (-, .
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Die Eiröhren münden in die Eikelche, die sich nach hinten in die
Eileiter oder Ovidukte fortsetzen. Diese stellen einfache dünne Schläuche
dar und münden in den unpaaren Endkanal, die Scheide (Vagina), die
110 Kapitel III. Der innere Bau der Insekten (Anatomie und Pliysiologie).
wie oben bereits bemerkt, als eine Hauteinstülpung entstanden ist und infolge-
dessen mit einer Chitincuticula ausgekleidet ist.
Bei einigen Insekten machen die Eier, bei anderen (Pupiparen) sogar die
Larven ihre ganze Entwicklung in der Scheide durch, so daß sie als Puppen ge-
boren werden. In allen diesen Fällen bezeichnet man die Scheide, die auch deutlich
erweitert ist, als Fruchthälter oder Uterus.
An der Scheide sitzen gewöhnlich eine Anzahl Anhangsgebilde,
welche sämtlich durch Ausstülpung der Scheidenwand entstanden sind und
daher ebenfalls eine Chitinauskleidung besitzen.
Am regelmäßigsten kommt die Samentasche (Receptaculum
seminis) vor, welche die Funktion hat, den Samen aufzunehmen und auf-
zubewahren. Da viele, ja die meisten Insekten nur einmal begattet werden,
so muß der Samen oft lange Zeit, bis zu mehreren Jahren (Bienen und
Ameisen) bewahrt werden. In die Samentasche münden häufig noch Drüsen,
deren Sekret wohl mit der Lebendigerhaltung der Samenfäden in Zusammen-
hang steht. Die innere Wand der Samentasche, resp. die Chitinauskleidung,
zeigt oft sehr charakteristische Bildungen, wie Wülste, Borsten, Haare usw.
Die Samentasche hängt meist durch einen kürzeren oder längeren Gang mit
der Scheide direkt zusammen; oder aber sie kann auch in die von der
Scheide ausgestülpte Begattungstasche münden. Bei manchen Insekten
kommen auch mehrere Sam entaschen vor, wie z. B. bei den Tachinen,
wo sie mitunter in der Dreizahl auftreten.
Von der Samentasche aus geschieht die eigentliche Be-
fruchtung, indem das Weibchen während des Durchgleitens der reifen Eier
durch die Scheide Samenfädchen aus jener austreten läßt, die auf die Eier
resp. in die Micropylen gelangen. Manchmal ist der Samentaschengang mit
kompliziertem Pump- und Verschlußapparaten versehen, durch welche der
Samen gewissermaßen aus der Tasche herausgepumpt, und der Durchtritt
des Samens reguliert wird. Dies ist der Fall bei der Bienenkönigin, die es
ja bekanntlich „in der Hand" hat, die Eier zu befruchten oder unbefruchtet
zu lassen, und so das Geschlecht zu bestimmen (unbefruchtete Eier ergeben
die Männchen).
Neben der Samentasche kommt gelegentlich an der Scheide noch ein
zweiter größerer taschenförmiger Anhang vor, die sog. Begattungstasche
(Bursa copulatrix) die dazu dient, das männliche Glied bei der Begattung
aufzunehmen. Bei den Schmetterlingen münden Begattungstasche und Scheide
völlig getrennt voneinander nach außen, während sie innen durch einen
engen Kanal miteinander verbunden sind (Fig. 96).
Außerdem besitzt die Scheide auch noch Anhangsdrüsen (Kitt-
oder Schmierdrüsen), die in verschiedener Zahl auftreten und ver-
schiedene Formen aufweisen können (einfach schlauchförmig oder mehrfach
verzweigt oder sackförmig usw.). Ihre Sekrete dienen dazu, die Eier an der
Unterlage festzukleben, oder aber sie mit besonderen Kokons zu umgeben,
oder die in Wasser abzulegenden Eier in Gallerte (Laich) einzubetten, und
noch zu vielen anderen Zwecken.
Wie aus der oben gegebenen Darstellung hervorgeht, kann die Unter-
suchung der weiblichen Geschlechtsorgane wertvolle biologische
Fortpflanzungsorgane.
111
Aufschlüsse liefern; und es wurden auch in der Tat manche interessante
und für die Praxis wichtige Entdeckungen (Generationsverhältnisse der Rüssel-
und Borkenkäfer) nur durch eingehende Berücksichtigung der weiblichen
Geschlechtsorgane ermöglicht. Nach Nüßlin sind es hauptsächlich folgende
Punkte, die dabei zu beachten sind:
1. Winzige, nicht in Eifächer gesonderte Eiröhren sind ein sicheres
Kriterium für geschlechtlich Unreife;
2. Perlschnurai tig gegliederte lange Eiröhren zeigen die mehr oder
weniger entwickelte Reife an;
3. Corpora lutea sind ein Kriterium des vollzogenen Eidurchganges;
4. Gefüllte Begattungs- oder Sa-
mentaschen beweisen die voll-
zogene Begattung;
5. Leere Begattungs- oder Samen-
taschen beweisen (wenigstens in
den meisten Fällen) jungfräulichen
Zustand.
Auch in s^^stematischer Beziehung
liefern die weiblichen Geschlechtsorgane
mitunter recht brauchbare Merkmale,
wovon im speziellen Teil noch mehrfach
die Rede sein wird.
Die männlichen Fortpflanzungs-
organe.
Die männlichen Keimdrüsen, die
Hoden, setzen sich meistens aus einer
größeren Anzahl von Blindschläuchen
zusammen, welche in der Anlage den
Eiröhren entsprechen, aber gemäß dem
geringeren Volumen der produzierten Samenmasse wesendich kleiner bleiben
als jene. In einigen Fällen (Laufkäfer u. a.) besteht jeder Hoden nur aus
einem einzigen Blindschlauch, der dafür aber sehr lang und zu einem dichten
Knäuel aufgewunden sein kann (Fig. 100).
Jeder Hodenschlauch besteht aus einer äußeren Hülle und einem
zelligen Inhalt. Letzterer enthält — wie die Eiröhi-en — zweierlei Zellen:
die Epithel- oder Hüllzellen, und die Keimzellen, die als Ursamen-
zellen oder Spermatogonien bezeichnet werden. Sie sind ähnlich an-
geordnet wie in den Eiröhren, indem eine Anzahl Ursamenzeilen durch
einige Hüllzellen zu einem Samenherd (Spermatoc3'ste) zusammengefaßt
werden. Aus jeder Ursamenzeile entstehen durch Teilung sog. Samen-
mutterzellen, und aus diesen die Samenfäden. Es wird also im
männlichen Geschlecht jede Keimzelle zur Bildung von Geschlechtsprodukten
verwendet, während im weiblichen Geschlecht, wie wir gehört haben, nur
ein Teil derselben zu wirklichen Eiern werden und die anderen zu deren
Ernährung dienen. Ein weiterer Unterschied zwischen Ei- und Samen-
Fig. 99. Schematische Darstellung der mänu-
lichen Geschlechtsorgane. Die dicken Linien
stellen die ektodermalen, die dünnen die meso-
dermalen Abschniite dar. i? Hoden ; SL Samen-
leiter (Vas deferens); SB Samenblase; SG (e))
Samengang {DucUts ejaeidatorius); Dr^ u. Ih:^
Kittdi'üsen (Mesadenien und Ektadenien).
112 Kapitel
Der innere Bau der Insekten (Anatomie und Physiologie).
bildung besteht darin, daß dort aus einer Keimzelle stets nur ein Ei,
hier aber aus einer Keimzelle mehrere (vier) Samenfäden hervorgehen.
Bezüglich der Gestalt der Hoden herrscht
eine schier unerschöpfliche Mannigfaltigkeit. Wo
die Schläuche durch eine Hülle zusammengefaßt
und bedeckt sind, stellen die Hoden meist runde
oder ovale oder nierenförmige Körper mit glatter
Oberfläche dar (Fig. 103).
Fig. 100. Der eine Hoden eines
Schwimmkäfers (Di/^iscMs) (nach
Burmeister). XblindesEnde
des einfachen Hodenschlauches
H; SL Samenleiter; SL^ auf-
geknäulter Teil desselben, der
sog. Nebenhoden. — (N.)
Fig. 101. Männliche Geschlechts-
organe vom großen braunen Rüssel-
käfer (Hylobins abietis L.). H Hoden ;
SL paarige Samenleiter ; -D Schleim-
drüsen; SB Samenblase und SG
unpaarer Samengang. — (N.)
samen Samenleiter vereinigen (Fig. 102). Meistens
Wo aber die Schläuche
frei liegen, da nehmen
die Hoden büschel-,
trauben- oder beeren-
förmige Gestalt an. Oft
ist auch jeder Hoden
in mehrere kleine (2 bis
12) sekundäre Hoden
(Testiculi) zerlegt, von
denen ebenso viele feine
Ausfuhrkanäle abgehen,
die sich nach kurzem
Verlauf zu dem gemein-
sind die beiderseitigen
Hoden mehr oder weniger weit voneinander getrennt, doch sind auch solche
Fig. 102. Männliche Geschlechtsorgane von Lucanus cervus.
JVff Nebenhoden ; H Hoden in eine größere Anzahl Testiculi
zerlegt. Die übrigen Bezeichnungen wie in den vorher-
gehenden Figuren. Nach Escheric'h.
Fig. 103. Männliche Geschlechtsorgane
einer Wespe. Die beiden Hoden ver-
wachsen; beim linken Hoden ist die
Hülle entfernt. Nach Bor das aus
Berlese.
Fälle nicht selten, in denen die Hoden dicht beisammen liegen, und sogar
durch eine gemeinsame Hülle vereinigt sind, so daß sie den Eindi-uck eines
einzigen unpaaren Hodens machen (Schmetterlinge, Wespen, gewisse Käfer usw.)
(Fig. 103).
Fortpflanzungsorgane.
113
Die von den Hoden ausgehenden Samenleiter (Vasa deferentia)
stellen längere oder kürzere einfache Schläuche dar, deren Wände nur eine
schwache Muskulatur besitzen. Sie sind stets paarig, auch da, wo die Hoden
zu einem scheinbar unpaaren Organ verschmolzen sind. Fast stets stehen
mit ihnen Drüsen in Verbindung, deren Sekret dem Samen beigemischt wird.
Außerdem finden sich an ihrem hinteren Ende oft blasenförmige Er-
weiterungen (Samentaschen oder Vesiculae seminales), die zur Auf-
sammlung des Samens dienen. Wo die Samenleiter sehr lang sind, können sie
in ihrem Verlaufe an einer Stelle knäu eiförmig zu einer Art Nebenhoden
(Fig. 102) aufgewunden sein (Laufkäfer, Schwimmkäfer, Hirschkäfer usw.).
Die paarigen Samenleiter münden in den als Hauteinstülpung ent-
standenen unpaaren Endkanal oder Ductus ejaculatorius. Nur in seltenen
Fällen fehlt dieser und dann münden die Samenleiter paarig nach außen
(Eintagsfliegen, Protura). Der Ductus
ejaculatorius unterscheidet sich in
seinem feineren Aufbau wesentlich
von den paarigen Samenleitern, indem
er einmal eine sehr starke Muskulatur
besitzt (durch deren Kontraktion der
Samen ausgespritzt ward), und sodann
/Schleimdrüse ^
-Xoiieri/
iSa.fnenZeiierfvds.deferinsj
so^iTi. iSamenilase
-unpaarer^ameTwana
\ fdziclus ejaculccriasj
fSumerUiiterfzms. liei'ärensj
•soacn,. iSamenblcise
■unpaarir^am en^a ny
fdaciics ejaculiZlarzus)
Fig. 104. Reife und unreife männliche GescLlechtsorgane vom Buchdrucker (I^s typographns).
Aus Nüßlin.
seine Innenseite mit einer Chitincuticula, die eine verschiedene Struktur auf-
weisen kann, ausgekleidet ist. Auch ihm kommen Anhangsdrüsen zu, die an
Zahl und Form sehr verschieden sein können, und deren Sekret mehrfachen
Zwecken dient (z. B. die Samenfäden zu Paketen oder Patronen zu vereinigen
oder bei der Copula die Überführung des Samens in den weiblichen Körper
zu erleichtern und zu sichern, usw.).
Da die Drüsen der paarigen Samenleiter dem Mesoderm entstammen, und
die des ektodermalen Endkanals natürlich dem Ektoderm, so hat man die beiden
Kategorien von Drüsen auch namentlich als Mesadenien und Ektadenien
unterschieden.
Wie bei den weiblichen Geschlechtsorganen vollzieht sich auch bei den
männlichen die Reifung nicht überall in der gleichen Lebensperiode und in
dem gleichen Tempo, sondern bei den einen Insekten früher, bei den
anderen später. Bei den kurzlebigen Arten gewöhnlich schon während der
Puppenzeit, bei den langlebigen vielfach erst während des Imagolebens. Im
letzteren Fall (wie z. B. bei den Borkenkäfern) kann uns also auch die
Untersuchung der männlichen Geschlechtsorgane Aufschluß geben, ob ein
Escherich, Forstinsekten. 8
114 Kapitel III. Der innere Bau der Insekten (Anatomie und Physiologie).
Jungkäfer oder Altkäfer vorliegt. Im unreifen Zustand sind die Spermatozoen
noch nicht in die Samenleiter oder Samenblasen eingetreten, und die ver-
schiedenen Anhangsdrüsen noch wenig entwickelt; im reifen Zustand da-
gegen finden sich zahlreiche Samenfäden in den Ausfuhrwegen, die Drüsen
sind bedeutend verlängert und dicker und prall mit Sekreten gefüllt, und
auch die Samenblasen erscheinen stark erweitert (Nüßlin). (Fig. 104.)
Auch in s 3^ stem atischer Beziehung lassen sich die (inneren) männ-
lichen Geschlechtsorgane teilweise recht gut verwenden, wenn auch nicht in
dem weitgehenden Maße wie äußere Genitalanhänge oder Kopulationsorgane.
Literatur.
Die Lehr- und Handbücher wie oben S. 48. In erster Linie ist wieder auf
B erlese hinzuweisen und sodann auf Hesse, welch beide Autoren bei der
Bearbeitung am meisten benutzt wurden.
Außerdem ist auf folgende Einzelarbeiten namentlich Bezug genommen:
Muskulatur.
Bauer, Albert, Die Muskulatur von Dytiscus marginalis. Zeitschr. f. wissensch.
Zoologie, XCV. Bd., 1910.
Voß, Friedrich, Über den Thorax von Gryllus domesticus. Die Muskulatur.
Zeitschr. f. wissensch. Zoologie, LXXVIII. Bd., 1905.
Lautäußerungen.
Landois, H., Tierstimmen. Freiburg 1874.
Prochnow, Oskar, Die Lautapparate der Insekten. Berlin 1908.
Verhoeff, K. W., Die zusammengesetzten Zirpvorrichtungen von Geotrupes.
Sitzber. Ges. Naturf. Freunde (Berlin 1902), Nr. 7/8.
Petrunkewitsch und Guaita, Über den geschlechtlichen Dimorphismus
bei den Tonapparaten der Orthopteren. Zool. Jahrb., Abt. f. Syst., Bd. 14,
Heft 4.
Darmkanal.
Biedermann, W., Beiträge zur vergleichenden Physiologie der Verdauung.
Die Verdauung der Larve von Tenebrio molitor. Archiv f. d. gesamte Physio-
logie. Bd. 72, 1898.
Deegener, Beiträge zur Kenntnis der Darmsekretion. I und II. Archiv f.
Naturgeschichte, 76. Jahrgang, 1909 und 10.
Gorka Sandor, Beiträge zur Morphologie und Physiologie des Verdauungs-
apparates der Coleopteren. Allg. Zeitschr. f. Entomologie 1901.
Jordan, Hermann, Über extraintestinale Verdauung im allgemeinen und bei
Carabus auratus im besonderen. Biolog. Zentr.-Bl. 1910 (XXX), S. 85 — 96.
Nüßlin, Otto, Phylogenie und Systematik der Borkenkäfer. Zeitschr. f.
wissensch. Insektenbiologie, VII. und VIII. Bd.
Rungius, Heinrich, Der Darmkanal von Dytiscus marginalis. Zeitschr. f.
wissensch. Zoologie, Bd. 98, 1911.
Sedlaczek, W., Über den Darmkanal der Scolytiden. Zentralblatt f. d. gesamte
Forstwesen 1902.
Kreislauforgane.
Janet, Charles, Anatomie du Gaster de la Myrmica rubra. Paris 1902.
Steche, O., Beobachtungen über Geschlechtsunterschiede der Haemolymphe von
Insektenlarven. Verh. Deutsch. Zool. Ges. 1912.
Temperatur der Insekten.
Bachmetjew, P., Experimentell-entomologische Studien. I. Temperaturver-
hältnisse bei Insekten. II. Einfluß der äußeren Faktoren auf Insekten.
Leipzig 1901 und Sophia 1907.
Dieses grundlegende Werk, in dem neben den eigenen Untersuchungen
die gesamte Literatur verarbeitet ist, ist bis jetzt von selten der Entomologen
viel zu wenig berücksichtigt worden.
Literatur. 115
Leuchtorgane.
Bongardt, Beiträge zur Kenntnis der Leuchtorgane einheimischer Lampyriden.
Zeitschr. f. wissensch. Zoologie, LXXV. Bd.
RiedeL Max, Aus der Welt der Kleintiere. Serie I Nr. 2 Leuchtkäfer. Dresden
1911.
Gehirn.
Forel, A., Das Sinnesleben der Insekten. München 1910.
H e y m o n s, R., Die Entwicklungsgeschichte der Scolopender. Zoologica, Heft 33.
Stuttgart 1901.
Jonescu, C. N., Vergleichende Untersuchungen über das Gehirn der Honig-
biene. Jenaische Zeitschr., 45. Bd., 1909.
Pietschker, Heinrich, Das Gehirn der Ameise. Ebenda 1910.
Tastorgane usw.
Hochreuter, Rudolf, Die Hautsinnesorgane von Dytiscus marginalis L.
Zeitschr. f. wissensch. Zoologie Bd. C IH, 1912.
Vogel, R., Über die Innervierung der Schmetterlingsflügel und über den Bau und
die Verbreitung der Sinnesorgane auf denselben. Zeitschr. f. wissensch.
Zoologie, Bd. XCVIII, 1911.
Sehorgane.
Dem oll, R., Die Physiologie des Facettenauges. Ergebnisse und Fortschritte
der Zoologie, 2. Bd., 1910.
Dem oll und Scheuring, Die Bedeutung der Ocellen der Insekten. Zoolog.
Jahrb., Abt. f. Allgemeine Zoologie und Physiologie, 31. Bd., 1912.
Hesse, Richard, Untersuchungen über die Organe der Lichtempfindung bei
niederen Tieren. VII. Von den Arthropodenaugen. Zeitschr. f. wissensch.
Zoologie, LXX. Bd., 1901.
J o h n a s, W., Das Facettenauge der Lepidopteren. Zeitschr. f. wissensch. Zoologie,
XCVII. Bd., 1911.
Gehörorgane.
Eggers, Fritz, Über das thorakale Tympanalorgan der Noctuiden. Sitzungs-
bericht Nat. Ges. Dorpat, XX., 1911.
Schwabe, J., Beiträge zur Morphologie und Histologie der tympanalen Sinnes-
organe der Orthopteren. Zoologica. Stuttgart 1906.
Vogel, R., Über die Chordotonalorgane in der Wurzel der Schmetterlingsflügel.
Zeitschr. f. wissensch. Zoologie, C. Bd., 1912.
Fortpflanzungsorgane.
Demandt, Carl, Der Geschlechtsapparat von Dytiscus marginalis. Zeitschr.
f. wissensch. Zoologie, CHI. Bd., 1912.
Escherich, K. , Anatomische Studien über das männliche Genitalsystem der
Coleopteren. Zeitschr. f. wissensch. Zoologie, Bd. LVII, 1899.
Knoche, E., Beiträge zur Generationsfrage der Borkenkäfer. Forstw. Zentralbl.
1909.
Nüßlin, Otto, Leitfaden der Forstinsektenkunde, 2. Aufl., 1912.
Kapitel IV.
Fortpflanzung.
Das Fortpflanzungsgeschäft ist es, welches den Hauptinhalt der Lebens-
tätigkeit des erwachsenen Insektes ausmacht. Ist die Fortpflanzungsfähigkeit
zu Ende, so sterben Weibchen wie Männchen ab. Bei den meisten Weibchen
ist das ganze Fortpflanzungsgeschäft mit einer einmaligen Eiablage erledigt,
so daß ihre Lebensdauer nur von sehr kurzer Dauer ist (wenige Tage oder
gar nur Stunden); andererseits sind doch auch viele Fälle von langlebigen
Insekten bekannt, bei denen sich die Fortpflanzung über mehrere Jahre hin-
zieht, indem die Weibchen nach kürzeren oder längeren Pausen immer wieder
zu erneuten Eiablagen schreiten (z. B. Laufkäfer, Rüssel- und Borkenkäfer,
die 2 — 3 Jahre, Ameisen- und Termitenweibchen, die bis zu 15 Jahre alt
werden können).
Alle Fortpflanzungsvorgänge bezwecken die Erhaltung der Art. Man
kann im Tierreich eine geschlechtliche und ungeschlechtliche Fort-
pflanzung unterscheiden. Bei der ungeschlechtlichen wachsen beliebige Zellen
des Körpers zu einem neuen Individuum aus, das sich dann später vom
Muttertier trennt (Knospung usw.); bei der geschlechtlichen sind es schon
frühzeitig gesonderte ganz bestimmte Zellen, die sog. Keimzellen (Eier und
Samenfäden), denen die Vermehrung obliegt. Bei den Insekten kommt nur
der letztere Fortpflanzungsmodus vor; alle Insekten entwickeln sich aus
Eiern. Jedes Insekt hat also einmal den Eizustand durchlaufen, und dies
gilt auch für diejenigen, welche bereits als Larve geboren werden. Diese
durchlaufen den Eizustand eben im Leibe des Muttertieres.
Der alte Aberglaube, daß Insekten direkt aus anderen organischen Substanzen
sich bilden können, die Fliegenmade aus faulendem Fleische, der Floh aus mit Harn
befeuchteten Sägespänen, ist längst widerlegt. Nicht aus diesen Substanzen, sondern
aus Eiern, welche die Fliegenmutter auf das faulende Fleisch, oder der weibliche
Floh in die Sägespäne legte, sind diese Geschöpfe entstanden.
In den meisten Fällen hat das Ei aber nicht ohne weiteres die Fähigkeit,
ein neues Tier aus sich hervorgehen zu lassen. Die Eizelle bedarf, um sich
zu einem Embryo zu entwickeln, vielmehr meistens der Befruchtung durch
den männlichen Samen. Die Fortpflanzung durch befruchtete Eier, bei
welcher also beide Geschlechter mitwirken, wird eine gamogenetische
oder Gamogenese genannt (abgeleitet von yä/iwg, die Ehe, ysveüig, die Er-
zeugung), im Gegensatz zu den selteneren Fällen, in welchen eine Fortpflanzung
durch unbefruchtete Eier stattfindet und welche man als parthenogenetische
Die Keimzellen (Ei und Samen).
117
Fortpflanzung oder Parthenogenese bezeichnet (abgeleitet von nagd^hog,
die Jungfrau).
Die Keimzellen (Ei und Samen).
Das Ei.
Das Insektenei besteht aus Eizelle und Eischale oder Chorion.
Die Eizelle ist eine stark gewachsene und gereifte Keimzelle und besteht, wie
jede Zelle, aus Protoplasma und Kern, welch
letzterer auch Keimbläschen genannt wird.
Dem Protoplasma ist eine größere oder kleinere
Menge von Reservestoffen (Deutoplasma oder
Dotter) beigemischt, welche zur Ernährung des
im Ei sich entwickelnden Embryos dient, und
deren Bildung unter Mitwirkung der Nährzellen
(siehe oben) vor sich geht. Die äußerste Schichte
des Protoplasmas, resp. Dotters, ist zu einer
äußerst feinen Haut, der Dotterhaut, erhärtet
(Fig. 105).
Die so gestaltete Eizelle wird umgeben von
einer mehr oder weniger starken Schale, die als
Schalenhaut oder Eischale oder Chorion
bezeichnet wird. Sie wird nicht von der Eizelle
aus gebildet, sondern stellt vielmehr ein Ab-
scheidungsprodukt der Follikelzellen (siehe oben)
dar und besteht „aus einer Substanz, welche eine
oberflächliche Ähnlichkeit mit Chitin hat, sich aber
von ihm durch Gehalt an Schwefel und einige
andere chemische Eigenschaften unterscheidet"
(Groß). Sie ist außer von mehr oder w^eniger
zahlreichen feinsten Poren, die vielleicht der
Atmung des Eies dienen, stets noch von einem oder
mehreren dicht beisammenstehenden größeren
Kanälen durchsetzt, die Mikrop3den genannt
werden, und welche den Zweck haben, den
Samenfäden den Durchtritt zu gestatten (Fig. 106).
Sie setzen sich nach innen zu durch die Dotter-
haut fort, so daß der Samen ohne Hindernis zum
Protoplasma der Eizelle gelangen kann. Meist ist die
Umgebung der Mikropyle durch eine besondere
Struktur der Schale ausgezeichnet, ja oft kommen
sehr komplizierte und höchst auffallende Mikrop5denapparate vor, die aus
Anhängen aller Art, schlotförmigen Aufsätzen usw. bestehen.
Die Gestalt der Eier ist ungeheuer mannigfaltig; wir können von
den langgestreckten, schlauchartigen Eiern der Gallwespen bis zu den flachen,
Scheiben- oder deckeiförmigen Eiern mancher Kleinschmetterlinge alle möglichen
Fig. 105. Längsschnitt durch ein
Fliegenei. K Kern; D Dotter;
Dh Dotterhaut; Seh Schalenhaut
(Cliorion), Mp Mikropyle.
NachHenkingundBlochmann.
Fig. 106. Oberer Teil eines Eies des
Hornissenschwäi'mers (Trochilium
apiforme C.) (nach Leuckart) mit
dem Mikropylapparat. m einer der
5 Mikropylkanäle, welche von den
äußeren MiKropylgrübchen diver-
gierend nach innen laufen. — (N.)
118
Kapitel IV. Fortpflanzung
Übergänge beobachten, wie aus Fig. 107 zu ersehen ist. Dazu kommen die
verschiedensten Fortsätze, Anhänge, Rippen, Warzen usw., welche den Eiern
mitunter die zierlichsten an Seesterne, Seeigel, Pflanzensamen, Blüten usw.
erinnernde Formen verleihen können; manche Eier gleichen Krügen mit
Deckeln, andere sitzen auf langen, dünnen Stielen usw. Und auch da, wo
die Struktur der Schale bei oberflächlicher Betrachtung glatt erscheint, läßt
Fig. 107. Verschiedene Eiformen. i Tortrix sp; 2 Lyda stellata; 3 Nonne; 4 Thecla (Tagfalter); 5 Oenei«
aelto (Tagfalter); 6 Pieride (Weißling); 7 Pentatoma (ScMldwanze) ; 8\ Melolontha (Maikäfer); 9 Honig-
biene; 10 Laubheuschrecke ; ii Nepa (Wasserskoi-pion) ; 12 Phasmide (Stabheuschrecke); i3 Menopon
biseriatimi (Federling vom Pfau); 14 Chrysopa (Florfliege); 15 PhyUwm (Wandelndes Blatt); 16 Oestromyia
Satyrus (Hantbremse); 17 Cynipide (Gallwespe). Teils Originale, teils aus Sharp, Packard, Spuler,
Brauer.
die mikroskopische Untersuchung meist noch sehr feine, charakteristische
Strukturen (netzförmige Felderung usw.) erkennen. Auch bezüglich der Härte,
Dicke und Zähigkeit usw. der Eischale gibt es große Unterschiede: wir haben
auf der einen Seite so dünn beschalte Eier, daß sie ihre Form verändern
können, andererseits aber Schalen, die an Härte und Sprödigkeit dem Glas
nicht viel nachstehen. Den erstgenannten Zustand treffen wir hauptsächhch
bei solchen Eiern, welche in pflanzliche und tierische Gewebe abgelegt werden.
Die Keimzellen (Ei und Samen).
119
den letzteren dagegen bei solchen, welche völlig frei abgelegt sind und des
Schutzes bedürfen.
Die Funktionen der verschiedenartigen Bildungen an den Eiern ist
noch keineswegs überall klar; doch dürften die meisten Anhänge usw. als
Haftapparate (zum Haften an der Unterlage oder zur gegenseitigen Ver-
bindung mehrerer Eier) dienen; oft stehen sie auch, wie schon erwähnt, mit
der Mikropyle in Verbindung; bei gewissen Wanzen werden die am Deckel-
rand stehenden Fortsätze als Einrichtungen zum Gasaustausch (Atmung)
angesehen (Heymons, Groß) usw.
Der Samen.
Der Samen besteht aus Samenfäden, welche in einer Flüssigkeit
schwimmen. Die Flüssigkeit stammt aus den Anhangsdrüsen der Samen-
leiter, die Samenfäden aus den Hoden (siehe oben). Im Gegensatz zu den
Eiern sind die Samenfäden mikroskopisch klein; sie bestehen aus zwei deut-
Flg. 108. A Einfache Samenfäden von Blaps mortisaga L.; ß Samenfäden mit ankerförmigen Köpfchen
von einer Heuschrecke {Deeiicns vemicivonis L.); C Vereinigung von Samenfäden einer anderen Heu-
schrecke {Locusta viridissima L.) zu federförmigen Gebilden; D Spermatophoren von Decticus. B—D
nach V. Siebold. — (X.)
lieh voneinander unterscheidbaren Abschnitten, dem starren unbeweglichen
Kopf, und dem beweglichen, sich lebhaft hin und her schlängelnden Schwanz
(Fig. 108). Trotz der Kleinheit und der ungewöhnlichen Form entspricht
jeder Samenfaden morphologisch einer Zelle, deren Kern im Kopf gelegen
ist, während der Schwanz das Protoplasma enthält
Wenn die Samenfäden auch in ihrer Grundform bei den meisten
Insekten übereinstimmen, so weisen sie doch in den Einzelheiten große Ver-
schiedenheiten auf. So ist der Kopf in Form, Zusammensetzung und Größe
sehr variabel: bei den einen Insekten endet er in einer feinen Spitze, bei
den anderen in einem feinen Knöpfchen, bei wieder anderen liegen mehrere
Knöpfchen übereinander oder es ist der Kopf ankerförmig gebaut usw. Auch
der Schwanz ist, wäe Ballowitz gezeigt hat, in seinem feineren Aufbau
recht mannigfaltig, und besteht bei den einen aus mehr, bei den anderen
aus weniger nebeneinander liegenden und verschieden strukturierten Fasern.
Häufig sind mehrere Samenfäden (zwei bis zahlreiche) mit ihren Köpfen
entweder direkt miteinander verbunden oder um einen axialen Körper be-
festigt, während die Schwänze frei bleiben (Spermatozeugma); bei manchen
120 Kapitel IV. Fortpflanzung.
Heuschrecken reihen sich die Köpfe in linearer Anordnung derart anein-
ander, daß die frei abstehenden Schwänze seitlich ansitzen wie die Feder-
fahnen dem Schaft.
Der Samen, möge er isoliert oder zu Gruppen vereinigte Samenfäden
enthalten, ist in den meisten Fällen eingehüllt in eine feste, von den An-
hangsdrüsen abgesonderte Hülle, w^elche als Samenpatrone oder Sper-
matophor bezeichnet wird, so daß also der Samen bei der Begattung nicht
lose, sondern in fester Verpackung in den weiblichen Körper über-
tragen wird.
Die Begattung.
Die Übertragung des Samens in den Geschlechtsapparat des Weibchens
geschieht durch den Vorgang der Begattung oder Kopulation. Die Haupt-
Fig. 109. Kopulationsstellung des Gelbrandkäfers (Dytiscus marginalis). Das Männchen sitzt auf dem
Weibchen, wobei es sich mit den Haftscheiben der Vorderbeine auf dem Halsschild des Weibchens
festsaugt. Nach Blunk.
rolle dabei spielt der Penis, der in die weibliche Begattungstasche ein-
geführt wird, und durch den die Samenmasse, resp. die Samenpatrone, in
den weiblichen Körper übergeleitet wird. Damit nun dieser Vorgang, der
doch stets einige Zeit beansprucht, sich richtig abspielen kann, ist es not-
wendig, daß die beiden Tiere fest miteinander verankert werden. Dies ge-
schieht vielfach durch besondere Zangen (Parameren), die zu beiden
Seiten des Penis liegen und mit den verschiedenartigsten Zähnen, Haken
usw. besetzt sind. Außerdem finden sich bei vielen Insekten auch noch an
anderen Organen Vorrichtungen, die dem Zwecke des Festhaltens während
der Kopula dienen. So haben z. B. die Männchen vieler Laufkäfer stark
erweiterte Vordertarsen, mit denen sie sich auf dem Rücken des Weibchens
anklammern, oder die Männchen der Schwimmkäfer {Dytiscus) besitzen
richtige Haftscheiben an den Vorderbeinen, um sich auf dem Halsschild der
Weibchen festzusaugen, usw.
Die Begattung
121
Die Art und Weise, wie die Kopula ausgefühirt wird, ist ungemein ver-
schieden; manche Insekten begatten sich im Fluge (z. B, Fliegen, Bienen,
Ameisen, Eintagsfliegen usw.), manche im Laufen oder Schwimmen, manche
im Sitzen (Schmetterlinge), manche im Sonnenschein, manche im Schatten
oder in der Nacht, oder in unterirdischen oder in Holz gegrabenen Gängen
usw. Auch die Stellung, die sie einnehmen, ist verschieden: Entweder sitzen
die beiden Geschlechter aufeinander (meist das Männchen auf dem Weibchen,
selten [z. B. beim Floh] umgekehrt), so daß sie also in die gleiche Rich-
tung sehen (Fig. 109); oder sie sitzen hintereinander, Hinterende gegen
Hinterende gekehrt, wobei sie meistens in die direkt entgegengesetzte
A B C
Fig. 110. A u. B Schmetterlinge in Kopula. A Hornissenschwämier {TroehiUum apifomte); B Mondvogel
{PhcOera lucephala). Oben das Weibchen. Phot. Fr. Scheidter. — C Maikäfer in Kopula, das Weibchen
hält sich an einem Zweig fest, während das Männcheu frei herabhängt. Nach Götte.
Richtung sehen (Fig. 110). Doch kommt es auch vor, daß diese verbundenen
Tiere sich gegeneinander abbiegen, so daß die Längsachse ihrer Körper nicht
mehr in einer Linie liegen, sondern einen Winkel bilden. Dieses Abbiegen
kann entweder nach der Seite hin geschehen (Fig. 111), so daß die linke
und rechte Seite der beiden Tiere sich einander nähern und die Tiere ge-
wissermaßen nebeneinander sitzen; oder ventralwärts, so daß die Bauchseiten
einander näher kommen. Bei Chloeon sind die beiden Geschlechter (nach
C. Bernhard) während der im Fluge stattfindenden Kopula Bauch gegen
Bauch gewandt, wobei das Männchen den Thorax des über ihm befindlichen
Weibchens mit den langen Vorderbeinen umklammert. .
122
Kapitel IV. Fortpflanzung
Eine ganz abweichende Kopulationsstellung nehmen die Libellen ein.
Bei den Männchen dieser Tiere liegt das Kopulationsorgan weit getrennt von
der am Hinterende befindlichen Geschlechtsöffnung, nämlich an der Bauch-
seite an dem zweiten Hinterleibsring, Wenn nun das Männchen zur Be-
gattung schreiten will, so biegt es seinen Hinterleib ventralwärts und nach
vorne, um das Kopulationsorgan mit Samen zu füllen; dann ergreift es mit
den am Ende seines Hinterleibes befindlichen Zangen das Weibchen am
Nacken, und zieht es so mit sich auf den Hochzeitsflug. Während desselben
biegt das Weibchen seinen Hinterleib so um, daß 'es mit seinem Ende dem
Kopulationsorgan des Männchens
sich nähert, und nun die Be-
gattung vollzogen werden kann
(Fig. 112).
Fig. 111. Schwammspinner in Kopula. Oben das
Weibchen. Das kleinere dunkelgefärbte Männchen
befindet sich in seitlich abgebogener Stelhing.
Phot. Fr. Scheidter.
Fig. 112. Libellen in Kopula. Das Männchen
(M) ergreift mit seinen Hinterleibszangen das
Weibchen am Nacken, während dieses seinen
Hinterleib nach vorn biegt, um zu dem am
2. Hinterleibssegment des Männchens befind-
lichen Kopulationsorgan zu gelangen. Aus
Henneguey.
Die Dauer der Kopula kann sehr verschieden lang sein: bei manchen
Insekten nur wenige Minuten, bei anderen mehrere Stunden, ja sogar Tage.
Bei den meisten Insekten ist es mit einer einmaligen Begattung getan; ja
in einigen Fällen (bei der die Bienenkönigin befruchtenden Drohne) hat die
Begattung den sofortigen Tod des Männchens zur Folge. Andererseits gibt
es auch gar nicht so selten Fälle, in denen die Männchen eine öftere Be-
gattung mit demselben Weibchen ausführen oder auch von einem Weibchen
zum anderen gehen. So sind z. B. bei Spinnern und auch bei anderen
Schmetterlingen (Saturniden, Psychiden usw.) Männchen bei wiederholter
Begattung mit verschiedenen Weibchen beobachtet worden ; ferner ist die
Polygamie bei den Borkenkäfern eine ganz verbreitete Erscheinung; auch
bei den Schwimmkäfern und Blattkäfern ist sie festgestellt worden usw.
Öftere Begattung eines Weibchens durch verschiedene Männchen (Potyandrie)
Die Begattung. 123
ist bis jetzt nur selten beobachtet und dürfte wohl als abnormer Zustand
zu betrachten sein. Dagegen kommt wiederholte Begattung durch ein und
dasselbe Männchen gar nicht so selten vor; so wurden z. B. 2 Dytisciis-
Weibchen von 1 Männchen innerhalb ö^/., Monaten 14 mal, und 2 Lucamis
c^rz;ws-Weibchen von 1 Männchen in 12 Tagen 5 mal begattet. Bei manchen
Insekten bildet die öftere Begattung des Weibchens geradezu die Regel,
so bei gewissen Borkenkäfern, die, nachdem sie einige Eier abgelegt,
immer wieder von neuem befruchtet werden, und sodann vor allem bei
den Termiten, bei denen das Männchen viele (bis zu 15) Jahre mit einem
Weibchen in der Königskammer zusammengesperrt ist, um das letztere
von Zeit zu Zeit (alle 4 — 6 Wochen) zu begatten und mit neuem Samen-
vorrat zu versorgen.
Nicht immer, wenn zwei Insekten in Kopulationsstellung sich be-
finden, wird auch eine wirkliche erfolgreiche Begattung ausgeführt; kann
man doch oft zwei Tiere, die noch gar nicht reif sind, aufeinander sitzen
sehen. Um also ganz sicher zu gehen, ob eine erfolgreiche Begattung
stattgefunden hat, muß man die Samentasche des Weibchens auf die An-
wesenheit von Samenfäden untersuchen. Nur bei einigen wenigen Insekten
gibt es auch äußere Kennzeichen (sog. „Begattungszeichen"), an denen
man die erfolgte Begattung untrüglich erkennen kann. So weiß der Imker
ganz genau, daß eine Königin befruchtet ist, wenn er in dessen Scheide
abgerissene Teile des Penis findet; ferner kann man beim Weibchen
des Schwimmkäfers die erfolgte Begattung an einer weißen Platte er-
kennen, welche die letzten Abdominalsegmente bedeckt, und welche
von einem die Überführung des Samens sichernden Drüsensekret her-
stammt, usw.
Die Regel ist, daß nur die zu einer Art gehörigen Individuen mit-
einander kopulieren. Doch kommen auch Ausnahmen vor, und man kann
garnicht so selten verschiedene Insektenarten (besonders Käfer) mit-
einander kopulieren sehen. Ob freilich solche Paarungen von Erfolg
begleitet sind, darüber ist wenig bekannt. Bei Schmetterlingen (vor allem
bei Schwärmern und Spinnern) kennen wir allerdings eine ganze Reihe von
Bastarden, doch sind die meisten davon künstlich gezüchtet. — Wenn wir die
große Zahl der existierenden Insekten berücksichtigen, und ferner die ge-
ringen Unterschiede, durch welche die Arten vielfach voneinander getrennt
sind, so muß die kleine Zahl von Bastarden auffallen. Worauf die geringe
Neigung zur Bastardierung beruht, darüber sind wir noch wenig genau
orientiert. In manchen Fällen scheint eine Kreuzung aus mechanischen
Gründen, durch den oft gerade bei nahe verwandten Arten sehr ver-
schiedenen Bau der Kopulationsorgane unmöglich gemacht zu sein. Sicherlich
dürften aber auch psj^chische Momente (Erregung durch ganz bestimmte Ge-
rüche oder Geräusche) für das seltene Vorkommen von Kreuzungen ver-
antwortlich zu machen sein.
124 Kapitel IV. Fortpflanzung.
Parthenogenese und verwandte Erscheinungen.
Parthenogenesis und Heterogonie.
Wenn es auch, wie schon gesagt, die Regel ist, daß die Eier dei
Insekten wie die der anderen Tiere zur Entwicklung der Befruchtung be-
dürfen, so gibt es doch gerade unter den Insekten eine verhältnismäßig große
Zahl von Ausnahmen, in denen sich die Eier auch ohne vorhergegangene
Befruchtung zu normalen Imagines entwickeln. Diese eingeschlechtliche Art
der Fortpflanzung bezeichnet man als „Jungfernzeugung" oder Partheno-
genese.
Das Vorkommen von Parthenogenese wurde zwar schon seit langem
(18. Jahrhundert) behauptet, doch man war im allgemeinen so sehr von der
Notwendigkeit der Befruchtung überzeugt, daß man den von einigen wenigen
Forschern aufgestellten Angaben keinen Glauben schenkte. Erst um die
Mitte des 19. Jahrhunderts gelang es dem schlesischen Imker Dzierzon (bei
der Biene) und dem Zoologen Siebold (bei einem Schmetterling, Psyche)
die Jungfernzeugung einwandfrei nachzuweisen, so daß der Widerspruch
aufgegeben wurde.
Die Parthenogenese tritt entweder als anormale Erscheinung auf, oder
aber stellt den normalen Fortpflanzungsmodus dar.
Eine anormale oder exzeptionelle Parthenogenese liegt da vor,
w^o für gewöhnlich die zweigeschlechtliche (amphigone) Fortpflanzung statt-
findet und wo nur ausnahmsweise auch unbefruchtete Eier zur Entwicklung
gelangen. Solche Fälle sind bis jetzt hauptsächlich bei Schmetterlingen beob-
achtet worden {Liparis dispar, similis, Lasiocampa pini), seltener bei anderen
Insekten, wie Hemipteren, Blattwespen, Stabheuschrecken usw. Die aus den
unbefruchteten Eiern hervorgehenden Tiere sind in diesen Fällen meist
weiblichen Geschlechtes (Thelytokie).
Die normale Parthenogenese tritt sowohl gemischt mit Amphi-
gonie auf, als auch, wenn auch viel seltener, rein, d. h. als einziger Fort-
pflanzungsmodus. Im ersteren Fall kommt die Jungfernzeugung ent-
weder direkt neben der zweigeschlechtlichen Fortpflanzung vor,
so daß die Kinder einer Mutter, also die Geschwister, teils aus befruchteten,
teils aus unbefruchteten Eiern entstanden sein können; oder aber die zwei-
geschlechtliche und die eingeschlechtliche Fortpflanzung wechseln
in den verschiedenen Generationen miteinander ab, so daß also
sämtliche Kinder einer Mutter entweder nur aus befruchteten oder aber nur
aus unbefruchteten Eiern hervorgehen (alternierende Parthenogenese).
Für das erste Vorkommnis liefert uns die Biene das bekannteste
Beispiel. Hat es doch, wie oben schon gesagt, die Bienenkönigin gewisser-
maßen „in der Hand", die Eier zu befruchten oder nicht, je nachdem sie auf
die in der Scheide herabgleitenden Eier Samenfäden aus der Samentasche
austreten läßt oder nicht. Auch hier hat die Befruchtung oder Nicht-
befruchtung einen Einfluß auf die Bestimmung des Geschlechtes; doch ergeben
hier die unbefruchteten Eier, im Gegensatz zu den obigen Fällen, nur
Männchen (Drohnen), während aus den befruchteten die Weibchen und die
Parthenogenese und verwandte Erscheinungen.
125
Arbeiter (die ja nichts anderes als rückgebildete Weibchen sind) hei vorgehen
(Arrhenotokie). Ist nun der Samenvorrat der Bienenkönigin ausgegangen,
so kann letztere natürlich nur noch unbefruchtete Eier ablegen und also nur
noch Männchen erzeugen. So erklärt sich, vi^arum alte Königinnen häufig
„drohnenbrütig" werden. Diese von Dzierzon aufgestellte und inzwischen
noch vielfach (auch durch mikroskopische Untersuchungen) bestätigte Lehre
gilt auch für die anderen sozialen Hautflügler, die Wespen, Hummeln,
Ameisen und ferner auch für einige solitär lebende Bienenarten.
Die alternierende Parthenogenese kann unregelmäßig oder
regelmäßig sein. Bei der unregelmäßigen Form folgt eine unbestimmte
(mitunter sehr große) Zahl parthenogenetischer Generationen eine ganz
unbestimmte Zeit lang
aufeinander, ehe wüeder
Männchen auftreten und
Gamogenie stattfindet.
Hierher möchte ich
jene Arten rechnen, bei
denen die Männchen
sehr selten sind oder
oft viel Jahre ganz
verschwunden zu sein
scheinen (manche Aphi-
den u. a.).
Bei der regel-
mäßigen alternie-
renden Partheno-
genese wechseln ein-
und zweigeschlechtliche
Fortpflanzung in einem
einigermaßen be-
stimmten, regelmä-
ßigen Zyklus miteinander ab. Man bezeichnet einen solchen in
Weise zusammengesetzten Fortpflanzungsmodus als Heterogonie.
Die einfachste Form der Heterogonie ist die, bei welcher je eine gamo-
genetische und eine parthenogenetische Generation miteinander abwechseln.
Eine solche Heterogonie finden wir nach der schönen Entdeckung von Adler
bei vielen Gallwespen, die hier noch dadurch besonders auffällig ist, daß
nicht nur die Tiere selbst, sondern auch die von ihnen erzeugten Gallen
der beiden Generationen wesendich voneinander sich unterscheiden. Als
bekanntestes Beispiel hierfür sei Biorhiza terminaiis genannt: Aus den großen,
fleischig schwammigen, an den Triebenden unserer Eichen so häufig vor-
kommenden sog. Kartoffelgallen schlüpfen ungeflügelte weibliche und
geflügelte männliche Gallwespen aus, welche früher mit dem Namen Tereas
terminaiis belegt wurden (Fig. 113). Nachdem sich diese begattet, steigt das
Weibchen an die Wurzeln der Eiche hinab, um an dieselben mit Hilfe seines
Legestachels seine Eier abzusetzen. Als Folge davon entwickelt sich während
Fig. 113. Die Gallenformen der beiden Generationen von Biorhiza
tenninalis Hfg. A die Wurzelgalle, aus der die Biorhiza aptera Fabr.
schlüpft, a Galle mit dem Loche, durch welches die Wespe auskam.
B Terminalgalle mit schwammigem Gefüge, aus der die Tereas
terminaiis genannte, aus Männchen und Weibchen bestehende Gene-
ration schlüpft. - (N.)
dieser
126 Kapitel IV. Fortpflanzung.
des Hochsommers und Herbstes an den Wurzeln eine kleine rötliche Galle,
welche im Winter reift, und aus ihr schlüpfen nun ausschließlich un ge-
flügelte Weibchen heraus, die unter dem Namen ^/orÄ/s« aptera bekannt
sind. Diese pflanzen sich alsbald parthenoge netisch fort, indem sie sofort
nach ihrem Ausschlüpfen den Baum erklettern und die Terminalknospen der
Zweige anstechen und mit Eiern belegen. Darauf kommt hier wieder die
erstgenannte Kartoffelgalle zur Entwicklung, aus der im Sommer Männchen
und Weibchen auskriechen. Es entstehen also hier aus den befruchteten
Eiern ausschließlich Weibchen, während aus den von diesen abgelegten
unbefruchteten Eiern die beiden Geschlechter hervorgehen.
Wesentlich komplizierter wird die Heterogonie, wenn zwischen
je zwei gamogenetischen Generationen eine größere Anzahl von partheno-
genetischen Generationen, die auch wieder in verschiedener Gestalt auftreten,
eingeschoben werden. Dies ist bei den meisten Pflanzenläusen der Fall;
so wird z. B. bei den Chermiden der Entwicklungszyklus aus einer ganzen
Reihe verschiedener Generationen zusammengesetzt (Fig. 114). Da haben
wir 1. die zweigeschlechtliche Generation, die aus zwerghaft kleinen
flügellosen Männchen und Weibchen (Sexuales) besteht; dieselbe tritt nur
einmal im Jahre (Herbst) auf der Fichte auf, um ein sog. Winter ei zu er-
zeugen. 2. Aus diesem kommt im folgenden Jahr ein Weibchen hervor,
das ebenfalls flügellos ist und auf der Fichte eine Galle erzeugt; sie wird
Stammutter oder Fundatrix genannt. 3. Die Fundatrix bringt (partheno-
genetisch natürlich) eine Anzahl Kinder hervor, und zwar nur Weibchen,
die geflügelt sind und von der Gallenpflanze auf eine Nichtgallenpflanze
(Lärche, Kiefer, Weißtanne) überwandern; sie werden Fundatrigeniae oder
Migrantes alatae oder Cellares genannt. 4. Diese erzeugen (wiederum
parthenogenetisch) die sog. Virginogeniae oder Emigranten, das sind
ebenfalls (wenigstens meistens) flügellose Weibchen, die auf der Nichtgallen-
pflanze verbleiben. 5. Diese können nun im Sommer und Winter in
mehreren gleichartigen Generationen auftreten, bis aus der Frühjahrsgeneration
andere Formen (die sog. Sexuparae) sich entfalten, die Flügel besitzen und
die von der Nichtgallenpflanze zu der Gallenpflanze zurückwandert, um dort
Eier zweierlei Geschlechts zu legen, aus denen die kleinen, flügellosen
Männchen und Weibchen hervorgehen, von denen wir ausgegangen sind.
Dieser fünfteilige Entwicklungsz3'klus kann sogar noch komplizierter
werden, indem die Emigranten sich in mehrere Formen gliedern können,
die als Hie mal es und Aestivales unterschieden werden. Die Hiemahs
erzeugen meist wieder ihresgleichen und auch Aestivales ; und ebenso erzeugen
die Aestivales sowohl ihresgleichen, als auch Hiemalis. Nur aus den Aestivales
gehen aber Sexuparae hervor, während die Hiemalis die Sexuparapotenz
verloren haben. So kann also neben dem fünfteiligen Hauptkreis noch ein
besonderer parthenogenetischer, nur aus Hiemalis bestehender Kreis neben-
herlaufen, wie aus dem beigegebenen Schema (Fig. 114) zu ersehen ist.
Reine Parthenogenese. Nehmen wir nun an, daß in jenem Ent-
wicklungszyklus die Sexuales, Sexuparae usw. in Wegfall kommen, so bleibt
nur der auf der Nichtgallenpflanze sich abspielende parthenogenetische Kreis
Parthenogenese und verwandte Erscheinungen.
127
über und wir haben nunmehr eine reine Parthenogenese, bei der die Fort-
pflanzung der betreffenden Art ausschließlich auf parthenogenetischem Wege
stattfindet. Dies ist bei einigen Chermes-Arten auch wirklich der Fall, wie
z. B. bei Chermes piceae, strobi und nüßlini. Man hat früher angenommen,
daß rein parthenogenetische Fortpflanzung nicht gut möglich sei, da sie all-
mählich eine Schwäche oder Degeneration zur Folge haben iiiüsse. Dies trifft
aber nach den neueren Forschungen Börners, Nüßlins usw. durchaus nicht
zu; danach steht es vielmehr fest, daß die parthenogenetische Fortpflanzung
sich unbegrenzte Zeit zu erhalten imstande ist, ohne daß wir auch nur irgend
ein Zeichen pathologischer Veränderung daran wahrnehmen können.
Bei manchen Insekten scheint die Parthenogenese geographisch
begrenzt zu sein, so pflanzt sich ein Sackträgerschmetterling [Psyche helix),
in manchen Gegenden nur parthenogenetisch fort, während an anderen
Orten auch Männchen, wenngleich
nur selten, vorkommen. Man muß
übrigens in dieser Beziehung sehr
vorsichtig sein, und es ist jeden-
falls nicht gerechtfertigt, allein aus
dem Umstand, daß von einer Art
bis jetzt noch kein Männchen ge-
funden ist, ohne weiteres auf das
Vorhandensein einer reinen Par-
thenogenese zu schließen, denn
das Nichtauffinden der Männchen
kann ja auch auf deren großen
Seltenheit oder auf ihrer versteckten
Lebensweise, oder noch auf ver-
schiedenen anderen Momenten be-
ruhen.
Fig. 114. Entwicklungszyklus von Chermes.
Nach Börner.
Paedogenesis.
Die Paedogenesis — abgeleitet von nalg Genitiv, naidög das Kind, und
yersaig die Erzeugung — stellt eine besondere Art der Parthenogenese
dar, bei welcher das betr. Weibchen sich bereits im Larvenstadium fort-
pflanzt. Dieser auffallende Fortpflanzungsmodus wurde 1861 von dem
russischen Zoologen N. Wagner bei den unter alter Baumrinde allenthalben
nicht selten vorkommenden Larven einer Gallmückenart [Miastor metroloas
Meinert) entdeckt.
Hier entwickeln sich die Anlagen der Eiröhren, ohne daß es zu der
Bildung von Ausführungsgängen kommt; sie zerfallen vielmehr in einzelne
Abschnitte, die aus je einem Eifach mit Eizelle und Epithel und einem Dotter-
fache bestehen. Diese Abschnitte liegen frei in der Leibeshöhle der Mutter-
larve; jede Eizelle entwickelt sich nun auf Kosten der anliegenden Zellen zu
einem Embryo, der bald die EihüUe durchbricht, sich von dem Fettkörper
und den übrigen, zerfallenden Organen des Muttertieres ernährt und so
heranwächst, so daß schließlich nur die Chitinhülle des letzteren übrig bleibt
128
Kapitel I\^ Fortpflanzung
(Fig. 115), die endlich von den Tochterlarven gesprengt wird. Letztere
können nun entweder selbst wieder paedogenctisch Junge erzeugen, oder
nach vorhergehender Verpuppung sich in die Imagines verwandeln, die
sowohl männlichen wie weiblichen Geschlechts sind. Es findet eine
Befruchtung statt, das Weibchen legt die befruchteten Eier unter die Borke
ab und es entwickelt sich daraus wieder eine Larvengeneration, die den
Anfang einer Reihe paedogenetischer Generationen bildet. Nach Kahle,
dem wir die neuesten eingehenden Untersuchungen darüber verdanken,
können mehrere Jahre hintereinander nur Larvengenerationen existieren,
ehe die Metamorphose eintritt und die Imagines erscheinen. — Es wechseln
also eine Anzahl paedo-
genetischer resp. partheno-
genetischer Generationen
mit je einer gamogene-
tischen ab, so daß wir
also auch hier von einer
Heterogonie zu sprechen
berechtigt sind.
Polyembryonie oder
Germinogonie.
Im Jahre 1904 hat der
französische Entomologe
Paul Marchai an einigen
parasitisch lebenden Hy-
menopteren, nämlich bei
dem in Hyponomeuta
schmarotzenden Encyrtus
fuscicollis und dem in der
Hessenfliege schmarotzen-
den Polygnotus ininntus,
die überraschende Ent-
deckung gemacht, daß aus
einem einzigen Ei eine
ganze Anzahl Embryonen hervorgehen, die sich alle zu richtigen
Imagines entwickeln. Er nannte diesen Vorgang Polyembryonie oder
Germinogonie.
Bei Encyrtus spielt sich derselbe ungefähr folgendermaßen ab: Das be-
fruchtete Weibchen legt in die Larve von Hyponomeuta ein Ei. Dieses
teilt sich zunächst in 5 Furchungskerne, einen sehr großen exzentrisch ge-
legenen und 4 kleine. Ersterer, der sog. Paranucleus, wächst zu einer Art
Nährgewebe (Trophamnion) heran, w^elches die Übertragung der vom Wirt
stammenden Nährstoffe zu den heranwachsenden Embryonen vermittelt. Die
anderen 4 Kerne dagegen stellen den Ausgangspunkt für die Vermehrung
der Embryonen dar. Wenn die Kerne sich auf 8 — 10 vermehrt haben,
bildet sich aus dem Gewebe des Wirtes um das Ei eine Cyste, welche später
Fig. 115. Paedogenetisch sich
fortpflanzende Fliegenlarve
aus verdorbenen Zuckerrüben-
rückständen nach Pagen -
Stecher, a Augenfleck der
mütterlichen Larve. Sie ent-
hält fünf junge Larven, deren
Kopfenden durch den gleichen
Augenfleck a' angezeichnet
sind. — (N.)
Fig. 116. Polyembryonie von
Encyrtus fuscicollis. Ei mit 17
Morulae (Embryonen). E Em-
bryonen; TTrophamnion (Nähr
gewebe); C Cystenhülle. Nach
Silvestri.
Eiablage. 129
mit dem riesigen Wachstum des letzteren stets Schritt hält (Fig. 116).
Während des Winters, wo die gegen Ende September ausgeschlüpften
Raupen der Hyponomeufa nicht wachsen, gelangt auch das Ei des Parasiten
nur bis zu 20 Furchungskernen; aber im nächsten Frühjahr wächst es rasch
auf über 1 mm heran und wird bereits im Mai zu einem 3 — 4 mm langen
Schlauche, der oft Seitensprossen treibt, und dann etwa 100 Morulae enthält.
Aus jeder Morula entsteht eine Larve resp. Imago, so daß also aus einem
Ei ca. 100 Imagines hervorgehen. Manchmal findet man auch mehr,
ca. 180 Larven in einer Hypouomeula-Raupe, was aber darauf beruhen dürfte,
daß zwei Eier in eine Raupe gelegt wurden. Alle aus einem Ei hervor-
gehenden Imagines besitzen das gleiche Geschlecht, und wenn daher aus
einer Raupe männliche und weibliche Encyrtiis auskommen, so ist dies ein
Zeichen, daß mehrere, mindestens zwei Eier in die betr. Raupe abgelegt
worden waren.
Die Polyembryonie wurde einige Jahre nach Marchals Entdeckung
von Silvestri auch noch bei einem anderen Encyrtiden, nämlich dem in ver-
schiedenen Schmetterlingen {Phtsia gamma und anderen Eulen) schmarotzenden
Encyrtus {Litomastix) truncatellns festgestellt, wobei sich aber aus einem Ei
nicht weniger als 1000 Larven entwickeln. Wahrscheinlich werden bei
eingehenden Nachforschungen noch weit mehr derartige Fälle bekannt werden,
— im Hinblick darauf, daß die polyembryonal sich fortpflanzenden Parasiten
gegenüber den anderen monoembryonal sich fortpflanzenden Arten einen
großen Vorsprung bezügl. der Vermehrung und Sicherung der Arterhaltung
haben.
Eiablage.
Die Zahl der Eier, die ein W^eibchen ablegen kann, ist sehr ver-
schieden, und kann von einigen wenigen bis zu vielen Millionen betragen;
so legt z. B, das Weibchen vom Floh ca. ein Dutzend Eier, vom Totengräber
{Necrophorus) ca. 30, von der Seidenraupe {Bombyx mosi) ca. 500, vom
großen Bären {Arctia caja) ca. 1600 usw. Dann kommen die ganz starken
Eierleger: die Kolumbatschermücke, die ca. 5 — 10000 Eier legt, die sozialen
Wespen, die während ihres Lebens ca. 20 — 30000, die Honigbiene, die bis
60000 Eier legt, und endlich die Termiten, die mit mehreren Millionen Eiern
(deren Ablage sich allerdings über viele Jahre erstreckt) den Rekord halten.
Was speziell die Forstinsekten betrifft, so ist bei ihnen die Eizahl ge-
wöhnlich nicht allzu hoch; so legen z. B. die Borkenkäfer nicht mehr als
30—100 Eier, Lyda hypotrophica nur 25, Lyda stellata ca. 80, die Nematiden
60—150, die Kieferneule 200—300, die Nonne bis 350 (ausnahmsweise auch
bis 400). Bei einigen kommen allerdings auch noch höhere Zahlen vor, so
zählte Scheidter beim Schwammspinner 600 — 800 Eier, bei Agelasiica alni
800, und bei Melasoma popidi sogar 1000 Eier; auch die Cossiden und
Sesiiden sind sehr produktiv, und dürfte ihre Eizahl wohl ebenfalls an 1000
heranreichen.
Über die Dauer der Eiablage ist oben schon einiges gesagt. Bei
vielen Insekten werden die Eier alle auf einmal resp. in kürzester Zeit ab-
Esche rieh, Forstinsekten. 9
2^30 Kapitel IV. Foi-tpflanzung.
gelegt (wie z. B. bei vielen Spinnern); bei anderen dagegen zieht sich die
Eiproduktion und Ablage über Wochen, Monate und Jahre hin, indem jedes-
mal entweder nur ein kleineres, aus einem Bruchteil der Gesamtzahl be-
stehendes Häufchen oder gar nur ein Ei abgelegt wird (z. B. Borkenkäfer,
Bockkäfer, Pissodes usw.).
Bezüglich des Ortes der Eiablage läßt sich als allgemeine Regel auf-
stellen, daß die Eier gewöhnlich da abgelegt werden, wo die aus-
kommenden Larven die ihnen zusagenden Lebensbedingungen,
vor allem die nötige Nahrung finden. Der Instinkt, der die Weibchen
dabei leitet, arbeitet ungemein sicher, so daß Irrungen nur relativ selten vor-
kommen.^) Wenn natürlich die Weibchen abgehalten werden, die normalen
Ablagestellen aufzusuchen, so läßt sie ihr starker Legedrang die Eier auch
an anderen Orten ablegen; so weiß jeder Schmetterlingszüchter, daß die
Schmetterlingsweibchen in Gefangenschaft überall, selbst in den kleinsten
Zündholzschachteln, ihre Eier absetzen.
Um für die oben ausgesprochene Regel einige Beispiele anzuführen, so
sehen wir, daß die Schmetterlinge in der Freiheit ihre Eier gewöhnlich an
der Pflanze ablegen, welche der Raupe als Nahrung zusagt; dabei wird oft
auch auf die verschiedenen Teile der Pflanze Rücksicht genommen, so legt
z. B. die Kieferneule ihre Eier an die Nadeln, der Kieferntriebwickler da-
gegen an die Spitze der Triebe, da eben die Raupen der ersteren sich von
den Nadeln nähren, während die Raupen der letzteren sich in die Triebe
einbohren. Diejenigen Insekten, deren Larven von Wurzeln leben, ver-
senken ihre Eier mehr oder weniger tief in die Erde. Mist- und Aaskäfer
legen ihre Eier an tierische Exkremente oder Tierleichen. Insekten, deren
Larven sich von Blattläusen nähren, z. B. die Florfliege {Chrysopa), legen
ihre gestielten Eier auf mit Blattläusen besetzte Blätter. Wo die Larven an
das Wasser gebunden sind, wie die der Eintagsfliegen, Libellen usw., da
sorgen die Weibchen dafür, daß die Eier in das Wasser abgelegt werden.
Die Borken-, Bock-, Prachtkäfer und verschiedene Rüsselkäfer, deren
Larven unter Rinde oder in Holz leben, legen auch ihre Eier in oder unter
die Rinde (teils in besondere dafür ausgenagte Gänge), und zwar geht dabei
jede Spezies nur an eine ganz bestimmte Baumart, und nicht nur das,
sondern die Weibchen wissen auch jeweils den für die Larve zusagenden
Gesundheitszustand der betreffenden Bäume auszuwählen, indem die einen
völlig gesunde Bäume aufsuchen, andere dagegen nur kränkelndes, wieder
andere nur abgestorbenes Material belegen. Der Aspenbock {Saperda
populnea) nagt sogar um die Stelle, wo das Ei abgelegt ist, die Rinde in
Form eines Hufeisens durch, um den Saftstrom hier zu unterbrechen
(Fig. 117). Die Blattwickler (Rhynchites) versetzen die Gewebe der Blätter,
in welche die Eier eingewickelt werden, durch Anstechen der Blattstiele
oder Mittelrippen, in den der Larve zusagenden Zustand (Fig. 118). Die
^) Als eine Instinktsirrung darf es wohl betrachtet werden, wenn Weibchen
der Nonnentachine, trotz der Anwesenheit zahlreicher untachinierter Raupen an ein
und dieselbe Raupe ein halbes Dutzend Eier ablegt, da doch nur eine oder höchstens
2 Larven in einer Raupe sich entwickeln können.
Eiablage.
131
parasitischen Insekten legen ihre Eier in oder außen auf den Körper ganz
bestimmter Raupen usw., von deren Geweben und Säften die Larven sich
nähren. Mit welch fabelhaftem Spürsinn dabei manche Insekten begabt sind,
zeigt das Beispiel der großen Ichneumonen {Rhyssa, Thalessa usw.), welche
mit Hilfe ihres langen Legebohrers die Eier den tief im Holz sitzenden
Holzwespenlarven zuführen (Fig. 119).
Es gibt auch eine ganze Reihe von Insekten, welche zu den Eiern
die für die auskommenden Larven nötige Nahrung besonders zu-
fügen, wie z. B, die Grabwespen und viele andere solitäre Wespen und
Fig. 118. Blattrolle von dem Blatte eiuer echten Kastanie,
gefertigt von Attelabus curculioiwides L.
Fig. 117. Aspenzweig mit zwei
von Saperda popiihiea-W eihchen
genagten „Hufeisen" (Brut-
pflegeX Nach Boas.
Fig. 119. Ein Ichneumonide (Tlialessa lunator) bei der Ablage
der Eier in einen von Holzwespen bewohnten Stamm. Die
nach hinten und oben umgebogenen beiden Spangen sind die
Scheidenklappen; der eigentliche Legebohrer geht von der
Hinterleibsspitze direekt in das Holz. Nach Riley.
Bienen. Die Grabwespen tragen die verschiedensten Insekten und Spinnen
(jede Grabwespenart hat ihre bestimmten Beutetiere), nachdem sie sie mit
einem Stich in einen Nervenknoten gelähmt, in das Nest, so daß die aus den
Eiern auskommenden Wespenlar\"en genügend frische Nahrung vorfinden.
Bei den sozialen Insekten wird die auskommende Brut in täglicher Brut-
pflege gefüttert, was natürlich den sichersten Modus für die Larven-
ernährung darstellt.
Auch die Form der Eigelege ist ungemein verschieden, und oft sehr
charakteristisch für die einzelnen Arten; die einen legen ihre Eier in
unregelmäßiger Anordnung ab, wie z. B. der Kiefernspinner (Fig. 120),
die Schmeißfliege usw.; auf der anderen Seite aber finden wir Eigelege von
9*
132
Kapitel IV. Fortpflanzung.
großer Regelmäßigkeit, wie z. B. die Eiringel des Ringelspinners
(Fig. 122), oder die Eizellen des Kiefernspanners (Fig. 126) oder der Kiefern-
^:ii■^'.
^M
^^'
A B
Fig. 120. Eiablage des Kiefernspinners {Bombyx pini). Beispiel für unregelmäßige Eiablage. A an
Zweigen; S am Stamm (der weiße Fleck am unteren Ende rührt von der Harnausscheidung des
frischgeschlüpften Weibchens her). Phot. Fr. Scheidter.
eule,oderdieEiplatten des Eichen-
prozessionsspinners und anderer
Schmetterlinge (Fig. 123). Auch
viele Blattkäfer und Wanzen legen
ihre Eier in Form einer einschich-
tigen Platte ab (Fig. 124 u. 125), wenn
auch nicht immer so regelmäßig
wie beim Eichenprozessionsspinner
usw. Bei den Stechmücken sind die
aus dünnen zylindrischen Eiern zu-
sammengesetzten Eiplatten mulden-
förmig vertieft, so daß sie wie ein
Kahn auf dem Wasser schwimmen.
Die Eier von Chironomus sind in
Gallertschnüren in mehr oder
weniger regelmäßiger zeilen- oder
hufeisenförmiger Anordnung ein-
gebettet. Die langen Eier der
Küchenschaben liegen in ihrer
wie Zigaretten in einem Etui
Fig. 121. Unregelmäßige Eiablage von Haltica zwischen
den klebrigen Haaren eines Haselstrauches. Phot.
Fr. Scheidter.
Kapsel so regelmäßig
(Fig. 127).
nebeneinander,
Eiablage.
133
Wo die Eier, wie im letztgenannten Fall, in besonderen Kapseln oder
in Rinde oder Holz abgelegt sind, bedürfen sie keiner besonderen Anheftung.
Wo sie aber äußerlich
an den Pflanzen abge-
setzt werden, sind sie mit
einem aus den Anhangs-
drüsen stammenden,
klebenden Sekret an der
Unterlage befestigt; des-
gleichen sind mit dem-
selben Sekret oft auch
die nebeneinander-
liegenden Eier zusam-
mengeklebt. Manchmal
sitzen die Eier so fest
auf der Unterlage, daß
sie nur schwer davon
zu entfernen sind, wie
z. B. beim Ringelspinner.
Oft besitzen, wie oben
bereits erwähnt, die
Eier selbst besondere Haftapparate, mit denen sie sich mit der Umgebung
verankern. Manchmal werden die Eier zwischen die klebrigen Haare der
Futterpflanze abgelegt, wo sie ohne weiteres haften bleiben (Fig. 121).
Fig. 122.
A ß
„Eiringel". A vom Ringelspinner (Bomlyx mustria L.)
vom Bomhyx castrensis L.. Phot. Fr. Scheidter.
Fig. 123. „Eiplatten". A vom Bnchenspinner (Das. imäibimda); B vom Eichenprozessionsspinner (C«ef;i.
lirocessioma); C vom Mondvogel (Phalera bitcephala). Phot. Fr. Scheidter.
Es liegt im Interesse der Erhaltung der Art, daß die Eier vor schäd-
lichen äußeren Einflüssen, vor allem vor Feinden, möglichst ge-
134
Kapitel IV. Fortpflanzung.
schützt sind; und so sehen wir auch den Instinkt des Weibchens vielfach
in dieser Richtung tätig, indem er das Weibchen leitet, seine Eier entweder
versteckt (in Ritzen, unter Kindenschuppen, auf die Unterseite der Blätter
usw.) abzulegen, oder aber be-
sondere Schutzvorrichtungen
zu treffen. Wir haben oben
schon von den Laich-
schnüren von Chironomus
und den Eikapseln der
Küchenschaben gesprochen.
Ähnliche Bildungen kommen
noch bei vielen anderen In-
sekten vor, z. B. bei Hydro-
philiis, Mantis usw. (Fig. 127).
Die Feldheuschrecken ver-
fertigen mit Hilfe von Hinter-
leibssekreten Schutzgehäuse
aus Sand um die Eier (Fig. 128).
Des weiteren führe ich als
hierher gehörige Beispiele
an: die Blattwespen, welche in das Pflanzengewebe Taschen (Fig. 129)
zur Unterbringung der Eier sägen, oder den Gelbrandkäfer oder gewisse
Wasserwanzen oder Zikaden, die es ganz ähnlich machen. Vielfach besteht
Fig. 124.
„Eiplatten" einer Schildwanze (Pentatoma).
Phot. Fr. Scheidter.
A B
Fig. 125. „Eiplatten" von Blattkäfern. A Mdasoma tremulae; B Agelastica dlni. Phot. Fr. Scheidter.
auch die Gewohnheit, die Eier mit Haaren, Schuppen oder erstarrten
Sekreten zu bedecken. Hierher gehören die „Eischwämme" des Schwamm-
spinners und Goldafters (Fig. 131), ferner die „Schuppenkolben" des
Kiefernprozessionsspinners (Fig. 133), die „Wollringel" des Birkenspinners
Eiablage.
135
Fig. 126. „Eizellen" des Kiefern-
spanners (Bupalus piniarius). Phot.
Fr. Scheidter.
Fig. 127. „Eikapseln". A von der Küchenschabe (Blatta); B von
Mantis (mit ausschlüpfenden Jungen) ; C von Hyärophilus. Nach
Henneguey und Brongniart.
Fig. 128. Eiablage eines Acridiers (Wanderheuschrecke). Das
Männchen sitzt noch von der Kopula her auf dem Weibchen.
Letzteres legt die Eier in die Erde, in besondere, mit Hilfe von
Sekreten aus Sand hergestellte Eikapseln. Nach Kunckel
d'Herculais.
Fig. 129. jEitaschen" einer Weiden-
blattwespe {Nematus miliaris).
136
Kapitel IV. Fortpflanzung.
(Fig. 132) und der „Schaumfleck" des Weidenspinners (Fig. 134), die
Wachswolle der Pflanzenläuse usw. Bei den Schildläusen deckt sich der
Körper der Mutter als schützendes Schild über die Eier.
Manche Weibchen schleppen ihre Eier
längere Zeit mit sich herum, wie z. B. die
Küchenschaben, bei denen die mit Eiern ge-
füllte Eikapsel in die Geschlechtsöffnung ein-
gezwängt wird, oder die Ephemeriden und
Perliden, bei denen die Eierklumpen an der
Bauchseite hängen. Zweifellos dürfen wir auch
darin eine Schutzhandlung erblicken.
Manche Insekten bauen auch besondere
Wohnungen für die Eier resp. Brut, und
manche üben endlich auch einen direkten
Schutz aus. Unter den einzellebenden Insekten
gibt es allerdings nur wenige, welche die ab-
gelegten Eier direkt beschützen, wie die Ohrwürmer, deren Weibchen neben
den abgelegten Eiern (unter Steinen usw.) verbleiben, um sie gegen Angriffe
zu verteidigen, ferner Gryllotalpa und gewisse Wanzen [Elastnostethus). So-
dann hat Mc. Attee neuerdings eine nordamerikanische Tabanide [Goniops
Fig. 130. Ei (stark vergrößert) von
Clytra laeviiiscula (Blattkäfer). A be-
deckt mit einer größtenteils aus dem
eigenen Kot gefertigten Schutzhülle;
B Schuppen der Schutzhülle entfernt.
Nach Lecaillon.
Sc/?
Fig. 131. „Eischwämme". A vom Goldafter (lÄpaHs chrysorrhoea); B vom Schwammspinner (Liparis
dispar).
chrysocomä) beobachtet, wie sie, mitunter mehr als eine Woche lang, die auf
einem Blatt abgelegten Eier bewacht und die nahenden Feinde durch ein
lautes summendes Geräusch abzuschrecken sucht. — Bei den sozialen Insekten
dagegen (Ameisen, Wespen, Termiten usw.) finden wir den direkten Schutz
Eiablage.
137
ganz allgemein, indem hier die Eier von Tausenden von mutigen und wehr-
haften Arbeitern und Soldaten bewacht und beschützt und außerdem auch
noch gepflegt (beleckt, in die jeweils zusagend temperierten Räume ge-
schleppt usw.) werden. Die hohe Ausbildung der Brutpflege wird auch
von manchen nicht sozialen Insekten ausgenützt, indem diese ihre Eier z. B.
in Ameisennestern ablegen,
wo sie dann von den
Ameisen gleich der eignen
Brut gepflegt werden (Brut-
parasitismus).
Fig. 133. „Schuppenkolben" vom Pinieniirozessionsspinne
{Cnefh. pithyocampa).
Fig. 132. „WoUringel" vom Birken-
spinner {Bonibyx lanestris). Fig. 134. „Schaumfleck" vom Weidenspinner (Liparis Salicis).
Als Beispiele für direkten Eischutz (allerdings im weiteren Sinne)
können auch noch diejenigen Fälle angesehen werden, wo die Eier sich im
Mutterleibe entwickeln, wobei entweder noch die Eier eben vor dem Ab-
schluß der Embryonalentwicklung abgelegt, oder sogar schon weiter ent-
wickelte Stadien (Larven und Puppen) geboren werden, was vor allem bei
den Zweiflüglern (Tachinen, Schmeißfliege, Rachendasselfliege, Lausfliege
usw.) vorkommt, sodann aber auch bei einigen Käfern (Staphylinen) und
anderen Insekten.
138
Kapitel I\'. Fortpflanzung.
Embryonalentwicklung.
Die Entwicklung im Ei umfaßt eine Reihe von Formbildungsvorgängen,
die darauf hinauslaufen, die gesamte Masse der Eizelle innerhalb der Eischale
in ein vielzelliges Tier, den Embryo, überzuführen. Eingeleitet wird die
Entwicklung durch die Teilung des Eikernes in eine Anzahl Tochterkerne,
die sich mit Bildungsplasma umgeben und unter fortwährender Vermehrung
durch den Dotter hindurch nach der Oberfläche zu wandern, bis sie unter
die Dotterhaut zu liegen kommen. Hier geht die Vermehrung weiter, bis
die Kerne — die mit ihrem kleinen Plasmahof als „Furchungszellen"
bezeichnet werden — so zahlreich geworden sind, daß sie einander be-
rühren und eine zusammenhängende Schicht um das ganze Ei, resp. den
Dotter bilden. Diese Hüllschicht nennt man das Blastode rm. Zunächst ist
dasselbe vollkommen gleichmäßig ausgebildet, d. h. allenthalben aus gleich
hohen Zellen zusammengesetzt. Bald jedoch differenzieren sich die Zellen,
Fig. 135. Furchung und Keimstreifenbildung. A Teile des Eikerns; Bn. C die Furchungskerne rücken
unter fortwährender Vermehrung nach der Oberfläche, bis sie in D eine zusammenhängende Schiebte,
das Blastoderm (Bl), bilden; E auf der Ventralseite werden die Zellen höher und bilden den Keim-
streifen (Kst).
indem sie in einem gewissen Umkreis höher werden. Diese so entstandene
verdickte Region des Blastoderms, die meist von länglich -ovaler Form ist,
stellt den sog. Keim streif dar, der das Fundament des künftigen Insekten-
körpers bildet (Fig. 135).
Der nächste Vorgang ist der, daß der Keimstreif, der der Bauchseite
des Embryos entspricht, in der Mitte sich einsenkt und so eine Längsrinne
bildet, welche als „Primitivrinne" den Keimstreif von vorne nach hinten
durchzieht. Indem diese Furche sich dann abschnürt, entstehen im Keim-
streifenbezirk zwei Zellschichten, von denen die äußere das äußere Keim-
blatt oder das Ektoderm, und die innere zum größten Teil das mittlere
Keimblatt oder das Mesoderm repräsentiert. Gleichzeitig mit der Primitiv-
rinnenbildung, oder auch etwas früher, treten am Vorder- und Hinterende
des Keimstreifes je eine Gruppe differenzierter Zellen auf, welche das dritte
Keimblatt des Entoderm darstellen (Fig. 136). Dasselbe ist also bei den
Insekten keine zusammenhängende Schicht (wie bei den übrigen Tieren),
sondern wird vielmehr durch zwei isolierte, w^eit voneinander getrennte Zell-
Embrvonalentwicklune;.
139
Fig. 136. Schematische Darstellung der Keimblätterbildung. A Total-
ansicht des Keimstreifs. Die Entodermkeime treten nur an den
beiden Enden auf. B n. C zwei Querschnitte durch das Vorderende
des Keimstreifs mit Entodermkeim (B) und diu-ch die Mitte ohne
Entoderm (C). En Entodermkeim; Ek Ektoderm; Ms Mesoderm.
Nach Escherich aus Berlese.
häufen, den sog. Entodermkeimen, gebildet. Aus diesen Keimen, die mit der
ektodermalen Vorder- und Hinterdarmeinstülpung eng verbunden sind, sprossen
Zellstränge hervor, die
sich allmählich verbrei-
tern und gleichzeitig
einander entgegen-
wachsen (Fig. 140), um
schließlich ein jene
beiden Einstülpungen
verbindendes Rohr (den
Mitteldarm) zu bilden.
Nach Heymons
und vielen anderen soll
bei den meisten hisekten
ein eigentlicher Entoderm
an dem Aufbau des In-
sektenkörpers nicht be-
teiligt sein, sondern der
Mitteldarm sich direkt aus
dem Ektoderm der Vor-
der- und Hinterdarm-
einstülpung entwickeln, so
daß also die Insekten (im
Gegensatz zu allen an-
deren höher organisierten
Tieren) nur aus 2 Keim-
blättern bestünden. Dem wird aber neuerdings allgemein widersprochen (siehe
Korscheit und Heider).
Während der Keimblätterbildung hat der Keimstreif auch an Aus-
dehnung ganz beträchtlich zugenommen, vor allem in die Breite, indem seine
Seitenränder, unter den dünn gebliebenen
Partien des Blastoderms sich hinschiebend,
den Dotter allmählich umwachsen, bis sie
am Rücken zusammenstoßen.
Dadurch, daß der Keimstreif sich
unter die dünngebliebene Hüllschicht schiebt,
bilden sich Falten, welche sich immer
mehr über den Keimstreifen ausbreiten
und, miteinander verwachsend, ihn schließ-
lich vollkommen bedecken, so daß jetzt
über dem Embryo zwei Hüllen liegen,
die als äußere und innere Eihaut
oder als Serosa und Amnion bezeichnet
werden (Fig. 137). Bei manchen Insekten
(z. B. Libellen) wandert der Keimstreif
tiefer in den Dotter ein, so daß er schließ-
lich allseits von der Oberfläche abgerückt ist und zwischen Serosa und
Amnion noch eine Schichte Dotter gelegen ist (Fig. 138).
Als weiterer Vorgang folgt die Segmentierung des Keimstreifs,
d. h. letzterer wird durch Querfurchen in eine Anzahl hintereinander gelegene
Isi.
Jjn.
^Ser.
Fig. 137. Bildung der Embryonalhüllen
(Amnion und Serota) durch Überwachsung
der Blastodermränder. Am Amnion; Ser
Serosa; iTs« Keimstreif. Nach Kor seh elt
und Heider.
140
Kapitel IV. Fortpflanzuni
Abschnitte (Segmente) zerlegt, von denen die vorderen (die sog. Kopflappenj
durch ihre starke Verbreiterung besonders auffallen. Zugleich treten an jedem
Segment paarige, sackförmige Ausstülpungen auf,
welche die Anlagen für die Gliedmaßen darstellen,
von denen allerdings nur die dem Kopf- und Brust-
abschnitt angehörigen zur vollen Ausbildung gelangen,
während die übrigen (an den Hinterleibssegtnenten)
wieder rückgebildet werden. Zwischen den Gliedmaßen-
anlagen bilden sich in jedem Segment Verdickungen,
aus denen das Nervensystem hervorgeht (Fig. 139).
Weiter entsteht an dem Vorder- und Hinterende des
Keimstreifes je eine Einstülpung, die zur Bildung des
Vorder- und Hinterdarmes führt (Fig. 140).
Auf weitere Einzelheiten der Organbildung kann
hier nicht eingegangen werden; es sei nur erwähnt,
wie die Keimblätter zu den einzelnen Organen sich
verhalten. Aus dem äußeren Keimblatt geht hervor:
:-tI^:
Emb.
-Am.
-^-
Ser.
Ser.
Ser.
Fig. 1.39. Totalansicht eines
Fig. 138. Bildung der EmbryonalhüUen dm-ch Einstülpung des Keim- Käferembryos auf dem
Streifs (Libellen-Ei). Bezeichnungen wie in Fig. 137. Nach Brandt Dotter des Eies,
aus Korscheit und Heider. Nach Korscheit.
Prost.
die Haut mit ihren Anhängen
und Drüsen, Vorder- und
Enddarm, die Tracheen, das
Nervensystem und die Sinnes-
organe und endlich ein Teil
der Geschlechtsorgane (der un-
paare Ausführgang mit seinen
Drüsen und sonstigen Aus-
stülpungen); aus dem mitt-
leren Keimblatt: das Mus-
kelsystem, der Herzschlauch,
die Blut- und die Fettzellen
und ebenfalls ein Teil der Geschlechtsorgane (Keimdrüsen und paarige Aus-
führgänge); und aus dem inneren Keimblatt (Entoderm): der Mitteldarm.
Mcs. M.
Fig. 140. Einstülpung des Vorder- (Stom) und Hinterdarms
{Trost); Am Amnion; Ser Serosa; Mes Mesoderm; Ek Ektoderm;
HEnt hinterer Entodermkeim; VEni vorderer Entodermkeim.
Embryonalentwicklung. 141
Hat der Embryo die ihm zukommende höchste Entwicklungsstufe er-
reicht, so öffnet er die Eierschale und schlüpft aus, entweder indem er durch
seine Bewegungen die allmählich morsch gewordene Hülle sprengt, oder,
wenn er mit beißenden Mundwerkzeugen versehen ist, die Schale durchnagt.
Bei solchen Insekten, bei welchen die Eischale gegen das Ende der Ent-
wicklung nicht spröde und brüchig wird, sondern ihre Zähigkeit bis zuletzt
behält, kommen nicht selten besondere Apparate zur Sprengung der
Eischale vor, und zwar gewöhnlich in Form eines unpaaren medianen
Stachels oder einer Leiste oder eines Kammes, der im Stirnteil des Kopfes
sitzt. Wir kennen solche „Eisprenger" bei einer ganzen Reihe von Insekten
aus den verschiedenen Ordnungen, wie z. B. beim Floh, bei verschiedenen
Libellen, Phryganiden, Grillen (Voß), Ohrwürmern, bei Lepisma saccharina,
ferner bei verschiedenen Blattläusen und Schildwanzen. Bei den letzteren
ist der Eisprenger besonders auffallend und daher schon mehrfach be-
schrieben, am ausführlichsten von Heymons, der auch eine allgemeine Über-
sicht über die Eisprenger gibt. „Diese Öffnungsapparate haben bei den
Insekten immer nur eine provisorische Bedeutung, sie sind lediglich beim
Embryo oder bei der ganz jungen Larve vorhanden, werden aber nach Er-
füllung ihres Zweckes meist schon sehr bald, und zwar in der Regel sogar
unmittelbar beim Verlassen des Eies, jedenfalls aber bei der ersten Häutung
wieder beseitigt und sind demnach im späteren Leben des Insekts nicht
mehr vorhanden" (Heymons).
Was die Dauer des Eistadiums betrifft, so ist dieselbe je nach den
Insektenarten sehr verschieden, und kann zwischen wenigen Stunden und
vielen Wochen und Monaten schwanken. So währt sie z. B. bei der Schmeiß-
fliege kaum 24 Stunden, bei Calosoma sycophanta 3 — 10 Tage, bei den Blatt-
wespen 10 — 12 Tage, bei den Leuchtkäfern 5 — 6 Wochen und bei der Nonne
ca. 9 Monate. Doch ist im letzteren Fall die Dauer des Eistadiums nicht gleich-
bedeutend mit der Dauer der Embryonalentwicklung. Diese ist bei der Nonne
vielmehr in wenigen Wochen schon ziemlich abgeschlossen, so daß bereits im
September — das Ei wird Ende Juli oder Anfangs August abgelegt — das
fertige Räupchen in der Eischale liegt. Wenn es nach der Entwicklung nicht
gleich auskriecht, sondern den ganzen Winter in der Schale verbleibt, so ist
hierin zweifellos eine Schutzanpassung zu erblicken, da das kleine Räupchen
in der Eischale vortrefflich gegen die Unbilden des Winters geschützt ist.
Die Dauer des Eistadiums hängt übrigens deutlich von der
Temperatur ab; so braucht z. B. das Ei von Calosoma sycophanta (nach
Burgeß) in den kälteren Frühjahrsmonaten 7 — 10 Tage und in den heißen
Sommermonaten nur 3 — 5 Tage. So kann man ferner das im Nonnenei
liegende Räupchen schon im November oder Dezember (anstatt April) zum
Auskriechen bringen, wenn man das Ei in den Wärmschrank stellt; oder
andererseits auch das Auskriechen auf W^ochen und Monate hinausschieben,
wenn man die Eier auf Eis oder in Kühlräume stellt.
Man hat auch die Ansicht ausgesprochen, daß solche Eier, die normalerweise
überwintern, nicht ohne weiteres durch Wärmeeinwirkung zur beschleunigten Ent-
wicklung gebracht werden können, sondern daß sie zuerst eine gewisse Kälte ge-
nossen haben müssen, bevor die Wärme ihre entwicklungsfördernde Wirkung aus-
142 Kapitel IV. Fortpflanzung.
zuüben vermag (Escherich). Und so senden auch in dieser Annahme verschiedene
italienische Seidenzüchtereien die Eier des Seidenspinners in die Berge, damit
ihnen eine andauernde Kälteperiode zuteil werde. Doch scheint es nach den
neueren Untersuchungen Knoches an Nonneneiern, daß der Kälte eine solche
Rolle nicht in dem Maße zukommt, indem zwischen kältebehandelten und nicht
behandelten Eiern kein Unterschied bezügl. ihres Auskommen zu beobachten war.
Nachembryonale Entwicklung.
Die aus dem Ei schlüpfenden jungen Insekten stimmen darin alle über-
ein, daß sie kleiner als die Imago, flügellos und nicht geschlechtsreif sind.
Im übrigen aber verhalten sie sich je nach den Ordnungen, denen sie an-
gehören, recht verschieden: die einen gleichen in ihrer Form vollkommen
den Eltern, die anderen dagegen zeigen einen mehr oder weniger davon ver-
schiedenen Bau, so daß man oft gar keinen Anhaltspunkt dafür hat, was für
eine Imago daraus entstehen wird.
Die ersteren brauchen nur auszuwachsen und event, Flügel hervor-
sprossen zu lassen, um zur fertigen Imago zu werden; die letzteren dagegen
bedürfen dazu außer des Wachstums noch einer mehr oder weniger starken
Verwandlung. Erstere gleichen, wenn wir an höhere Tiere denken wollen,
in ihrer nachembrj^onalen Entwicklung dem Menschen oder den übrigen
Säugetieren oder den Vögeln, letztere etwa den Fröschen, die ja bekanntlich
das Ei als sog. Kaulquappe verlassen.
Wie wir nun die jungen Vögel oder Menschen nicht als Larven be-
zeichnen, so sollten wir diesen Namen eigentlich auch nicht für die imago-
ähnlichen jungen Insekten anwenden. Jedenfalls machen wir uns damit einer
nomenklatorischen Inkonsequenz schuldig; und es würde logischerweise
viel richtiger sein, derartig gebildete junge Insekten als Jugen^d- oder
Juvenalformen zu bezeichnen. Doch hat sich der Name „Larve" für die
Jugendstadien aller Insekten bereits so allgemein und in allen Sprachen
eingebürgert, daß kaum noch etwas dagegen auszurichten sein dürfte
(Heymons), und daß auch wir ihn hier in dieser weiten Fassung bei-
behalten wollen. Immerhin ist es zweckmäßig, die verschiedenen Kategorien
von Larven auch namentlich zu unterscheiden, und so wollen wir mit
Deegener diejenigen Jugendformen, welche keinerlei provisorischen Organe
(die der Imago nicht zukommen) besitzen, sondern sich lediglich durch eine
unvollkommenere Organisation (geringere Größe, Fehlen oder unvollständige
Ausbildung bestimmter Körperanhänge, wie Genitalanhänge, Flügel, Fühler)
von dem ausgewachsenen Tier unterscheiden, als „primäre Larven" be-
zeichnen. Diejenigen Jugendformen dagegen, welche durch den Besitz von
provisorischen Organen, die der Imago fehlen, ausgezeichnet sind, als
„sekundäre" und „tertiäre Larven". Die provisorischen Organe stellen
Anpassungen an speziell der Larve zukommende Funktionen dar, und so
werden wir eine um so reichere provisorische Organisation finden, je ver-
schiedener die Lebensweise von Larven und Imago ist.
Dieser letzte Moment, d. h. die Abänderung der Lebensweise von
Seiten des jungen Insektes, ist als der erste Anstoß für die Entstehung der
sekundären und tertiären Larven zu betrachten. Wenn die Jugendform eines
Nachembryonale Entwicklung. 143
frei auf der Pflanze lebenden Insektes zur unterirdischen Lebensweise über-
geht, so bedarf sie besonderer grabender Organe (z. B. die Grabbeine der
Zikadenlarven); oder w^enn die Larven luftlebender Insekten ins Wasser
gehen, so bedürfen sie besonderer für die Wasseratmung geeigneter Vor-
richtungen; oder wenn die Larven von saugenden Insekten dazu übergehen,
von fester Blattsubstanz sich zu nähren, so bedürfen sie kauender Mund-
werkzeuge usw\ Da nun die Imagines ph3dogenetisch älter sind als die
Larven, so sind die larvalen Organe als sekundär erworbene, auf die Ver-
änderung der Lebensweise zurückzuführende Eigenschaften aufzufassen. Je
mehr provisorische Organe also vorhanden sind, desto weiter hat sich die
Larve von der Imago entfernt, desto imagounähnlicher wird sie.
Danach lassen sich die sekundären und tertiären Larven folgender-
maßen voneinander unterscheiden: Bei den einen besitzen die Larven neben
den provisorischen Organen noch zahlreiche imaginale Charaktere, so daß
der Habitus der Imago mehr oder weniger gewahrt bleibt: „sekundäre
Larven"; bei den anderen sind die imaginale Charaktere so zurückgedrängt
gegenüber den larvalen, daß ein völlig fremder, imagounähnlicher Habitus
entsteht: „tertiäre Larven."
Wir können also im ganzen folgende drei Gruppen von nach-
embryonalen Jugendformen aufstellen:
L imagoähnliche ohne provisorische Organe: primäre Larven;
2. imagoähnliche mit provisorischen Organen: sekundäre Larven;
3. imagounähnliche mit vorwiegend provisorischer Organisation: tertiäre
Larven.
Es versteht sich von selbst, daß der Weg, den die zur Imago führende
nachembryonale Entwicklung zurückzulegen hat, um so länger und kom-
plizierter ist, je imagounähnlicher das junge Insekt dem Ei entschlüpft, und
umgekehrt, um so kürzer, je imagoähnlicher das junge Insekt ist. Wir
werden also die einfachste Form der nachembryonalen Entwicklung bei den
Insekten mit primären Larven, die komplizierteste dagegen bei den Insekten
mit tertiären Larven finden.
Wo primäre Larven vorhanden sind, da besteht die ganze nachembr3^onale
Entwicklung in einem einfachen Auswachsen und einer event. Umformung
einiger Teile; die Entwicklung geht geradewegs von dem Ei auf das End-
stadium, die Imago, los. Wir bezeichnen diesen Vorgang als Epimorphose.
Wo es sich aber um sekundäre und tertiäre Larven handelt, da kann
die Entwicklung nur auf Umwegen, unter Rückbildung der provisorischen
und Ausbildung der imaginalen Organe zur Imago führen, ein Vorgang, den
man als Metamorphose bezeichnet.
Der Umweg ist, wie schon gesagt, um so größer, je zahlreicher die
provisorischen Organe sind und umgekehrt. So schlägt die Entwicklung bei
den Insekten und mit sekundären Larven (z. B. Libellen) schon bald den
Weg zur Imago ein, während die tertiären Larven (z. B. die Schmetterlings-
raupen) bis zu ihrer Vollwüchsigkeit in ihrer weit von der Imago abweichenden
Richtung verharren, um dann plötzlich, gewissermaßen mit einem Sprung
zur Imago, sich zu verwandeln.
144 Kapitel 1\'. Fortpflanzung.
Diese plötzliche Verwandlung bedingt eine mächtige Revolution im
Innern, welche ihrerseits natürlich möglichst viel Ruhe nach außen verlangt.
Und so sehen wir bei allen Insekten mit tertiären Larven auf das letzte
Larvenstadium w^enigstens ein Ruhestadium folgen, welches wir als „Puppe"
bezeichnen.
Die Metamorphose verläuft also verschieden, je nachdem sie Insekten
mit sekundären oder tertiären Larven betrifft. Im ersten Fall haben wir meist
nur: Ei — Larve — Imago, im zweiten Fall dagegen stets wenigstzns: Ei —
Larve — Puppe — Imago. Wir bezeichnen die erste Form der Metamorphose
als „Hemimetabolie", die letzte als „Holometabolie".
Während alle diese Verwandkmgsformen : Epimorphose, Hemi- und Holo-
metabolie das eine gemeinsam haben, daß die Segmentzahl konstant bleibt, resp.
nicht vermehrt wird (^Holomerie), gibt es noch eine zweite Entwicklungsform, bei
der eine Vermehrung der Segmente stattfindet (Anamerie). Die letztere ist
bei den niederen Arthropodengruppen weit verbreitet, während sie unter den
Insekten nur auf die Proturen beschränkt ist.
Wir werden unten noch einige weitere Formen von Metamorphose
kennen lernen; bevor wir aber auf diese Einzelheiten näher eingehen, seien
einige Punkte, die zum Verständnis der nachembryonalen Entwicklung not-
wendig sind, erörtert.
Die Häutung.
Das Larvenstadium ist das Stadium der Ernährung. In ihm sammelt
das aus dem Ei entstandene Tier durch eigene Nahrungsaufnahme diejenige
Körpermasse, aus welcher der verhältnismäßig große Leib des erwachsenen
Insektes aufgebaut wird. Nach Lyonet ist die reife Weidenbohrerraupe
ungefähr 72000 mal schwerer, als das neu ausgeschlüpfte Räupchen, und die
Schmeißfliegenlarve kann in 24 Stunden um das 200 fache ihres Anfangs-
gewichtes zunehmen.
Es fällt daher auch das gesamte Körperwachstum des Einzelinsektes in
diese Zeit hinein. Da aber die fertige Chitincuticula nur wenig oder gar
nicht ausdehnungsfähig ist, so tritt jedesmal, wenn die Körpermasse der
Larve so weit zugenommen hat, daß die ursprüngliche Cuticula dieselbe nicht
mehr zu fassen vermag, eine Häutung ein. Die alte Chitincuticula hebt
sich zunächst von ihrer Matrix, der Hypodermis, ab, und die Hypodermis-
zellen bilden neue Cuticularsubstanz auf ihrer Oberfläche. Zu gleicher Zeit
scheiden besondere Drüsen, sog. Häutungsdrüsen, die bei verschiedenen
Insekten in verschiedener Zahl und Anordnung vorhanden sind, reichliche
Mengen eines flüssigen Sekretes ab (Exuvialflüssigkeit), die zwischen die
alte losgelöste und die neu sich bildende Haut tritt, und so der letzteren die
Möglichkeit einer freieren Entfaltung ihrer Anhänge usw. verschafft. Nach-
dem die neue Haut fertig gebildet ist, zerreißt die alte Cuticula (meist in der
Kopfregion) und die Larve tritt aus ihrer alten Haut heraus (Fig. 141).
Die Häutung erstreckt sich nicht nur auf die Haut der Körperober-
fläche, sondern auch auf die chitinöse Auskleidung der Tracheen, des Vorder-
und Enddarms, verschiedener Drüsen usw. Daneben spielen sich auch sonst
noch gewisse Degenerations- und Erneuerungsprozesse an verschiedenen
Nachembrj'onale Entwicklung. 145
Organen, z. B. Darm und Fettkörper ab, so daß die Häutung also einen in
das Leben der Insekten tief einschneidenden Vorgang darstellt. Daher
kommt es, daß die Insekten während der Häutungsperiode in ihrer
Lebensenergie stark herabgedrückt sind, und träge und freßunlustig
werden. Oft suchen die Larven in dieser Zeit besondere geschützte Plätze
auf, um dort so lange zu bleiben, bis die Häutung überstanden ist. In
extremen Fällen sinken die Larven sogar bei jeder Häutung in einen völlig
apathischen, an die Puppenruhe erinnernden Zustand; dies kommt z. B. bei
den Termiten vor, bei denen die Larven schon einige Tage vor der Häutung
in einen starren und völlig unbeweglichen Zustand verfallen, und in denselben
bis mehrere Tage nach dem Abwerfen der alten Haut verbleiben.
Entwicklungsstadien.
Als „Entwicklungsstadium" bezeichnen wir den Zustand der Larve,
der zwischen zwei Häutungen gelegen ist. Mit dem Abwerfen oder
der völligen Ablösung der alten Chitinhaut beginnt also jedesmal ein neues
Fig. 141. Häutimg einer Schmetterlingsraupe. Die Eaupe ist zur Hälfte aus der alten Haut (AH)
herausgekrochen. Die alte Kopf kapsei (AK), die von der Rumpf haut abgerissen ist, hängt noch an der
neuen Kopf kapsel (NK). Ferner sieht man die alte Tracheenintima (ATr), die bei der Häutung aus dem
neuen Stigma (St) herausgezogen wird. Nach der Wandtafel von P für tscheller, etwas verändert.
Stadium, das dann wieder mit der nächsten Häutung sein Ende findet.
Durch die Häutung werden somit die Stadien begrenzt, während das erste
Larvenstadium mit der Entfernung der embryonalen Cuticula seinen Anfang
nimmt. Die Zahl der Häutungen ist bei den verschiedenen Insekten sehr
ungleich; sie beträgt z. B. bei der Stubenfliege 3, bei den Schmetterlingen
durchschnittlich 5, bei den Wespen und Bienen wenigstens 8, bei den Küchen-
schaben 7, bei den Feldheuschrecken im allgemeinen 5, bei der Eintags-
fhege 22 und bei der 17 jährigen Zikade gar bis 30; bei den niederen
Insekten ist vielfach die Zahl der Häutungen überhaupt nicht streng fixiert.
Die einzelnen Stadien unterscheiden sich nicht immer nur durch die
Größe, sondern sehr häufig auch noch durch eine verschiedene Färbung,
verschiedene Struktur, Auftreten neuer Organe, andere Form usw., und
zwar nicht nur bei den primären und sekundären, sondern auch bei
den tertiären Larven. So z. B. besitzt das erste Raupenstadium bei der
Nonne das sog. Spiegelräupchen, eigentümliche, mit blasenförmigen Er-
weiterungen versehene Haare (Toxophore), die dem zweiten Stadium fehlen.
Ja, es gibt sogar Fälle (gewisse Ichneumoniden usw.), in denen zwei
aufeinanderfolgende Stadien habituell so verschieden sind, daß der Un-
Escherich, Forstinsekten. 10
146
Kapitel IV. Fortpflanzung.
Larve (speziell der ertiären)
Dabei besteht eine sehr deut-
insofern, als die Larven, die
unter Rinde oder im Holz
eingeweihte ihre Zusammengehörigkeit nicht erkennen kann (interlarvaler
Dimorphismus).
Provisorische (larvale) Organisation.
Als provisorische Organe werden solche Organe bezeichnet, welche nur
der Larve zukommen, und der Imago fehlen. Es würde hier zu weit führen,
sämtliche vorkommenden lar^-alen Organe zu besprechen, und so sollen nur
einige besonders augenfällige Unterschiede zwischen larvaler und imaginaler
Organisation genannt werden.
Im allgemeinen ist die Haut der
dünner und weicher als bei der Imago.
liehe Abhängigkeit von der Lebensweise,
ein verborgenes Leben führen (wie die
lebenden Larven der Borken-, Rüssel- oder Bockkäfer, oder die in Bauten
geschützten Larven der Ameisen, Wespen und Bienen, oder die im
Körper anderer Insekten parasitierenden Larven der Schlupfwespen usw.),
viel weichhäutiger sind,
als die ein freies Leben
führenden Larven, wie
die vom offenen Raub
lebenden Larven der
Laufkäfer oder die von
Blättern lebenden Rau-
pen der Schmetterlinge
oder Afterraupen der
Blattwespen. Bei Lar-
ven, welche in Gehäusen
leben, wie z. B. die Köcherfliegen (Fig. 147), sind die stets im Gehäuse ver-
bleibenden Teile viel weichhäutiger als die daraus hervorragenden vordersten
und hintersten Abschnitte.
Ungefähr das gleiche gilt von der Färbung, indem dieselbe ebenfalls
von dem Aufenthalt der Larve wesentlich beeinflußt wird; bei denverborgen
lebenden Larven ist die Haut meist pigmentlos, so daß sie infolge des
durchschimmernden Fettkörpers weiß erscheinen, bei den frei lebenden
Larven dagegen finden wir die verschiedensten Färbungen und Zeichnungen,
die oft mit der Umgebung mehr oder weniger übereinstimmen und dadurch
den betreffenden Tieren einigen Schutz verleihen.
So können wir also aus der Beschaffenheit der Haut
Färbung schon einen einigermaßen sicheren Schluß
Lebensweise der Larve ziehen, insofern als wir weichen
gefärbten Formen eine verborgene, und härter chitinisierten oder
lebhaft gefärbten Formen eine offene freie Lebensweise zuschreiben
können.
Die Larvenhaut ist gewöhnlich auch mit Anhängen der verschiedensten
Art besetzt, die der Imago fehlen (Fig. 142). So hat Leisewitz eine Menge
larvaler Haare, Borsten und Dornen beschrieben, welche den Larven zur Fort-
Fig. 142. Haut einer Mschgeschlüpften Larve von Hylecoefus dermes-
toides L., mit zahlreichen zur Fortbewegung dienenden Dornen.
Nach Leisewitz.
und
der
auf
die
und
un-
Nachembryonale Entwicklung.
147
bewegung dienen. Man denke ferner an das dichte Haarkleid der Bären-
raupen, von dem bei der Imago nichts mehr vorhanden ist usw.
Groß ist auch die Zahl der provisorischen Drüsen. Es sei nur an
die langen, hornartig ausstülpbaren Drüsen in der Nackengegend der
Papilioraupen, die sog. Nackengabeln erinnert, oder an die am Rücken des
9. und 10. Segmentes gelegenen Trichterwarzen der Nonnenraupen, oder an
die Drüsen gewisser Chrysomelidenlarven {Lina popuH), deren Sekret den
charakteristischen, „schützenden" Geruch verbreitet.
Wie verschieden von der Imago ist ferner meist die ganze Körper-
form und die Segmentierung der tertiären Larven. Im allgemeinen sind
die Larven länger und schmäler als die Imagines, und auch ursprüngHcher
segmentiert, sowohl bezügl. der Zahl der Segmente als auch der Gleich-
artigkeit ihres Baues. Vor allem sind die Brustsegmente, mangels funktions-
Fig. 143. Mundgliedmaßen einer Raupe. Cl Clj^peus; Ol Oberlippe; Md Mandibeln; Mx MaxiUe; Mxt
Maxillartaster; Ul Unterlippe; TJlt Unterlippentaster; Ant Fühler. Nach der zoolog. Wandtafel Nr. 23
von Pfurtscheller.
fähiger Flügel, in ihrem Umfang und ihrer Konfiguration oft nur wenig oder
gar nicht von den Hinterleibssegmenten verschieden, so daß die Trennung
des Rumpfes in Brust und Abdomen mitunter undeutlich wird oder auch
ganz verschwindet.
Nicht weniger unterschiedlich resp. provisorisch verhalten sich die
Extremitäten. So sind die Fühler der Larven im allgemeinen viel kürzer
und auch ganz anders gebaut als die Fühler der dazu gehörigen Imagines.
Ja, nicht selten sind sie auch ganz rückgebildet, wie bei den Rüsselkäfer-
larven, Fliegenmaden usw. Beim großen Eichenbock besitzt die Larve nur
winzige, kaum bemerkbare Fühler, während sie bei der Imago bekanndich
mächtig entwickelt sind. Auch die Mundgliedmaßen der Larven weichen
vielfach stark von den imaginalen ab. Die Raupen der Schmetterlinge haben
kauende Mundwerkzeuge (Fig. 143), die Imagines dagegen einen Saug-
rüssel; bei der Larve vom Gelbrandkäfer sind die Mandibeln zum Saugen
10*
148
Kapitel IV. Fortpflanzung.
eingerichtet, während sie bei den erwachsenen Tieren als einfache Greif-
zangen dienen. Oder man denke an die aus wenigen Stücken bestehenden
Schlundhaken der Fliegenmaden und dem komplizierten Rüssel der aus-
gewachsenen Fliegen. Aber selbst da, wo Larve und Imago kauende Mund-
werkzeuge besitzen, sind dieselben bei der Larve meist ganz anders gebaut,
als bei der Imago.
Die lokomotorischen Extremitäten (Beine) sind bei den Larven
gewöhnlich viel schwächer entwickelt und in ihrer Gliederung viel einfacher
als bei der Imago. Wir brauchen nur die Beine einer Raupe mit den
Beinen eines Schmetterlinges zu vergleichen, um uns davon zu überzeugen.
Bei vielen Larven sind die Brustbeine rudimentär und nur noch als kleine
Stummel vorhanden (z. B. Bockkäfer), oder sie fehlen auch ganz (Borken-
käfer, Fliegenmaden usw.). Bei einer Anzahl von Larven (Raupen und
Afterraupen) treten auch am Hinterleib noch mehrere Beinpaare auf, die sich
in ihrem Bau wesentlich von den Brustbeinen unterscheiden und die als
Pedes spurii oder Bauch- oder Afterfüße bezeichnet werden. Sie stellen
eigentlich nur ausgestülpte
Hautzapfen dar, die auf
der Endfläche mit einem
Kranz kurzer Dörnchen
ausgerüstet sind. Ihre
Zahl ist verschieden; bei
den Schmetterlingsraupen
treten sie gewöhnlich in
5 Paaren (bei den Spannern
nur 2) auf, bei den Larven
der Blattwespen, den sog.
Afterraupen, in 6—8 Paaren.
Bei manchen Larven kommen noch andere Fortbewegungsorgane
vor: wir haben oben schon von den Dornen und Borsten gehört, die der
Fortbewegung dienen; oft finden sich außerdem auch noch Warzen und
Wülste (und zwar sowohl am Bauch, als auch am Rücken), die beim Vor-
wärtsbewegen in engen Gängen, Röhren usw. in Funktion treten. Auch
das ausstülpbare Ende des Enddarmes, welches mitunter noch mit be-
waffneten Schläuchen versehen ist, dient bei gewissen Larven (Elateriden,
Staphyliniden, Carabiciden, Lampyriden und vielen anderen), wie G. W.
Müller neuerdings beschrieben hat, als Fortbewegungsorgan (Fig. 144).
Gehen wir nun zur inneren Organisation über, so treten uns auch
da eine Menge echt larvaler Bildungen entgegen. So ist der Darmkanal
der Larven meist sehr verschieden vom imaginalen Darm, namentlich dann,
wenn die Nahrung der Larve von der der Imago wesentlich abweicht. Am
deutlichsten prägt sich dieses bei den Schmetterlingen aus. Während
nämlich die auf flüssige Nahrung (auf Blumensäfte) angewiesenen Imagines
einen verhältnismäßig wenig umfangreichen, dünnen, nur mit einem seitlich
angesetzten großen Kropf, dem „Saugmagen", versehenen Darm haben, ist
der Darm der Raupe ein in gerader Linie von Mund zu After verlaufender,
Fig. 144. Ausgestülptes Ende des Enddarmes (D) als Fort-
bewegungsorgan bei einer Elateridenlarve. Nach G. W. Müller.
Nachembryonale Entwicklung
149
dicker Schlauch, bei welchem besonders der Mitteldarm zu einem weiten
massigen Behälter für die reichliche Pflanzennahrung ausgebildet ist (Fig. 145).
Fig. 145. Darmkanal nebst Anhängen der Raupe von Bombyx pini L. (nach Suckow). a Speicheldrüse;
a' Spinndrüse; b Schlund; c Mitteldarm; h Dünndarm; fc Mastdarm; i Harngefäße, von denen 2 Paar
der rechten Seite und alle Linksseitigen abgeschnitten erscheinen. — (N.)
Im übrigen sei auf das oben (S. 65) über den Darmkanal gesagte ver-
wiesen, und besonders auf die dort gegebenen Abbildungen, welche die
>K I
Fig. 146. Unterschiede des Nervensystems von Larve und Imago. In A {Bibio hortulanus, Diptere) ist
die Gauglienkette bei der Larve weniger konzentriert als bei der Imago; in B (Volucella, Diptere) ist
das Umgekehrte der Fall. Nach Künckel d'Herculais aus Henneguey.
großen Unterschiede zwischen larvalem und imaginalem Darm ohne
weiteres erkennen lassen. Viele Larven besitzen ferner mächtig entwickelte
Spinndrüsen, welche den Ima-
gines fehlen.
Große Unterschiede zwischen
Larve und Imago bestehen ferner
im Bau des Tracheensystems.
Ist doch bei manchen Larven die
Zahl der Stigmen auf 2 oder gar
nur 1 Paar reduziert (Dipteren),
während die Imagines die volle Zahl besitzen. Besonders auffallend werden die
Differenzen da, wo die Larven dem Wasserleben angepaßt sind, während
Fig. 147. Phryganidenlarve im Gehäuse.
150 Kapitel IV. Fortpflanzung.
die Imagines ein Luftleben führen, indem hier die Stigmen geschlossen sind
und funktionell an ihre Stelle verschieden geformte, dünne Anhänge (sog.
Tracheenkiemen) treten, die einen Gasaustausch unter Wasser ermöglichen
(siehe S. 76).
Endlich sei noch auf die Verschiedenheiten des Nervensystems bei
Larve und Imago hingewiesen (Fig. 146), die meist darin bestehen, daß
die Ganglienkette bei der Larve meist weniger konzentriert ist, als bei
der Imago (selten umgekehrt), was ebenfalls oben schon des Näheren
erörtert ist.
Die Imaginalanlagen der Larven.
Die tertiäre Larve (siehe S. 143) hat in ihrer Organisation kaum noch
irgend welche imaginalen Züge, alles an ihr ist spezifisch larval, sie ist zu einem
ganz anderen Tier geworden als die Imago, weil sie eine andere Lebensweise
angenommen und sich an diese in sehr vollkommener Weise angepaßt hat.
Die Anpassung an die veränderte Lebensweise konnte nur dann eine voll-
kommene werden, wenn die Larve nicht durch den Ballast imaginaler
Organisation beschwert war. „Denn über eine gewisse Grenze des Zugleich-
existierens larvaler und imaginaler Organe hinaus konnte das Tier nicht zur
selben Zeit provisorisch und imaginal organisiert sein, ohne daß ein
Monstrum zustande kam, eine Mischform zwischen Larve und Imago, welche
an keine mögliche Lebensweise mehr erhaltungsfähig angepaßt sein könnte.
Wie weit die Vereinigung einer larvalen und unvollkommenen imaginalen
Organisation höchstens gehen kann, lehren uns die sekundären Larven.
Darüber hinaus ist eine Steigerung der provisorischen Organisation nur noch
möglich unter gleichzeitiger Unterdrückung der imaginalen Organisation, das
heißt: je mehr die fortschreitende Entwicklung zur Imago zurückgehalten
wurde, und je länger dies geschah, um so längere Zeit konnte die Larve in
unveränderter, also in für sie zweckmäßigster Gestalt leben und ihre Aufgabe
erfüllen." (Deegener.)
Wie ist es nun möglich, daß die tertiäre Lar^-e nach der letzten
Häutung auf einmal ein ganz anderes Wesen wird? Dieser überraschende
Vorgang, der ehedem als das größte Wunder angestaunt wurde, wird uns
verständlicher, wenn wir die Gewebe der Larven genauer untersuchen. Wir
werden dann überall im Larvenkörper Keime finden, welche die Anlagen der
verschiedenen imaginalen Organe darstellen, und deshalb auch als Imaginal-
anlagen bezeichnet werden.
Sehen wir uns z. B. die Flügelbildung an. Während bei der primären
und sekundären Larve die Flügel allmählich hervorsprossen, und in jedem
Stadium länger werden, findet sich selbst an der vollwüchsigen tertiären Larve
keine Spur von Flügelanlagen, äußerlich wenigstens. Untersuchen wir aber
die Segmente, an denen später die Flügel sitzen, etwas näher, so werden wir
innerlich sehr wohl Flügelanlagen entdecken, und zwar in Form von Haut-
einstülpungen. Bei der letzten Larvenhäutung stülpen sich dieselben nach
außen vor, so daß sie also bei der Puppe äußerlich als Flügel in Er-
scheinung treten.
Nachembryonale Entwicklung.
151
Was hier für die Flügel gesagt ist, trifft für alle imaginalen Organe zu,
d. h. dieselben sind in der tertiären Larve meistens bereits vorhanden als
sog. Keime oder Anlagen, die aber während der Larvenperiode mehr oder
weniger latent bleiben, um sich erst nach Auflösung der larvalen Organe
in die imaginalen zu entfalten. So finden wir in den bein- und kopflosen
Fliegenmaden bereits ganz deutlich die Bein- und Kopfanlagen in Form von
Einstülpungen (Fig. 148); so finden wir als Ausgangspunkt für den imaginalen
Hautpanzer allenthalben in der larvalen Hypodermis größere oder kleinere
Zellgruppen eingelagert, die sog. Imaginalscheiben ; so finden wir ferner im
larvalen Darm bereits die Anlagen für den imaginalen Darm ebenfalls in
Form einzelner Zellgruppen usw.
Die Puppe.
Wenn wir die Larve und die Puppe eines Schmetterlings miteinander
vergleichen, so fällt ohne weiteres ein großer Unterschied zwischen beiden
A B
Fig. 148. Imaginalscheiben: A in der Larve (eingestülpt), B in der Puppe (auseestülpt) der Stuben-
fliege {Musca). JSj_3 Beinanlagen; Ant Fühleranlagen; Aug Augenanlagen ; R Rüsselanlage; -D Darm;
G Gehirn; N Bauchmark. Nach van Rees aus Korschelt und Heider.
auf: die Larve ist völlig imagounähnlich, die Puppe dagegen erscheint der
Imago sehr ähnlich, indem sie mit allen imaginalen Organen ausgestattet
ist, während ihr die larvalen Organe samt und sonders fehlen. Wir rechnen
daher die Puppe auch dem Imagostadium zu, d. h. fassen sie als eine
unvollkommene oder noch unfertige Vorstufe der Liiago auf. Und so haben
wir also gewissermaßen nicht nur ein, sondern mehrere Imagostadien
zu unterscheiden.
Diese Auffassung, die hauptsächlich von Heymons, Deegener und
Boas vertreten wird, erhält dadurch eine kräftige Stütze, daß bei niederen
Insekten die Zahl der Häutungen (und Stadien) oft gar nicht fest fixiert ist,
und bei einigen Urinsekten {Machilis, Collembolen) selbst im ausgewachsenen
Zustand und nach erlangter Geschlechtsreife nochmals Häutungen statt-
152
Kapitel IV. Fortpflanzung
finden können. Es scheint, daß erst die Entstehung der Flugwerkzeuge
eine Änderung hierin herbeigeführt hat und bewirkt hat, daß die Häutungen
bei den Insekten fortan im Imagozustand unterblieben. Denn durch den
Häutungsprozeß wird die Brauchbarkeit der Flügel zweifellos stark herab-
gedrückt.
Es gibt allerdings noch einige wenige Insekten, die im geflügelten Zu-
stande, d. h. mit funktionsfähigen Flügeln, sich nochmals häuten; es sind dies
die Eintagsfliegen oder Ephemeriden. Das letzte, vor der Imago gelegene
Stadium dieser Insekten, die sog. Subimago, gleicht vollkommen der Imago,
und unterscheidet sich von ihr hauptsächlich durch mangelnde Geschlechts-
reife. Es stellt also eine unfertige Imago dar, und ist in dieser Beziehung
der Puppe der höheren Insekten gleichzustellen.
Die Fähigkeit der Ortsbewegung, die der Subimago der Ephemeriden
zukommt, spricht keineswegs gegen diese Auffassung, da es ja auch be-
Fig. 149. Entwicklung von Mantispa (Neuroptere) mit larvalem Dimorphismus und frei beweglicher,
herumwandelnder Puppe. L^L^ Larve; P Puppe; J Imago. Nach Brauer und Packard aus Heymons.
wegungsfähige Puppen gibt. Abgesehen von den allgemein bekannten
beweglichen Puppen gewisser Dipteren oder Lepidopteren, bei denen die
Beweglichkeit eine sekundär erworbene Eigenschaft darstellt, kommen bei
gewissen Neuropteren und Trichopteren noch Puppen vor, die mit Hilfe
ihrer Extremitäten munter einherwandern oder sich schwimmend vorwärts
bewegen können.
Als Beispiel sei hier die Entwicklungsgeschichte von Mantispa styriaca
angeführt (Fig. 149). Aus dem Ei dieser Neuroptere schlüpft eine 1. frei-
bewegliche mit kräftigen Beinen versehene Larve (Z-i), die sich in einem
Spinnenkokon einbohrt, um sich von den in diesen enthaltenen Eiern zu
ernähren. Sie wandelt sich dort in eine 2. abweichend gestaltete kurzbeinige
Larve [L^ um, die im Innern des Kokons eingeschlossen liegt und dann 3. in
das Puppenstadium übergeht. Beim Puppenstadium von Mantispa sind aber
zwei verschiedene Phasen zu unterscheiden, nämlich eine Phase, in der
die Puppe unbeweglich in einem Gespinst im Innern des Spinnenkokons
ruht, und eine weitere Phase, in der die Puppe Beweglichkeit erhält. In
diesem letzteren Zustande verläßt sie den Spinnenkokon und lebt frei als
Die verschiedenen Formen der Entwickluns
153
subimagoartige Form (P), bis 4. die Umwandlung zur geflügelten geschlechts-
reifen Imago sich vollzieht.
Auch bei anderen Neuropteren kommen nach anfänglicher Ruheperiode
beweglich werdende Puppen vor. Ja, nach den Untersuchungen von
Thienemann kann bei Trichopteren von einer eigentlichen Puppenruhe über-
haupt keine Rede sein, denn die Trichopterenpuppe führt im Innern des
Köchers mit dem Hinterleib fortwährende Bewegungen aus, um das Atem-
wasser zu erneuern, sie bedient sich besonderer Putzapparate zur Entfernung
von Fremdkörpern, und wenn sie schließlich ihr Gehäuse verläßt, so
schwimmt sie frei im Wasser, bis sie das Land erreicht hat, um sich dort
zur Imago umzuwandeln.
Die verschiedenen Formen der Entwicklung.
Nachdem nun die Begriffe Larve, Puppe usw. erläuteit sind, können
wir dazu übergehen, die verschiedenen Formen der nachembryonalen Ent-
wicklung, die der beigegebenen Tabelle (im Anschluß an Heymons) über-
sichtlich dargestellt sind, zu besprechen, i)
Anamera.
Holomera.
Anamorpha.
Epimorpha.
Metamorpha.
Insekten mit
(s. lat.)
Insekten mit
Verwandlung.
Segment-
Insekten
Hemi-
Prome-
Holometabola.
vermehrung
(vgl. S 144).
mit Um-
wandlung.
metabola.
(Ei, sekun-
tabola.
(Ei, sekun-
Holome-
tabola typica.
Hyper- resp.
Polyme-
däre Larve,
däre Larve,
(Ei, tertiäre
tabola.
Imago.)
Subimago,
Larve,
(Ei,dimorphe
Imago.)
Puppe,
tertiäre
Imago.)
Larve,
Schein-
puppe [oder
2 Puppen],
Imago.)
1
Protura.
1
Thysanura,
Zikaden,
Eph
eme-
Neuropteren
1
Meloiden,
Orthoptera,
Libellen,
riden.
(part.),
Lebia u. a.
Isoptera,
Perliden.
Coleopteren
Rhynchota
(part.),
(part.) usw.
Dipteren,
Lepido-
pte
ren.
Epimorphose.
Bei allen denjenigen Insekten, die beim Ausschlüpfen aus dem Ei
schon mit der Imago in den Grundzügen übereinstimmen, und sich nur durch
eine unvollkommene Organisation von ihr unterscheiden, stellt die nach-
^) Die hier aufgestellten Kategorien stehen sich keineswegs völlig unvermittelt
gegenüber, sondern es kommen auch mancherlei Übergangsformen vor, deren Ein-
reihung in diese oder jene Kategorie dem Empfinden des einzelnen überlassen bleibt.
154
Kapitel IV. Fortpflanzung.
embryonale Entwicklung eine Epimorphose dar, d. h. ein einfaches Aus-
wachsen, unter gleichzeitigen verschiedentlichen Umformungen, aber ohne
Verwandlung. Der Grad der Unvollkommenheit, durch den sich die junge
Larve von der geschlechtsreifen Imago unterscheidet, unterhegt allerdings sehr
weiten Schwankungen. Die Unterschiede können einerseits sehr bedeutend
sein, sie können aber auch andererseits so geringfügig werden, daß sie sich
kaum nachweisen lassen. Hier zwischen gibt es alle Übergänge (Heymons).
Zu den Epimorpha gehören die sog. niederen Insekten, die Apterygoten,
die Orthopteren, Dermapteren, Corrodentia, Isoptera, dann auch die
Rhynchoten, die Pediculiden usw.
Als einfaches Beispiel einer solchen Verwandlung wählen wir die einer
Feldheuschrecke (Fig. 150). Die dem Ei A entschlüpfende Larve B ist dem
Muttertiere bereits in seinen wesentlichen Zügen ähnlich, hat aber einen
Fig. 150. Epimorphose einer Feldheuschrecke nach Em er ton. A Ei; -B—J" fünf Larvenstadien; (? das
erwachsene Tier; a, J», c die 3 Ringe der Brust; h' Vorderflügel; C Hinterflügel. Die den Fühlern
beigedruckten Zahlen bezeichnen die Anzahl der Fühlerglieder. — (N.)
sehr großen Kopf, und nur 12 Fühlerglieder. Meso- und Metathorax tragen
keine Spur von Flügeln und sind zusammen ungefähr so lang, als der
Prothorax. Mit der ersten Häutung tritt die Larve in das zweite Stadium C;
es dehnt sich nun das Abdomen etwas aus, so daß der Kopf im Verhältnis
kleiner erscheint. Der Hinterrand des Prothorax schiebt sich faltenartig
über den vorderen Teil des Mesothorax, und die Antennen haben 16 GHeder,
Bei der nun eintretenden zweiten Häutung tritt die Larve in das dritte
Stadium D. Die Antennen bleiben in demselben 16gliedrig, dagegen ziehen
sich die hinteren und unteren Ecken des Meso- und Metanotum in kleine
lappenartige Vorsprünge aus, die ersten Anlagen der Flügel. Die dritte
Häutung läßt die Larve in das vierte Stadium E übertreten. In diesem hat
die Larve 20 Fühlerglieder, und die nun bereits stärker gewachsenen Flügel-
stummel sind nach oben umgeschlagen, so daß die Anlage der Hinterflügel
einen Teil der Vorderflügelanlage deckt. In dem mit der vierten Häutung
Die verschiedenen Formen der Entwicklung.
155
beginnenden fünften und letzten Stadium F erhält die Larv-e ein weit nach
hinten vorspringendes Halsschild, die Flügelstummel sind gewachsen, aber
noch in ihrer alten Lage, die Fühler haben 22 Glieder. Bei der letzten oder
fünften Häutung erscheint nun die vollkommene Imago G anfänglich weich,
mit noch dicht zusammengefalteten Flügeln, welche sich aber bald ausdehnen
und nach geschehener Erhärtung zurecht legen, so daß die Vorderflügel als
pergamentartige Flügeldecken nun die Hinterflügel vollkommen decken.
Die Imago hat 26 Fühlerglieder.
Metamorphose.
Eine Metamorphose findet überall da statt, wo die Larven provisorische
Organe besitzen, die der Imago fehlen. Wir haben aber oben gesehen,
daß hierin große Verschiedenheiten
existieren; bei den einen sind neben
den provisorischen Organen die
imaginalen noch in der Überzahl vor-
handen, bei den anderen dagegen
sind die imaginalen Charaktere gänz-
lich zurückgedrängt, so daß die
Larven einen völlig fremden Habitus
besitzen.
Bei den ersteren strebt die Ent-
wicklung allmählich der Imago zu;
die Larven werden mit jeder Häutung
imagoähnlicher, um dann mit der
letzten Häutung, bei der die pro-
visorischen Organe mit einem Male
abgeworfen werden, in die Imago
überzugehen: Hemimetabolie. Bei
den letzteren dagegen behält die
Larve während ihres ganzen Lebens
bis zur V^ollwüchsigkeit ihre ab-
weichende provisorische Organisation
bei, um dann plötzlich mit Hilfe
eines Puppenstadiums in die Imago
sich zu verwandeln: Holometabolie.
Zwischen diesen beiden liegt der
Entwicklungsmodus der Ephemeriden,
bei denen die Larvenentwicklung im
allgemeinen nach dem hemimetabolen
Typus verläuft, aber zwischen die
letzte Larv^e und die Imago noch ein
Fig. 151. Beispiel einer Hemimetabolie. Ent-
wicMung einer Libelle. Unten Larve mit aus-
gestreckter, in der Mitte Larve mit eingezogener
„Maske", oben die Imago. Nach Sc hm eil.
besonderes Stadium, die Subimago, eingeschoben ist: Prometabolie.
Hemimetabolie.
Die Hemimetabolie kommt in der typischen Form bei den Odonaten
(Libellen) und den Plecopteren (Perliden) vor, deren Larv-en durch Ausbildung
156
Kapitel IV. Fortpflanzung
von Tracheenkiemen an das Wasserleben angepaßt sind; ferner bei gewissen
Zikaden, deren Larven zu unterirdischer Lebensweise übergegangen sind und
in Anpassung daran ihre Vorderbeine zu Graborganen umgebildet haben.
Als Beispiel einer Hemimetabolie sei die Entwicklung einer Libelle
angeführt: Die dem Ei entschlüpfte Larve unterscheidet sich durch mehrere
Merkmale von der Imago: ihr Auge ist wesentlich kleiner, die Fühler sind
kürzer, die Flügel fehlen noch. Dazu kommen als provisorische Organe (die
die Libellenlarve erst zur sekundären Larve stempeln) die Tracheenkiemen
am Hinterende des Abdomens.
Die Entwicklung schreitet allmählich der Imago zu; es sprossen Flügel-
stummel hervor, die immer länger wer-
den, der Thorax wird immer kräftiger,
die Zahl der Fühlerglieder vermehrt
sich usw., so daß die ausgewachsene
Larve der Imago schon ganz nahe
steht. Nur die Tracheenkiemen stellen
noch ein fremdes Element dar. Mit
der letzten Häutung werden auch
diese abgeworfen und nun ist die
Imago fertig.
Nicht immer nähert sich die
Larve so schrittweise, wäe in diesen
Beispielen der Imago. Bei den Zikaden
ist die Flügelentwicklung auf die
letzten Stadien verschoben, während
die zahlreichen früheren Stadien
keine Spur von Flügelanlagen zeigen.
Dies erklärt sich ohne weiteres
daraus, daß bei der unterirdischen Lebensweise den Larven die Flügelanlage
nur hinderlich sein würde.
Als besondere Form der Hemimetabolie wird von Born er die Entwicklung
der männlichen Cocciden aufgefaßt, während andere Autoren sie bald als epimorph
(Heymons), bald holometabol (Reh) betrachten. Im speziellen Teil wird genauer
darauf zurückzukommen sein.
Prometabolie.
Bei dieser nur den Ephemeriden zukommenden Entwicklungsform
können wir uns kurz fassen (Fig. 152). Die Entwicklung verläuft (unter
zahlreichen, bis 22 Häutungen) zunächst nach dem eben beschriebenen,
hemimetabolen Typus. Erst nach der letzten Häutung tritt ein Unterschied
gegenüber diesem auf, indem hier nicht gleich die fertige Imago, sondern
erst die „Subimago" folgt, ein mit der Imago fast völlig übereinstimmender
und auch flugfähiger Zustand, aus dem aber erst durch eine nochmalige
Häutung die fertige geschlechtsreife Imago hervorgeht.
Holometabolie.
Wesentlich verschieden von den bisherigen Entwicklungsformen ist die
Holometabolie, indem die gänzlich imagofremden, tertiären Larven sich der
Fig. 152. Beispiel von Prometabolie. A Larve der
gemeinen Eintagsfliege {Ephemera vulgata L.) mit
Tracheenkiemen nach Westwood;-ß deren männ-
liche Imago aus der Subimago schlüpfend; Clmago
yonPalingenia virgo Oliv., dem gemeinen üferaas. (N.)
Die verschiedenen Formen der Entwiclclung.
157
Imago nicht nähern, sondern in ihrer abweichenden Richtung bis zum Schluß
verbleiben, um dann sich plötzlich in die Imago zu verwandeln. Diese
plötzliche Verwandlung erheischt ein Ruhestadium, die Puppe, deren Vor-
handensein (neben der vollkommen provisorischen Organisation der Larve)
als Hauptcharakteristikum für die Holometabolie zu gelten hat.
Wir wählen als Beispiel einer solchen die Entwicklung des männlichen
Kiefernspinners (Fig. 153). Das aus dem im Hochsommer gelegten Ei A
geschlüpfte 16 füßige Räupchen B macht nacheinander vier Häutungen durch,
von denen zwei noch in den Herbst des Geburtsjahres fallen, die beiden
anderen dagegen in den folgenden Frühling. Hierbei wächst die Larve von
ca. 6 mm bis auf 80 mm Länge heran. Bei seiner Geburt durch die
C B A
m&^
Fig. 153. Beispiel einer Holometabolie. Die Metamorphose eines Kiefernspinners. A Ei; -B—J' die fünf
Kaupenstadien; G die Puppe von der Seite, G' dieselbe von unten gesehen ; ff der eben ausgeschlüpfte
Falter, vor Entfaltung der Flügel. Die Zahlen bezeichnen die Gliedmaßenpaare. F" Vorderflügel;
F" Hinterüügel. — (X.)
Zeichnung von der erwachsenen Raupe noch deutlich unterschieden, nimmt
sie bereits bei der ersten Häutung alle Auszeichnungen der letzteren an, so
daß sich die vier Stadien C bis F in Fig. 153 lediglich durch die Größe
unterscheiden und einander viel ähnlicher sind, als die entsprechenden Jung-
stadien C bis F bei der Feldheuschrecke (Fig. 150). Die fünfte Häutung ist
es, welche den definitiven Wendepunkt der Entwicklung bringt. Nach Ab-
streifung der alten Haut erscheint nun die bekannte Puppe G, aus welcher
nach einer dreiwöchentlichen Ruhe der Schmetterling H ausschlüpft, an-
fänglich noch mit zusammengeschrumpften, kleinen, weichen Flügeln, welche
aber bald, durch Eintreibung von Luft in die innerhalb ihres Geäders ver-
laufenden Tracheen ausgebreitet, erhärten und nun dem Schmetterling das
bekannte Aussehen verleihen.
158
Kapitel IV. Fortpflanzung.
Ganz ähnlich verläuft die Entwicklung des Maikäfers: der aus dem
Ei geschlüpfte junge Engerling verwandelt sich, allmählich wachsend, durch
eine Reihe von Häutungen zu dem im wesentlichen der neugebornen Larve
bis auf die bedeutendere Größe völlig gleichen erwachsenen Engerling, der
durch die nun folgende Häutung plötzlich in die Puppe übergeht. Die Puppe
verwandelt sich durch eine weitere Häutung in die bekannte Imago des
Maikäfers.
Hypermetabolie (Poh^metabolie).
Mit der typischen Holometabolie ist der Gipfelpunkt der Insekten-
metamorphose noch nicht erreicht. Denn es gibt noch eine kompliziertere
Form der nachembryonalen Entwicklung, die als
„Hypermetamorphose" oder „Hypermeta-
bolie" bezeichnet wird. Der Begriff der Hyper-
metamorphose wurde von dem Altmeister der
Insektenbiologie, J. H. Fahre, aufgestellt, und
zwar für die Entwicklung der Meloiden, die sich
folgendermaßen abspielt:
Aus dem Ei schlüpft 1. der „Triungulinus",
eine bewegliche Larve mit gut entwickelten
Beinen, Fühlern und Augen, der zu seiner Fort-
entwicklung auf eine Biene gelangen muß. Im
Haarpelz der letzteren hält sich der Triungulinus
mit seinen scharfen dreizinkigen Klauen fest und
läßt sich so in das Nest der Biene transportieren.
Ist dies geschehen, so wandelt sich der Triun-
gulinus in 2. eine madenförmige, fußlose
und augenlose Larve um, die sich von dem
Bienenhonig ernährt. Letztere geht nach reich-
licher Nahrungsaufnahme in 3. ein Ruhestadium
über, das Stadium der Scheinpuppe oder
Pseudochrysalis, welches eine äußere Ähnlich-
keit mit einer wirklichen Puppe besitzen kann.
Nach längerer oder kürzerer Dauer dieses Pseudo-
chrysaliszustandes folgt 4. wieder eine Larven-
form, die madenförmig ist, und dem zweiten
Entwicklungsstadium gleicht, aber schon nach
relativ kurzer Zeit sich in das 5. Stadium, die
Puppe oder Chrysalis verwandelt, das bald darauf 6. die Imago liefert
(Heymons) (Fig. 154).
Die biologische Bedeutung dieser verschiedenen Entwicklungsstadien ist,
wie Heymons ausführt, leicht verständlich: Die Differenz zwischen der
ersten und zweiten Larvenform erklärt sich durch den verschiedenartigen
Zweck der letzteren. Der Triungulinus hat die Aufgabe, die Futterquelle
aufzusuchen, die zweite Larve soll dieselbe möglichst intensiv ausnützen. Ist
dies geschehen, so ist die Ernährung überhaupt beendet, es sind genug
Fig. 154. Hypermetabolie von
Sitaris nach Fahre. A erstes
sechsheiniges, aktives Larven-
stadium (Triungulinus); B die
zweite mit Stummelbeinen ver-
sehene, madenartige Larve; C die
folgende Scheinpuppe (Pseudo-
chrysalis); D letztes madenartiges
Larvenstadium; E die eigentliche
freie Puppe. — (N.)
Die verschiedenen Formen der Entwicklung.
159
Reservestoffe aufgespeichert; aber da inzwischen die ungünstige Jahreszeit
hereinbricht, so kann die Entwicklung nicht mehr ohne Unterbrechung weiter-
geführt werden und die Larve geht bei der nächsten Häutung in ein Ruhe-
stadium (Pseudochrysalis) über, welches dadurch besonders geschützt ist, daß
es in der tonnenförmig erstarrten abgehobenen Chitinhaut des zweiten Larven-
stadiums regungslos verbleibt. Es finden während des Pseudochrysalis-
stadiums keinerlei innere Umwandlungen statt, so daß es sich also
lediglich um eine schlaf ähnliche Periode handelt (weshalb Künckel
d'Herculais vorgeschlagen hat, den Namen Hypermetamorphose durch
Hypnodie und den Ausdruck Pseudochrysalis durch Hypnotheke zu ersetzen,
was jedoch keinen Anklang fand).
Es sind zwei Momente, welche die Meloiden-Entwicklung von der
typischen Holometabolie unterscheiden: 1. der Dimorphismus zwischen
Flg. 155. Entwicklung von Lebia scapularis (Carabicide) mit larvalem Dimorphismus (ij u. L^) und
zwei Puppenstadien: P, Präpupa, P., Pupa. Nach Silvestri aus Heymons.
dem ersten und zweiten Larvenstadium, und 2. das Auftreten der
Scheinpuppe. Diese beiden Eigentümlichkeiten kommen aber keineswegs
nur den Meloiden zu, sondern finden sich mehr oder weniger ähnlich auch
noch bei einer ganzen Reihe anderer Insekten.
So ist der larvale Dimorphismus eine ziemlich häufige Er-
scheinung: Am bekanntesten sind die dimorphen Larven der Ichneu-
moniden, Bruchiden, Lymexyloniden, Stylopiden usw. Neuerdings hat
Silvestri auch eine Laufkäferlarve mit starkem Dimorphismus beschrieben,
nämlich die Larve von Lebia scapularis (Fig. 155). Da der ziemlich kom-
plizierte Entwicklungsgang dieses Käfers auch noch in anderer Beziehung
unser Interesse beansprucht, so sei dieselbe hier kurz mitgeteilt: Die aus
dem Ei ausschlüpfende erste Larve ist langgestreckt und mit gut ent-
wickelten Extremitäten versehen (Lj); sie lebt in diesem Zustand räuberisch
von den Larven und Puppen eines Chrysomeliden [Galeriica luteold).
\Q0 Kapitel IV. Fortpflanzung.
Da es an Futter nicht mangelt, so bekommt sie bald eine unförmige
Gestalt, wird schwerfällig und umgibt sich mit einem Kokon. Darauf
verwandelt sie sich in ein zweites, gänzlich verschiedenes Stadium,
das durch seine spindelförmige Gestalt, durch kurze Fühler und Mundteile,
sowie durch die sehr kurzen Beine ausgezeichnet ist (Z,.,). Danach folgt eine
Präpupa, bei der der Thorax schon deutliche Flügelansätze zeigt und auch
die Facettenaugen schon erkennbar werden. Erst hierauf kommt es zur
Puppe, die sich durch eine etwas andere Gliederung des Abdomens und
längere Flügelansätze von der Präpupa unterscheidet. Die genannte Lebia
hat also nicht nur zwei verschiedene Larvenformen, sondern auch zwei
Puppenstadien.
Der larvale Dimorphismus wird sich wahrscheinlich als weit allgemeiner
herausstellen, als man heute annimmt, wenn man erst spezielle Untersuchungen
daraufhin anstellt. Denn geringfügige Unterschiede in Färbung, Struktur,
Behaarung usw. werden sich wohl in den meisten Fällen bei den verschiedenen
Stadien nachweisen lassen. Es ist daher jedenfalls schwierig, eine Grenze
zu ziehen, wo der larvale Dimorphismus anfängt, weshalb auch eine lediglich
auf diesem begründete Einteilung (resp. weitere Zerlegung der Holometabolie)
stets mehr oder weniger willkürlich sein wird.
Auch die Scheinpuppe der Meloiden hat ihre Analoga bei anderen
Insekten. So ist ihr z. B. das letzte Larvenstadium gewisser Blattwespen
(z. B. Lophyrus) ohne Zweifel an
die Seite zu stellen; denn hier wie
dort handelt es sich um ein durch
zwei Häutungen begrenztes Larven-
stadium, das sich in einem schlaf-
Fig. 156. Kokon einer Blattwespe. A mit der noch ähnlichenZustandbefindet(Fig. 156).
nicht verpnppten Larve; B mit der Puppe. ^/,. ^^^^^ man also die Scheinpuppe
als das Hauptkriterium der Hyper-
metabolie nehmen, wie Heymons will, so müßte man auch die Lophyrus-
Entwicklung als solche auffassen.
Aus dem Gesagten geht hervor, daß der Begriff Hypermetabolie heute
lange nicht mehr so präzise zu definieren ist als zur Zeit seiner Begründung;
und es fragt sich, ob es nicht besser wäre, den Begriff zu erweitern und
ihn auf alle jene Entwicklungsformen auszudehnen, die überhaupt eine
Komplikation der Holometabolie darstellen. Stößt man sich aber
daran, daß der Name Hypermetabolie speziell für die den Meloiden eigen-
tümliche Entwicklungsform aufgestellt ist, so möge man zu der von Born er
vorgeschlagenen Bezeichnung „Polymetabolie" greifen.
Unter diesen Begriff würde dann auch die Entwicklung der bienen-
und wespenartigen Insekten fallen, bei denen zwischen die Puppe und das
letzte Larvenstadium noch ein Zwischenzustand eingeschoben ist, an welchem
zwar bereits die Leibesanhänge der Imago angelegt sind, aber in viel
rudimentärerer Form als bei der eigendichen Puppe, ein Zustand, der als
Semipupa (oder Pseudonymphe) bezeichnet wird (Fig. 157).
Die verschiedenen Larvenformen. 1Q1.
Die verschiedenen Larvenformen.
Die Mannigfaltigkeit der Larvenformen ist schier unerschöpflich, so daß
eine einigermaßen umfassende Darstellung derselben einen dicken Band
füllen würde. Wir müssen es uns daher hier mit einer kurzen Übersicht
über die Haupttypen genügen lassen, was wir um so eher tun können, als
im speziellen Teil bei den einzelnen Insektenordnungen die verschiedenen
Larven noch eingehender besprochen werden.
Wir können die Larven der Insekten nach ihrer Form, Gliederung
usw. in eine Anzahl Kategorien einteilen; doch sei gleich ausdrücklich be-
tont, daß diese Einteilung lediglich praktischen Rücksichten entspringt, und
daß ihr keineswegs etwa eine phylogenetische Bedeutung beizumessen ist.
Denn da die Larven Anpassungsformen par excellence darstellen, so haben
wir natürlich mit zahlreichen Konvergenzerscheinungen zu rechnen. Des
weiteren ist auch darauf aufmerksam zu machen, daß die einzelnen Kategorien
Fig. 157. Die Verwandlung der Hummel nachPackard. "j^. A ausgewachsene, fußlose Larve; B die
Halbpuppe (Semipupa) mit stummeiförmigen Leibesanhängen; C die eigentliche, freie Puppe mit den
deutlich ausgebildeten Gliedmaßen der Imago. — (N.)
nicht immer scharf abgegrenzt sind, sondern daß vielfache Übergänge
zwischen ihnen vorkommen.
Es lassen sich etwa folgende Gruppen von Larvenformen unterscheiden:
Primäre Larven.
1. Die Larve ist in allen wesentlichen Zügen der Imago ähnlich und
unterscheidet sich von ihr nur durch geringere Größe und mangelnde Ge-
schlechtsreife. Beispiele hierfür bieten die sog. „Silberfischchen" {Lepisma)
oder die ungeflügelten Tierläuse (Pediculiden) oder die Haarlinge oder Feder-
linge (Mallophagen) usw.
2. Die Larve ähnelt der geflügelten Imago ebenfalls noch so sehr, daß
auch der unbefangene Beobachter sie ohne weiteres als deren Jugendform
erkennt, unterscheidet sich aber von ihr durch Flügellosigkeit, durch kleine
Details in der Ausbildung der Gliedmaßen und mitunter auch durch ein ver-
schiedenes Verhältnis in der Größe der einzelnen Leibesabschnitte. Dies ist
z. B, bei den typischen Geradflüglern der Fall. So ist die auf Fig. 150B
(S. 154) abgebildete erste Larve einer Feldheuschrecke nicht nur kleiner als
die Imago und flügellos, sondern es ist auch der Hinterleib im Verhältnis zu
Kopf und Brust weniger entwickelt als bei der Imago, und die Fühler, welche
bei jener 26 Glieder zeigen, haben deren vorläufig nur 12.
Sekundäre Larven.
3. Die Larve zeigt ebenfalls noch eine unverkennbare Ähnlichkeit mit
der geflügelten Imago, unterscheidet sich aber von ihr, außer durch die
Escherich, Forstinsekten. 11
162
Kapitel IV. Fortpflanzung.
Flügellosigkeit und die verschiedenen kleineren Details, noch durch den
Besitz besonderer larvaler oder provisorischer Organe (Tracheenkiemen,
Grabbeine). Hierher gehören die Larven der Libellen, Plecopteren (Perliden),
gewisser Cicaden usw.
Tertiäre Larven.
4. Die Larve weicht in ihrem gesamten Habitus vollkommen von der
Imago ab.
A. Larven ohne Bauchfüße.
a) Larven mit gut ausgebildeten Brustbeinen.
a) Larven mehr oder weniger kräftig chitinisiert; Brust-
abschnitt oder wenigstens das erste Brustsegment von den übrigen
Rumpfsegmenten meistens deutlich verschieden (größer oder stärker
-^
Fig. 158. Larven von Neuropteren. A Ameisenlöwe {Myrmeleo formicarius). Nach RöselvonRosen-
liof. B Kamelhalsfliege {Bhaphiäia). Nach Sharp.
chitinisiert oder anders skulpturiert usw.); Kopf gewöhnlich mit
seitenständigen Punktaugen ausgerüstet.
Die hierher gehörigen Larven zeigen bezügl. der Form des
Körpers und seiner einzelnen Abschnitte, der Ausbildung der
Extremitäten usw. die allergrößte Mannigfaltigkeit. Als Beispiele
seien erwähnt: die Larven der Kamelhalsfliege und des Ameisen-
löwens (Fig. 158), ferner die Larven zahlreicher Käfer, wie der
Carabiciden, Dytisciden, Silphiden, Coccinelliden, Elateriden usw.
(Fig. 159).
ß) Larven schwach chitinisiert, weichhäutig und meist weiß-
lich, mit Ausnahme des kräftig chitinisierten und daher auch
dunkler gefärbten Kopfes ; Brustsegmente nur wenig von den übrigen
Segmenten verschieden; Punktaugen in der Regel fehlend. Hier-
her die Engerlinge (Larven der Maikäfer, Hirschkäfer, Dungkäfer usw.)
(Fig. 160), die Larven der Anobien usw.
Die verschiedenen Larvenformen.
163
b) Larven mit nur schwach ausgebildeten, resp. rudimentären
Brustfüßen, die kaum mehr als alleinige Fortbewegungsorgane
geeignet sind. Hierher die Larven mancher Bockkäfer und der Holz-
wespen (Fig. 161).
Fig. 159. Verschiedene Käferlarven mit gut ausgebildeten BrustfUßen. ACalosotna; BDytiscus; C Fyro-
chroa; B Elateriäe; E Silpha; F Chrysomelide. Nach Ratzeburg, Boas, Miall und Schrödter.
i"ig. 160. Engerling des Maikäfers.
Fig. 161. A Larve des großen Eichenbockes (Cerambyx
cerdo) nach Ratzeburg; £ Larve einer Holzwespe (Sirex).
c) Brustbeine gänzlich rückgebildet.
a) Larven mit Kopfkapsel und typisch ausgebildeten (kauen-
den) Mundgliedmaßen (Fig. 162). Ein großer Teil der hierher
11*
164
Kapitel IV. Fortpflanzung.
gehörenden Larven sind weichhäutig und weißlich und führen ein
verborgenes Leben: wie die Larven der Borken- und Rüsselkäfer,
der Bienen, Wespen, Ameisen und der Schlupfwespen. Andere
Larven jedoch, wie die eucephalen Dipterenlarven, die ebenfalls,
wenn auch etwas gezwungen, in diese Gruppe einzureihen sind,
führen vielfach ein freies Leben und sind deshalb meist auch
stärker chitinisiert.
ß) Larven ohne Kopfkapsel und stark rückgebildeten, resp.
umgebildeten Mundgliedmaßen; im übrigen meistens weich-
häutig und weißlich. Hierher die Larven der Fliegen (Stubenfliege,
Tachinen usw.) (Fig. 163), die auch als „Maden" bezeichnet werden.
r
Fig. 162. Beispiele für Larven mit völlig rückgebildeten Brustfüßen. A Rüsselkäfer; B Buprestide|;
V Ameise; D Ichneumonide (Anomalon) ; E Tanypus (CMronomide) ; F Bibio (Haarmücke). Nach
Boas, Meinert, Ratzeburg und Sharp.
B. Larven mit Bauchfüßen (Raupen und Afterraupen). Die hierher
gehörigen Larven sind langgestreckt, mehr oder weniger gleichmäßig
segmentiert, mit ausgeprägtem Kopf und gut ausgebildeten kauenden
Mundgliedmaßen, ferner 3 Paar Brustfüßen und außerdem noch mit einer
Reihe von Afterfüßen an den Hinterleibssegmenten. Dieser Kategorie
gehören in der Hauptsache die Larven der Schmetterlinge an, die als
Raupen, und die Larven der Blattwespen, die als Afterraupen be-
zeichnet werden (Fig. 164).
Der Unterschied der beiden besteht einmal in der Zahl und der
Stellung resp. dem Sitz der Afterfüße: Die Zahl derselben beträgt bei
den echten Raupen 5 oder 2 Paare, bei den Aftenaupen dagegen meist
mehr (seltener weniger). Ferner ist darauf zu achten, ob nur das erste
oder die beiden ersten Hinterleibssegmente ohne Afterbeine sind; ist
nur das erste Segment frei, so handelt es sich meist um eine Afterraupe
Die verschiedenen Formen der Puppe.
165
(Ausnahme: Lyda, deren Larve überhaupt nur 1 Paar Afterbeine am
letzten Hinterleibssegment besitzt). Sind dagegen die ersten zvi^ei (oder
auch mehr: bei Spannern) Segmente frei, so haben wir es in den aller-
meisten Fällen mit einer Schmetterlingsraupe zu tun.
Auch bezüglich der Augen unterscheiden sich die beiden
deutlich voneinander : Die Afterraupen haben nur ein
Punktauge jederseits, die echten Raupen dagegen 5 — 6.
Die verschiedenen Formen der Puppe.
Als Puppe bezeichnen wir das dem Imago vorher-
gehende, keine Nahrung aufnehmende Stadium der holo-
metabolen Insekten. Die Puppe ist, wie wir oben sahen,
der Imago viel ähnlicher als dem letzten Larvenstadium
und zeigt bereits dieselbe Körpereinteilung und dieselbe
Anzahl von Gliedmaßen und Flügeln wie die Imago.
Man unterscheidet zwei Hauptformen von Puppen:
1. Die freie oder gemeißelte Puppe (pupa libera)
maßen frei dem Körper anliegen (Fig. 165).
2. Die bedeckte Puppe oder Mumienpuppe (pupa obtecta), bei der
die Gliedmaßen durch eine zähe erhärtende Ausscheidung fest an den
Körper angebacken werden und infolgedessen auch in ihren Konturen
meist nicht so deutlich hervortreten wie bei der freien Puppe (Fig. 166).
Fig. 163. Made einer
Tachine.
bei der die Glied-
Fig. 164. Eaupen {A u. B) und Afterraupen (C u. D). A Sphingide; B Cossus; C Cimbex; D Lyda
Daß die bedeckte Puppe wirklich bereits dieselben Anhänge usw. wie
die Imago besitzt, kann man deutlich sehen, wenn es glückt, die Schmetter-
lingspuppe in dem Moment zu überraschen, in dem sie die Larvenhaut ab-
166
Kapitel IV. Fortpfk
streift; sie ist dann gewissermaßen noch eine pupa libera und zeigt auch
in diesem Zustand eine viel größere Übereinstimmung mit dem Schmetter-
ling als in dem fertigen Puppenzustand. Auf Fig. 167 A ist eine solche,
eben der Raupenhaut entschlüpfte Puppe des Kiefernspinners abgebildet,
bei welcher Fühler, Mundwerkzeuge, Beine und Flügel noch deutlich vom
Fig. 165. Beispiele von „freien Puppen" {Piipae
liherae), A Bockkäfer {Cerambyx); B Hornisse.
Nach Ratzeburg.
Fig. 166. Beispiele von bedeckten Puppen. A Gall-
mücke (n. Kief f er); -B Schmetterling (Sphingide).
Leibe abstehen und die Hinterleibsringe noch nicht so weit in der
Längsrichtung zusammengezogen sind, wie dies bei der fertigen Puppe der
Fall ist, bei welcher auch z. B. das dritte Beinpaar und das zweite Flügel-
paar fast völlig von dem ersten Flügelpaar verdeckt wird (Fig. 167 B).
Aus dieser Tatsache, daß die Teile der Puppe sich bereits unter der Haut des
letzten Larvenstadium anlegen und die Puppe eben alle Teile des Schmetterlings
bereits besitzt, erklärt sich auch die hübsche, früher als höchstes Wunder an-
Mg. 167. Entstehung der bedeckten Puppe des Kiefernspinners. A eben der Raupenhaut entschlüpfte
Puppe, von der Seite, A' dieselbe von unten; B fertige Puppe, von der Seite, B' dieselbe von unten;
C eben ausgeschlüpfter Schmetterling; 1 Fühler, 3 Mittelkiefer (Saugrüssel), 5—7 die Brustfüße, -P Vorder-
flügel, F" Hinterflügel. — (N.)
gestaunte Geschichte, wie es dem berühmten Johann Swammerdamm zu
Amsterdam gelang, im Jahre 1668 dem Großherzog von Toskana zu zeigen, wie
„ein Zwiefalter mit seinen zusammengerollten und verwickelten Teilen in einer
Raupe steckt".
Die Pupa libera kommt allen Coleopteren, Hymenopteren, Neuropteren
und einem Teil der Dipteren zu, während der andere Teil der Dipteren (die
Brachyceren) und die meisten Schmetterlinge eine Pupa obtecta besitzen.
Die verschiedenen Formen der Puppe.
167
Da die Puppe einer aktiven Abwehr oder Flucht nicht fähig ist, so sorgt
meistens schon die Larve für einen möglichst ausgiebigen Schutz der Puppe,
und zwar in verschiedener Weise: Viele Larven verpuppen sich an verborgenen
Orten in der Erde, unter Rinde, im Holz oder unter Steinen usw., wobei oft
noch besondere mit Speichel geglättete Höhlungen
oder mit Nagespänen gepolsterte „Puppenwiegen"
gefertigt werden (z. B. Pissodes). Andere verpuppen
sich in den ausgebauten Larvengehäusen, wodurch
diese ihren Schutz auch auf die Puppe übertragen.
Wir führen als hierhergehörige Beispiele an: die
wasserbewohnenden Larven der Köcherfliegen (Phry-
ganiden), die Larven mancher Blattkäfer, z. B. die
in Ameisenhaufen lebenden Clytra quadripunctata,
welche das aus ihren Exkrementen verfertigte Ge-
häuse alsdann mit einem Deckel verschließt, ferner
viele sacktragende Raupen, wie die Gattung Psyche
und Verwandte, und endlich unter den forstschäd-
lichen Kleinschmetterlingen die Lärchenminiermotte
[Coleophora laricella). Wieder andere Insekten end-
lich verfertigen besondere Schutzhüllen, sog. Kokons,
um die Puppe (Fig. 168).
Diese Kokons zeigen bezüglich der Art der
Verfertigung und des Materials eine groi3e Mannigfaltigkeit; entweder werden
sie lediglich aus Seidenfäden hergestellt, oder es sind auch noch Holz- oder
Sandteilchen mit eingesponnen, oder der Kokon besteht hauptsächlich aus
fremdem Material (Holz, Erde), welches durch Speichelsekrete zusammen-
gekittet wird, oder endlich der Kokon wird gar nicht erst gefertigt, sondern
wird einfach durch die letzte Larvenhaut gebildet.
Fig. 168. Kokon von Satumia
pyri geöffnet, mit der darin-
liegenden Puppe. Am oberen
Ende des Kokons ist der Eeu-
senapparat zu erkennen.
st
Flg. 169. A Tönnchen der gemeinen Stubenüiege, an dem man deutlich die Segmente der Larven-
haut, sowie die vorderen und hinteren Stigmen (st u. st') erkennt; B die in diesem Tönnchen ein-
geschlossene freie Puppe. Nach Packard.
Bezüglich der rein gesponnenen Seidenkokons kann man bei den
Schmetterlingen alle möglichen Übergänge von einem einfachen die Puppe
an der Unterlage befestigenden Gürtelfaden an (wie beim Kohlweißhng) zu
lockeren aus wenig Fäden bestehenden (Schwammspinner) und zu völlig
dichten Gespinsten (Seidenspinner) finden. Außer Schmetterlingen ver-
puppen sich auch sehr viele Hymenopteren in seidenen Gespinsten: Am
bekanntesten sind die seidenen Kokons der Ameisen, vom Volksmund
fälschlich Ameiseneier genannt; forstlich am häufigsten genannt werden die
168
Kapitel IV. Fortpflanzung.
Kokons der parasitisch in der Kiefernspinnerraupe und anderen Forstschäd-
lingen lebenden Schlupfwespen.
Für die größtenteils aus fremdem Material bestehenden Kokons seien
als bekannte Beispiele die aus kleinen Holzstückchen und Erde hergestellten
Kokons der Rosenkäfer [Cetoniä) erwähnt.
Was endlich die Verpuppung in der letzten Larvenhaut betrifft, so ist
diese den Fliegen eigen, von denen in forstlicher Beziehung die Tachinen
am meisten interessieren. — Man hat die in der letzten Larvenhaut ein-
geschlossene Puppe als eine besondere Art von Puppe aufgefaßt und als
„Tönnchenpuppe" oder pupa coarctata der pupa libera und obtecta
gegenübergestellt. Hierin liegt aber eine gewisse Inkonsequenz, insofern als
die eigentliche Dipterenpuppe
^ eine freie Puppe ist, genau
wie z. B. die Puppe der Käfer
(Fig. 169), und das Tönnchen
also nichts anderes darstellt
als eine Schutzhülle, ent-
sprechend den aus Seide usw.
gefertigten Kokons.
Als charakteristisches
Merkmal des Dipterentönn-
chens ist die Segmentierung
zu beachten, die bei genau-
erem Zusehen stets zu er-
kennen ist. Daran sind z. B.
die Tachinentönnchen ohne
weiteres von den ihnen in Größe, Form und Farbe nahestehenden Kokons
gewisser Ichneumoniden (kleiner Banchus-hrien usw.) zu unterscheiden
(Fig. 170).
Der Vorgang des Ausschlüpfens.
Nachdem die Puppe eine Zeitlang geruht — die Dauer der Puppenruhe
ist sehr verschieden, je nach der Spezies und den äußeren Einflüssen —
springt die Puppenhülle an einer für jede Art fest bestimmten Stelle auf
(Fig. 171), und das fertige Insekt arbeitet sich durch eigene Tätigkeit heraus.
Anfänglich weich und mit noch zusammengefalteten Flügeln, erhärtet es bald,
nachdem es die Flügel durch Einpumpen von Luft in die sie durchziehenden
Tracheen ausgedehnt hat. Insekten, deren Färbung nicht, wie das bei den
Schmetterlingen der Fall ist, durch Schuppen und Haare bedingt wird, sind
im Anfang matter und heller gefärbt als die bereits völlig ausgebildeten; so
sind z. B. die frisch geschlüpften Borkenkäfer anfänglich noch gelblich, wäh-
rend die Altkäfer dunkelbraun oder schwarz gefärbt sind. Kurz nach dem
Ausschlüpfen erfolgt eine Ausleerung der während der Puppenzeit erzeugten
Harnsubstanzen, wie man am besten an den Schmetterlingen sehen kann,
die bald, nachdem sie die Puppeuhülle verlassen, einen großen Tropfen gelben
oder rötlichen Harnes fallen lassen.
Fig. 170. A Tönnchen einer Tachine; B Kokon eines Ichneu-
moniden (Banchus). Ersteres unterscheidet sich durch die
Segmentierung und den stärkeren Glanz deutlich von dem
letzteren.
Der Vorgang des Ausschlüpfens.
169
Bei den offen liegenden Puppen gelangt die Imago unmittelbar nach
dem Ausschlüpfen aus der Puppenhaut in die Freiheit. Nicht so einfach ist
„der Sprung in die Welt" bei solchen Insekten, deren Puppen verborgen in
der Erde, unter Rinde, im Holz usw. liegen, oder von einem Kokon um-
schlossen sind. Alles, was durch diese verborgene Lage bisher der Puppe
zum Schutz gereichte, stellt sich nunmehr dem neugeborenen Insekt als ein
Hindernis dar, das erst noch überwunden werden muß, wenn das junge Tier
die volle Freiheit erlangen will.
Wo es sich um Insekten mit kauenden Mundwerkzeugen handelt, da
bedient sich das betreffende Tier einfach seiner Kiefer, um sich den Weg
ins Freie zu bahnen: es gräbt sich damit aus der Erde heraus, es nagt sich
damit einen Gang durch das
Holz oder die Rinde, es beißt
damit den Kokon durch usw.
Wo die Imagines jedoch
dieser ausgezeichneten Werk-
zeuge entbehren, sind verschie-
dene andere Einrichtungen ge-
troffen, durch welche die Be-
freiung bewerkstelligt werden
kann. Vielfach treffen noch die
Raupen Vorkehrungen, das Her-
auskommen der Imagines zu er-
möglichen; so nagen die im
Pflanzengewebe lebenden Rau-
pen meist einen Gang von der
Verpuppungsstelle bis zur Ober-
fläche der Pflanze, resp. lassen
da nur noch eine ganz dünne
Haut (das sog. Fenster) stehen,
so daß die Imago ohne Schwierig-
keit ins Freie gelangen kann.
Bei den Cossiden, Sesien usw. schiebt sich die Puppe, die mit besonderen
zur Fortbewegung dienenden Dornkränzen versehen ist, so weit nach außen
hervor, daß der Schmetterling beim Ausschlüpfen gleich ins Freie kommt.
Auch beim Verfertigen des Kokons sorgen manche Raupen schon dafür, daß
sie später als Imagines leicht herauskommen, entweder dadurch, daß sie am
Kopfende eine Öffnung frei lassen, welche durch Borsten derartig verschlossen
ist, daß der ausschlüpfende Schmetterling ohne weiteres hinaus-, aber kein
Fremdling durch sie hereindringen kann (Fig. 168); oder aber dadurch, daß
ein besonderer nur durch wenige Spinnfäden angefügter Deckel vorge-
bildet wird.
Wo keine besondere Vorsorge von Seiten der Raupen getroffen ist,
geschieht die Befreiung aus dem Kokon bei Schmetterlingen meist dadurch,
daß eine Flüssigkeit abgesondert wird, welche das Kokongewebe so weit
aufweicht oder auflöst, daß der Schmetterling sich durch dasselbe leicht hin-
Fig. 171. Vorgang des Ausschlüpfens (A) eines Schmetter-
lings unter Sprengung der Fliigelnähte. nach P furt-
schelle rs Wandtafel Xr. 23; B bei der Tachine unter
Sprengung des Vorderteiles des Tönnchens längs einer
kreisförmigen Naht.
170 Kapitel IV. Fortpflanzung.
durchschieben kann. Bei anderen Schmetterlingen finden sich in der Stirn-
region besondere „Kokonbrecher", das sind spitze Dornen oder Zähne, mit
denen die Wand des Kokons so lange bearbeitet wird, bis eine Öffnung ent-
steht. Auch manche parasitischen Dipteren befreien sich auf ähnliche
Weise aus den Kokons ihrer Wirtstiere. So perforiert die in Tachinen oder
Schlupfwespen schmarotzende Fliege Anthrax inorio („Trauerschweber"),
durch fortwährende kräftige Stöße mit den auf der Stirne befindlichen Dornen
den Kokon und schneidet so einen kreisförmigen Deckel heraus. — Bei den
Dipteren mit Tönnchenpuppen geschieht die Sprengung des Tönnchens mit
Hilfe der sog. Kopfblase, das ist eine starke Auftreibung oder Vorwölbung
des Kopfes, die durch Pressen der Blutflüssigkeit in die Kopfregion hervor-
gerufen wird.
Das Ausreifen.
Wenn die Imago äußerlich fertig erscheint, so ist damit noch nicht
gesagt, daß sie auch innerlich fertig ist. Bei vielen Insekten ist
letzteres wohl der Fall, so sind z. B. die Schmetterlinge nach Verlassen
der Puppe und Erhärtung der Haut auch innerlich völlig ausgereift, so daß
sie unverzüglich zur Fortpflanzung schreiten können. Doch gibt es auch eine
ganze Anzahl von Insekten, die beim Antritt des Imagostadiums geschlechtlich
noch gänzlich unreif sind, und noch längerer Zeit (mitunter ^/g Jahr und
mehr) bedürfen, bis sie ihre geschlechtliche Reife erlangen und fortpflanzungs-
fähig werden. Hierher gehören z. B. die Pissoäes-Arten, viele Borkenkäfer,
die Tachinen und viele andere. Es ist dies ein sehr wichtiges Moment, durch
deren Entdeckung (Nüßlin, Knoche und andere) unsere früheren An-
schauungen über die Zahl der Generationen usw. verschiedentlich umgestaltet
wurden (siehe unten). Wir dürfen danach nicht mehr ohne weiteres den
Abschluß der Entwicklung mit der Erhärtung und event. Ausfärbung der
Imago zusammenfallen lassen; die Entwicklung ist vielmehr erst dann als
beendet anzusehen, wenn die Imago ihre völlige Geschlechtsreife erlangt hat
(was meist nur durch Untersuchung der Geschlechtsorgane festzustellen ist).
Die Zeitdauer der Ausreifung ist sehr verschieden, je nach der Spezies
und auch den verschiedenen äußeren Einflüssen. Wie wesentlich die letzteren
sich geltend machen können, geht aus den Versuchen von Hennings hervor,
wonach das „Jungkäferstadium" (d. i. die Zeit des Ausreifens) von Ips
typographus bei 24° C. und 55 *^/o Luftfeuchtigkeit 9^/2 Tage währte, während es
bei 140 c. und 95 "/q Luftfeuchtigkeit nicht weniger als 28 Tage in Anspruch
nahm. Fällt die Jungkäferzeit in den Winter, so bleiben die Geschlechts-
organe bis nach der Überwinterung auf nahezu der gleichen (unreifen) Stufe
beharren, eine Erscheinung, die Nüßlin als „Latenz" bezeichnet hat.
Zeitlicher Ablauf der Entwicklung.
Dauer der Gesamtentwicklung.
Wir haben oben mehrfach betont, wie ungemein verschieden die Dauer
der einzelnen Hauptentwicklungsstadien (Ei, Larve, Puppe, Reifungszeit) bei den
verschiedenen Arten ist. Betrachten wir aber die Dauer der Gesamt-
entwicklung vom Ei bis zur geschlechtsreifen Imago, so stellt sich
Das Ausreifen. — Zeitlicher Ablauf der Entwicklung. 171
heraus, daß hierin die Abweichungen weit geringe: sind. Dieses rührt
daher, daß eine etwaige besonders lange Dauer des einen Entwicklungs-
stadiums (z. B. des Eies) meist durch eine um so kürzere Dauer der
anderen Stadien wieder ausgeglichen wird, so daß trotz der größeren
Differenzen, die bezüglich der einzelnen Stadien bei den verschiedenen Arten
herrschen, bei dem größten Teil der Insekten als Gesamtentwick-
lungsdauer 12 Monate resultieren. Einige konkrete Beispiele werden
dies am besten klar machen:
. das die die die Zeit der
Eistadium Larvenzeit Puppe Ausreifung
bei der Nonne ... 9 2^/2 ^/., — =12 Monate,
beim Kiefernspinner .1 10 1 — =12,,
bei der Kieferneule . . 1 2^-2 S"-/., — =12 „
bei Pissodes .... ^/., 3 ^/.^ 8 =12 „
Doch gibt es auch eine Anzahl Insekten, die wesentlich länger zu ihrer
Entwicklung brauchen, was in den meisten Fällen auf das langsame Wachs-
tum der Larven zurückzuführen ist. So bedürfen viele Insekten, deren
Larven im nährstoffarmen Holz leben, 2 Jahre zu ihrer Entwicklung; der
Maikäfer braucht 3 — 4 Jahre und eine nordamerikanische Zikade gar ] 7 Jahre.
Andererseits gibt es aber auch eine Reihe von Insekten, die weit weniger
als 12 Monate bedürfen, so daß in einem Jahre mehrere Generationen auf-
einander folgen können.
Die Entwicklungsdauer wird aber nicht von inneren Faktoren allein
bestimmt, sondern hängt auch wesentlich von äußeren Einflüssen ab, so
daß durch Änderung der letzteren bei den meisten Insekten die Entwicklungs-
dauer verlängert oder verkürzt werden kann.
Es hängt dies damit zusammen, daß die Insekten kaltblütige resp.
wechselwarme (poikylotherme) Tiere sind, deren Eigenwärme sich nach der
Temperatur des umgebenden Mediums richtet. Da nun für die Entwicklung
im allgemeinen eine gewisse Wärmesumme notwendig ist, so erklärt sich
ohne weiteres, daß bei wechselwarmen Tieren die Entwicklung bei niederen
Temperaturen längere Zeit beansprucht als bei höheren (im Gegensatz zu
den warmblütigen Tieren, bei denen die Entwicklungsdauer vollkommen
unabhängig von diesen äußeren Faktoren ist). Die bekanntesten Beispiele
hierfür liefern die Fische, deren Entwicklungsdauer sich genau nach der
Wasserwärme richtet; so beträgt die „Inkubationsdauer" beim Lachs bei 4° R.
106 Tage und bei 8^ R. 53 Tage, beim Bachsaibling bei 5,5^ 73 und bei 8<*
50 Tage. Dies hat dazu geführt, daß man direkt mit einem konstanten
Faktor der Wärmemenge rechnet, die im ersten Falle 424° (4 X 106 oder
8 X 53), im zweiten Fall 400° (5,5 X 73 oder 8 X 50) beträgt. Umgekehrt kann
man — wie dies praktisch bei der künstlichen Fischzucht durchgeführt wird —
die Inkubationsdauer beliebig regulieren, indem man dem Wasser eine ent-
sprechende Temperatur gibt.
Man hat nun versucht, die Verhältnisse, wie sie bei den Fischen herrschen,
ohne weiteres auch auf die Insekten zu übertragen, d. h. auch für sie eine
J^72 Kapitel IV. Fortpflanzung.
ganz bestimmte konstante Wärmesumme, die die verschiedenen Arten zu
ihrer Entwicklung notwendig haben, anzunehmen. Man glaubte dazu um so
mehr berechtigt zu sein, als man von vielen Insekten schon seit langem wußte,
daß sie in wärmeren Gegenden sich rascher entwickeln als in kälteren, so
z. B. vom Maikäfer, der in Norddeutschland 4 Jahre zu seiner Entwicklung
braucht, in Südwestdeutschland und in der Schweiz dagegen nur 3 Jahre.
Daher meinte auch Ratzeburg, im Hinblick auf diesen Käfer: „Schließlich
kommt hier alles, wie bei den Pflanzen, auf die „Wärmesumme" in Boden
und Luft an, welche eine Gattung oder Art zu ihrer Entwicklung braucht."
Auch viele Borkenkäferarten verhalten sich je nach dem Ort ihres Vor-
kommens verschieden, indem sie in wärmeren Gegenden eine doppelte, ja
event. 3 fache Generation haben können, während sie es in kälteren Gegenden
nur auf eine bringen. Ja, selbst an ein und demselben Ort können sich die
Generationsverhältnisse wesentlich ändern, wenn die Temperaturen der ver-
schiedenen Jahre stark abweichen. Interessant sind in dieser Beziehung die
Angaben, die Hennings über das verschiedene Verhalten vom Ips typographus
in den Jahren 1903, 1905 und 1907 (in Herrenwies, bad. Schwarzwald) macht:
„1903: Der Anflug war Ende Mai erfolgt, am 5. August zeigte sich der
Beginn des Jungkäferstadiums, welches durch die ungünstige Witte-
rung derartig in die Länge gezogen wurde, daß am 30. September
die Mehrzahl der Jungkäfer noch unausgefärbt unter der Rinde in
der Nähe der Puppenwiegen zu finden war; eine zweite Gene-
ration war demnach nicht mehr zu erwarten und die einzige
Generation 1903 dauerte also ca. 12 Monate.
1905: Nachdem der Anflug am 12. Mai erfolgt war, gelangte die junge
Brut in ungefähr einem Monat bis zur Verpuppung; nach weiteren
11 Tagen war das Puppenstadium beendet und der Ausflug der
Jungkäfer geschah im Juli; diese Jungkäfer gingen sofort an die
Begründung der zweiten Generation. 1905 hatten wir also zwei
Generationen, von denen die erste nur 2 Monate 9 Tage,
bezw. sogar nur 1 Monat 25 Tage brauchte.
1907: Der Anflug war am 12. bezw. 21. Mai erfolgt; am 14. Juli waren
Puppen noch nicht zu finden; die am weitesten vorgeschrittenen
Larven waren voll erwachsen, zu einer Zeit also, zu welcher 1905
bereits der Ausflug der Jungkäfer erfolgte. Es ist nicht anzunehmen,
daß die diesjährige Brut noch im Laufe des so ungünstigen Sommers
zum Ausflug kommen konnte, so daß wir also 1907 wieder eine
Beschränkung auf eine Generation hatten."
Allbekannt war ferner schon längst, daß bei Insekten mit doppelter
Generation die Sommergeneration wesentlich kürzer ist als die Winter-
generation. Endlich weiß jeder Schmetterlingszüchter, daß man die Ent-
wicklung vieler Schmetterlinge durch „Treiben" wesentlich verkürzen kann,
d. h. dadurch, daß man sie erhöhten Temperaturen aussetzt, — eine Methode,
die vor allem bei überwinternden Raupen und Puppen angewandt wird.
Zeitlicher Ablauf der Entwicklung.
173
Es wurden auch vereinzelte Versuche angestellt, die für die Entwicklung
notwendige Wärmesumme ^) zu berechnen. So fand Förster Uhl ig in Tharandt
bei täglich 3 maliger Temperaturbeobachtung während einer Generation des
Fichtenborkenkäfers vom 30. Mai bis 21. Juli eine Wärmesumme von 1145*' C.
oder täglich im Durchschnitt 22,02°, während der 2. Generation vom 4. August
bis 3. Oktober eine Summe von 1228,5° oder täglich im Durchschnitt 20,48°.
Nach Knoche hat derselbe Käfer im Botanischen Garten zu Halle die
Wärmesumme von 1371,70° (Tagesdurchschnitt 15°) aufgebraucht, wobei auf
das Eistadium 424,4° (Tagesdurchschnitt 12,5°), auf die Larvenzeit 445,30°
(Tagesdurchschnitt 15,5°) und endlich auf die Puppen- und die Reifungszeit
502,0° (Tagesdurchschnitt 18,6°) entfallen.
Doch hat dieser Autor bereits darauf hingewiesen, daß außer der Tem-
peratur auch noch andere Momente, wie z. B. die Feuchtigkeit, mit zu berück-
sichtigen sind. Auch Versuche mit Nonneneiern, die darauf hinzielten, ein
früheres Aufkommen zu bewirken, lehrten, daß neben der Temperatur dem
Feuchtigkeitsgehalt der Luft ein großer Einfluß zukommt, indem
bei trocken gehaltenen Eiern, selbst stark erhöhten Temperaturen das Aus-
kriechen der jungen Räupchen nur unwesentlich beschleunigt werden konnte,
während bei feucht gehaltenen die Differenz viele Monate betrug (Knoche,
Escherich).
Wie verfehlt es in der Tat war, zur Erklärung der Verschiebungen in
den Entwicklungsvorgängen der Insekten lediglich die einfachen (auf der Luft-
temperatur basierten) Wärmesummen heranziehen zu wollen, zeigen am deut-
lichsten die Versuche, die von Hennings an Ips typographus vorgenommen
wurden. Es wurde der genannte Käfer unter 8 verschiedenen Bedingungen
gezogen, nämlich bei 24°, 20°, 17° und 14°, und für jede dieser Temperaturen
wieder sowohl bei ca. 55°/o (im folgenden als „trocken" bezeichnet) wie bei
ca. 96°/o Luftfeuchtigkeit („feucht"), wobei sich folgendes ergab:
Die Entwicklung beanspruchte (an Tagen) für das
Jungkäfer-
Eistadium
Larvenstadium
Puppenstadium
stadium
(Ausreifung)
trocken
feucht
trocken
feucht
trocken
feucht
trocken
feucht
Bei 240 c. . .
5V2
6^/.
5^2
7
5V.
6
9V2
12V.
„ 20« „ . .
8V2
8V.2
7V.
12
11
I2V2
14
15
. 170 „ . .
11^/.
12>/,
13
17»/.
14'/.
15'/2
26V.
27
„ l-l** „ . .
16
18
^0'/.
50
16V.
17
27
28
Die Gesamtentwicklung vom Ei bis zum Freikäfer währte:
bei 24° trocken . .
. 26 Tage,
bei 24° feucht . .
. 32 Tage,
„ 20° „ . .
• 41
„ 20° „ . .
• 48 „
„ 17° „ . .
. 65V. .
„ 17° „ . .
72
. 14« „ . .
. 100
„ 14° „ . .
. 113 „
1) Dem allgemeinen praktischen Gebrauch entsprechend ist hier die Wärme-
summe in Graden angegeben, wiewohl sie natürlich richtiger in Kalorien um-
gerechnet werden sollte.
£74 Kapitel lY. Fortpflanzung.
Daraus geht einmal hervor, wie stark durch äußere Faktoren die Ent-
wicklung beeinflußt werden kann (konnte doch die Entwicklungsdauer um
mehr als das Vierfache, von 26 bis auf 113 Tage, verlängert werden!) und sodann
auch, daß nicht die Temperatur allein für die Differenzen verantwortlich zu
machen ist. Wenn auch, wie Knoche dargetan hat, Hennings vielleicht
den direkten Einfluß der Feuchtigkeit in seinen Experimenten etwas
überschätzt hat, und es vielleicht mehr die durch die Feuchtigkeit hervor-
gerufene Veränderung der Nahrung war, welche die großen Unterschiede in
der Entwicklungsdauer der trocken und feucht gehaltenen Tiere bewirkt hat,
so zeigen die Hennings sehen Versuche doch drastisch, wie sehr neben der
Temperatur noch andere äußere Faktoren (Bachmetjew nennt außer der
Temperatur noch die Feuchtigkeit, die Nahrung, Licht und Elektrizität) die
Entwicklung beeinflussen können.
Wir erfahren aus den Hennings sehen Versuchen ferner, daß die
einzelnen Stadien in ungleichem Maße beeinflußbar sind; betrug
doch die Differenz bei der Eizeit ca. 13 Tage, bei der Larvenzeit ca. 45 Tage
und bei der Puppenzeit ca. 12 Tage; also weitaus am meisten wurde die
Larvenzeit von der Veränderung der äußeren Faktoren getroffen.
Aber nicht nur die verschiedenen Stadien, sondern auch die einzelnen
Arten zeigen große Verschiedenheiten bezügl. der Beeinflußbar-
keit, wie den Schmetterlingszüchtern wohl bekannt ist (siehe darüber Stand-
fuß und Bachmetjew) und wie auch in der letzten Zeit durch zahlreiche
Versuche wiederum an Borkenkäfern (von Fuchs, Hennings, Knoche u. a.)
gezeigt wurde. Unterscheidet doch Hennings bei den Borkenkäfern geradezu
zwei biologische Gruppen, die er als die „Beeinflußbaren" und die „Nicht-
beeinflußbaren" bezeichnet. Zu den letzteren gehört z.B. Eccopfogasfer {Scoly-
üts) Ratzeburgi, der bei einer konstanten Temperatur von 22*'C. und 60*^/0 Luft-
feuchtigkeit keine Beschleunigung gegenüber der zur Vollendung einer
Generation im Freien nötigen Zeit aufwies, während die übrigen Eccoptogaster-
Arten, ferner Ips, Polygraphtis und viele andere zu den „Beeinflußbaren"
gehören. Allerdings kommen auch unter diesen große Schwankungen vor,
indem die einen mehr und die anderen weniger zu beeinflussen sind, so daß
eine scharfe Grenze zwischen den obigen Gruppen überhaupt wohl kaum
gezogen werden kann.
Bei manchen Insekten kommt die merkwürdige Erscheinung vor, daß
ohne jeden erkennbaren Grund die Entwicklung bei einer Anzahl von Individuen
sich weit über die Normaldauer hinaus erstreckt und das Doppelte, ja 3-, 4-
bis 8 fache der letzteren beträgt. Man bezeichnet diese Erscheinung, die sich
meist auf das Puppenstadium bezieht, als „Überliegen", „Überjährigkeit"
oder „Latenz" (Nüßlin). Lyda stellata z. B. hat gewöhnlich eine einjährige
Generation; dagegen findet man häufig, daß aus der im Anfang Mai ent-
standenen Puppe nicht Ende Mai oder im Juni die Wespe ausfliegt, wie
eigentlich die Regel wäre, sondern daß der Puppenzustand bis zum nächsten
Mai dauert und dann erst das vollendete Insekt fliegt. Relativ häufig ist die
Erscheinung des Überliegens bei den Schmetterlingen, was den meisten
Züchtern bekannt ist. So erscheint nach Standfuß der Falter von Saiurnia
Zeitlicher Ablauf der Entwicklung. 175
spini nur zum Teil nach dem ersten Winter, zum größten Prozentsatz (70 bis
75 *^/o) erst nach mehrmaliger Überwinterung, und Bombyx var. arbusculae am
häufigsten erst nach 4 maliger Überwinterung der Puppe, doch auch nach
5 oder 6 maliger, in dem äußersten bis jetzt bekannten Falle sogar erst nach
8 maliger Überwinterung. Siebenmal überwintert auch Biston alpinus] es
können daher diese schmucken Tiere Geduld und Sorgfalt des Züchters auf
eine genügende Probe stellen.^) „Zweimalige Überwinterung (einmaliges Über-
liegen) der Puppen ist ganz und gar keine Seltenheit und man werfe daher
die Puppen nach einmaliger Überwinterung ja nicht ohne weiteres weg."
Standfuß führt eine große Reihe von Schmetterlingen an, bei denen er ein
Überliegen der Puppen beobachtet hat.
Welche Faktoren die Erscheinung des Überliegens hervorrufen, ob
wirklich, wie es den Anschein hat, lediglich innere Ursachen dabei wirksam
sind, darüber wissen wir heute noch gar nichts zu sagen. Die biologische
Bedeutung des Überliegens ist nach Stand fuß vielleicht darin zu suchen,
daß die Inzucht verhindert wird, indem durch das Überliegen die Nach-
kommenschaft desselben Elternpaares auseinandergezogen und so die beiden
Geschlechter der gleichen Brut um Jahre voneinander getrennt werden.
Eine gewisse Parallele zu dem Überliegen der Puppe bildet die ver-
schieden lange und mit einer Vermehrung der Häutungen verbundene Ent-
wicklungsdauer der aus ein und demselben Eigelege stammenden und unter
den gleichen Bedingungen aufwachsenden Raupen gewisser Schmetterlinge,
insofern als auch hier (ebenso wie bei den überliegenden Puppen) äußere
Gründe für die Verlängerung der Entwicklung eines Teiles der Nachkommen-
schaft nicht erkennbar sind. Ein solcher Fall liegt z. B. bei der Nonne vor,
bei der nach Metzgers Versuchen ein Teil der Raupen unter 4 maliger
Häutung 46 Tage zur Beendigung braucht („Vierhäuter"), während die anderen
unter 5 maliger Häutung 56 Tage brauchen („Fünfhäuter"). Hier kommt nun
außerdem noch dazu, daß, was bei vielen Insekten der Fall ist, die männliche
Puppe etwas länger liegt (ca. 19 Tage) als die weibliche (ca. 16^/o Tage), so
daß also die Falter aus ein und demselben Gelege zu vier verschiedenen
Terminen herauskommen: Die ersten (Weibchen) nach 62^/0 = 46 -+- 16^/o Tagen,
die zweiten (Männchen) nach 65 = 46 + 19 Tagen, die dritten (Weibchen) nach
1) Daß dies physiologisch möglich ist, beruht nach Gräfin von Linden
darauf, daß Schmetterlingspuppe imstande ist, wie die Pflanze zu assimilieren,
d. h. Kohlensäure aus der Luft zu absorbieren, sie zu spalten und den Kohlenstoff
als organische Substanz sich einzuverleiben; daß sie ferner aus der Luft den Stick-
stoff „sich nutzbar machen, und zwar in einem Grade, wie es bis jetzt nur für die
Pflanze unter Beihilfe von Bakterien erwiesen ist" (wie von den Pflanzen, so wird
auch von den Puppen vorwiegend bei Tage assimiliert und bei Nacht geatmet).
Sie vermögen dadurch bei langer Puppenruhe wenigstens einen Teil der zerfallenden
Körpersubstanz wieder zu ersetzen. „Nur bei einer derartigen Ökonomie des Stoffes
und der Kraft ist es auch zu begreifen, daß Puppen in einem, um ein Mehrfaches
verlängerten Winterschlaf nicht ihren ganzen Vorrat an Brennmaterial, der auf eine
viel kürzere Zeit berechnet war, verbrauchen und auch dem Schmetterling noch
Stoff und Energie zur Entwicklung einer reichen Nachkommenschaft mitgeben
können." — Die hier wiedergegebenen Anschaui
haben übrigens mehrfachen Widerspruch erfahren.
176 Kapitel IV. Fortpflanzung.
72^/2 = 56 + 16^/., Tagen und die vierten (Männchen) nach 75 = 56 + 19 Tagen.
Auch hier dürfte die biologische Bedeutung die gleiche sein, wie wir sie für
das Überliegen angenommen haben, nämlich die Inzucht möglichst zu ver-
hindern.
Aus dem Wenigen, was wir hier über die Entwicklungsdauer, deren
große Verschiedenheit bei den einzelnen Stadien, deren große Abhängigkeit
von äußeren Faktoren usw., sagen konnten, geht schon zur Genüge hervor,
welch weites und interessantes Gebiet hier vorliegt. Es würde jedenfalls
eine überaus dankbare Aufgabe für phj^siologisch geschulte Entomologen sein,
diesem Probleme sich mehr zu widmen; die Ergebnisse werden nicht nur
vom allgemeinsten biologischen Interesse, sondern auch zweifellos von großem
Wert für die Praxis sein.
Generation.
Die Zeit, welche eine Insektenart braucht, um einen einfachen Ent-
wicklungszyklus zu vollenden, nennt man (mit einem Anklänge an den Ge-
brauch, z. B. Großvater, Vater und Sohn als drei „Generationen" ein und
derselben Familie zu bezeichnen) die „Generation" des betreffenden Insektes.
Diese Zeit reicht also von dem Augenblicke der Ablage eines Eies bis zum
Eintritt der Geschlechtsreife und zum Beginn der Fortpflanzungstätigkeit bei
dem aus diesem Ei entstandenen Tiere: kurz gesagt, von Ei zu Ei.
Bedarf ein Insekt, was am häufigsten der Fall ist, zu seiner Entwicklung
12 Monate, so sprechen wir von einer einjährigen Generation. Die
Raupe, welche aus dem vom Kiefernspannerweibchen im Mai abgelegten Ei
schlüpft, verwandelt sich im nächsten Mai wieder in den fortpflanzungs-
fähigen Falter.
Ein Insekt, welches zu seinem Entwicklungszyklus dagegen 24, 36,
48 Monate u. s. f. braucht, hat eine zwei-, drei- oder vierjährige Gene-
ration. Ein Beispiel der letzteren ist im nördlichen Deutschland der Mai-
käfer, dessen „Flugjahre" an einem bestimmten Orte stets nur jedes vierte
Jahr, z. B. alle Schaltjahre wiederkehren. Die längste bekannte Generation
hat eine nordamerikanische Zirpe, welche 17 Jahre zu ihrer Entwicklung
braucht und eben nach dieser Eigentümlichkeit von Linne Cicada septemdecim
getauft wurde.
Es fällt aber auch jede einjährige Generation stets in zwei verschiedene
Kalenderjahre und jede xjährige Generation verteilt sich also, wenn x eine
ganze Zahl darstellt, auf x + 1 Kalenderjahre. Vergleiche hierzu die unten
folgenden Tabellen.
Andererseits gibt es, wie eben bereits erwähnt, Insekten, welche ihren
Entwicklungszyklus zwei- oder mehreremale innerhalb von 12 Monaten
vollenden, und man sagt alsdann, daß das betreffende Insekt eine doppelte,
dreifache bezw. mehrfache Generation hat. Ein Beispiel für doppelte
Generation bietet die kleine Kiefernblattwespe {Lophyrus pini Z,.), während
einige Blattläuse unter normalen Verhältnissen sogar eine 9 — 14 fache Gene-
ration haben können.
Bei der Beurteilung der doppelten usw. Generation ist darauf zu achten,
daß die Generation wirklich in dem genetischen Verhältnis der direkten Nach-
Generation. 177
folge (wie Mutter-Tochter-Enkelgeneration) zueinander stehen; sonst kann man
zu einer ganz irrtümlichen Auffassung gelangen. Denn doppelte und mehr-
fache Generationen können leicht vorgetäuscht werden, entweder dadurch,
daß die Legezeit sich sehr lang hinzieht, oder dadurch, daß das Weibchen
nach längeren oder kürzeren Pausen (Regeneration der abgebrunfteten Ge-
schlechtsorgane!) wiederholt zur Eiablage schreitet. In beiden Fällen kann
es, zumal bei einem raschen Verlauf der Ei-, Larven- und Puppenentwicklung,
vorkommen, daß man frisch geschlüpfte Imagines und Eier zur gleichen Zeit
findet. Früher nahm man dann gewöhnlich ohne weiteres an, daß die Eier
von den jungen Imagines stammten und daß demnach eine doppelte Generation
vorliege. Heute dagegen ist man, auf Grund der Entdeckungen Nüßlins
und Knoches, von der Langlebigkeit der Mutterkäfer einerseits und der
mitunter sich über Monate hinziehenden langsamen Ausreifung der Imagines
andererseits, weit vorsichtiger und kritischer geworden, und hat auch in
vielen Fällen, da man bisher an einer doppelten Generation festhielt, nur
eine einjährige Generation feststellen können. So haben z. B. die Pissodes-
Arten, wie Nüßlin gezeigt hat, in der Regel nur eine einjährige Generation,
obgleich die zuerst abgelegten Eier schon im Juli, und die im Juli abgelegten
Eier schon wieder im November Jungkäfer liefei n, und zwar aus dem Grunde,
weil alle Eier nur von überwinterten Weibchen stammen, die Jungkäfer
dagegen im Jahre der Geburt überhaupt nicht mehr zur Geschlechtsreife
kommen (siehe auch oben S. 170).
Wir werden unten bei den wichtigeren Forstschädlingen die Ver-
hältnisse ihrer Generation graphisch darstellen.
Die hierbei von uns für die einzelnen Entwicklungsstadien der In-
sekten gewählten Zeichen sind derartig beschaffen, daß sie einigermaßen an
das durchschnittliche Aussehen der entsprechenden wirklichen Stadien
erinnern und daher verhältnismäßig leichter im Gedächtnis behalten
werden können, als die sonst zu diesem Zwecke beliebten Buchstaben oder
Farben.
Es wird also das Ei durch einen Punkt (.), die Larve durch einen
Strich ( — ), die unverpuppt im Kokon liegende Larve durch einen von einer
liegenden Null umschlossenen Strich (©), die Puppe durch eine liegende aus-
gefüllte Null (•) und die Imago, also das fliegende Tier, durch ein Kreuz (-I-),
die Zeit, in welcher das betreffende Insekt frißt, durch einen starken
dicken Strich (■§) bezeichnet. Letzterer wird bei Larven fraß unter, bei
Imagofraß über den Zeichen für das betreffende Stadium angebracht sein.
In den Fällen, wo die Imago noch einige Zeit zur Ausreifung der Geschlechts-
organe bedarf, ist die Zeit der Unreife daran kenntlich, daß unter dem Kreuz
das Eizeichen fehlt.
Es sind die Tabellen ferner so eingerichtet, daß sie auf zirka zehn
Tage, d. h. ein Drittel Monat, genau die Lebensgeschichte eines Insektes
darzustellen gestatten.
Folgende Beispiele mögen dieses erläutern:
Escherich, Forstinsekten. 12
]^78 Kapitel IV. Fortpflanzung.
Liparis monacha L., mit einjähriger Generation.
Jahr
Jan.
Febr.
März
April
Mai
Juni
Juli
Aug.
Sept.
Okt.
Nov.
Dez.
1880
+
+ +
1881
• • +
+ +
^^^
^^
Nonnentachine {Parasetigena segregatä) mit
sinjäh
riger
Generation.
Jahr
Jan.
Febr.
März
April
Mai
Juni
Juli
Aug.
Sept.
Okt.
Nov.
Dez.
1910
+
+ + +
+
H
1911
^ ^ •!•
+ + +
+
Cnethocatnpa
pinivora, mit zwe
jährig
^er Generation.
Jahr
Jan.
Febr.
März
April
Mai Juni
1
Juli
Aug.
Sept. Okt.
1
Nov.
Dez.
1
+
+ +
1910
1911
■
■
^^J
+
+ +
1912
Melolontha vulgaris
L.. m
it vierjähri
ger Generation.
Jahr
Jan.
Febr.
März
April
Mai Juni
Juli
Aug.
Sept.
1
Okt. Nov. Dez.
1880
+TT
m-
1
1881
.^^
._^
^
1882
l^iHi
^^
^__
^^
^
1883
+ + +
+ + +
^^
+ + +
1
+ + + + + +
+ + +
' '^^^^^^^^
1884
+ + +
■ *
+ +
Überwinterunsfsstadium.
179
Lophyrus Pini L., mit doppelter Generation.
Jahr
Jan.
Febr.
März April
Mai
Juni
Juli
Aug. Sept.
Okt.
Nov. 1 Dez.
i
1880
+ +
• • +
+
— © ©
o© ©
^__.
„.^^
©©©
1881
©©©
©o©
©©•
• + +
Wenn man mit dieser graphischen Darstellung einigermaßen vertraut
geworden ist, kann man sich mit einem Blick über die Generationsverhältnisse
orientieren. Allerdings lassen sich diese Schemata nicht überall anwenden.
„Im Falle langer Lebensdauer der Imagines, langhingezogener Eiablage, Inein-
andergreifen der geschwisterlichen Generationen (wie bei den Borkenkäfern,
Pissodes usw.) sind solche graphische Darstellungen unmöglich; ihre An-
wendung würde höchstens die Wahrheit entstellen und verwirrend wirken"
(Nüßlin). Die Entwicklung des einzelnen Individuums läßt sich natürlich
auch in solchen Fällen ohne weiteres in das Schema bringen, nicht aber
lassen sich die Entwicklungsverhältnisse der Art in dieser Weise darstellen.
Überwinterungsstadium.
Bei den meisten forstschädlichen Insekten ist der Winter die beste
Zeit, in der man die Prognose für die kommende Saison stellt; so kann man
sich durch Untersuchung der Zahl und des Gesundheitszustandes der Nonnen-
eier ein ungefähres Bild davon machen, welcher Grad von Fraß im nächsten
Sommer zu erwarten ist, ebenso kann man sich durch Feststellung der Zahl der
in der Bodendecke überwinternden Kiefernspinnerraupen oder Spanner- oder
Eulenpuppen darüber orientieren, was uns die kommende Saison bescheren
wird usw., wodurch man in den Stand versetzt wird, in Ruhe Vor-
bereitungen für die eventuelle Bekämpfung zu treffen.
Es ist daher von großer Wichtigkeit, zu wissen, in welchem Stadium
die einzelnen Insekten überwintern. Allgemeine Regeln lassen sich darüber
nicht aufstellen, da in dieser Beziehung die größte Mannigfaltigkeit herrscht,
so daß nichts anderes übrig bleibt, als für jeden Schädling das Überwinterungs-
stadium sich besonders zu merken. Wie regellos die Insekten sich darin
verhalten, zeigt eine Zusammenstellung Werneburgs, wonach von unseren
einheimischen Großschmetterlingen, im ganzen betrachtet, 3,4 ^/^ als Ei, 66,9 °/o
als Raupe, 28,2 "'o als Puppe und 1,5 °/o als Falter überwintern, während bei
Betrachtung einzelner Familien die Resultate sich ganz anders stellen. So
überwintern alle Zygaeniden als Raupen, die meisten Sphingiden als Puppe
und von den Tagfaltern 9 "/o als Ei, 540/o als Raupe, 28 "/o als Puppe und
9 °/o als Falter. Ja es kommt sogar vor, daß Insekten, welche man bei nicht
allzu enger Begrenzung der Genera zu einem und demselben Genus rechnen
kann, in ganz verschiedenen Stadien überwintern. Dies geht deutlich aus
der folgenden Darstellung der Generation dreier unserer gemeinsten
Spinner hervor.
12*
180
Kapitel IV. Fortpflanzung.
Generation von Bombyx netistria L.
Jahr
Jan.
Febr.
März
April
Mai
Juni
Juli
Aug. I Sept.
Okt.
Nov.
Dez.
1880
+ + +
1
. . .
1881
1
. . .1 . .
j
...
m
Generation von Bombyx
Pini L
Jahr
Jan.
Febr.
März
April
Mai
Juni
Juli
Aug.
1
Sept. Okt.
1
Nov.
Dez.
1880
1
1
+ +
■
^^
^^
^^^
^H
1881
• + +
1
^_
Generati
on von Bombyx lanestris
L.
Jahr
Jan.
Febr.
März
April Mai
Juni
Juli
Aug. Sept.
1
Okt.
Nov.
Dez.
1880
+ + +
^^_
.^^
^^
•••
+ + +
1
1881
Bei manchen Insektenarten überwintern ferner nur die Weibchen nach
vorhergehender Begattung im Herbste, z. B. bei manchen Mückenarten und
unseren gewöhnlichen Faltenwespen {Vespa)\ und die Tatsache, daß die Honig-
bienen über Winter in ihren Stöcken keine Drohnen dulden, dieselben viel-
mehr vorher in der „Drohnenschlacht" töten, so daß nur die Königin nebst
den Arbeitern den Winter überdauert, ist jedem Bienenfreunde bekannt.
Abnorme Witterungsverhältnisse können es aber auch veranlassen, daß
eine Insektenart ausnahmsweise einmal in einem anderen Lebensstadium als
gewöhnlich überwintert. Allerdings sind Fälle, daß ein Tier in einem anderen
der vier Hauptentwicklungszustände als gewöhnlich den Winter verbringt,
doch selten. Dagegen ist es häufig, daß z. B. Raupen, welche gewöhnlich
halbwüchsig das Winterquartier beziehen, dies als ganz junge Tiere zu tun
gezwungen werden, so die Kiefernspinnerraupe nach der ersten Häutung,
statt wie gewöhnlich nach der zweiten.
Insekten, welche eine mehrjährige Generation haben, müssen natürlich
auch mehrere Male überwintern. Es kann dies in den gleichen oder in ver-
schiedenen Hauptlebensstadien geschehen; so überwintern z. B. die eine zwei-
Flugzeit. 181
bis dreijährige Generation aufweisenden Eintagsfliegen stets als Larven im
Wasser, während der Maikäfer drei Winter als Larve, den vierten dagegen
meist als Imago überdauert.
Vielfach suchen die Insekten zur Überwinterung besondere Winter-
quartiere auf, so bohren sich manche Borkenkäfer speziell zum Zweck des
Überwinterns oft massenhaft an der Basis von Stämmen ein, manchmal sogar
in anderen Hölzern als den normalen; so suchen die Laufkäfer alte morsche
Baumstümpfe auf, in denen man sie im Winter mitunter in großer Zahl
finden kann, so geht der Engerling den Winter über tiefer in die Erde, um
aus der Frostregion zu kommen, und so wandert die Kiefernspinnerraupe
vor Eintritt des Winters herab, um die kalte Zeit in der Bodendecke zu
verbringen, usw.
Für die Vermehrung resp. für die Schädlichkeit eines Insektes kommt
es wesentlich darauf an, in welchem Stadium die Überwinterung stattfindet,
da die einzelnen Stadien sich sehr verschieden gegen die Unbilden des
Winters verhalten. So ist das Ei meist überaus widerstandsfähig gegen Kälte
und Nässe, während die Raupe diesen Einflüssen eher unterliegt. Die
Kiefernspinnerraupe z. B. geht während der Winterruhe im Boden oft
massenhaft an Pilzinfektionen {Cordiceps militaris) zugrunde. Abgesehen
davon ist der Fall, daß die Raupe zur Überwinterung in den Boden geht,
noch insofern besonders günstig für uns, als sie dadurch vollkommen in
unsere Hände gegeben sind, indem wir sie ja durch Leimringe vom Aufsteigen
in die Krone verhindern können.
Flugzeit.
Unter Flugzeit versteht man im entomologischen, besonders im forst-
entomologischen Sinne die Zeit, in welcher die Imago zur Fortpflanzung
schreitet. Der Ausdruck findet seine Rechtfertigung darin, daß die Zeit der
Fortpflanzung gewöhnlich die gesamte Lebenszeit der Imago, des einzigen
geflügelten Zustandes umfaßt, oder daß, wo dies nicht stimmt, die Imago
doch meist nur während der Fortpflanzungszeit von ihrem Flugvermögen
ausgiebigeren Gebrauch macht.
Neuere Untersuchungen haben uns allerdings eine ganze Reihe von In-
sekten kennen gelehrt, bei denen die Dauer des Imagolebens durchaus nicht
mit der Zeit der Fortpflanzung zusammenfällt, sondern sich wesendich länger
ausdehnt. Außerdem gibt es doch auch Insekten, welche in ihrer Fort-
pflanzungszeit nicht oder nur wenig fliegen {Hylobius), sowie endlich
auch zahlreiche ungeflügelte Insekten. Nüßlin hat daher an und für sich
gewiß recht, wenn er an Stelle des Ausdruckes Flugzeit den Ausdruck Fort-
pflanzungsbereitschaft gesetzt wissen will; doch hat sich der Ausdruck
Flugzeit bereits so sehr in der Praxis eingebürgert, daß es uns am zweck-
mäßigsten- erscheint, denselben beizubehalten, wenn er auch dem eigentlichen
Sinne des Wortes nach nicht überall völlig zutreffend ist.
Die Flugzeit der einzelnen Insektenarten ist eine sehr verschiedene:
Während sie z. B. bei der Kieferneule bereits in das zeitige Frühjahr, Ende
März oder Anfang April, fällt, tritt sie beim Kiefernspinner erst im Hoch-
jy2 Kapitel IV. Fortpflanzung.
Sommer ein, und der Frostspanner fliegt gar erst im Spätherbst, von Mitte
Oktober bis in den Dezember hinein. Die Kiefernblattwespe {Lophyrus pini)
fliegt sowohl im April als auch im Juli und August.
Im allgemeinen ist die Flugzeit der einzelnen Insekten, speziell der
praktisch beachtenswerten, genau bekannt. Doch ist nicht zu übersehen, daß
der Beginn der Flugzeit durch klimatische Verhältnisse wesentlich
verschoben werden kann, insofern als er durch ungünstige Witterung
verzögert, durch günstige beschleunigt wird. Besonders macht sich dies
bei solchen Insekten bemerkbar, deren Flugzeit in das erste Frühjahr fällt.
Dabei lassen sich oft unverkennbare Beziehungen zur Pflanzenwelt feststellen,
indem die Beschleunigung oder die Verzögerung des Eintrittes der Flugzeit
gleichen Schritt hält mit dem vorzeitigen oder verspäteten Erwachen der
Pflanzenwelt. Die phänologischen Aufzeichnungen, die wir in den meisten
modernen Jahresberichten der landwirtschafdichen Versuchsstationen resp.
Sammelstellen finden, bringen hierfür zahlreiche Beispiele.
Auch die Dauer der Flugzeit ist ungemein verschieden je nach der
Insektenart: Bei den Eintagsfliegen währt sie nur wenige Stunden, bei den
meisten Schmetterlingen, Käfern, Fliegen usw. mehrere Tage bis ca. zwei
Wochen, während sie bei anderen über die ganze Saison sich hinziehen
kann. Letzteres trifft hauptsächlich für Insekten mit langsamer Geschlechts-
reife und langer Lebensdauer zu, wie für Pissodes, gewisse Borkenkäfer usw\
Wie auf den Beginn, so üben klimatische Einflüsse auch auf die
Dauer der Flugzeit eine deutliche Wirkung aus, und zwar sowohl auf
die Flugzeit des Individuums als die der Art. Schöne warme Februar- oder
Märztage bewirken bei vielen Insekten einen frühzeitigen Beginn der Flug-
zeit; folgt nun darauf ein Temperatur-Rückschlag, so wird das Fortpflanzungs-
geschäft, das soeben eingesetzt hatte, sogleich wieder unterbrochen und zwar
so lange, bis wieder wärmere Tage (mit einer für die Fortpflanzung nötigen
Temperatur) eintreten. Diese Unterbrechung kann Wochen dauern, und
so kann die Fortpflanzungszeit weit über das normale Maß hinaus ver-
längert werden. Als Beispiel hierfür sei eine Beobachtung Knoches an
Hylesinus piniperda angeführt: Am 26. Februar 1900, der eine abnorm hohe
Temperatur hatte, und dem eine Reihe ebenfalls sehr warmer Tage voraus-
gegangen waren, wurden die ersten piniperda beim Einbohren und der Her-
stellung der Muttergänge beobachtet; es trat darauf ein Temperatur-Rückschlag
ein, der beinahe den ganzen März und auch noch die ersten Tage des April
anhielt. Als am 20. März einige der am 26. Februar in Angriff genommenen
und damals sofort markierten Muttergänge geöffnet wurden, befanden sich
im fortgeschrittensten nicht mehr als 7 Eier, eine Zahl, die unter Umständen
in einem Tage abgelegt wird. Die Eiablage war also durch die kalte
Temperatur unterbrochen. Diese Unterbrechung hielt bis in den April hinein
an, und so kam es, daß bei einer Untersuchung vom 16. April ein erheblicher
Unterschied in der Förderung zwischen den Muttergängen vom 26. Februar
und denen, die erst am 11. und 12. April in Angriff genommen worden
waren, nicht zu finden war.
Lebensdauer. 183
Es ist daher also nicht angängig, vom Eintritt der Flugzeit ohne weiteres
auf das Erscheinen der nächsten Imagines (durch einfaches Hinzurechnen der
normalen Entwicklungsdauer) zu schließen, da wir stets mit Unterbrechungen
und Verzögerungen durch klimatische Einflüsse rechnen müssen.
In dem eben erwähnten Beispiel betraf die Flugzeitverlängerung in
gleicher Weise das Individuum wie die Art. Es können aber auch Fälle
eintreten, in denen die Flugzeit des Individuums die normale bleibt, wogegen
die Gesamtflugzeit der Art wesentlich verlängert wird. Nehmen wir als Bei-
spiel hierfür die Nonne: ihre Flugzeit zieht sich gewöhnlich über 4 Wochen,
von Mitte Juli bis Mitte August, hin ; hatten wir nun einen Sommer mit stark
wechselnden klimatischen Verhältnissen (abwechselnd Hitze und Kälte, Nässe
und Trockenheit usw.), so ergibt sich daraus oft eine Ungleichheit in der
Entwicklung der Raupen, so daß wir neben ganz kleinen mittelgroße und
beinahe vollentwickelte Raupen finden können; und daraus resultiert natürlich
eine weitere Ausdehnung der Flugzeit, die sich bis Mitte, ja bis Ende
September hinziehen kann. Was hier für die Nonne gesagt ist, gilt in
gleicher Weise auch noch für viele andere Insekten.
Alle hier angeführten Punkte über die Flugzeit können für die Praxis
die größte Bedeutung erlangen, es muß daher der Praktiker völlig vertraut
damit sein. Er muß nicht nur die normalen Flugzeiten der wichtigeren Schäd-
linge kennen, sondern auch wissen und berücksichtigen, wie sehr und in
welcher Weise dieselben durch Witteiungseinflüsse verschoben und ver-
ändert werden können.
Lebensdauer.
Wenn ein Insekt den Imagozustand einmal erreicht hat, so wächst
dasselbe, wie wir oben kennen gelernt haben, nicht mehr. Die Funktionen
der Imago beschränken sich denn auch im wesentlichen auf die Ernährung
und Fortpflanzung, und in sehr vielen Fällen tritt erstere derartig zurück, daß
die ganze Lebenstätigkeit lediglich mit dem Fortpflanzungsgeschäft erfüllt ist.
Das klarste Beispiel hierfür ist die Eintagsfliege, welche nach Erreichung des
Imagozustandes nur wenige Stunden lebt, um Begattung und Eiablage aus-
führen zu können. Ähnlich verhalten sich die Psychiden, deren Männchen,
kaum entwickelt, in rasendem oder tanzendem Flug das Weibchen aufsuchen
und sogleich nach der Kopulation absterben (nach Standfuß betrug das ge-
samte Imagoleben zweier Psyche apt/orm is-Mä.nnchen vom Moment des Aus-
schlüpfens bis zum Tode nur 32 bezw. 58 Minuten!). In den meisten anderen
Fällen beträgt das Imagoleben mehrere Tage bis mehrere (2 — 3) Wochen;
so lebt z. B. der Kiefernspinner ca. 16 Tage als Imago, die Nonne
wohl noch etwas weniger, Lyäa stellata ca. 4 Wochen usw. Bei denjenigen
Arten, die als Imago überwintern, wie z. B. die Tagfalter und viele Eulen,
zieht sich das Imagoleben über viele Monate hin, am längsten wohl bei den
Caplocampa- Arien (Eulen), die Ende August, Anfang September schlüpfen
und bis zum Mai, Juni des nächsten Jahres am Leben bleiben, um dann erst
die Eier abzulegen.
In allen diesen Fällen und sogar auch dann, wenn zwar das Imago-
stadium überwintert, aber im Frühjahr bald nach ausgeübter Fortpflanzungs-
184 Kapitel IV. Fortpflanzung.
tätigkeit eingeht, deckt sich die Dauer der einzelnen Generation ungefähr
mit der Lebensdauer des Insektenindividuums (Ei — Imago).
Es kommen allerdings in dieser Beziehung auch Ausnahmen vor; so
gibt es unter den Käfern eine Anzahl von Arten, welche mehrere Jahre als
Imago leben und in dieser Zeit mehrmals zur Fortpflanzung schreiten, vi^ie
z. B. die Pissodes-Arten, Hy/obius, einzelne Borkenkäfer, ferner Calosoma und
andere Laufkäfer. Das längste Imagoleben führen zweifellos die Weibchen der
sozialen Insekten; so kann eine Bienenkönigin bis 5 Jahre alt werden, eine
Ameisenkönigin bis 12 und eine Termitenkönigin wohl gar bis 15 Jahre,
wobei sie fast ununterbrochen dem Fortpflanzungsgeschäft obliegt.
Auch auf die Dauer des Imagolebens können äußere Einflüsse wirksam
sein, indem das Fortpflanzungsgeschäft bei niederer Temperatur sich wesentlich
langsamer vollzieht als bei hoher, was wenigstens bei solchen Arten, die
nach Erledigung der Fortpflanzung absterben, gleichbedeutend mit einer Ver-
längerung des Imagolebens ist.
Literatur.
(Lehr- und Handbücher siehe oben S. 48.)
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Uhlig, Zur Borkenkäferfrage. Tharandter Jahrb., 25. Bd., 1875.
Kapitel V.
Die Insekten als natürliche und wirtschaftliche
Macht im allgemeinen und besonders in forstlicher
Beziehung.
Die Bedeutung der Insekten im allgemeinen Naturhaushalt.
Trotz der durchschnittlich geringen Größe der Einzeltiere spielen die
Insekten im allgemeinen Haushalt der Natur doch eine ganz hervorragende
Rolle, was hauptsächlich durch die ungeheuere Anzahl der Arten und
Individuen bedingt ist.
Über die geringe Durchschnittsgröße der heimischen Insekten belehrt
uns am besten ein Blick in eine Sammlung. Ein Käfer oder eine Heuschrecke, welche
an Körpergröße dem kleinsten Säugetiere unserer Fauna, der Zwergspitzmaus, oder
dem kleinsten einheimischen Vogel, dem Goldhähnchen, Regulus cristatus Koch,
gleichkommen, gehören schon zu den größten Erscheinungen, und die scheinbar
ziemlich bedeutenden Dimensionen der Großschmetterlinge kommen fast ausschließ-
lich auf Rechnung der nur sehr wenig feste Körpermasse enthaltenden Flügel.
Hirschkäfer, Lucanus cervus Z,., Wanderheuschrecke, Pachytylus migratorius L.,
einige Wasserjungfern aus den Gattungen Anax und Aeschna, das große Nacht-
pfauenauge, Saturnia Pyri Schiß., sowie die Hornisse, Vespa Crabro L., dürften die
größten Insektenformen unserer Fauna darstellen. Dagegen sind ganze Gruppen
sehr verbreiteter und wichtiger Insekten von durchschnittlich zwerghafter Gestalt.
Wir erwähnen hier beispielsweise nur die Borkenkäfer, die Gallwespen und unter
den Schlupfwespen im weiteren Sinne die Chalcididae und Proctotrypidae .
Um so bedeutender ist die A n z a h 1 d e r G a t t u n g e n u n d A r t e n. Wir
brauchen ja nur die dickleibigen und vielbändigen Kataloge, die von den ver-
schiedenen Insektenordnungen erschienen sind und die nur die Namen der be-
schriebenen Formen enthalten, anzusehen, um einen Begriff von der ungeheuren
Zahl der Insekten zu bekommen. Packard schätzt die Zahl der bis jetzt be-
schriebenen Arten auf 250000, wovon der größte Teil auf die Käfer und Hymenopteren
entfällt. Die Zahl der tatsächlich existierenden Insektenarten beträgt aber sicherlich
ein mehrfaches davon. Wenn wir bedenken, wie wenig die Tropen noch durch-
forscht sind, speziell auf die kleineren Formen — gelang es mir doch z. B. in Ceylon
innerhalb des soviel durchsuchten botanischen Gartens von Peradenia und seiner
unmittelbaren Umgebung in der kurzen Zeit von 8 Wochen annähernd 40 für die
Wissenschaft neuen Formen zu entdecken — , so dürfen wir ruhig behaupten, daß
heute erst ein kleiner Bruchteil der dort lebenden Kerfe bekannt ist.
Daß auch die Menge der Individuen häufig eine sehr bedeutende ist,
lehrt schon der Umstand, daß die Insekten trotz ihrer geringen Durchschnittsgröße
einen sehr wesentlichen Zug des sommerlichen Naturbildes auch in unseren Gegenden
abgeben. In einzelnen Fällen steigert sich bei der Einzelart die Individuenzahl aber
in das Unglaubliche. Wir erinnern an die schon bei uns mitunter so lästig
Die Bedeutung der Insekten im allgemeinen Naturhaushalt. 187
werdenden Mückenschwärme, die in tropischen Ländern und auf nordischen Hoch-
mooren sich zu sonnenverfinsternden Wolken vermehren können. Die riesigen
Wanderheuschreckenzüge und die von ihnen verursachten Verheerungen sind be-
kannt; die Züge der Libellula quadrimaculata L. können bei uns mitunter ununter-
brochen 1 — 2 Tage dauern, und wandernde Raupenmassen haben schon ganze Eisen-
bahnzüge zum Stehen gebracht. Zu welch ungeheuren Mengen verschiedene forst-
liche Schmetterlinge sich vermehren können, hat der Forstmann leider nur zu oft
zu erfahren. Wenn der Kot ununterbrochen von den Bäumen herabrieselt, den
Boden zentimeterhoch bedeckend, oder wenn der ganze Wald so dicht mit Raupen-
schleiern durchwebt ist, daß man kaum durchdringen kann oder wenn, wie das im
Jahre 1856 der Fall war, die kurländische Küste von Libau bis Windau auf eine
Strecke von 70 km 15 cm dick und 2 m breit von angespülten Leichen der durch
einen Sturm ins Meer hinausgetriebenen Nonnenfaltern bedeckt war, so ist die Zahl
der Individuen sicherlich nach vielen Milliarden zu berechnen.
Die räumliche Verbreitung dieses unzählbaren Insektenheeres ist
fast ausschließlich auf das feste Land und die Binnengewässer beschränkt. Im
Meere wird es durch das dort nicht minder zahlreiche Heer der krebsartigen Tiere
ersetzt. Allerdings gibt es auch einige im Salzwasser lebende Insekten — besonders
ist Halobates, eine nach Art unserer einheimischen Hydrometra auf der Meeres-
oberfläche herumlaufende Wasserwanze, zu erwähnen — indessen sind sie höchstens
nach Dutzenden zu zählen und verschwinden gegen die Hauptmenge der übrigen
Insekten völlig.
Ja sogar so weit scheint sich der Antagonismus zwischen Meer und Insekten-
organismus zu erstrecken, daß die Insekten im allgemeinen die Kontinente den
Inseln vorziehen, und daß bei den auf kleineren, heftigen Winden ausgesetzten Inseln
lebenden Insektenformen häufig die Flugfähigkeit, also eines der typischsten Merk-
male der Insektenorganisation, verloren geht, M'ie die Käferfauna von Madeira und
die gesamte Insektenfauna der Kerguelen beweist.
Auch die Süßwasserinsekten können nur als ein zwar großer, aber doch
immerhin nicht völlig typischer Zweig der Kerfwelt angesehen werden, da
viele von ihnen nur die Entwicklungszeit im Wasser zubringen, und diejenigen,
welche das Süßwasser als dauerndes Lebenselement wählen, dasselbe doch auch
stets wenigstens zeitweilig verlassen können und ihre Atmungsorgane immer zur
direkten Atmung atmosphärischer Luft eingerichtet sind.
Dagegen hat sich, soweit der Mensch auch auf der festen Erdoberfläche vor-
gedrungen ist, überall Insektenleben vorgefunden, wenngleich nicht zu verkennen ist,
daß vom Äquator nach den Polen und von dem Meeresspiegel nach den Berggipfeln
zu eine Abnahme der Arten- und in vielen Fällen auch der Individuenzahl, welche
mit dem sich vermindernden Pflanzenwuchs Hand in Hand geht, zu verzeichnen ist.
E.S sind verschiedene Richtungen, in denen die Tätigkeit der Insekten
besonders wichtig ist:
1. Sie beschleunigen den Zerfall abgestorbener Organismen;
2. sie vernichten zahlreiche lebende Organismen und tragen so zur Er-
haltung des organischen Gleichgewichts bei;
3. sie bilden die notwendige Nahrungsquelle für viele andere Tiere;
4. „ vermitteln die Kreuzbefruchtung vieler Pflanzen;
5. „ tragen zur Verbreitung der Pflanzenwelt bei, und
6. „ nehmen an der Bodenbearbeitung teil.
Die Insekten als Zerstörer abgestorbener Organismen.
— • Eine große Anzahl von Insekten leben von toten Tieren und Pflanzen und be-
wirken dadurch, daß deren Substanzen eher wieder in den Kreislauf des organischen
Lebens zurückgeführt werden, als es durch den einfachen Verwesungsprozeß ge-
188 Kapitel V. Die Insekten als natürliche und wirtschaftliche Macht usw.
schehen würde. Es ist ein häufig wiederholter Ausspruch L i n n e s, daß Fliegen
einen Pferdekadaver ebenso schnell aufzufressen vermögen, als ein Löwe, ein
Paradoxon, welches allerdings durch die Schnelligkeit, mit der die Schmeißfliegen
sich vermehren und mit der ihre Larven wachsen, eine gewisse Berechtigung erhält.
Besonders aber die gegen Witterungseinflüsse widerstandsfähigeren abgestorbenen
Pflanzenteile, Stengel, Stämme, Wurzeln usw. werden durch die Tätigkeit der
Insekten rascher in Humus verwandelt, als es sonst der Fall wäre. Ein Baum-
stumpf, in den eine Ameisenkolonie sich einnistet, zerfällt z. B. viel schneller als
ein anderer, insektenfreier. Am auffallendsten tritt einem diese Tätigkeit der
Insekten in den Tropen entgegen, wo die gestürzten Baumriesen in kurzer Zeit von
den Termiten aufgearbeitet werden.
Die Insekten als Erhalter des organischen Gleichge-
wichts. — Nicht minder groß ist die Anzahl solcher Insekten, die sich von
lebenden Organismen nähren, teils, indem sie dieselben nach Art der Raubtiere ein-
fach verzehren, teils, indem sie parasitisch auf oder in ihnen leben. Dadurch wird
die übermäßige Vermehrung der als Nahrung oder als Wirte dienenden Organismen
wesentlich beschränkt. Wie wichtig dieser Faktor für die Erhaltung des organischen
Gleichgewichtes sein kann, zeigen uns solche Fälle, in denen an und für sich wenig
schädliche Insekten, in ein fremdes Land verschleppt, dort zu einer furchtbaren
Plage wurden, indem sie sich eben in der neuen Heimat, in der die Parasiten und
Raubinsekten fehlten, uneingeschränkt vermehren konnten. Amerika liefert uns
eine ganze Reihe drastischer Beispiele hierfür, worüber unten noch näheres
berichtet wird.
Die Insekten als Nahrungsquelle für andere Tiere. — Daß
viele Tiere ausschließlich von Insekten leben, und andere, z. B. viele körnerfressende
Vögel, wenigstens zu Zeiten einen großen Teil ihres Lebensunterhaltes dem Insekten-
reiche entnehmen, ist allgemein bekannt. Namentlich liefern die Gliederfüßler und
Wirbeltiere ein großes Kontingent an Insektenfressern. Die hauptsächlichsten
Formen der einheimischen Insektenfresser sind im nächsten Kapitel übersichtlich
zusammengestellt, ebenso wie die parasitisch von Insekten lebenden Formen.
Die Insekten als Befruchter. — Die Anschauungen über die Art
der Bestäubung der Pflanzen hat im Laufe der Zeit mehrfache Wandlungen durch-
gemacht, wie Kirchner in seinem schönen Werke ,, Blumen und Insekten" so
übersichtlich ausführt. Ursprünglich war man der Meinung, daß in Zwitterblüten
regelmäßig die Narbe durch solchen Pollen bestäubt werde, der aus Staubblättern
derselben Blüte herstammte, eine Bestäubungsform, die später als Selbst-
bestäubung oder Autogamie bezeichnet worden ist. Als nun im Jahre 1793
Christian Conrad Sprengel mit seinem berühmten Buche: „Das ent-
deckte Geheimnis der Natur im Bau und in der Befruchtung
der Blumen" hervortrat, verfiel man bald in das gegenteilige Extrem.
Sprengel selbst sprach den Satz aus „die Natur scheine es nicht haben zu
wollen, daß irgendeine Blume durch ihren eigenen Staub befruchtet werden solle."
Je eingehender man aber die Verhältnisse studierte, und je mehr Beobachtungen
und Erfahrungen man sammelte, desto mehr kam man zu der Einsicht, daß die
Wahrheit in der Mitte liegt, d. h. daß die verschiedenen Arten der Blütenpflanzen
in der Ausbildung und Verwendung jener beiden Bestäubungsformen, der Autogamie
und der Allogamie (Fremdbestäubung), höchst mannigfaltig sich verhalten. Sie
stellen eine fortlaufende Reihe dar, an deren Anfang die eine und an deren Ende
die andere Bestäubungsform herrscht, während beide im mittleren Teil der Reihe
einander mehr oder weniger das Gleichgewicht halten. Allerdings stellt die aus-
schließliche und andauernde Autogamie einen seltenen Weg zur Hervor-
bringung von Samen dar, der von den Blütenpflanzen nur in äußerster Notwehr
gegen ungünstige Lebensbedingungen betreten wird.
Die Kreuzbefruchtung bedeutet einen großen Vorteil für die
Nachkommenschaft, insofern, als die aus gekreuzten Blüten entstandenen
Nachkommen den aus nichtgekreuzten hervorgegangenen in verschiedenem Grade
Die Bedeutung der Insekten im allgemeinen Naturhaushalt. 189
und in mannigfaltigen Beziehungen überlegen sind, nämlich an Größe und an Ge-
wicht, an Fruchtbarkeit und an vermehrter Widerstandsfähigkeit gegen ungünstige
Witterung usw. So ist es wohl verständlich, daß die Natur Einrichtungen getroffen
hat, die Kreuzbefruchtung in möglichst ausgedehntem Maße zu gewährleisten. Die
Mittel, die dazu angewandt werden, sind der mannigfaltigsten und oft „raffinier-
testen" Art. Naturgemäß setzt die Kreuzbefruchtung eine außerhalb der Blüte
liegende Instanz voraus, welche den Transport des Blütenstaubes aus den ge-
öffneten Staubbeuteln auf die zu seiner Aufnahme bereite Narbe übernimmt. Bleibt
eine solche Hilfe aus, so kann die Blüte vergeblich blühen und der Unfruchtbarkeit
anheimfallen. — Als Vermittler der Bestäubung kommen drei Faktoren in Betracht,
nämlich der Wind, das Wasser und die Tiere.
Bei der Bestäubung durch den Wind (Anemogamie) wird der Blütenstaub
den Luftströmungen anvertraut, die ihn zufällig an den Ort seiner Bestimmung
übertragen. Solcher Windblütler gibt es eine beträchtliche Anzahl, indem sie in
Mitteleuropa etwa 19 "/o aller Blütenpflanzen ausmachen. Es gehören hierher die
Nadelhölzer und diejenigen Mono- und Dikotyledonen, welche wenig auffallende
Blüten haben, also beiläufig gesagt, die meisten unserer forstlich wichtigen
Holzarten.
Die Bestäubung durch Wasser (Hydrogamie) gehört zu den selteneren
Fällen; es gelangt hier der Pollen in das Wasser, welches die Blüten umspült, und
wird von dessen Strömung zu den Narben gefördert.
Die häufigste Form der Kreuzbefruchtung ist die Zoogamie, d. h. die
Übertragung des Pollens durch Tiere. Und zwar spielen hierbei
— wenigstens im Bereich unserer einheimischen Pflanzenwelt — die hauptsäch-
lichste, ja nahezu die ausschließliche Rolle die Insekten. Sind doch annähernd
80% der europäischen Blütenpflanzen Insektenblütler.
Es ist im allgemeinen nicht schwer, vom Bau der Blüten auf die Art der
Bestäubung zu schließen, insofern, als die Windblütler unscheinbare und duftlose
Blüten besitzen, während die Insektenblütler durch Augenfälligkeit der Blüten und
mehr oder weniger stark ausgeprägte Düfte sich auszeichnen. All die Eigen-
schaften, die die Blumen den Menschen so lieb machen, stellen nichts anderes dar
als Anlockungsmittel für die Insekten, welche den Pollen von einer Blüte zur
anderen tragen sollen. ,, Augenfälligkeit und Duft sind es, welche die Reklame für
die Blumen besorgen, welche die vorüberfliegenden Insekten auf das Vorhandensein
der Blumen aufmerksam machen, ähnlich wie ein den Gästen winkendes Wirtshaus-
schild." Doch genügen diese beiden Eigenschaften noch nicht, die Insekten zu
regelmäßigem und stetem Blumenbesuch, wie er für die Sicherheit der Kreuz-
befruchtung notwendig ist, zu veranlassen und zu gewöhnen. Dazu gehört noch,
daß die Insekten auch zusagende Nahrung im ,, Wirtshaus" finden; erst wenn das
der Fall ist, werden sie immer wieder einkehren. Daher finden wir denn auch als
weiteres, ja als das wesentlichste Merkmal der typischen Insektenblütler Ab-
sonderung und Darbietungvon Honig oder Nektar. „Der Nektar
ist sozusagen der Angelpunkt, um den sich die ganze Blüteneinrichtung dreht, er
ist, wie Sprengel sich ausdrückte, in den Blumen das, was in der Uhr die Feder
ist." Meist findet seine Ausscheidung am Grunde der Blüte statt; jedenfalls stets
an solchen Stellen, daß das Insekt, das zu ihm gelangen will, die Staubbeutel be-
rühren muß und sich so mit Pollenkörnern belädt.
Es sind vornehmlich Insekten mit leckenden und saugenden Mundgliedmaßen,
welche die Kreuzbefruchtung besorgen. Obenan stehen die Hymenopteren, die etwa
die Hälfte aller als Blumenbesucher beobachteten Insekten liefern; und unter ihnen
spielen die Bienen und Hummeln weitaus die größte Rolle, einmal
wegen ihrer großen Individuenzahl und sodann auch deshalb, weil sie für ihre Brut
den ganzen Sommer über Pollen und Nektar bedürfen und daher immer wieder die
Blumen besuchen müssen. Kein anderes Insekt übertrifft bezügl. Häufigkeit und
Eifer des Blumenbesuches unsere Honigbiene. — Eine besondere Berühmtheit unter
den Hymenopteren hat auch die Feigengallwespe {Blastophaga grossorum), die in
X90 Kapitel V. Die Insekten als natürliche und wirtschaftliche Macht usw.
inniger Symbiose mit dem Feigenbaum lebt, und von deren Anwesenheit die Bildung
fruchtbarer Feigen abhängig ist. — Auf die Hymenopteren folgen an Wichtigkeit für
die Befruchtung der Blumen die Schmetterlinge. Bezügl. des Grades der
Anpassung an die Blumen nehmen dieselben aber unter allen Insekten die höchste
Stufe ein, denn sowohl nach ihrem Körperbau als ganz besonders nach der Aus-
bildung ihrer Mundteile sind sie durchaus auf die Gewinnung von Blumennektar
eingerichtet. Auch die Zweiflügler, Dipteren, enthalten eine ganze Anzahl
von Blumenbesuchern, von denen hier vor allem die Syrphiden, Empiden, Bombili-
iden und Conopiden genannt seien. Die Käfer treten gegenüber den bisher ge-
nannten Ordnungen ganz in den Hintergrund, wenn auch einige Gattungen sich
an ausschließliche Blumenernährung gewöhnt haben und gelegentlich auch Be-
stäubungen vollziehen, wie Clytus, Leptura und andere Bockkäfer, ferner manche
Canthariden, Oedemeriden, Mordelliden^ Cisteliden usw
Die Insekten als Verbreiter der Pflanzen. — Die Rolle, welche
die Insekten für die Verbreitung der Pflanzen spielen, ist erst in der letzten Zeit
richtig erkannt und gewürdigt worden, und zwar vor allem durch die eingehenden
Studien des schwedischen Botanikers S e r n a n d e r.
Anemoclioren
Anemochoren
Myrmekochoren
-z;^
Fig.
172. Schnitt durch einen Wald zur Veranschaulichung der häutigsten Typen der Pflanzen-
verbreitung. Nach R. Sern and er.
In erster Linie sind es die Ameisen, welche an der Verbreitung der
Pflanzen beteiligt sind. — Daß gewisse Ameisen Samen sammeln und eintragen,
ist schon seit alters her bekannt; doch über den Umfang und die große Bedeutung,
welche diese Gewohnheit für die Verbreitung der Pflanzen besitzt, sind wir erst
von Sernander aufgeklärt worden. Dieser Forscher hat durch zahlreiche Ver-
suche dargetan, daß eine Menge Phanerogamen ausschließlich auf die Ver-
breitung durch Ameisen angewiesen sind. Zu diesen gehören vor allem die Schatten-
formen, also die der untersten Vegetationsschichte unserer Wälder angehörigen
Pflanzen. Es ist unschwer einzusehen, warum gerade diese einer solchen Ver-
breitungsart am meisten bedürfen. Kommen doch für sie die anderen Verbreitungs-
gelegenheiten, die den oberen Vegetationsschichten so ausgiebig zur Verfügung
stehen, gar nicht oder nur in ungleich geringerem Maße in Betracht. (Fig. 172.)
Die oberste Schicht, die sog. „H o c h w a 1 d s c h i c h t" (a), ist in hohem
Maße windexponiert; außerdem erreicht der Wind zwischen den Baumstämmen
und Strauchgruppen eines fertig gebildeten Waldvereins auch noch in der
„höchsten und mittleren Feldschicht" (d und e) eine größere Kraft.
Daher finden sich in diesen Schichten hauptsächlich Anemochoren, d. h. Pflanzen,
deren Samen durch den Wind verbreitet werden. In der zwischen diesen beiden
Die Bedeutung der Insekten im allgemeinen Naturhaushalt. 191
gelegenen Schichte, der untersten „W ald-und Gebüschschicht" (b und c)
kann der Wind weniger ausrichten, wofür hier eine andere Verbreitungsart in den
Vordergrund tritt, nämlich die endozoische. Denn im Buschwerk verleben eine
Menge kleiner beerenfressender Vögel einen guten Teil ihres Daseins. — In den
beiden untersten Schichten endlich tritt nun einerseits sowohl die Kraft des Windes
stark zurück und kommt andererseits auch die endozoische Verbreitung durch
Vögel kaum in Betracht, so daß also die hierher gehörigen Pflanzen anderer Ver-
fahren sich bedienen müssen, unter denen die Myrmekochorie, d. h. die Verbreitung
durch Ameisen, einen hervorragenden Platz einnimmt.
In Anbetracht der auf dem Boden überall zahlreich herumwimmelnden
Ameisen, und in Anbetracht ferner der diesen eigenen Gewohnheit, Nahrungs- und
Nestobjekte in ihren Kiefern oft weite Strecken nach Hause zu tragen, war es nahe-
liegend genug, daß die Bodenpflanzen, die ja die Hauptverbreitungsfaktoren kaum
ausnützen können, sich dieser beweglichen und flüchtigen Transporteure zu bedienen
versuchten. Dem stand jedoch im Wege, daß die Verbreitungseinheiten (Samen usw.)
der Pflanzen im allgemeinen von Haus aus wenig Anziehungskraft auf die Ameisen
ausüben. Es mußten daher die Samen, wenn wirklich deren ausgiebige Verbreitung
durch Ameisen bewirkt werden sollte, erst noch mit besonderen Anlockungsmitteln
versehen werden. Und solche finden sich denn auch bei einer ganzen Anzahl von
Phanerogamen: sie bestehen in Anhängseln, Wülsten usw. der Samen, welche stark
ölhaltig und gewöhnlich noch mit einem feinen Haarfilz besetzt sind. Sern ander
bezeichnet sie als ,.E 1 a i o s o m e" und die damit begabten Samen als „m y r m e -
k o c h o r".
Genaue und oft wiederholte Beobachtungen führten Sernander zu dem
Schluß, daß die Menge der Samen, die in der Natur von den Ameisen transportiert
werden, ganz enorm sein muß. Ergab doch die Berechnung als Minimumzahl für
die durch eine einzige Formica rw/a- Kolonie verbreiteten Samen während einer
Vegetationsperiode nicht weniger als 36480!
Was die Verbreitung der Myrmekochoren in unseren Wäldern betrifft, so
sei kurz erwähnt, daß die Eichenmischwälder mit 80 Arten und die Buchenwälder
mit etwa 45 Arten die reichste Myrmekochorenflora aufweisen. Besonders die an
und für sich nicht gerade zahlreiche Kräuter- und Gräservegetation des reinen
Buchenhochwaldes besteht zu einem erstaunlich hohen Prozentsatz aus Myrme-
kochoren. Viel ärmer ist dagegen die Myrmekochorenflora der Birkenwälder (mit
16 Arten) und ebenso der Fichten- und Kiefernwälder, in denen gar nur 9 bezw.
4 Arten nachgewiesen sind.
Um noch ein weiteres Beispiel für die pflanzenverbreitende Tätigkeit der
Insekten zu nennen, sei nur noch auf die Verschleppung der Pilze durch die ver-
schiedenen pilzzüchtenden Arten der Ameisen, Termiten, Borkenkäfer, Gallmücken
usw. hingewiesen, über die uns in neuerer Zeit die Arbeiten von Huber, Neger,
Schneider-Orelli u. a. Aufklärung brachten.
Die Insekten als Boden bearbeite r. — Wenn auch die Bedeutung
der Insekten für die Bodenbearbeitung bei weitem nicht an die der Regenwürmer
heranreicht, so darf doch die bodenbearbeitende Tätigkeit der Insekten auch nicht
unterschätzt werden. Gibt es doch eine große Anzahl von Insekten, welche zeit-
weise oder dauernd im Boden leben, entweder um da ihre Nahrung zu holen, oder
aber um ihre Wohnung dort einzurichten. Ich erinnere nur an die Drahtwürmer,
Engerlinge, Cicindelenlarven, ferner die Grillen, Mistkäfer, Sandwespen usw. und
vor allem an die Ameisen und Termiten. In welch hervorragender Weise die
Termiten den Boden durchwühlen, zeigen die mächtigen bis haushohen Bauten, die
zum größten Teil aus Erde, die aus der Tiefe geholt, errichtet werden. Es kann
daher recht wohl zutreffend sein, daß, wie ein Naturforscher behauptete, 3/4 der
ganzen Insel Ceylon von den Termiten unterminiert ist. Doch auch unsere Ameisen
leisten großes bezügl. der Bodenbearbeitung; kann man doch in geeigneten Gegenden
auf manchen Wiesen einen Erdhaufen neben dem andern finden, herrührend von
Lastus ßavus oder anderen Las/MS- Arten.
192 Kapitel V. Die Insekten als natürliche und wirtschaftliche Macht usw.
Nutzen und Schaden der Insekten im allgemeinen.
Für die allgemeine Würdigung der Beziehungen zwischen Insekten und
Gesamtheit der organischen Natur gibt es die Begriffe „nützlich" und
„schädlich" nicht. Ihr erscheint jedes Insekt als ein jedem anderen Ge-
schöpfe gleichberechtigtes, notwendiges Glied der organischen Welt. Erst
in dem Augenblicke, in welchem der Mensch den Anspruch erhebt, „Herr
der Natur" zu sein und als wirtschaftliche Macht in die Natur eintritt,
schafft er diese Begriffe.
Als nützlich bezeichnet er nun alles, was seine Existenz zu sichern
und seine wirtschafdichen Maßregeln zu fördern geeignet scheint, als schädlich
alles, was seine Existens oder den Erfolg seiner wirtschaftlichen Maßregeln
bedroht.
Es darf aber hierbei nicht übersehen werden, daß eine absolute Ent-
scheidung der Frage, ob ein Tier nützlich oder schädlich ist, in vielen Fällen gar
nicht beigebracht werden kann. Diese Entscheidung wird verschieden ausfallen
je nach den speziellen Interessen des jeweiligen Beurteilers, und sogar ein und
dieselbe Person wird von verschiedenen Gesichtspunkten aus ein und dasselbe Tier
bald als nützlich, bald als schädlich zu bezeichnen haben. Hase und Fuchs sind
deutliche Beispiele hierfür. Dem die Jagdfreuden schätzenden und das Wildpret
verwertenden Jäger erscheint derselbe Hase als nützlich, welchen der Gärtner, dem
er die Baumschule ruiniert und den Kohl abgefressen hat, als sehr schädlich be-
zeichnet, und derselbe Forstmann, der als Waidmann und Pfleger der Niederjagd
den Fuchs als überaus schädlich verfolgt, beginnt an Schonung Reinekes jedesmal
dann zu denken, wenn ein Mäusefraß seine Kulturen bedroht und er seinen früheren
Feind nun als nützlichen Bundesgenossen im Kampfe gegen die verderblichen Nager
begrüßt. Auf diese Weise erklärt sich auch die Schwierigkeit der Aufstellung eines
Verzeichnisses der nützlichen Vögel.
Wenden wir nun die obigen Begriffe auf die Insekten an, so können wir im
allgemeinen als nützliche Insekten solche bezeichnen, welche entweder
für den Menschen selbst unmittelbar verwertbar sind, bezw. verwertbare
Produkte liefern, oder aber durch ihre Tätigkeit die Erträge der Kulturpflanzen
fördern, sei es dadurch, daß sie die Bestäubung besorgen, oder dadurch, daß
sie der Vermehrung von Schädlingen entgegenarbeiten. In den ersten Fällen
sprechen wir von „direkt nützlicher!", in den letzteren von „indirekt
nützlichen Insekten".
Als Beispiele für direkt nützliche Insekten seien erwähnt: die
verschiedenen Seidenspinnerarten, die dem Menschen die Seide liefern, die Cochenill-
laus, aus welcher der Karminfarbstoff gewonnen wird, gewisse Gallwespen, in deren
Gallen große Mengen von Gerbstoff enthalten sind, und vor allem die Honigbiene,
der wir Honig und Wachs verdanken. Welche großen Erträge der Mensch aus dem
Fleiß dieser Tiere zieht, zeigt die Statistik, die den jährlichen Erlös aus Honig und
Wachs für Deutschland auf 20 — 30 Millionen Mark, für die Vereinigten Staaten von
Nord-Amerika auf 80 — 90 Millionen Mark berechnet. — Die Honigbiene erweist sich
aber zugleich auch als indirekt nützlich, indem sie durch Bestäubung der
Obstblüten wesentlichen Einfluß auf den Ausfall der Obsternte ausübt. Ja, dieser
indirekte Nutzen wird von einsichtigen Forschern weit höher veranschlagt als der
direkte aus der Honig- und Wachserzeugung resultierende Nutzen. Schätzt doch
C. F. Phillips den Wert, den die Biene durch ihre Bestäubungstätigkeit schafft,
5 mal so groß als den jährlichen Honig- und Wachsertrag, was für die Vereinigten
Staaten einer Summe von über 400 Millionen Mark pro Jahr entsprechen würde. —
Auch die meisten der übrigen Blumenbesucher sind, sofern sie sich an der Be-
stäubung von Nutzgewächsen beteiligen, zu den indirekt nützlichen Insekten zu
Nutzen und Schaden der Insekten im allgemeinen. 193
stellen. Weitaus das größte Kontingent der indirekt nützlichen Insekten liefern
aber die Raubinsekten und Parasiten, welche durch ihre fortwährende
Vertilgung der zahlreichen, unsere Nutzgewächse bedrohenden Schädlinge dem
Menschen unschätzbare Dienste erweisen. Welche enormen Werte durch sie dem
Menschen erhalten werden können, lehrt das Beispiel des Coccinelliden Novius
cardirialis, der es in kurzer Zeit fertig brachte, die Wollschildlaus Icerya Purchasi,
welche die ganzen Orangen- und Zitronen-Kulturen Kaliforniens zu vernichten
drohte, unschädlich zu machen, und so ungezählte Millionen Dollar rettete.
Als schädliche Insekten haben solche zu gelten, welche entweder
das Leben und die Existenz des Menschen selbst bedrohen, oder die Objekte,
lebende (Haustiere, Nutzpflanzen) wie tote, welche der Mensch wirtschaftlich
nützt, gefährden oder beschädigen. Dabei können wir wiederum wie oben
direkt und indirekt schädliche Insekten untei scheiden.
In früher ungeahnter Weise haben sich im letzten Dezennium die Insekten
als direkte Schädiger des Menschen erwiesen, indem eine ganze Reihe von
Arten (meist blutsaugende Dipteren) als Überträger von Krankheits-
keimen erkannt wurden. So wird die Malaria von verschiedenen Anopheles-
Arten, das gelbe Fieber von einer anderen Stechmücke, Stegomyia fasciata auf den
Menschen übertragen. Auch die Schlafkrankheit, die große Strecken Landes in
Afrika der Kultur unzugänglich macht, wird von einem Insekt, der Tsetsefliege
Qlossina palpalis, dem Menschen eingeimpft. Selbst unsere gemeine Stubenfliege
ist durchaus nicht so harmlos, als gewöhnlich angenommen wird, nachdem durch
die neueren Forschungen festgestellt ist, daß verschiedene bazilläre Krankheiten,
wie Typhus, Tuberkulose usw., durch sie verschleppt werden können. In einem
vor kurzem erschienenen Buch von A. G ö 1 d i findet sich eine übersichtliche
Zusammenstellung aller hierhergehörigen, bis jetzt bekannten Fälle. Durch die
Erkenntnis des Zusammenhanges zwischen gewissen Krankheiten und Insekten ist
ein ganz neuer Zweig der praktischen Entomologie entstanden, der heute bereits
zahlreiche Forscher beschäftigt und der noch viel interessante Entdeckungen und
Überraschungen verspricht. — Neben diesen krankheitsübertragenden Insekten gibt
es viele andere, welche den Menschen als Parasiten heimsuchen
und ihm vielerlei Beschwerden verursachen, wie die Flöhe, Wanzen, Läuse usw.
Wenn diese auch im allgemeinen weit harmloser sind, als die eben besprochenen,
so gibt es unter ihnen doch auch einige recht bösartige Formen, wie z. B. die im
tropischen Amerika und Afrika heimischen Sandflöhe, die schwere, mit Substanz-
verlusten verbundene Entzündungen verursachen können.
Weit zahlreicher und mannigfaltiger sind die indirekt schädlichen
Insekten. Da haben wir zunächst jene Insekten, welche die Haus- und Jagd-
tiere belästigen und ihre Gesundheit mitunter schwer ge-
fährden. Wir nennen hier nur die Dasselfliegen oder Oestriden, die unter der
Haut oder in der Nasenhöhle oder im Magen von verschiedenen Wiederkäuern
(Rind, Hirsch, Reh usw.) und Pferden leben und schwere Störungen, oft mit töd-
lichem Ausgang, verursachen; ferner die Bremsen, die eine arge Plage für die
Pferde, Rinder usw. darstellen und in manchen Ländern wahrscheinlich auch Krank-
heitskeime übertragen (die „Surra" der Pferde in Asien); weiter die in Ungarn vor-
kommende Kolumbatscher Mücke, Simulia cohtmbatschensis, die ganze Viehherden
zu Schaden bringen kann, und endlich verschiedene Tsetsefliegen, welche die „Tsetse-
seuche" oder ,, Nagana" übertragen, eine Krankheit, welche der Viehzucht in Afrika
große Verluste bringt. — Sodann sei an die Haus- und Magazininsekten
erinnert, welche die Küchenvorräte, Kleider, Möbel in unseren Wohnungen, die
Getreide- und Mehlvorräte in den Magazinen, die Bücher der Bibliotheken, die
Insektensammlungen und Herbarien in den Museen usw. usw. beschädigen oder auch
völlig vernichten und wertlos machen können, wobei nur an die Anobien, die Kleider-
motten, die Ameisen und Termiten zu erinnern ist. — Und endlich gehört den indirekt
Esche lieh, Forstinsekten. 13
194 Kapitel V. Die Insekten als natürliche und wirtschaftliche Macht usw.
schädlichen Insekten das Riesenheer der Pflanzenschädlinge an, die
an Zahl alle übrigen Schädlinge überragen. Wir brauchen nur den von Reh be-
arbeiteten Insektenband des S o r a u e r sehen Handbuches für Pflanzenkrankheiten
einzusehen, um einen Begriff von dem Umfang dieses Zweiges der angewandten
Entomologie zu erhalten. Es gibt kaum eine Kultur oder Nutzpflanze, die nicht
von einer oder mehreren Insektenarten heimgesucht wäre; ja den meisten steht ein
ganzes Heer von feindlichen Insekten gegenüber und oft genug muß lediglich wegen
Überhandnähme der Schadinsekten von der Kultivierung dieser oder jener Pflanzen-
art Abstand genommen werden. Im allgemeinen macht man sich keinen richtigen
Begriff von der Höhe des Schadens, der der Landwirtschaft durch die Insekten
zugefügt wird, es seien deshalb einige Zahlen angeführt. Den jährlichen Schaden
des Maikäfers schätzt man in Frankreich auf 250 Millionen Francs, in Hauptflug-
jahren sogar auf eine Milliarde! Der Heu- und Sauerwurm soll 1897 an der Mosel
und Saar für 40 — 50 Millionen Verlust gebracht haben; im Jahre 1910 in der Pfalz
allein 20 Millionen. Der Baumwollkapselkäfer (ein Rüsselkäfer, Antlionomus
grandis) verursacht in Texas jährlich ca. 100 Millionen Mark Ausfall; der Schaden,
der die unter dem Namen Hessenfliege bekannte Gallmücke dem Getreide-
bau der Vereinigten Staaten zufügt, wird auf ca. 80 Millionen Mark pro Jahr ge-
schätzt; die Tschintschwanze soll den Erlös des Weizen- und Maisbaues der Ver-
einigten Staaten um 140 Millionen Mark jährlich schmälern; der auch bei uns schäd-
liche Apfelwickler verursacht in Amerika jährlich 40 — 50 Millionen Mark Schaden
usw. usw. Der Gesamtverlust, den die Land- und Forstwirtschaft in den Ver-
einigten Staaten durch die schädlichen Insekten erleidet, wird auf nicht weniger
als SMilliarden Mark jährlich veranschlagt! Diese enormen Zahlen reden
eine deutliche Sprache und zeigen uns aufs drastischste, wie tief die Insekten ins
menschliche Kulturleben eingreifen; sie lehren uns zugleich, welche wichtige Rolle
der angewandten Entomologie zufällt und welche großen Aufgaben diese Wissen-
schaft noch zu erfüllen hat.
Nutzen und Schaden der Insekten für die Forstwirtschaft.
Die Forstinsekten.
Als Forstinsekten werden alle diejenigen Insekten be-
zeichnet, welche für den Forstmann eine praktische Bedeutung
haben, sei es, daß sie ihm in seiner Wirtschaft nützen oder
aber schaden.
Die nützlichen Forstinsekten.
Direkt nützliche Forstinsekten kommen in unserem rationell be-
wirtschafteten Walde nur in äußerst spärlichem Maße vor, und wir können
für Mitteleuropa nur zwei Arten nennen, die in diese Kategorie zu stellen
sind: nämlich die spanische Fliege {Lytta vesicatoria)^ die ihres Kantaridin-
gehaltes wegen in der Medizin Verwendung findet und daher (in ge-
trocknetem Zustand) einen Handelsartikel bildet, und sodann die Knoppern-
gallwespe [Cynips calycis), deren gerbsto ff haltige Gallen eine nicht
unbedeutende Nebennutzung der Eichenwälder in Ungarn bilden.
Früher konnte man auch noch die wilden Bienen dazuzählen, deren Zucht
noch Ende des 18. Jahrhunderts eine sehr bedeutende Einnahmequelle in Staats-
und Privatforsten, speziell in Westpreußen, bildete. Es wurden Beuten, d. h. Bienen-
stöcke, dadurch hergestellt, daß in die stärksten Kiefernstämme Löcher von 4 bis
5 Fuß Länge, 1 — IV2 Fuß Tiefe und nur 8 Zoll breiter Öffnung, oft mehrere über-
einander, eingehauen und bis auf ein Flugloch durch eine breite, platte, mit Weiden-
ruten vorgebundene Holzklobe wieder verschlossen wurden. Diese, von einer be-
sonderen Innung der Waldbewohner, den „Beutnern", hergestellten Stöcke wurden
ihnen gegen Zins oder Naturalhoniglieferung überlassen, und es brachte noch im
Nutzen und Schaden der Insekten für die Forstwirtschaft. 195
Jahre 1773 im Schlochauer Beritt die Beutenpacht fast ebensoviel ein, nämlicli
507 Taler, wie die Holznutzung mit 523 Taler 25 Sgr. Im Jahre 1785 waren in eben
diesem Beritt noch 821 beflogene und 3060 unbeflogene Beutenstämme vorhanden,
und es dürften bei der preußischen Besitznahme im Jahre 1772 leicht 20 000 Beuten
in den westpreußischen königlichen Forsten vorhanden gewesen sein (von Panne-
witz, Das Forstwesen Westpreußens 1829).
Eine um so größere Bedeutung besitzen die indirekt nützlichen
Forstinsekten, die einer ungezügelten Vermehrung der Schädhnge entgegen-
arbeiten und dadurch als die treuesten Bundesgenossen des Forstmanns sich
erweisen. Zweifellos sind sie es in erster Linie, welche dafür sorgen, daß
die schädlichen Insekten in erträglichen Grenzen gehalten werden. Wenn
man diesen nützlichen Tieren auch schon seit langem aufmerksame Beachtung
schenkt, so beginnt man doch erst in der neuesten Zeit ihre hohe Bedeutung
und Wichtigkeit voll zu würdigen.
Die Zahl der indirekt nützlichen Insekten ist eine sehr große und
dürfte der Zahl der Schädlinge kaum nachstehen, ja wahrscheinlich noch über-
treffen. Sie lassen sich in zwei Kategorien zusammenfassen: die Raub-
insekten und die Parasiten. Die ersteren töten ihr Opfer sofort beim
Angriff, indem sie es entweder stückweise verzehren oder aussaugen;
die letzteren machen ihre ganze Entwicklung auf Kosten ihres Opfers durch,
d. h. sie nähren sich als Larven von den Säften des lebenden Tieres, welches
erst allmählich zugrunde geht, gewöhnlich dann, wenn der Parasit zur Ver-
puppung reif ist und keiner Nahrung mehr bedarf. In beiden Fällen be-
deutet das Endresultat dasselbe, nämlich den Tod des angegriffenen Insektes.
In welchem Grade die Tätigkeit der Raubinsekten und Parasiten für die Er-
haltung des organischen Gleichgewichtes in Betracht kommt, wird im nächsten
Kapitel noch im einzelnen besprochen werden. Hier sollen nur einige all-
gemein orientierende Angaben gemacht werden.
Die Raubinsekten befinden sich gegenüber den Parasiten weit in der
Minderheit; sie rekrutieren sich größtenteils aus der Ordnung der Käfer,
von denen die Laufkäfer [Calosonia, Carabus), die Aaskäfer {Silphiden),
ferner Clerus formicariuSy und die Coccinelliden die wichtigsten und be-
kanntesten sind, wenngleich auch die zahlreichen anderen Raubkäfer aus den
Familien der Staphyliniden, Nitiduliden, Cucujiden, Colydiden usw. ebenfalls
recht beachtenswerte Dienste leisten. Aus den übrigen Insektenordnungen
seien als die wichtigsten Räuber genannt die Ameisen, die enorme Mengen In-
sekten aller Art in ihre Bauten einschleppen, ferner die verschiedenen Wespen,
die Raubfliegen, die Libellen, die nach Falkenart die Insekten im Fluge
fangen, verschiedene Wanzen, welche ihre Opfer (meist Raupen) anstechen
und aussaugen, ferner die Larve des Ameisenlöwen, die alles verzehrt,
was in ihre Mördergrube fällt, sodann die überaus bewegliche Larve der
Kamelhalsfliege, welche in den feinsten Rindenritzen nach den Eiern
der Nonne und kleinen Insekten sucht, die Larven der Florfliegen,
welche es speziell auf die Blattläuse abgesehen haben, und endlich die Ohr-
würmer, Maulwurfsgrillen u. a. m.
Unter den Parasiten spielen die Hauptrolle die Raupenfliegen und
die Schlupfwespen im weitesten Sinne. Die Zahl der letzteren ist Legion,
13*
196 Kapitel V. Die Insekten als natürliche und wirtschaftliche Macht usw.
und wir sind heute noch unendlich weit von einer einigermaßen be-
friedigenden Kenntnis dieser so überaus wichtigen Insektengruppe entfernt.
Wenn Sharp die Zahl der tatsächlich existierenden Hymenopteren auf
250000 Arten veranschlagt, trotzdem bis heute erst ca. 30000 beschrieben
sind, so basiert er diese Schätzung in erster Linie auf die zahlreichen noch
unbeschriebenen kleinen und kleinsten Schlupfwespen. Gegenüber den
Raupenfliegen und den Schlupfwespen spielen die wenigen Parasiten aus
anderen Insektenordnungen nur eine sehr untergeordnete Rolle. Wir werden,
wie gesagt, unten noch ausführlich auf dieses Thema zu sprechen kommen.
Die schädlichen Forstinsekten.
Wie bei den nützlichen, so treten auch bei den schädlichen Forst-
insekten die direkt den Menschen angehenden Arten gänzlich in den Hinter-
grund, und können wir als hierher gehörig nur gewisse Raupen (Prozessions -
Spinner, Goldafter und Verwandte) nennen, deren Haare, auf weiche
Hautstellen, vor allem Schleimhäute des Menschen gebracht, unangenehme
und nicht selten gefährliche Entzündungen hervorrufen.. Welch empfindliche
Störungen auch des Allgemeinbefindens daraus entstehen können, darüber
haben manche amerikanische Entomologen, die sich mit dem dort als schwerer
Schädling auftretenden Goldafter eingehend beschäftigen mußten, recht
traurige Erfahrungen gemacht.
Die Hauptrolle unter den schädlichen Forstinsekten spielen die indirekt
schädlichen Arten, welche durch Zerstörung der Forstprodukte schaden.
Sie sind es, die dem Forstmann auf Schritt und Tritt begegnen und die
fortwährend seinen Bestrebungen entgegenarbeiten und seine Pläne durch-
kreuzen, und sie sind es auch, welche im Mittelpunkt der Forstinsekten-
kunde stehen. Ist es doch die Hauptaufgabe der forstentomologischen
Wissenschaft, die indirekt schädlichen Forstinsekten zu er-
forschen, und Mittel und Wege ausfindig zu machen, wie ihrem
schädlichen Treiben am besten entgegengetreten werden kann.
Das große Heer der hierher gehörigen Insekten setzt sich aus Ver-
tretern aller Insektenordnungen zusammen; dementsprechend läßt sich schon
von vornherein mit einer großen Mannigfaltigkeit bezüglich ihrer Angriffe und
der Art und der Höhe ihres Schadens usw. für die Forstwirtschaft erwarten.
Wir gruppieren je nach dem Gesichtspunkt, von dem aus wir die
Schädlichkeit betrachten, die indirekt schädlichen Insekten in verschiedene
Kategorien, auf die wir gleich jetzt mit einigen Worten eingehen wollen,
um wenigstens eine gewisse Ordnung in die bunte Gesellschaft zu bringen.
1. Ph3^siologisch und technisch schädliche Insekten.
Wir bezeichnen Insekten als physiologisch schädlich, wenn sie
durch ihre Angriffe die Gesundheit der Pflanzen gefährden oder
wenigstens die Lebenskraft der Pflanzen herabsetzen, und als
technisch schädlich, wenn durch ihre Zerstörungen die technische
Nutzen und Schaden der Insekten für die Forstwirtschaft. 197
Verwertbarkeit der Forstprodukte und damit auch ihr Marktwert
vermindert wird.
Als typische Beispiele von physiologischen Schädlingen erwähnen wir
den Engerling, welcher die Wurzeln der Pflanzen vernichtet, ferner den großen
braunen Rüsselkäfer, die verschiedenen Pissodesarten und Borkenkäfer, welche die
saftleitenden Rindenschichten mehr oder weniger beschädigen, und dadurch den
Saftstrom unterbrechen, ferner die Raupen der meisten Schmetterlinge und After-
raupen der Blattwespen, welche die Pflanze ihrer Assimilationsorgane berauben
und dadurch die Bäume in ihrer Lebenskraft schwächen und bei stärkerer Aus-
dehnung des Fraßes auch zum Absterben bringen können.
Als Beispiele für rein technische Schädlinge sind vor allem solche
Insekten anzuführen, welche bereits totes, gefälltes Holz angehen, wie z. B. der Werft-
käfer Lymexylon navale Z,., welcher die für Schiffsbau bestimmten Eichenhölzer
noch auf der Werft zu schädigen imstande ist, viele der in abgestorbenen
Hölzern lebenden Bockkäfer, Hylotrupes bajulus L., Callidium violaceum L. und
variabile L., welche Balken in den Häusern, Hausgeräte und Holzsammlungen oder
Vorräte beschädigen, ebenso viele Arten der Anobiiden aus den Gattungen Anobium,
Ptilinus, Lyctus. Auch die Holzwespen, Sirex, und die Nutzholzborkenkäfer können
rein technisch schädlich sein; sie können aber auch physiologisch schädlich werden,
wenn sie lebende, kränkelnde Bäume angehen und deren Tod beschleunigen.
Gleichzeitig technisch und physiologisch schaden alle jene In-
sekten, welche in den Holzkörper lebender Pflanzen eindringen, wie z. B.
Cerambyx cerdo L , dessen Larve ganz gesunde Eichen mit daumenstarken Fraß-
gängen durchsetzt, Tetropmm luridum Z,., dessen Gänge in Fichten- und Lärchen-
holz gefunden werden, Saperda carcharias L. in Pappeln und Aspen; ferner die
Co55M5-Arten, namentlich Cossus ligniperda Fabr.^ dessen Raupe in vei'schiedenen
Laubhölzern starke Gänge frißt, einige Sesien, namentlich Sesia apiformis Cl. in
Aspen und Pappeln und viele andere. Sodann auch solche Insekten, welche neben
der von ihnen verursachten Beeinträchtigung des Baumlebens zugleich Ver-
krüppelungen der nutzbaren Teile hervorrufen. Beispiele hierzu sind die Kiefern-
triebwickler, welche junge Kiefern nicht bloß physiologisch schädigen, sondern
auch durch die bekannten posthornartigen Verkrüppelungen entwerten. Die
Weidenrutengallmücke, Cecidomyia Salicis Schrk., stört nicht bloß das Wachstum
der einjährigen Ruten von Salix purpurea, sondern vernichtet durch die von ihr
verursachte Gallbildung auch die \^erwendbarkeit der Ruten zu Korbarbeiten
vollständig.
2. Primär und sekundär schädliche Insekten.
W' enn wir von primären und sekundären Schädigungen reden, so legen
wir dieser Einteilung den jeweiligen Gesundheitszustand der Pflanzen zu-
grunde, indem wir als primär solche schädlichen Insekten bezeichnen,
welche völlig gesunde Pflanzen angehen, und als sekundär solche,
welche für gewöhnlich nur kränkelndes Pflanzenmaterial mit
schwachem oder stockendem Saftstrom befallen. Eine scharfe
Grenze lässt sich aber auch hier nicht ziehen, indem zwischen den aus-
gesprochen primären und den ausgesprochen sekundären Insekten eine ganze
Reihe von Zwischenstufen liegen, von denen man mitunter im Zweifel sein
kann, ob sie in die erste oder zweite Kategorie zu stellen sind. Ferner
kann es auch vorkommen, dass ausgesprochen sekundäre Schädlinge
primär werden, wenn nämlich nach eingetretener Übervermehrung ein
Mangel an geeignetem kränklichen Material eintritt. Dann treibt der über-
mächtige Fortpflanzungstrieb die Tiere dazu, auch völlig gesunde Pflanzen
anzugehen, was allerdings oft vielen der betr. Insekten das Leben kostet.
198 Kapitel V. Die Insekten als natürliche und wirtschaftliche Macht usw.
Ausgesprochen primäre Schädlinge haben wir z. ß. in den Raupen der
meisten Großschmetterlinge, wie der Nonne, des Kiefernspinners und Spanners,
der Kieferneule, des Schwammspinners, Goldafters usw., ferner in dem großen
braunen Rüsselkäfer, dem Maikäfer (Larve und Imago), den Elateridenlarven (Draht-
würmern), den Imagines der beiden Waldgärtner usw.
Zu den sekundären Forstinsekten gehören z. B. die Larven der meisten
Borkenkäfer (übrigens in sehr verschiedenem Grade), ferner Pissodes harzyniae, der
ein charakteristischer Begleiter rauchbeschädigter Fichtenbestände ist, und wohl auch
die meisten der übrigen Pissodes- Arten, sodann der Fichtenbock (Tetroptutn luridum)
und viele andere Bockkäfer, der Erlenrüsselkäfer {Cryptorhynchus lapathi), der sich
besonders an solchen Erlen einfindet, die an zu trockenem Stand stehen und andere.
Die primären Insekten stellen im allgemeinen die größere Gefahr für den
Forstmann dar, indem sie seine völlig gesunden Bestände gefährden und
binnen kurzer Zeit vernichten können, während die sekundären oft nur eine
Beschleunigung des Absterbens ohnehin kranker und dem Tode geweihter
Bäume bewirken. Doch können auch die sekundären Insekten eine schwere
Gefahr bedeuten, wenn sie z. B. im Gefolge einer primären Kalamität auf-
treten und dadurch die Rekonvaleszens der durch dieselbe geschwächten
Bäume verhindern. So fallen manche Bestände, die aus einer schweren
Nonnenkalamität in noch einigermaßen hoffnungsvollem Zustand hervor-
gegangen sind, oft noch den darnach folgenden sekundären Schädlingen
(Borkenkäfern, Rüsselkäfern usw.) zum Opfer.
3. Kultur- und Bestandsverderber.
Vom forstwirtschafdichen Standpunkt aus teilt man die schädlichen
Insekten auch in Kultur- und Bestandsverderber ein. Unter den
ersteren versteht man im allgemeinen jene Insekten, welche die
Gründung eines Bestandes erschweren oder verhindern, unter
den letzteren dagegen jene, welche das Absterben oder Kränkeln
älterer Bäume oder ganzer Bestände verursachen. Wie jedoch der
Unterschied zwischen technischen und physiologischen, primären und
sekundären Insekten durch zahlreiche Übergänge verwischt wird, so ist dies
auch hier der Fall, und zwar um so mehr, als nicht einmal forsdich eine
scharfe Grenze zwischen Kultur und Bestand gezogen werden kann.
Zu den Kulturverderbern gehören einmal alle den ausgesäeten Samen
zerstörenden Insekten, z. B. die Larven einiger Elateriden, und sodann alle jene,
welche vorzugsweise die jungen Pflanzen an ihren oberirdischen oder unterirdischen
Teilen beschädigen. Unter den Wurzelbeschädigern (am Laub- und Nadelholz) ist
in erster Linie der Engerling zu nennen; speziell für Nadelhölzer die Kiefernsaat-
eule, Agrotis vestigialis H/n. und die Larven verschiedener Otiorhynchus- Arten.
Noch weit zahlreicher sind die Beschädiger der oberirdischen Teile der Pflanzen.
Einer der schädlichsten oberirdischen Kulturverderber ist der große braune Rüssel-
käfer, Hylobius abietis L., in etwas älteren Kiefernkulturen oft auch Pissodes
notatus Fabr. Eine große Anzahl anderer Rüsselkäfer, die sog. grünen und grauen
Laub- und Nadelholzrüsselkäfer, sowie einige Borkenkäfer (vor allem die wurzel-
brütenden Hylesinen), zahlreiche Mikrolepidopteren, einige Blattwespen, Schild- und
Rindenläuse usw. können als Beispiele gleichfalls hier genannt werden.
Als Beispiele von Bestandsverderbern sind zu nennen in erster Linie
die Raupen vieler Großschmetterlinge (Nonne, Kiefernspinner, -spanner, -eule,
Schwammspinner, Prozessionsspinner, Rotschwanz usw.), sodann die Afterraupen
Die verschiedenen Arten der Pflanzenbeschädigungen durch Forstinsekten. 199
mancher Blattwespen [Nemattis, Lyda, Lophyrus usw ), ferner viele Borkenkäfer
(vor allem Ips typographus), Rüsselkäfer {Pissodes harsyniae) usw.
Sehr viele Insekten sind gleichzeitig Kultur- und Bestandsverderber;
sei es, daß sie dies in demselben Stadium der Entwicklung sind, sei es, daß sie
in dem einen Stadium nur Kulturen, in dem anderen nur Bestände beschädigen.
So schädigt z. B. Tortrix buoliana S. V. als Larve sowohl Kulturen als Bestände,
der Maikäfer dagegen als Engerling durch Wurzelfraß hauptsächlich die jungen
Pflanzen, als Imago durch Entblätterung auch ältere Bäume. Hylesimis piniperda L.
tötet als Larve durch seine Fraßgänge alte Bäume, schädigt hingegen als Imago
durch das Aushöhlen der Triebe nicht bloß diese, sondern auch junge Kiefern.
Die verschiedenen Arten der Pflanzenbeschädigungen durch
Forstinsekten.
Die Angriffe der Forstinsekten auf Holzpflanzen bestehen:
\. in Verletzungen, die mit Zerstörungen fester Pflanzensubstanz
verbunden sind;
2. in Verletzungen, die nur Saftverlust zur Folge haben, und
3. in dauernden Reizwirkungen, welche die Pflanze zur Erzeugung krank-
hafter Neubildungen, sog. Gallen, veranlassen.
1. Verletzungen durch Zerstörung fester Pflanzensubstanz.
Diese sind bei weitem die häufigsten und wichtigsten; sie können
natürlich nur durch solche Insekten (Imagines oder Larven) erzeugt werden,
die kauende Mundwerkzeuge besitzen. Je nach der Insektenart, nach dem
Entwicklungsstadium (Larve oder Imago) und je nach dem Pflanzenteil, der
befallen wird, sind die Verletzungen ungemein verschieden.
Fraß an Blattorganen.
Handelt es sich um einen Blatt- oder Nadelfraß, so können die Blätter
oder Nadeln entweder mit Stumpf und Stiel abgefressen werden (Beispiel:
Kiefernspinnerraupe) oder aber es bleiben Teile davon verschont. Manche
Insekten (wie z. ß. die jungen Noniienraupen oder die Raupen der Frost-
spanner) begnügen sich meistens damit, Löcher aus den Blättern heraus-
zufressen („Löcherfraß") (Fig. 173); andere fressen von den Seitenrändern
her Scharten in die Blätter oder Nadeln („Schartenfraß"), was besonders
deutlich bei verschiedenen Nadelinsekten in Erscheinung tritt (z. B. beim
Kiefernspanner oder bei verschiedenen Rüßelkäfern) (Fig. 174). Der Fraß
von den Seitenrändern kann so weit gehen, daß nur die Mittelrippe
der Blätter oder Nadeln stehen bleibt, was z. B. sehr charakteristisch
für gewisse Blattwespen {Lophyrus) ist. Manche Raupen, wie die älteren
Raupen der Nonne, des Schwammspinners, Goldafters usw., lassen außer
der Mittelrippe auch noch die Spitzenteile der Blätter stehen, so daß die
Form eines Ankers entsteht, weshalb man in solchen Fällen auch von
„Ankerfraß" spricht (Fig. 173 B). Da die betreffenden Raupen nach
vollendetem Fraß gewöhnlich die Mittelrippen an der Basis abbeißen, so
fallen die „Blattanker" zu Boden, wodurch der Kundige auf die Anwesen-
heit jener Schädlinge aufmerksam gemacht wird. — Wieder andere In-
sekten skelettieren die Blätter, indem sie entweder das Blattgewebe bis
auf die Rippen herausfressen, oder aber indem sie außer den letzteren auch
200 Kapitel V. Die Insekten als natürliche und wirtschaftliche Macht usw.
noch die Epidermis der einen Seite verschonen, so daß die Rippen durch
eine feine durchsichtige Haut miteinander verbunden sind (in dieser Weise
fressen z. B. viele Blatt- und Rüsselkäfer) (Fig. 175). — Und ferner gibt es
eine ganze Reihe von Insekten, welche in die Blätter eindringen und
das ßlattparench}^!! herausfressen, dabei die Epidermis der beiden Seiten
Fig. 173. Beispiele für Löcher- und Ankerfraß. A Löcherfraß der jungen Nonnenraupe an Buche
B typischer Ankerfraß der älteren Raupe an Buche ; C zu Boden gefallenes Buchenblatt mit Anker-
fraß und oben durchgebissener Mittelrippe; D Buchenzweig mit stehengebliebenen Rippen und Blatt-
resten, die Ergänzungsstücke zu C darstellen ; E Ankerfraß an Eiche. — (N.)
verschonend; dadurch entstehen Hohlräume in den Blättern, die als Blatt-
minen bezeichnet werden, und welche die verschiedensten und für manche
Spezies ganz charakteristischen Formen aufweisen. Ich erwähne hier nur die
an der Mittelrippe schmal beginnende und sich nach außen zu immer mehr
verbreiternde Blattmine der Larve von Orchestes fagi (Springrüßler) (Fig. 176),
an die mehr rundlichen und blasenförmig aufgetriebenen Minen der Eichen-
miniermotte [Gracilaria complanellä) oder an die mehrfach geschlängelten,
schmalen und gewundenen Miniergänge verschiedener anderer Motten usw.
Die verschiedenen Arten der Pflanzenbeschädigungen durch Forstinsekten. 201
Endlich können wir noch an die eigenartigen Beschädigungen der Blätter
durch die sog. Blattwickler {Rhynchites usw.) erinnern, bei denen aber die
direkten Verletzungen, die nur in einigen kurzen Schnitten bestehen, gering-
fügig sind gegenüber den Veränderungen, die das Blatt durch das Aufrollen
erleidet (manche Arten wickeln die Blätter
auch ohne vorher Einschnitte gemacht zu
haben).
Fraß an Stamm und Zweigen.
Wir beginnen mit den Beschädigungen
der Rinde, die besonders nach zwei Rich-
tungen in Erscheinung treten: entweder machen
die Insekten ihre Angriffe nur von außen her,
indem sie die Rinde entfernen und so den
Holzkörper völlig frei legen, oder aber sie
dringen in die Rinde ein, um in derselben
oder in dem darunter befindlichen Weichbast
Gänge zu fressen.
Die Verletzungen der ersteren Art, die
wir unter dem Namen „Rinden platzfraß"
zusammenfassen, können von sehr verschie-
dener Form und Ausdehnung sein: so frißt
der große braune Rüsselkäfer meist runde
pockennarbenähnliche Löcher in die
Rinde, während die wurzelbrütenden Hylesinen
gewöhnlich längere Gänge oder Furchen ein-
graben; die Hornissen schälen die Rinde in
unregelmäßiger Weise und oft in sehr aus-
gedehntem Maße, während gewisse Blattwespen
{Cimbex) sich mit schmalen Ringelungen be-
gnügen usw. (Fig. 177). — Weit mannigfaltiger
und zahlreicher als die Verletzungen durch die
platzenden Insekten sind die Beschädigungen
durch die Rindenminierer. Nur wenige
von ihnen (z. B. Anobhim emarginaium oder
die Blattwespe Strongylogaster) bleiben in der
toten Borke, wo der Fraß natürlich ohne jede
Folgen ist. Die meisten dringen tiefer ein in die saftleitenden Schichten, in
den Bast oder auch in den Splint. Die Gänge werden entweder nur von den
Larven genagt (Bockkäfer, Buprestiden, Pissodes, verschiedene Klein-
schmetterlinge usw.), in welchen Fällen die Fraßbilder mehr oder weniger
unregelmäßig sind; oder aber es beteiligt sich auch die Imago daran, indem
die Mutter selbst einen Gang gräbt, um darin die Eier, meist einzeln und in
regelmäßiger Anordnung, unterzubringen (Borkenkäfer). Dann haben wir
es gewöhnlich mit mehr oder weniger regelmäßigen und für jede Spezies
sehr charakteristischen Fraßbildern (aus Mutter- und Larvengängen zusammen-
Fig. 174. Schartenfraß an Klefern-
nadeln , ausgeführt von Cneorhinus
geminatus (Rüsselkäfer). (Stax'k ver-
größert.) Ai;s Eckstein.
202 Kapitel V. Die Insekten als natürliche und wirtschaftliche Macht usw.
gesetzt) zu tun, so daß meist schon allein nach ihnen die sichere Bestimmung
der Spezies möglich ist (Fig. 178). Wir werden unten im zweiten Teil des
Werkes, bei Besprechung der Borkenkäfer, noch näher auf diese Fraßbilder
einzugehen haben.
Schon unter den Rindenminieren gibt es viele, welche sich nicht auf
den Bast und die oberflächlichen Splintschichten beschränken, sondern, wenig-
stens zur Verpuppung, tiefer in den Holzkörper eindringen; so verpuppen
sich die meisten Bock- und Prachtkäferlarven in einem mehr oder weniger
tief in den Holzkörper greifenden sog. „Hackengang". Diese führen zu
jenen Insekten über, welche
ihre Entwicklung ganz
oder wenigstens zum
größten Teil im Holz-
körper durchmachen,
oder welche sogar ihren
ständigen Wohnsitz da
aufschlagen. Wir brauchen
Fig. 175. Beispiele von Blattskelettierungen. a durch eine Blatt-
wespe; 5 durch einen Blattkäfer. Bei h ist die gesamte Blatt-
substanz bis auf die Adern herausgefressen; bei a ist die Ober-
haut stehen geblieben.
Fig. 176. Blattminen (a) gefressen
von der Larve des Buchenspring-
riißlers (Orehestes fagi); b Löcher-
fraß durch die Image des genannten
Eüßlers. — (N.)
in dieser Hinsicht nur an die Larven gewisser Bockkäfer (C^rrt;w(5)vx, Lamia,
Saperda usw.) oder an die Raupen des Weidenbohrers, des Blausiebs,
der Sesien usw. zu erinnern, welche nur in ihrer ersten Lebenszeit unter
der Rinde fressen, um dann die ganze übrige Entwicklung im Holze durch-
zumachen, wo sie unregelmäßig gewundene oder auch einfache längsver-
laufende Gänge nagen; -^ oder an die holzbrütenden Borkenkäfer, deren
von Mutter und Larven oder auch nur von der ersteren genagten mehr oder
weniger regelmäßigen Fraßgänge tief in den Holzkörper eindringen; ■ — oder
an die Holzwespen, deren Eier vermittelst langer Legebohrer in das
Holz eingeführt werden, so daß bereits der Beginn der Fraßgänge in den Holz-
körper verlegt ist; — oder endlich an die Holzameisen, die gleich ganze
Die verschiedenen Arten der Pflanzenbeschädigungen durch Forstinsekten. 203
Jahresringe so ausfressen, daß nur dünne aus hartem Herbstholz bestehende
Ringwände erhalten bleiben und der Stamm in seinem Innern mehr oder
weniger vollständig in konzentrisch ineinandersteckende Hohlzylinder zer-
legt wird, die der Ameisenkolonie als Nest dienen. — Auch der „Mark-
röhrenfraß", wie er in den Kieferntrieben von den Imagines der Wald-
gärtner und den Larven von Anobiiim nigrinum, in Weidenruten von
Oberea oculata und Nematiis angitstus, in Fichtentrieben von Phycis abietella
geübt wird, und welcher gewöhnlich mit dem Absterben der befallenen
Teile begleitet ist, muß hier erwähnt werden; ebenso wie der Fraß der
Kieferntrieb Wickler
und anderer Klein-
schmetterlinge, welche die
ganz jungen, noch
weichen Triebe oder
auch die Knospen be-
fressen resp. aushöhlen.
Und endlich haben wir
noch einige Forstinsekten
zu nennen, welche —
wenigstens bei jungen
Pflanzen — die Stämm-
chen völlig durch-
beißen (Beispiel: die
Kiefernsaateulen).
Fraß an den Wurzeln.
Der Wurzelfraß be-
steht entweder in einem
Benagen der Rinde
oder in einem Abbeißen
und Abfressen ganzer
Wurzelpartien. Welche
der beiden Arten vor-
kommt, hängt sowohl von
der Insektenart ab als
auch ganz besonders von
der Stärke der Wurzeln.
A B C
Fig. 177. Verschiedene Rindenverletzungen. A Pockennarben-
Plätzfraß durch SyloUiis; B Ringelungen durch Cimhex\ C Schälung
durch eine Hornisse.
Der schlimmste Wurzelschädling ist zweifellos der
Engerling, der alle Wurzeln, die seine Mundwerkzeuge bewältigen können,
radikal abfrißt, so daß bei jüngeren Pflanzen nur noch die einzige Pfahlwurzel
übrig ist; auch von dieser wird überdies meist auch noch die Rinde ab-
genagt, so daß sie „nackt und kahl wie eine Rübe" ist, und man in solchen
Fällen auch von einem „Rübenfraß" spricht. Wo es sich um stärkere
Wurzeln handelt, da beschränkt sich der Engerlingfraß auf platzweises Be-
nagen der Rinde. Die anderen Wurzelfresser verfahren meist nicht so radikal
wie der Engerling, wenn auch manche von ihnen demselben nicht viel nach-
stehen: ich erinnere nur an die Raupen der Kiefernsaateulen, welche
204 Kapitel V. Die Insekten als natürliche und wirtschaftliche Macht usw.
ebenfalls arge Beschädigungen durch Abbeißen ganzer Wurzelteile verur-
sachen können; ferner an die Drahtwürmer, die Larven gewisser Rüssel-
käfer [Otiorhynchus, Brachyderes usw.), die Tipulidenlarven und andere
mehr , deren Beschädigungen gewöhnlich im Benagen der Wurzelrinde
bestehen; und endlich an die Maulwurfsgrille, die alle Wurzeln, die
ihr bei ihren unterirdischen Jagdausflügen in den Weg kommen, kurzweg
abbeißt (oder auch mit ihren scharfen Grabklauen abreißt). — Nur in
sehr seltenen Fällen kommt ein dem obigen Mark röhrenfraß entsprechender
Fraß an den Wurzeln vor; uns ist bisher nur ein einziger derartiger Fall an
Forstgewächsen bekannt geworden, der den Hopfenspinner betraf, welcher
das schwammige Mark von
Hickorywurzeln aushöhlte.
Fraß an Samen.
Es gibt eine ganze Reihe
von Insekten, deren Larven
im Samen von Forstgewächsen
ihre Entwicklung durch-
machen und dabei denselben
6'ig. 178. Riudenstück mit den Fraßgängen von /ps amitinus.
-(N.)
Fig. 179. Fraßgänge im Holz, verur-
sacht dm'cll Xyleborus dispar. — (N.)
vernichten. So leben z. B. in den Fichtenzapfen die Larven von Anobium
abietis, die Raupen von Grapholifa (Tortrix) strobilella und Diorictria abietella ;
in Kiefernzapfen ebenfalls die letztere und außerdem Pissodes validirostris, in
Buchein Grapholita grossana, in Eicheln Grapholita splendana, Balaninus
turbatus, glandium und elephas usw.
2. Verletzungen, die nur Saftverlust zur Folge haben.
Solche werden nur von Insekten mit saugenden Mundwerkzeugen
bewirkt. Die durch die feinen Saugrüssel angerichteten direkten Verletzungen
sind meist sehr unbedeutend gegenüber den Nachteilen, die der Pflanze durch
den Saftverlust treffen. Die Zahl der auf diese Weise wirkenden Forstschädlinge
ist weit geringer als die Zahl der in die vorige Kategorie gehörenden; auch
tritt ihre forstliche Bedeutung gegenüber den letzteren sehr zurück. Alle
Die verschiedenen Arten der Ptlanzenbeschädigungen durcli Forstinsekten. 205
Stellen der Pflanze können den kleinen Saugern zum Angriff dienen, sowohl
die Blattorgane als der Stamm als auch die Wurzeln. In der Hauptsache
sind es Blatt- und Schildläuse, welche in dieser Weise den Pflanzen
Schaden zufügen.
3. Verletzungen, welche Gallbildungen zur Folge haben.
Bei dieser Art von Schädigung liegt das wesentliche weder in dem
Verlust an Pflanzensubstanz, noch im Verlust an Saft, sondern in der Ent-
stehung krankhafter Neubildungen, der sog. „Gallen" oder „Cecidien".
Eine präzise, allgemeingültige Definition des Begriffes „Galle"
oder „Cecidium" (von cecis, das Hervorquellende) wird durch die außer-
ordentliche Mannigfaltigkeit cheser Bildungen sehr schwer, ja beinahe un-
möglich gemacht. Nach Thomas, dem wir die erste wissenschaftliche
Begriffserklärung verdanken, hat man unter Galle jede durch einen
Parasiten veranlaßte aktive Bildungsabweichung zu verstehen,
welche Definition Küster noch dahin ergänzt wessen will, daß die Bildungs-
abweichung der Entwicklung des Parasiten Vorschub leistet und
insofern für diese „zweckmäßig", für die Entwicklung der gallen-
tragenden Pflanze jedoch schädlich ist. — Die Bildungsabweichungen
beruhen entweder auf einem außergew^öhnlichen Wachstum einzelner Zellen,
größerer Gewebepaitien, ganzer Organe oder Organkomplexe, oder aber auf
Neubildungen von oft komplizierter Beschaffenheit, Vielfach tritt gleich-
zeitig vermindertes Wachstum bestimmter Organe, Gewebe oder Zellen ein,
so daß Verkürzungen der verschiedensten Art (Hemmungsbildungen) mit der
Neubildung Hand in Hand gehen (Roß).
Als gallenerzeugende Organismen kommen sowohl Pflanzen als
auch Tiere in Betracht, unter welch letzteren die Milben und Insekten weit-
aus die größte Rolle spielen. Das Hauptkontingent der Insekten stellen die
Dipteren, von welchen nach Houard für Europa und das außereuropäische
Mittelmeergebiet 420 Cecidomyiden und 66 Museiden als gallenbildend be-
kannt sind. Ihnen folgen die Hymenopteren mit 290 Gallenbildnern (26
Tenthrediniden, 244 Cynipiden, 20 Chalcididen), die Hemipteren oder
Rhynchoten mit 243 Arten (darunter 169 Aphididen, 45 Psylliden, 16 Cocciden),
die Coleopteren mit 113 Arten (darunter 104 Curculioniden) und die
Lepidopten mit 61 Arten (darunter 24 Tortriciden). Von Orthopteren kommt
nur eine Locustide {Meconema varium auf Quercus) und von den Neuropteren
nur eine Agrionide {Lestes viridis auf Pinus strobus) in Betracht (Küster).
Über die Ätiologie (Entstehungsursache) der Gallen sind wir noch
recht schlecht unterrichtet; es sind zwar schon eine Reihe Untersuchungen in
dieser Richtung unternommen worden, doch sind die erzielten Resultate bis
jetzt noch in mancher Beziehung lückenhaft geblieben. Grundbedingung für
die Entstehung einer Galle ist, daß der Parasit auf möglichst junge, in der
Entwicklung begriffene, bezw. noch im Wachstum befindliche Pflanzenteile,
oder auf Gewebe einwirkt, welche sich im teilungsfähigen Zustand be-
finden oder doch in diesen Zustand zurückkehren können. Die Galle wächst
in der Regel mit dem sich entwickelnden Organe der Pflanze. Völlig
206 Kapitel V. Die Insekten als natürliche und wirtschaftliche Macht usw.
ausgebildete oder nur aus Dauergewebe bestehende Pflanzenteile vermögen
daher keine Cecidien hervorzubringen. Ferner scheint so viel festzustehen,
daß eigenartige, nicht näher bekannte Stoffe, die von dem Parasiten ab-
geschieden werden und einen chemischen Reiz auf das umgebende Gewebe
ausüben, eine große Rolle bei der Erzeugung der Gallen spielen. Bei
gewissen Arten {Potonia proxima — Nematiis Vallisneri) genügt nachBeijerinck
das gleichzeitig mit dem Ei in das Pflanzengewebe beförderte cecidogene
Gift allein, die Galle hervorzurufen, ohne daß ein weiterer von dem Ei oder
der Larve ausgehender Reiz notwendig wäre. Beijerinck konnte in diesem
Falle zeigen, daß die Bildung der Galle auch dann ihren Fortgang nimmt,
wenn man das Ei bald nach der Ablage tötet. Daß allerdings ein gewisser
Einfluß durch die Gegenwart des Eies resp. der Larve auf die Regel-
mäßigkeit der Entwicklung des Cecidiums, z. B. auf die Entstehung des
Innenraumes ausgeübt wird, kann uns nicht Wunder nehmen, wenn wir
überlegen, wie außerordentlich verschieden die Ernährungsbedingungen in
dem Gallengewebe sein müssen, wenn sich das an sich gewiß einer
spezifischen Eiweißnahrung bedürftige Ei darin fortentwickelt oder nicht
(Küster). — In anderen Fällen scheint aber auch dem Ei und der Larve
ein wesendicher Anteil bei der Gallbildung zuzukommen, so daß letztere
unterbleibt, sowie das Ei abstirbt oder künstlich vernichtet wird. Erst mit
der fortschreitenden Ausbildung des Embryos im Ei oder mit dem Aus-
schlüpfen der Larve beginnen die Veränderungen in den umgebenden Ge-
weben. Geht die Larve zugrunde oder wird sie entfernt oder getötet, so
hört die Weiterentwicklung der Galle ebenfalls auf. Es genügt hier also
nicht ein einmaliger Reiz für diesen Entwicklungsvorgang, sondern die Larve
scheint die betreffenden Stoffe, welche wahrscheinlich den Speicheldrüsen
entstammen, fortgesetzt auszuscheiden. Bezüglich der Herkunft des Sekretes
ist auch die Ansicht ausgesprochen worden, daß bei den Gallwespen die
gallenerzeugenden Stoffe zum Teil den Malpighischen Gefäßen entstammen
(Rössig nach Roß).
Das den Reiz ausübende Tier kann seinen Sitz entweder an der
Außenseite oder im Innern des betreffenden Pflanzenteiles haben. Als Bei-
spiel eines durch äußerliche Angriffe Gallen erzeugenden Tieres führen wir
die eine Art des Buchenkrebses hervorbringende Blattlaus Lachnus exsiccator
Alt. auf. Alle Blattlausgallen entstehen überhaupt ursprünglich durch äußere
Angriffe; die dieselben erzeugenden Tiere werden aber mitunter allmählich
von der wuchernden Galle umschlossen, so z. B. die die taschenartigen Beutel-
gallen an den Ulmenblättern verursachenden Formen. In diesen Fällen
ist der Gallerzeuger meist eine Imago, indessen können, wenngleich
seltener, auch gleichzeitig Larven durch äußere Angriffe gallbildend wirken,
z. B. die Larven von Chermes. Gallerzeuger, die im Innern des Pflanzen-
teiles ihren Sitz haben, sind stets Larven, bezw. noch in der Eischale ein-
geschlossene Embryonen, die in der Galle ihre Verwandlung durchmachen.
Solche Larven können entweder durch eigene Tätigkeit in die Pflanzen-
substanz eindringen, wie z. B. die aus einem äußerlich an die Rinde
abgelegten Ei schlüpfende Larve von Saperda populnea Z,., welche an Aspen
Die verschiedenen Arten der Pflanzenbeschädigungen durch Forstinsekten. 207
knotige Anschwellungen der Äste hervorruft; — oder aber bereits innerhalb
derselben aus einem von dem Muttertiere mit Hilfe des Legbohrers in den
Pflanzenteil versenkten Ei ausschlüpfen, was z. B. bei den eigentlichen Gall-
wespen {Cynipidae) der Fall ist.
Der Ort der Gallbildung ist sehr wechselnd, und man kann wohl
sagen, daß kein zur Erzeugung von Neubildung fähiger Pflanzenteil von den
Angriffen der Gallentiere verschont bleibt. Wurzeln und Stamm, Blätter
und Knospen, Blüten und Früchte können Gallen tragen, bezw. sich in
solche verwandeln.
Auch die Form und der Aufbau der Gallen ist ungemein mannig-
faltig, und es ist durchaus nicht leicht, eine einigermaßen befriedigende
Einteilung der Gallen zu geben. Es sind schon mehrere Versuche in
dieser Richtung unternommen worden, wobei die verschiedensten Gesichts-
punkte zugrunde gelegt wurden. So teilt Thomas die Gallen ein in
„Akro- undPleurocecidien", je nachdem die Gallenbi'dung am Vegetations-
kegel eines Sprosses oder aber an den übrigen Teilen der Pflanze statt-
findet. Beijerinck unterscheidet „Gallen mit unbegrenztem und be-
grenztem Wachstum" (unbegrenzt: „mehrere Generationen der Bewohner
bilden während einiger Zeit die Form der Galle um; der Galle erste Anlage
geht jedoch von einem erwachsenen Individuum aus. Fortpflanzung und
Ernährung findet im Innern der Galle statt", — begrenzt: „der einzige oder
mehrere Bewohner verbleiben nur während der Nährzeit ihres Larven-
stadiums in den Gallen. Diese reifen schnell und sind sehr viel eher als
die Larven erwachsen"). Kerner teilt die Zoocecidien ein in „einfache
und zusammengesetzte Gallen", je nachdem die Galle auf ein einzelnes
Pflanzenglied beschränkt bleibt, oder aber mehrere Pflanzenglieder in An-
spruch nimmt. Und Küster endlich spricht von „organoiden und
histioiden Gallen", je nachdem es sich um abnormale Umgestaltungen
von Organen, bezw. um Neubildung von solchen handelt, oder um Bildung
von abnormalen Geweben. Organoide Gallen liegen vor, wenn z. B. Laub-
blätter statt Nebenblätter gebildet werden, oder Niederblätter anstatt der
Laubblätter entstehen, oder wenn Adventivwurzeln oder Adventivsprossen
an dem infizierten Organ sich bilden. Histioide Gallen repräsentieren sich
als Schwellungen von Blättern, Achsen und anderen Organen, als lokale
Wucherungen von irgend welchen Formen, als Haarbildungen usw."
Die Küstersche Einteilung verdient in wissenschaftlicher Beziehung
zweifellos den Vorzug vor den übrigen; trotzdem wollen wir hier, wo wir
zu den Praktikern reden, uns mehr an die Kernersche Einteilung halten,
da diese auf für den Nichtbotaniker leichter erkennbare Merkmale ge-
gründet ist.
Wir unterscheiden :
1. Einfache Gallen: die Galle ist auf ein einziges Pflanzenglied be-
schränkt.
a) Filzgallen: scharf umschriebene, mit dichtem Haarfilz bedeckte
Stellen an Blättern (Erzeuger: Gallmilben);
208 Kapitel V. Die Insekten als natürliche und wirtschaftliche Macht usw.
b) Mantelgallen; bei ihnen leben die Gallenerzeuger oberflächlich
und regen das Pflanzengewebe zu Wachstumsvorgängen an, deren
Produkte die Parasiten wie mit einem Mantel einhüllen. Hierher ge-
hören die mannigfaltigsten Bildungen, wie Krümmungen, Rollungen,
Faltungen und Umrißveränderungen an Blättern, Blatt-
stielen und Stengeln, ferner die sog. Beuteltaschen und Nagel-
gallen usw. an Blättern (Fig. 180);
c) Markgallen(die „eigentlichen Gallen" Nitsches): Gewebswucherungen,
welche sich um einen im Gewebe befindlichen Parasiten (Larve)
bilden. Hierher gehören die Gallen der Gallwespen (Cynipiden), so-
dann auch von Blattwespen (z. B. Nematus Vallisneri), Gallmücken
(z. B. Cecidomyia saliciperda), Kleinschmetterlingen (z. B. Graph,
zebeanä) und Käfern (z. B. Saperda poptilnea).
2. Zusammengesetzte Gallen: Es handelt sich dabei um Gallen, zu
deren Aufbau mehrere unmittelbar aneinandergrenzende Glieder einer
Fig. 180. Verschiedene Blattgallen an Ulme. A Blattrandgalle von Schizoneura uhni; B drei
Beil teigallen von Schiz. lanuginosa; CTaschengallen von Pemphigus uhni. — (N.)
Pflanze einbezogen wurden. Es sind dies meist Knospenan-
schwellungen und Triebspitzendeformationen, oft verbunden mit
kurzbleibender Achse und überhäufter . Blätterbildung. Sie werden teils
als Knopperngallen, teils als Kuckucks- oder Ananasgallen, teils
als Klunkern, Wirrzöpfe, Weidenrosen usw. bezeichnet. Als Er-
zeuger kommen meist Hemipteren (z. B. Chermes als Erzeuger der
Ananasgallen) (Fig. 181) oder Gallmücken (z. B. Cecidomyia rosaria als
Erzeuger der Weidenrosen) in Betracht.
Krebsbildungen: d. s. bösartige, zu Gewebszerstörungen führende
äußere Anschwellungen an Zweigen und Wurzeln. Hierher sind z. B.
die von der Blutlaus {Schizoneura lanigera) an Apfelbäumen oder die
von Lachnus exsiccator an der Buche erzeugten Wucherungen und Zer-
störungen zu stellen.
Foken der Ansiriffe auf die Pflanzen.
209
Folgen der Angriffe auf die Pflanzen.
Es sind hauptsächlich zwei Richtungen, in denen sich die Wirkung der
Insektenangriffe bemerkbar mächen: einmal in Deformationen, d. h. Ver-
änderungen der normalen Form der Pflanze und sodann in einer all-
gemeinen Schwächung der Lebens-
kraft.
Was die Form Veränderungen
betrifft, so können diese auf Wachstums-
beeinflussungen beruhen, oder aber
darauf, daß bereits ausgebildete Teile
der Pflanze abgetötet werden und ab-
fallen. Als bekanntestes Beispiel für
den ersten Modus seien die Kiefern-
triebwickler erwähnt, auf deren Trieb-
fraß die als „Posthorn" bezeichneten
Verkrümmungen an der Kiefer zurück-
zuführen sind, oder die Fichtenblattwespe
(Neiiia/iis abietiDii), deren wiederholtes
■y /
/
181. Ananasgallen von Ckermes strobüobius.
an Fichte. — (N.)
Fig. 182. Schopfbildung an einer Fichte infolge
wiederholten Nematus-Fvaßes. Nach W. Baer.
ßefressen der Maitriebe ausgedehnte Schopfbildungen am Wipfel verursachen
können (Fig. 182). Bezüglich der zweiten Art von Formveränderung sei in
erster Linie auf den Markröhrenfraß der Waldgärtner hingewiesen, der das
Abfallen der Triebenden veranlaßt. Wo der Waldgärtner sich stärker ver-
mehren kann, da verlieren ältere Kiefern so viele Triebe an dem Mantel der
Krone, daß diese wie zerzaußt aussieht und ihre gewölbte Form gänzlich
Escherich, Forstinsekten. 14
210 Kapitel V. Die Insekten als natürliche und wirtschaftliche Macht usw.
einbüßt, um dafür die Gestalt einer Fichte oder Cypresse zu erhalten.
Andere Insekten bringen ganze Äste zum Absterben, was ebenfalls zu einer
Lichtung der Krone führt, wie z, B. der Prachtkäfer Agrilus bifasciatus, der
die Gewohnheit hat, Äste älterer Eichen tief zu ringeln und so von der Saft-
zufuhr abzuschneiden, was natürlich das Absterben zur Folge hat. Auch der
Lindenprachtkäfer, Buprestis rntilaits, ferner das Kiefernböckchen, Pogono-
chaerus bifasciatus, kann in ähnlicher Weise zur Lichtung der Krone
beitragen.
Die häufigste Folge von Insektenangriffen ist eine allgemeine
Schwächung der Gesundheit der Pflanze, die je nach der Dauer und
Ausdehnung des Angriffes von verschiedenem Grad sein und bis zum Ab-
sterben führen kann. Mag es sich um einen Blattfraß handeln, der die
Pflanzen der assimilatorischen Organe beraubt, oder um einen Rindenfraß,
der die Saftleitung unterbricht, oder um einen Wurzelfraß, durch den die
Wasser- und Nährstoffaufnahme gehindert wird, oder um ein bloßes Ab-
zapfen der Säfte durch saugende Insekten, stets tritt eine Schwächung der
Gesundheit, resp. ein Kränkeln ein. Nehmen die Angriffe keinen allzu großen
Umfang an, und dauern sie nicht allzu lange, so kann die Pflanze in kürzerer
oder längerer Zeit die Folgen dieser Angriffe überwinden und die erlittenen
Beschädigungen wieder ausgleichen; so tritt nach Beschädigung der Wurzeln
oder Triebe eine neue Bildung von solchen ein, so wird der Verlust der
Laubblätter durch Neubildung blättertragender Zweige, durch das sog. Wieder-
grünen, ausgeglichen und so werden die Rinden- und Holzbeschädigungen
durch allmähliche Überwallung der Wunden wieder verheilt usw.
Erreichen jedoch die Zerstörungen eine größere Ausdehnung, werden
z. B. die meisten Nadeln vernichtet oder kommt es gar zu einem völligen
Kahlfraß, oder werden die safdeitenden Schichten von massenhaften Borken-
käfern oder anderen Minierinsekten so zerstört, daß überhaupt kein Saft
mehr aufsteigen kann, oder werden die Wurzeln derart zerfressen, daß die
Wasseraufnahme kaum mehr stattfinden kann, so tritt meist der Tod der
betreffenden Pflanze ein.
Übrigens spielt beim Absterben nach Kahlfraß noch ein anderes Moment als
die Vernichtung der Assimilationsorgane mit herein, nämlich die Überhitzung des
Kambiums, worauf R. H a r t i g hingewiesen hat. Wenn die Nadeln entfernt sind,
hört natürlich die Verdunstung, die ja wesentlich durch die Nadeloberfläche ge-
schieht, auf, und damit hat natürlich auch das Aufsteigen des Wasserstroms ein
Ende. Dieser aber, der aus dem kühleren Boden kommt, ist es, der normalerweise
die Temperatur der vegetierenden Kambium- und äußeren Splindschichten soweit
herabsetzt, daß eine zu hohe Erwärmung derselben infolge der Besonnung während
der heißen Tagesstunden vermieden wird. Die Kambialtemperatur einer entnadelten
Fichte ist nach R. H artig im Sommer durchschnittlich um 8 " C. höher, als die
einer benadelten unter gleichen Verhältnissen. In kahlgefressenen, schattenlosen
Fichtenbeständen steigerte sich nach Hart ig bei direkter Besonnung die Tempe-
ratur des Kambiums bei 26 " C. Lufttemperatur bis auf 44«. So wird auf der
Sonnenseite der Bäume das Kambium bis über die Grenze der Lebensfähigkeit der
Zellen erwärmt oder doch wenigstens seine Temperatur soweit erhöht, daß im
Folgejahr das nahrungslose Kambium abstirbt.
In denjenigen Fällen, in denen die Pflanze die Krankheit übersteht,
machen sich häufig verschiedene Folgeerscheinungen bemerkbar, teils
Folgen der Angriffe auf die Pflanzen.
211
vorübergehender, teils dauernder Natur, die mehr oder weniger deutlich er-
kennen lassen, daß die betreffende Pflanze einen Angriff durchzumachen
hatte. Sie bestehen entweder in Kümmerungserscheinungen oder aber
in Bildung von Ersatzteilen.
Zu den Kümmerungserscheinungen gehört z. B. das Klein-
bleiben der Blätter und Nadeln im Jahre nach der Beschädigung. Bei
den Nadelhölzern entstehen dann jene kurznadeligen \
Triebe, die als „Bürstentriebe" bezeichnet werden
(Fig. 183). Als Kümmerung ist ferner die Vermin-
derung des Blühens und Samentragens aufzufassen,
die so häufig nach stärkerem Raupenfraß, wie z. B. nach
dem der Nonne, des Goldafters, Rotschwanzes usw. zu
beobachten ist, und die in forstlicher Beziehung (durch
Verminderung oder gänzlichen Ausfall der Mast) weit
wichtiger ist als die oben erwähnte
direkte Zerstörung der Samen
durch die verschiedenen Samen-
insekten. Und endlich ist als die
wichtigste Kümmerungserscheinung
der Zuwachsverlust zu nennen,
der sich sowohl auf das Längen-
ais auf das Dickenwachstum be-
ziehen kann.
Die Verminderung des
Längenzuwachses zeigt sich
darin, daß in den auf die Be-
schädigung folgenden Jahren die
Endtriebe der Zweige und be-
sonders die Gipfeltriebe der Nadel-
hölzer kürzer bleiben. Erst später
erhalten sie wieder ihre normale
Länge, wie aus dem in Fig. 184
abgebildeten Wipfel einer Fichte
zu ersehen ist, die nach einer im
Jahre 1857 erlittenen Schädigung
zunächst bis 1859 nur ganz kurze
Gipfeltriebe gebildet und erst im Jahre 1861 wieder einen kräftigen Trieb
erzeugte. Solche Verkürzungen finden wir sehr häufig als Folge des Fraßes
von Raupen, Blattwespen usw.
Die Minderung des Stärkenzuwachses tritt mitunter schon im
Fraßjahr, häufiger aber erst im Nachjahr ein. Er prägt sich am deutlichsten
an den Jahresringen aus, die nach einem größeren Fraß stets schmäler und
schwächer werden, und zwar mitunter auf viele Jahre hinaus (Fig. 185). Bei
allen größeren Raupenkalamitäten, sofern sie nicht zum Absterben der Be-
stände führen, stellt der Zuwachsvei-lust das wichtigste Moment bei der Be-
urteilung des Schadens dar.
14*
Fig. 183. Seitenzweig einer
im Jahrel856 durch Nonnen-
fraß geschädigten Fichte,
welche im Jahre 1858 nur
Bürstennadeln produzierte.
-(N.)
Fig. 184. Entasteter
Wipfel einer im Jahi-e
1857 von der Nonne
kahlgefressenen Fichte,
die verschiedene Länge
der Jahrestriebe
zeigend. — (N.)
212 Kapitel V. Die Insekten als natürliche und wirtschaftliche Macht usw.
Was die Bildung von Ersatzteilen betrifft, so kann diese recht
verschiedener Art sein; wir erinnern z. B. an die „Rosetten triebe"
(Fig. 186), die bei der Kiefer nach Kahlfraß proleptisch aus Seitenknospen
entstehen, und die ganz kurz bleibende Triebe darstellen, die dichtstehende,
verkürzte, breite und gesägte einfache Nadeln tragen; ferner an die sog.
„Scheidentriebe", die aus den am Vegetationspunkt der Kurztriebe
zwischen je zwei Kiefernnadeln befindlichen, ge-
wöhnlich ruhenden Scheidenknospen sich entwickeln,
und welche zwar in der Regel kein hohes Alter
erreichen, jedoch provisorisch für das Leben des
Baumes von hoher Bedeutung sein können; ferner
an die Knospen Wucherungen, die nach völliger
Entnadelung und Zerstörung der Maitriebe der
Fichte am Grund der vorjährigen oder älteren
Triebe oft in überreicher Fülle auftreten (Fig. 187);
— ferner an den Ersatz des Wipfeltriebes
durch einen Seitentrieb des obersten Quirls,
wie er nach Zerstörung des ersteren durch Retiiiia
hitoliana usw. oft eintritt. Endlich sind hier auch
••■■■■■■■■ fa»; :iis:i: i>*i ;;
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iiiiiiiiir
iillifffüliül
59
Fig. 185. Die letzten 7 Holz-
ringe einer im Jahre 1858 fast
ganz kahl gefressenen Kiefern-
stange. Nach Ratzeburg.
-(N.)
Fig. 186. Rossetten-
triebe an Kiefer. Nach
Ratzeburg. - (N.)
Fig. 187. Ersatztriebbil-
dung der Fichte nach völli-
ger Entnadelung und Zer-
störung der neuen Mai-
triebe (4). Die an deren
Grunde stehenden Knos-
penanlRgen haben sich zu
kräftigen Knospen (9, io, il)
oder zu kurzen Ersatztrie-
ben {12, 13, 14, 15) ent-
wickelt. Aus Hart ig.
noch die Fälle zu erwähnen, in denen nach ausgedehnten Knospenzerstörungen
die aus dem übrig bleibenden Rest sich bildenden Organe, z. B. Nadeln
oder Blätter ungewöhnlich groß werden, indem ihnen eben nunmehr
der gesamte Saftzufluß zugute kommt.
Solche Verhältnisse wurden von K r a s a n (Englers Botanische Jahr-
bücher Bd. V, S. 350) nach Blattverletzungen durch Orchestes quercus an Stiel-
eichen beobachtet. Während nämlich häufig der erste Trieb durch die direkten,
vom Weibchen dieses Springrüßlers beim Unterbringen seiner Eier verübten An-
Grad der Schädlichkeit der Forstinsekten. 213
griffe geradezu sistiert erscheint und die verletzten Blätter verkrümmt sind, werden
die am Johannistrieb direkt über den verletzten stehenden Blätter ungewöhnlich
groß und abnorm geformt, während die am Gipfel stehenden wieder ihre normale
Form annehmen.
Grad der Schädlichkeit der Forstinsekten.
Vom rein theoretischen Standpunkte aus betrachtet, ist jedes
Insekt forstschädlich, welches auf einem verwertbaren Forstgewächs Wohnung
und Nahrung findet, ebenso wie in der Theorie schon das Abbrechen eines
Blattes den Baum schädigt, indem dadurch die respiratorische Oberfläche
desselben verringert wird. Aber der hierdurch angerichtete Schaden ist in
der Praxis nicht nachweisbar, und auch die durch manche auf Forstgewächsen
lebende Insekten bewirkte Schädigung derselben ist so gering, daß wir sie
in praktischer Hinsicht durchaus vernachlässigen können. So verzeichnet
z. B. Kaltenbach nicht weniger als 537 auf und von der Eiche lebende
Insekten, von denen wir aber noch nicht einmal dem zehnten Teil eine wirt-
schaftliche Bedeutung beimessen können.
Doch auch unter den wirtschaftlich in Betracht kommenden Insekten
herrschen große Unterschiede bezügl. des Grades ihrer Schädlichkeit;
wir teilen daher nach altem Brauche die Forstinsekten ein in „unmerklich
schädliche", „merklich schädliche" und „sehr schädliche".
Als „unmerklich schädlich" bezeichnen wir solche Insekten, welche
infolge ihres selteneren Vorkommens oder der Art ihrer Angriffe nur ganz
unbedeutende Zerstörungen anrichten, so daß der Wuchs und die Brauch-
barkeit des Holzes kaum darunter zu leiden haben. Hierher gehört eine
große Anzahl von Insekten, deren Vorkommen und Tätigkeit zwar die Auf-
merksamkeit des Forstmannes erregen, die ihm jedoch niemals ernste Sorge
bereiten, und ihn auch nur ganz selten zur Ergreifung von Gegenmaßregeln
veranlassen werden. Als Beispiele erwähnen wir die Blattwickler [Rhynchites
usw.), die meisten der gallbildenden Insekten, ferner viele Blattminierer usw.
„Merklich schädlich" nennt man solche Insekten, die durch zahl-
reicheres Auftreten oder durch die Zerstörung wichtiger Pflanzenteile das
Wachstum merklich beeinflussen und einzelne Bäume auch zum Absterben
bringen können. Ihr Vorkommen kann wohl auch über größere Bestände
sich erstrecken, ohne jedoch in diesen Fällen ein größeres oder allgemeines
Sterben zu verursachen. In diese Kategorie gehört die Mehrzahl der Forst-
insekten; immer und überall treten sie dem Forstmann entgegen, ihm stets
kleinere oder größere Unannehmlichkeiten, Arbeit, Ausgaben (für die Be-
kämpfung) und Verluste bereitend. Als Beispiele seien genannt die Bock-
käfer, die meisten Borkenkäfer, Pracht- und Blattkäfer, die meisten Klein-
schmetterlinge, viele Schild- und Blattläuse usw.
Unter den „sehr schädlichen" sind je nach ihrem biologischen Ver-
halten und der Art ihrer Wirkung zweierlei Kategorien von Insekten zu
unterscheiden: Die einen wirken, kurz gesagt, chronisch, die anderen
akut. Die ersteren schließen sich biologisch den „merklich schädlichen"
214 Kapitel V. Die Insekten als natürliche und wirtschaftliche Macht usw.
Insekten an, insofern, als sie sich durch eine gewisse Ständigkeit ihres
Vorkommens auszeichnen, unterscheiden sich aber von ihnen durch die
größere Ausdehnung des Schadens, indem ihnen zahlreiche Pflanzen,
ja ganze Kulturen oder auch Bestände zum Opfer fallen können. Als die
wichtigsten Vertreter dieser Gruppe seien genannt Hylobius und der Enger-
ling. — Die akut wirkenden Insekten treten dagegen für gewöhnlich nur sehr
selten auf, viel seltener als die „merklich schädHchen", so daf3 sie dem Forst-
mann mitunter jahrzehntelang nicht begegnen. Dann auf einmal aber setzt
explosionsartig eine enorme Massenvermehrung ein, wodurch jene
gefürchteten Kalamitäten oder Katastrophen verursacht werden, durch
welche in kurzer Zeit die schönsten Wälder vernichtet werden können. Die
Zahl dieser „katastrophalen Insekten" ist verhältnismäßig gering; es ge-
nügen aber die wenigen vollkommen, die forstliche Welt fortwährend in
Atem zu halten und aufs schwerste zu beunruhigen. Die wichtigsten Forst-
schädlinge dieser Art sind die Nonne, die neuerdings geradezu in
erschreckendem Maße überhand nimmt, ferner der Kiefernspinner, die
Kieferneule, der Kiefernspanner, der Fichtenborkenkäfer, verschiedene Blatt-
wespen usw. —
Natürlich sind die hier aufgestellten Begriffe keine absolut feststehenden
und die Gruppen keine scharf abgrenzbaren, da es einmal manche Insekten
gibt, deren Beschädigung es zweifelhaft erscheinen läßt, ob man sie zu der
einen oder der anderen Gruppe stellen soll, und andererseits es auch vor-
kommen kann, daß für gewöhnlich „unmerklich schädliche" Insekten „merk-
lich schädlich" oder „merklich schädliche" „sehr schädlich" werden. In den
meisten Fällen jedoch bietet die Einordnung der Schädlinge in jene drei
Gruppen keine Schwierigkeit, so daß es sich im Interesse der einfachen Ver-
ständigung wohl empfiehlt, die angegebenen Bezeichnungen im obigen Sinne
beizubehalten.
Die Forstinsektenkunde beschäftigt sich in erster Linie und am ein-
gehendsten mit den sehr schädlichen und den merklich schädlichen Insekten,
während die unmerklich schädlichen dagegen wesentlich zurücktreten.
Völlig gleichgültige oder indifferente Insekten haben überhaupt nur dann
Interesse für sie, wenn deren Aussehen oder Tätigkeit eine Verwechslung
mit Schädlingen als möglich erscheinen lassen und den Forstmann
dazu verleiten können, Maßregeln gänzlich ohne Not zu ergieifen; also
wenn es sich, wie Ratzeburg sagt, um „täuschende Forstinsekten"
handelt.
Der Grad der Schädlichkeit ist nicht etwa für jedes Forstinsekt
ein für allemal feststehend, sondern hängt von einer ganzen Reihe ver-
schiedener Faktoren ab.
In erster Linie kommt natürlich die Biologie des betreffenden Insekts
in Betracht, d. h. die Art und Weise seines Angriffes, ob kauend, ob
saugend, ob an Wurzeln, Blättern, Knospen, Zweigen, alten oder jungen
Trieben, Haupt- oder Nebentrieben, oder am Stamm fressend, ob es ver-
schwenderisch, ob sein Nahrungsbedürfnis ein großes ist; sodann seine Ver-
Grad der Schädlichkeit der Forstinsekten. 215
mehrungsfähigkeit, die wiederum einerseits von der Zahl der Eier, anderer-
seits von der Zahl der Parasiten und anderer Feinde, sowie von der Wider-
standsfähigkeit der vei schiedenen Entwicklungsstufen gegen Witterungsunbilden
usw. abhängig ist; des weiteren seine Beweglichkeit resp. sein Wander-
vermögen usw.
Doch ist es nicht allein der angreifende Teil, der die Größe des
Schadens bestimmt, sondern eine sehr wesentliche Rolle spielt dabei auch
die Empfindlichkeit der Pflanze selbst, und zwar insofern, als nicht
nur jede einzelne Pflanzenart auf die gleichen Angriffe verschieden reagiert,
sondern auch ein und dieselbe Pflanzenart je nach ihrem Alter, Gesundheits-
zustand und je nach der Jahreszeit, in welcher der Angriff erfolgt, sich sehr
ungleich verhalten kann. Außerdem kommen auch noch andere Momente,
wie Witterung, die waldbaulichen Verhältnisse, die Höhenlage des
Forstortes in Betracht, so daß man also viele Punkte berücksichtigen muß,
wenn man sich ein richtiges Bild von der Schädlichkeit eines Insektes in
einem bestimmten Fall machen will.
Was das verschiedene Verhalten der einzelnen Holzarten gegenüber
Insektenangriffen betrifft, so lehrt die Erfahrung, daß das weit weniger
reproduktionsfähige Nadelholz viel mehr Schaden leidet als das Laub-
holz. Die für Mitteleuropa forstlich wichtigen Laubhölzer treiben alljährlich
vollständig neue Blattorgane, die meisten Nadelhölzer erzeugen solche nur in
den neuen Trieben; kein Wunder, daß eine ausgedehnte Entnadelung die
Kiefer, Fichte oder Tanne viel mehr benachteiligen muß, als die Entlaubung
eine Buche oder Eiche schädigt. Eine vollständige Entnadelung bringt
unseren Nadelhölzern (mit Ausnahme der Lärche) gewöhnlich den Tod,
während die meisten Laubhölzer selbst einen wiederholten Kahlfraß relativ
gut ertragen; die sommergrüne Lärche verhält sich in dieser Beziehung
ähnlich wie die Laubhölzer; so wird sie z. B. durch den Jahr für Jahr wieder-
kehrenden Fraß der Miniermotte nur selten völlig getötet. Dieser Unter-
schied zwischen Laub- und Nadelholz wird ph^^siologisch dadurch bedingt,
daß die Laubhölzer in Holz, Rinde und Markgewebe durchschnittlich weit
mehr Reservestoffe und auch einen weit größeren Vorrat an schlafenden
Knospen besitzen als die Nadelhölzer. Ferner ist zu bedenken, daß die Nadeln
eines Nadelbaumes in einer längeren Reihe von Jahren erworben sind, so
daß ein kahlgefressener Nadelbaum, um wieder zu seiner vollen Belaubung
zu kommen, in kurzer Zeit das neubilden müßte, zu dessen Erzeugung er
mehrere Jahre gebraucht hat, während die Blätter des Laubbaumes stets ein-
jährig sind.
Auch gegen andere Schädigungen, z. B. Borkenkäferfraß, verhalten sich
die Laubhölzer im allgemeinen widerstandsfähiger als die Nadelhölzer, so
können z. B. Birken jahrelang von Eccoptogaster Ratzebiirgi^ oder alte Ulmen
jahrelang von E. scolytus, oder Eschen jahrelang von Hylesinus fraxini be-
wohnt werden, ehe sie völlig absterben, während den Nadelhölzern ein stärkerer
oder länger dauernder Borkenkäferfraß gewöhnlich schon bald den Tod bringt.
Die verschiedensten Arten Bockkäfer, die Larven der Gattungen Sesia und
Cosstis hausen in alten Laubbäumen jahrelang, während Fichten oder Lärchen,
216 Kapitel V. Die Insekten als natürliche und wirtschaftliche Macht usw.
die von Tetropiiim luridiim befallen sind, in kurzer Zeit absterben. Hierher-
gehöriger Beispiele ließen sich noch viele bringen. Jedenfalls ist Tatsache,
daß ein so ausgedehnter Schaden, wie ihn der Borkenkäfer oder
die Nonne in Fichten Waldungen, oder der Kiefernspinner oder
-Spanner in Kiefernwaldungen hervorrufen, dem Laubwald voll-
ständig fremd ist. — Am empfindlichsten unter unseren Nadelhölzern ist
im allgemeinen die Fichte, dann folgt die Kiefer und die Tanne, und
endlich die Lärche, welch letztere ja, wie schon erwähnt, in dieser Be-
ziehung dem Laubholz nahe kommt. Natürlich unterliegen auch die wider-
standsfähigeren Hölzer den Insektenangriffen, wenn diese intensiv genug
sind; so wird z. B. die Weißtanne, die erfahrungsgemäß viele Mißhandlungen
verträgt, garnicht selten durch Borken- und Rüsselkäferfraß {Ips curvidens und
Ptssodes piceae) getötet, und die Lärche wird in ihrer Heimat leider nur zu
häufig ein Opfer des grauen Lärchenwicklers, so daß sie aus manchen
Gegenden sogar bereits gänzlich verdrängt wurde.
Nicht weniger als die Holzart ist das Alter der befallenen Pflanzen bei
der Abschätzung der Schädlichkeit eines Forstinsektes zu berücksichtigen.
Im allgemeinen erweisen sich gegen die meisten Insektenangriffe — mögen
diese in Blatt- oder Knospen-, Rinden- oder Wurzelfraß bestehen ■ — die
jungen Pflanzen empfindlicher als die alten. Eine ein- oder zwei-
jährige Kiefer oder Fichte wird viel leichter von dem großen braunen Rüssel-
käfer getötet als eine schon etwas kräftigere, fünf- bis sechsjährige Pflanze;
die einjährigen Kiefernpflänzchen werden durch die Saateule sicher getötet,
zweijährige und ältere dagegen meist nur mehr oder weniger beschädigt.
Es gibt jedoch auch Fälle, in denen umgekehrt die jüngeren Pflanzen einen
Fraß besser überstehen als die älteren. So berichtet Hartig, daß kleine
Fichtenpflanzen von einigen Dezimeter Höhe nach Nonnenkahlfraß sich sofort
wieder begrünen und so sich völlig gesund erhalten können, während ältere
Pflanzen von 1 m an aufwärts, selbst wenn sie sich wieder begrünt haben,
meist schon im Herbst des Fraßjahres zum Absterben kommen.
Von nicht zu unterschätzender Bedeutung für die Höhe des Schadens
ist ferner der Gesundheitszustand der Pflanzen. Eine geschwächte Kon-
stitution der Pflanze — mag sie eine Folge von ungünstigen Standorts-
verhältnissen sein oder von Rauchschäden oder von vorhergegangener
großer Trockenheit usw. — bedeutet stets eine Erhöhung des Insekten-
schadens. So kann man z. B. bei einem gewissen Grad von Lichtfraß
einem Kiefern- oder Fichtenbestand auf besseren Standortsklassen eine weit
günstigere Prognose stellen als einem Bestand auf schlechteren Standorts-
klassen. Ferner ist es eine bekannte Erscheinung, daß Laub- und Nadel-
hölzer, welche bald nach der Verpflanzung, also ehe sie sich vollständig
erholt haben, von Insekten angegangen werden, viel leichter ein Opfer dieser
Angriffe werden als ein oder zwei Jahre später. Außerdem ist für viele
Insekten eine geschwächte Konstitution der Pflanze geradezu Bedingung für
eine stärkere Vermehrung, so daß das gelegentliche Vorkommen solcher
(sekundärer) Insekten in völlig gesunden Wäldern uns weit weniger zu
beunruhigen braucht als in schlecht wüchsisen und kümmernden Beständen.
Grad der Schädlichkeit der Forstinsekten. 217
So werden z. B. Erlen, deren Standort zeitweiser Trockenheit ausgesetzt ist,
gewöhnlich so stark von Cryptorhynchus lapathi und anderen Erleninsekten
befallen, daß sie verkrüppeln und mit der Zeit auch eingehen, während in
gut stehenden Erlen der Rüsselkäfer und die anderen stammbewohnenden
Schädlinge nur selten in größerer Zahl angetroffen werden.
Auch die Bodenbeschaffenheit an und für sich kann einen wesent-
lichen Einfluss auf die Schädlichkeit eines Insektes haben, insofern, als
trockene, durchlässige Böden für solche Forstinsekten, die im Boden über-
wintern (wie z. B. Kiefernspinner und -spanner, Kieferneule usw.) weit
günstiger sind als feuchte Böden, die vor allem der Vermehrung der ver-
schiedenen insektentötenden Pilze Vorschub leisten.
Des weiteren kommen in Betracht die Witteriingsverhältnisse, die in
zweierlei Richtungen wirken können: einmal dadurch, daß sie die Ent-
wicklung und Vermehrjung der Insekten begünstigen oder benachteiligen, und so-
dann dadurch, daß sie auch die Widerstandskraft der beschädigten Pflanzen
erhöhen oder vermindern können. Es ist bereits oben erwähnt, welch be-
deutenden Einfluß die Temperatur auf die Dauer der Entwicklung haben
kann, so daß in sehr warmen Jahren sogar die Zahl der Generationen ver-
mehrt werden kann, wie das auf S. 172 erwähnte Beispiel von Ips typographus
deutlich lehrte. Daß dadurch natürlich die Schädlichkeit eines Insektes
wesentlich gesteigert wird, ist ohne weiteres klar. Andererseits kann durch
Witterungseinflüsse die Vermehrungsenergie der Insekten auch herabgesetzt
werden. Man hat in dieser Beziehung früher allerdings etwas zu optimistisch
gedacht, indem man z. B. dem Frost eine weit schädlichere Wirkung auf das
Insektenleben zuschrieb, als ihm nach den neueren Untersuchungen, nach
denen manche Insekten erstaunliche Kältegrade ohne Schaden ertragen können,
zukommt. Immerhin kann plötzlich eintretende starke Kälte, und vor
allem öfterer jäher Wechsel von hohen und niederen Temperaturen
sehr ungünstig auf die Vermehrung der Insekten einwirken, und dadurch
also die Gefahren für den Forstmann herabmindern. — Der Einfluß der
Witterung auf die Pflanzen ist nicht minder groß: so gehen manche durch
Insekten beschädigte Pflanzen, die bei normaler Witterung sich leicht wieder
erholt haben wüi'den, in sehr kalten Wintern (durch Erfrieren der mangel-
haften verholzten Triebe) oder auch in sehr heißen Sommern (durch Ver-
trocknen oder Überhitzung) zugrunde. Sehr heiße trockene Sommer sind
oft auch die erste Veranlassung für eine starke Vermehrung der Schädlinge;
so hat das außergewöhnlich trockene Jahr 1911 vielerorts zu einer be-
ängstigenden Vermehrung der Borkenkäfer geführt, indem eben durch die
anhaltende Trockenheit der Saftzuständ der Bäume auf ein den Borkenkäfern
zusagendes Maß gebracht wurde.
Ferner ist auch die Jahreszeit, in welcher die Schädigung erfolgt,
in Rechnung zu ziehen. Denn die Wirkung eines Insektenangriffes kann
sehr verschieden sein, je nachdem derselbe schon zeitig im Frühjahr
oder Vorsommer, oder aber erst im Herbst einsetzt, wobei außerdem
auch die einzelnen Holzarten sich ungleich verhalten. Bezüglich des
Nadel- oder Blattfraßes kann man im allgemeinen sagen, daß für Nadel-
218 Kapitel V. Die Insekten als natürliche und wirtschaftliche Macht usw.
Hölzer ein im Frühjahr oder im ersten Sommer erfolgender
Fraß schädlicher ist als ein später Herbstfraß. Dies hängt wohl
damit zusammen, daß die Nadelhölzer nur relativ wenig Reservestoffe be-
sitzen, so wenig, daß sie allein nicht einmal zur vollständigen Ausbildung der
neuen Jahrestriebe und Nadeln ausreichen, sondern daß auch die assimi-
latorische Tätigkeit der alten Nadeln dazu notwendig ist, um die noch er-
forderlichen Bildungsstoffe zu produzieren. Ein Frühjahrs- oder früher
Sommerfraß trifft demnach den Nadelbaum meist zu einer Zeit, in der die Re-
servevorräte in den Zweigen durch die Ausbildung der Maitriebe größten-
teils erschöpft sind. Aus diesem Grunde ist z. B. der Nonnenfraß, der ja in
die Monate Mai und Juni fällt, so sehr verderblich; und daher entscheidet
auch beim Kiefernspinner nicht der Herbst-, sondern der Frühjahrsfraß,
zumal bei dem letzteren häufig auch die Knospen und jungen Triebe mit
zerstört werden. Beim Kiefernspannerfraß werden solche Kiefern, die noch
bis Ende September gut benadelt waren, und erst im Oktober kahl gefressen
werden, im nächsten Jahr wieder ergrünen und sich erholen, da die Triebe
und Knospen nicht nur völlig ausgebildet waren, sondern auch schon einen
größeren Vorrat an Reservestoffen abgelagert enthielten, vermöge dessen im
nächsten Frühjahr neue, wenn auch nur relativ kurze Triebe entstehen (Hartig).
— Den Laubhölzern schadet ein Frühjahrsfraß weit weniger, da
sie infolge der reichlich vorhandenen Reservestoffe auch nach völligem Kahl-
fraß sich im gleichen Jahre wieder begrünen können. So sehen wir die
Wiederbegrünung der vom Eichenwickler kahl gefressenen Eichen sehr rasch,
sogar unter Verfrühung der Johannistriebe, erfolgen.^) Darin kann allerdings
auch eine gewisse Gefahr liegen, insofern als die neugebildeten Blätter oft
viel später abfallen, und dann zeitig kommender Schnee großen Schaden an-
richten kann. — Auch die Angriffe der Borkenkäfer und anderer rinden-
minierenden Insekten ergeben ein verschiedenes Bild, je nach der Jahres-
zeit, in der sie erfolgen. „Wenn die erste Generation der Borkenkäfer im
Frühjahr den Baum zur Zeit des aufsteigenden Saftes befällt und dadurch
Saftausfluß und Hemmung des Saftstroms zur Krone verursacht, so ist die
Wirkung des Fraßes, insbesondere bei warmem Wetter, rasch an der jungen
Krone zu bemerken, welche vergilbt und den Tod des Baumes beim Nadel-
holz ankündigt, während die Rinde fest bleibt. Ganz anders ist die Wirkung
der späteren Generationen im Nachsommer: ihr Angriff trifft den Baum in
der Periode des absteigenden Saftes, weshalb zunächst keine Reaktion von
Seiten der Krone erfolgt, die grün und unversehrt bleibt. Dagegen strömt
der nahrungsreiche Saft aus den Bohrlöchern der Rinde, und es wird nun
die kambiale Schichte, welche jetzt im Zuwachs und der Neubildung steht,
nodeiden, was den Abfall der Rinde zur Folge haben kann. Der Tod erfolgt
in diesem Fall natürlich viel langsamer." (Nüßlin.)
Von großer Bedeutung für die Schädlichkeit eines Insekts sind ferner
auch die waldbaiilichen Verhältnisse, insofern, als reine, gleichalterige
^) Prof. B o r g m a n n beobachtete (nach persönlicher Mitteilung) in Ebers-
walde, daß ein von der Nonne völlig kahlgefressener Buchenunterstand (unter
Kiefern) im September wieder völlig grün war, gleich als ob nichts passiert wäre.
Wirkung der Insektenschäden auf den forstlichen Wirtschaftsbetrieb. 219
Bestände im allgemeinen einer Massenvermehrung von Schädlingen
weit günstiger sind und demgemäß eine höhere Gefahr bedeuten
als die gemischten Bestände. „Solche Bestände stellen gleichsam künst-
liche Brutstätten für die Schädlinge dar". Mit vollem Recht betont daher
Nüßlin, daß „in der Waldwirtschaft die Einführung der künsthchen Ver-
jüngung und die Erziehung reiner Bestände von gleichem Alter im Sinne der
praktischen Forstinsektenkunde überall da ein Mißgriff ist, wo die Natur
eine andere gleichrentable waldbauliche Behandlung gestattet".
Auch andere wirtschaftliche Maßregeln können von wesendichem
Einfluß auf die Größe des Schadens sein. In welchem Maße dies der Fall
sein kann, können wir z. B. daraus ersehen, daß die Borkenkäfer in unseren
sauber gehaltenen Wäldern unter normalen Witterungsverhältnissen usw.
kaum eine nennenswerte Gefahr bedeuten, während sie in Nordamerika, wo
man noch kaum eine Forstwirtschaft in unserem Sinne, geschweige denn eine
saubere Forstwirtschaft kennt, die größten Verwüstungen in den Wäldern an-
richten und in manchen Gegenden sogar die Fortexistenz der Wälder über-
haupt in Frage stellen.
Endlich sei noch auf die geographische Lage als wichtigen Faktor bei
der Bestimmung des Schädlichkeitsgrades hingewiesen. Viele Insekten, die
in gewissen Lagen zu Besorgnissen Anlaß geben, sind in anderen Gegenden
völlig harmlos. So sind z. B. in Norwegen ein großer Teil der Schädlinge,
die bei uns sehr beachtenswert sind, ohne jede praktische Bedeutung, weil
eben ihre Vermehrung (wohl infolge der klimatischen Verhältnisse) in engeren
Grenzen bleibt. Auch in der vertikalen Verbreitung machen sich solche
Unterschiede deutlich bemerkbar; so braucht man z. B. in 6 — 700 m Meeres-
höhe die Nonne wenig zu fürchten, während sie vielleicht nicht weit davon
entfernt, in tieferen Lagen, arge Verwüstungen anrichtet.
Wirkung der Insektenschäden auf den forstlichen
Wirtschaftsbetrieb.
Jedes schädliche Auftreten von Forstinsekten ist mit einer Störung
oder Beeinträchtigung des forstlichen Wirtschaftsbetriebes verbunden, einmal
weil die Vorbeugungs- und Vertilgungsmaßregeln Zeitverlust und
Kosten verursachen, und sodann, weil unter Umständen das ganze Ein-
richtungswerk (der Betriebsplan) umgestoßen werden kann. Beides
bedeutet natürlich eine Verminderung des Waldertrages, und zwar das
letztere Moment noch in weit höherem Maße wie das erstere, besonders
wenn die Notwendigkeit entsteht, noch hiebsunreife Bestände einzuschlagen.
Dagegen kommt das, was man in früheren Zeiten als unangenehme Folge
von ausgedehnten Insektenkatastrophen fürchtete, nämlich das Sinken der
Holzpreise durch Überfüllung des Marktes, heute kaum mehr in Betracht, da
einmal die Verkehrsverhältnisse viel besser gestaltet sind, und da sodann
auch der Holzbedarf Deutschlands so enorm ist, daß er nicht annähernd aus
unseren Wäldern gedeckt werden kann. Hat man doch für die vielen
Spanner-, Nonnen- und Windbruchhölzer, die in den letzten Jahren auf den
220 Kapitel V. Die Insekten als natürliche und wirtschaftliche Macht usw.
Markt gekommen sind, überraschend gute Preise erzielt. Immerhin können
ausgedehnte Insektenschäden auch bezügl. der Holzverwertung erhebliche
Schwierigkeiten zur Folge haben, die hauptsächlich darin begründet sind,
daß das Holz rechtzeitig und rasch eingeschlagen werden muß und die hier-
zu nötigen Arbeitskräfte nicht immer so schnell zu beschaffen sind. In
solchen Fällen kann dann allerdings eine Entwertung des Holzes eintreten,
abgesehen davon, daß dadurch der Vermehrung sekundärer Insekten Vor-
schub geleistet wird.
Wo die Bestände nicht getötet, sondern nur licht gefressen werden,
besteht der Schaden hauptsächlich darin, daß der Zuwachs einzelner Bäume
oder ganzer Bestände herabgedrückt wird. Die Verminderung des Bestand-
zuwachses kann durch Beschädigung sämtlicher oder wenigstens der meisten
der den Bestand bildenden Bäume erfolgen, wie z. B. durch Nonnenfraß in
Kiefernwäldern. In solchen Fällen ist der Schaden nicht so groß, weil nach
wenigen Jahren der volle Zuwachs wieder eintritt. Die Bestandszuwachs-
verminderung kann aber auch dadurch erfolgen, daß eine größere oder
kleinere Anzahl von Einzelbäumen getötet wird (z. B. durch den Harzrüssel-
käfer), während die anderen unversehrt bleiben. Dann ist der Schaden weit
beträchtlicher, weil die Verminderung der den Bestand bildenden Bäume eine
starke Verlichtung zur Folge haben kann, die ihrerseits mit einer schädlichen
Rückwirkung auf den Bodenzustand verbunden ist (Verangerung, Graswuchs
usw.); und dies bedeutet wiederum eine Verringerung des Gesamtzuwachses
und meist auch ein Hindernis für die spätere Kultur.
Sehr störend im Wirtschaftsbetrieb machen sich auch die Kultur-
verderber, vor allem der Rüsselkäfer und Engerling bemerkbar. Denn die
durch deren Zerstörungen fortwährend notwendig werdenden Ausbesserungen
zum Ersatz der getöteten Pflanzen beanspruchen einen großen Aufwand an
Zeit, Arbeitskräften und Kosten.
Endlich ist noch die Entwertung des Holzes durch die technischen
Schädlinge in Betracht zu ziehen, die natürlich ebenfalls an der Ver-
minderung des Waldertrages einen größeren oder geringeren Anteil haben
können. Doch tritt dieses Moment insofern sehr zurück gegenüber den vor-
hergenannten Störungen des Wirtschaftsbetriebes, als Gegenmaßnahmen, wie
z. B. rechtzeitiges Schälen der Hölzer (bei X. Uneatus), vielfach unschwer
durchführbar sind.
Literatur.
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Escherich, K., Ameisen und Pflanzen, eine kritische Skizze mit besonderer
Berücksichtigung der forstlichen Seite. Thar. forstl. Jahrb., Bd. 60, 1909,
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(1913). Hierin findet sich die übrige Literatur über pilzzüchtende resp. pilz-
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Kapitel VI.
Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
Der Wald stellt eine Lebensgemeinschaft dar, welche außer den ihn
bildenden Bäumen auch noch zahlreiche andere pflanzliche und tierische
Organismen umfaßt, deren Artenzahl je nach der Art des Waldes (Laub-,
Nadelwald, rein oder gemischt) und je nach seinem Zustand und seiner geo-
graphischen Lage usw. recht verschieden ist. So kommen z. B. in einem
gemischten Wald weit mehr Insektenarten vor, als in einem reinen Fichten-
wald. Doch können wir für jeden Wald mit bestimmten Eigenschaften und
in einer bestimmten geographischen Lage eine annähernd bestimmte Fauna
oder Floi-a voraussetzen, und zwar nicht nur bezügl. der artlichen Zusammen-
setzung, sondern auch der Individuenzahl ; d. h. unter normalen Verhältnissen
wird in einem gegebenen Wald auf die Flächeneinheit eine annähernd be-
stimmte Zahl von Individuen der verschiedenen Tier- und Pflanzenarten ent-
fallen („Normalzahl" oder „eiserner Bestand"). Diese Zahl ist je nach
den Lebensbedürfnissen und der Vermehrung der einzelnen Arten, sowie
nach der Zahl ihrer Feinde usw. sehr verschieden, so daß die einen Arten
häufiger, die anderen seltener vertreten sind. So herrscht also zwischen den
Mitgliedern der Lebensgemeinschaft ein gewisses Zahlen Verhältnis,
welches unter normalen Umständen annähernd konstant bleibt.
Diese Beständigkeit der Fauna und Flora ist uns eine so alltägliche und
gewohnte Erscheinung, daß sie uns ganz selbstverständlich dünkt. Sie ist aber
in Wirklichkeit keineswegs so einfach zu erklären. Wenn wir die vielen Fak-
toren (die zum Teil reine Zufälligkeiten darzustellen scheinen) berücksichtigen,
durch deren Zusammenwirken die Beständigkeit gewährleistet wird, so müssen
wir uns vielmehr darüber wundern, daß das Floren- und Faunenbild eine
verhältnismäßig so große Konstanz aufweist.
Schon die Art der Vermehrung der Organismen scheint in einem
direkten Gegensatz zu jener Beständigkeit zu stehen; denn sämtliche Orga-
nismen vermehren sich in geometrischer Progression, d. h. die In-
dividuenzahl jeder folgenden Generation stellt ein mehrlaches der Individuen-
zahl der vorhergegangenen Generation dar. Demnach müßte die Zahl der
Nachkommen von Generation zu Generation eine Steigerung erfahren.
Nehmen wir z. B. einen Schmetterling, der 150 Eier legt, so kann unter
günstigen Umständen wohl ein Drittel dieser Eier im nächsten Jahr Weibchen
liefern, die begattet werden und selbst wieder je 150 Eier, also im ganzen
7500 Eier legen. Nehmen wir nun wieder an, daß nur ein Drittel dieser Eier (also
Insektenvertilgung durch Witterungseinflüsse. 223
2500 Stück) im darauffolgenden Jahr sich zu fortpflanzungsfähigen Weibchen
entwickeln, so beträgt die Zahl der von den Nachkommen eines einzigen
Weibchens produzierten Eier schon im zweiten Jahre 375000 Stück. Aber
auch bei einer weit geringeren Fortpflanzungsziffer erreicht die Zahl der
Nachkommen bereits in relativ kurzer Zeit eine schwindelnde Höhe. „Eine
Vogelart, die 5 Jahre lebt und die in diesem Leben 4 mal je 4 Junge erbrütet,
würde sich in bereits 15 Jahren auf = 2 Milliarden vermehren" (Weismann).
Da nun aber, wie oben betont, unter normalen Bedingungen keine
merkliche Steigerung der Individuenzahl eintritt, so muß also stets ein
großer Teil der Nachkommen zugrunde gehen, resp. vernichtet
werden, und zwar, bevor sie zur Fortpflanzung gelangen. Es sind eine
ganze Reihe von Faktoren, welche sich in dieses Vernichtungswerk teilen,
und so bewirken, daß die den Organismen innewohnende gewaltige Ver-
mehrungsenergie eingedämmt und das „organische Gleichgewicht" er-
halten bleibt.
Es kommen dabei hauptsächlich folgende Momente in Betracht:
1. Vernichtung durch Witterungseinflüsse,
2. Vernichtung durch die organische Umwelt,
a) durch Tiere,
b) durch Pilze,
c) durch Mikroorganismen.
1. Insektenvertilgung durch Witterungseinflüsse.
Bezüglich der Temperatur lehren uns die oben mitgeteilten Versuche
Bachmet jews, daß die Insekten sehr große Schwankungen ertragen
und selbst hohe Kältegrade überstehen können, wenn der Übergang
langsam vor sich geht. Wenn dagegen der Temperaturfall plötzlich eintritt,
dann können allerdings schon weniger tiefe Temperaturen tödlich wirken,
vor allem dann, wenn die Insekten noch nicht ihre Winterquartiere auf-
gesucht haben. Von solchen Frostkatastrophen werden hauptsächlich die-
jenigen Insekten betroffen, welche bis spät in den Herbst hinein ihren Fraß
auf den Bäumen ausüben, wie die Raupen des Kiefernspinners und -Spanners,
bei welchen denn auch schon mehrmals ein massenhaftes Erfrieren nach früh
eintretenden Frösten beobachtet wurde. (Ratzeburg, Waldverderber I, S. 64.)
Befinden sich die Insekten bereits in ihren Winterquartieren oder in
ihren normalen Überwinterungsstadien, so sind sie der Gefahr des Erfrierens
weit weniger ausgesetzt; ich erinnere an das Nonnenei, welches selbst bei
Temperaturen von — SO*' C. nicht zugrunde geht oder an die im Boden über-
winternden Tachinentönnchen, welche bei — 20^ noch lebensfähig bleiben usw.
Eine sehr schädliche Wirkung können Temperatureinflüsse aber wieder
erlangen, wenn die überwinternden Insekten durch einige abnorm warme Tage
vorzeitig aus ihrer Winterruhe geweckt oder zu früh zum Auskriechen ver-
anlaßt werden, indem dann bei Temperaturrückschlägen viele derselben durch
Erfrieren zugrunde gehen.
Auch große Hitze und Trockenheit können zur Beschränkung der
Insektenvermehrung beitragen, worauf Knoche hingewiesen hat. Nach
224 Kapitel VI. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
diesem Autor vermögen Temperaturen von 30 — 40^ C, wie sie in kahl oder
stark lichtgefressenen Beständen in heißen Sommertagen vorkommen können,
das frisch gelegte Nonnenei dermaßen zu schädigen, daß der sich ent-
wickelnde Embryo abstirbt, oder wenigstens so geschwächt wird, daß das
auskommende Räupchen den geringsten Unbilden zum Opfer fällt.
Die Feuchtigkeit (Regen) kann ebenfalls als insektenvernichtender
Faktor wirken. So können starke Platzregen zur Flugzeit der Schmetterlinge
eine große Menge derselben vertilgen oder wenigstens das Fortpflanzungs-
geschäft empfindlich stören; auch Raupen und Larven können dadurch
massenweise zugrunde gehen, entweder direkt (durch Ertrinken), oder auch
indirekt (durch Veränderung des Futters und darnach folgende Krankheiten).
Auch starke Durchfeuchtung des Bodens im Winter kann den über-
winternden Larven und Puppen recht gefährlich werden, und zwar ebenfalls
sowohl direkt als auch indirekt, durch Begünstigung der Pilzvegetation.
Endlich können auch noch starke Winde dem Insektenleben Verluste
beibringen, besonders, wenn es sich um Gegenden handelt, die nicht weit
von der Küste entfernt liegen. Daß große Schwärme von Insekten weit im
Meer angetroffen werden, ist garnicht so selten; auch findet man häufig die
Küste bedeckt mit angeschwemmten Insekten, welche durch den Sturm aufs
Meer verschlagen wurden und dort den Tod fanden. So sind schon mehr-
fach große Flüge der Nonne durch heftige Stürme auf die Ostsee getrieben
worden und daselbst umgekommen.
Wir haben ja oben schon der im Jahre 1856 von den Wellen angespülten
enormen Mengen von Nonnenfaltern Erwähnung getan, die die Kurländische Küste
auf eine Strecke^ von 70 km bedeckten. Auch an den preußischen Küsten sind
1854, 55 und 56 Nonnenfalter in unzählbaren Mengen vom Wasser, mitunter noch
lebend, angetrieben, bis fast nach Danzig hinauf, bei Labiau am kurischen Haff,
beim Seebad Kranz, bei Pillau und längs der Nehrung. Ebenso berichteten zu
jener Zeit Seefischer, daß sie größere Schwärme dieser Falter 3 — 5 Meilen vom
Strande auf der Ostsee angetroffen haben, wobei Boot und Segelzeug mit Faltern
stark beflogen waren.
Als indirekten Beweis dafür, wie verderblich der Wind für fliegende
Insekten werden kann, können wir auch die oben schon berührte Er-
scheinung auffassen, daß auf Inseln die Mehrzahl der Insekten die Flügel
rückgebildet haben, was zweifellos eine Anpassungserscheinung bedeutet,
duich welche die Gefahr, ins Meer verweht zu werden, wesentlich
reduziert wird.
2. Insektenvertilgende Tiere.
Diese spielen eine weit größere Rolle für die Niederhaltung der Forst-
insekten als die Witterungseinflüsse; ja, auf ihre Tätigkeit ist in erster
Linie die Erhaltung des organischen Gleichgewichtes zurück-
zuführen. Es kommen dafür hauptsächlich in Betracht die Säugetiere,
Vögel, Insekten und andere Arthropoden. Der Anteil, welcher den
einzelnen Tieren bei der Eindämmung der Schädlingsvermehrung zukommt,
ist sehr verschieden je nach der Art des Schädlings; so spielen bei dem
einen die Säugetiere oder Vögel, bei dem anderen die Raubinsekten oder
Parasiten die Hauptrolle. Es muß dies jedenfalls von Art zu Art besonders
Insektenvertilgende Tiere. 225
festgestellt werden, und es ist durchaus unstatthaft, in diesem Punkte ver-
allgemeinern zu wollen, und z. B. etwa anzunehmen, daß, wenn wir nur eine
genügende Anzahl Vögel in unseren Wäldern hätten, sämtliche Forstinsekten
aus den letzteren verschwinden würden.
Leider sind wir heute noch recht ungenügend über die Rolle der ver-
schiedenen insektenvertilgenden Tiere (vor allem der Insekten) im einzelnen
unterrichtet, und es wird eine der dringendsten Aufgaben der zukünftigen
Forschung sein, darüber möglichste Klarheit zu schaffen. Denn damit wird
sicherlich in vielen Fällen auch das Dunkel, das über die Entstehung der
Insektenkalamitäten meistenteils noch herrscht, erhellt werden.
Im folgenden sei nur eine allgemeine Übersicht über die insekten-
tötenden Tiere gegeben, während im speziellen Teil bei der Besprechung
der verschiedenen Forstschädlinge noch näher im einzelnen darauf ein-
gegangen wird, indem bei allen wichtigeren Schädlingen die hauptsächlichsten
Feinde genannt werden.
a) Säugetiere.
Wenn auch die Säugetiere infolge ihrer relativ geringen Arten- und
Individuenzahl den anderen insektentötenden Tieren wesenilich nachstehen,
so bedeuten sie doch im Kampfe gegen gewisse Schädlinge eine nicht zu
unterschätzende Hilfe für den Forstmann.
Beginnen wir mit den Fledermäusen {Chiroptera\ so stellen diese ein
stattliches insektenvertilgendes Heer dar. Leben doch die meisten der
deutschen Arten ausschließlich von Insekten, und ist auch ihr Nahrungs-
bedürfnis ein sehr großes, so daß z. B. durch ein Dutzend Maikäfer oder
hundert Fliegen, während einer Mahlzeit genossen, der Hunger einer größeren
Art bei weitem nicht gestillt wird. Sie liegen denn auch während der
ganzen Nacht mit nur wenigen, kurzen Ruhepausen der Jagd auf fliegende
Insekten ob, die sie in großer Zahl erbeuten. Diese Art der Jagdausübung
schließt auch fast vollkommen aus, daß etwa nützliche Tiere, wie Parasiten-
larven oder auch die Imagines von Parasiten und Raubinsekten vernichtet
werden, da ja fast keine der letzteren eine nächtliche fliegende Lebensweise
besitzen. So ist also die Insektenvertilgung der Fledermäuse ziemlich ein-
wandfrei, indem neben den völlig gleichgültigen fast nur schädliche Insekten
ihr zum Opfer fallen, und wir können daher mit Recht „die Waldfledermäuse
im engeren wie im weiteren Sinne als des Forstmanns beste Freunde und
Gehilfen" (AI tum) bezeichnen. Wie sehr die Fledermäuse auch zur Er-
haltung des organischen Gleichgewichtes beitragen können, zeigt ein von
AI tum berichteter Fall, in dem nach Vertreibung der Fledermäuse durch
Fällen alter, zahlreiche Verstecke bietender Eichen die Prozessionsspinner-
gefahr wesentlich erhöht wurde. Die forstlich wichtigste Fledermaus ist
zweifellos unsere größte Art, die sog. frühfliegende Fledermaus
iVesperugo noctulä)^ indem diese einmal t3'pische Waldbewohnerin ist und
sodann auch sehr häufig vorkommt. Sie ist unersättlich bei der Vertilgung
der Maikäfer und größerer und kleinerer Nachtschmetterlinge, z. B. der
Prozessionsspinner, Eichenwickler usw. Ihr gegenüber treten die anderen
Escherich, Forstinsekten. 15
226 Kapitel VI. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
den Wald bewohnenden oder wenigstens besuchenden Arten, wie V. discolor,
ptpistrellus, serotinus, Leisleri^ murimts usw. an Bedeutung für den Forst-
mann mehr oder weniger zurück, wenn natürlich auch durch sie fortwährend
eine Anzahl Forstinsekten vernichtet wird.
Aus der Ordnung der Insektenfresser (Jtisectivora) seien zunächst die
Spitzmäuse genannt, welche ebenfalls einen nicht geringen Anteil an der
Vernichtung der Insekten haben. Forstlich am wichtigsten ist die Wald-
spitzmaus {Sorex vulgaris)^ welche als Waldbewohnerin zahlreiche Larven
und Puppen von Forstinsekten verzehrt. Tauber fand im Magen einer
Waldspitzmaus 17 Tipulalarven, in anderen verschiedene Eulenraupen, Bibio-
larven, Rüsselkäfer usw., und Borries berichtet, daß er eine Menge
Lophyrus-Kokons gefunden habe, welche in ganz charakteristischer Weise
von Spitzmäusen geöffnet und ausgefressen waren. Überaus wertvoll als
Insektenvertilger ist ferner der Maulwurf {Talpa europaeä). Wenn auch für
gewöhnlich seine Hauptnahrung in Regenwürmern besteht, i) so stiftet er
doch in engerlingi-eichen Gegenden großen Nutzen durch massenhaftes Ver-
nichten dieser so überaus schädlichen Larven. Wie sehr der Maulwurf
durch Engerlinge angezogen wird, konnte ich deutlich im Kammerforst bei
Bruchsal in Baden sehen, wo in solchen Gebieten, die vom Engerling besetzt
waren, eine Unmenge Maulwurfshaufen, einer dicht neben dem anderen, vor-
handen waren, während in benachbarten engerlingfreien Gebieten die Haufen
fast völlig fehlten. Daß auch der Igel (Erinaceus europaeus) sich an der
Insektenvertilgung beteiligt, ist ja allbekannt. Magenuntersuchungen ergaben
die Reste von großen und kleinen Laufkäfern, Rüsselkäfern, Blattflöhen,
Ameisen, Ohrwürmern usw.
Auch Mitglieder der Ordnung der Raubtiere {Carnivora) nehmen ge-
legentlich oder auch als Hauptnahrung Insekten zu sich. Dem Waidmann
am bekanntesten ist dieses vom Fuchs, in dessen Losung sich sehr häufig
die unverdauten Reste aller möglichen Insekten finden. Forstlich bemerkens-
wert in dieser Beziehung ist eine Notiz aus Lieberose in der Lausitz, nach
welcher in den dortigen Kiefernwäldern gelegentlich eines Spinnerfraßes die
Losung des Fuchses voll von Eiern der Schmetteilinge gefunden wurde,
welche er verzehrt hatte (Wagner, Tharandter Jahrb., 23. Band); dasselbe
berichtet AI tum aus Ebers walde, und die Tharandter Sammlung besitzt eine
Fuchslosung aus einem bayerischen Nonnenrevier, die mit Resten von
Nonnenfaltern und -eiern durchsetzt ist. Ähnliches gilt vom Dachs, dessen
Exkremente nach AI tum stets eine Menge Käferfragmente, besonders der
großen Geotrup es- Arten enthalten; nach Boas wird der Dachsmagen häufig
auch mit Engerlingen angefüllt gefunden.
Von den Nagern (i?0(^^«//«) kommen als Insektenfresser das Eichhorn,
der Gartenschläfer und verschiedene Mäuse in Betracht. Nach AI tum
1) C r i s p fand (nach Tauber) in mehr als 1000 Mägen des Maulwurfs fast
ausschließlich Regenwürmer und Boas berichtet von einem Wintervorrat in einer
Maulwurfswohnung, der neben 1280 Regenwürmern (41/4 Pfund!) nur 18 Enger-
linge enthielt. Tauber untersuchte 50 Mägen und fand in allen Regenwürmer,
nur 11 enthielten außerdem noch Schmetterlingspuppen, Käferlarven (Elateriden,
Phyllopertha, Carabiden, Staphyliniden), Ohrwürmer, Eulenraupen, Tipula- und
5/6/o-Larven.
Insektenvertilgende Tiere. 227
findet man bisweilen im Frühjahr den Magen des Eichhörnchens mit den
Resten des Maikäfers angefüllt, und E. Jordan fand bei. mehreren im Erz-
gebirge zur Fraßzeit von Lyda hypotrophica erlegten Exemplaren den Magen
bis zum Bersten mit den Larven dieser Blattwespe vollgestopft (Deutsche
Jäger-Zeitung, 44. Bd., 1904, S. 26); derselbe beobachtete ferner, wie die
Eichhörnchen bei Eichenwicklerkalamitäten die Raupen des Eichenwicklers
systematisch aus ihren Gespinsten herausholten und verzehrten. Von den
Mäusen werden vor allem Mus silvaticus und Arvicola arvalis als Vertilger
von Forstinsekten, spez. von Lophyrus-K.okor\?, genannt.
Als ein wichtiges Gegengewicht gegen die in der Erde lebenden oder
überwinternden Insekten ist schließlich noch ein Tier aus der Ordnung der
Paarzeher {Artiodactyla) zu nennen, nämlich das sonst so schädliche Wild-
schwein. Drei der wichtigsten Forstinsekten, Engerling, Kiefernspanner
und -Eule werden vom Schwarzwald wesentlich in ihrer Vermehrung be-
schränkt. Auch die halbwüchsig überwinternden Raupen des Kiefernspinners
werden von ihm verzehrt, oder jedenfalls durch das Brechen der Sauen
empfindlich gestört, herausgewühlt, verschüttet und zertreten. Wagner be-
richtet aus Lieberose, daß die Wildschweine auch die Schmetterlinge des
Spinners verzehrten ; es wurden Sauen beobachtet, die sogar mit den Vorder-
läufen sich an den Bäumen aufrichteten, um der Schmetterlinge habhaft
zu werden.
b) Vögel.
Viel allgemeiner bekannt als die insektenvertilgende Rolle der Säuge-
tiere ist der Nutzen, welche die Vögel der Garten-, Land- und Forstwirt-
schaft durch Vernichtung schädlicher Insekten bringen. Bei der großen
Arten- und Individuenzahl der Vögel und bei ihrer offenen Lebensweise, die
dem Gärtner, Land- und Forstwirt die Insektenvertilgung täglich gewisser-
maßen ad oculos demonstriert, ist dies ohne weiteres verständlich. Dazu
kommt, daß die Vögel infolge ihres Gesanges, ihrer Brutpflege usw. dem
Empfinden des Menschen besonders nahestehen und daher von jeher auch
seine besondere Aufmerksamkeit erregt haben.
Daß die Vögel einen gewaltigen Faktor in der Dezimierung der über-
schüssigen Nachkommen der Insekten spielen müssen, läßt sich einmal schon
aus der großen Zahl der insektenfressenden Vögel ableiten und so-
dann auch aus ihrem starken Nahrungsbedürfnis. Wie groß letzteres
ist, darüber geben uns die Versuche, die Rörig in den Flugkäfigen der
Biologischen Reichsanstalt in Dahlem vorgenommen hat, einigen Aufschluß:
2 Kohlmeisen verzehrten zusammen von 6 Uhr morgens bis 7 Uhr abends
187 Puppen des Weiden- und Ringelspinners; 3 Blau- und 3 Tannenmeisen
zusammen täglich eine zeitlang 9500 — 10000 Eier des Kiefern- und Prozessions-
spinners; 3 Sumpfmeisen, 1 Tannenmeise, 1 Schwanzmeise und 3 Gold-
hähnchen brauchten zur Verzehrung von 600 Kiefernspannerraupen etwas
mehr als 1^/2 Stunde; dieselben Vögel verzehrten von „vormittags ^/.jll Uhr
bis zum Abend 1096 und an einem ganzen Tag 1876 Raupen. Außer diesen
Ergebnissen liefern auch die oft überraschend großen Zahlen, die bei den
15*
228 Kapitel \^. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
Magenuntersuchungen zutage gefördert werden, deutliche Beweise dafür, wie
groß das Nahrungsbedürfnis der Vögel im allgemeinen ist.
Es steht also fest, daß enorme Mengen von Insekten durch die Vögel
vernichtet werden. Doch diese Erkenntnis allein kann dem Forstentomologen
nicht genügen; er muß vielmehr auch wissen, welcher Art die Insekten,
die den Vögeln zum Opfer fallen, sind: handelt es sich in der Haupt-
sache um forstlich völlig gleichgültige Insekten, so hat die Tätigkeit der
Vögel für den Forstentomologen nur wenig Wert; oder werden gar nützliche
Insekten von den Vögeln getötet, so muß ihre Tätigkeit geradezu als schädlich
bezeichnet werden. Nur wenn wirklich forstlich schädliche Insekten in merk-
licher Anzahl von den Vögeln verzehrt werden, bedeuten letztere eine Hilfe
für den Forstmann. Diese Frage stellt geradezu die Grundlage des ganzen
Vogelproblems dar, und es ist daher notwendig, daß die wissenschaftliche
Erforschung hier einsetzt.
Es ist in dieser Beziehung auch schon viel geschehen, wie vor allem
aus der großen Menge der vorgenommenen Magenuntersuchungen, die
uns ja am besten Auskunft über die verzehrten Insekten geben, hervorgeht.
Da diese Untersuchungen außerdem vielfach auch noch Ergänzungen durch
direkte Beobachtungen erfahren haben, so sind wir heute über die Er-
nährungsart, resp. den Speisezettel der wichtigsten der unsere Wälder be-
völkernden Vögel recht gut unterrichtet.^)
Wir wollen mit dem Kuckuck beginnen, der in bezug auf die forsdiche
Bedeutung ohne Zweifel in die erste Reihe zu stellen ist. Es sind haupt-
sächlich zwei Eigenschaften, welche dem Kuckuck diesen Ehrenplatz sichern:
einmal die aus dem Brutparasitismus sich ergebende örtliche Ungebundenheit,
die es ihm ermöglicht, stets dahin zu ziehen, wo große Raupenansammlungen
usw. vorhanden sind, und sodann seine eigenartige Geschmacksrichtung, die
ihn neben anderen vor allem solche Insekten fressen läßt, welche von den
meisten anderen Vögeln nur ungern genommen oder gänzlich gemieden
werden, nämlich besonders die haarigen Raupen (wie die Prozessions-
spinner-, Nonnen-, Kiefernspinner-, Goldafter-, Schwammspinnerraupen usw.),
ferner die Blattwespenlarven {Cimbex, Lophyrus, Lyda) und die Larven ge-
wisser Blattkäfer usw., — Insekten, die teilweise zu den schlimmsten Forst-
schädlingen gehören.
Um über die Qualität und die Quantität der Kuckucksnahrung einen Begriff
zu geben, seien hier einige Magenbefunde mitgeteilt. In je 1 Kuckucksmagen be-
fanden sich:
88 halbwüchsige Raupen des Eichenprozessionsspinners,
97 zweidrittelwüchsige Raupen des Eichenprozessionsspinners,
43 erwachsene Raupen des Eichenprozessionsspinners,
98 Raupen des Eichengoldafters {Euproctis chrysorrhoea),
60 Raupen des Eichengoldafters, zusammen mit Maikäfern,
50 Raupen des hellen Goldafters [Porthesia similis),
49 Raupen des Schwammspinners,
17 Raupen und 1 Puppe der Nonne,
^) Vergl. hierzu' Baer, W., Die Bedeutung der insektenfressenden Vögel für
die Forstwirtschaft („Aus der Natur" 1913), worauf in den folgenden Ausführungen
mehrfach Bezug genommen ist.
Insektenvertilgende Tiere. 229
0 Raupen und 10 Puppen der Nonne,
J73 junge Raupen des Ringelspinners,
63 flügellose Weibchen des Schlehenspinners iOrgyia antiqua), darunter 5 mit
den noch anhängenden begattenden Männchen,
110 Raupen des Eichenwicklers, zusammen mit 10 Maikäfern,
52 erwachsene Larven von Lyda hypotrophica,
18 fast erwachsene Raupen des Kiefernspinners,
20 — 30 erwachsene Raupen des Wollafters {Bomb, lanestris).
Außerdem wurden durch die Magenuntersuchungen zutage gefördert: Raupen
des Kiefernschwärmers in allen Größen, des Trauermantels, Eichenspinners
(Z,. quercus), von Agrotis Arten (bis 16 Stück in einem Magen), ferner von Cossus,
Hybernia defoliaria, des weiteren Larven von Hemichroa alm\ Junikäfer {Rhisotrogus
solstitialis), Walker (Polyphylla fullo), Saperda carcharias, Drahtwürmer, und sehr
häufig endlich die Maulwurfsgrille.
Geht schon aus diesen Magenuntersuchungen hervor, daß der Kuckuck in
der Hauptsache schädliche Forstinsekten, und zwar in großer Menge, frißt, und
sich daher forstlich sehr nützlich macht, so zeigen uns auch noch eine Anzahl
direkter Beobachtungen, wie sehr der Kuckuck zur Verminderung der
Raupenplagen usw. beitragen kann. Ein drastisches Beispiel hierfür berichtet
AI tum: In einem isolierten Kiefernstangenholz in Pommern hatte sich die Nonne
mehrere Jahre hindurch immer bedrohlicher vermehrt, so daß hier ein schlimmer
Ansteckungsherd für die Umgebung zu entstehen drohte. Als die Raupen ziemlich
erwachsen waren, sammelten sich in kurzer Zeit etwa 100 Kuckucke an, deren Zahl
trotz Abschuß von 57 Stück (zum Zweck von Magenuntersuchungen) infolge neuen
Zuzuges nicht abnahm. Nach ca. zwei Wochen verschwanden sie wiederum, und
— der Nonnenherd war, wie die Folge lehrte, vollständig gesäubert. — Eine ähn-
liche Erfahrung machte AI tum mit dem Schwammspinner: Einst wandte
sich ein Weidenzüchter an AI tum mit der Bitte um Abhilfe gegen den genannten
Schädling, der seine Heger bereits teilweise kahlgefressen hatte. Noch bevor der
Notschrei beantwortet war, hatte sich eine Menge Kuckucke eingefunden, die in
kurzer Zeit der Plage ein Ende machten. Auch den Schwammspinnerkalamitäten
in Ungarn erwies sich der Kuckuck meist als der weitaus wichtigste Gegner.
Ebenso wurde manche beginnende Massenvermehrung des Eichenprozes-
sion sspinners und des Kiefernspinners nach A 1 1 u m durch die zahl-
reich zuwandernden Kuckucke im Keime erstickt. Ähnliche Berichte liegen über
die eindämmende Wirkung des Kuckucks bei Massenvermehrungen der verschie-
denen Blattwespen, vor allem Lyda und Lophyrus vor, — so daß wir also dem
Kuckuck jedenfalls eine sehr bedeutende Rolle bei der Niederhaltung der Ver-
mehrung unserer wichtigsten Forstschädlinge zuschreiben müssen. —
Dem Kuckuck am nächsten bezügl. der Nahrung kommt der Pirol
{Orioliis galbuld), indem derselbe ebenfalls ein ausgesprochener Liebhaber
von behaarten Raupen ist; vor allem scheint er Ringel- und Kiefernspinner-
raupen zu lieben, doch auch in Nonnenrevieren hat man schon größere
Ansammlungen des schönen Vogels gesehen. Er macht sich außerdem auch
als ständiger Bekämpfer des Maikäfers und des Eichenwicklers dem Forst-
nianne nützlich.
Eine hervorragende Stellung unter den insektenfressenden Vögeln
nimmt der Star {Sturniis vulgaris) ein; denn einmal hat er einen sehr
großen reichhaltigen Speisezettel, der auch behaarte Raupen und übel
schmeckende Blattwespenlarven mit einschließt, und sodann ist er sehr häufig
und tritt meist in großen Schwärmen auf. Dazu kommt, daß ihn der Wirt-
schafter sozusagen in der Hand hat, indem er ihn durch Anbringen einer
entsprechenden Zahl von Nistkästen beinahe überallhin ziehen kann, wo er
230 Kapitel VI. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
ihn braucht. Mit wenigen Ausnahmen, die reine Spezialitäten des Kuckucks
sind (wie z. B. Goldafterraupen), nimmt der Star so ziemlich alle Forst-
schädlinge, die ihm vor den Schnabel kommen, zu sich, seien es im Boden
lebende Engerlinge, Drahtwürmer, Schnakenlarven oder Eidraupen, oder
seien es Maikäfer, Rüsselkäfer, Nonnenraupen, oder andere Spinner, oder
Eichenwickler usw. Bei großen Nonnenkalamitäten sammelt er sich oft in
ungeheuren Schwärmen in den befallenen Revieren an, und räumt dann ge-
hörig unter den Raupen, Puppen oder Faltern auf.
Unter den rabenartigen Vögeln {Corvidae) besitzen die Krähen
CNebel-, Saat- und Rabenkrähen) bezügl. der Insektenvertilgung eine gewisse
Ähnlichkeit mit dem Star. Gleich diesem sind sie wenig wählerisch in der
Nahrung und gleich ihm treten sie auch in größeren Gesellschaften oder
Scharen auf. Wie der Star bilden die Krähen ein ständiges Gegengewicht
gegen die Engerlinge, Drahtwürmer und die anderen in der Erde lebenden
Larven, und ebenso erscheinen sie auch bei Nonnen-, Kiefernspinner-, Eichen-
wickler- und Maikäferkalamitäten usw. auf dem Schauplatz, um tatkräftig an
der Vertilgung dieser Schädlinge teilzunehmen.
Nach Alt um haben Saatkrähen dur(!h Vertilgung großer Mengen Kiefern-
spinnerkokons in zwei Fällen dem preußischen Staat namhafte Summen erspart, in
dem einen mindestens 5000 M. — Magenuntersuchungen, die hauptsächlich an Raben
und Nebelkrähen durch Rörig und andere vorgenommen wurden, förderten den
verschiedensten Inhalt zutage; so fand sich z. B. in je einem Magen 294 Zangen
des Ohrwurms, 50 Nonnenraupen, 30 Nonnenpuppen, 19 Maikäfer, ferner wurde
häufig in den Mägen angetroffen Rhisotrogits, Phyllopertha, Schnell- und Rüssel-
käfer {Hylobius, Otiorhynchus), ferner Puppen des Kiefernspinners und eierstrotzende
Nonnen- und Schwammspinnerweibchen.
Der ebenfalls zu den Corviden gehörende Eichelhäher steht in
einem gewissen Gegensatz zu den Krähen, insofern, als er den Sommer über
ein stilles und einsames Leben führt und durch sein ständiges Vertilgen der
einzelnen auf den Bäumen lebenden Insekten mehr vorbeugend als kalamitäten-
lindernd wirkt. Wie mannigfaltig seine Nahrung ist, lehren wiederum die
Magenuntersuchungen^ welche die bunteste Insektensammlung lieferten.
„Da stößt man auf die beerenartigen Weibchen der Fichtenschildlaus (Lee.
hemicryphum), Buchen- und Eichenblattgallen (Hornomyia fagi und Neuroterus
ttumismalis), ausgehöhlte Fichtennadeln mit den darin befindlichen Räupchen von
Graph, tedella, Raupen, Puppen und eierstrotzende Weibchen des Kiefern-
schwärmers, die Raupen des Mondvogels, von Agrotis und anderen Eulen,
Ameisen, Lophyrus-Kokons, Schnell- und Rüsselkäfer, besonders Hylobius. Ein
Magen fand sich bis zum Bersten gefüllt mit den geflügelten Weibchen der Holz-
ameise iCamponotus), ein anderer enthielt 40 Stück der Eichenblätter abfressenden
Raupen von Brachionycha sphinx^ weitere Puppen von Tortrix murinana und be-
sonders Raupen des Kiefernspanners, von letzterem bis zu 47 Stück. Eine be-
sondere Eigenheit des Eichelhähers ist, im Winter die Eierringel des Ringelspinners
samt dem Zweigstück, an dem sie sitzen, auszubrechen und im ganzen zu ver-
schlingen. Nicht nur aus wiederholten Funden ist dies zu schließen, sondern es ist
auch direkt beobachtet worden. Daß es sich dabei um ein wirkUches planmäßiges
Absammeln handelt, geht daraus hervor, daß ein Kropf bis zum Bersten mit solchen
Bruchstücken angefüllt war." (W. Baer.)
Unter den Kleinvögeln nehmen die Meisen {Paridae) im weiteren Sinne
(also inklusive Goldhähnchen, Spechtmeise und Baumläufer) die erste Stelle
Insekten vertilgende Tiere. 231
ein, ja sie gehören neben dem Kuckuck und Star entschieden zu den forstlich
nützlichsten Vögeln überhaupt. Verschiedene Momente begründen diese
hervorragende Nützlichkeit: Die Meisen sind immer in großer Anzahl im
Wald vorhanden, indem ihre bedeutende Fruchtbarkeit stets reichlich die
Lücken ergänzt, die ein ungünstiger Winter in ihre Reihen gebracht hat.
Besonders wichtig ist ferner, daß sie nicht fortziehen, sondern im Sommer
und Winter ununterbrochen ihre nützliche Arbeit verrichten. Ihre geringe
Größe, dabei ihre außerordentliche Geschicklichkeit im Klettern gestatten
ihnen, auch die kleinsten Ästchen nach Eiern, Puppen und Larven ab-
zusuchen; was sie an dem einen Tage nicht finden, das verzehren sie an
dem anderen, denn in größeren und kleineren Gesellschaften bejagen sie
regelmäßig wiederkehrend ihre Reviere. Dabei verteilen sie sich auf die
verschiedensten Insekten, indem die einzelnen Arten auf verschiedene Holz-
gruppen und Höhen besonders angewiesen sind. Sie stellen also gewisser-
maßen eine über den ganzen Wald ausgebreitete Polizei dar, welche mit
großer Beständigkeit an der Entfernung überschüssigen Insektenlebens
arbeitet und so in eminentem Maße als vermehrungsbeschränkender und
kalamitätenvorbeugender Faktor wirkt. In deutlicher Weise können wir dies
in den Eichenwaldungen der Umgebung der berühmten Vogelschutzstation
des Freiherrn von Berlepsch ersehen, die infolge der zahlreichen dort an-
gesiedelten Meisen unter dem Eichenwickler garnicht zu leiden haben,
während die unweit davon gelegenen Wälder, in denen nichts für die Ver-
mehrung der Meisen geschehen ist, von dem genannten Schmetterling bereits
wiederholt kahl gefressen wurden. Auch da, wo eine Massenvermehrung
stattgefunden hat, helfen sie an deren Bekämpfung mit; so berichtet Rörig,
daß in einem Nonnenrevier große Meisenschwärme erschienen sind, welche
die Stämme nach den unter den Rindenschuppen abgelegten Nonneneiern
absuchten, wobei es so lebhaft zuging, daß ein eigenartiges Geräusch den
Wald erfüllte. Und bei einer vor kurzem in Oberbayern eingetretenen
Kiefernblattwespenkalamität scheinen die Meisen im Verein mit Spechten
und Staren das Ende des Fraßes herbeigeführt zu haben. Man sah die
Meisen in auffallender Zahl den ganzen Winter über den in den Rindenritzen
befindlichen Kokons der genannten Wespe nachstellen, so daß die Stämme
infolge der Säuberung bald „wie gerötet" erschienen, und es fand dann auch
im folgenden Sommer kein weiterer Fraß statt (Deutsche Forstzeitung 1906,
S. 422). Die Nahrung der Meisen ist eine sehr vielseitige: außer den ge-
nannten Insekten werden von ihnen gefressen die Eier des Schwamm- und
Ringelspinners, die Puppen der Nonne, des Kiefernspinners, Prozessions-
spinners und vieler anderer Spinner, ferner die ungeflügelten Weibchen des
Frostspanners, die Räupchen der verschiedenen Kleinschmetterlinge, wie der
Lärchenminiermotte, des Kieferntriebwicklers, der Fichtennadelminierer, der
Tannenwickler (es wurden einmal 122 Räupchen von Tortrix rufimitrana im
Magen einer Tannenmeise gefunden), des Eichenwicklers usw., ferner Blatt-
läuse, Schildläuse, Erdflöhe, Rüsselkäfer, Borkenkäfer usw.
Auch die Würger {Laniidae)^ die in Deutschland durch 4 Arten ver-
treten sind, gehören zu den Vertilgern schädliche] Insekten. Sie durchsuchen
232 Kapitel VI. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
nicht das Gezweige wie die eben besprochenen Vögel, sondern machen,
gleich Raubvögeln von Spähsitzen aus, ihre Jagd auf Insekten. Es sind da-
her auch meist andere Tiere, als die eben genannten, die ihnen zur Beute
fallen, wie Laufkäfer, Mai- und Junikäfer, Schnell- und Rüsselkäfer, Laub-
und Feldheuschrecken, und mitunter auch Hummeln und Wespen. Bei
Lantus collurio fanden sich im Magen auch Saperda popiihtea^ ausnahms-
weise auch Engerlinge und Cossws-Raupen.
Die Drosseln {Turdidae) und ihre Verwandten (Nachtigall, Rotkehlchen,
Rotschwänzchen) machen sich hauptsächlich durch das Verzehren der unter
der Laub- und Moosdecke des Waldes lebenden Insekten wie der Spanner-
und Eulenpuppen, Weichkäfer- und Schneckenlarven, Drahtwürmer usw.
forstlich nützlich.
Die Grasmücken {Syliidae) und ihre Verwandten (Laubvögel), sind
ebenfalls eifrige Insektenvertilger, halten sich aber im Gegensatz zu den
vorigen mehr an die im Dickicht oder auf Bäumen lebenden Insekten, wie
vor allem Spanner und Kleinschmetterlingsraupen. Ein besonderes Lob
unter ihnen verdient nach AI tum der Weidenlaubsänger {Phylloscopits rnfus),
der allen Wicklern und Spannerraupen bis in die Gipfel der Eichen und
Kiefern so emsig nachstellt, wie wohl keiner seiner Verwandten.
Auch die Bachstelzen {Motacillidae) beteiligen sich, wenn sie auch keine
eigentlichen Waldbewohner sind, an der Vernichtung von Forstschädlingen.
So vertilgen sie auf den Schlägen und an den Waldrändern eine Menge In-
sekten, sie suchen ferner emsig die Meterstöße ab, namentlich im warmen
Sonnenschein, wenn Borkenkäfer usw. gern fliegen.
Unter den Piepern {Anthus) und den Lerchen {Alauda) erlangen nur
der Baumpieper und die Heidelerche einige forstliche Bedeutung; sie ver-
tilgen alle möglichen Insekten, wie Grashüpfer, kleine Rüssel- und Schnell-
käfer, Eulenraupen usw.
Die Finkenvögel {FringUlidae) machen sich, wenngleich sie in erster
Linie Körnerfresser sind, ebenfalls forstlich nützlich. Einmal nehmen sie ja
in ihrer Jugend fast ausschließlich Insektennahrung zu sich, und sodann
lassen sich auch die alten Vögel durch überreich sich darbietende Insekten-
nahrung dazu veranlassen, zeitweilig wieder ganz den Insekten sich zuzu-
wenden. Ihre Bedeutung besteht daher weniger darin, daß sie, wie das von
den Meisen in so hervorragendem Maße gilt, ein beständiges Gegengewicht
gegen die Übervermehrung der Insekten bilden, als vielmehr darin, daß sie
bei ausgebrochenen Kalamitäten an deren Bekämpfung sich beteiligen. Es
ist vor allem der Buchfink, der infolge seiner Häufigkeit und seiner Eigen-
schaft als Waldvogel forsdich in Betracht kommt, worüber eine Reihe von
Berichten vorliegen: So sah Rörig große Finkenschwärme in Nonnen-
revieren einfallen, wo sie, wie die Magenuntersuchungen zeigten, große
Mengen von Puppen und auch Raupen der Nonne verzehrten; Wachtl be-
obachtete sie bei Kalamitäten des Tannenwicklers; v. Chernel stellte ihr
kräftiges Eingreifen bei Schwammspinnerfraß fest, und Prof. Vater berichtete
mir von einem Masseneinfall von Finken in einigen von Brachyderes stark
bedrohten Kiefernkulturen. Auch bei starkem Auftreten der Lärchen-
Insektenvertilgende Tiere. 233
miniermotte nimmt der Buchfink eifrig an der Vertilgung teil. Letztere
Motte zieht übrigens auch noch andere Finkenvögel an, wie den Erlen-
zeisig und Goldammer und sogar „die zuweilen aus dem hohen Norden
kommenden Schaaren des Birkenzeisigs [Acanthis Intaria) suchen den
Winter hindurch die erst halbwüchsigen Säckchen ab." Auch die so ein-
seitig angepaßten Körnerfresser, wie Kreuzschnabel und Kernbeißer wurden
gelegentlich bei der Vertilgung von Insekten (Eichenwickler, Nonne)
bemerkt.
Die Schwalben (Hiniiido) und Mauersegler {Aptis) kommen forstlich
kaum in Betracht, da sie ja für gewöhnlich den Wald meiden. Natürlich
fallen auch ihnen bei ihren unermüdlichen Jagden mitunter forstliche In-
sekten, die weiter ausschwärmen, zur Beute, doch treten diese gegenüber
den forsdich indifferenten Insekten, die die Hauptnahrung bilden, sehr
zurück.
Die Fliegenschnäpper {Muscicapa) sind zwar vorzugsweise Wald-
bewohner, doch die Art ihrer Insektenjagd — sie fangen meist von Späh-
sitzen aus vorbeifliegende Insekten — bringt es mit sich, daß sie mehr
indifferente Insekten oder gar nützliche, wie Tachinen, vertilgen. Doch
wurde Muscicapa atricapilla auch schon bei der Bekämpfung von Kalamitäten
beobachtet, wie z. B. von der Lärchenminiermotte und Muscicapa grisola
verschlingt, wenigstens in der Gefangenschaft, Nonnenraupen jeder Größe.
Eine größere forstliche Bedeutung als den eben genannten Vögeln
kommt der Nachtschwalbe [Caprimulgus) zu, die auf ihren nächtlichen Jagd-
flügen mit ihrem weiten Rachen alle, selbst die größten Insekten, die ihr in
den Weg kommen, wegfängt; in ihren Mägen findet man denn auch häufig
große Schwärmer und Spinner (Kiefernschwärmer, Nonne, Prozessionsspinner
usw.) neben Maikäfern, Eulen, Tipuliden usw.
Der Wiedehopf (Upupa) ist forstlich dadurch beachtenswert, daß er die
im Boden lebenden schädlichen Insekten vertilgt; es' fallen ihm regelmäßig
zur Beute Schnackenlarven, Drahtwürmer, Raupen und Puppen von Eulen
und Spannern, ferner Feldheuschrecken, und vor allem Engerlinge und Maul-
wurfsgrillen.
Die Blaurake {Coracias) teilt sich mit dem vorigen hauptsächlich in
die Vertilgung der Maulwurfsgrille und des Maikäfers; sonst wurden in
ihrem Magen vielerlei Käfer (Schnellkäfer, Prachtkäfer, Bockkäfer, Laufkäfer,
Walker, Junikäfer) gefunden, und ferner verschiedene Raupen von Eulen,
Cossus usw. Auch bei Nonnenfraß findet sie sich zuweilen in großen Flügen
ein, wobei sie allerdings neben Nonnen auch den nützlichen Puppen-
räuber frißt.
Eine ganz besondere Stellung unter den insektenfressenden Vögeln
nehmen die Spechte (Piciis) ein; ihr Körperbau ist darauf eingerichtet, daß
sie sich von den unter der Rinde oder im Holz usw. lebenden Insekten er-
nähren. Dadurch bilden sie ein Gegengewicht gegen die zahlreichen, teils
sehr schädlichen rinden- und holzbrütenden Insekten. Es ist dies um so
höher anzuschlagen, als gerade diese Insekten sonst relativ wenig unter den
Nachstellungen von Feinden — seien es Vögel oder Raubinsekten oder
234 Kapitel VI. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
Parasiten — zu leiden haben. Die Spechte stellen gewissermaßen einen
Ausgleich für dieses Manko an Parasiten usw. dar, und es würde zweifellos
die Vermehrung der Borken-, Bock- und Rüsselkäfer einen weit größeren
und für den Forstmann recht unangenehmen Umfang erreichen, wenn die
Tätigkeit der Spechte in Wegfall käme. Es ist zw^ar des öfteren der Ein-
wand erhoben worden, daß durch die Spechte doch meist nur ein kleinerer
oder größerer Prozentsatz der betreffenden Schädlinge vertilgt wird. Jedoch
abgesehen davon, daß mehrfache Beobachtungen vorliegen, wonach die
Spechte die Stämme vollständig säuberten, bedeutet jener Einwand nicht
mehr, als wenn man den Parasiten zum Vorwurf machen wollte, daß sie nur
einen Teil der ihnen zukommenden Insekten töten. Die Spechte stellen ja
nicht — ebensowenig wie eine bestimmte Parasitenart — das alleinige Gegen-
gewicht dar, sondern bilden nur ein Glied in der Kette der vernichtenden
Faktoren, allerdings ein sehr wesendiches. Immerhin darf bei der Be-
urteilung der forstlichen Bedeutung der Spechte auch nicht außer acht ge-
lassen werden, daß die meisten der von den Spechten kontrollierten Insekten
durch die moderne Forstwirtschaft, die auf möglichste Sauberkeit im Walde
dringt, an und für sich ihre Schrecken verloren haben, indem ihre Ver-
mehrung schon durch den Entzug geeigneten Brutmaterials gewöhnlich hin-
reichend eingedämmt wird. Es ist jedoch selbst bei der saubersten
Wirtschaft nicht zu vermeiden, daß stets da und dort sich kleinere Ver-
mehrungsherde von Borkenkäfer und Pissodes usw. bilden; — und hier greift
nun der Specht ein, indem er einmal der Übervermehrung direkt steuert,
und sodann indem er, was beinahe noch höher zu schätzen ist, den Forst-
mann auf die entstehenden Herde, die äußerlich anfangs kaum zu erkennen
sind, aufmerksam macht. So möchten wir also auch in unseren modernen
Wäldern den Specht auf keinen Fall missen.
Weitaus der vielseitigste und dadurch der nützlichste von unseren Spechten
ist der große Buntspecht: „Er bildet das Hauptgegengewicht gegen Pissodes,
Saperda populnea und carcharias^ den Fichtenbock, und teilweise auch gegen die
Borkenkäfer, vor allem den großen Dendroctonus micans. Im einzelnen sind Ein-
schläge von ihm bereits auf fast allen Borkenkäferarten nachgewiesen, in besonders
großem Umfang auf Ips sexdendatus, typographus, amitinus und curvidms, P. poly-
graphw^, Hylesinus fraxini, Eccoptogasier Ratseburgi, scolytus und mnltistriatus.
Ferner finden sich an den Fraßstellen der Holzwespen, Sesien, Cossus,
des Moschusbockes, Erlenrüßlers {Chryptorhyttchus lapathi), des Agrilus bi-
guttatus (26 Larven in einem Magen!) und namentlich in den ange-
schwollenen Weidenästen mit der Brut von Cecidomyia Salicis meistens
die Spuren seiner Tätigkeit. Auch dem Hylobius kommt er am Stockholz
bei. Als eine besondere Wohltat erweist er sich in Gegenden, in denen, z. B. wie
im südlichen Rußland, das Blausieb, Zeuzera, eine Plage ist, da schon eine einzelne
Raupe ein gesundes Laubholzstämmchen zu töten vermag. Auch freilebende
Schädlinge, zumal solche, die sich an Stämmen und in Rindenritzen befinden, fallen
ihm zahlreicher, als man im allgemeinen annimmt, zur Beute; so beobachtete man
ihn bei der Vertilgung von Lop hyrus -Kokons, Puppen der Nonne, des Kiefern- und
Weidenspinners, der Maikäfer, der Raupen der Kieferneule und des Kiefernspanners,
die massenhaft in den Mägen vorkamen, und endlich des Eichenwicklers, von denen
in einem Magen über 30 Raupen und 17 Puppen gefunden wurden" (B a e r). Der
mittlere und kleine Buntspecht schließen sich in ihrer Ernährung
dem vorigen an, bleiben aber infolge ihres beschränkteren Vorkommens an
Insektenvertilgende Tiere. 235
forstlicher Bedeutung wesentlich hinter diesem zurück. Der Schwarzspecht
hat es in erster Linie auf die großen Holzameisen (Camponotus) abgesehen, gegen
die er wohl das Hauptgegengewicht bildet; doch stellt er auch anderen Holz- und
Rindenbrütern nach, wie Holzwespen, Pissodes, Bockkäfer und Borkenkäfer, von
denen einmal 650 Eccopt. Ratzeburgi in einem Magen gefunden wurden (S o b o 1 e w,
Z. f. F. u. Jagdw. 1899 Seite 444). Bisweilen, wenn auch seltener, sah man ihn
in die Bodendecke einschlagen, wo sich zahlreiche Puppen vom Kiefernschwärmer,
von der Kieferneule und dem Kiefernspanner befanden.
Der Grünspecht wie der Grauspecht sucht seine Nahrung vornehm-
lich im Boden, weshalb die beiden auch als Erdspechte bezeichnet werden. In
erster Linie plündern sie die Haufen der roten Waldameisen, in die sie tiefe Löcher
einschlagen, dann auch die Nester der übrigen im Boden wohnenden Ameisen.
Ferner verzehren sie natürlich auch sonstige im Boden lebende Insekten, wie
Engerlinge, Maulwurfsgrillen, Lophyrus- Kokons, die Puppen der verschiedenen
Kiefernschmetterlinge usw. Endlich beteiligen sie sich auch, wenn auch nur in
sehr geringem Maße, an der Vertilgung von Rindeninsekten. Der Wenden hals
schließt sich im großen und ganzen dem Grünspecht und Grauspecht an.
Weit mehr, als man bis vor kurzem annahm, haben die Raubvögel
{Raptafores) an der Vertilgung forstschädlicher Insekten teil, wie durch die
zahlreichen Magenuntersuchungen, die gerade von diesen Vögeln mit be-
sonderem Eifer vorgenommen wurden, nachgewiesen wurde. Als die fleißigsten
Insektenvertilger sind der Turmfalk, Mäusebussard, Wespenbussard
und Baumfalk zu nennen, dann auch die verschiedenen Eulen und einige
Adler. Letztere kommen allerdings wegen ihrer Seltenheit praktisch kaum
in Betracht, dagegen sind die anderen, vor allem die beiden erstgenannten in
forstlicher Beziehung durchaus nicht zu unterschätzen. Einige Magenbefunde
mögen dieses erhärten:
Beim Turmfalk wurden häufig Maulwurfsgrillen (bis zu 8 Stück in einem
Kropf), Maikäfer und Eulenraupen zutage gefördert. In je einem Magen des Mäuse-
bussards fanden sich: bis zu 28 Stück Kiefernschwärmerraupen, bis zu 80 Stück
Eulenraupen, bis zu 200 Stück Spannerraupen und bis zu 39 erwachsene Engerlinge.
In einem Magen des Wespenbussards wurden nicht weniger als 1400 Spannerraupen
gezählt (Leisewitz); und ein Magen des Waldkauzes enthielt nicht weniger als
675 Raupen des Kiefernspanners.
Bei den Hühnervögeln (Rasores) spielt die Insektennahrung nur eine
untergeordnete Rolle ; immerhin verdienen einige von ihnen die Beachtung des
Forstentomologen, vor allem der Fasan, der schon mehrmals beim Vertilgen
von Kieferspinnerraupen beobachtet wurde, und in dessen Magen ver-
schiedentlich Erdraupen- und Blattwespenkokons in großen Mengen gefunden
wurden.
Auch die Tauben {Gyrantes) müssen hier erwähnt werden ; diese, galten
zwar bisher als ausgesprochene Vegetarianer, doch lehrten die Magenunter-
suchungen, daß wenigstens die Ringeltaube (C. paliimbtis) zuweilen auch
zur Insektennahrung übergeht, wenn diese in besonders reichlichem Maße
sich darbietet. So fand man in ihren Kröpfen wiederholt zahlreiche Eichen-
wicklerraupen und -puppen. Spannerraupen, Puppen und Raupen der Tannen-
wickler (nach Wachtl in einem Kropf gegen 1000 Puppen von Tortrix
murinana) und Blattwespenlarven (über 500 Larven von Nematus abietuni in
einem Kropf, vergl. Sinz, Tharandter Jahrb. 1909, S. 318).
Die Wasser- und Sumpfvögel {GraUatores und Nafaiores) vertilgen
zwar viele Insekten, doch halten sie sich im allgemeinen vom W^alde fern,
236 Kapitel VI. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
so daß sie forstlich kaum in Betracht kommen. Wir können höchstens die
Lachmöve {Lariis ridibundus) hier anführen, die als eifrige Vertilgerin des
Engerlings bekannt ist.
Wir haben hier eine stattliche Reihe von Vögeln kennen gelernt,
welche die Vertilgung forstschädlicher Insekten betreiben, und andererseits
haben wir erfahren, daß es wohl kaum ein wichtigeres Forstinsekt gibt,
welches nicht von einem oder mehreren Vögeln verfolgt und deren Ver-
mehrung nicht durch ihre Tätigkeit eingeschränkt würde, so daß wir also in
den insektenfressenden Vögeln einen ständig wirkenden vermehrungs-
eindämmenden Faktor zu erblicken haben. Derselbe ist allerdings je nach
der Insektenart verschieden groß (im allgemeinen wohl für die im Boden,
unter der Rinde oder im Holz lebenden Insekten relativ, d. h. im Verhältnis
zu den anderen Faktoren, besonders Parasiten, größer als bei den freilebenden),
dürfte jedoch für jede Insektenart unter normalen äußeren Bedingungen an-
nähernd konstant bleiben. Jedenfalls stellen die Vögel ein durchaus not-
wendiges Glied in der Kette der die Erhaltung des organischen Gleich-
gewichtes gewährleistenden Organismen dar.
Diese hier geschilderte, dem Forstmann so nützliche Tätigkeit der
Vögel erfährt aber eine gewisse Einschränkung durch den Umstand, daß die
Vögel in ihrem Vertilgungswerk sich nicht nur auf die schäd-
lichen Insekten beschränken, sondern auch nützliche Insekten,
d. h. Parasiten und Raubinsekten verzehren. Wenn ein Kuckuck
100 Nonnenraupen frißt, wovon 50 oder 75 mit erwachsenen Tachinenlarven
besetzt sind, so wird dadurch das Ende der Nonnenkalamität nur hinaus-
geschoben; denn jedes Tachinenweibchen kann den Tod von 2 — 300 Nonnen-
raupen bedeuten. Solche Fälle kommen in Wirklichkeit ohne Zweifel vor;
denn einmal ist eine Tachinose von 75 "/q bei der Nonne gar keine Selten-
heit, und sodann machen die Vögel nachgewiesenermaßen keinen Unterschied,
ob die Raupen mit Parasiten besetzt oder parasitenfrei sind. Es geht
dies vor allem aus Magenuntersuchungen hervor, bei denen nicht selten
Tachinen und andere Parasiten gefunden wurden. — Außerdem hat man ver-
schiedentlich Vögel auch direkt bei der Jagd auf Parasiten und Raubinsekten
beobachtet. So konnte ich selbst mehrfach den Trauerfliegenfänger in
Nonnenrevieren von seinem Spähsitz Tachinen wegfangen sehen; ferner
wurde mir berichtet, daß eines Tages große Schwärme von Schwalben im
Glastener Revier, wo eine starke Nonnenkalamität herrschte, einfielen, um
die dort massenweise fliegenden Tachinen wegzuschnappen; auch Amseln
wurden beim Suchen von Tachinentönnchen beobachtet (Oberförster Weiske
im Leipziger Universitätswald). Oben wurde schon darauf hingewiesen, daß
die Blaurake neben den Nonnenraupen auch deren Feinde, vor allem den
Puppenräuber vertilgt; die Spechte fressen neben den Borkenkäferlarven auch
die Larvendes hauptsächlichsten Borkenkäferfeindes, des Clerus formicarius;
der Grünspecht dezimiert die forstlich so nützliche rote Waldameise usw.
Nach diesen Beispielen kann also nicht geleugnet werden, daß die
Vögel unter Umständen dem Forstmann einen gewissen Schaden bringen
können. Dies darf uns aber nicht etwa dazu bestimmen, die Nützlichkeit der
Insektenvertilgende Tiere. 237
Vögel überhaupt in Abrede zu stellen, wie es z. B. von Seiten einiger
amerikanischer Entomologen geschieht. Wir tun vielmehr wohl am richtigsten,
uns auf folgenden Standpunkt zu stellen: Die nützliche Tätigkeit der
Vögel (durch Vertilgen forstschädlicher Insekten) überwiegt
wesentlich die schädliche Tätigkeit der Vögel (durch Vertilgen
forstnützlicher Insekten). Der Wert der Vögel besteht aber
weniger darin, einmal ausgebrochene Kalamitäten zu bekämpfen
und zum Stillstand zu bringen (dazu besitzen die Vögel eine viel zu ge-
ringe Vermehrungsziffer im Verhältnis zu den Insekten), als vielmehr
darin, einer Übervermehrung der Insekten überhaupt vorzu-
beugen. In normalen Zeiten sind ja auch die Parasiten in weit geringerer
Anzahl (auch relativ!) vorhanden als in Zeiten der Massenvermehrung, so
daß das Verhältnis der von den Vögeln vertilgten Parasiten zu den ver-
tilgten Schädlingen ein weit günstigeres sein wird als in den oben gewählten
Beispielen. Ferner ist zu bedenken, daß es doch auch eine ganze Anzahl
schlimmer Forstschädlinge gibt, welche überhaupt nur sehr wenig Parasiten
haben, wie z. B. der Engerling, die Maulwurfsgrille und viele andere im
Boden lebende Insekten, ebenso die rinden- und holzbrütenden Insekten;
und bei anderen Schädlingen sind wenigstens gewisse Stadien parasitenfrei,
wie z. B. bei der Nonne das Ei- und Imagostadium. In allen diesen Fällen
können die Vögel doch nur Nutzen stiften. Dasselbe gilt auch für diejenigen
Vögel, die nur des Nachts auf fliegende Insekten jagen, da sie hierbei weder
freiliegende Parasiten, noch auch parasitenhaltige Stadien von Schädlingen
vor ihren Schnabel bekommen. Endlich ist auch noch darauf hinzuweisen,
daß auch Hyperparasiten, die durch starke Überhandnähme mitunter sehr
schädlich werden können, durch die Vögel vernichtet werden. Ein
drastisches Beispiel von Hyperparasitismus erlebte ich im Glastener Revier,
wo der in den Tachinen parasitierende Trauerschweber {Anthrax) so
sehr überhand nahm, daß die Tachinose der Nonnenraupen von Jahr zu
Jahr zurückging und dadurch das Ende der Kalamität wesentlich verzögert
wurde. Wenn in diesem Falle durch Vögel Tachinentönnchen, die mit
Hyperparasiten besetzt sind, oder schwärmende Anthrax vertilgt werden, so
kann dadurch ein großer Nutzen gestiftet werden, indem der Hyperparasitis-
mus eingeschränkt und infolge davon die Tachinose gefördert werden kann.
Die hier angeschnittene Parasitenfrage bringt in das Vogelproblem
zweifellos eine ziemliche Komphkation, deren endgültige Lösung mit großen
Schwierigkeiten verbunden sein wird. Immerhin aber dürfen wir wohl heute
schon als sicher annehmen, daß durch sie unsere oben vertretene Ansicht
von der Bedeutung der insektenfressenden Vögel für die Erhaltung des
organischen Gleichgewichtes resp. für die Niederhaltung der verschiedenen
Schädlinge kaum wesentllich verändert werden wird.
c) Schmarotzer und Raubinsekten, und andere insektentötende
Arthropoden.
Die wichtigste Rolle bei der Beschränkung der Schädlingsvermehrung
spielen in den meisten Fällen die parasitischen und räuberischen
238 Kapitel VI. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
Insekten, und es ist zweifellos, daß ein großer Teil der Vermehrungs-
katastrophen durch ein Mißverhältnis zwischen der Zahl dieser
stets der Übervermehrung entgegenwirkenden Tiere und den
Schädlingen herbeigeführt wird. Wir kennen eine Reihe von Bei-
spielen, die das eklatant beweisen. Ich brauche nur an die Geschichte der
Einführung des Schwammspinners in Amerika zu erinnern. Im Jahre 1868
gelangten durch Unvorsichtigkeit eines im Staate Massachusets wohnenden
Züchters einige aus Europa bezogene Schwammspinnerraupen ins Freie.
Diese gaben den Anlaß zu einer der größten Insektenkalamitäten, die
wir überhaupt kennen und zu deren Bekämpfung jährlich Unsummen
(4 Millionen Mark) aufgewandt werden, ohne indes bis jetzt der Plage Ein-
halt bieten zu können. Der Grund für diese schwere Kalamität ist darin zu
erblicken, daß der Schädling ohne seine Parasiten und Räuber eingeführt
wurde und daß auch von den amerikanischen Parasiten nur ganz wenige an
dem Fremdling Gefallen fanden, so daß der Schmetterling seine ganze Ver-
mehrungsenergie beinahe ungezügelt betätigen konnte, — während in seinem
Heimatland ihm so viele Parasiten und Raubinsekten gegenüberstehen, daß
er nur selten zu einer und dann meist nur kurz währenden Übervermehrung
gelangt. Ahnlich ist es mit dem Ulmenblattkäfer [Galeruca xanthomelaend)^
der bei uns wohl manchmal explosionsartig in großen Mengen auftritt, und
auch mitunter die Ulmen einer Allee kahlfressen kann, aber meist im
folgenden Jahr wieder verschwindet, während er in Amerika zu einer
dauernden schlimmen Plage wurde, da ihm eben drüben keine Parasiten
gegenüber stehen, die ihn in seiner Übervermehrung einholen und wieder
hinunterdrücken. Und noch viele andere derartige Beispiele ließen sich aus
Amerika berichten; sind doch mehr als 50 ^/^ der schlimmsten amerikanischen
Schädlinge dorthin eingeschleppt (vergl. K. Esche rieh, Die angewandte
Entomologie in den Vei-einigten Staaten).
Das Mißverhältnis zwischen Parasiten und Schädling kann aber auch
noch auf eine andere Weise als durch Verschleppung herbeigeführt
werden, wie durch plötzlich eintretende ungewöhnlich günstige Bedingungen
(klimatische, trophische usw.) für die Vermehrung des Schädlings, wodurch
letzterem ein Vorsprung den Parasiten gegenüber gegeben wird, oder durch
ungünstige Bedingungen für die Parasiten, oder durch beide Momente zu-
gleich. Nehmen wir z. B. an, daß mehrere Jahre hindurch während der
Schwärmzeit der Nonnentachine (Mai bis Juni) stürmisches und regnerisches
Wetter ist, so daß die Tachinen an der Eiablage gehindert werden, so kann
dadurch sehr wohl ein Mißverhältnis zwischen der Zahl der Nonnen und
Tachinen entstehen, welches event. auch zu einer Kalamität Anlaß geben
kann, zumal wenn vielleicht gleichzeitig die Entwicklungsbedingungen für die
Nonne besonders günstige sind.
In solchen Fällen wird aber der Parasit den Vorsprung in einiger Zeit
wieder einholen, und die Vermehrung bald wieder in normale Grenzen
bringen, vorausgesetzt, daß die ungünstigen Bedingungen für die Parasiten
nur vorübergehender Natur waren. Ist letzteres nicht der Fall, und wird die
Parasitenvermehrung dauernd zurückgehalten (etwa infolge gewisser Kultur-
Insektenvertilgende Tiere. 239
methoden oder dergl.), so wird auch die Kalamität einen dauernden
Charakter annehmen, gleichwie bei den obengenannten verschleppten
Schädlingen.
Es ist nicht notwendig, daß der Parasit eine besonders hohe Ver-
mehrungsziffer besitzt, um den Vorsprung des Schädlings einholen zu
können; er wird es vielmehr auch dann tun können, wenn er die gleiche
(oder selbst eine geringere) Vermehrungsziffer aufweist wie der Schädling.
Nehmen wir z. B. einen Schmetterling und eine Tachine, welche beide
die gleiche Vermehrungsziffer 100 haben und beginnen wir damit, daß von
300 Raupen 100 tachiniert sind, das gibt 200 Schmetterlinge (100 9 9) und
100 Parasiten (50 9 9). Im nächsten Jahr haben wir 100X100 = 10000
Raupen, von denen 50 X 100 = 5000 tachiniert sind, das macht 5000 Schmetter-
linge und 5000 Parasiten (mit je 2500 9 9). So müßten also (theoretisch)
bereits im dritten Jahr sämtliche Raupen mit Parasiten besetzt sein. Daß
ähnliche Vorgänge in der Natur sich tatsächlich abspielen, davon kennt jeder
praktisch tätige Entomologe genügend Beispiele. So haben wir selbst bei
der großen Nonnenkalamität in Sachsen des öfteren Gelegenheit gehabt, das
rasche sprungweise Fortschreiten der Tachinose zu beobachten, wobei die
Zunahme ca. 20 — 25 ^Jq pro Jahr betrug, so daß bereits im 4. oder 5. Jahr
90 — 100<*/o der Raupen tachinös waren (besonders deudich war dies in
Okrilla, Bezirk Dresden, zu sehen. Auch bei Anomalon circnmflexnm, einem
der bekanntesten Parasiten des Kiefernspinners, läßt sich das stetige An-
wachsen von Jahr zu Jahr deutlich beobachten.
Es wird übrigens meistens jeder Schädling nicht nur von einer,
sondern von einer ganzen Anzahl von Parasitenarten und Raub-
insekten heimgesucht, und zwar vielfach in der Weise, daß jedes Ent-
wicklungsstadium ihre besonderen Arten (je eine oder mehrere)
besitzt. So wird z. B. der Kiefernspinner im Eistadium, ferner in den
jüngeren und dann wieder in den älteren Raupenstadien von anderen Arten
befallen, und erst durch das Zusammenwirken der ganzen „Parasiten-
folge" („sequence of parasites", wie die Amerikaner sagen) wird die
normale Vermehrungsbeschränkung des Schädlings gewährleistet.
Fehlt nur ein Glied in der Kette, so kann dies unter Umständen schon zu
einem Anwachsen des Schädlings führen.
Es ist das Verdienst der amerikanischen Entomologen, vor allem von
L. O. Howard und Fiske, diese wichtige Erscheinung eingehend studiert
zu haben. Sie haben dafür auch eine sehr übersichtliche graphische Dar-
stellung eingeführt, aus der, wie die beistehenden beiden Tabellen über die
Parasitenfolge des Schwammspinners in Japan und in Europa lehren, mit
einem Blick zu ersehen ist, in welcher Weise die Parasiten und Raubinsekten
auf den Schädling einwirken.
(Siehe Tabelle S. 240.)
Eine nähere Erklärung dieser Tabellen ist kaum nötig; nur bezügl. der
feinen punktierten Linien sei bemerkt, daß diese die Zeitdauer anzeigen,
während welcher die einzelnen Stadien dem Angriff des betreffenden
240
Kapitel VI. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrunj
Parasiten ausgesetzt sind, während die dicken Linien die Stadien angeben,
in welchen der Parasit überhaupt im Körper des Wirtes anzutreffen ist. So
erstreckt sich z. B. in den beiden obigen Beispielen die Angriffszeit von
Tabelle 1. Parasitenfolge des Schwammspinners in Japan.
Eier
Raupenstadien
Puppenstadien
Namen des Parasiten
S
1
C/3
s
1
1
1
1*
i
s
ii
II
Anastatus bifasciatus .
E
Schedius Kuvanae . .
j
'Ste Generation
Apanteles fulvipes . .
,„.j 1 ,
Zweite Generation
Crossocomia spez. . .
Tachina japonica . .
1
1
1
Chalcis obscurata . .
j
Tabelle 2. Parasitenfolge des Schwammspinners in Europa.
Eier
Raupenstadien
Puppenstadien
Namen des Parasiten
S
1
C/3
B
.3
a
.a
CA)
CO
a
1
a
■'S
tn
a
1
a
.a
''S
1
Ph
SS
Anastat US bifasciatus .
Apanteles solitarius .
\
Erste Geneiation
— fulvipes
Zw
eite Generation
Blepharipa scutellata .
Compsilura concinnata
Zygobothria gilva . .
Carcelia gnava . . .
Tricholyga grandis
Tachina larvarum . .
Parasetigena segregata
Ichneumon disparis
Theronia atalantae . .
Chalcis flavipes . . .
Monodontomerus aereus
Calosoma sycophanta .
i 1
1 1 1
1 i
1 '
1 i
1 1
I
1
1 t
1
1
Insektenvertilgende Tiere. 241
Anastatus bifasciatits nur auf die ersten 10 Tage des Eistadiums, die von
Schedius Knvanae dagegen auf die ganze Eizeit, die nicht weniger als
ca. 280 Tage währt; oder, so zeigt uns die Tabelle 2, daß die beiden
Tachinen Blepharipa und Compsilura zwar in ihrer Angriffszeit völlig über-
einstimmen, daß aber die erstere noch während des ganzen Puppenstadiums
im Wirte bleibt, während die letztere bereits vor der Verpuppung den Wirt
verläßt.
Ein Moment ist in den Fi sk eschen Tabellen noch zu wenig berück-
sichtigt, nämlich der Grad der Wichtigkeit der einzelnen Parasiten
für die Beschränkung des Schädlings. Es sind nämlich keineswegs alle
Arten einer Parasitenfolge von der gleichen Bedeutung für den
betr. Schädling, sondern manche davon können vielmehr ganz unwichtig
sein, während anderen eine hohe, ja ausschlaggebende Bedeutung zukommt.
So ist z. B. bei der Nonne der Hauptwert der Tachine zuzuschreiben,
während die verschiedenen Ichneumonen eine mehr untergeordnete Rolle
spielen; beim Kiefernspinner dagegen kommt es weit mehr auf die
Ichneumonen an, während die Tachinen zurücktreten usw. Diese Ver-
schiedenwertigkeit der einzelnen Parasitenarten eines Schädlings ist eine
hundertfach beobachtete Tatsache; worin sie begründet ist, muß im einzelnen
erst noch erforscht w^erden. In der graphischen Darstellung ließe sich die
Verschiedenwertigkeit leicht daduixh kennzeichnen, daß man für die Haupt-
parasiten dickere Linien oder vielleicht noch besser fetten Druck der Namen
anwendet.
Ein Vergleich der beiden Tabellen lehrt uns, daß die Parasitenfolge
für einen und denselben Schädling in den verschiedenen Gegenden
seines Verbreitungsgebietes sehr verschieden sein kann; besonders
dann, wenn das letztere genügend groß ist, wie dies ja für den Schwamm-
spinner in hohem Maße zutrifft, der über ganz Europa bis nach Japan hin
verbreitet ist. Wir würden noch eine größere Reihe voneinander ab-
weichender Parasitenfolgen des Schwammspinners erhalten, wenn wir die
verschiedenen Teile Europas, wie Süd-, Nord-, West- und Osteuropa be-
sonders behandeln würden. Ja selbst in ganz nahe beieinanderliegenden,
direkt benachbarten Gebieten kann die Parasitenfolge ein anderes Bild
zeigen, indem hier eine Parasitenart fehlt, die dort sehr häufig ist usw. So
enthielten z. B. von 5 Paketen von Eischwämmen des Schwammspinners, die
aus verschiedenen Gegenden Ungarns stammten und zum Zwecke der Para-
sitenzüchtung nach Amerika versandt wurden, das eine Paket Nr. 1 keinen
einzigen der gesuchten Eiparasiten {Anastatus bifasciatus), die Pakete Nr. 2
und 3 ergaben nur ganz wenige davon, während aus den restlichen Paketen
Nr. 4 und 5 nicht weniger als 80000 Individuen auskamen. Ähnliches hat
auch schon Ratzeburg für die Parasiten des Kiefernspinners beschrieben:
er hatte die Beobachtung gemacht, daß die Schmarotzer häufig in kleinen
Horsten zusammen auftreten, während sie anderwärts fehlen.
Außerdem verhalten sich auch die verschiedenen Arten der Schäd-
linge recht ungleich bezüglich der Vollkommenheit der Parasiten-
Escherich, Forstinsekten. 16
242
Kapitel VI. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
folge, indem manche Arten überhaupt nur eine mehr oder weniger lückenhafte
Parasitenfolge aufzuweisen haben; so fehlt z. B. der Nonne ein Eiparasit.
Es ist klar, daß alle diese Verhältnisse für die Praxis von der größten
Bedeutung sind; können wir doch in solchen Gegenden oder bei solchen
Arten, bei denen eine wirksamere und lückenlosere Parasitenfolge vorhanden
ist, event. eine günstigere Prognose für den Verlauf der Kalamität stellen
als in solchen Gegenden, wo die Parasitenfolge unvollkommen ist und
größere und kleinere Lücken aufweist. Daher ist es unbedingt notwendig,
daß das Parasitenvorkommen eingehend beachtet und studiert wird, und es
dürfte eine der nächstliegenden und vornehmsten Aufgaben der
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Fig.
Parasitenwirkung: Durchsclinittliches Ergebnis einer Aufzucht von 100 Kiefereulenraupen
(36 Falter, 46 Tachinen und 18 Ichneumonen).
forstentomologischen Wissenschaft sein, für unsere wichtigsten
Schädlinge die Parasitenfolge festzustellen, in ebenso gründ-
licher Weise, wie es die Amerikaner für Schwammspinner und
Goldafter getan haben. Und es wird hoffentlich die Zeit nicht mehr
fern sein, wo bei jedem wichtigeren Schädling eine Tabelle der Parasiten-
folge beigefügt ist. Dann werden wir vielleicht auch verstehen lernen,
warum die Kalamitätsintensität und -dauer bei den einzelnen Schädlingen so
verschieden sein kann.
Für einige unserer Schädlinge können wir heute schon, wenn auch
vorläufig nur umrißweise, den Zusammenhang zwischen Zahl und Ver-
mehrungsziffer der Parasitenarten einerseits und Dauer der Kala
mität andererseits erkennen, wie z. B. aus einem Vergleich des Kalamitäten-
verlaufes der Kieferneule, des Kiefernspinners und der Nonne hervorgeht.
Insektenvertilgende Tiere. 243
Alle dl ei stimmen darin überein, daß die Übervermehrung gewöhnlich
explosionsartig auftritt, d. h. daß auf ein plötzliches Aufsteigen der Ver-
mehrungskurve nach einiger Zeit gleichsam automatisch ein Zurückgehen auf
die normale Höhe folgt. In einem Punkte jedoch verhalten sie sich wesent-
lich verschieden, nämlich bezüglich des zeitlichen Ablaufes jenes Vorganges:
Am kürzesten währt die Kieferneulenplage (2 — 3 Jahre), etwas länger die
Kiefernspinnerplage (3 — 5 Jahre) und am längsten die Nonnenkalamität (5 bis
7 Jahre und auch noch mehr). Dieser Unterschied entspricht ungefähr der
Zahl resp. der Vermehrungsziffer der Parasiten usw., welche dem betr. Schäd-
ling gegenüberstehen. So tritt gegen die Kieferneule gleich von Anfang an
ein ganzes Heer von Feinden auf; wir haben vor einiger Zeit, als in der Nähe
von Dresden (in Okrilla) eine Eulenvermehrung stattfand, im ersten Jahre
der Kalamität (d. h. in dem Jahre, in welchem sie zum erstenmal die Auf-
merksamkeit der Forstbeamten erregte) das Parasitenverhältnis festgestellt,
und sind dabei zu dem überraschenden Ergebnis gelangt, daß aus 100 Raupen
sich nur 36 Schmetterlinge entwickelten, während die übrigen 64 Parasiten
ergaben (Fig. 188). Diese hohe Parasitenzahl im Anfangsstadium einer Über-
Vermehrung ist in erster Linie in der hohen Vermehrungsziffer der Eulen-
tachine begründet, und sodann darin, daß an die Eule viele auch an anderen
Schmetterlingen usw. schmarotzende Parasiten gehen. — Anders beim
Kiefernspinner; dieser besitzt zwar ebenfalls eine ganz ansehnliche
Parasitenreihe, doch dauert es gewöhnlich mehrere Jahre, bis die Parasiten
zu einer stärkeren Vermehrung gelangen. So konnten wir z. B. beim Beginn
einer Spinnerkalamität in den schlesischen Heiden in den ersten zwei Jahren
nur einen sehr geringen Parasitenbefall nachweisen, indem die Raupen aus
dem Winterlager nur zu je 1 ^Jq mit Apatiteles fulvipes und Anomalon
circumflexum, und mit etwa je 5 "/q mit dem Braconiden Meteorits versicolor
und der Tachine Argyrophylax bimaculata besetzt waren. Erst nach
weiteren zwei Jahren konnte man von einem wirksamen Parasitenbefall
reden, indem 50 <*/() der Raupen (und teilweise auch mehr) angegangen waren.
— Noch ungünstiger liegen die Verhältnisse bei der Nonne; denn bei ihr ist
die Parasitenreihe weit geringer und unvollkommener als bei den vor-
genannten Schädlingen, und außerdem erreichen auch nur wenige von den
Parasiten eine größere Bedeutung. Es ist wohl in der Hauptsache die
Tachine (hier in Sachsen war es Parasefigena segregata), welche der Nonnen-
vermehrung in wirksamer Weise entgegentritt; die genannte Art ist aber für
gewöhnlich so selten, daß die Fliegensammler Mühe haben, sie für ihre
Sammlung zu erlangen. Wenn also die Nonnenvermehrung plötzlich durch
irgendwelche besonders günstige Bedingungen größere Dimensionen annimmt,
so wird es immer einer längeren Zeit bedürfen, bis die Tachine den Vor-
sprung eingeholt haben wird, zumal sie (nach unseren neuesten Versuchen)
eine weit geringere Fortpflanzungsziffer als die Eulentachine besitzt und
außerdem auch noch ziemlich stark unter Hyperparasiten und Raubinsekten
zu leiden hat. So findet also der oben erwähnte Unterschied in der Zeit-
dauer der verschiedenen Kalamitäten eine ganz ungezwungene Erklärung in
dem Verhältnis der Parasiten zu den betr. Schädlingen.
16*
244 Kapitel VI. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
Den explosionsartigen Vermehrungskatastrophen stehen die chronischen
hartnäckigen Kalamitäten gegenüber, die stets wiederkehren und meist
in annähernd der gleichen Höhe verharren; ich erinnere nur an den Mai-
käfer, den Eichenwickler, die Fichtenblattwespe, die Lärchenminiermotte u. a.
In allen diesen Fällen finden wir gewöhnlich, daß den betr. Schädlingen nur
wenige oder nur wenig wirksame Parasiten und Räuber gegenüberstehen,
und daß der Parasitenbefall, wenn überhaupt von einem solchen die Rede
sein kann, stets auf einer sehr geringen Höhe stehen bleibt (aus uns bis
jetzt noch unbekannten Ursachen).
In diesen hier mitgeteilten Tatsachen, die unschwer noch vermehrt
werden könnten, dürfte wohl die eingangs aufgestellte Behauptung, daß für
die Niederhaltung der Schädlinge zumeist in erster Linie die Parasiten und
Raubinsekten in Betracht kommen, eine kräftige Stütze erhalten.
Ein Moment darf dabei allerdings nicht außer acht gelassen werden,
nämlich, daß die Parasiten und Raubinsekten selbst wieder ihre
Feinde haben, durch welche event. ihre Vermehrung stark beschränkt werden
kann, so stark sogar, daß sie den Vorsprung, den der Schädling genommen
hat, nur sehr langsam oder überhaupt garnicht mehr einzuholen vermögen.
Eine sehr drastische Erfahrung dieser Art habe ich, wie oben schon bemerkt,
in dem von der Nonne so schwer heimgesuchten Staatsforstrevier Glasten ge-
macht: Dort konnte im Jahre 1910 eine Tachinose von ca. 50 "/^ festgestellt
werden, die eine gute Prognose zu rechtfertigen schien; doch im folgenden
Jahre machte der Tachinenbefall nicht nur keine Fortschritte, sondern ging viel-
mehr wesentlich zurück, und zwar auf 25 ^/q, um im Jahre 1912 noch weiter
auf 10 *^/q herabzusinken. Der Grund für diese überraschende Erscheinung
ließ sich unschwer ermitteln: die verschiedenen Feinde der Tachine, vor
allem die Hyperparasiten, wie der Trauerschweber [Anthrax] und kleine
Schlupfwespen {Chalcidier), dann auch eine räuberische Elateridenlarve, zu
denen sich auch noch Pilze hinzugesellten, hatten inzwischen so in ihrer
Zahl zugenommen, daß ein hoher Prozentsatz der Tachinennachkommen
ihnen zum Opfer fielen. Solche Fälle gehören glücklicherweise zu den
Ausnahmen; immerhin ergibt sich daraus für die Praxis, daß es, um zu
einer richtigen Kalkulation zu gelangen, nicht genügt, einfach das Vor-
handensein von Parasiten festzustellen, sondern daß auch auf das Vor-
kommen der Hyperparasiten und anderer Feinde der Parasiten
zu achten und deren Zahl in die Rechnung mit einzustellen ist.
Auf die einzelnen Parasiten und Raubinsekten soll hier nicht näher
eingegangen werden, da dieselben im speziellen Teil noch eine ausführliche
Besprechung finden; dagegen halten wir es für zweckmäßig, den obigen
Ausführungen wenigstens eine kurze allgemeine Übersicht über Lebensweise
jener nützlichen Tiere anzufügen.
Parasiten.
Unter den Parasiten spielen weitaus die wichtigste Rolle die Schlupf-
wespen und die Raupenfliegen. Ihnen gegenüber kommen die wenigen
Insektenvertilgende Tiere.
245
Schmarotzer aus anderen Familien und Ordnungen, wie z. B. der Käfer
Anthribus varitis, der in der Fichtenquirlschildlaus parasitiert, oder die
zoologisch so merkwürdigen Stylopiden, die in Wespen schmarotzen, in forst-
licher Beziehung nur wenig oder gar nicht in Betracht, i)
Die Schlupfwespen gehören den Hymenopteren (Hautflüglern) an und
stellen ein ungemein zahlreiches Heer dar, welches sich auf 5 Familien ver-
teilt: die Ichneumoniden (im engeren Sinne), die Braconiden, die
Evaniiden, die Chalcididen und Proctotrupiden.
Die Ichneumoniden (im engeren Sinne) bilden infolge der Menge
der Arten und ihrer Größe (es sind meist große oder mittelgroße Arten) die
auffallendste Familie der Schlupfwespen. Sie schmarotzenf'hauptsächlich in
Raupen und Puppen von Schmetterlingen, in Larven von Blatt- und Holz-
wespen, in holzbewohnenden Käferlarven usw. (Fig. 189).
Fig. 1S9. Verschiedene Typen von Schlupfwespen, a Ichneumonide {Anomalon) i/,; 6 Braconide
(Microgaster = Apanteles) ^j^; c Proctotrupide (Teleas) ^^j,; d Chalcidide (Pteromaliis) ^/j. Aus Eckstein.
Einige artenreiche Gattungen (Mezochorus, Hemiteles und Pezomachus)
sind durchweg Schmarotzer 2. Grades oder Hyperparasiten, die bei anderen
Ichneumoniden oder bei Braconiden schmarotzen und dadurch deren wohl-
tätige Wirkung event. stark beeinträchtigen können (siehe oben).
Die Braconiden sind eine viel kleinere Familie als die Ichneumoniden,
die meist kleine und nur relativ wenige mittelgroße Arten enthält. Sie sind
als Schmarotzer bei fast allen Insektenordnungen (mit Ausnahme der
Orthopteren und Neuropteren) gefunden worden. H3'perparasitismus scheint
bei ihnen nicht vorzukommen.
^) Dasselbe gilt, soviel bis jetzt bekannt ist, auch für die verschiedenen
Parasiten aus anderen Tierklassen, wie die Würmer {Mermis, Gordius, Nematoden),
die gelegentlich in Forstschädlingen gefunden werden.
246 Kapitel VI. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
Die Evaniiden stellen eine noch kleinere Familie dar, enthalten aber
größere Formen, die bei Blattiden, Bienen und Grabwespen, sowie holz-
bewohnenden Käfern und Holzwespen usw. schmarotzen.
Die ungeheuer artenreichen Familien der Chalcididen (in Mittel-
europa ca. 350 Gattungen, von denen die Gattung Pteromaltis allein über
300 Arten umfaßt) und Proctotrupiden enthalten meist nur sehr kleine
Formen. Ihr Parasitismus bezieht sich dementsprechend großenteils auf
kleine Insekten, wie Blattläuse, Gallwespen, Gallmücken, Rüssel-, Borkenkäfer
usw. oder aber auf die Eier von größeren Insekten. Allerdings kommen sie
nicht selten auch in den Larven und Puppen der letzteren vor, dann aber
gewöhnlich in großer Menge in einem Individuum {Pteromalus in vielen
Tagfalterpuppen, Eulophus in der Puppe des Kiefernspinners usw.) Ihre
wirtschaftliche Bedeutung wird dadurch etwas herabgedrückt, daß unter ihnen
zahlreiche Parasiten 2. Grades sich befinden, was aber vielleicht durch das
Vorkommen von Parasiten 3. Grades, welche in den Hyperparasiten
schmarotzen und dadurch deren schädliche Wirkung abschwächen, wieder
etwas ausgeglichen wird.
Fast alle Schlupfwespen leben als Larven parasitisch in oder an
anderen Insekten, nur einige wenige Chalcidier machen davon eine Aus-
nahme, wie die /sosowa-Arten, welche in Getreidestengeln leben, ferner die
Megasü'gni US- Arten, die größtenteils zur Samennahrung übergegangen sind,
dann Blastophaga, die durch Gallbildung die Befruchtung der Feige besorgt,
u. a. m.
Bezüglich der Art des Parasitismus der Schlupfwespen herrschen die
größten Unterschiede, und zwar nicht nur je nach den verschiedenen
Familien, sondern auch in ein und derselben Familie und sogar bei nah-
verwandten Arten.
Schon bei der Eiablage tritt dies in Erscheinung, indem die Eier
entweder in den Wirt hinein, oder aber außen auf dem Wirt abgelegt
werden. Im letzteren Falle bohrt sich dann das ausschlüpfende Lärvchen
durch die Haut des Wirtes in die Leibeshöhle ein, oder sie kann auch außen
bleiben, um nach Art der Ektoparasiten von außen her dem Wirte die Säfte
zu entziehen. Bei den tiefer im Holze lebenden Wirten (Bockkäfer-, Holz-
wespenlarven usw.) begnügen sich die Ichneumonen damit, das Ei in die
Nähe des Wirtes in den Fraßkanal zu bringen, so daß die ausschlüpfende
Larve selbständig den Wirt aufsuchen muß. Die langgestielten oder lang-
gezogenen Eier, die vielen Schlupfwespen eigen sind (siehe oben S. 118,
Fig. 107, 17), werden in der Weise auf dem Wirt angebracht, daß das dicke
Ende außen bleibt, während der dünne Stiel durch die Haut hindurch nach
innen ragt, so daß der Eiinhalt von dem äußeren Teil nach innen fließen kann.
Die Ablage der Eier geschieht mit Hilfe des Legebohrers, der übrigens
auch als Waffe zur Abwehr dienen kann, wie die empfindlichen Stiche, die
die größeren Arten den Menschen beibringen können, beweisen. Die Länge
des Bohrers ist sehr verschieden, je nach der Lage und dem Sitz des
Wirtes: „er muß lang sein, wenn er die Brut an sehr versteckte Stellen, wie
in die Tiefe des Holzes, an Bockkäfer oder Holzwespenlarven hinbringen
Insektenvertilgende Tiere.
247
Fig. 190. Blattlaus (Lysiphlehiis), eine Blattlaus
anstechend. Nach "Web st er aus Escherich.
soll, er kann dagegen kürzer sein, wenn freilebende Larven oder Puppen,
wie z. B. die des Spinners, der Eule, oder Blatdäuse usw. mit Eiern belegt
werden sollen" (Ratzeburg).
Beim Angriff wird der Bohrer senkrecht gegen den Hinterleib ab-
gebogen oder aber der Hinterleib selbst stark nach unten oder sogar nach
vorn gekrümmt, daß dann der Stachel in derselben Richtung wie der Hinter-
leib geführt wird (Fig. 190 u. 191). Die angegriffenen Opfer suchen sich meist
nach Kräften zu wehren, was aber den Para-
siten nicht abhält, seine Anstrengungen so
lange fortzusetzen, bis er seinen Zweck
erreicht hat, allerdings sind auch Fälle
beobachtet, daß die Raupen sich gänzlich
ruhig verhielten, ja nicht einmal zuckten,
wenn der Parasit seinen todbringenden
Stich ausführte.
Der Vorgang der Eiablage voll-
zieht sich meistens sehr rasch, blitz-
schnell, wie z. B. bei den bekannten Kiefernspinnerparasiten Anomalon
circiimflexuni] andere dagegen brauchen längere Zeit, besonders wenn der
Bohrer, um zum Wirt zu gelangen, hartes Material durchdringen muß.
Dieses trifft vor allem für die bei holzbewohnenden Larven parasitierenden
Arten zu, wie z. B. für Rhyssa und Ephialtes. Letzterer bohrt die
Stöcke von oben her an, wobei der drehrunde Bohrer erstaunlich schnell
in die Tiefe rückt, während
Rhyssa ihren flachen bandartigen
Bohrer von der Seite her radial
in den stehenden Stamm hinein-
zwängt.
Ein Teil der Schlupfwes-
pen ist monophag, d. h. ist
ganz speziell auf einen bestimm-
ten Wirt angewiesen, während
andere dagegen polyphag sind
und also an verschiedene Wirte
gehen. Früher hielt man den
größeren Teil der Schlupfwespen
für streng monophag, während
sich bei Häufung der Zuchten immer mehr herausstellt, daß viele der früher
als monophag gehaltenen Tiere bei mehreren Wirten vorkommen. Die Poly-
phagie kann verschiedene Grade aufweisen, je nachdem sie sich nur auf nah-
verwandte Wirte erstreckt oder aber ganz verschiedene Insekten betrifft. So
gehen manche Arten, z. B. Ichneumon disparis nur an einige nahestehende
Spinnerarten, während dagegen andere, wie z. B. gewisse Pimpla-Anen gleich-
zeitig bei Schmetterlingen, Käfern, Blattwespen und Fliegen parasitieren.
Besonders bemerkenswert sind jene Fälle von Polyphagie, in denen ein und
dieselbe Art sowohl als Parasit als auch als Hyperparasit auftritt; bis jetzt sind
Fig. 191
Eine Schlupfwespe {Panisms ocellaHs), eine Raupe
anstechend. Nach Chewyreux.
248 Kapitel VI. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
zwei derartige Fälle bekannt, die durch Howard und Fiske beschrieben sind:
der erste Fall betrifft den Chalcididen Pteromalus egregius, der die ruhenden kleinen
Raupen des Goldafters belegt; wenn er dann im Frühjahr ausschlüpft, greift er
sofort die um dieselbe Zeit aus den Goldaftcrräupchen sich ausbohrenden Larven
einer anderen Schlupfwespenart an, und belegt sie mit seinen Eiern. Der zweite
Fall handelt von Monodontomerus aereus, der in den Puppen vom Schwammspinner
und Goldafter lebt, zugleich aber auch in anderen Schlupfwespen und in
Tachinentönnchen schmarotzt.
Bei den polyphagen Arten kommen mitunter auffallende Größenunterschiede
vor, die mit den Größenunterschieden der Wirte ungefähr Hand in Hand gehen.
So schwankt z. B. die ungemein polyphage Pimpla instigator in ihrer Größe
zwischen 7 und 30 mm; so ergeben ferner, wie wir selbst beobachten konnten, die
Raupen der Kieferneule weit kleinere Exemplare von Anomalon circumßexum,
als die Raupen des weit größeren Kiefernspinners.
Wie wir oben bei der Besprechung der Parasitenfolge bereits ange-
deutet haben, verhalten sich die Parasiten auch bezügl. des Entwicklungs-
stadiums des Wirtes recht verschieden, indem die einen das Ei, die
andern die jungen, wieder andere die älteren Raupen, noch andere die
Puppen und die Imagines befallen. Am meisten haben die Larven und
Puppen unter Schlupfwespenangriffen zu leiden, dann die Eier und am
wenigsten die Imagines. Auch bezügl. des Alters der einzelnen Stadien
werden vielfach Unterschiede gemacht; so belegt z. B. Anastatus bifasciatus
das Ei des Schwammspinners nur in den ersten 10 Tagen des Eistadiums,
während Schedius Kuwanae das Ei erst von da ab, dann aber die ganze
übrige Zeit des Eistadiums (das ca. 280 Tage dauert) befällt.
Sehr verschieden ist auch die Zeit, die der Parasit in dem Wirt ver-
bleibt und demnach auch das Stadium des Wirtes, in welchem derselbe von
seinem Parasiten verlassen wird. Die Eiparasiten sind meist auf das Ei-
stadium beschränkt, während die Larvenparasiten oft noch in die Puppe, ja
mitunter sogar in die Imago übergehen.
Viele Schlupfwespen machen die ganze Entwicklung im Wirtstier durch
und verpuppen sich dann meist ohne Kokons in der Puppe des Wirtes;
andere verlassen ihren Wirt bereits als ausgewachsene Larve, in welchem
Falle sie sich also außerhalb des Wirtes, entweder direkt auf seiner äußeren
Oberfläche oder in dessen unmittelbarer Nähe oder aber ganz unabhängig
von ihm im Boden oder sonstwo verpuppen (meist in Kokons).
Die Ausbohr- oder Schlupföffnungen, die von den Parasiten in den
Eiern oder Puppen der Wirte gemacht werden, unterscheiden sich vielfach
deutlich von den Schlupföffnungen der rechtmäßigen Eigentümer, so daß
man daran gut erkennen kann, ob eine Raupe oder Schmetterling ausge-
krochen ist oder ein Parasit, was natürlich für die Praxis (Feststellung der
Höhe des Parasitenbefalls) von großer Bedeutung ist. Es wird z. B. bei den
Kiefernspinnereiern niemand im Zweifel sein, ob das Räupchen heraus-
gekommen ist oder aber Schlupfwespen, da im letzteren Fall nur eine kleine
runde Öffnung vorhanden ist, während im ersteren der größte Teil der Ei-
schale abgenagt ist (Fig. 192).
Über die Generationsverhältnisse der Schlupfwespen sind wir
noch sehr schlecht unterrichtet; das meiste, was wir darüber wissen, ver-
Insektenvertilgende Tiere.
249
danken wir den Arbeiten der Amerikaner. Ein großer Teil der Schlupf-
wespen hat zweifellos eine einfache Generation. Bei Arten, die im Spät-
sommer auskommen, findet meist eine Überwinterung der befruchteten
Weibchen statt (während die Männchen gleich nach der Befruchtung ab-
sterben). Der Eiparasit Anastatus bifasciatus belegt das frisch gelegte Ei
des Schwammspinners, seine Larve ist bereits nach drei Wochen erwachsen,
sie ruht aber dann zehn Monate innerhalb des abgestorbenen Wirtseies, so
daß seine Imagoflugzeit erst dann eintritt, wenn wieder neue Schwammspinner-
eier vorhanden sind.
Andererseits ist auch eine doppelte Generation nicht selten. So
hat Apanteles glomeratiis zwei Generationen, entsprechend der doppelten
Figf. 192. Schmetterllngseier, von kleinen Schlupfwespen verlassen (mit kleinen Löchern versehen),
daneben Schalenreste ausgeschlüpfter Eier, a und 6 Kiefernspinner; c Brombeerspinner.
Generation seines Wirtes, des Kohlweißlings. So hat ferner nach Fiske
Apanteles fulvipes wenigstens zwei Generationen, von denen die erste in
den kleinen, die zweite in den erwachsenen Raupen des Schwammspinners
lebt, — also zwei Generationen während einer Raupensaison; wahrscheinlich
sind derartige Fälle ziemlich häufig. Bei den letztgenannten Apanteles, dessen
Entwicklungsdauer nur wenige Wochen beansprucht, ist es recht wohl mög-
lich, daß er im Herbst noch auf einen anderen Wirt übergeht, um eine
dritte Generation zu machen.
Wirts Wechsel spielt zweifellos eine große Rolle bei den Schlupf-
w^espen: Teleas ovulormn hat eine ganze Reihe von Wirten, darunter auch
250 Kapitel VI. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
die Eier des Ringel- und des Kiefernspinners; er kann also, wenn er im
August aus den Eiern des letzteren herauskommt, immer noch mehrmals
einen Zwischenwirt benutzen. Ebenso hat der in jungen Nonnenräupchen
schmarotzende Apanteles solitarins mehrere als Zwischenwirte benutzbare
Wirte, wie z. B. die zweite Generation von Orgyia antiqua, so daß er,
wenn er die jungen Nonnenräupchen verlassen hat, sofort neues passendes
Brutmaterial zu einer zweiten Generation vorfindet. — Die Frage des
Wirtswechsels kann für die Praxis von der größten Wichtigkeit sein, be-
sonders, wenn man die Parasiten zur Bekämpfung künstlich heranziehen
will, da es bei Parasiten mit regelmäßigem Wirtswechsel notwendig ist,
daß auch der Zwischenwirt vorhanden ist. Manche Fälle von gänzlichem
Versagen der Parasiteneinfuhr, z. B. Apanteles fulvipes in Amerika, ist viel-
leicht auf den Mangel geeigneter Zwischenwirte zurückzuführen.
Die Anzahl der in einem Wirte lebenden Schlupfwespenlarven
wechselt sehr, von einer einzigen bis zu mehreren Hundert, ja Tausend;
selbst in den Eiern können bis zu zwanzig Larven und mehr vorkommen,
dagegen bewohnt Anastaius bifasciatus das Schwammspinnerei immer nur in
1 Stück. Die größte Zahl ist wohl von Howard beobachtet worden, der in
einer Schmetterlingsraupe 2 — 3000 Stück eines winzigen Chalciders feststellte.
Von Apanteles fulvipes sind in kleineren Schwammspinnerraupen oft nur 2
bis 3 Larven, in großen 100 und mehr. Und von Pteromalus piiparum
werden mitunter 6- — 700 Stück in einer Puppe gefunden. Im allgemeinen
hängt die Zahl der Larven von der Größe der Schlupfwespen ab, indem
um so weniger vorhanden sind, je größer die betr. Schlupfwespe ist und
umgekehrt. Doch ist dies keine feststehende Regel, indem z. B. der kleine
Chalcis flavipes stets nur in 1 Stück in der großen Puppe des Schwamm-
spinners vorkommt. Selten gehen an eine Raupe zwei verschiedene
Schlupfwespenarten; doch sind auch schon solche Fälle beobachtet
worden, z. B. Anomalon und Apanteles in einer Spinnerraupe.
Die Zahl der Larven entspricht nicht immer der Zahl der abgelegten
Eier, da, wie wir oben gehört haben, durch Polyembryonie aus 1 Ei eine
ganze Menge Larven sich bilden können.
Die alte Ratzebu rgsche Hypothese, daß die Schlupfwespen nur
kranke Wirte befallen, ist heute völlig aufgegeben. Hundertfältige Er-
fahrungen haben das Gegenteil gezeigt. Liegt es doch auch im Interesse des
Parasiten, möglichst gesundes Material zu belegen, da in solchem seine Ent-
wicklung viel sicherer sich vollziehen kann, als in kränklichen, absterbenden
Wirten.
Die zweite wichtige Gruppe von Schmarotzerinsekten, die Raupen-
fliegen oder die „Tachinen" (sens. lat.) gehören der Dipterenfamilie der
Tachiniden an, wo sie sich auf 3 Unterfamilien die Tachininae, Dexiinae und
Sarcophaginae verteilen.^)
1) Die Tachininae enthalten 98 (mitteleuropäische) Gattungen mit zusammen
ca. 375 Arten, die Dexiinae 60 Gattungen mit 120 Arten, die Sarcophaginae
ca. 20 parasitische Gattungen mit über 50 Arten (exkl. der Gattung Sarcophaga).
Insektenvertilgende Tiere.
251
Sie bilden im Gegensatz zu den Schlupfwespen eine ziemlich einförmige
Gruppe, und die Arten stehen sich vielfach so nahe, daß die Bestimmung
meist mit großen Schwierigkeiten verbunden ist. Trotzdem zeigen sie in
biologischer Hinsicht eine erstaunliche Vielseitigkeit, und stehen
darin den Schlupfwespen kaum nach. Bis vor kurzem waren unsere
biologischen Kenntnisse dieser wirtschaftlich so bedeutsamen und wissen-
schaftlich so interessanten Tiere beinahe gleich Null; erst im letzten
Fig. 193. Tachinen. A Blepharipa scutellata; B deren kleine schwarze Eier auf einem Blatt befestigt,
wo sie von den Raupen zugleich mit dem Blatt gefressen werden; C Larve \oq Eupeleteriamagnicoryiis,
die mit ihrem Hinterende an einem Blatt befestigt ist, um mit ihrem freien Vorderende sich an eine
vorüberkriechende Larve festzuheften. Nach Howard und Fiske aus Escherich.
Jahrzehnt ist darin etwas Wandel geschaffen worden, vor allem durch die
Arbeiten von Townsend, Fiske, Pantel, Nielsen und Prell, so daß wir
heute wenigstens von einigen wenigen Arten die Lebensgeschichte einiger-
maßen kennen.
Die Verschiedenartigkeit in der Biologie dokumentiert sich wie bei den
Schlupfwespen auch bei den Tachinen schon bei der Eiablage: die einen
Arten (wohl die Mehrzahl) legen ihre Eier außen auf die Haut des Wirtes
ab, so daß also die auskommenden Lar\^en sich durch die Haut durch-
bohren müssen (z. B. Tachma larvarum, Parasetigena segregata)] die
anderen legen gleich die Larven auf den Wirt ab (z. B. E.xorista); wieder
252 Kapitel VI. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
andere bringen die Larven gleich in den Körper des Wirtes, indem
sie mit Hilfe eines besonderen Legeapparates die dünne Haut zwischen den
Segmentplatten durchbohren {Compsilura concinnata)] wieder andere setzen
ihre Larven auf Blättern ab, von wo aus sie auf vorüberlaufende Raupen
zu gelangen suchen {Eupeleteria, Panzeria), und noch andere endlich legen
ihre Eier (die in diesem Falle winzig klein und hartschalig sind) auf Blätter
ab, wo sie von den Raupen gefressen und so in den Körper des Wirtstieres
gelangen {Blepharipa \Sturmia\ scutellatä).
Auch die Zahl der Eier, die ein Tachinenweibchen produzieren kann,
ist sehr unterschiedlich und schwankt zwischen wenigen Hundert und
mehreren Tausend, je nach der Größe der Eier. Da meist nur je 1 Ei an
einem Wirtsindividuum gefunden wird, so kann die Zahl der produ-
zierten Eier event. die Zahl der einem Tachinen-9 zum Opfer fallenden
Raupen usw. bedeuten. In Wirklichkeit dürfte dieser Fall jedoch nur selten
eintreten; denn einmal finden wir auch Ausnahmen von obiger Regel, indem
mitunter eine ganze Anzahl Eier an 1 Wirtsindividuum gelegt werden,
und sodann werden viele Eier bei der Häutung des Wirtes wieder ab-
gestreift, so daß sie also nicht alle zur Entwicklung gelangen können. Im
Hinblick auf letzteren Punkt unterscheiden wir zwischen Tachinierung und
Tachinose, indem wir als „tachiniert" überhaupt alle mit Eiern besetzten
Raupen bezeichnen, als „tachinös" jedoch nur solche, die wirklich infiziert,
d. h. bei denen die Larven bereits in den Körper eingedrungen sind. Die
Zahl der tachinierten Raupen allein kann also nicht ohne weiteres als ge-
nauer Maßstab für die Höhe der Tachinose verwandt werden, wenn sie
auch in den meisten Fällen ein annähernd richtiges Bild davon geben
dürfte.
Gewöhnlich kann sich in einem Wirtsindividuum nur eine oder
höchstens zwei Tachinenlarven gut entwickeln. Wo mehr eindringen, sterben
die überzähligen meistens, wohl aus Raum- oder Nahrungsmangel, ab. Es
sind jedoch bei kleinen Tachinenarten auch Fälle beobachtet worden, in denen
5 oder 7 oder sogar noch mehr Tachinenlarven sich in einer Schmetterlings-
raupe voll entwickelt haben; ja Präparator Herpig hat aus einer Puppe von
Sphinx pinastri nicht weniger als 18 entwickelte Tachinenlarven auskommen
sehen. Immerhin ist der erstere Vorgang (Absterben der überzähligen Larven)
wohl als die Regel anzusehen; es ist daher keineswegs immer, wie vielfach
in der Praxis angenommen wird, ein besonders erfreuliches Zeichen, wenn
auf einer einzigen Raupe eine große Anzahl Tachineneier gefunden werden,
sondern es bedeutet dies meistens eine (wohl auf Instinktsirrtum resp. -mangel
beruhende) Vergeudung der Vernichtungskraft der Tachine.
Wie bei den Schlupfwespen gibt es auch bei den Tachinen sowohl
monophage als auch polyphage Arten, doch überwiegen hier zweifellos
die letzteren.
Meistens bohrt sich die Tachinenlarve, wenn sie ausgewachsen ist, aus
dem Wirte aus, um sich entweder in der Nähe des Wirtes oder aber im
Boden in den charakteristischen Tönnchen (siehe S. 168, Fig. 170, A) zu
Insektenvertilgende Tiere. 253
verpuppen. Nur ganz wenige Formen verpuppen sich in dem Wirtstier, wie
z. B. die Viviana cinerea im Abdomen von Carabus, oder Carcelia comata
in der Puppe von Malacosonia castrensis.
Die Tachinen haben sowohl einfache als doppelte Generation. Als
Beispiel für die erstere nenne ich die Nonnentachine Parasetigena segregata,
die im Juli sich verpuppt und als Puppe überwintert, um erst im nächsten
Mai, wenn wieder Nonnenraupen vorhanden sind, auszuschlüpfen. Eine
doppelte Generation hat z. B. Tachina larvaruni, Actia pilipennis oder
Phryxe vulgaris; meist ist dieselbe mit einem Wirtswechsel, wie wir ihn be-
reits oben bei den Schlupfwespen kennen gelernt haben, verbunden. So
wurde z. B. von der sehr potyphagen Tachina larvarum eine Sommer- und
eine Winter-Herbstgeneration beobachtet, die erstere in Malacosoma castrensiSy
die letztere in Spilosoma lubricipeda. Ebenso hat Actia pilipennis wenigstens
zwei Generationen: die erste schmarotzt in der Larve des Harzgallenwicklers
{Evetria resinella), aus der im Mai die Imagines auskommen. Diese belegen
alsdann die um diese Zeit bereits ziemlich erwachsenen Raupen des Kiefern-
triebwicklers {Ev. buoliana), woraus im Juli bis August die Fliege zum
zweitenmal im Jahre erscheint.
Über die Wirksamkeit (Vernichtungsgröße) der Tachinen haben wir
oben schon einiges gesagt. Bei manchen Schädlingen spielen die Tachinen
die Hauptrolle, wie z. B. bei der Kieferneule (siehe oben Fig. 188, S. 242)
und der Nonne. Hängt doch bei der letzteren das Ende der Kalamität
vielfach (d. h. neben der Wipfelkrankheit, deren Rolle noch nicht genügend
aufgeklärt ist) von der Zahl, resp. von den Entwicklungsbedingungen der
Tachine ab, wie wir bei der gegenwärtigen Nonnenkalamität in Sachsen
mehrfach beobachten konnten. Auch Nielsen teilt einen Fall mit, der die
Beendigung einer Kalamität durch die Tätigkeit der Tachinen zeigt: 1905
wurde eine Weidenhecke vom Weiden- und Ringelspinner belegt, 1906 und
1907 vermehrten sich die Raupen so sehr, daß die Hecke völlig kahl ge-
fressen wurde, 1907 ward zum erstenmal die Tachinose festgestellt {Carcelia
gnava), 1908 zeigte sich bereits ein Rückgang der Raupen bei gleichzeitiger
Zunahme der Tachinose, 1909 waren schon 50 *^/^) der Raupen tachinös und
1910 waren nur noch wenig Raupen vorhanden, die fast alle von Tachinen
befallen waren.
Raubinsekten.
Wirtschafdich stehen die Raubinsekten den Parasiten im allgemeinen
zweifellos nach. Schon die Zahl der Arten ist eine ungleich geringere, und
auch die Vermehrungsgröße reicht gewöhnlich nicht an die der Parasiten
heran. Dennoch gibt es auch Fälle, in denen die Wirkung der Raubinsekten
derjenigen der Parasiten gleichkommt und sie sogar noch übertrifft. So können
wir z. B. der raschen und radikalen Vernichtung der nach Amerika ver-
schleppten Wollschildlaus Icerya Purchasi durch den Coccinelliden
Noviits cardinalis kaum ein ebenbürtiges Beispiel aus der Reihe der Para-
siten an die Seiten stellen. Auch viele andere Coccinelliden (aller
Weltteile) sind als überaus wirksame Bekämpfer von Schädlingen, vor allem
254 Kapitel VI. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
der Blatt- und Schildläuse, beobachtet worden. Vor kurzem hatten wir
Gelegenheit, uns von der Wirksamkeit der Coccinelliden im Walde zu über-
zeugen. Vor einigen Jahren trat im Reudnitzer Revier (Sachsen) eine Schildlaus,
Palaeococcus fuscipetinis, in ungeheueren Mengen an Kiefern auf, so daß an
einzelnen Stämmen faustgroße Ballen der weißen Wolle zu finden waren.
Die Vermehrung machte jedoch bald Halt, und zwar gleichzeitig mit dem
häufigeren Auftreten von Novius cruentatus^ dessen Larve und Imago von
der Schildlaus sich nährt. Der Coccinellide wurde in der Folgezeit immer
häufiger, während damit Hand in Hand die Schildlaus immer mehr zurück-
ging und schließlich nach wenigen Jahren vollständig verschwand. — Nach
allem, was wir bis jetzt über die Coccinelliden wissen, dürfen wir diese
Käferfamilie bezügl. ihrer wirtschaftlichen Bedeutung (Vernichtungskraft) in
die erste Reihe unter den Raubinsekten stellen.
Eine bedeutende Rolle im Kampfe gegen die Schädlinge spielen auch
die Ameisen, von denen ja viele Arten großenteils oder sogar aus-
schließlich von Insekten sich nähren, und deren Nahrungsbedürfnis infolge
der großen Individuenzahl ein ungemein hohes ist. Das höchste Lob unter
Fig. 194. Verschiedene Coccinellen mit ihren Larven und Puppen. Aus Ritzema Bos.
ihnen verdient — wenigstens in unseren Landen — unstreitig die rote
Waldameise {Formica rufa), die infolge ihrer großen Haufen zu den be-
kanntesten Ameisenarten unserer Fauna gehört. Von früh bis nachts sehen
wir von ihren Bauten aus ununterbrochene Reihen von Arbeitern ausziehen,
um die ganze Umgebung sowohl auf dem Boden als auch auf den Bäumen
nach Insekten zu durchstreifen. Versuchen wir, Zählungen anzustellen, so
gelangen wir zu höchst überraschenden Zahlen. Forel berechnete, daß
von den Bewohnern eines einzigen großen Nestes an einem Tage mindestens
100000 Insekten vertilgt werden; das macht in einem Sommer mindestens
10 Millionen.
Gegenüber den Ameisen spielen die übrigen Hymenopteren eine ge-
ringere Rolle. Immerhin machen sich die Grabwespen (Fig. 195), welche die
Gewohnheit haben, Insekten für ihre Nachkommenschaft in die Nester einzu-
tragen, durch Vertilgung zahlreicher Forstschädlinge recht nützlich; vor
allem scheinen sie an der Bekämpfung der verschiedenen Kurzrüßler, wie
Brachyderes, Phyllobius, Polydrusus usw. einen nicht zu unterschätzenden
Anteil zu nehmen. Auch die Faltenwespen (die einsamen sowohl, wie die
geselligen) beteiligen sich an der Vernichtung von Schädlingen, indem sie
zahlreiche Larven aller Art usw. in ihre Nester eintragen.
Insektenvertilgende Tiere.
255
Übrigens ist die Tätigkeit der Raubwespen keineswegs eine unein-
geschränkt nützliche, denn es fallen ihr nicht nur schädliche, sondern auch
nützliche Tiere zum Opfer, und einige Arten haben sogar eine spezielle Vor-
liebe für nützliche Tiere; so tragen z. B. verschiedene Arten der Gattung
Crabro vorzugsweise Fliegen, darunter viele Syrphiden und Tachinen ein.
Nach den Ameisen dürften — hinsichtlich der wirtschaftlichen Bedeutung
— die Laufkäfer (Fig. 196) zu nennen sein, vor allem die beiden Puppen-
räuber, Calosoma sycophanta und Inquisitor^ deren nützliche Tätigkeit
(Vertilgen der Raupen und Puppen der verschiedensten Arten, wie Nonne,
Kiefernspinner, Schwammspinner usw.) jedem Praktiker geläufig ist. Trotz
dieser allgemein bekannten Eigenschaft und der doch ziemlich auffallenden
Erscheinung der beiden Käfer waren unsere Kenntnisse darüber bis vor
kurzem nur sehr mangelhafte; erst in der allerjüngsten Zeit sind wir besser
"^^
-ar.
,-^— - ■ -t _.
Fig. 195. Eine Grabwespe, eine Raupe eintragend. Nach Peckham.
unterrichtet worden, und zwar durch die Amerikaner, welche den Sycophanten
seiner ausgezeichneten Kletterfähigkeit wegen bei sich eingeführt haben (mit
bestem Erfolg!) zur Unterstützung des Kampfes gegen den Schwammspinner
und zu diesem Zwecke vorher eingehende Studien über seine Lebens-
weise angestellt haben. Darnach hat der Käfer eine Lebensdauer von
3 Jahren und vertilgt in dieser Zeit pro Jahr 2 — 400 erwachsene Schwamm-
spinnerraupen, während die Larve zu ihrer vollen Entwicklung nur ca. 40
ausgewachsene Raupen oder gar nur ein Dutzend Puppen bedarf. Die Ver-
mehrungsziffer ist eine relativ hohe, indem ein Weibchen während seiner
dreijährigen Lebensdauer durchschnittlich gegen 300 Eier legt. Diese Zahlen
machen den wirtschaftlichen Wert der Puppenräuber ohne weiteres klar.
Auch die verschiedenen anderen großen Carabiden beteiligen sich an der
Insektenvertilgung, doch bei weitem nicht in dem Maße wie die eben-
genannten.
Von den übrigen als Insektenräuber bekannten Käfern, wie den ver-
schiedenen Kurzflüglern (Staphyliniden), von denen die kleineren Arten
256
Kapitel VI. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
vielfach in den Gängen von Borkenkäfern gefunden werden, oder den Aas-
käfern (Si/pha), deren Larven den Raupen der Nonne und anderer
Schmetterlinge nachstellen, oder dem C/erus formicarius, dem allgemein
bekannten Borkenkäferfeind, oder den vielen kleinen Nitiduliden, Cucu-
jiden usw. besitzen wir leider noch sehr wenig positive Angaben, betr. des
Umfanges ihrer vertilgenden Tätigkeit, so daß sich der Grad ihrer wirtschaft-
lichen Bedeutung schwer einschätzen läßt; sehr hoch scheint derselbe nach
den gelegentlich gemachten Erfahrungen allerdings nicht zu sein.
Neuerdings wurden auch Elateridenlarven mehrfach als Räuber fest-
gestellt. So konnte Forstmeister Grohmann (Königstein) solche beim Ver-
tilgen von Hy/obms-La.rxen beobachten, und zwar in ziemlich ausgedehntem
Maße, so daß er in ihnen einen nicht zu unterschätzenden Faktor in der Be-
Fig. 196. Verschiedene nützliche (räuherische) Laufkäfer, a Cii'indela Injhrida; h Carahus auratus; c Calo-
soma sycophanta; d dessen Larve. Aus Taschenber«;.
schränkung der Rüsselkäfervermehrung erblickt (Thar. forstl. Jahrb. 1913).
Leider beschränkt sich aber die räubeiische Tätigkeit der Drahtwürmer nicht
bloß auf schädliche Tiere, sondern es fallen ihnen auch, wie ich im ver-
gangenen Jahre feststellen konnte, zahlreiche Tachinentönnchen zum Opfer.
Eine nicht unbeträchtliche Rolle als Insektenvertilger spielen die
Schwebefliegen (Syrphiden), deren Larven fast ausschließlich von
Blattläusen sich nähren. Ähnliches gilt für die Larven der zu den Netz-
flüglern gehörigen Florfliegen oder Chrysopiden, welche wegen ihrer
Blatdausvernichtung auch als „Blattlauslöwen" bezeichnet werden. Forst-
lich bedeutsamer als die Florfliegen ist ein anderer Netzflügler, nämlich die
sog. Kamelhalsfliege (Raphidie), deren Larve als fleißige Vertilgerin von
Nonneneiern, von Lyda hypotrophica und auch von Borkenkäfern (nach
C. Keller) beobachtet ist.
Weiter sind als Insektenvertilger zu nennen die verschiedenen
Orthopteren oder Geradeflügler, vor allem die sog. Ohrwürmer
{Forficulä), welche sich durch Verzehren von Raupen und Puppen, und be-
sonders auch von Blattläusen (nach C. Verhoeff) sehr nützlich machen.
Insektenvcrtilgende Tiere.
257
Endlich sei noch der räuberischen Schildwanzen Erwähnung- getan,
die bei Nonnenkalamitäten usw. oft in großer Anzahl beim Anstechen und
Aussaugen von Nonnenraupen beobachtet werden; es handelt sich dabei
meist um die zu den Asopiden gehörigen Gattungen Troilus und Picromerus.
Andere räubeiische Arthropoden.
Im Anschluß an die Raubinsekten sei noch auf einige andere räube-
rische, von Insektenraub lebende Arthropoden hingewiesen: die Tausend-
füße (resp. Hundertfüße) und die Spinnen.
Von den Tausendfüßen (Myriapoden) kommen als räuberisch nur
die Chilopoden („Hundertfüße") in Betracht, die durch Vermittlung der in
den Kieferfüßen enthaltenen Giftdrüsen ihre Opfer bewältigen. Der ver-
schiedenen Körpergestalt entsprechend ist auch der
Hauptschauplatz der Tätigkeit bei den verschiedenen
Gruppen recht verschieden. So jagen die Spinnen-
asseln mit reißender Geschwindigkeit an Wänden,
Steinen und Bäumen nach Fliegen und anderen In-
sekten; die Steinläufer dagegen kriechen im Laubwerk
des Waldbodens, oder unter der Rinde alter Bäume
umher, um dort Jagd auf Schnecken, Insekten und
anderes Getier zu machen. Da die Chilopoden alles
fressen, was ihnen in den Weg kommt, so werden sie
ebensoviel nützliche wie schädliche wie indifferente
Insekten vertilgen, so daß ihnen im allgemeinen keine
größere Bedeutung weder nach der einen noch nach
der anderen Seite hin zukommen resp. ihre Wirkung
sich aufheben dürfte. Doch kann natürlich da, wo
weit mehr schädliche als nützliche Insekten vorhanden
sind, die räuberische Tätigkeil einen ausgesprochenen
Nutzen bedeuten. So beobachtete z. B. Keller des
öfteren, daß der braune Steinkriecher, Lithobius forßcatus unter die sich ab-
lösende Rinde der von Borkenkäfern besetzten Bäume kriecht, um die dort
befindlichen Käfer zu verzehren.
Einigermaßen ähnlich wie die Tausendfüße verhalten sich die Spinnen,
insofern als auch sie meistens ohne Unterschied sowohl nützliche als auch
schädliche Insekten vertilgen. Immerhin scheinen doch wenigstens manche Arten
eine Vorliebe für gewisse Schädlinge zu haben, und so ein wirkliches Gegen-
gewicht gegen die Vermehrung der letzteren darzustellen, wie besonders aus
den Untersuchungen von Keller hervorgeht. So werden z. B. die Chermes-
Arten stark von den Spinnen verfolgt und in großen Mengen vernichtet.
Keller fand, daß den Läusen, wenn sie den Gallen entfliegen, von ver-
schiedenen Jagd- und Radspinnen eifrig nachgestellt wird. Ja, diese Räuber
zogen sich förmlich nach den befallenen Fichtenbeständen zusammen, wo
nun zahlreiche vorher fehlende Spinnennetze zu sehen waren. Außer den
echten Spinnen (von denen Epeira diadema, Theridium nervosum, rcdimitum
und irrorahim, Tetragnatha extensa usw. genannt werden), beteiligen sich
Escherich, Forstinsekten. 17
Fig. 197. Hemtrohms Larve,
eine Blattlaus aussaugend.
Nach Buckton aus Eck-
stein.
258 Kapitel VI. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
auch die Afterspinnen an der CA^rm«?«- Vernichtung. So beobachtete Keller,
wie eine Phalangium- Krt (Weberknecht) mit besonderer Gier die Weibchen
von Chermes strobilobius vor der Eiablage ergriff, ihnen die Einlassen aus
dem Hinterleib quetschte und auffraß, während er die anderen härteren Teile
liegen ließ. Versuche ergaben, daß ein Phalangium-^ eine große Anzahl
von CA^rw^s-Weibchen vernichten kann. — Auch die Verbreitung der
Fichtenquirlschildlaus, Lecanium hemicryphum, wird nach Keller wesentlich
durch Spinnen, und zwar vor allem durch Micryphantes rubripes C. L. Koch
und Thomisiis calycimis C. L. Koch beschränkt.
Ferner betont Keller den Nutzen, den die Spinnen durch Abfangen
der Kleinschmetterlinge (namentlich von Tortrix tedella, resinella und
buoliana) und der blatt- und nadelfressenden Rüsselkäfer bringen. Letzteres
konnte ich anläßlich eines größeren Brachyderes-FraQes in Schlesien bestätigen,
wo in den stark befressenen Kulturen auffallend viele Spinnen aller Art
herumwimmelten.
Eckstein berichtet, daß sich 1886 eine Webspinne, Sieaiodia sisyphta,
in dem Schutzbezirk Brahlitz (Fieienwalde) durch den Fang der Imagines von
Lophyrus pini nützlich gemacht habe; und Wagener meldet, daß 1888 in
der fürstlich Lippeschen Oberförsterei Varenholz gleichfalls eine Webspinne,
Epeira scalaris, die Raupen des Rotschwanzes [Orgyia pudibunda) in ihren
auf dem Unterwuchse angelegten Gespinsten gefangen und ausgesaugt
habe. Während der jetzigen Nonnenkalamität in Sachsen konnte man zahl-
reiche Spinnen aller Art unter den Leimringen auf die dort angesammelten
Raupen Jagd machen sehen.
Schwangart schreibt besonders den Springspinnen {Saliicoidae)
und den Mord- oder Krabbenspinnen {Laferigradae) eine größere wirt-
schaftliche Bedeutung zu; letztere wurden von ihm als eifrige Schmetterlings-
jäger auf Wiesen beobachtet, außerdem nehmen sie nach seinen Versuchen
auch behaarte Raupen, selbst solche mit Brennhaaren (Goldafter usw.) an,
was andere Spinnen nicht tun.
Zweifellos kommt also den Spinnen eine gewisse wirtschaftliche Be-
deutung bei der Bekämpfung der schädlichen Insekten zu. Doch wissen wir
leider noch sehr wenig positives darüber und es würde sicherlich eine
dankbare Aufgabe sein, die Spinnenfrage zum Gegenstand eingehender Unter-
suchungen zu machen.
3. Die insektentötenden Pilze ^) (Mykosen).
(Bearbeitet von Dr. Georg Lakon)
A. Systematik und Biologie.
Unter der Bezeichnung Pilze (fiiiigi) versteht man im allgemeinen alle
diejenigen niederen, sporenbildenden Organismen (Kryptogamen, Thallo-
') In der vorigen Auflage war dieser Abschnitt unter Mitwirkung von
de Biry bearbeitet. Für die vorliegende Auflage hat Herr Dr. Georg Lakon,
Assistent am hiesigen Botan. Institut, die völlige Neubearbeitung, die infolge der
vielen neuen Forschungsergebnisse notwendig geworden war, übernommen, wofür
ich ihm auch an dieser Stelle meinen herzlichsten Dank aussprechen möchte.
Die insektentötenden Pilze. 259
phj^ten), welche jeglicher assimilierender, farbstofführender Körper (Chroma-
tophoren) entbehren und somit auf saprophytische oder parasitische Lebens-
weise angewiesen sind.
Derartige Organismen werden jedoch heute, nach genauer Kenntnis
ihrer Entwicklungsgeschichte, unter Zugrundelegung ihrer natürlichen ver-
wandtschaftlichen Beziehungen in mehrere selbständige Abteilungen geteilt,
welche verwandtschaftlich zueinander z. T. weniger nahe stehen als zu
anderen, assimilierende Chromatophoren führenden, also nicht pilzlichen
Thallophyten.
Man unterscheidet drei Hauptabteilungen, nämlich die Bakterien oder
Spaltpilze {Bakterie, Schizomycetes), die Schleimpilze {Myxomycetes) und
die echten Pilze {Eumycefes).
Pilze im engeren Sinne sind nur die Vertreter der letzten Kategorie,
welche auch allein hier unser Interesse beanspruchen. Die Bakterien werden
im nächsten Abschnitt besprochen werden, während die Myxomyceten, also
die in ihrem vegetativen Stadium nur aus nackten Protoplasten bestehenden
Organismen unberücksichtigt bleiben, da unter ihnen keine Art zu finden ist,
welche auf Insekten parasitisch lebt.^)
Unter den echten Pilzen gibt es eine große Anzahl von Arten, welche
auf Insekten parasitisch leben, d. h. auf Kosten und zur Beeinträchtigung
lebender Insekten. Letztere werden infolge des Befalles krank, und diese
Erkrankung führt in den meisten Fällen nach kürzerer oder längerer Zeit
schließlich den Tod des befallenen Tieres herbei. Solche Erkrankungen, die
man im allgemeineti als „Mykosen" bezeichnet, sind unter den Insekten sehr
verbreitet und treten bisweilen epidemisch auf, große Verheerungen unter
den betr. Insekten verursachend. Es sind auch vielfach Fälle bekannt, bei
welchen große, durch Insekten verursachte Forstverheerungen durch den
epidemischen Ausbruch von Mykosen beendet und völlig unterdrückt wurden.
Solche Krankheiten von Forstschädlingen können also von großem wirtschaft-
lichem Nutzen sein und beanspruchen daher das Interesse des Forst-
manns.
Der einfach gebaute Körper (Thalhis) der echten Pilze besteht aus
feinen farblosen, meist verzweigten fadenförmigen Zellen oder Zellenreihen,
den Hyphen; die Gesamtheit dieser vegetativen Hyphen, welche das
Substrat durchziehen, oder auch zu größeren Knäueln lose miteinander ver-
webt sein können, heißt M3'celium. Einige Pilzarten bilden durch festes
Zusammenweben von kurzgliedrigen H3'phen größere, harte, pseudoparen-
chymatische Körper, die sog. Sklerotien, welche, ähnlich den Knollen der
\) In der neueren Zeit sind allerdings einige wenige Fälle bekannt geworden,
bei welchen in den Malpighischen Gefäßen von Insekten zu den Myxomyceten
gehörige Organismen nachgewiesen wurden, so z. B. bei Olocrates abbreviatus (nach
Leger, in Compt. rend. Ac. sc. CXLIX, 1909, S. 239—241) und Dorciis parallelepipedus
(nach Leger und Hesse ebenda, S. 303—304). Die Art der Beeinflussung des
Wirtes durch diesen Parasitismus ist jedoch keinesfalls klar gelegt.
17===
26Ö Kapitel VI. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
höheren Pflanzen, nach Verlauf einer längeren Zeit der Ruhe unter be-
stimmten Bedingungen wieder auszukeimen vermögen.
Die Vermehrung der Pilze findet durch Sporen statt; die Entstehung
derselben geschieht entweder auf geschlechtlichem oder ungeschlechtlichem
Wege, doch ist letzterer Vermehrungsmodus nur bei verhältnismäßig wenigen
Pilzen vertreten. Die Form der Sporen und ihre Bildungsart ist bei den
verschiedenen Gruppen verschieden und für letztere charakteristisch
(siehe unten).
Die echten Pilze werden in zwei große Gruppen geteilt, nämlich in
Algenpilze {Phycomycetes) und Fadenpilze (Hyphomycetes). Das Mycelium
ersterer besteht, selbst wenn es vielfach verzweigt ist, aus einer einzigen un-
gegliederten Hyphe, während die Fadenpilze ein septiertes, d. h. durch
Querwände in mehrere Zellen gegliedertes Mycelium besitzen. In folgendem
werden nur diejenigen Familien dieser beiden Hauptgruppen besprochen,
welche auf Insekten schmarotzende Vertreter aufweisen.
Algenpilze.
E n t o m o p h t h o r a c e e n .
Von den Algenpilzen interessiert uns in erster Linie die Familie der
Entomophthoraceen und von dieser wiederum vornehmlich die Gattungen
Entomophthora Fres. und Empusa Cohn, welche ausschließlich epizoische
Arten enthalten. i) Diese Pilze dringen in die Leibeshöhle lebender Insekten
ein und entwickeln sich hier auf Kosten des Wirtes; nach dem Tode des
erschöpften Tieres bildet der Pilz seine Fruchtträger, d. h. besondere, ab-
gegliederte sporentragende Hyphen, welche die Körperdecke des Insektes
durchbrechen, um hier durch Abschnürung Sporen von bald erlöschender
Keimkraft, die sog. Konidien zu bilden. Die konidientragenden Hyphen-
äste nehmen begierig Wasser auf, so daß durch den entstehenden inneren
Druck die Spitze der Konidienträger aufplatzt und der plasmatische Inhalt
samt der aufsitzenden Konidie einige Zentimeter weit fortgeschleudert wird
(Fig. 198, F). Diejenigen Konidien, welche dadurch auf andere in der Nähe
stehende Insekten gelangen, sind imstande, durch sofortiges Auskeimen und
Bildung eines die Chitinhaut durchbohrenden Keimschlauches die betr. In-
sekten zu infizieren. Auf totem Substrat bei genügender Feuchtigkeit keimt
dagegen die Konidie zu einer Sekundärkonidie aus, welche wiederum
abgeschleudert wird; dies kann mehrmals wiederholt werden, wobei jede
neue Konidie an Größe abnimmt. Durch diese Einrichtung wird die Mög-
lichkeit gegeben, daß jede Konidie doch schließlich auf ein Insekt ab-
geschleudert wird.
^) Eine Zwischenform bildet die Gattung Lamia (auf Mücken). Zu den
insektentötenden Entomophthoraceen gehören höchstwahrscheinlich ferner die un-
genügend bekannten, zweifelhaften Gattungen Massospora Peck., Epichloea Giard.,
Chromostylium Giard, Polyrrhiziuni Giard, Metarrhizium Giard, Haiisaria Giard
und Sorosporella Sorok. auf verschiedenen Insekten.
Die insektentötenden Pilze.
261
Sind dagegen die Konidien auf ungeeignetes Substrat gefallen und haben
keine Gelegenheit zu keimen, so verlieren sie nach kurzer Zeit ihre Keim-
fähigkeit; sie sind also nicht imstande, die Überwinterung des Pilzes zu ver-
mitteln. Zu diesem Zweck bilden die Entomophthoraceen eine besondere
Sporenform, die sog, Dauersporen, d. h. Sporen, welche mit einer dicken
Membran versehen und imstande sind, nach einer längeren Ruheperiode zu
Fig. 198. Empiisa muscae Colin. A Eine vom Pilz getötete Stubenfliege mit dem sie umgebenden
Hofe weggeschleuderter Sporen; B Spoi-en bei a mit umgebendem Protoplasmabof, bei b ebne den-
selben; C Sporen, keimend und sekundäre Sporen bildend; B hefeartig sprossende Empusazellen aus
dem Fettkörper einer Fliege: Ea Empusazellen aus dem Fettkörper im Auswachsen zu Schläuchen
begritfen, ft solche weiter fortgeschrittene Schläuche; F halbschematische Darstellung der Frukti-
fikation; x Andeutung der Leibeswand, y Chitinhaare des Fliegenleibes, a die durch die Leibeswand
dui'chgebrochenen, sporentragenden Hyphenenden, & die im Körper bleibenden Hyphenschläuche, c noch
nicht durchgebrochene Schläuche, d weggeschleuderte, aber an den Haaren der Fliege hängengebliebene
Sporen, zum Teil bereits sekundäre Sporen erzeugend. (Nach Brefeld [9].)
keimen. Diese Dauersporen entstehen im Innern des Tieres, und zwar ent-
weder als Az5^go Sporen durch einfache Anschwellung von seitlichen oder
terminalen Auswüchsen der Hyphen, oder auf geschlechtlichem Wege als
Zygosporen durch Kopulation von zwei Hyphenästen.
Die Gattung Enipusa.
Bei der Gattung Empusa ist das M3xelium anfangs schlauchförmig, später
zerfällt es in rundliche oder verzweigte kurze Glieder (Fig. 198, D u. 199, b — g),
welche oft hefeartige Sprossung zeigen. Die Konidienträger sind einfach un-
262
Kapitel VI. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrun^
verzweigt (Fig. 198, F, a b), und die Dauersporen entstehen als Az37gosporen
(Fig. 199, q—u).
Von großer forstlicher Bedeutung ist Empusa aulicae Reich., eine auf
dem Forstschädling Panolis piniperda (Kieferneule) parasitisch lebende Art.
_^,^ Ihre Entwicklung ist etwa folgende
*m^:^^ (v. Tubeuf [41]'):
Die keimende Spore sendet
durch die Haut des Tieres einen
Schlauch in das Tierinnere hinein;
hier wuchert der Pilz durch das
Tier hindurch, alle Weichteile des-
selben aufzehrend. Die erkrankten
Raupen klammern sich mit den
hinteren Beinpaaren an die Kiefern-
nadeln, auf denen sie sitzen, fest,
den vorderen Körperteil und den
Kopf vom Substrat abhebend; in
dieser Stellung werden sie später
tot vorgefunden (Fig. 199, ä). Aus
der ganzen Körperfläche erheben
sich in dichtem Rasen die Konidien-
träger, so daß die Raupe wie von
einem gelbgrünen Mehl einge-
stäubt erscheint; das Substrat zeigt
ebenfalls in der Nähe des ver-
endeten Tieres eine feine Mehl-
bestäubung. Letztere rührt von
den in der schon geschilderten
Weise abgeschleuderten Konidien
her. Dieselben sind eiförmig, 27 bis
38 n lang, 20—27 fx breit (Fig.
199, k).
Für die Überwinterung des
Pilzes werden Dauersporen, und
zwar Az^'gosporen gebildet; sie ent-
stehen im Innern der in das feuchte
Winterlager gekrochenen Raupe,
end- oder seitenständig an den
r), sind kugelförmig und von einer dicken, glatten Mem-
Fig. 199. Empusa aulicae Reich. a eine auf einer
Kieferunadel sitzende, vom Pilz getötete und mit
Konidien bedeckte Kieferneule; h—g Pilzzelleu im
Raupeninnern, aus dem zerfallenen Mycelium stam-
mend; h—i einzelne Konidienträger mit Konidien; k
eine Konidie; l eine l^eimeude Konidie; m eine Ter-
tiärkonidie mit dem aus der sekundären Mutterkonidie
stammenden Plasmahof ; n eine zu einerTochterkonidie
wachsende Mutterkonidie; o die ausgebildete Tochter-
konidie in Zusammenhang mit der schon entleerten
Mutterkonidie; p eine entleerte Mutterkonidie; q—u
Bildung von Dauersporen. « natürl. Größe, h—u stark
vergrößert. (Nach v. Tubeuf [41].)
Hyphen (Fig. 199, q-
bran umgeben (s — u).
Diese Art befällt außer der Kieferneule auch die Raupen verschiedener
Schädlinge der Laubbäume, wie Porthesia chrysorrhoea (Goldafter) und
Orgyia pudipunda (Rotschwanz) und ferner Euprepia aulica und E. villosa,
Gastropacha neusfria, Ocneria dispar u. a.
Die insektentötenden Pilze. 263
Auf pflanzenschädlichen Insekten kommen ferner folgende Empusa-
Arten vor: E. grylli {Eres.) Nowak, auf Heuschrecken, mit ei- bis birn-
förmigen, bräunlichen, 33 — 34 /«, langen und 25 — 37 }i breiten Konidien und
kugeligen Dauersporen von 34 — 40 {.i Durchmesser.
E. Fresenii Noivak. auf Aphis-Arten, mit eiförmigen, 18 — 20 fx langen
und 15 — 18 f.1 breiten Konidien. Thaxter konnte die Bildung von elliptischen
Zygosporen beobachten, weshalb er diese Art von der Gattung Empusa
trennte.
E. planchoniana {Cormi) Thaxf. ebenfalls auf Aphis-Arten, mit 33 bis
40 fji langen und 28 — 30 /t breiten Konidien und Dauersporen von 35 — 50 /.l
Durchmesser.
Schließlich sei auch auf die in der gemeinen Stubenfliege schmarotzende
E. muscae Cohn aufmerksam gemacht (Fig. 198). Die Krankheit ist überall
verbreitet und tritt jeden Herbst regelmäßig auf; wir finden die Fliegen auf
den Wänden, Fensterscheiben u. a. sitzend tot vor, von einem aus den ab-
geschleuderten Konidien bestehenden Hof umgeben (Fig. 198, A). Die
Konidien sind 20 — 30 fji lang und 18- — 25 fx breit, die Dauersporen von 30 bis
50 |W, Durchmesser.
Zahlreiche andere Empusa-Arten kommen auf anderen europäischen
sowie außereuropäischen Insekten vor, die aber unser Interesse nicht be-
anspruchen.
Die Gattung Eufonioplifhora.
Bei der Gattung Entomophtiwra ist das Mycelium stark entwickelt
und reich verzweigt; ebenso verzweigt sind die Konidienträger, ein für die
Gattung charakteristisches Merkmal (Fig. 200, D). Das Mycelium tritt stellen-
weise aus der Raupe heraus in Form eines aus starken Strängen bestehenden
Luftmyceliums, wodurch das tote Insekt auf dem Substrat befestigt wird
(Haftfäden, Fig. 200, A a). Dauersporen als Zygo- sowie Azygosporen, kugelig
mit einer dicken, gelben oder braunen Membran versehen.
Am vollständigsten ist die Entwicklung von Entoniophthora sphaero-
sperma Fres. (S3'n. E. radicans Bref.) bekannt (Fig. 200). Im Herbst zeigt
sich häufig eine Pilzseuche unter den Raupen des Kohlweißlings, Pieris
brassicae L. Man erkennt den Eintritt derselben an der Trägheit, welche
sich der vorher lebhaften Raupen bemächtigt. Plötzlich sterben die Tiere
und noch am Todestage hüllen sie sich in einen grünlich-weißen Schimmel
(Fig. 200, B), der schon nach wenigen Stunden verblüht und die Raupe
völlig unkenntlich, in Form einer braunen verschrumpften Haut zurückläßt,
in unmittelbarer Nähe umgeben von ganzen Haufen weißer Sporen, den ab-
geworfenen Konidien des verblühten und wieder verschwundenen Pilzes.
Diese Konidien sind kleine, 15 — 26 fx lange und 5 — 8 fi dicke, farblose
Spindeln (Fig. 200, E). Gelangt eine solche wiederum auf die Haut einer
Raupe, so beginnt sie einen Keimschlauch zu treiben, der sich schon in
kurzer Entfernung von der Spore in die Flaut einbohrt, dieselbe in der Um-
gebung der Einbohrungsstelle bräunend (Fig. 200, G). Der Keimschlauch
264
Kapitel \1.. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
durchsetzt nun fortwachsend und sich in mehrere Zellen gliedernd, von
denen nur die vorderste Protoplasma enthält, die Leibeswand der Raupe,
bis er allmählich — gewöhnlich am dritten Tage — in dem Fettkörper anlangt.
Hier wächst nun die Endzelle auf Kosten des Fettkörpers, den sie mit un-
glaublicher Schnelligkeit durchwuchert, zu einem verästelten und verfilzten
Mycel aus (Fig. 200, J). Jetzt beginnt die schon erwähnte Trägheit der bis
dahin anscheinend völlig gesunden Raupe; aber erst wenn der Pilz den
v,ji_4. Hill ,.-,..
Fig. 200. Entomophthora sphaerosperma Pres. (= Eadicans Bref.) A Raupe von Pieris brassicae durch den Pilz
getötet, a die sie an die Unterlage befestigenden Hyphenbüscliel ; S dieselbe Raupe in einem späteren
Stadium, eingehüllt in dem Schimmelflaum; C Querschnitt durch eine solche Raupe, a Cuticula der
Raupe, b Tracheen, c im Darmkanal vorhandene Speisereste. Alle Weichteile der Raupe sind auf-
gezehrt und durch ein dichtes Mycelgeflecht ersetzt, das bei d einen dichten Hypheurasen durch die
Haut getrieben hat. Dieser hat wieder die Sporen e abgesclmürt: D die Fruchthyphen a, mit dem
EndgUede b und Sporen c; E Einzelsporen stärker vergrößert; -P Spore a, welche einen Mycelfaden
erzeugt hat, an dem wieder sekundäre Sporen b und c entstanden sind; G ein Stück Haut der Raupe,
auf dem Sporen a gekeimt haben, deren Keimschläuche die Haut bei 6, sie bräunend, durchsetzt und
an der Spitze c fortwachsend, weitergewuchert haben; H abgetrennte Myceläste im Ranpenblute frei
schwimmend; J verästelter Mycelfaden; K Dauersporen tragende Mycelfaden, a mit Protoplasma ge-
füllt, a' leer; b in der Entwicklung begriffene, 6' reife Dauersporen; L reife Dauersporen mit dicker
Hülle und Fettropfeu im Innern. (Nach Brefeld [9 u. 10].)
gesamten Fettkörper aufgezehrt hat und sich bereits isolierte, abgeschnürte,
längliche Hyphen (Fig. 200, H) im Blute zeigen, tritt die dem Tode voraus-
gehende Unbeweglichkeit ein. Die in das Blut gelangenden, abgeschnürten
Hyphenäste verbreiten den Pilz bis in die letzten Schlupfwinkel des Körpers,
und die nun straff vom Pilzmycelium ausgefüllten Raupen sterben, nachdem
der Pilz alle inneren Organe, mit alleiniger Ausnahme der Cuticula und der
Chitinhäute von Darm und Tracheen, aufgezehrt hat (Fig. 200, C), gewöhnlich
im Laufe des fünften Tages nach der Infektion. Zwölf Stunden nach dem
Tode brechen dicke Büschel paralleler, in Zellen gegliederter Pilzfäden oder
Die insektentötenden Pilze. 265
Hyphen zwischen den Beinen der Raupe auf der Bauchseite hervor
(Fig. 200, Aa), dieselbe wie mit Wurzeln auf der Unterlage befestigend, und
bald darauf beginnen auch die fruchttragenden Hyphen die Haut der Raupe
zu durchbrechen, die sie bald als ein dichter Schimmelüberzug umgeben
(Fig. 200, B). Die beim Durchtritt durch die Haut einfachen Hyphen verästeln
sich bald (Fig. 200, D) und diese Zweige gliedern sich an ihrer Spitze durch
Scheidewände zu kurzen Gliedern ab (Fig. 200, D, b), an deren Ende nun
die kurzspindelförmigen Konidien entstehen (Fig. 200, D, c und E). Letztere
werden in der schon geschilderten Art und Weise abgeschleudert. Jedoch
nicht alle infizierten Raupen bedecken sich mit dem schimmelartigen Überzug
der Konidienträger. Manche schrumpfen vielmehr, nachdem sie infolge einer
völligen Durchwucherung ihres Inneren durch das Pilzmycelium abgestorben
und durch die oben erwähnten sterilen Hyphenbündel auf der Unterlage
fixiert worden sind, nach vorhergehender Erweichung zu zerbrechlichen
Mumien ein. Diese bestehen aus der wenig veränderten Raupenhaut, welche
eine dichte Masse großer, dickwandiger (Membran glatt, gelb) Dauersporen
von kugliger Form und 20 — 35 jtt Durchmesser (Fig. 200, L) als einen
weißlichen Inhalt umschließt. Diese Dauersporen entstehen als Azygosporen
an dem Mycelium, sobald dasselbe den ganzen Raupenleib ausgefüllt hat, als
seitliche Auswüchse der Fäden, denen sie fast unmittelbar aufsitzen
(Fig. 200, K).
x\ußer des Kohlweißlings befällt die eben beschriebene Art auch andere
Raupen, so z. B. den Forstschädling Grapholitha tedella Cl., in Nordamerika
die Puppe des auch in ganz Europa verbreiteten Kleeblattrüsselkäfers P/?j'/o//owms
nigrirostris Fab. u. a. Im Jäschkental wurde von Bail eine ausgedehnte
Epizootie des kleinen Laufkäfers Nebria brevicollis beobachtet, welche eben-
falls durch E. sphaerosperma verursacht war.
Andere bemerkenswerte Entomophthora-AviQn sind folgende: E.apliidis
Hoff VI. auf zahlreichen Aphis-Arten in Europa und Nordamerika, mit elliptischen,
farblosen, 25 — 40 /^i langen und 12 — 16 /* breiten Konidien und kugligen
Dauersporen (Azygosporen) von 33 — 43 /t Durchmesser.
E. teiithrediiiis Fres. auf den Larven von Teuihredo auf Ahorn, mit
rundlichen Konidien von 47 — 62 ^i Durchmesser.
E. muscivora Schroet. auf Schmeißfliegen (Colliphora vomitoria) mit
eiförmigen, 20 — 24 fx langen, 11 — 13 /< breiten Konidien und braunen kugligen
Dauersporen (Azygosporen) von 24 — 30 {.i Durchmesser.
E. pliisiae Giard auf den Larven der Gammaeule (Plusia gamma)
in Frankreich, mit eiförmigen, 15 /i breiten, 30 // langen Konidien; Dauer-
sporen unbekannt.
E. forficulae Giard auf dem Ohrwurm (Forficula auricularia) in Frank-
reich, mit länglich-elliptischen, 6 — 8 /< breiten, 20 — 25 ii langen Konidien;
Dauerspoien unbekannt.
E. colorata Sorok. auf Grillen in Rußland, ähnelt der Empitsa gryl/i,
hat aber runde, farbige Konidien.
E. aphrophorae Rostr. auf Aplirophora spumaria in Dänemark; Konidien
16 — 18 ^ lang, 7 — 8 /< breit; Dauersporen unbekannt.
266 Kapitel VI. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
E. Richteri Bnbdk ( 83^:1. E. lanxaniae Biibäk) auf Laitxania aenea
(auf den Blättern von Crepis paludosa und Spiraea ulmaria) in Böhmen;
Konidien unbekannt, Dauersporen (Azygosporen) kuglig, 25 — 50 fx Durch-
messer.
E. cimbicis Bubdk auf C//7;Z*<?.v-Larven.
E. dissolvens Voss, auf einer Eulenraupe, wahrscheinlich Cerastis
ratellifia L. (auf Eichenblatt, bei Stuttgart); Konidien unbekannt, Dauer-
sporen (Azygosporen) 35 — 40 ^i Durchmesser.
Wie aus den angeführten Beispielen ersichtlich, sind vielfach Entomoph-
thoraceen bekannt, bei welchen die eine von beiden Sporenformen fehlt.
Wenn die Konidienform unbekannt ist, so ist es in den meisten Fällen un-
möglich, zu entscheiden, ob es sich um eine Emptisa- oder Entomophthora-
Art handelt, da ja das wesentlichste Merkmal auf der Verschiedenheit der
Konidienträger beruht. Solche zweifelhafte Arten werden unter eine be-
sondere Gattung Tarichium Colin gestellt. Eine interessante Art dieser
Gattung ist T. megaspermum Cohn, welche auf den Raupen des gefürchteten
Saatschädlings Agroiis segetnui Hübii. vorkommt (die sog. „schwarze Mus-
cardine" verursachend). Die Lebensgeschichte dieses Pilzes ist folgende:
Die erkrankten grau- oder grünlich-braunen Raupen beginnen, vom Kopf
anfangend, sich dunkel zu färben, bis sie ganz schwarz geworden sind. Nun
schwellen sie zunächst an, trocknen, während sie eine ölige Flüssigkeit durch-
schwitzen lassen, allmählich zu verschrumpften Mumien ein und füllen sich
im Innern mit einer kohlschwarzen, zunderartigen Masse, welche aus undurch-
sichtigen, kugelrunden, 36 — 55 ,a Durchmesser haltenden Dauersporen besteht.
Die äußere Membran dieser Sporen ist dick, braun, häufig von unregel-
mäßigen Furchen durchzogen.
Das erste Anzeichen der Krankheit ist, daß in dem bei gesunden Tieren
gelblichen Blute zahllose schwarze Pünktchen auftreten, die ihm unter dem
Mikroskop das Aussehen von eingeriebener Tusche geben. Auch sind zahl-
reiche Kristalle in ihm vorhanden. Dann beginnen sich die Anfänge des
Pilzes als freie kuglige Zellen von 7 — 15 ^ti Durchmesser zu zeigen, die durch
den Zerfall länglicher, gleichfalls im Blute vorkommender Schläuche ent-
stehen. Aus diesen kugligen Keimen entwickeln sich 5 — 10 ,« dicke, nur
wenige Querscheidewände zeigende Hyphen, die sich verästeln und ein den
Körper völlig durchsetzendes Mycelium bilden. Dieses zehrt die Eingeweide
der Raupe auf, seine Spitzen schwellen kuglig an und bilden sich schließlich
zu den oben beschriebenen Dauersporen aus.
Eine zweite Art ist Tarichium uvella Krass. mit rundlichen Dauer-
sporen von 8 — 10 n Durchmesser; sie kommt in Rußland auf den Larven von
Coleopteren vor, oft auf Cleonus piinctivcntris Germ., einem gefürchteten
Feinde der Zuckerrüben.
Mucoraceen.
Eine Schwesterfamilie der Entomophthoraceen ist die der Mucoraceen;
sie unterscheidet sich von jener in der Hauptsache dadurch, daß sie Pilze
umfaßt, welche die ungeschlechdichen Sporen in besonderen Behältern, den
sog. Sporangien bilden. Hier gehört eine große Anzahl gewöhnlicher
Die insektentötenden Pilze.
267
Schimmelpilze, welche auf faulenden tierischen und pflanzlichen Stoffen
saprophytisch leben. Die Familie verdient hier einer besonderen Besprechung,
da sie, unter der Gattung Mucor, auch einige für Insekten pathogene Ver-
treter aufweist.
Als typisches Beispiel eines Mucors sei hier der auf faulendem Brot,
Früchten, Samen, Mist u. dgl. überall sehr verbreitete Kopfschimmel Mucor
mitcedo L. erwähnt; er ist von Interesse, da er auch lebende Honigbienen
angreifen soll.
Das reichverzweigte aber unseptierte Mycelium durchwächst das Substrat
nach allen Richtungen. Die Fruchtträger wachsen auf der Oberfläche des
Substrates als lange feine, zunächst weiße, später bräunliche Fäden, mit
einem schwärzlichen Kopf an der Spitze, so daß die Substratoberfläche wie
mit einem feinen, lockeren, baum-
wollartigen Filz mit eingewebten
Kügelchen bedeckt erscheint.
Diese kleinen kugligen Köpfe
sind die mit zahlreichen Sporen
erfüllten Sporangien des Pilzes
(Fig. 201, A)\ die Membran des
reifen Sporangiums platzt auf,
wodurch die Sporen frei werden.
Die Sporangien haben einen
Durchmesser von 100 — 200 f^i;
die Sporen sind schwach gelb-
lich, ellipsoidisch, 7 — 12 ^i lang,
4 — 6 {,1 breit.
Die Dauersporen entstehen
auf geschlechtlichem Wege als
Zygosporen folgendermaßen: ei-
nige Myceläste schwellen keulen-
förmig auf und stoßen paarweise
aufeinander (Fig. 201, C); durch
Bildung von Querwänden werden
zwei Zellen (5, aa) abgegliedert, nach deren Verschmelzung die mit einer
schwarzen, dicken, warzigen Membran versehene Z3^gospore entsteht (Fig. 201,
B, z). Dieselbe ist imstande, nach Verlauf einer längeren Ruheperiode aus-
zukeimen {B).
Mucor rnucedo ist diözisch, d. h. die Zygosporen können nur durch
Kopulation von Hyphenästen zweier Mycelindividuen von verschiedenem Ge-
schlecht entstehen; daher kann hier die Z3'gosporenbildung leicht unterbleiben,
wenn innerhalb der Kultur keine Mycelindividuen beiderlei Geschlechts vor-
handen sind. Andere Mucoraceen sind dagegen monözisch, d. h. die Zygo-
sporen entstehen durch Kopulation von zwei Hyphenästen eines und des-
selben Myceliums, so daß hier die Möglichkeit zur Zygosporenbildung stets
vorhanden ist.
Als insektenschädlich sind folgende ;l^?/cor-Arten bekannt:
Fig. 201. Mucor muvedo L. A Sporangium im optischen
Längsschnitt; B Keimung einer Zygospore z; am Keim-
schlauch fc ist ein Sporangium s entstanden; C zwei
Hyphenäste im ersten Kopulationsstadium ; D Abgrenzung
der die Zygospore liefernden Zellen «a von den Suspen-
soren hb (alles stark vergrößert). (Nach Sachs, aus
Engler-Prantl, Die natürlichen Pflanzenfamilien.)
268
Kapitel VI. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
M. melitophthoriis Hoffni. ist ein Feind der Honigbiene und wurde im
Clwlusmagen des Tieres nachgewiesen. Er stellt eine ungenügend bekannte,
zweifelhafte Art dar.
M. exitiosus Massee auf Heuschrecken in Südafrika; Sporangien von
60 — 100 fx Durchmesser, Sporen farblos, ellipsoidisch, 5 — 6 ^x lang, 3,5 bis
4 fx breit; Zygosporen unbekannt.
Fipf. 202. Cordyceps Fries. A, C. militaris (i.) Idrik. auf einer Raupe von Bombyx rubi, a unentwickelte,
6 entwickelte Fruchtträger mit den vorspringenden pupillenartigen Mündungen der Perithecien; B,
C. entomorrkiza, Längsschnitt durch die Keule eines Fruchtträgers, die Anordnung der flaschenförmigen
Perithecien zeigend; C geplatzter Ascus desselben Pilzes mit den acht langen, in Teilsporen zer-
fallenden Ascosporen; D Konidienträger h, aus Teilsporen a von C. militaris gezüchtet und kuglige
Konidien c abschnürend; E älterer Konidienträger b desselben Pilzes, von einem Mycelfaden a ent-
springend, c kuglige Konidien, c' ovales Spitzenkonidium. (A— C nach Tulasne [45], D—E nach
de Bary [5a].)
M. locusticola Lindau befällt ebenfalls die Heuschrecken in Südafrika;
Sporangien von 15 — 23 [i Durchmesser, Sporen fast farblos, ellipsoidisch,
4 — 6 ,« lang und 2,5 ^ breit; Zygosporen unbekannt.
Es ist nicht sicher entschieden, ob beide letztgenannte Pilze zwei von-
einander verschiedene Arten darstellen.
Fadenpilze.
Die zweite große Gruppe der echten Pilze, die Fadenpilze {Hypho-
mycetes) werden auf Grund ihrer Vermehrungsorgane in zwei große Klassen
Die insektentötenden Pilze. 269
geteilt: in Ascomyceten (Schlauchpilze) und Basidiomyceten. Uns inter-
essieren nur die ersteren.
Ascomyceten.
Für die Ascomyceten ist die Hauptform der Sporenbildung charakte-
ristisch; bei dieser entstehen nämlich die Sporen in besonderen schlauch-
förmigen Sporangien durch freie Zellbildung. Diese schlauchförmigen
Behälter, in welchen die Sporen liegen, nennt man Asci (Schläuche), die
Sporen selbst Ascosporen (Fig. 202, C).
Die Ascomyceten bilden außer den Ascosporen in der erwähnten
Hauptfruchtform auch zahlreiche andere Nebenfruktifikationen, besonders
Koni dien (Fig. 202, £", c), und zwar in den mannigfaltigsten Formen. In
der einfachsten Form werden die Konidien am Ende von einfachen oder ver-
zweigten Fruchthyphen (Fruchtträgei n) abgeschnürt, welche sich von dem
Mycelium senkrecht abheben. Das Substrat erscheint in diesen Fällen als
mit einem schimmelartigen Flaum bedeckt. In anderen Fällen treten eine
größere Anzahl von dem Mycelium entspringenden Hyphen zu einem
soliden, sehr verschiedenartig geformten Körper, dem sog. Coremium
zusammen und erst von diesem erheben sich nun die konidienbildenden
Hyphen.
Für die Erkennung eines Pilzes als Ascomyceten ist das Vorhandensein
der Hauptfruchtform unerläßlich. Gewöhnlich treten beide Fruktifikationen
nicht gleichzeitig auf, so daß ihr Zusammenhang nur nach einer längeren
Kultur des Pilzes sicher zu eruieren ist. In vielen Fällen pflanzt sich der
Pilz längere Zeit hindurch ausschließlich durch Konidien fort, so daß seine
systematische Stellung schwer zu erkennen ist. In früheren Zeiten, wo die
Zugehörigkeit der Nebenfruchtformen mehrerer Pilzarten zu einer Haupt-
fruchtform nicht erkannt war, hielt man viele konidienbildende Piizformen für
besondere Arten; ihre systematische Einteilung wurde' auf Grund der Form
der Konidienträger vorgenommen. Auch heute noch ist die Hauptfruchtform
von zahlreichen konidienbildenden Pilzformen unbekannt; es ist sogar wahr-
scheinlich, daß sie bei einigen Arten vollständig fehlt. Man ist daher ge-
nötigt, diese Arten zweifelhafter Zugehörigkeit auf Grund der Form ihrer
Konidienträger mit besonderen Gattungsnamen zu belegen. Die Gattungen
sind keine natürlichen, sie enthalten vielfach heterogene Arten, welche bloß
die Form der Konidienträger gemeinsam haben ; der Gattungsname bezeichnet
demnach hier eben diese Form. Diese Gattungen werden unter eine be-
sondere Pilzgruppe gestellt, die der „Fungi imperfecti^^ .
P y r e n o m y c e t e n.
Die Ascomyceten werden in verschiedene Unterabteilungen geteilt; von
chesen interessiert uns vornehmlich die der Pyrenomycetes oder Kern-
pilze. Dieselben sind dadurch ausgezeichnet, daß sie ihre Asci innerhalb
besonderer, kugliger oder flaschenförmiger Behälter ausbilden, die am
Scheitel eine natürliche enge Mündung haben; diese Behälter heißen
Perithecien.
270 Kapitel VI. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
Eine sehr wichtige Gattung insektentötender P3'renom3'ceten ist
diejenige von Cordyceps Fries. Am vollständigsten bekannt ist von dieser
Gattung C. militaris [L.) Link. Dieser Pilz befällt einheimische Raupen
und Puppen und tötet sie; wir finden leicht in den Wäldern im Herbst die
toten, mit dem Pilz behafteten Tiere. Er ist besonders durch die orange-
bis purpurnfarbenen, keulenförmigen, bis 6 cm langen, gestielten Frucht-
körper (Fig. 202, A und 203) ausgezeichnet, die aus dem Leibe der Insekten-
leiche hervorbrechen. Das keulenförmige Köpfchen dieser Fruchtkörper
trägt die oberflächlich hervorragenden, 0,2 — 0,3 mm langen und 0,13 — 0,2 mm
dicken Perithecien (Fig. 202, 5), welche die Asci enthalten. Die schlauch-
förmigen Asci erzeugen je 8 lange, fadenförmige, ca. 1,3 ^a breite primäre
Sporen, welche sich bei ihrer Reife noch innerhalb des Ascus in eine Reihe
von 3 jit langen, hyalinen Teilsporen gliedern (Fig. 202, C). Die Sporen
Fig. 203. Cordyceps inilitiiHs (L.) Link. Kiefernspinnerraupen aus der Bodpnstreu mit den Frucht-
trägern des Pilzes. '-/, natürl. Größe. (Nach Escherich und Baer [16].-
werden später aus den Perithecien ejaculiert und zerfallen schließlich in die
abgegliederten Teilsporen. Gelangen letztere auf feuchtes Substrat, z. B. auf
die Haut einer lebenden Raupe, so beginnen sie, unter Anschwellung auf
das Doppelte ihres ursprünglichen Volumens, Keimschläuche zu ti-eiben
(Fig. 202, B), welche, die Chitinhaut des Tieres durchbrechend, ohne auf der
Oberfläche der Haut dunkle mißfarbene Flecken zu erzeugen, in die Leibes-
höhle gelangen; hier verzweigen sich die Keimschläuche und beginnen kleine,
blasse, zylindrische Konidien (Fig. 206, B und C) zu bilden. Dieselben
gelangen ins Blut und vermehren sich hier durch wiederholte Aussprossung
auf Kosten der Blutmasse. Hiermit hält eine Erkrankung der Raupe gleichen
Schritt, welche nach 14 Tagen bis 3 Wochen mit dem Tode derselben
endigt. Die Raupe ist kurz nach dem Tode durchaus weich und schlaff;
liegt sie aber in feuchter Umgebung, so beginnen die zahllosen zyHndrischen
Konidien zu Mycelfäden auszuwachsen, alle Organe, insbesondere den Fett-
körper durchwuchernd und auf ihre Kosten sich nährend. So wird der
Raupenleib von dem Mycelium prall ausgestopft (mumifiziert), er schwillt und
Die insektentötenden Pilze.
271
erhärtet, d. h. er wird zu einem Sklerotium umgewandelt. i) Dieser aus
einem dichten Mycelgeflecht bestehende Körper, welcher jetzt den Raupen-
leib repräsentiert, ist imstande, bei genügender Feuchtigkeit die erwähnten
keulenförmigen Fruchtkörper zu bilden; beim Vertrocknen verfällt er in
einen Ruhezustand, um bei späterer passender Gelegenheit zur Fruchtkörper-
bildung überzugehen.
Nicht selten, kurz nach der Mumifizierung der Leiche und vor der
Perithecienbildung, treten Äste der Mycelfäden durch die Haut an die Ober-
fläche des Körpers und dieser bedeckt sich allmählich völlig mit einem kurzen
Flaum weißer, kaum 0,5 mm hoher Fruchthyphen. Diese treiben zahlreiche Äste,
welche auf abstehenden, selten vereinzelten, meist in zwei- bis fünfgliedrige
Vierte] geordneten, pfriemenförmigen Seitenzweigen
runde Sporen von 2,5 /* Durchmesser, kuglige
Konidien, in perlschnurförmiger Verbindung, also
reihenweise, succedan erzeugen (Fig. 202, E, c).
Die erstgebildete, also oberste Konidie jeder Reihe
ist meist ellipsoidisch und öfters fallen die succedan
entwickelten Ketten zu einem unregelmäßigen, die
Spitze des Zweiges einnehmenden Häufchen zu-
sammen (Fig. 202, E^ c'). Später erscheinen in dem
weißen Flaum orangefarbene Hervorragungen, w^elche
nun allmählich zu perithecientragenden Frucht-
körpern heranwachsen.
Bei künstlicher Kultur in Nährlösung wachsen
die aus den Perithecien ejaculierten Glieder der
Ascosporen zu Keimschläuchen aus, welche un-
mittelbar die kuglige Konidien tragenden Frucht-
hyphen bilden.
Zu dem tj'pischen Entwicklungskreis von
Cordyceps militaris gehört also eine regelmäßige,
notwendige Abwechslung zwischen dem Auftreten
der in den Ascis der Perithecien gebildeten Sporen
und deren Teilungsprodukten einerseits, und den
im Blute des Insektes von den Keimschläuchen ab-
gegliederten zylindrischen Konidien anderer-
seits. Dagegen sind die einfachen Fruchtlwphen eine sekundäre, morpho-
logisch nebensächliche Form von Fruchtträgern und die auf ihnen succedan
abgeschnürten kugiigen Konidien bei ihrer schnellen Entwicklung Ein-
richtungen zur raschen Verbreitung des Pilzes, denn wir haben allen Grund,
Fig. 204. Coräyctp^ ru,r,,„ ^Tul.)
Saee. Ein Laufkäfer mit dem
-b'ruchtträger des Pilzes. Nat.
Größe. (Nach Lindau in
Engler-Prautl, Die natür-
lichen Plianzeiifamilien.)
^) In diesem Zustande sind die getöteten von den gesunden im Winterlager
befindlichen Raupen äußerlich schwer zu unterscheiden. Escherich und B a e r
[16| geben folgende Kennzeichen: „Schon beim Öffnen einer derartigen Raupe, die
sich an den Segnienträndern leicht auseinander brechen läßt, entströmt derselben
ein kaum zu verkennender aromatischer Pilzgeruch; ferner findet sich kein Raupen-
blut, sondern das ganze Innere des Balges scheint von einer zwar feuchten, sonst
aber kautschukartigen Masse erfüllt, die von der gleichmäßigen Mycel-
durchwucherung desselben herrührt."
272 Kapitel VI. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
zu glauben, daß die Kugelkonidien in derselben Weise auf der Haut einer
Raupe keimen, in diese eindringen, und Zylinderkonidien erzeugen können
wie die Segmente der Ascosporen (De Bar}' [5]).
Zu Cordyceps militaris gehört höchstwahrscheinlich ferner eine besondere
Konidienform, welche morphologisch zu den noch zu besprechenden „Fungi
imperfecti" gestellt wird, nämlich Isaria farinosa Fries. Die Beschreibung
derselben mußte schon der Einheitlichkeit wegen mit anderen Isaria-Arien
zweifelhafter Zugehörigkeit unter den „Fungi imperfecti" behandelt werden;
sie ist also dort nachzusehen.
Außer C. militaris ist eine sehr große Anzahl von weiteren insekten-
tötenden Cor^c^/>s- Arten bekannt; sie sind größtenteils in den Tropen und
nur wenige in Europa heimisch. Von den letzteren seien hier die wichtigsten
wiedergegeben :
C. cinerea (Till.) Sacc. (Fig. 204) kommt auf Käfern (besonders Carabus-
und Calosoina-Kvten), vornehmlich ihren Larven vor. Der Fruchtkörperstiel
ist zylindrisch, glatt, schwärzlich-braun, meist 4 — 6 cm (seltener bis 19 cm)
lang, 1 — 2 mm dick; das Köpfchen verkehrt-eiförmig bis kuglig, erbsengroß,
anfangs grau. Sporen fadenförmig, hyalin, in 7 — 10 /( lange Glieder zer-
fallend. — Als Konidienform gehört vermutlich dazu Isaria eleiitheratoriim
Nees. (siehe dies unter den „Fungi imperfecti").
C. etitomorrhiza (Dicks.) Fr. auf verschiedenen Insektenlarven, mit gelbem,
2 — 8 cm langem Fruchtkörperstiel und rundlich-eiförmigem, lebhaft gold-
gelbem und braun punktiertem, ca. 5 — 8 mm langem, 4 mm dickem Köpfchen.
Sporen fadenförmig, hyalin, in 6 — 8 ^i lange, 4 /.t breite Glieder zerfallend.
C. Ditmari Quel. auf Vespa crabro L. in Frankreich, mit fadenförmigem,
blass-zitronengelbem Stiel und eiförmigem, gelbem, purpurpunktiertem, 3 — 4 mm
dickem Köpfchen. Sporen fadenförmig, 45 — 50 ,u lang, in 12 ^ lange Glieder
zerfallend. — Hierher gehört vermutlich als Konidienform Isaria sphecophila
Ditiii. (siehe unten!)
C. helopis Quel. auf Helops caraboides in Frankreich, mit langem, ge-
krümmtem, weißglänzendem und rosagestreiftem Stiel, länglich-ellipsoidem,
5 — 6 mm langem, gelbbraunem, schwärzlich-purpurn punktiertem Köpfchen
und fadenförmigen, in 2,5 — 3 ^i dicke Glieder zerfallenden Sporen.
C. callidii Quel. in den Larven von Callidium in Frankreich, mit
glattem, violett-rosafarbigem, 3 — 7 cm langem Stiel und länglich-spindel-
förmigem, 5 — 8 mm langem Köpfchen; Sporen haarartig, rosenkranzförmig,
50 — 60 i.i lang, in Glieder von 2 }.i Durchmesser zerfallend.
C. formicivora Sehr, auf Formica ligniperda, mit schwärzlichem,
kugligem Köpfchen auf sehr kurzem Stiel (bis 2 mm); Sporen 100 — 110 ^u.
lang, 2,5 — 3 ,u breit, gelblich-hyalin, gegliedert.
C. sphingum (Tul.) Sacc. auf verschiedenen Schmetterlingen, besonders
Sphinx- (z. B. Sph. pinastri) und Phalaena-Axten^ mit steifem, 5 — 40 mm
langem Stiel und dünnen, fadenförmigen Sporen. — Vermutlich gehört hierzu
als Konidienform Isaria sphingum Schwein., ein auf Sphinx-Arten (Carolina)
und Dipterenpuppen (Schottland) aufgefundener Pilz.
Die insektentötenden Pilze.
273
C. odyneri Qitel. auf Odynerus-L.2s\^n in Frankreich, mit schlankem,
10—20 cm langem, bereiftem, blaßgrauem Stiel und eiförmigem, olivengrauem
Köpfchen; Sporen haarförmig, 80 ^i lang, 5 /t breit, hyalin.
C. carabiQuel. ^wiCarabus {auronitevisl) -Larven in den Tridentinischen
Alpen, mit 5—6 cm langem, glattem, violettem Stiel, kugligem, 3—4 mm
durchmessendem Kopf und haarförmigen, hyalinen, in 4 /i lange Glieder
zerfallenden Sporen.
Ferner ist eine Varietät von C. tnilitaris (v2l\\ sphaerocephala Kunze
et Schw.) mit sehr langem (bis 2 Zoll), dünnem Stiel und kugligem Kopf
auf Chrysaliden beobochtet worden.
In der neueren Zeit hat Olsen-Sopp eine neue Riesenart beschrieben,
nämlich C. norvegica Sopp (in Norwegen); sie ähnelt dem C. militaris, hat
aber 15 — 20 cm langen und 15 mm dicken Stiel, mehr orangegelbe Farbe und
soll von außerordentlicher Pathogenität sein. Sie befällt die Kiefernspinner-
larven und allerhand andere Insekten.
Eine weitere erwähnenswerte Gattung der Pyrenomyceten ist Sphaerostilbe
TuL\ sie ist mit der bekannten Gattung Nectria sehr verwandt und hat kuglige,
meist rote, weichfleischige Fruchtkörper und längliche zweizeilige Sporen.
Auf Insekten parasitiert eine einzige Art, S. coccophila Tnl.^ und zwar auf
verschiedenen Schildläusen (Coccus- und Aspidiotus-Avten); sie ist über die
ganze Erde verbreitet. Die Asci sind länglich, 60 — 80 f.i lang, 6,5 fi breit;
die Ascosporen zweizeilig, 10 /< lang, 5 ^ti breit, eiförmig, fast hyalin. Die
zugehörige Konidienform (sonst als Mtcrocera coccophila Desm. unter die
Fungi imperfecti gestellt) hat kleine, etwas rasige, kegelförmig-stiftartige,
unverzweigte, rosafarbige Fruchtlager, welche an ihrer Basis mit einer feinen,
weißen, aus Konidienträgern gebildeten Membran umgeben sind. Die Konidien-
träger sind fädig, lang, 2,5 n dick; die Konidien verlängert, beidendig spitz,
gebogen, mit 3 — 5 Scheidewänden, hyalin, 70 — 100 » lang, 4 — 5 ^tt breit.
Der Vollständigkeit halber seien schließlich noch folgende Ascom3'ceten-
gattungen kurz erwähnt:
Die Pyrenomycetengattung Tornbiella Boud. umfaßt auf Tieren (meist
Schildläusen und Spinnen) parasitierende, größtenteils außereuropäische Arten.
Die Pyrenomycetengattung Ophionectria Sacc. ist nur insofern bemerkens-
wert, als sie eine auf Schildläusen (in West-Indien und Florida) parasitierende
Art fO. coccicola Ell. et Ev.) aufweist.
Von der Pyrenomycetengattung Melanospora Cord, wurde früher die
hxt M. parasiticalul. als insektentötend angegeben, und zwar (von Tulasne)
als die Schlauchfruchtform der noch zu besprechenden Botrytis Bassiana
Bals. angesehen. Nach den neueren Untersuchungen von Kihlmann soll
jedoch der Pilz kein Tierparasit sein, sondern auf anderen insektentötenden
Pilzen [Botrytis Bassiana, Isaria farinosay Cordyceps militaris usw.) para-
sitisch leben (Überparasit).
Als letzte Pyrenomycetengattung sei noch die Gattung Ceratostomella
erwähnt, welche holzbewohnende Pilze umfaßt. Neger^) beobachtete in
^) Nach gütiger Mitteilung.
Esche rieh, Forstinsekten. 18
274 Kapitel VI. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
Dalmatien zahlreiche Leichen des Holzbohrkäfers Xyleborns dispar, welche
C<?ra/os/ow?g//a-Fruchtkörper trugen. Hier handelt es sich wahrscheinlich um
bloßen Saprophytismus.
Perisporiaceen.
Die Perisporiaceengattungen^) Aspergillus, Myriangiiim und Apiosporium
enthalten ebenfalls einige wenige für Insekten pathogene Vertreter. A.ßaviis
parasitiert auf Bienen und ihrer Brut (in Deutschland, nach Maaßen) und
ruft eine als Stein- oder Kalkbrut bekannte Mykose hervor. Die Krankheit
soll eine größere Verbreitung haben (Europa, Amerika). A. ßavus und
A. glaucus befallen ferner die Seideniaupenkokons in Japan, die sehr ge-
fürchtete Raupenkrankheit „Uchikabi" verursachend. Myriangium Duriaei
Mont. befällt Schildläuse (die Mottenschildlaus Aleurodes citri) in Westindien
und Florida. Apiosporium oleae, welches auf dem Ölbaum parasitiert, befällt
und tötet (nach Rub}^ und Raybaud [36]) die ebenfalls auf dem Ölbaum
parasitierende Schildlaus Lecanium oleae\ der Tierkörper enthält im Innern
Hefezellen des Pilzes.
Saccharomyceten.
Zu den Ascomyceten gehören auch die Hefe- oder Sproßpilze
{Saccharomycetes), die bekannten Gärungserreger, einzellige, konidienförmige
Organismen, welche unmittelbar zu neuen Individuen aussprossen und unter
gewissen Bedingungen kleine kuglige Asci, mit w^enigen Sporen, bilden. Bei
den tierbewohnenden Saccharomyceten handelt es sich wohl meistens um
eine Symbiose. Dies ist bekanntlich bei zuckersaugenden Insekten {Cocciden)
der Fall, in welchen vielfach Hefepilze intrazellular leben, ohne einen nachteiligen
Einfluß auf den Wirt auszuüben. Die Infektion geht vom Muttertier aus, bei
der Eiablage, so daß die Symbiose von Generation zu Generation vererbt wird
(vgl. Buchner). Auch bei anderen Insekten sind solche Fälle bekannt; so
fand z. B. Escherich [15a] in dem Darmepithel des Käfers Anobium panicemn
eine Saccharomyces-Avt, welche das Tier keinesfalls beeinträchtigt, sondern ver-
mutlich im Gegenteil dadurch nützt, daß sie verdauungsfördernd wirkt. —
Das Vorhandensein solcher Sproßpilze ist allerdings auch mit Erkrankungen
von Insekten in ursächlichen Zusammenhang gebracht worden. So fand
Hartig im Blute der Nonnenraupen einen Hefepilz, den er für sehr pathogen
hält. Lindner [29] fand einen hefeartigen Pilz {Saccharomyces apiculatus
parasiticus) in der Schildlaus Aspidiotus nerii (auf Oleander, Lorbeer, Myrte
und Efeu), den er mit dem von Hartig in der Nonne aufgefundenen für
identisch hält; er schlägt sogar vor, durch Kultur dieser Schildlaus auf Efeu
im großen eine Ansteckung der Nonne zu versuchen. Es ist jedoch wahr-
scheinlich, daß es sich auch hier um eine harmlose Symbiose handelt.
Laboulbeniaceen.
Eine weitere Unterabteilung der Ascomyceten bilden die wegen ihrer
eigenartigen Organisation und Lebensweise sehr interessanten Laboulbeniaceen.
Dieselben beanspruchen hier ebenfalls unser Interesse, da sie ausschließlich auf
Insekten, meist hydrophilen Coleopteren ('Lauf- und Wasserkäfern) parasitisch
^) Die Perisporiaceen bilden eine weitere Unterabteilung der Ascomyceten
mit völlig geschlossenen kugligen Perithecien.
Die insektentötenden Pilze.
27 5
leben; dieser Parasitismus ist jedoch ungefälirliclier Natur, wenigstens tötet er
die Insekten nicht. Dank der Arbeiten von Th axter sind uns heute die Laboul-
beniaceen genau bekannt. Die Vertreter dieser Gruppe sind winzig kleine
unscheinbare Pilze, welche ein sehr kurzes, zwei- bis vielzelliges vegetatives
Mycel bilden und in der Hauptsache nur aus dem Fruchtkörper bestehen.
Sie setzen sich durch einen schnabelförmigen Fortsatz der untersten Zelle
an den Chitinpanzer des Insektes fest; nur bei wenigen Arten findet Bildung
von Rhizoiden statt, welche in die Weichteile des Tieres eindringen. Die
meisten bisher bekannten Laboulbenia- . . mi
ceen sind in Nordamerika aufgefunden
worden, während aus Europa nur wenige
Arten bekannt sind; es ist jedoch sehr
wahrscheinlich, daß auch hier diese Pilz-
gruppe eine größere Verbreitung hat.
Sehr verbreitet auf Stubenfliegen
in Europa ist Stigmatomyces Baeri
Peyr.\ die Entwicklungsgeschichte dieses
Pilzes sei hier als typisches Beispiel der
Laboulbeniaceenorganisation kurz ge-
schildert: Die Infektion geschieht durch
Übertragung der zweizeiligen, mit einer "c
Schleimhülle umgebenen Sporen (Fig.
205, A) von den infizierten auf die ge-
sunden Tiere. Hier vergrößern sich die
beiden Zellen der Spore und die unterste
bildet zunächst den erwähnten schnabel-
förmigen Fortsatz (5), wodurch erst der
Pilz festen Fuß faßt. Nun beginnt eine
wiederholte Teilung der beiden Sporen-
zellen (C, D)\ die obere Zelle liefert ein
Anhängsel mit mehreren flaschenförmigen
Gebilden, den Antheridien (aw). Aus
den durch die Teilung der untersten
Sporenzelle gebildeten Zellen a, b, c und
d{D), entwickelt sich die eine {Da) durch
weitere wiederholte Teilungen zu einem
weiblichen Apparat. Die wichtigsten Teile
desselben ist die zentral liegende Eizelle,
Carpogon (£", ac) und das schmale
Trichogyn (£, /). Die erwähnten männlichen Organe, die Antheridien bringen
kuglige Spermatien hervor, welche sich an das Trichogyn setzen. Das
weitere Schicksal der Kerne des Spermatiums und des Carpogons konnte
nicht festgestellt werden. Wahrscheinlich findet hier, ähnlich wie bei den
analoge Verhältnisse zeigenden Rotalgen (Florideen), eine Befruchtung statt.
Die Eizelle teilt sich auf jeden Fall in drei Zellen, von denen die mittlere
zur Bildung der Ascis {F, as) fortschreitet, während die die Eizelle um-
18*
Fig. 205. Stigmatomyces Baeri Peyr. A Spore;
B—F Aufeinanderfolgende Entwicklungs-
stadien nach der Sporenkeimung; D Bildung
von Antheridien an, aus denen Spermatien
austreten; E das geschlechtsreife Individuum
mit den vollständig ausgebildeten Antheridien
(rechts) und weibliebem Apparat (links); bei
t das Trichogyn desselben; F der zu einem
Perithecium umgewandelte weibliche Appnrat
mit den sich entwickelnden Asci (Sporen-
schläuchen); G ein reifer Ascus, vier Sporen
enthaltend. Alles stark vergrößert. iNach
Thaxter, aus dem Bonner Lehrbuch, 9. Aufl.
1908.)
276 Kapitel VI. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
gebenden Zellen durch wiederholte Teilung eine Wandung bilden; der
ganze weibliche Apparat hat sich somit zu einem Perithecium ausgebildet (F).
Jeder darin eingeschlossene Ascus enthält vier zweizeilige Sporen (G).
Einige Laboulbeniaceen sind diözisch, d. h. sie bilden die männlichen und
weiblichen Organe nicht an einem, sondern verschiedenen Individuen.
Eine größere praktische Bedeutung kommt den Laboulbeniaceen kaum
zu, da, wie schon erwähnt, die befallenen Insekten nicht zugrunde gehen;
jedoch scheint eine Beschränkung der Vermehrung der Käfer durch den
Befall wahrscheinlich.
Fungi imperfecti.
Hierher gehören, wie schon erwähnt, Pilze mit gegliedertem Mycelium
und von unbekannter Hauptfruchtform, welche jedoch größtenteils als die
Konidienformen von Ascomyceten zu betrachten sind. Die Gruppe und ihre
Einteilung ist keine natürliche. Man unterscheidet drei Hauptabteilungen:
I. Sphaeropsidales, mit Konidien in kammerartigen Höhlungen (Pykniden).
II. Melancoliales, mit Konidien auf Konidienlagern, die zuletzt ganz frei
stehen. III. Hyphomyceten, mit Konidien in Konidienträgern, die einzeln
oder höchstens in Coremien (d. h. aus parallelen Hyphen bestehenden Stro-
mata, welche sich über das Substrat erheben) zusammenstehen. Von diesen
drei Unterabteilungen weisen nur die erste und die letzte insektentötende
Vertreter auf.
Sphaeropsidales.
Von den Sphaeropsidales kommt nur die Gattung Aschersonia Moni.
für uns in Betracht. Die Pilze dieser Gattung bilden fleischige, halbkuglige,
polsterförmige Stromata, welche die P3^knidenkammer in sich bergen. Sporen
spindelförmig, hyalin, mehrzellig, auf fadenförmigen Trägern.
Als insektenbewohnend weiden folgende Arten angegeben: A. tahitensis
Moni., A. turbinata Beck., A. parasitica P. Henn., A. ßavocitrina P. Henn.
und A. aleurodis Webb., welche sämtlich auf außereuropäischen Cocciden,
insbesondere Aleiirodes citri (auf OVr«s-Bäumen in Florida) parasitieren und
sie zum Absterben bringen. Die größte Häufigkeit zeigt vor allem die letzt-
genannte Art.
Hvphom^'ceten.
Von den imperfekten Hyphomyceten gibt es eine größere Anzahl von
Gattungen, welche auf Insekten parasitierende Vertreter aufweisen. Diese
sind, der systematischen Reihenfolge nach, folgende:
Oospora Wallr.
Diese Pilze leben parasitisch oder saprophytisch auf Pflanzen und
Tieren^) und bilden ausgebreitete oder polsterförmige, schimmelartige Rasen.
Die Fruchth3^phen sind kurz, zart, einfach oder sparsam verzweigt; die
Konidien sind kuglig oder eiförmig und werden in regelmäßigen Ketten ge-
bildet.
*) Hierher gehören, oder sind mindestens nahe verwandt, diejenigen Pilze,,
welche die unter den Namen „Herpes" und „Favus" bekannten Hautkrankheiten
bei Menschen und Tieren verursachen.
Die insektentötenden Pilze. 277
Die wichtigste aller insektenbewohnenden Arten ist Oospora destmctor
Delacr.,^) sie bildet rundliche, zusammenfließende, staubige, zuerst weiße,
später grüne Rasen. Die vegetativen Hyphen kriechend, die Fruchthyphen
einfach oder wenig verzweigt, mit sehr undeutlichen Scheidewänden, fast
hyalin, 3 — 3,5 n dick. Konidien in Ketten zu 3 — 5, zylindrisch, beidendig
abgerundet, blaugrün, 7 — 15 ^i lang, 2,5 — 3,3 }i dick. Der Pilz kommt auf
verschiedenen Insekten, vornehmlich den Pflanzenschädlingen Cleonus pimcti-
ventris und Anisoplia austriaca in Frankreich und Rußland vor, die sog.
„grüne Muscardine" verursachend. Der Pilz wurde in Frankreich auch auf
Seidenraupen beobachtet.
Weitere Arten sind O. Guerciana Cav. auf Larven von Agrotis aqiiilina
in Italien, O. Saccardiana Berl. auf Ceroplastes rusci in Italien und O. ovorum
Trab, auf Eiern von Haltica ampelophaga in Algerien. Letztere Art wurde
von Petri in Italien in den von Phylloxera bewohnten Gallen aufgefunden;
es gelang ihm in einigen Fällen, mit dem Pilz gesunde Phylloxera-YÄ^x zu in-
fizieren.
Cephalosporium Corda.
Hyphen weithin kriechend; Konidienträger kurz, aufrecht, an der Spitze
nicht aufgeblasen. Konidien kuglig oder eiförmig, hyalin oder blaß gefärbt,
sitzend, zu einem Köpfchen angehäuft.
Als insektentötend ist nur eine Art aus Westindien bekannt, nämlich
C. lecann Zimm. auf Schildläusen.
SporofricJiiiiii Link.
Hyphen reich verzweigt, weit verbreitet, alle niederliegend. Konidien
endständig, an der Spitze von Ästen oder von kurzen Trägern, meist einzeln,
eiförmig oder kuglig.
Von den insektentötenden Arten kommt hauptsächlich S. globulifertim
Speg. in Betracht; dieser Pilz befällt Heuschrecken (in -Argentinien) und soll
auch die Getreidewanze {Blissus leucopferus) und andere Insekten (z. B.
Cocciden) angreifen können.
Botrytis Mick.
Hyphen kriechend, verzweigt, septiert; Konidienträger unregelmäßig,
baumartig verzweigt, selten einfach, aufrecht. Äste entweder dünn, an der
Spitze zugespitzt, oder dicker, stumpf, oder aufgeblasen warzig oder kamm-
förmig zähnig. Konidien an der Spitze der Äste gehäuft, aber nicht eigentlich
kopfig, kuglig, ellipsoidisch oder länglich, h^^ahn oder lebhaft gefärbt, einzellig.
Einige Arten bilden Sclerotien.
Diese Gattung ist von großer Bedeutung, da sie mehrere in Europa
auf Insekten parasitierende Arten umfaßt. Die wichtigste dieser Arten ist
Botrytis Bassiana Bals., welche zuerst (1763) an der Seidenraupe beobachtet
wurde; sie ist die Ursache der unter dem Namen „Muscardine", „Calcino"
oder „Kalksucht"-) bekannten Krankheit.-^)
*) Die Art wird von einigen Forschern zu Isaria gestellt (als /. anisopliae
Pettit, neuerdings von Vuillemin zu Penicillium als Penicillium anisopliae Vuill.).
^) Wegen des kalkartigen Aussehens der erkrankten Raupen.
^) Vuillemin hat neuerdings diese Art von der Gattung Botrytis getrennt
und unter eine neue Gattung Beauveria Vuill. (als B. Bassiana Vuill.) gestellt.
278
Kapitel VI. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
Der Pilz tritt meistens nur in der Form einfacher, einen schimmel-
artigen Flaum bildender Fruchthyphen auf/) kann aber zuweilen isaria-
ähnliche Stromata bilden. Die aus dem Innern von infolge des Befalls ver-
endeten Raupen hervorbrechenden Fruchthyphen sind aufrecht, unverzweigt
oder seltener gabelig mit kurzen Ästen, farblos und durch Scheidewände in
lange Zellen geteilt (Fig. 206, A). Sie treiben einzelne oder gegenständige,
einzellige Zweige, welche nun entweder selbst an ihren zugespitzten Enden,
oder an denen der von ihnen entspringenden Zellen zweiter Ordnung,
köpfchenweise (bis 16 Stück an einem Hyphenästchen) kuglige Konidien von
2 — 3 ^i Durchmesser abschnüren (Fig. 206, A). Gelangt eine dieser, monate-
lang ihre Keimfähigkeit bewahrenden Konidien auf die Haut einer Raupe,
so keimt sie; der Keimschlauch dringt durch die Haut und während der
außenbleibende Teil derselben abstirbt, wächst das eingedrungene Stück,
zahlreiche, verzweigte, von dem Punkte des Eindringens aus strahlig diver-
A3 C
Fiff. 206. Botrytis Bassiana Bals. A Konidientragende Fruchthyphen, a mit schwächerer, h und c mit
reichlicher Sporenproduktion; B konidienabschnürende Keimschläuche aus der Raiipenhaut; C zylin-
drische Konidien und Hyphenansätze, sekundäre Konidien abschnürend, aus dem Raupenblute. (Nach
de Bary [5].)
gierende Äste treibend, weiter. Die Umgebung dieser Stelle wird zu einem
mißfarbigen Flecke. Die Fäden durchwachsen nun die Leibeswand, die
Muskeln und den Fettkörper, indem sie diese Teile zerstören und es bilden
sich teils an ihren freien Enden, teils seitlich, auf kurzen, dünnen Stielen
sitzende, 7—15 /.i lange und 2 a breite, Z3dindrische Konidien, die gleichfalls
köpfchenweise abgeschnürt werden (Fig. 206, B). Nach vollendeter Reife
lösen sich diese zylindrischen Konidien von ihren Trägern und gelangen in
die Blutmasse des Tieres, wo sie entweder unmittelbar oder nachdem sie
sich auf das zwei- bis dreifache ihrer Länge gestreckt haben, neue, sekundäre
zylindrische Konidien abschnüren (Fig. 206, C). Wenn diese Konidienbildung
ihren Höhepunkt erreicht- hat, ist das Blut des Tieres mit den Konidien
reichlich versehen und erscheint weißlich getrübt.
*) Diese einfache Form dieses Pilzes erinnert an die schon erwähnte kuglige,
konidienbildende Nebenfruktifikation von Cordyceps militaris (Fig. 202, £", D), so
daß die Vermutung naheliegt, daß sie eine Nebenfruktifikation einer Cordyceps- Kx\.
darstellt.
Die insektentötenden Pilze.
279
^nr
Nach Einstellung der weiteren Konidienbildung beginnen die zahlreich
vorhandenen Konidien zu verästelten Hyphen auszuwachsen. Die Ausbildung
der braunen Hautflecken, welche die Infektion der Raupen anzeigen, beginnt
erst am 8. oder 9. Tage nach der Infektion. Sobald
diese sich vergrößern, werden die Tiere träge und
hören auf zu fressen, werden allmählich regungslos
und sterben meist am 12. — 14. Tage nach der In-
fektion, nachdem sie zuvor eine schlaffe, weiche Be-
schaffenheit angenommen. Bald beginnt aber unter
dem Drucke der nun eintretenden Mycelbildung die
Leiche wieder zu schwellen und das Mycelium durch-
wuchert den Körper vollständig, die inneren Organe
auflösend und sie, mit Ausnahme der Höhlung des
Darmes, völlig durchdringend. Es folgt nun in
feuchter Umgebung der Durchbruch der Fruchthyphen,
während die trocken liegende Leiche zur Mumie zu-
sammenschrumpft, aus welcher noch nach Monaten bei
Wiederbefeuchtung Konidienträger hervorbrechen.
Außer der Seidenraupe befällt der Pilz auch zahl-
reiche andere Insekten, wie die Kiefernspinnerraupe,
den Traubenwickler {Conchylis), die Larven des Reben-
schädlings Haltica ampelophaga usw., und soll auch die
Nonnenraupen anzustecken imstande sein.
Eine weitere insektentötende Art ist Botrytis
tenella Sacc, welche auf verschiedenen Insekten, ins-
besondere Maikäfern und ihren Larven (Engerlinge)
vorkommt und sie tötet (Fig. 207 u. 208). Der Pilz
soll in Schweden auch auf den Nonnenpuppen spontan vorkommen. Der
Pilz bildet ausgebreitete, weiße, ziemlich feste, aus septierten, verzweigten,
1,5 — 2 |U, dicken Hyphen bestehende Rasen.
Konidienträger (Fig. 207) aufsteigend, mannig-
fach verzweigt, wenig septiert, hyalin.
Konidien eiförmig, zu 2 — 3köpfig gehäuft,
2,5 — 3|ttxl,5 — 2/1, hyalin, bisweilen mit
Öltropfen.
Die besprochenen Botrytis-Anen sind
schwer voneinander zu unterscheiden ; auch
ihre Zugehörigkeit zu dieser Gattung wird
angezweifelt. Da die Fruchthyphen von
Botrytis, wie schon hervorgehoben, unter
Umständen zu isariaförmigen Bündeln sich
vereinigen, so werden sie bisweilen mit
Isaria verwechselt; in der Tat wird Botrytis tenella vielfach als zu Isaria
gehörig angesehen und Isaria densa {Link.) Fr. benannt. Zur sicheren
Unterscheidung beider genannter Arten gibt Delacroix auf Grund von Kulturen
folgende Unterscheidungsmerkmale an:
Fig. 207. Botrytis tenella Sacc.
Fruchttragende Hyphen
nach S a c c ar d o , stark ver-
größert (aus Lindau, in
Rabenhorst, Krypto-
gamenflora).
Fig 208. Botrytis tenella Sacc. Vom Pilz
befallene Maikäfer. Die weißen Polster
der konidientragenden Hyphen brechen
an den chitinfreien Teilen der toten Mai-
käfer hervor. (Nach Tubeuf [44].)
280 Kapitel VI. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
B. tenella: Konidien oval, Kartoffelscheiben und Gelatineplatten werden
intensiv rot gefärbt.
B. Bassiana: Konidien rund, Kartoffelscheiben werden nicht, Gelatine-
kulturen hellbraun gefärbt.
In Frankreich soll ferner auf den Seidenraupen neuerdings eine neue,
von B. Bassiana abweichende Form auftreten, die als B. effusa Beauv. be-
zeichnet wird. Sie unterscheidet sich im wesentlichen von jener Art dadurch,
daß sie das Substrat (sowohl die Seidenraupen wie Kartoffelscheiben) rot färbt
(„rote Muscardine").^)
Verticilliitm Nees.
Hyphen kriechend, rasenbildend, verzweigt, septiert. Konidienträger
aufrecht, verzweigt, septiert. Zweige quirlständig. Konidien einzeln oder zu
mehreren stehend, bald abfallend, kuglig bis eiförmig, hyalin oder lebhaft gefärbt.
Die Gattung enthält zahlreiche Arten, welche auf toten Insekten auf-
gefunden werden; ihre Pathogenität (Parasitismus) ist jedoch in vielen Fällen
zweifelhaft.
V. capitatiim Ehrenb., bildet sehr zarte, weiße, kaum sichtbare, lockere,
ausgedehnte Überzüge. Hyphen 4 — 5 /* dick, und Konidienträger zerstreut
stehend, 0,15 — 0,2 mm hoch, weiß, 3 /< dick, mit 2 — 3 zwei- bis vierwirteligen
Verzweigungen. Zweige 2 ,u dick und bisweilen noch einmal dreiwirtelig
verzweigt. Konidien endständig, einzeln, kuglig, 1 — 1,5 /t Durchmesser. Auf
kleinen Insekten und Larven beobachtet, wahrscheinlich nur ein Saprophyt;
es wächst auch auf Zweigen von Pflanzen und Holz.
V. heterocladum Penz., überzieht den Körper des Insektes wie mit
einem weißen Filz und bildet kriechende, verlängerte, wenig verzweigte
Hyphen und aufsteigende Konidienträger mit abstehenden, geraden, zu-
gespitzten Ästen (zu drei- bis vieigliedrigen Wirtein). Konidien an den Ast-
spitzen einzeln, zu zwei oder drei, öfter sehr kurz gestielt, länglich, 5,5 bis
6 IX lang, 2 — 3 /^ breit, hyalin. Auf Lecanium hesperidum (auf den Blättern
des Zitronenbaumes in Oberitalien) und Aleurodes-Anen (auf Ci/rus-Avten in
Florida).
V. corymbosum Lebert, bildet weiße schimmelartige Rasen und aufrechte,
2 1.1 dicke, coremienartig zusammentretende Konidienträger mit opponierten
oder quirlig gestellten kurzen Zweigen, die ihrerseits wiederum ebenso ver-
zweigt sein können. Endzweig fast ellipsoidisch, ca. 4 /< breit. Konidien
kuglig oder leicht eiförmig, etwa 3 ^t lang und 2,5 /i breit. Auf Puppen des
Kiefernspanners Fidonia piniaria (in Schlesien).^)
Ferner ist vielfach eine Verticillium-Kri {V. aphidis) auf Aphiden (in
Ungarn und Dänemark) und weitere {V. oxana Dan. et Wize) auf Cleomis
punctiventris (in Rußland) beobachtet worden.
1) Zu Botrytis wird ferner ein Pilz gestellt, der bei einer Invasion von
Wanderheuschrecken in Algerien vernichtend aufgetreten ist. Giard [24] stellt
ihn zu einer neuen Gattung Lachindium; dieselbe ist jedoch nach Saccardo nichts
anderes als ein Fusarium.
'^) Der Pilz wird vielfach mit Botrytis Bassiana verwechselt. Er wird auch
als die Konidienform eines Cordyceps angesehen.
Die insektentötenden Pil
281
Cladosporiiim Link.
H3^phen im Substrat oder auf dessen Oberfläche kriechend, verzweigt,
septiert, dunkelfarbig. Konidienträger aufrecht oder niederliegend, büschelig
hervorbrechend oder dichte Rasen bildend, meist septiert, einfach oder ver-
zweigt, dunkelfarbig. Konidien fast kuglig bis zylindrisch, leicht dunkelfarbig
bis schwarz, meist zweizeilig (selten ein- oder mehrzellig), oft eingeschnürt.
Cladosporium-Arien werden vielfach auf toten Insekten angetroffen (C.
aphidis v. Thüm. auf Aphts-Arten, C. penicillioides Preuss. auf Chr3rsaliden
usw.), sie sind jedoch meistens nur Saprophyten (oder in einigen Fällen
Epiphyten). Sie sollen bisweilen den Insekten dadurch schädlich werden,
daß sie die Tracheen verstopfen und in dieser Weise Asph3'xie und den Tod
der Tiere herbeiführen können.
Isaria Pers.
Mycel häufig weit ausgebreitete feste Lager bildend, meist weiß (seltener
hellfarbig). Fiuchthyphen septiert, hellfarbig zu massigen Bündeln, Coremien,
A B C D
Fig. 209. Isaria Pers. A Puppe mit den Coremien von I. farinosa (Dicks.) Fries, (nach Nees von
Esenbeck); B Fruclithyphtnende von demselben Pilz mit kugligen Konidien; C desgleichen mit
schwachen Sporenprodukten; D desgleichen mit ovalen Konidien von I. strigosa Pries. {B — D nach
de Bary [5].)
parallel vereinigt; dieselben erheben sich meist aufrecht auf dem Substrat
(Fig. '209, A) und sind stiftförmig oder keulig, einfach oder verzweigt.
Die Konidien entstehen als letzte Verzweigungen der das Coremium bildenden
Hyphen, das keulenförmige Köpfchen desselben dicht überziehend; der Stiel
des Coremiums ist dagegen als der sterile Teil zu bezeichnen, auf ihm be-
finden sich also keine Konidienträger. Die Konidien entstehen akrogen und
sind sehr klein, kuglig oder ellipsoidisch, einzellig, h^^alin.
Wie schon an anderer Stelle hervorgehoben wurde, werden einige Isaria-
Arien als die Konidienform von Cor^c^/)s-Arten angesehen und bei C. militaris
ist es de Bar}^ anscheinend auch gelungen, durch Aussaat der Cordyceps-
Ascosporen die Isaria-Y orm. zu erhalten^); der umgekehrte Versuch ist aber
bisher ohne Erfolg geblieben. Bei der großen Anzahl der insektenbewohnenden
Isariapilze ist es übrigens keine leichte Aufgabe, die Zugehörigkeit zu eruieren.
Es ist auch nicht ausgeschlossen, daß bei vielen Arten das Vermögen der
Bildung der Ascusfruchtform verlustig gegangen ist.
Die systematische Stellung der „Isaria" -Pilze ist auch unter den
Imperfecti eine sehr zweifelhafte. Der Hauptcharakter, die Bildung der
1) Da es sich in diesem Falle nicht um eine Reinkultur handelt, so ist der
Versuch für die Zugehörigkeit dieser Pilzformen nicht unbedingt beweisend.
282 Kapitel VI. Natürliche Beschränlcung der Insektenvermehrung.
eigentümlichen Coremien, ist kein sicheres Gattungsmerkmal, da sie in hohem
Maße von der physikalischen und chemischen Beschaffenheit des Substrates
abhängt, während sie andererseits auch bei Pilzen anderer Gattungen an-
zutreffen ist. Vom Standpunkt der Form der Konidienträger aus betrachtet,
sind die verschiedenen Isariapilze wohl unter verschiedene Gattungen zu
stellen. Dies ist auch zweifellos unbewußt öfter geschehen, in den Fällen,
wo die typische Coreraienbildung unter dem Zwang der herrschenden Be-
dingungen ausblieb. Der Gattungsbegriff „/sar/a" steht also auf ungemein
schwachen Füßen; es ist daher begreiflich, wenn die Isariapilze eine Unmenge
von Synonj^men aufweisen. Dadurch aber, daß man, der sonst richtigen Be-
strebung der Benennung von Imperfekten nach der etwaig entdeckten Haupt-
fruchtform folgend, die Isarien kurzweg unter Cotdyceps stellte, erreichte die
Konfusion den Gipfel. Dieser kurze Prozeß ist bei den Isarien tatsächlich untun-
lich, da nur bei Isoria farinosa der Zusammenhang mit Cordyceps militaris,
wenn auch nicht absolut sicher, doch höchstwahrscheinlich ist, während viele der
übrigen schlechtweg als „Isaria^'' bezeichneten Pilze höchstwahrscheinlich mit
Isaria farinosa keinerlei verwandtschaftliche Beziehungen haben und demnach
auch nicht zu Cordyceps zu gehören brauchen. Eine gründliche Neube-
arbeitung der Isarien auf Grund von Versuchen mit Reinkulturen tut dringend
not. Den Anfang hat schon Vuillemin [47, 48] gemacht. Nach diesem
Autor ist z. B. /. farinosa unter die Gattung Spicaria Harz^) zu stellen.
Es ist in der Tat unzweifelhaft, daß viele Isarien zu Spicaria oder zu der
nahverwandten Gattung VerticiUium gehören. Fron [20, 21] fand einen
parasitischen Pilz auf den Puppen der Traubenwickler {Conchylis und Poly-
chrosis) in Frankreich, den er als eine Varietät von Isaria farinosa erkannte
und als Spicaria farinosa var. verticilloides bezeichnete. Nach der Be-
schreibung und den beigegebenen Abbildungen handelt es sich in der Tat
um eine Spicaria. Der Pilz ist, wie Fron mit Recht hervorhebt, mit dem
von Schwangart [38] ebenfalls an den Traubenwicklern in Deutschland
aufgefundenen identisch. Der Pilz scheint eine größere Verbreitung zu haben;
ich habe ihn an einem „Isaria"-Belag an den Puppen von Panolis piniperda,
die ich vom Zoologischen Institut der Forstakademie zu Tharandt erhielt,
erkannt. Diesen erst in der allerletzten Zeit in Angriff genommenen Unter-
suchungen will ich jedoch durch weitere Mitteilungen hier nicht vorgreifen.
Gegenwärtig, solange es an einer gründlichen Beaibeitung der Isarien
fehlt, ist es aber jedenfalls vorteilhafter, an der alten Gattung Isaria festzuhalten;
man muß sie nur als eine biologische Sammelgattung von insektentötenden,
zu Coremienbildung neigenden Imperfekten auffassen.
Die wichtigste und am besten bekannte Art ist Isaria farinosa {Dicks.)
Fries (vgl. Cordyceps militaris, S. 272), welche über ganz Europa, auf ver-
schiedenen Raupen und Puppen, besonders von Bonibyx rttbi und B. pini^
sowie Conchylis ambiguella u. a. verbreitet ist. Sie bildet auf den Insekten-
leichen weiße, 2 — 4 cm hohe, keulenförmige Coremien mit deutlich ab-
gesetztem, unverzweigtem, glattem Stiel und verdicktem, einfachem, seltener
M Dieselbe ähnelt der Gattung VerticiUium, unterscheidet sich aber von dieser
dadurch, daß die Konidien nicht einzeln, sondern in langen perlschnurartigen Ketten
entstehen.
Die insektentötenden Pilze. 283
verzweigtem Köpfchen, dessen Oberfläche durch Bildung zahlreicher, dicht-
stehender Konidienträger sehr deutlich mehlig bestäubt erscheint (Fig. 209, A).
Die einzelnen Fruchthypen, welche sich stets nur gabelig verästeln, tragen
meist nur paarweise opponierte Zweige (Fig. 209, B u. C), zeigen also nicht
die wirteiförmige Anordnung der weit abstehenden Äste, wie sie bei der
einfachen Konidienform von Cordyceps militaris beschrieben wurde (vgl,
S. 271, sowie Fig. 202, E). Die Zw^eige und Äste bestehen aus je einer
kurzen, zylindrischen Zelle, welche sich von zylindrischem oder flaschen-
förmigem Grunde aus in ein pfriemenartiges Ende zuspitzt, auf dem kuglige,
hyaline, 2 /t im Durchmesser messende Konidien abgeschnürt werden
(Fig. 209, B u. C).
Die Art bildet auch mehrere vom Typus abweichende Formen, und
zwar variiert bei diesen die Farbe der Coremien, ihre mehr oder minder
rasige Anhäufung, die Art ihrer Verzweigung, die Beschaffenheit des Stiels
(ob glatt oder behaart, ob konidientragend oder steril, ob an der Basis weiß
oder gelblich) u. dgl.^)
Die aus den Sporen entstehenden Keimschläuche dringen nicht durch
die Haut in das Innere der Raupe ein, sondern durch die Stigmata in die
Tracheenhauptstämme und erst nachdem sie die Substanz dieser durchwuchert
und sie ebenso wie das anliegende Gewebe dunkelbraun gefärbt haben, ge-
langen sie in die Leibeshöhle.
Von anderen insektentötenden europäischen 7s(7r/rt-Arten seien noch
folgende erwähnt:
/. strigosa Fries, mit rasig gehäuften, pfriemlichen, einfachen oder ver-
zweigten, 4 — 10 mm hohen Coremien. Der Stiel derselben ist ziemlich glatt,
das Köpfchen von den Konidien bestäubt, fast strohgelb. Konidien (Fig 209, D)
an einfachen Trägern von ca. 4 ^ Dicke entstehend, eiförmig, an der Basis
spitz, farblos, in Masse strohgelb, 4 ,a lang, 2 ^i dick. Sie ist auf Puppen
von Agrotis ypsilon und anderen Schmetterlingen aufgefunden worden.
/. corallina tries, mit reich verzweigten, büscheligen, langen, zarten,
korallenroten, an der Spitze mehrere, oft hängende Keulen tragenden Core-
mien. Konidien ellipsoidisch bis kuglig, rötlich. Auf der Puppe von Taenio-
campa incerta Hiifn. in Deutschland und auf Lepidopterenlarven in Ober-
italien.
/. exoleta Fries, mit geselligen, verlängerten, zerbrechlichen, fädig zu-
sammengedrückten Coremien. Dieselben sind kaum in Stiel und Köpfchen
geschieden, staubig, hellbraun. Auf den Raupen von Calocampa exoleta.
I. floccosa Fries, mit rasig gehäuften, pfriemlichen, unverzweigten,
weißen, hj^dnumartigen, 2 — 4 mm hohen, auf der ganzen Fläche flockig-zottigen
Coremien. Auf Raupen und Puppen von Bombyx jacobeae.
I. cinnabarina Preuss., mit geselligen, 6 — 8 mm hohen, fleischroten
Coremien. Dieselben sind mehrfach verzweigt, dick, flockig-staubig, nicht in
Stiel und Köpfchen geschieden. Konidien eiförmig, rot. Auf Sphinx
ligustri.
^) Diese Abweichungen werden von einigen Autoren als Artenmerkmale drei
weiterer Arten (7. truncata Pers., I. crassa Pers. und I. velutipes Link.) aufgefaßt.
284 Kapitel VI. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
/. leprosa Fries, mit rasigen, roten Coremien. Stiel und Köpfchen ver-
dickt, allseitig flockig-staubig. Köpfchen verschieden gestaltet. Konidien
zahlreich, locker anliegend, kuglig. Auf den Puppen von Orthosia incerta.
1. sphecophila Dittm., mit geselligen, fädigen, starren, hellbraunen, un-
verzweigten, 10 — 11 cm langen Coremien. Dieselben sind an der Basis glatt,
an der Spitze behaart. Auf Vespa crabro (vgl. Cordyceps Ditmari, S. 272).
/. deutheratoriim Nees., mit fädigen, kurz verzweigten, weißlichen, über-
all behaarten Coremien. Konidien endständig, länglich-eiförmig, hyalin, 6 bis
7 fx lang, 3,5 /i dick. Auf verschiedenen Käferarten (vgl. Cordyceps cinerea,
S. 272).
/. lecaniicola Jaap, mit geselligen, z^iindrischen oder keuligen, un-
verzweigten, zuweilen oben breitgedrückten und zweiteiligen, weißen, später
ockergelben bis bräunlichen, 2,5 — 4 mm hohen und 0,2 — 0,4 mm dicken
Coremien. Konidienträger unverzweigt. Konidien eiförmig, ellipsoidisch oder
länglich-eiförmig, stumpf zugespitzt oder an einem Ende abgerundet, hyalin,
oft mit 2 kleinen, undeudichen Öltropfen, 5 — 8 /t lang und 2 — 3,5 /i breit.
Auf Lecanium persicae (an Zweigen von Corylus avellana in Kärnten).
Aegcrita Fers, und Fusarium Link.
Schließlich sei noch auf die Gattungen Aegerita Fers, und Fusarium
Link, kurz hingewiesen. Erstere umfaßt vornehmlich Pilze, welche auf Holz
und Baumrinden leben. Eine Art, A. Wehheri Fawc. parasitiert auf Motten-
schildläusen (A/eurodes-Arten) in Florida. Zu der durch die charakteristischen,
sichelförmigen, septierten Sporen gekennzeichneten Gattung Fusarium gehört
ein auf Heuschrecken (in Algerien) parasitierender Pilz, F. acridiorum (von
Giard zu einer besonderen Gattung Lachnidium gestellt; siehe S. 280, An-
merkung).
Im vorstehenden haben wir besonders diejenigen Pilzkrankheiten kennen
gelernt, welche in Mitteleuropa vorkommen. Auch von den außereuropäischen
insektentötenden Pilzen sind einige praktisch wichtige Arten besprochen
worden, und zwar diejenigen, welche Gattungen angehören, die in Europa
keine Vertreter aufweisen. Die Kenntnis dieser letzteren Gattungen ist nicht
nur deshalb von Bedeutung, als es nicht unmöglich ist, daß sie auch in
unserem Gebiet noch aufgefunden werden, sondern auch deshalb, weil mit
diesen Pilzen praktische Bekämpfungsversuche in diesen Ländern ausgeführt
wurden, dessen Kenntnisnahme unser Interesse in hohem Maße beansprucht.
Auf Grund dieser Übersicht wird jeder mit Hilfe eines Mikroskopes in
der Lage sein, beim Ausbruch einer Pilzkrankheit an Insekten den Urheber
derselben zu bestimmen.
B. Wirtschaftliche Bedeutung der insektentötenden Pilze.
Von den behandelten Krankheiten sind nur relativ wenige von praktischer
Bedeutung, d. h. solche, welche epidemisch auftreten und ein massenhaftes Ab-
sterben von Insekten herbeiführen können. Im folgenden sei ein kurzer
Hinweis auf diese praktisch wichtigen Arten gegeben, und zwar besonders
auf diejenigen, welche Forstschädlinge befallen.
Die insektentötenden Pilze. 285
Große Epizootien von Insekten sind vielfach durch Pilze aus der Gruppe
der Eufomophfhoraceen verursacht worden. Es ist höchstwahrscheinlich, daß
sie schon in älteren Zeiten die Ursache des plötzlichen gänzlichen Verschwindens
von massenhaft aufgetretenen forstschädlichen Insekten gewesen sind, wie
aus einigen älteren Berichten zu schließen ist. Bestimmte Angaben sind erst
in Berichten der zweiten Hälfte des vorigen Jahrhunderts enthalten. Bail
[3, S. 244] berichtet über eine in der Tuchler Heide im Jahre 1867 unter den
Kiefernspinnerraupen ausgebrochene Epizootie. Hier wurden die Raupen,
welche bereits ca. 5000 ha kahl gefressen oder doch stark geschädigt hatten,
fast vollständig durch eine Empusa-Art vernichtet. Ferner teilt Oberförster
Schultz mit, daß bei einem im Sommer 1868 im Forstrevier Biezdrowo der
Königl. Oberförsterei Zirke bei Posen ausgebrochenen Kieferneulenfraße
Ende Juni binnen 8 Tagen ca. 70 °/o der Raupen an einer £';M/)z/sa-Krankheit
starben, 20 ^/^ noch erkrankt und nur 10 "/o gesund erschienen [4, S. 138].
Um welche Empusa-Krt es sich in diesen Fällen handelt, ist aus diesen Be-
richten nicht ohne weiteres ersichtlich, wahrscheinlich aber um Empusa aulicae.
Hart ig [26, S. 478] bezeichnet als Ursache der von ihm beobachteten Empusa-
Erkrankungen des Kiefernspinners, der Kieferneule und des Rotschwanzes
ohne weiteres Empusa miiscae. Diese Annahme muß jedoch bezweifelt
werden, da nach den Erfahrungen Brefelds [9, S. 39] diese Art nicht im-
stande ist, Raupen anzustecken. Die Darstellungen Hartigs sind anderer-
seits nicht genau genug, um eine sichere Identifizierung der fraglichen Art
zu gestatten.
Bei den späteren Berichten über Entomophthoraceeninvasionen finden
wir die genaue Bestimmung der Art, und zwar wird in erster Linie Einpiisa
aulicae erwähnt. Bei dem großen Eulenfraß in Schlesien im Jahre 1884
sollen im Ganzen in den Saganer, Sprottauer, Mallmitzer, Bunzlauer,
Primkenauer, Modlauer Kiefernforsten ca. 5000 Morgen fast kahl gefressen
worden sein; die Invasion fand durch den Ausbruch einer durch Emp.
aulicae verursachten Erkrankung ein plötzliches Ende (vgl. v. Tubeuf
[41, S. 38 — 39]). 1) Im Jahre 1888 wurden die im Hauptmoor massenhaft vor-
handenen Eulenraupen durch ungünstige Witterungsverhältnisse stark
dezimiert; durch das Auftreten von Emp. aulicae wurden alle übrigen, den
schädlichen Einflüssen entgangenen Raupen nahezu vollständig vernichtet
(v. Tubeuf 1. c). In demselben Jahre wurde durch denselben Pilz eine
Eulenraupenepidemie in Miltenberg plötzlich beendet. Im Sommer 1892
zeigte sich die Krankheit bei Grafenwöhr [41, 42], im Jahre 1895 bei Land-
stuhl in der Pfalz [43].
Empusa aulicae hat sich als ein sehr wirksamer natürlicher Feind auch
anderer massenhaft auftretender forstschädlicher Insekten erwiesen. So
konnte der Pilz einer Invasion des Rotschwanzes {Dasychira pudipunda)
im Jahre 1894 in den oldenburgischen Waldungen bei Fischbach an der
Rhein-Nahe-Bahn sehr wirksam entgegentreten (v. Tubeuf [43, S. 474]).
') Eine aus der Primkenauer Heide stammende kranke Eulenraupe war auch
nach einer Bestimmung von de Bary ebenfalls von Emp. aulicae befallen.
286 Kapitel VI. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
Nach Lindau [28] traten im Jahre 1897 die Raupen des Goldafters
{Porthesia chrysorrhoeä) massenhaft auf den Eichen des Berliner botanischen
Gartens auf und fraßen sie kahl; plötzlich brach unter den Raupen eine
durch Emp. aulicae verursachte Mykose aus, und vernichtete sie im Zeitraum
von ungefähr einer Woche fast vollständig.
Eine weitere nennenswerte Mykose trat im Jahre 1898 an den Raupen
des Wicklers Grapholitha tedella auf; das Insekt hatte seit einem Jahre die
Fichtenwaldungen der meisten sächsischen Staatsforstreviere heimgesucht.
Die Erkrankung war durch Entomophthora sphaerosperma verursacht, und ihr
war wahrscheinlich, wenigstens teilw^eise, das Erlöschen des Fraßes zu ver-
danken (Baer [1]).
Von epidemisch aufgetretenen Entomophthoraceen seien ferner Emp.
grylli auf Heuschrecken (in Bernau im Jahre 1896 [nach v. Tubeuf, 43], im
Görzer Karst im Jahre 1910 [nach Gvozdenovic, 25] u. a.), Entom. aphidis
auf Blatdäusen (auf Zuckerrüben und Rübensamenfeldern im Jahre 1911 [nach
Stornier und Kleine, 39]) als nützlich hervorgehoben.
Tarichium megashermiim dürfte unter Umständen ein mächtiger Bundes-
genosse im Kampfe gegen die den Nadelholzkulturen so schädlichen Acker-
eulenraupen werden (Cohn [11]).
Von den Mucoraceen ist nur die auf den Heuschrecken in Südafrika
auftretende Mucor-Art („Locust fungus"), welche das praktische Interesse
beansprucht. Der Pilz soll das öfter beobachtete Massensterben von Heu-
schrecken in Südafrika verursacht haben. Inwieweit er als ein echter Parasit
die primäre Ursache des Absterbens ist, kann nicht als festgestellt gelten;
seine praktische Bedeutung ist jedenfalls nach den neuen Versuchen mehrerer
Autoren fraglich.
Von den Ascomyceten kommt für die Praxis in erster Linie Cordyceps
militaris in Betracht. Abgesehen von einer brieflichen Mitteilung Tulasnes
an Oberförster Middeldorpf über das epidemische Auftreten des Pilzes an
den Raupen des Pinienprozessionsspinners in den südfranzösischen „Landes",
haben wir genaue Mitteilungen über epidemische Ei krankungen durch
C. militaris nur beim Kiefernspinner. Beim oder unmittelbar nach dem
Ausbruch einer Cordyceps-Mykose wird der Pilz selten in seiner charakte-
ristischen Perithecienform angetroffen; meist haben wir es hier mit den
mumifizierten, durch das Ausgestopftsein mit Mycelium steifen Raupen zu
tun, oder höchstens mit der Konidienform (Isaria) des Pilzes. Die
Perithecienform tritt dagegen später auf. Bail [2, S. 16] macht ausführliche
Mitteilungen über einen an Oberförster v, Chamisso, Oberförsterei Balster
bei Callies im Reg.-Bez. Köslin, im Jahre 1869 beobachteten Fall. 68 "/(, der
eingesandten Raupen waren an Cordyceps bezw. Isaria verendet.
In der neueren Zeit finden wir vielfach in der Literatur Angaben über
ein mehr oder weniger massenhaftes Absterben des Kiefernspinners (im
Winterlager) infolge des Befalles mit C. militaris. Eckstein macht in den
Jahren 1907 und 1908 [15] auf das Auftreten toter Raupen aufmerksam und
nennt zahlreiche Forstreviere, in welchen die Epizootie beobachtet wurde.
Die insektentötenden Pilze. 287
Ausführliche Mitteilungen machen Escherich und Baer [16]; aus diesen ist
besonders eine von Oberförster Blüthgen in der Muskauer Heide be-
obachtete Epizootie hervorzuheben. Nach diesen Beobachtungen ist in den
Jahren 1898 — 1899 ein zunächst lokal beschränkter Kiefernspinnerfraß durch
Cordyceps militaris auf seinen Herd beschränkt und schließlich völlig unter-
drückt worden.
Sehr bemerkenswert sind die Mitteilungen von Olsen-Sopp [32] über
die völlige Unterdrückung einer in den Jahren 1906 — 1907 in Mykland
(Norwegen) ausgebrochenen großen Kiefernspinnerepidemie durch Cord,
norvegica. Die im Winterlager befindlichen Raupen waren bis zu 80 "/o vom
Pilz befallen und mumifiziert. Olsen-Sopp hält dort, wo der Pilz in der
Natur vorhanden ist, ein Überhandnehmen des Kiefernspinnerfraßes — zu
mindesten, wenn keine für den Pilz besonders ungünstige Bedingungen
herrschen — für unmöglich.
Von praktischer Bedeutung scheint ferner Sphaerostilbe coccophila zu
sein» Mit dem Pilz sind mehrfach Versuche zur Unterdrückung von Schild-
lausepidemien gemacht worden. Rolfs [35] hat z. B. den Pilz zur Be-
kämpfung der San-Jose-Schildlaus {Aspidioiits perniciosus) in Florida heran-
gezogen; der Pilz wurde auf Brot künstlich gezogen, mit Wasser gemengt
und auf die Bäume gespritzt, oder Zweige, welche mit durch den Pilz ge-
töteten Läusen dicht besetzt waren, an Bäume mit gesunden Läusen gehängt.
Die Versuche sollen vom Erfolg begleitet worden sein. Dem Pilze hat man
in Florida große Aufmerksamkeit auch für die Bekämpfung der lästigen
Mottenschildlaus, Aleurodes citri, zugewendet, doch haben die Versuche der
künstlichen Verbreitung des Pilzes keine durchschlagenden Erfolge zu ver-
zeichnen. Die Versuche sind auch mit anderen pilzlichen Parasiten dieser
Schildlaus gemacht worden, nämlich mit Ophioiiectria coccicola und einigen,
im theoretischen Teil schon erwähnten imperfekten Pilzen. Berger [7] hält
die Bekämpfung der Mottenschildlaus durch diese pflanzlichen Parasiten als
das wirksamste und am wenigsten kostspielige Mittel; die Anwendung von
Insektiziden soll ungefähr um das 7 fache teurer sein.
Zur Bekämpfung des Zuckerrübenschädlings Cleonits pimctiventris hat
man in Rußland vielfach versucht, den auf den Larven dieses Insektes
parasitierenden und für dieselben sehr schädlichen Pilz Oospora destriictor
heranzuziehen. Die Versuche im freien Felde haben jedoch den gehegten
Hoffnungen nicht entsprochen.
Dasselbe gilt für Sporotrichum globulijerum, welcher vornehmlich Heu-
schrecken, Cocciden und Haltica ampelophaga befällt.
Von den Imperfekten beanspruchen unser Interesse am meisten Botrytis
und Isaria, wegen ihrer großen Verbreitung und Häufigkeit, sowie wegen
ihres epidemischen Auftretens. Bei Besprechung des Cordyceps tnilitaris ist
auch Isaria farinosa mit behandelt worden. Den Isariapilzen ist in Hinsicht
der praktischen Bekämpfung von Insekten vielfach besondere Aufmerksamkeit
geschenkt worden, doch haben die künstlichen Infektionsversuche im großen
meistens versagt. Nur bei der Traubenwicklerbekämpfung scheinen damit
befriedigende Resultate erzielt worden zu sein. (Schwangart.)
288 Kapitel VI. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
Von der Gattung Botrytis beanspruchen, wie schon an anderer Stelle
hervorgehoben wurde, zwei Arten größeres Interesse für die forstliche Praxis,
nämlich B. Bassiana und B. tenella.
B. Bassiana als Kampfmittel gegen schädliche Insekten zu verwenden,
ist schon vielfach angestrebt worden. In erster Linie sind diejenigen Ver-
suche von Interesse, welche zur Bekämpfung der Nonne gemacht worden
sind. Nachdem Harz bereits 1891 den Vorschlag gemacht hat, die Nonnen-
raupen durch künstliche Infektion mit diesem Pilz zu vertilgen, führte Tangl [40]
die Versuche aus, indem er von Reinkulturen Emulsionen in sterilisiertem
Wasser herstellte und diese in verschiedener Weise auf Versuchsraupen
brachte. Im Laboratorium gelangen die Versuche vollkommen, alle infizierten
Raupen gingen an „Muscardine" ein. Infektionsversuche im Freien, im Königl.
Württembergischen Forstrevier Weingarten, bei welchen stark mit Nonnen-
raupen besetzte junge Fichten reichlich mit ßotrytis-Emulsion begossen
wurden, fielen dagegen ergebnislos aus; die Raupen blieben gesund. Über
ähnliche Versuche berichtet in neuer Zeit Bolle [8] aus der k. k. landw.
Versuchsstation in Görz; die Versuche im kleinen gelangen, während die In-
fektionen im Freien zu keinem positiven Resultat führten. Bemerkenswert
ist eine Mitteilung von Bengtsson [6], daß im südlichen Norwegen im
Sommer 1900 die Nonnenpuppen zu 0,78 o/„ an Botrytis tenella starben;
diese Pilzkrankheit griff spontan sowohl die Raupen wie die Puppen an.
Vaney und Conte [46] empfehlen — für die Gegenden, wo keine Seiden-
raupen gezüchtet werden — die Anwendung von B. Bassiana zur Be-
kämpfung der Larven des Rebenschädlings Haltica ampelophaga. Die Larven
werden durch das Fressen von mit Sporen des Pilzes behafteten Weinblättern
angesteckt und gehen an Muscardine zugrunde. Ob die Anwendung dieser
Bekämpfungsart im Freien von gutem Erfolg begleitet sein würde, muß
dahingestellt bleiben.
Große Hoffnungen liat man seinerzeit auf die Bekämpfung der Maikäfer
durch Botrytis tenella gesetzt. Die ersten Mitteilungen stammen von Le
Moult [30], Prillieux et Delacroix [33, 34] und Giard [22, 23] und be-
richten über das epidemische Auftreten der Krankheit und die Infektions-
versuche, welche im Laboratorium von Erfolg begleitet worden waren. In
Frankreich sind sogar, zum Zweck einer Bekämpfung der Engerlinge im
großen durch den Pilz, Reinkulturen in den Handel gebracht worden
(„Tubes Le Moult"). Die Nachprüfungen, welche von verschiedenen Seiten
angestellt wurden, haben jedoch gezeigt, daß der Methode eine praktische
Verwendbarkeit im großen nicht zukommt. Von diesen Versuchen sind in
erster Linie diejenigen von Frank [19] und Dufour [13] zu nennen. Beide
fanden übereinstimmend, daß die künstliche Infektion im Laboratorium wohl
leicht gelingt, während die Hervorrufung von Epidemien im Freien unmöglich
ist. Ein spontanes Auftreten der Krankheit ist in Deutschland wiederholt
beobachtet worden, so z. B. in der Königl. preuß. Oberförsterei Cladow in
der Neumark, sowie von v. Tubeuf in Füßen in Oberbayern [44].
Die angeführten Erfahrungen aus der Praxis zeigen, daß trotz der
großen Verbreitung mannigfacher Pilzkrankheiten die künstliche Verwendung
Literatur über Pilzkrankheiten der Insekten. 289
derselben im großen auf Schwierigkeiten stößt. Es ist unzweifelhaft, daß manche
dieser Krankheiten, vornehmlich Empusa, durch spontanes epidemisches Auf-
treten große Insektenkalamitäten schließlich fast vollständig unterdrücken
können und somit bei der Wiederherstellung des Gleichgewichtes im Haushalt
der Natur wesentlichen Anteil haben, jedoch ihre Wirksamkeit erst nach voll-
endetem Kahlfraß einsetzt, wo also durch die ungeheure Vermehrung der
Insekten einerseits, und die erfolgte Erschöpfung der Nahrungsquellen
andererseits, die Existenzbedingungen des einzelnen Individuums sich immer
mehr ungünstig gestalten. Eine ausgedehnte Ansteckung und Erkrankung
scheint also meistens erst nach eingetretener Schwächung der Insekten möglich.
Diese Tatsachen sind auch vielfach benutzt worden, um der Möglichkeit der
Verwendung von Pilzkrankheiten im Kampfe gegen schädliche Insekten jede
Zukunft abzusprechen. Damit ist jedoch die Sache keinesfalls abgetan, denn
einerseits ist es in manchen Fällen vielleicht doch möglich, die nötige Prädis-
position künstlich zu fördern.^) und andererseits darf die Prädisposition auch
nicht überschätzt werden. Es ist im Gegenteil angezeigt, die Versuche
weiter zu verfolgen, um zu sehen, ob nicht durch geeignete Anstellung auch
ohne ausgesprochene Prädisposition die Ansteckung möglich ist. — Außer-
dem können wir sehr wohl auf die Erhaltung wirksamer Infektionsherde
Rücksicht nehmen. So ist z. B. von verschiedenen Seiten hervorgehoben
worden, daß die Bodenstreu im Walde die mit Pilzkrankheiten behafteten
Insekten beherbergt und somit den besten Infektionsherd darstellt; sie
sollte also nicht vernichtet werden. Ferner wird sich vielleicht das Bereit-
halten von künstlichen Pilzkulturen als empfehlenswert erweisen; bei
vorübergehender, selbst schwacher Prädisposition infolge ungünstiger
Witterung wird dann durch künstliche Infektion die Seuche in der Weise
an Ausdehnung gewinnen, daß ein Wiedererholen der Tiere nicht mehr
möglich ist. Die Möglichkeit des Gelingens hängt natürlich auch von der Aus-
dehnung des Krankheitsgebietes ab; insofern sind die Verhältnisse im forst-
lichen Betriebe am ungünstigsten gestaltet.
Literatur über Pilzkrankheiten der Insekten.
Für die systematische Stellung und Abgrenzung der Familien und Gattungen:
Engler-Prantl, Die natürlichen Pflanzenfamilien, 1. Teil, Abt. 1 u. 1**, 1897,
1900. — Für die Diagnosen-) und Fundorte der einzelnen Arten: Rabenhorst,
Kryptogamenflora, 2. Aufl., I. Bd.: Die Pilze, 1884-1910, und Saccardo, Syllogae
Fungorum. — Eine Zusammenstellung von Pilzkrankheiten von Tieren nach den
Wirten geordnet bei: Zopf, W., Die Pilze, im Handbuch der Botanik von
A. Schenk, Bd. IV, 1890, S. 497—534.
Von den zahlreichen Arbeiten, welche einzelne Fragen behandeln, seien hier
nur folgende genannt, auf welche im Text Bezug genommen wurde: 1. ßaer, W.,
^) Eine künstliche Schaffung der Prädisposition liegt vielleicht bei der
„Anhäufelungsmethode" Schwangarts bei den Puppen der Traubenwickler
{Conchylis) vor.
'-) Die Diagnosen von vielen Arten sind aus den hier angeführten Werken
z. T. wörtlich entnommen.
Escherich, Forstinsekten. 19
290 Kapitel VI. Natürliche Beschränknng der Insekten Vermehrung.
Beobachtungen über Lyda hypotrophica Htg., Nematus abietinus Chr. und Grapho-
litha tedella CL, Thar. forstl. Jahrb. LIII, 1903, S. 171—208, Taf. I— IV. — 2. Bail,
Über Pilzepizootien der forstverheerenden Raupen. Danzig 1869, 26 S., 1 Taf. —
3. Derselbe, Pilzepidemie an der Forleule, Noctiia piniperda L. Danckelm. Ztschr.
f. Forst- u. Jagdw., Bd. I, 1869, S. 243—247. — 4. Derselbe, Weitere Mitteilungen
über den Fraß und das Absterben der Forleule, Nocttia piniperda. Ebenda, Bd. II,
1870, S. 135—144. — 5. de Barv, A., Zur Kenntnis insektentötender Pilze. Botan.
Ztg. a) Bd. 25, 1867, S. 1-7, 9-13, 17—21, Taf. I, und b) Bd. 27, 1869, S. 585-593,
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4. Pathogene Mikroorganismen.
(Spaltpilze und Protozoen.)
Es gibt eine ganze Reihe von epidemisch auftretenden Krankheiten
unter den Insekten, die durch Mikroorganismen verursacht werden, und
durch welche oft große Mengen von Insekten dahingerafft werden. Leider
sind heute unsere Kenntnisse darüber noch sehr lückenhaft und beschränken
sich in der Hauptsache auf die auffallenderen Krankheiten einiger ökonomisch
besonders wichtiger Insekten. Am eingehendsten sind bis jetzt die Krank-
heiten der Seidenraupe und der Biene studiert, durch die ein sehr empfind-
licher Schaden verursacht wird. Hat doch die französische Seidenkultur
lediglich durch die Pebrinekrankheit vom Jahre 1845 (in dem sie zum ersten-
mal aufgetreten) bis zum Jahre 1867 einen Verlust von mehr als 1 Milliarde
Francs erlitten. Nebst den Seuchen der beiden Hausinsekten haben auch die
Krankheiten einiger unserer Waldschädlinge (vor allem der Nonne) die Auf-
merksamkeit der Praxis wie der Wissenschaft erregt und mehrfache Be-
arbeitung gefunden. Der Endzweck der Studien ist natürlich im letzteren
Fall ein anderer als in den beiden ersteren, indem man dort nach Mitteln
sucht, die Krankheit zu bekämpfen, hier dagegen, sie möglichst zu ver-
breiten.
Im folgenden sollen die wichtigsten epidemischen Insektenkrankheiten
kurz geschildert werden. Wenn ich dabei nach der Art der Erreger resp.
nach besonders hervorstechenden Symptomen einige Kategorien aufstelle, so
19*
292 Kapitel VI. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
können diese vorläufig nur provisorischen Charakter haben, da die Ätiologie
von manchen Krankheiten noch nicht völlig klargestellt ist. Wir wollen hier
sprechen a) von den Bakterienkrankheiten, b) von den A'os^ma-Seuchen
und c) von den Polyederkrankheiten.
a) Bakterienkrankheiten.
Hierher gehören die Faulbrut der Bienenlarven, ferner die Schlaff-
sucht (oder Flacherie) und vielleicht auch die Schwindsucht der Seiden-
raupe und endlich die Heuschreckenpest.
Die „Faulbrut" ist die gefürchtetste Brutseuche, welche der Imkerei
enorme Verluste zufügt (in Amerika wird der Schaden auf 8 Millionen Mark
jährlich geschätzt), und welche in der letzten Zeit eine von Jahr zu Jahr
steigende Verbreitung erfahren hat. Die Faulbrut tritt in zwei verschiedenen
Formen auf, die als „amerikanische Faulbrut" oder „Brutpest" und als
„europäische Faulbrut" oder kurzweg „Faulbrut" unterschieden werden.
Die beiden Formen zeigen in ihren Symptomen viel Ähnlichkeit, insofern
als die davon befallenen Larven nach kürzerer oder längerer Zeit ihre äußere
Form verlieren und sich zu unförmigen gelblichen bis bräunlichen Massen
auflösen. Andererseits fehlt es auch nicht an guten differentialdiagnostischen
Merkmalen, die eine einigermaßen sichere mikroskopische Unterscheidung
ermöglichen: so sind die zerflossenen Larvenmassen bei der Biutpest brei-
artig bis schleimig und verbreiten einen ekelhaften, an alten Käse oder Fuß-
schweiß erinnernden Geruch, während sie bei der Faulbrut mehr gummiartig
sind und einen wenig auffallenden Geruch besitzen. Als Erreger der
Brutpest ist der von dem amerikanischen Bakteriologen White entdeckte
Bacillus larvae anzusehen. Bezüglich der europäischen Faulbrut sind die
Meinungen noch nicht völlig einig; während man auf der einen Seite den
von Chesire und Cheyne entdeckten Bacillus alvei (allerdings im Verein
mit Streptococcus apis) für die Ursache dieser Seuche hält, wird dies von
White stark bezweifelt. Es ist ihm jedenfalls niemals gelungen mit Rein-
kulturen dieses Bazillus die Krankheit zu erzeugen, außerdem konnte er
denselben in einer Anzahl typisch faulbrutkranken Larven überhaupt nicht
feststellen. Dagegen fand White einen anderen Bazillus, Bacillus pluton,
der in faulbrutkranken Larven niemals fehlte und mit dessen Reinkulturen
auch positive Infektionsversuche ausgeführt werden konnten, so daß aller
Wahrscheinlichkeit nach in ihm der eigendiche Erreger der europäischen
Faulbrut zu erblicken ist. — Die beiden Formen der Faulbrut sind sehr an-
steckend und können sowohl durch alte Gerätschaften, als auch durch Futter-
honig, als sogar auch durch nackte Völker und Königinnen (die mitunter in
ihrem Darmkanal zahlreiche Krankheitskeime beherbergen) verbreitet werden.
Es ist daher größte Vorsicht mit fremden Imkern und peinlichste Reinlichkeit
im eigenen Betriebe dringend geboten, wenn dem weiteren Fortschreiten der
verheerenden Krankheit Einhalt geboten werden soll (Zander).
Die „Schlaffsucht" (Flacherie, italienisch: Flaccidezza) gilt heute,
nachdem die Pebrine (siehe unten) ihre Schrecken verloren, als die verderb-
Pathogene Mikroorganismen. 293
lichste Krankheit der Seidenraupe, welche dem Seidenzüchter den meisten
Schaden anrichtet. Sie tritt in der Regel unmittelbar vor der Spinnreife
plötzlich und verheerend auf. Die Symptome der Schlaffsucht schildert
Bolle folgendermaßen: Wenn sich die Häutungen zu sehr in die Länge
ziehen, wenn unter den frisch gehäuteten und umgebetteten Raupen kleinere
angetroffen werden, welche ungern fressen und die Häutung noch nicht be-
gonnen haben, und wenn schließlich besonders nach der vollzogenen dritten
oder vierten Häutung auf dem alten Bette schlaffe oder bereits tote Raupen
gefunden werden, da kann der Seidenzüchter von seiner Aufzucht nur das
schlimmste erwarten. Es geschieht dann, und zwar vor der Einspinnung,
daß die scheinbar noch gesunden Raupen, deren After allerdings von einer
braunen Materie beschmutzt ist, vorerst das Futter verschmähen, über die
Betten umherirren, um sich zu den Hürdenrändern zu begeben, wo sie mit
dem Kopf nach außen gerichtet, unbeweglich bleiben. Dabei wird der
Körper immer länger und schmäler und derart weich und schlaff, daß, wenn
man eine kranke Raupe mit den Fingern ergreift, dieselbe wie ein leerer
Sack herabhängt. Wenige Stunden darauf ist die Raupe schon tot, der
mitdere Teil des Körpers bräunt sich allmählich und binnen 12 Stunden
wird der ganze Körper schwarz, die inneren Organe verwandeln sich in
eine schwarzbraune stinkende Jauche, die bei der geringsten Verletzuug der
Haut ausrinnt. Beim Betreten des Zuchtlokales, in welchem die Schlaff-
sucht ausgebrochen ist, spürt man sofort einen eigentümlichen ungemein
widerlichen Geruch. — Als Erreger der Schlaffsucht wird von Bocchia
ein Bazillus angesprochen, der in gewissen Charakteren dem oben (bei der
Faulbrut) genanten Bac. alvei, ferner auch dem Bac. mesentericus, sttbtilis
usw. ähnelt, ohne aber mit einem derselben identifiziert werden zu können.
Es ist Bocchia gelungen, mit Reinkulturen dieses Bazillus die Schlaffsucht
experimentell zu erzeugen.
Die Schlaffsucht ist außerordentlich ansteckend, so daß gewöhnlich die
ganze Aufzucht dahingerafft wird und der unglückliche Seidenzüchter ge-
zwungen ist, seine Raupen gerade in dem Augenblick, in dem sich dieselben
hätten einspinnen sollen, w^egzuwerfen. — Es wird angenommen, daß diese
Krankheit vorzugsweise in Jahrgängen mit ungünstigen Witterungsverhält-
nissen auftritt. Doch ist zweifellos die Schlaffsucht unter solchen Aufzuchten
besonders häufig, denen man nicht die nötige Sorgfalt angedeihen läßt. Ob
die Schlaffsucht erblich ist, ist bis jetzt wissenschafdich noch nicht fest-
gestellt.
Der Name Schlaff sucht oder Flacherie wurde bisher kritiklos auf ziem-
lich alle seuchenartig auftretenden Raupenkrankheiten angewandt; so wird z. B.
die Wipfelkrankheit der Nonne oder die „Wilt" des Schwammspinners häufig noch
als Flacherie bezeichnet. Nachdem uns aber durch die neueren Forschungen
einige sichere differentialdiagnostische Merkmale an die Hand gegeben sind (z. B.
Auftreten von „Polyedern" bei der Wipfelkrankheit, Fehlen von solchen bei der
Flacherie), so ist der Name Schlaffsucht oder Flacherie nur auf solche
Krankheiten zu beschränken, die ätiologisch und symptomatisch mit
der Seidenraupenflacherie übereinstimmen. i) Da bis jetzt nur in den
^) Vgl. darüber auch Wahl, Bruno, Über die Polyederkrankheit der
Nonne I. Zentralbl. f. d. ges. Forstwesen 1910.
294 Kapitel VI. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
wenigsten Fällen darauf geachtet ist, so können wir den Angaben über das Vor-
kommen der Flacherie bei den verschiedenen Raupenarten nur bedingten Wert
beilegen. Immerhin erscheint es nach den vorliegenden Angaben doch recht
wahrscheinlich, daß die echte Schlaffsucht eine weitere Verbreitung unter den
Insekten hat.
Die „Schwindsucht" stelle ich nur mit einem gewissen Vorbehalt zu
den Bakterienkrankheiten, da der Nachweis, daß Spaltpilze die Ursache der
Krankheit sind, noch nicht sicher erbracht ist. Wenn ich sie trotzdem hier
im Anschluß an die Schlaffsucht bespreche, so geschieht dies deshalb, weil
von manchen Seiten die Schwindsucht mit der Schlaffsucht in gewisse Be-
ziehungen gebracht wird. Die Symptome der Schwindsucht sind allerdings
gänzlich verschieden von denen der Schlaffsucht, wie aus der folgenden Be-
schreibung B olles hervorgeht: „Schwindsüchtige Raupen" sind nur während
der Häutungen und nach denselben, nicht aber zur Zeit der Spinnreife zu
beobachten. In einer von der Schwindsucht befallenen Aufzucht bemerkt
man, daß die Raupen nach der dritten oder vierten Häutung nur unregel-
mäßig und langsam erwachen, während sie sonst normal aussehen. All-
mählich verlieren sie die Freßlust und irren unruhig in den Käfigen umher;
dabei wird ihre Haut durchsichtig, ohne jedoch weiß oder blässer zu werden.
Bald darauf fließt aus dem Mund und After der Raupen eine klare Flüssig-
keit heraus, welche sich an der Luft schwärzt. In diesem Zustande ver-
bleiben die Raupen mehrere Tage, ohne dabei an Körpergröße zuzunehmen;
ja sie werden immer kleiner und sterben endlich ab. Der Tod tritt also
nicht so plötzlich, wie bei der Schlaffsucht ein; auch zersetzt sich die
Raupe nach dem Tode nicht, sondern trocknet vollständig aus und
erhält eine erdbraune Farbe. Die Schwindsucht ist keine so gefährliche
Krankheit wie die Schlaffsucht, wenn sie auch gelegentlich ganze Aufzuchten
zugrunde richten kann.
Die Ursache der Krankheit ist noch nicht sicher festgestellt; es scheint
indeß, daß ein Micrococcus dabei im Spiele ist. Der Schwindsucht folgt
in den Züchtereien sehr häufig die Schlaffsucht, so daß manche Autoren,
wie schon gesagt, der Ansicht zuneigen, daß unter diesen beiden Krankheiten
eine gewisse Beziehung besteht. Ja einige behaupten sogar, daß die erstere
nur eine besondere mildere Form der zweiten sei. —
Die „Heuschreckenpest" wurde erst vor wenigen Jahren entdeckt,
und zwar unter den Wanderheuschrecken Mexikos. Sie äußert sich in einem
rapiden Massensterben der Heuschrecken. Als Ursache dieser Krankheit
wurde von F. d' Her eile ein kurzer Bazillus, Coccobacillus acrtdioriim, fest-
gestellt, der sich stets im Darmkanal der erkrankten Tiere, beinahe in Rein-
kultur sich vorfand. D'Herelle züchtete den Bazillus in Bouillion, in der er
sehr gut gedieh, und machte damit Infektionen, die stets von Erfolg begleitet
waren; d. h. alle infizierten Heuschrecken starben innerhalb 1 — 23 Stunden
an den typischen Erscheinungen der Heuschreckenpest. — Der Bazillus ver-
liert allerdings rasch seine Virulenz: die erste Kultur tötet per os in 8 bis
24 Stunden, die 2. in 12—36, die 3. in 36—39, die 4. Kultur läßt bereits die
Mehrzahl der infizierten Tiere überlebend, und die 10. hat überhaupt gar
Pathogene Mikroorganismen. 295
keine Wirkung mehr. Wenn die leichter befallenen Tiere die Krankheit
überstanden haben, so erlangen sie eine Immunität gegen den Coccobazillus.
In welcher Weise die Heuschreckenpest event. zur Bekämpfung verwendet
werden kann, darüber wird im nächsten Kapitel noch einiges erwähnt
werden.
Ein ganz ähnlicher Coccobazillus wurde neuerdings von F. Picard und
G. R. Blanc als der Erreger einer schweren Seuche unter den Bären raupen
{Arctia cajd) festgestellt. Die befallenen Raupen werden vor ihrem Tode schlaff
und erregen einen ekelhaften Geruch; ihr Darm ist von einer klaren Flüssigkeit,
die oft vollständig frei von Bakterien ist, erfüllt. Dagegen enthält das Blut beinahe
Reinkulturen des betr. Coccobazillus. Es gelang, mit Bouillionkulturen des letzteren
durch Infektion gesunder Raupen die geschilderten Symptome hervorzurufen. Die
infizierten Raupen starben regelmäßig in 3 Tagen bei 15" C,
bei höheren Temperaturen erfolgte der Tod schon nach 12 bis
25 Stunden. Infektionsversuche mit anderen Insekten ergaben |^
teils positive Resultate (z. B. bei Liparis chysorrhoea), teils ^^^
negative (bei verschiedenen Käfern und Wanzen usw.).
b) Nosema-Krankheiten (Pebrine).
Die NoseniaSenchen werden durch I^osema-Arien
verursacht, d. s. Protozoen, die zu den Mikrosporiden,
einer Unterordnung der Sporozoen, gehören. Die
Nosenia sind sämtlich Zellschmarotzer, die ihre Ent- Flg. 210. Sporen von
Wicklung in den Zellen des Wirtes und auf Kosten der- Nosema homhyds. au.b
,, , , , frisch (in & die Vakuole
selben durchmachen. sichtbar), c u. ä mit
Charakteristisch für Nosema (wie für alle Micro- Salpetersäure behau-
^ _ _ delt, stark gequollen,
sporidien) sind (nach Doflein) die Sporen (die Cornalia- Poikaptei und Polfaden
sehen Körperchen der Seidenzüchter) die von klappen- sichtbar. (NachTheio-
förmigen Schalen umhüllt sind und im Innern außer dem
Keimling eine oder mehrere „Polkapseln" beherbergen
(Fig. 210). Die Polkapseln erinnern in ihrem Bau sehr an die Nesselkapseln
der Coelenteraten. Sie bestehen aus einem etwa birnförmigen Körperchen,
welches am verschmälerten Ende in einem langen Faden verlängert ist.
Dieser Faden ist in das Innere der Kapsejn handschuhfingerartig eingestülpt
und an der Wand derselben spiralförmig aufgewickelt. Bei der Einwirkung
gewisser Reagentien, besonders im Darmsaft des infizierten Wirtes, werden
die Fäden der Polkapseln ausgeschnellt, und auf diese Weise wird die Spore
an der Darmwand fixiert, worauf sie in zwei Schalenhälften auseinanderklafft
und den „Amoeboidkeim" entläßt. Letzterer durchbohrt die Darmcuticula,
und bleibt entweder in den Darmepithelzellen oder gerät in irgend welche
andere Organe. In den Zellen wachsen sie auf Kosten des Zelleibes rasch
heran und vermehren sich, indem sie in zahlreiche Teilstücke zerfallen. Da
sich aber die Teilstücke meistens zunächst nicht voneinander lösen, so ent-
stehen lange ketten- oder pilzartige Gebilde, die zahlreiche hintereinander
gereihte Kernstücke bergen. Ind^m dieser Prozeß ununterbrochen fort-
schreitet, so bilden sich ganze Haufen, förmliche Nester von solchen Ketten,
die von der zerstörten oder verflüssigten Zellsubstanz umschlossen werden
296
Kapitel VI. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
(Fig. 211). Die Vermehrungsvorgänge spielen sich sehr rasch ab, so daß be-
reits in wenigen Tagen ein großer Teil der Zellen des Körpers von den
Parasiten befallen sein können. Sobald nun die Ernährungsverhältnisse un-
günstiger werden, zerfallen die Ketten in zahlreiche einzelne Stücke, aus
denen nach mannigfaltigen Umwandlungen und Abscheidung einer derben
Schale die Sporen sich entwickeln, von denen wir ausgegangen sind
(Zander).
Von den vielen beschriebenen Nosema-Arien interessiert uns hier vor
allem Nosema bombycis Naegeli, der Erreger der Pebrine (Gattina,
Fleckenkrankheit) der Seidenraupe. Die Pebrine war früher eine der
verlustbringendsten Seidenraupen-
krankheiten, sie hat aber heute
infolge der Pasteurschen Sepa-
rationsmethode (siehe unten) ihre
Schrecken verloren.
Die äußerlich erkenn-
baren Symptome der Pebrine
sind nach Bolle folgende: Zu-
nächst fällt die große Ungleichheit
der aus einer Zucht stammenden
Raupen auf, ferner die Unregel-
mäßigkeit in den Häutungen, die
soweit gehen kann, daß, während
ein Teil der Raupen die alte Haut
bereits verlassen hat, der übrige
Teil entweder noch schläft oder
gar die Häutung noch nicht be-
gonnen hat. Die letztere, die sog.
„Spätlinge" sind es, welche zuerst
der Krankheit zum Opfer fallen.
Nach der dritten oder vierten
Häutung bedeckt sich die Haut
mit sehr kleinen nahezu punktförmigen, mitunter aber auch größeren ver-
schieden geformten Flecken, mit verschwommenen Rändern, welche über
den Körper der Raupen unregelmäßig verteilt sind (daher der Name „Flecken-
krankheit"). Hat die Krankheit ihr letztes Stadium erreicht, so verschmäht
die Raupe das Futter völlig, der Körper schrumpft zusammen und wird
immer kleiner, und schließlich stirbt sie ab. Nicht immer führt die
Krankheit zum Tode, sondern schwächer infizierte Raupen können sich
verpuppen und sogar noch den Falter ergeben; diese sind aber dann
ebenfalls mit Parasiten besetzt, und zwar sind meistens alle Organe, ein-
schließlich der Geschlechtsorgane befallen. Von letzteren aus werden
auch die Eier infiziert und so die Krankheit auf die Nachkommen
übertragen. Aus den sporenhaltigen Eiern entwickeln sich schwächliche
kleine Raupen, welche gewöhnlich früh sterben; aber mitlerweile können sie
Hunderttausende von anderen Raupen infiziert haben, denn die Haupt-
Fig. 211. Nosema bombycis Naeg. Darmepithel einer
Seidenraupe mit Sporen und den eigenartigen, pilz.
ähnlichen, agamen Fortpflanzungsketten. Vergr. 1100.
(Nach Stempell aus Doflein.)
Pathogene Mikroorganismen. 297
infektionsquelle bildet der auf den Maulbeerblättern liegende Kot. — So kann
die Epidemie mit großer Schnelligkeit über die seidenzüchtenden Bezirke
eines Landes sich verbreiten (Doflein).
In Frankreich brach die Epidemie zuerst im Jahre 1845 im Departement
Vaucluse aus, im nächsten Jahre hatte sie schon drei weitere Departements ergriffen.
Schon im Jahre 1851 war in den wichtigsten Distrikten der Seidenbau fast ver-
nichtet; im Jahre 1856 war die Produktion auf Vi der üblichen Ziffer gefallen. Im
Jahre 1854 wurde Italien von der Seuche ergriffen, die bald von einem Ende bis
zum anderen sich ausbreitete. Die französische Seidenkultur hatte bis zum Jahre 1867
einen Verlust von mehr als einer Milliarde erlitten, gewiss ein Beweis von der
wirtschaftlichen Bedeutung dieser Sporozoeninfektion (Doflein).
Um die Erforschung der Krankheit haben sich besonders Pasteur und
Balbiani verdient gemacht. Vor allem hat sich ersterer unsterbliche Verdienste
um die Seidenzucht erworben, indem er die speziellen Bedingungen der Krankheit
studierte und den Züchtern einen Weg zeigte, wie sie dem Ausbruch der
Krankheit vorbeugen können, nämlich das Samenbereitungsverfahren nach dem
„Zellensystem", welches heute in allen im Seidenbau vorgeschrittenen Ländern
eingeführt ist.
Es ist ein überraschend einfacher Gedanke, der diesem „Zellensystem" zu-
grunde liegt: Es werden die einzelnen Schmetterlingspaare in kleinen Säckchen aus
Tüll oder aus pergamentartigem, durchlöchertem Papier isoliert und nach erfolgter
Eiablage dahin untersucht, ob sie gesund sind oder nicht. Nur die von gesunden
Eltern herstammenden Nosema-ireien Eier werden behalten und zur Nachzucht be-
nutzt, während die übrigen weggeworfen, resp. verbrannt werden. Wenn diese
Separationsmethode mit der nötigen Sorgfalt durchgeführt wird, so kann man sich
mit ziemlicher Sicherheit vor der Krankheit schützen.
Übrigens verursacht das Vorkommen von Nosema in der Raupe nicht immer
das oben geschilderte Krankheitsbild; es können vielmehr die davon befallenen
Raupen auch recht gesund bleiben. „So sollen nach Bolle in Japan die dortigen
Aufzuchten durch Nosema nicht fühlbar zu leiden haben, obschon die Ver-
seuchung so allgemein ist, daß nosemafreie Raupen nur schwer aufzutreiben
sind. Stempeil hält es daher für wahrscheinlich, daß die japanischen Seiden-
raupenrassen eine größere Immunität gegen den Schmarotzer bewahrt haben, als
die europäischen. Demgegenüber ist indessen zu bemerken, daß — wie auch
Bolle hervorhebt — die Pebrine in Japan zuweilen dasselbe Unheil unter den
Raupen anrichtet wie in Europa" (Maaßen). Es scheint demnach, daß auch die
Pebrine ebenso wie die Polyederkrankheiten zu ihrer Entwicklung eine besondere
Disposition der Raupen fordert.
Nosema bombycis ist nicht nur auf die Seidenraupe beschränkt, sondern
ist auch noch bei einer ganzen Anzahl anderer Raupen beobachtet worden
{Arctia caja, Gastropacha neustria, Saturnia pernyi usw.).
Nach Standfuß (Handbuch der palaearkt. Großschmetterlinge) kommt
die Pebrine sowohl bei Rhopaloceren [Vanessa polychloros, io, antiopa) als bei
Sphingiden [Deilephila euphorbiae) und bei Spinnern vor; von letzteren nennt
er popupli, neustria, lanestris, quercus, pini u. a. Bezüglich der äußeren
Symptome gibt Stand fuß folgende Anhaltspunkte: Größere Haarraupen
tragen in ihrer Färbung in der Regel keine deutlichen Anzeichen der
Krankheit, nur der After ist feucht und die Haare in dessen Nähe sind
zusammengeklebt. Raupen ohne Haarkleid dagegen verändern ihre Farbe
meist sehr deutlich, indem grüne Raupen gelblich werden und häufig dunkle
298 Kapitel VI. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
Flecken erhalten, und bunte Raupen die Lebhaftigkeit ihrer Färbung ver-
lieren; außerdem zeigt sich am After stets eine gelbliche schmutzige Materie
in Tropfen oder angetrocknet. Für diejenigen Individuen, welche zur Ver-
puppung kommen, ist besonders charakteristisch, daß an der Puppenspitze
das Afterende der Raupen festhaften bleibt und der ausschlüpfende Falter
am Afterende meist verklebt und unsauber, auch sehr oft in den Flügeln und
in den Füßen nicht vollkommen ausgebildet ist; ferner im weiblichen Ge-
schlecht trotz vielleicht großen Leibesumfanges gewöhnlich nur einen sehr
spärlichen Eivorrat enthält.
Außer dem Noserna bombycis sei hier noch eine zweite Art genannt,
welche ebenfalls in wirtschaftlicher Hinsicht eine bedeutungsvolle Rolle zu
spielen scheint: nämlich Nosema apis, welches von seinem Entdecker Zander
als der Erreger der sog. „ansteckenden Ruhr" der Bienen gehalten wird.
Das wesentlichste Kennzeichen dieser Krankheit ist das massenhafte plötzliche
Absterben der Bienen innerhalb und außerhalb der Beute. Die Bienen werden
unruhig, lösen sich vom Winterknäuel, fallen von den Waben auf das Bodenbrett,
und kriechen aufgeregt und ängstlich mit mehr oder weniger aufgetriebenem Hinter-
leib zum Flugloch heraus. Flugunfähig fallen sie zu Boden, sammeln sich an Gras-
halmen und Iirdklumpen, um nach längerer oder kürzerer Zeit zu verenden. Manch-
mal ist die Krankheit von starker Kotentleerung und Schmutzerei begleitet, doch
ist dies durchaus kein notwendiges Symptom.
Nosema apis kommt in allen ruhrkranken Bienen vor; befällt jedoch — im
Unterschied zu dem Fehrine-Nosema — nicht alle Organe, sondern ist auf den
Mitteldarm beschränkt, dessen Zellen dicht mit den Sporen angefüllt sind. Die An-
häufung von Milliarden dieser hellglänzenden Sporen verleiht dem Darm ein
vollkommen milchigweißes Aussehen, welches im deutlichen Kontrast zu
dem rötlich oder bräunlich gefärbten gesunden Bienendarm steht und ein untrüg-
liches Kennzeichen der Krankheit abgibt. — Die Ruhr ist sehr ansteckend, wird
jedoch, wie es scheint, im Gegensatz zur Pebrine, nicht durch die Eier auf die
Nachkommen übertragen.
Nachdem Zander das Nosema apis entdeckt und in allen untersuchten ruhr-
kranken Bienen festgestellt hatte, war es — besonders im Hinblick auf die Be-
deutung des verwandten Nosema bombycis für die Pebrine — naheliegend genug,
in demselben den Erreger der ansteckenden Ruhr zu erblicken. Wenn nun
neuerdings Zweifel in dem von Zander angenommenen Zu.sammenhang laut
werden, so gehen diese dahin, ob das Nosema apis allein genügt, die typische Ruhr
hervorzurufen. Und das scheint in der Tat nicht der Fall zu sein; denn es steht
heute fest, daß das Nosema auch bei anscheinend ganz gesunden Völkern vor-
kommt, ja daß es in den meisten Bienenvölkern zu finden und daß es „in Deutsch-
land wohl nur wenige Bienenstände gibt, in den die Völker völlig frei davon sind".
„Fast immer ließen sich in den Völkern, selbst in schwach befallenen, Bienen auf-
finden, die die Sporen der Parasiten in solch ungeheueren Mengen enthielten, wie bei
der akuten Form der Krankheit" (Maaßen). — W^ir haben hier eine Analogie mit
dem Vorkommen von Nosema bombycis in ganz gesunden japanischen Raupen, von dem
oben berichtet wurde; es scheint also, daß auch hier der Parasit nur dann eine
stärker schädigende Wirkung auf den Wirt hervorzurufen vermag, wenn eine
gewisse Disposition vorhanden ist. Es ist auch möglich, daß noch andere Mikro-
organismen dazukommen müssen, wenn die typische Ruhr entstehen soll; doch
auch in diesem Fall wird dem Nosema eine gewisse Anteilnahme an der Erzeugung
der Kiankheit nicht abzusprechen sein.
Außer den Nosema-Arten finden wir noch ein großes Heer anderer
Protozoen als Schmarotzer bei Insekten; es sei nui an jene Formen
Pathogene Mikroorganismen. 299
erinnert, welche durch Insekten auf Menschen oder Säugetiere übertragen
werden, wie z. B. die Malariaparasiten (Haemosporidien), welche in der
Stechmücke einen Teil ihrer Entwicklung durchmachen, oder an den Erreger
der Schlafkrankheit {Trypanosoma), der in der Tse-Tse-Fliege schmarotzt,
ferner an die zahlreichen Gregarinen, Cocciden und Amoeben, die bei In-
sekten vorkommen usw.; jedoch in den meisten dieser Fälle haben die Wirts-
insekten nur wenig unter den Parasiten zu leiden, oder wenn sie auch
schließlich erkranken und event. auch daran zugrunde gehen, so kommt es
doch selten zu größeren Epidemien, die ein Massensterben zur Folge haben
und infolgedessen von einem wesentlichen Einfluß auf die Vermehrungsgröße
der Insekten sein könnten. Es ist daher hier nicht der Platz, näher auf diese
Schmarotzer einzugehen.
c) Polyederkrankheiten. ^)
Während von den bisher besprochenen Krankheiten die Erreger mehr
oder weniger sicher festgestellt sind, tappen wir bezügl. des Erregers der
Polyederkrankheit noch ziemlich im dunkeln.
Die Polyederkrankheiten sind scharf charakterisiert durch
das Auftreten von sog. „Polyedern" in den Geweben und dem Blut der
Insekten (Fig. 212). Unter Polyedern verstehen wir mikroskopisch kleine
(1 — 12 /<), stark lichtbrechende, kristallähnliche Körperchen, die teilweise
je nach der befallenen Insektenart verschiedene Formen (Tetraeder, Rhomben-
dodekaeder, Oktaeder) aufweisen, und zuerst als vereinzelte winzige In-
dividuen in den Kernen der Blut- und Gewebezellen (vor allem den
Zellen der Tracheenmatrix und des Fettgewebes) in Erscheinung treten,
dann immer zahlreicher und zugleich größer werden, bis die mächtig
aufgetriebenen Kerne prall von ihnen erfüllt sind, und schließlich platzen, so
daß die Poh'eder frei in der Blutflüssigkeit schwimmen. Beim Fortschreiten
der Krankheit werden sämtliche Gewebe auf diese Weise zerstört, so daß
das befallene Insekt schließlich zu einem jauchigen Brei zerfließt, in welchem
dichte Mengen von Poh^edern in allen Größen schwimmen.
Die Dauer der Krankheit ist sehr verschieden lang und hängt
wesentlich von der Widerstandsfähigkeit der befallenen Raupen resp. von
äußeren Einflüssen ab. Sie kann sich einerseits mehrere Wochen hinziehen,
so daß die befallenen Raupen sich noch verpuppen und sogar Falter geben
können, sie kann aber andererseits auch schon in 8 — 10 Tagen zum Tode
führen. Escherich und Miyajima beobachteten bei künsdich infizierten
Nonnenraupen die ersten Polyeder am 3. — 5. Tage nach der Infektion. Die
Polyeder sind in diesem Stadium sehr spärlich, sehr klein und ausschließlich
in den Kernen der Blutzellen anzutreffen. Nach weiteren 3 — 4 Tagen sind
diese intranucleären Polyeder größer und auch zahlreicher, indem etwa
5 — 10 ^Iq der Blutzellen davon befallen sind, und zwar die meisten mit
mehreren Polyedern (Fig. 213). Wieder nach einigen Tagen findet man
10 — 20*^/0 der Blutzellen mit mehr oder weniger zahlreichen Polyedern be-
setzt, und neben diesen intracellulären die ersten freien in der Blutflüssigkeit.
Auf diesem „mitderen" Befall kann die Krankheit längere Zeit ziemlich un-
1) Der Name „Polyederkrankheit" wurde von Br. Wahl eingeführt.
300
Kapitel VI. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
verändert stehen bleiben, ja die Polyeder können sogar wieder weniger
werden. In den meisten Fällen aber schreitet die Kranheit weiter: die
intracellularen und die freien Polyeder werden immer zahlreicher und größer,
so daß bald die Hälfte der Blutzellen und mehr dicht mit ihnen erfüllt sind
und außerdem auch in der Blutflüssigkeit massenweise freie Polyeder herum-
schwimmen, Ist die Krankheit einmal soweit fortgeschritten, so geht es
rapid zu Ende, in wenigen Tagen oder Stunden tritt die allgemeine Ver-
jauchung ein.
Wir können also eine leichte, resp. chronische und schwere oder
akute Form der Polyederkrankheit unterscheiden. Für die Art des
Verlaufes scheinen äußere Einflüsse von großer Bedeutung zu sein, so be-
tj-\
-*».
Fig. 212. A Umriß der Polyeder wipfelkranker Nonnenraupen (x2000); B Doppelpolyeder aus Nonnen-
puppen; C Umriß von Polyedern gelbsüehtiger Seidenraupen (xl300); i> Blutzelle, deren Kern mit
Polyedern erfüllt ist; E Ausgestoßener Zellkern mit Polyedern; F Schnitt durch einige FettzelUen,
deren Kerne (fc) mit Polyedern erfüllt sind; er Chromatinreste. Nach Wahl.
obachteten Escherich und Miyajima, daß bei Raupen mit mäßigem Befall
sofort eine rapide Vermehrung der Polyeder eintrat, wenn die Raupen kurze
Zeit (es genügten mitunter zwei Stunden) der prallen Sonne ausgesetzt
wurden. Ähnliches ließ sich durch Behandlung mit Kälte erzielen, und nach
den Angaben Sasakis scheinen auch noch andere Einflüsse, wie die Ein-
wirkung von Formalin und Kampferdämpfen, die Krankheit zu beschleunigen.
Wenn in dieser Beziehung auch noch manches aufzuklären sein wird, so
scheint doch so viel festzustehen, daß äußere Einflüsse eine hervor-
ragende, ja entscheidende Bedeutung für den Verlauf der Polyeder-
krankheit besitzen können, indem es von ihnen zum großen Teil abhängt,
ob die Krankheit latent bleibt oder in das akute Stadium übergeht Es
dürfte sich hierbei wohl hauptsächlich um solche Einwirkungen handeln,
welche die Lebensenergie resp. die Widerstandsfähigkeit der Raupen gegen
das Virus herabzusetzen imstande sind.
Was die äußerlich sichtbaren, makroskopischen Symptome be-
trifft, so sind solche im Anfangsstadium der Krankheit, so lange der Polyeder-
Pathogene Mikroorganismen.
301
befall die mittlere Höhe nicht überschritten hat, überhaupt nicht festzustellen;
die betreffenden Raupen machen vielmehr einen völlig gesunden Eindruck,
zeigen eine ungeschwächte Freßlust, häuten sich in normaler Weise usw.
Erst im vorgeschrittenen Stadium treten äußere Anzeichen auf, die zunächst
in einer Veränderung der Haut (Verfärbung, Änderung des Glanzes, Schad-
haftwerden der Beborstung usw.) und in einer immer mehr zu Tage tretenden
Freßunlust sich kund tun. Des weiteren werden die Tiere vollkommen
schlaff, wobei sie meist eine ganz charakteristische Stellung einnehmen; sie
haften nur noch mit einem Paar Bauchfüße an der Unterlage fest, so daß die
beiden Hälften der Raupe schlaff herabhängen. — Außerdem kommen bei
verschiedenen Raupenarten noch besondere Eigentümlichkeiten dazu, die die
Diagnose der Krankheit wesentlich erleichtern; so haben z. B. die polyeder-
kranken Nonnenraupen (wenigstens wenn sie auf Fichte leben) die Ge-
wohnheit, vor dem Verenden die Wipfel der Bäume zu erklettern, so daß
A B
Fig. 213. Nonnenblut mit mittlerem (A) und starJiem (ß) Polyederbefall. Nach Escherich und
Miya.jima.
sich hier oft große weithin sichtbare Klumpen von Raupen bilden, was ja
auch dazu geführt hat, die Polyederkrankheit der Nonne als „Wipfelkrankheit"
zu bezeichnen.
Wenn nun auch der Kundige nach den äußeren Symptomen in den
meisten Fällen, wenigstens bei vorgeschrittener Krankheit, die richtige
Diagnose zu stellen vermag, so ist trotzdem zu empfehlen, stets, wenn der
Verdacht auf die Krankheit vorliegt, die mikroskopische Unter-
suchung auf Polyeder vorzunehmen, die einerseits durchaus nicht schwierig
ist und andererseits der Diagnose eine absolute Sicherheit verleiht — ab-
gesehen davon, daß die mikroskopische Untersuchung das Vorhandensein der
Krankheit schon in einem weit früheren Stadium ermöglicht als die bloße
makroskopische Beobachtung.
Die Polyederkrankheit ist, wie durch die verschiedentlich angestellten
einwandfreien Infektionsversuche der letzten Zeit bewiesen ist, eine an-
steckende Krankheit, und zwar kann das Virus sowohl durch Injektion,
302 Kapitel VI. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
als auch das Futter übertragen werden; ob durch die Luft, ist noch nicht er-
wiesen. Es scheint indes die Ansteckungsenergie keine allzu große zu sein,
und vor allem auch stark von der Disposition der Raupen abzuhängen.
Über die Natur des Virus herrscht heute noch keine volle Klarheit
und es stehen sich in dieser Beziehung zwei grundsätzlich verschiedene
Meinungen gegenüber: die eine nimmt an, daß die Pol3^eder selbst die Erreger,
also echte Parasiten seien, während nach der anderen Meinung die Polyeder
lediglich Reaktionsprodukte, also eine Begleiterscheinung der Krankheit dar-
stellen, und die eigentlichen Erreger in anderen Organismen zu suchen wären.
Die erste Meinung wird in der bestimmtesten Form von Bolle vertreten,
welcher die Polyeder als Mikrosporidien auffaßt und ihnen auch den Namen Micro-
sporidiiim polyedricum beilegt. Zur Bol leschen Anschauung neigen ferner hin
Marzocchi, der nach seinen mikroskopischen Befunden die Parasitennatur der
Polyeder nicht ohne weiteres von der Hand weisen möchte, dann Escherich und
Miyajima, welche annehmen, daß das Virus wenigstens in inniger Verbindung mit
den Polyedern steht, und endlich E. Kno che, welcher in den Polyedern die Dauer-
form eines Mikrosporidiums erblicken möchte (von welcher Anschauung er aber
in der neuesten Zeit wieder etwas abgekommen zu sein scheint).
Der zweiten Auffassung (Polyeder als Reaktionsprodukte) huldigen v. Tubeuf,
Krassilschtschik, Glaser und Chapman, Prowazek, Wolff u. a. Welcher
Organismus aber in diesem Falle als der Erreger in Betracht kommen würde,
darüber sind die Meinungen unter den eben genannten Autoren noch recht ge-
teilt: v. Tubeuf, Krassilschtschik, Glaser und Chapman nennen Bakterien
als Erveger fBactertum monachae, Micrococcus lardarius, GyrococcusJ ; Prowazek da-
gegen hält Chlamydozoen für die Ursache der Krankheit, und Wolff glaubt, daß
Chlamydozoen und Bakterien in gemeinsamen Zusammenwirken die Krankheit
hervorrufen.
Chlamydozoen stellen winzige, von einer gallertigen Hülle umgebene Körper-
chen dar, welche sich durch Querteilung vermehren. Über ihre systematische
Stellung und ihr biologisches Verhalten läßt sich bis jetzt noch gar nichts näheres
aussagen. Sie sind noch viel kleiner als Bakterien und gehen daher auch durch
die gebräuchlichen Bakterienfilter (Berkefeld) hindurch. Doch scheint bezüglich
der letzteren Eigenschaft nach den neuesten Erfahrungen Prowazeks eine gewisse
Einschränkung geboten, insofern als die Bakterienfilter sich durchaus nicht alle
völlig gleich verhalten, sondern „jedes einzelne Filter im Hinblick auf das Filtrations-
resultat ein Individuum, behaftet mit dem Stigma des Zufälligen" darstellt, so daß
also ein negatives Resultat mit Berkfeldfiltraten nicht ohne weiteres als Beweis
gegen das Voi'handensein von Chlamydozoen gelten darf.
Aus dieser kurzen Übersicht lässt sich ersehen, wie unsicher unsere Kennt-
nisse über die Ätiologie der Polyederkrankheiten heute noch sind Es wird noch
ein grosser Aufwand von Arbeit und Scharfsinn notwendig sein, um volle Klarheit
darüber zu schaffen.
Die Polyederkrankheit scheint eine sehr weite Verbreitung unter
den Insekten zu haben und wir kennen sie schon bei einer ganzen Anzahl
von Arten, so bei der Nonne, wo sie als „Wipfelkrankheit" bezeichnet
wird (näheres darüber im III. Bd. bei der Nonne), bei der Seidenraupe
(unter den Namen „Gelb- oder Fettsucht" oder „Grasserie"), beim
Schwammspinner und Goldafter (unter der englischen Bezeichnung
„Wilt"), ferner beim Kiefernspanner, bei Deüephila, bei Saturnia, Harpyia
und verschiedenen amerikanischen Spinnern, und fortwährend kommen neue
Fälle hinzu. So fand sie neuerdings E, Fischer bei Smerinfhus atlantica,
Schwangart bei Conchylis ambiguella, Gough in Ägypten bei der dort so
Pathogene Mikroorganismen. 303
schädlichen Prodenia litosia (nach Bolle) und Escherich bei den Larven von
Lophyrus riifus. Es scheint fast, als ob es sich um eine allgemeine
Insektenkrankheit handelte, die bei einer gewissen Disposition der
Raupen resp. Larven in Erscheinung tritt.
Wirtschaftlich kommt der Polyederkrankheit zweifellos eine nicht
zu unterschätzende Bedeutung zu, weniger dadurch, daß sie den Seiden-
züchtern Schaden zufügt (denn dieser ist im Verhältnis zu dem aus anderen
Krankheiten entstehende Schaden selten ein erheblicher), als vielmehr da-
durch, daß sie der Übervermehrung der Schädlinge entgegenarbeitet.
Es liegen in dieser Beziehung eine ganze Reihe von Beobachtungen vor, nach
denen Kalamitäten durch den Ausbruch der schweren Form der Polyeder-
krankheit ihr plötzliches Ende gefunden haben. Vor allem gilt dies von der
Wipfelkrankheit der Nonne, die sowohl beim grossen bayerischen (1890 bis
1892) als auch bei dem jetzigen sächsischen und böhmischen Nonnenfraß die
Kalamität in einigen Fällen tatsächlich beendet hat.
Andererseits muß davor gewarnt werden, die Wirkung der
Polyederkrankheit zu überschätzen. Denn die Erfahrungen, die beim
sächsischen und böhmischen Nonnenfraß gemacht wurden, lehrten, daß trotz
eines wiederholten Ausbruches der Wipfelkrankheit die Kalamität fortdauern
kann, indem eben die Seuche oft nur auf kleine Bezirke beschränkt bleibt
und sodann auch durchaus nicht alle in diesen Bezirken befindlichen Raupen
von der Krankheit dahingerafft werden. Jedenfalls ist die frühere An-
schauung, die nach dem bayerischen Nonnenfraß sich herausgebildet hatte,
daß nämlich die Krankheit, wenn sie einmal in einem Walde ausgebrochen
ist, sich pestartig mit Windeseile über den ganzen Wald verbreitet, durchaus
n-rig. Zur Erzeugung der Krankheit gehört, wie auch die oben genannten
Versuche gezeigt haben, nicht nur das Vorhandensein des Erregers, sondern
vor allem auch eine geeignete Disposition der Raupen, die durch Hunger,
schlechtes Futter, ungünstige klimatische Einflüsse und andere Faktoren her-
vorgerufen sein kann. Es ist doch auch eine oft beobachtete Erscheinung,
daß die Wipfelkrankheit erst dann als schwere allgemeine Epidemie auftrat,
wenn die Übervermehrung bereits einen sehr hohen Grad erreicht hatte, so
daß es zu Kahlfraß gekommen war; dann waren eben sämtliche Raupen in-
folge Nahrungsmangels in ihrer Konstitution geschwächt und gaben nun einen
geeigneten Boden für die Verbreitung der Krankheit ab. Man hat deshalb
die Polyederkrankheiten, speziell die Wipfelkrankheit der Nonne und die
„Wilt" des Schwammspinners auch als „Übervölkerungskrankheiten" bezeichnet.
Unsere Erfahrungen sind heute noch zu gering, um ein definitives Ur-
teil über die wirtschaftliche Bedeutung der Poh^ederkrankheiten sich bilden
zu können. Es wird die Aufgabe der zukünftigen Beobachtung, vor allem
auch von Seiten der Praktiker, sein, über das Vorkommen der Krankheit bei
den verschiedenen Schädlingen, über die Art ihres Auftretens und ihrer Ver-
breitung, über die Wirkung auf den Verlauf der Kalamitäten usw. möglichst
reiches neues Tatsachenmaterial herbeizuschaffen. Dabei sei aber nochmals
daran erinnert, daß Mitteilungen darüber nur dann wissenschaftlich verwertbar
sind, wenn die Natur der Krankheit durch mikroskopische Untersuchung sicher
festgestellt ist.
304 Kapitel VI. Natürliche Beschränkung der Insektenvermehrung.
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Wir haben im vorigen Kapitel gehört, daß die Beständigkeit des Faunen-
bildes unserer Wälder (das organische Gleichgewicht) auf dem Zusammen-
wirken einer ganzen Reihe von regulatorischen Faktoren beruht. Fallen nun
einige von diesen Faktoren (oder auch nur einer) weg, oder werden sie an
ihrer vollen Wirkung gehemmt, so wird eine Störung des Gleichgewichtes
die Folge sein, indem die durch jene niedergehaltenen Organismen ihre Ver-
mehrungsenergie nunmehr stärker entfalten, und eine größere Zahl von Nach-
kommen zu fortpflanzungsfähigen Imagines sich entwickeln können. Welchen
Umfang die Gleichgewichtsstörung annimmt, hängt einmal von der Art und
Dauer der in Wegfall gekommenen regulatorischen Faktoren und sodann
von der Vermehrungsgröße und der Ausdehnungsmöglichkeit (vorhandene
Nahrungsmengen, Brutgelegenheit) der von ihnen in Schach gehaltenen Schäd-
linge ab.
Die Ausschaltung der regulatorischen Faktoren kann auf die
verschiedenste Weise geschehen. Es können z. B. Witterungseinflüsse
daran beteiligt sein, in dem abnorme Temperaturverhältnisse die Vermehrung
eines Schädlings direkt begünstigen oder aber die Vermehrung seiner Feinde
zurückhalten können. Oder es kann der durch plötzliche Naturereignisse
erfolgte Eintritt abnorm reichlicher Ernährungs- und Brutgelegenheiten
dem Schädling die Möglichkeit geben, über das gewöhnliche Maß hinaus sich
zu vermehren, was vor allem für sekundäre Schädlinge (Borkenkäfer, Bock-
käfer usw.) zutrifft, die nach Wind oder -Schneebruch, oder nach voran-
gegangenen anderen Waldkrankheiten (Pilze, Raupenfraße usw.) häufig zu
Kalamitäten anwachsen.
In sehr vielen Fällen ist es der Mensch selbst, der durch sein ge-
waltsames Eingreifen in die Natur das Gleichgewicht der Organismen-
welt stört, und dadurch die Veranlassung zu verheerenden Kalamitäten gibt.
Zweifellos sind ein großer Teil der Insektenkalamitäten Kultur-
krankheiten (gleichwie ja auch zahlreiche Leiden der Menschheit in der
Kultur ihre Wurzel haben). Sind doch in unseren modernen Forsten
alle Bedingungen gegeben, eine Massenvermehrung von Insekten,
die sich von bestandsbildenden Holzarten nähren, zu begünstigen.
20*
308 Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
Besonders sind in dieser Beziehung die großen, gleich alter igen
reinen Bestände zu nennen, welche die Forstwirtschaft aus wirtschaftlichen
Rücksichten seit Anfang des vorigen Jahrhunderts geschaffen hat. Solche
Bestände stellen die reinen Brutstätten für gewisse Insekten dar, indem die
letzteren, sobald sie einen Baum kahl gefressen, ringsum in unmittelbarer
Nähe, die gleichen zusagenden Bedingungen für sich und die Nachkommen
in Hülle und Fülle vorfinden. Es ist auch eine alte Erfahrung, daß gemischte
Bestände weit weniger unter Insektenverheerungen (z. B. Nonne) zu leiden
haben als reine. Verschiedentlich mag dies auch daran liegen, daß in reinen
Beständen die Entwicklungsbedingungen für manche Parasiten recht ungünstige
sind, wenn nämlich die Parasiten auf Zwischenwirte angewiesen sind, die auf
anderen Pflanzen leben.
Wirtschaftliche Rücksichten haben ferner dazu geführt, daß weniger
insektengefährdete Holzarten, wie vor allem Laubhölzer und speziell
die Buche, auf weite Strecken hin durch stark gefährdete Holzarten,
nämlich Nadelhölzer, ersetzt wurden.
In Norddeutschland ist dieser Vorgang ein sehr häufiger. Am westlichen
Harze, in vielen Waldrevieren des Erzgebirges hat z. B. die Fichte ziemlich all-
gemein die Buche verdrängt ; im Grimmaer Bezirk in Sachsen sind seit Anfang des
vorigen Jahrhunderts große Flächen Laubwaldes durch künstliche Verjüngung
in Nadelwald übergeführt worden. Folgen einer solchen Umwandlung nun zwar
durchaus nicht immer Insektenverheerungen auf dem Fuß, so ist die Gefahr doch
jedenfalls eine viel größere geworden. Im Grimmaer Bezirk sind denn auch be-
reits schwere Insektenschäden eingetreten {Nematus), die derartig hartnäckig
sind, daß die Weiterexistenz mancher Bestände in Frage gestellt ist und man mit
dem Plane umgeht, die Fichte wieder durch Laubholz zu ersetzen.
Auch die saubere Wirtschaft im Walde, die alle anbrüchigen Stämme
so schnell wie möglich entfernt, kann störend in das feste Gefüge der Lebens-
gemeinschaft eingreifen, indem dadurch den nützlichen Höhlenbrütern (Meisen
und anderen insektenfressenden Vögeln) die Brutgelegenheit genommen wird.
Ebenso kann die Entfernung der Streudecke von förderndem Einfluß
auf die Schädlingsvermehrung sein, indem dadurch den mitunter sehr wirk-
samen insektentötenden Pilzen die geeigneten Bedingungen entzogen und
außerdem mit der Streu eine Menge Parasitenpuppen entfernt werden können.
Des weiteren ist auch die Kahlschlagwirtschaft und die durch sie
bedingte Bestandsgründung durch Nachverjüngung nicht ohne Einfluß auf die
Insektenvermehrung geblieben. Ist doch z. B. erst durch diese Maßnahmen
der große braune Rüsselkäfer zu dem schlimmen Schädling herangezüchtet
worden, wie er uns heute entgegentritt, da ihm dadurch Nahrungs- und Brut-
gelegenheit in der denkbar günstigsten Vereinigung geschaffen werden.
Was den ersten Beginn einer Massenvermehrung betrifft, so
tritt dieselbe sehr häufig zuerst in eng begrenzten Lokalitäten, sog. „Herden",
auf, von denen sich die Kalamität mehr oder weniger rasch konzentrisch
über weitere Strecken ausdehnt. Dabei ist des öfteren beobachtet worden,
daß manchen Lokalitäten eine gewisse Prädisposition als Ent-
stehungsherde für Massenvermehrungen zukommt (z. B. Nonne). Worauf
die Prädisposition beruht, muß von Fall zu Fall erst eingehend untersucht
werden. Heute bewegen wir uns in dieser Beziehung fast nur in Vermutungen.
Die Entstehung von Kalamitäten. 309
Als besonders bemerkenswerte Erscheinung bei der Entstehung von
Kalamitäten ist das häufig beobachtete gleichzeitige Auftreten eines
Schädlings in den verschiedensten Gebieten eines Landes zu
nennen. Kommt es doch garnicht selten vor, daß ein Schädling, der lange
Zeit nichts hat von sich hören lassen, plötzlich von allen Seiten her als im
Anzug befindlich gemeldet wird. So z. B, hat die Nonne sich zu Anfang
dieses Jahrhunderts gleichzeitig in Sachsen, Ostpreußen, Bayern, Böhmen
usw. bemerkbar gemacht oder so trat die Kieferneule in diesem Jahr (1913)
in den verschiedensten weit voneinander gelegenen Gegenden ziemlich un-
vermutet in verderbenbringender Weise auf usw., so daß man also gewisser-
maßen von Schädlingsperioden (Nonnenperioden, Eulenperioden usw.)
reden kann. Interessant ist dabei, daß in diesen Perioden der betreffende
Schädling auch an solchen Orten, wo er infolge der ihm wenig zusagenden
Lebensbedingungen nur selten vorkommt, merklich häufiger wird; so ist z. B.
in der gegenwärtigen Eulenperiode die Eule auch hier in Tharandt, wo sie
sonst ein seltenes Vorkommnis ist, uns auffallend häufig begegnet. Über die
Ursachen dieser Erscheinung sind wir ebensowenig unterrichtet wie über die
Ursachen der örtlichen Prädisposition, und es ist dringend geboten, auch
diesem Problem mit wissenschaftlichen Methoden nachzugehen.
Gewöhnlich begnügt man sich damit, kurzweg „W itterungsein-
f I ü s s e" (z. B. große Hitze und Trockenheit) als Ursachen solcher Schädlings-
perioden anzuführen. Das mag auch in vielen Fällen stimmen; solange wir jedoch
die Zusammenhänge zwischenWitterung und Schädlingsvermehrung nicht genauer
präzisieren können, ist mit diesen „Witterungseinflüssen" wenig anzufangen. Bis
jetzt ist nur bei gewissen sekundären Schädlingen der Zusammenhang einiger-
maßen klar, so z. B. bei Borkenkäfejn, die nach sehr trockenen heißen Sommern,
in denen die Bäume unter der Trockenheit mehr oder weniger zu leiden hatten,
sich stärker zu vermehren pflegen, da sie eben dann reichlichere Brutgelegenheit
vorfinden. Bei den meisten übrigen Schädlingen jedoch sind uns die näheren Zu-
sammenhänge noch unbekannt; sie dürften mitunter wohl auch recht komplizierter
Natur sein, indem die Witterungseinflüsse sich nicht nur direkt auf den Schäd-
ling, sondern auch auf die Parasiten und Hyperparasiten, die Raubinsekten, Pilze
und anderen Nützlinge sich geltend machen.
Um zu zeigen, in welcher Weise Witterung, Schädling, Parasit aufeinander
einwirken können, führe ich ein sehr lehrreiches Beispiel eines nordamerikanischen
(d. h. eines von Europa dorthin eingeschleppten) Schädlings, Toxoptera graminum
Ronä., an, einer Blattlaus, die von Zeit zu Zeit (die letzten Perioden waren 1890,
1901 und 1907) in Unmassen auftritt und dann enorme Verluste am Getreide ver-
ursacht, in der Zwischenzeit jedoch ziemlich harmlos ist. Daß eine starke Massen-
vermehrung dieses Schädlings nur relativ selten stattfindet, ist darin begründet,
daß eine solche von ganz bestimmten Witterungsverhältnissen abhängig ist: Die
genannte Blattlaus überwintert nämlich in normalen Wintern als Ei, welches von
einem befruchteten Weibchen stammt. Bleibt aber der Winter und Spätherbst
warm, so unterbleibt die Entstehung von Sexualen, und es setzt sich die während
des Sommers herrschende parthenogenetische Fortpflanzung auch durch die
warmen Wintermonate hindurch fort, so daß also bereits im ersten Frühjahr ein
großes Heer von Blattläusen vorhanden ist. Nun kann aber immer noch die
Gefahr durch die Natur abgewendet werden, wenn nämlich der Frühling warm
ist. Dann entsteht den Blattläusen ein noch größeres Heer von Feinden, das bald
mit ihnen aufräumt. Der Hauptfeind ist eine kleine Schlupfwespe {Lysiphlebus
tritici), welche immer und überall da vorhanden ist, wo die Blattlaus vorkommt,
und welche die Vermehrung der Blattlaus für gewöhnlich in engen Grenzen hält (s.
Fig. 190, S. 247). Die Schlupfwespe bedarf aber einer wesentlich höheren Temperatur
310 Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
zu ihrer Vermehrung als die Blattlaus, daher muß der Frühling warm sein, wenn der
Feind die zur wirksamen Bekämpfung nötige Zahl erlangen soll. Bleibt dagegen das
Frühjahr kalt (nach einem milden Winter), so können sich wohl die Blattläuse
weiter vermehren und ins Unermeßliche anwachsen, nicht aber die Schlupfwespen.
Und wenn dann die Temperatur auch später für die letzteren hoch genug ist, dann
haben die Blattläuse bereits einen solchen Vorsprung erlangt, daß die Schlupf-
wespen längere Zeit brauchen, bis sie denselben wieder eingeholt haben — und
die Folge davon ist dann eine Blattlauskalamität. — Wir haben wenige Beispiele
in der gesamten Schädlingskunde, die die Ursachen der Entstehung einer
Kalamität so klar und deutlich erkennen lassen, wie dieser Fall von der Getreide-
blattlaus. Deshalb glaube ich, denselben hier nicht vorenthalten zu dürfen.
Eine besondere und recht eigentümliche Anschauung über die Ursachen der
periodenweisen Massenvermehrungen hat Simroth geäußert: er sucht dieselben
auf kosmische Vorgänge zurückzuführen und mit den 11jährigen Sonnenflecken-
perioden in Zusammenhang zu bringen. Zur Stütze dieser Anschauung bringt er
eine Reihe von Beispielen, in denen Massenvermehrungen gewisser Insekten
[Eccoptogaster scolytus. Wespen usw.) mit diesen Perioden annähernd zusammen-
fielen. Es wäre aber ein leichtes, ebenso viele Beispiele anzuführen, in denen
Massenvermehrungen sich nicht im geringsten um die Sonnenflecken kümmerten.
In weitaus den meisten Fällen sind die Kalamitäten „autoch-
thonen" Ursprungs, d. h. entstehen an Ort und Stelle infolge irgend einer
hier eingetretenen Gleichgewichtsstörung. Es kommen aber auch Ausnahmen
vor, in denen eine Kalamität von auswärts, durch einen plötzlichen Ein-
fall oder Einwanderung großer Schädlingsmengen in ein bisher
gänzlich gesundes Revier hineingetragen werden; wir sprechen in solchen
Fällen von „Überflug". Es gab eine Zeit, in der man Überflüge als etwas
selbstverständliches auffaßte, und überall da, wo man plötzlich vor einer
Massenvermehrung stand, dieselbe ohne weiteres auf einen Überflug zurück-
führte. Wie konnte es auch anders sein, da nach Ansicht des betroffenen
Forstmannes sein Revier bis dahin nichts von einer abnormen Insekten-
vermehrung habe erkennen lassen. Es war eine schöne Zeit für die Forst-
beamten, da sie die Schuld für eine ausgebrochene Kalamität ohne
Schwierigkeit auf den Nachbarn abwälzen konnten.
Heute ist man aber in dieser Beziehung wesentlich skeptischer resp.
kritischer geworden, und die Ausrede mit „Überflug" stößt von vornherein
auf starkes Mißtrauen. Man hat eben bei sorgfältiger Prüfung in vielen
Fällen, in denen Überflug als Entstehungsursache einer Kalamität angegeben
worden war, sichere Anzeichen (z. B. Puppenhüllen, Raupenkot, hoher
Parasitenprozentsatz usw.) dafür gefunden, daß der betr. Schädling schon
längere Zeit hindurch in stärkerer Vermehrung begriffen, aber bisher über-
sehen worden war. Wenn dann die Zahl des Schädlings groß genug war,
daß er nicht mehr übersehen werden konnte, dann kam die „Überraschung",
auf welche prompt die Annahme des Überfluges folgte. Die ersten Anzeichen
einer beginnenden Massenvermehrung sind mitunter sehr geringfügig, und
das Anwachsen der Individuenzahl erfolgt nach Entfernung der vermehrungs-
beschränkenden Faktoren meist so rasch (infolge der Propagation in geo-
metrischer Progression, siehe S. 223), daß oft gar nicht allzuviel Sorglosigkeit
dazu gehört, den Anfang einer Massenvermehrung zu übersehen, zumal wenn
die Entstehungsherde engbegrenzt und an wenig zugänglichen Orten gelegen
sind. Jedenfalls beweist die in solchen Fällen oft zu hörende Behauptung:
Die Entstehung von Kalamitäten. 311
„Die Vermehrung hätte uns unmöglich entgehen können", gar nichts gegen
eine autochthone Entstehung einer Kalamität. Daß derartige Überraschungen
noch so oft vorkommen können, beweist höchstens, daß die forstento-
mologische Schulung des Forstwirtes noch zu wünschen übrig läßt.
Andererseits haben wir doch auch gut beglaubigte Beispiele von Massen-
einwanderungen. Daß gewisse Insekten weite Wanderungen in großen Ge-
sellschaften unternehmen, ist ja allgemein bekannt; wie z. B. die Heuschrecken-
schwärme, die in ungeheuren Massen Wolken gleich dahinziehen, überall,
wo sie einfallen, Vernichtung bringend; oder die langen Züge der Libellen,
oder des Baumweißlings, oder die schlangenartig dahinkriechenden Verbände
der Trauermückenlarven (Heerwurm) usw. Worauf dieses gesellschafüiche
Wandern beruht, ist uns in den meisten Fällen noch unbekannt; die Ur-
sachen mögen von Fall zu Fall verschieden sein, jedenfalls dürfte es nicht
angängig sein, kurzweg Nahrungsmangel für alle diese Wanderungen verant-
wordich zu machen; in manchen Fällen trifft dies sogar sicher nicht zu.
Wir müssen uns daher vorläufig mit der Konstatierung der Tatsache be-
gnügen, daß gewissen Insekten der Trieb, in größeren Gesellschaften zu
wandern, innewohnt.
Es fragt sich nun, ob auch unter den Forstinsekten solch wanderlustige
Tiere sich befinden. Einigermaßen sicher wissen wir es nur von wenigen,
wie z. B. von den Borkenkäfern, dem grauen Lärchenwickler, der
Nonne usw.
So wurde bezüglich der Borkenkäfer des öfteren beobachtet, daß von
Holzvorratsplätzen und Brettsägen aus, welche borkenkäferhaltiges Holz aus
anderen Gegenden erhielten, bis dahin völlig borkenkäferfreie Waldungen plötz-
lich stark infiziert wurden. Fraglich und schwer zu bestimmen ist dagegen, bis
zu welchen Entfernungen ein Überschwärmen möglich ist.
Ein Beispiel für weites Überfliegen von typographus erblickt N i t s c h e in
einer Mitteilung von Oberforstmeister Tiedemann aus dem Gouverment
Nishny-Nowgorod. „Mitten in einem im Kreise Arsamaß liegenden Kronforst von
2500 ha, der fast ausschließlich aus Laubholz besteht, befinden sich zwei 50 bezw.
60 ha große Fichtenbestände. In beiden war kein Windbruch, keine Lichtung,
vielmehr guter voller Schluß, und es waren nie Borkenkäfer in ihnen aufgetreten.
Da zeigt sich plötzlich im Jahre 1883 der Borkenkäfer so stark, daß sofort
1000 Fichtenstämme gefällt und geschält werden mußten. Das Auftreten der
Borkenkäfer ist hier nur (? ? der Verf.) durch Überfliegen zu erklären. Die
nächsten Fichtenbestände sind aber 15 — 20 km entfernt, und solche, in denen ein
starker Borkenkäferfraß zur Zeit der Infektion herrschte, gar ca. 50 km."
Daß der graue Lärchenwickler durch Überflug über Pässe usw.
benachbarte Täler infizieren kann, hatte der Verfasser selbst zu konstatieren
Gelegenheit, und zwar auf der Iffigenalp im Berner Oberland. Dort war plötz-
lich der genannte Schädling in solchen Mengen aufgetreten, daß sämtliche Lärchen
völlig kahl gefressen wurden. Vorher war nicht die geringste Spur von Be-
schädigungen dort zu bemerken, wie der Besitzer, ein gewissenhafter Natur-
beobachter, versicherte. Wohl aber war der Schädling im benachbarten Wallis
seit Jahren in der bedenklichsten Weise aufgetreten. Es lag daher nahe, anzu-
nehmen, daß die Infektion von dort her stattgefunden habe, und wir konnten auch
eine gewisse Bestätigung dafür erbringen, indem wir auf dem Wildstrubelgletscher,
der die Iffigenalp vom Wallis trennt, eine Unmasse der fraglichen Falter im Schnee
erstarrt oder noch zappelnd antrafen, — möglicherweise die Reste eines die Höhen
überflogenen Heeres. Ob es sich hierbei um eine Überwehung oder um ein
aktives Überfliegen gehandelt hat, ließ sich natürlich nicht entscheiden.
312 Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
Am geläufigsten ist dem Praktiker das Überfliegen der Nonne. Werden
doch auch bei jeder Nonnenkalamität von zahlreichen Seiten Uberflüge als sichere
Entstehungsursache ins Feld geführt. Und doch wurde nach den kritischen Unter-
suchungen Sedlaczeks auch hier weit über das Ziel hinausgeschossen. Zahl-
reiche der scheinbar sicher begründeten Annahmen von Uberflügen erwiesen sich
nach diesem Autor bei der genaueren Analyse als nicht stichhaltig, und nur in
ganz wenig Fällen sind wir tatsächlich berechtigt, von einer Nonneninfektion
durch Masseneinw-anderung zu reden. Auch über die Entfernungen scheint man
sich unrichtige Vorstellungen gemacht zu haben; denn nach Sedlaczek dürften
20 km schon ein Maximum für die Flugfähigkeit der Nonne darstellen. Durch
Wind kann die Entfernung allerdings noch mehr oder weniger vergrößert werden
(siehe auch S. 224). Die Uberwanderung findet ferner selten in kompakten
Schwärmen statt, sondern meist durch sukzessiven Überflug zahlreicher Indi-
viduen. Näher soll hier darauf nicht eingegangen werden, da unten bei Be-
sprechung der Nonne (Bd. III) diese wichtige Frage noch ausführlich behandelt
werden wird.
Fassen wir das Gesagte zusammen, so kommen wir zu dem Ergebnis,
daß die Überflüge bei Forstinsekten als Ausnahmeerscheinungen anzu-
sehen sind. Wir haben demnach bei allen Kalamitäten zunächst an
einen autochthonen Ursprung zu denken; nur dann, wenn der strikte
Nachweis erbracht werden kann, daß der betr. Schädling in den vorher-
gehenden Jahren nicht in einer den Normalstand überschreitenden Zahl vor-
handen war, und außerdem irgend welche positiven Angaben über die Her-
kunft des Überfluges usw. gemacht werden können, nur dann dürfen wir die
Annahme einer Masseninfektion von außen als berechtigt anerkennen.
Eine Infektion kann natürlich auch durch Einwanderung oder Ver-
schleppung einzelner Individuen geschehen, ist doch eine der größten aller
Insektenkalamitäten, die des Schwammspinners in Amerika, durch die Ver-
schleppung ganz weniger Exemplare verursacht worden (siehe S. 238); es
verläuft aber dann die Vermehrung nach dem Typus der autochthonen
Kalamitäten.
B. Vorbeugung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
Die beste Begegnung eines jeden Übels ist die Vorbeugung. Wie
das Ziel des Hygienikers der menschlichen Gesellschaft darin besteht, die
Lebensformen derselben so zu gestalten, daß den Krankheitskeimen ein
möglichst ungünstiger Boden geschaffen wird, so daß die Krankheiten über-
haupt nicht mehr aufkommen können, so muß der Waldhygieniker darnach
streben, die Waldkultur so einzurichten, daß den Schädlingen
möglichst geringe Angriffsflächen dargeboten werden. Das Vor-
handensein von Kulturkrankheiten soll uns nicht etwa (wie manche Refor-
matoren der menschlichen Gesellschaft meinen) dazu führen, die Kultur völlig
aufzugeben, sondern vielmehr dazu, eine höhere Stufe der Kultur zu erstreben,
welche die Entwicklungsmöglichkeit jener Krankheiten mehr und mehr einengt
oder ganz ausschaltet. Es wird ja gewiß Fälle genug geben, in denen -iie
Kultur stets mit Gefahren verbunden sein wird, d. h. in denen eine Abänderung
der Kulturart im Sinne einer Prophylaxe nicht ausführbar ist (so kann man
z. B. auf gewissen Böden nur ganz bestimmte Baumarten pflanzen, trotzdem
man vielleicht weiß, wie stark dieselbe an den betreffenden Orten Insekten-
Vorbeugung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten. 313
Verheerungen ausgesetzt ist); andererseits können wir aber bei einer großen
Zahl von Schädlingen durch besondere kulturelle Maßnahmen die Vermehrungs-
bedingen zweifellos wesentlich einschränken.
Wo es durch kulturelle Methoden durchaus nicht gelingt, dem Aufkommen
einer Kalamität vorzubeugen, da muß der Forstwirt versuchen, mit anderen
Mitteln der Vermehrung entgegenzutreten und das Übel direkt be-
kämpfen. Dabei ist als oberster Grundsatz festzuhalten, daß die Bekämpfung
um so mehr Aussicht auf Erfolg hat, je früher dieselbe einsetzt.
Hat die Vermehrung einmal ein gewisses Maß überschritten, so ist in vielen
Fällen wenig mehr mit den menschlichen Kräften auszurichten, und bleibt
uns dann nichts anderes übrig, als das Übel sich selbst zu überlassen, bis es
sein natürliches Ende findet, oder höchstens zu versuchen, es auf seinen
Herd zu beschränken.
Viele der Mißerfolge in der forstlichen Schädlingsbekämpfung
sind darauf zurückzuführen, daß der richtige Zeitpunkt beim Ein-
greifen versäumt worden ist. Und dies hängt wieder mit der oben
bereits erwähnten Tatsache zusammen, daß die für eine erfolgreiche Be-
kämpfung so überaus wichtigen Anfangsstadien einer Kalamität meistens über-
sehen werden. In dieser Beziehung ist ja auch der Forstwirt weit schlechter
daran als der Landwirt oder der Weinbauer, welchen bei der übersichtlichen
Art ihrer Kulturen das Auftreten eines Schädlings kaum entgehen kann, auch
wenn dieser erst in geringer Zahl vorhanden ist. Bei den Forstschädlingen
dagegen spielen sich oft die ersten Stadien einer Übervermehrung so ver-
borgen ab, daß es einer großen Aufmerksamkeit, eines gut geschulten Blickes
und einer genauen Kenntnis der Lebensgeschichte der betr. Schädlinge be-
darf, um ihr Vorhandensein zu bemerken. Es ist daher auch bei der Schulung
des zukünftigen Forstwirtes vor allem darauf zu achten, daß er mit den ersten
Kennzeichen einer beginnenden Kalamität gut vertraut wird; denn
rechtzeitiges Erkennen ist schon die halbe Bekämpfung. Stets hat
der Forstmann bei seinen Gängen durch das Revier das Insektenleben scharf
im Auge zu behalten, und doppelte Aufmerksamkeit ist dann geboten,
wenn eine stärkere Vermehrung eines für ihn in Betracht kommen-
den Schädlings aus anderen Gegenden gemeldet wird (vgl. das oben
über die Schädlingsperioden gesagte) oder Umstände eingetreten sind, welche
die Insektenvermehrung überhaupt begünstigen, wie z. B. abnorm heiße und
trockene Sommer, Wind- und Schneebrüche, Raupenfraß, Rauchschäden usw.
Um ganz sicher zu gehen, wird er in solchen Fällen event. Probefänge (mit
Fackeln oder Leimringen, oder Prellen mit unterhaltenen Tüchern usw^) vor-
nehmen.
„So schwierig und zeitraubend diese Orientierung auf den ersten Blick er-
scheinen mag, so gestalten sich die Verhältnisse in der Praxis doch viel ein-
facher. Der einzelne Wirtschafter hat meist relativ einförmige Verhältnisse,
vor allem nur wenig Hauptholzarten. In ihnen aber ist für eine bestimmte
Gegend die Zahl der wirklich gefährlichen Insektenarten keine allzu große, so
daß es sich meist nur um die kontrollierende Beobachtung eines oder anderthalb
Dutzend von Arten handeln wird" (N ü ß 1 i n).
314 Kapitel VII. f^ntstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
Ein klassisches Beispiel dafür, was durch rechtzeitige Erkennung und recht-
zeitiges Ergreifen von Gegenmaßregeln erreicht werden kann, liefert die Be-
kämpfung der letzten Nonnenkalamität in Sachsen. Dadurch, daß man schon bei
einem ganz geringen Befall (teilweise schon bei 150 Eier pro Stamm!) mit Voll-
leimung vorging, gelang es, die Nonne so in Schach zu halten, daß nur auf ganz
minimalen Flächen Kahlfraß eingetreten ist, während in anderen Gegenden, wo
man zu einem weit späteren Zeitpunkt zur Leimung griff, große Zerstörungen
erfolgten (P u t s c h e r).
Auf die Merkmale der beginnenden Insektenvermehrungen im
einzelnen hier einzugehen, würde zu weit führen, zumal im speziellen Teil
bei Besprechung der verschiedenen Forstschädlinge dieser Punkt besondere
Berücksichtigung finden wird. Es sei hier nur kurz erwähnt, daß neben den
direkten Kennzeichen, wie z. B. Bohrmehl und Harzerguß an den
Stämmen, Raupenkot, abgebissene Nadeln, befressene Blätter, Lichterwerden
der Krone, Verfärbung der Nadeln usw., auch noch indirekte Kenn-
zeichen uns mitunter zur Verfügung stehen, die uns auf das Vorhandensein
von Schädlingen aufmerksam machen können. Dazu gehört z. B. die auf-
fallende Vermehrung leicht sichtbarer Parasiten oder Raubinsekten (wie
Tachinen oder Kletterlaufkäfer usw.), oder insektenfressender Vögel oder
Säugetiere. So hat Altum auf die zunehmende Häufigkeit des Kuckucks im
Falle einer ausbrechenden Raupenkalamität hingewiesen, auch die Tätigkeit
des Spechtes kann zur Entdeckung von verborgenlebendcn Schädlingen
führen, und das Erscheinen zahlreicher Maulwurfshaufen kann uns die Zu-
nahme von Engerlingen oder anderen Erdinsekten verraten.
Die Bekämpfung kann auf verschiedenen Wegen versucht werden,
entweder auf biologischem Wege, indem man sich der natürlichen Feinde
des Schädlings bedient, dieselben nach Kräften schont und womöglich künst-
lich zu vermehren und zu verbreiten sucht, oder auf technischem Wege,
indem man dem Schädling direkt zu Leibe geht und ihm mit allen möglichen
mechanischen und chemischen Mitteln (Spritzgiften, Fangapparaten, Leim-
gürteln usw.) zu vernichten sucht.
Die biologische und technische Bekämpfung schließen einander keines-
wegs etwa aus, sondern können recht wohl auch kombiniert angewandt
werden, ebenso wie die beiden mit den eingangs erwähnten kulturellen Be-
gegnungsmethoden verbunden werden können.
Die „biologische Methode" steht der kulturellen sowohl bezügl. der
Wirkung als der Grundlagen ziemlich nahe. Denn wie diese, so läuft auch
jene auf eine Unterstützung der natürlichen Faktoren hinaus, und auch die
Wirkung der biologischen Bekämpfung ist, wenn auch nicht so radikal wie
die der kulturellen (deren höchstes Ziel der Entzug der nötigen Lebens-
bedingungen des Schädlings ist), so doch langatmiger und tiefgehender als
bei der technischen. Wir können daher die beiden Methoden als die „natür-
lichen Bekämpfungsmethoden" bezeichnen, zumal ja beide vielfach auch
ineinander greifen (wenn z. B. im Interesse von insektenfressenden Vögeln
oder Parasiten gewisse kulturelle Maßnahmen notwendig werden). Die bio-
logische Methode erfordert das eingehendste Studium der Biologie und Physio-
logie nicht nur des Schädlings, sondern auch aller seiner natürlichen Feinde,
Die kulturellen Vorbeugungsmaßregeln. 315
ein Studium, welches ungemein zeitraubend ist und eines großen wissen-
schaftlichen Apparates bedarf.
Die „technische Bekämpfung" ist zweifellos kurzatmiger, insofern
als sie gewöhnlich nicht der Grundursache des Übels, sondern lediglich dem
Übel selbst zu Leibe geht. Die Erfolge sind Augenblickserfolge. Handelt
es sich daher um von Natur relativ kurze Kalamitäten, so kann die technische
Bekämpfung zweifellos Ausgezeichnetes leisten; je schwerer aber die Gleich-
gewichtsstörung ist und je länger die Kalamität währt, desto problematischer
wird jene Bekämpfung werden. Jedenfalls muß sie dann immer wieder von
Jahr zu Jahr (oder wenigstens von Zeit zu Zeit) wiederholt werden. Dabei
dürfen wir nicht übersehen, daß dadurch event. auch die natürlichen Heil-
faktoren ungünstig beeinflußt werden können, wenn nämlich mit der Ver-
nichtungsaktion auch die natürlichen Feinde des Schädlings entfernt werden,
was auf die Wiederherstellung des Gleichgewichtes verzögernd wirken kann.
Trotzdem werden wir die technische Bekämpfung niemals ganz ent-
behren können, sie wird vielmehr stets eine hervorragende Rolle in der
Schädlingsbekämpfung spielen. Es wird aber sicherlich eine Zeit kommen,
in der die biologische Methode ihr wenigstens ebenbürtig ^ur Seite stehen
und sie vielleicht auch aus manchen Plätzen verdrängen wird. Vor allem
wird zu versuchen sein, in solchen Fällen die biologische Methode
heranzuziehen, in denen die technische Bekämpfung bei hohen
Kosten nur zweifelhafte Erfolge zeitigt.
Wir werden im folgenden eine kurze allgemeine Übersicht über
die hauptsächlichsten Grundsätze der genannten Vorbeugungs- und Be-
kämpfungsmethoden geben, und zwar: 1. der kulturellen Vorbeugung, 2. der
biologischen und 3. der technischen Bekämpfung.
1. Die kulturellen Vorbeugungsmaßregeln.
(Von Prof. Dr. W. Borgmann-Tharandt.)
a) Allgemeine Grundsätze.
Dem modernen Wirtschaftswald sind die verschiedenartigsten, im Wechsel
der Zeiten und ihrer Anschauungen entstandenen Betriebssysteme, die nur
zu oft extremen Richtungen ihre Entstehung verdankten, wie ein unaus-
löschlicher Stempel aufgedrückt. Nicht jedes System wird der Forderung
von Vorbeugungsmaßnahmen gegen Insektenschäden gerecht. Berücksichtigt
man die Entwicklungsgeschichte unserer noch jungen Forstwirtschaft, die auf
kaum mehr als ein Jahrhundert geordneter Pflege zurückblicken kann,
so ist es zumal bei den langen Produktionszeiträumen der Waldwirtschaft,
die meist erst kommenden Geschlechtern die Entscheidung über den Erfolg
von Maßnahmen, die wir heute treffen, vorbehalten, verständlich, wenn bald
die natürlichen Produktionsfaktoren unter Betonung der Aufgaben der St and -
ortspflege und des Waldbaues, bald die ökonomischen Erwägungen vom
Standpunkt der Forsteinrichtung und forstlichen Statik zur Vorherrschaft
gelangten, nicht immer zum Nutzen des V/aldes, nur zu häufig unter Ver-
kennung der wichtigsten Vorbeugungsmaßnahmen im Kampf gegen
die Schäden aus der Insektenwelt.
316 Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
Geschichtlich ist eine der älteren Auffassungen aus W. G. Mosers „Grund-
sätzen der Forstökonomie" 1757, II. Bd. 2. Kap. § 31, S. 569 interessant, woselbst
zu lesen ist:
„Raupen und Käfer thun auch öfters großen Schaden, und zwar eigent-
lich denen Laubhölzern, besonders den Eichen. Sie gehören zu denen allgemeinen
Land-Strafen, und ist noch zur Zeit kein Mittel dagegen bekannt; dann das Ab-
lesen, so leicht solches an sich wäre, würde Kosten und Umstände erfordern,
welche den verhoffenden Nutzen weit übersteigen."
Aber bereits zu Ende des 18. Jahrhunderts, nachdem im Jahre 1783 im Harz
ein bedeutender Borkenkäferfraß, in den Jahren 1791 — 94 in der Mark Brandenburg
ein großer Kiefernspinnerfraß gewütet hatte, war diese uns heute unverständliche
Auffassung verlassen, und schon lange hat sich die Überzeugung Bahn gebrochen,
daß der Forstmann den Insektenschäden zunächst durch V o r b e u g u n g s m a ß-
regeln entgegenwirken muß.
Mag es vielfach die mangelnde Kenntnis über die Entstehungsursachen
und den Verlauf größerer Insektenkalamitäten gewesen sein, die eine In-
angriffnahme grundlegender Maßnahmen häufig wieder vereitelte, so ließ vor
allem die einseitige Betonung einer bestimmten ökonomischen oder
waldbaulichen Richtung die Bedeutung des Forstschutzes nicht in dem
Maße zur Geltung kommen, wie er es tatsächlich verdient.
Denn wo bleibt das bestdurchdachte, in Zeiten ungestörter Entwicklung
zu den erfreulichsten Hoffnungen berechtigende waldbauliche Verfahren,
wo das kunstvollste Gebäude der Forsteinrichtung, wo die feinste Berechnung
einer höchsten Rentabilität, wenn Kalamitäten über den Wald herein-
brechen und ihm ein völlig verändertes Gepräge geben, das auf
lange Zeit hinaus alle Pläne wieder über den Haufen wirft?
Gegen Sturm und Feuer hat man die Wälder, wo diese Gefahren,
wie namendich im reinen Fichten- und Kiefernhochwald eine erheblichere
Rolle spielen, durch entsprechende Maßnahmen, wie z. B. der Sturmrichtung
Rechnung tragende Hiebszüge und Loshiebe, oder eine der Verbreitung von
Waldbränden entgegenwirkende Trennung der Altersklassen und durch Feuer-
schutzstreifen gesichert. In Schneebruchlagen wählt man weitere Pflanz-
verbände und bevorzugt frühzeitig einsetzende, stärkere Durchforstungen zur
Erziehung gleichmäßig bekrönter, widerstandsfähiger Stämme, man zieht dort
die Provenienz der Gebirgskiefer mit fichtenartiger Kronenausbildung der
breitästigen Flachlandskiefer vor, ebenso wie man bestrebt ist, für die Fichte
in Hochlagen auch nur wiederum Samen aus Hochlagen zu verwenden.
Handelt es sich um Frostlagen, so baut man frostharte Holzarten an oder
mischt sie als Schutzholz der im übrigen standortsgemäßen Holzart bei,
endlich wählt man die Schirmschlagverjüngung, sei es auf natürlichem
oder künstlichem Wege. Kurzum man ist bestrebt, ebensowohl durch gegen-
wärtig nützliche Hilfen wie weitvorausschauende Maßnahmen den Gefahren
der genannten Art vorzubeugen.
Wie sehr treten hiergegen die Maßnahmen, welche als Gegen-
gewicht gegen Insektenschäden dienen sollten, zurück.
An Ansätzen mannigfaltiger Art, aber meist nur bescheideneren
Umfanges und rein örtlicher Natur, hat es gewiß nicht gefehlt. Oft
lassen auch die besonderen standörtlichen Verhältnisse Vorbeugungsmittel
Die kulturellen Vorbeugungsmaßregeln. 317
größeren Umfanges schwer durchführbar erscheinen. Man braucht hierbei
nur an die ausgedehnten reinen Kiefernbestände in vielen Teilen des nord-
deutschen Diluvialgebietes zu denken, wo auf weite Strecken die Kiefer als
die allein anbaufähige Holzart in Frage kommt, wo zudem bei mangelnder
Naturverjüngung noch auf lange Zeit hinaus der Kahlschlag und die künst-
liche Kultur die herrschende Verjüngungsmethode bleiben wird. Mit dem
oft gehörten Mittel gemischter Bestände, der Naturverjüngung oder gar des
Plenterwaldes ist hier nicht viel anzufangen.
Die klimatischen und standörtlichen Verhältnisse des deutschen Waldes
sind zu verschieden, als daß mit Mitteln, die überall gleich durchführbar und
erfolgreich wären, etwas erreicht werden könnte.
Was in klimatisch bevorzugten Teilen des süddeutschen Mittel-
gebirges möglich ist, wo die Natur in unerschöpflicher Fülle die natürliche
Verjüngung wie ein freies Geschenk bietet, wo mehrere Holzarten auf dem
gleichen Standort gutes Gedeihen finden und zwanglos zum gemischten
Walde führen, das kann nicht auch in den Kienheiden Posens oder West-
preußens zum Wirtschaftsziel werden. Und doch lassen auch im nord-
deutschen Flachland so manche Mischbestandsbilder von Kiefer, Buche
und Eiche auf besseren Böden die Sicherung des Waldes gegen die ihm
drohenden Gefahren aus der Insektenwelt aussichtsvoller erscheinen.
Andererseits treten bei bestimmten Insekten, wie z. B. beim Kiefern-
spinner und großen braunen Rüsselkäfer, deren unmittelbare technische
Bekämpfung in der Regel von durchschlagendem Erfolg begleitet ist —
Leimring bezw. Käfergraben und eine vom Frühjahr bis zum Herbst syste-
matisch durchgeführte Bekämpfung mit Fangknüppeln — , die Vorbeugungs-
maßnahmen rein kultureller Natur mehr in den Hintergrund.
Alle diese Erwägungen können aber nicht dazu führen, die Forderung
der Verhütung von Insektenkalamitäten durch entsprechende Maßnahmen der
Wirtschaftsführung als minder bedeutungsvoll aufzufassen, weil die Durch-
führung teils schwierig erscheint, teils weil förmliche Katastrophen anscheinend
doch nicht abgewendet werden können.
Ebensogut könnte man auch in der Frage der Sturmgefahr sagen, daß
bei meist von Westen oder Südwesten her zu erwartenden Stürmen die von
Ost gegen West oder von Nordost gegen Südwest geführten Hiebs-
züge zwar in der Regel einen ausreichenden Schutz böten, daß aber trotzdem
einmal ein Sturm aus Nord, Nordost oder Ost das ganze Gebäude wieder
über den Haufen werfen könnte, und daher jegliche Vorbeugung doch wieder
nutzlos wäre.
Es wäre unrichtig, aus solchen Gründen die Hände in den Schoß legen
zu wollen und jene großen Kalamitäten, wie sie der deutsche Wald schon
genügsam hat erleben müssen, über sich ergehen zu lassen, wie man dies
heute leider des öfteren hören kann.
Erst in jüngster Zeit ist anläßlich der großen Nonnenkalamität in
Ostpreußen, der Millionen von Festmetern meist noch in gutem Zu-
wachs stehender Hölzer zum Opfer fielen, das Wort gefallen, daß so ein
318 Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
„kräftiger Aderlaß" dem großen Staatsforstbesitz Preußens nicht sonderlich
geschadet habe!
Auch von der Bekämpfung des Kiefernspinners kann man hören, man
solle erst dann leimen, wenn es sich um die Existenzfrage der befallenen
Bestände handele. Würden diese nur stark befressen, so möge man den
Zuwachsverlust und den Abgang eines Teils der Bestockung lieber in Kauf
nehmen, als die in der Regel höheren Kosten des Leimens aufwenden.
Wird dann aber nicht der Massenvermehrung in solchem Maße Vor-
schub geleistet, daß schließlich doch, nach bereits mehrjährigen Zuwachs-
verlusten, geleimt werden muß, um die Bestände vor dem sicheren Untergang
zu retten? Und kann dann die Kalamität nicht zu einem solchen Umfang
angewachsen sein, daß zuletzt die menschlichen Kräfte nicht mehr ausreichen,
sie überhaupt noch wirksam zu bekämpfen? Rechtzeitig den Kampf auf-
nehmen, heißt in weitestem Sinne vorbeugen.
Die Erhaltung der Bestände durch Mittel der technischen Be-
kämpfung des Schädlings im ersten Stadium seiner Vermehrung ist eins der
wichtigsten kulturellen Vorbeugungsmittel. Namentlich bei Nonnenkalami-
täten sollte man nicht resigniert zusehen, weil die Leimung bei schon aus-
gedehntem Fraß keinen Erfolg mehr bringt, sondern rechtzeitig mit Aufbietung
aller Kräfte den Kampf beginnen, dadurch einer Katastrophe vorbeugend,
wie dies bei der jüngsten Nonnenkalamität in Sachsen durchgeführt wurde.
Mögen auch die Ansichten über die in Sachsen hervorgetretenen Erfolge
des Leimens gegen die Nonne geteilt sein, mögen günstige Umstände mit-
gewirkt haben, ein gewisser Erfolg wird der rechtzeitig in Sachsen einge-
leiteten Bekämpfung nicht streitig gemacht werden können.
Wir sehen in einem rechtzeitig aufgenommenen Kampf ein wesent-
liches Vorbeugungsmittel: Es ist nicht ein Teilstück, nicht nur der Anfang
einer technischen Bekämpfung, sondern, wie schon gesagt wurde, bereits eine
Verhütungsmaßnahme kultureller Natur.
Durch rechtzeitig eingeleitete, oft auch, wie z. B. beim großen braunen
Rüsselkäfer, ständig fortgesetzte Bekämpfung verringert man die Stärke des
Fraßes, man zieht die Kalamität hin, gewinnt damit an Zeit und gibt den
Beständen die Möglichkeit, sich immer wieder neu zu kräftigen,
wenn ihnen wenigstens ein größerer Teil ihrer wichtigsten Lebensorgane
von einem Jahr zum anderen erhalten bleibt.
Die Erhaltung der Bestände, zumal der mittleren und jüngeren
Altersstufen, die noch im besten Zuwachs stehen, ist ein dringendes
Gebot, das durch eine Rechnung, daß die Kosten der Gegenmaß-
nahmen etwa größer seien, als der dadurch verhinderte Zuwachs-
verlust, nicht erschüttert werden kann.
Solche Bestände, wie wir sie hier im Auge haben, sind unentbehrlich
für den Aufbau unseres heutigen Wirtschaftswaldes, sie sind ein
werbendes Betriebskapital, das wir ohne ernstliche Gefährdung der Stetigkeit
und Nachhaltigkeit der Wirtschaft nicht missen können.
Die kulturellen Vorbeugungsmaßregeln. 319
Mit der Vernichtung ausgedehnter Bestände ist aber der Verlust noch
nicht erschöpft. Auf den großen Kahlflächen folgt in jahrelangem Mühen die
Neuaufforstung mit dem nur allzuhäufigen Kulturelend, das Dürre, Boden-
verangerung, Graswuchs und ein ganzes Heer von kulturverderbenden Insekten
heraufbeschwört.
Wir stehen auf dem Standpunkt, daß in der ersten Entwicklung-
begriffene Massenvermehrungen aus den angegebenen Gründen vor-
beugend bekämpft werden müssen.
Ob die Kosten in einem richtigen Verhältnis zu dem verhinderten mut-
maßlichen Zuwachsverlust stehen, kommt so lange nicht in Frage, als es noch
gilt, eine förmliche Katastrophe zu verhindern. Ist diese erst hereingebrochen,
dann sollte die Anwendung untauglicher Mittel — wie z. B. die Leimung bei
einer schon ausgedehnten Nonnenkalamität — besser unterbleiben. Aber
auch erst dann ist man berechtigt, die Ergreifung von Gegenmaßnahmen
zu unterlassen und, wie zuletzt in Preußen, den Kampf gegen die Nonne
gänzlich aufzugeben.
Es ist zwar ein gewisser Trost, daß bei der heutigen günstigen Holz-
konjunktur solche Kalamitätshölzer — das hat der Spannerfraß in der Letz-
linger Heide 1899—1903, der Schneebruch vom Jahre 1903 in Schlesien,
Brandenburg usw., der letzte Nonnenfraß in Ostpreußen 1907 — 1910 bewiesen
— noch leidlich gut, z. T. sogar recht günstig verwertet werden
können. Denn Deutschland ist zur Deckung seines Bedarfs auf den Bezug
von jährlich nicht weniger als 14 Millionen Festmeter für Nutzholz vom Aus-
lande angewiesen. Die gute Verwertung der eingeschlagenen Hölzer mildert
einigermaßen das trübe Bild der Katastrophe. Man soll sich aber darum
nicht der angenehmen Selbsttäuschung hingeben, daß eine große Kalamität
im Hinblick auf die reichlich fließenden Summen aus der Holzverwertung gar-
nicht so schlimm sei, wie sie aussähe. Der „Aderlaß" bringt freilich steigende
Reinerträge. Der Forstetat sieht fast glänzend aus. Dem Finanzminister sind
die größeren Überschüsse, die ihm die Nonne ablieferte, nicht unerwünscht.
Aber der Wald hat es geben müssen. Es waren nicht bloße Renten,
es steckten große, für den Wald unentbehrliche Kapitalwerte darin. Werden
sie ihm gutgeschrieben? Oder verschwinden sie in den jährlichen Etats?
Im Bestand der Altersklassen ist eine klaffende Lücke, die sich später,
wenn nicht sogar bald schon heute empfindlich fühlbar machen muß. Zum
mindesten gehören solche dem Wald unfreiwillig entzogene Kapitalwerte
in einen Forstreservefonds.
Wertvoller ist die Verhütung großer Verluste im Vorratskapital der
Bestände durch gute Voibeugung. Eine wohlgeordnete Forstwirtschaft, die
scharf zwischen Kapital und Rente unterscheidet, die auf die Stetigkeit und
Nachhaltigkeit der Wirtschaft Wert legt, kann nicht achtlos an der
Forderung energischer Vorbeugungsmaßnahmen gegen Insekten-
verheerungen vorübergehen.. Der Wille zur Tat und die Mittel zur
Ausführung müssen vorhanden sein. Wäre am Ende nicht ein Forstresei-ve-
fonds, dem auch die Summen, die eine Kalamität einbrachte, zugeführt werden,
neben seinen zahlreichen sonstigen Aufgaben dazu berufen, jederzeit die
320 Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
Mittel zu gewähren, die in das Kapitel „Vorbeugung und Bekämpfung von
Insektenkalamitäten" gehören ?
Wenn erst die angewandte Entomologie, wie dies Escher ich i) mit
Recht fordert, auch in Deutschland auf eine breitere Grundlage gestellt wird,
wenn durch umfassende und wohlorganisierte, unablässige Arbeit unser
Wissen von der Entstehung und -dem Verlauf von Massenvermehrungen ver-
vollkommnet wird, dann wird auch im Walde mehr als seither das
Interesse den auf kulturellem Gebiet liegenden Vorbeugungsmaß-
nahmen gegen Insektengefahren sich zuwenden.
Die seitherigen Erörterungen haben die Bedeutung und Tragweite der
Entschließungen auf dem Gebiet der vorbeugenden Maßnahmen dargetan.
Wie wenig oft nach dieser Richtung der Blick im Walde geschärft war
und noch heute ist, das beweist die Geschichte des Waldes im letzten Jahr-
hundert, das beweisen noch manche Anzeichen unserer heutigen Wirtschafts-
führung, auf die im folgenden näher eingegangen werden soll.
b) Die besonderen Maßnahmen.
Wenn die nachhaltige Erzeugung wertvollsten Holzzuwachses an einem
nach Bestandesdichte und Produktionszeitraum auf sein günstigstes Maß
zurückgeführten Holzvon-atskapital das Ziel jeder wohlgeordneten Forst-
wirtschaft bildet, so müssen zunächst alle Maßnahmen des Betriebes auf eine
so vollkommen und zugleich naturgemäß als möglich gestaltete Ausnutzung
der natürlichen Produktionsfaktoren gerichtet sein.
Die Pflege des Standorts und die Erhaltung der standorts-
gemäßen Holzart bezw. Holzartenmischung steht in erster Linie. Dem-
nächst bildet eine frühzeitig begonnene, intensive Bestandspflege, welche
auf die Förderung der nach Schaft- und Kr-onenbildung bestveranlagten
Stammindividuen gerichtet ist, die sicherste Gewähr für die Erziehung nicht
nur zuwachsfreudiger, sondern auch gesunder und widerstandsfähiger
Bestände. Eine möglichst naturgemäß gestaltete, durch die Bestandeser-
ziehung von langer Hand her verbreitete Verjüngung, die auf eine möglichst
vollkommene Ausnutzung der natürlichen Ansamung abzielt, bildet den
Schlußstein im Aufbau der wirtschaftlichen Maßnahmen, denen ein Bestand
in der Zeit von der Saat bis zur Ernte unterworfen wird. Im geordneten
Betriebsganzen des Waldes vollziehen sich gleichzeitig nebeneinander die
Maßnahmen, die im Einzelbestand in zeitlichen Abständen sich folgen.
Die rein finanziellen Erwägungen über das günstigste Maß der Bestands-
dichte und des Produktionszeitraumes decken sich mit den Forderungen des natür-
lichen Prinzips hinsichtlich der Maßnahmen der Bodenpflege, der Methode der
Bestandserziehung und des günstigsten Zeitpunktes der Bestandsverjüngung.^)
1) Die angewandte Entomologie in den Vereinigten Staaten. Berlin 1913,
Paul Parey. Als erster Erfolg der Anregungen ist die Gründung einer „Deutschen
Gesellschaft für angewandte Entomologie" hervorzuheben, die ihre 1. Jahresver-
sammlung in Würzburg vom 21. — 25. Oktober 1913 unter dem Vorsitz des Prof.
Dr. E s c h e r ic h - Tharandt abhielt.
2) Vgl. Borgmann, Über die Beziehungen zwischen dem natürlichen und
ökonomischen Prinzip in der Forstwirtschaft (Antrittsrede, gehalten den 24. Mai
1911, am 100 jährigen Gedenktage an Heinrich Cottas Einzug in Tharandt).
Tharandter Forstliches Jahrbuch, Jahrg. 1911, 62. Bd., Heft 1, S. 101.
Die kulturellen Vorbeugungsmaßregeln. 321
Wird das natürliche und ökonomische Prinzip im Hinblick auf die
Ziele und Aufgaben des heutigen Wirtschaftswaldes in allen Konsequenzen
korrekt erfaßt, so besteht zwischen beiden Richtungen, von denen die
eine auf naturwissenschaftlicher, die andere auf mathematischer
Grundlage ruht, kein Zwiespalt, vielmehr vereinigen sich beide zu einer
Resultante, die nach Richtung und Stärke dem erstrebten wirtschaftlichen
Erfolg am vollkommensten entspricht.
Auch die Fragen des Forstschutzes, namentlich was die hier zu er-
örternden Vorbeugungsmaßnahmen im Kampfe gegen Insekten-
kalamitäten betrifft, werden alsdann in grundlegender Beziehung am
besten gelöst.
Jede einseitige Betonung bald des einen, bald des anderen Prinzips,
besonders aber eine irrige Auffassung über das Wesen und die Bedeutung
der natürlichen Produktionsfaktoren einerseits, der ökonomischen Ziele
andererseits, hat noch stets zu extremen Maßnahmen, bald auf dem Gebiet
des Waldbaues, bald der Forsteinrichtung und damit zu einer Kluft
zwischen diesen beiden wichtigsten Gebieten des forstlichen Betriebs geführt.
Gleichzeitig hiermit wurden auch die Aufgaben des Forstschutzes, nicht zu-
letzt auf dem Gebiet der Verhütung von Insektenschäden, am un-
vollkommensten erfüllt, ja sogar viele Kalamitäten damit förmlich herauf-
beschworen.
Nicht der moderne Wirtschaftswald an sich leistet der In-
sektenvermehrung" Vorschub, sondern die in ihm vertretenen
extremen Richtungen solcher Wirtschaftssysteme, die von dem
natürlichen Prinzip sich am weitesten entfernen und damit zu-
gleich auch dem vollen ökonomischen Erfolg auf die Dauer nicht
gerecht zu werden vermögen.
Die Geschichte des deutschen Waldes und noch viele seiner heutigen
Wirtschaftsbilder liefern dafür Belege.
Zunächst wird eine nicht Standorts gern äße Holzart mehr oder
minder hinter der kraftvollen Entwicklung zurückbleiben, die sie in ihrer
eigentlichen Heimat oder auf solchen Standorten zeigt, die den heimatlichen
Bedingungen gleich oder nahe stehen. Dadurch wird aber ihre Widerstands-
kraft beeinträchtigt, sie wird empfänglich für eine ganze Reihe von Krank-
heiten und Schäden, bietet dadurch der Massenvermehrung schädlicher
Insekten günstige Vorbedingungen und erliegt oft schon dem ersten stärkeren
Ansturm ihrer Feinde.
So hat man sich durch die hohen Ertragsziffern der Fichte, die aber
lediglich ihren Leistungen auf frischen Gebirgsböden und in Klimaten mit
höherer Luftfeuchtigkeit und reichen Niederschlagsmengen entsprechen, ver-
leiten lassen, diese Holzart in reinen Beständen auch auf manche Böden des
Plachlandes, namentlich die diluvialen Sand- und Lehmböden zu bringen, auf
denen die Kiefer neben der Eiche und Buche standortsgemäß ist. Nimmt
schließlich die Fichte in solchen Gebieten größere Flächen in reinen Be-
ständen ein, dann sind bei dem außerdem wärmeren und trockeneren Klima
die günstigsten Vorbedingungen für eine Massen Vermehrung der Nonne ge-
Escherich, Forstinsekten. 21
322 Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
schaffen, andere Kalamitäten kommen hinzu, wie die Folgen von Dürrejahren,
ferner auf Standorten mit flachem Grundwasserstand, wie z. B. vielerorts in
Oberschlesien auch die Wind- und Schneebruchgefahr, und im Gefolge die
Borkenkäfer.
In noch viel höherem Maße ist die Weißtanne auf Standorten, die
jenen ihres Heimatsgebietes im Schwarzwald und in den Vogesen nicht mehr
entsprechen, gefährdet.
Ein klassisches Beispiel bietet die Lärche, wo und so oft sie nur auf
Standorte verpflanzt wurde, die nach Klima, Lage und Boden ihren An-
sprüchen nicht genügen : Krebs und Motte bilden hier ihre ständigen Begleiter,
die ihre Nachzucht unmöglich machen.
Selbst bei der Kiefer, die vom ärmsten Sand bis zum nassen Moor
vorkommt, kann man zumal auf ausgesprochenen Laubholzböden beobachten,
daß hier die Wickler in weit stärkerem Maße und Umfang die Deformation
des an sich schon geil gewachsenen, ästigen Schaftes hervorrufen, als auf
den ihr am besten zusagenden reinen, aber frischen Sandböden.
Auch die Eiche ist auf ihr nicht mehr zusagenden Böden weit
empfindlicher gegen Insektenbeschädigungen als auf gutem Standort.
Weit mehr als der Anbau der einen oder anderen Holzart auf ihr nicht
zusagendem Standort leistet der generelle, auf Kosten der weit weniger von
Insekten gefährdeten Laubhölzer erfolgende reine Nadel holzan bau einer
Massenvermehrung zahlreicher Insekten Vorschub: Nonne, Kiefernspinner,
Kiefernspanner, Forleule, Triebwickler, Rüsselkäfer, Borken- und Bastkäfer
u. a. finden dort ihre stärkste Verbreitung-
Die Erhaltung des Laubholzes auf laubholzfähigen Böden,
zum mindesten als Mischholz im Nadelholz, ist nicht nur ein Ge-
bot der Bodenpflege, sondern auch des Bestandesschutzes zur Ab-
schwächung von Insektenschäden.
Die schon im Interesse der Nachzucht einer Mehrheit von Holzarten
liegende Erhaltung und Ausdehnung des gemischten Waldes, der je nach
dem Standort in stetem Wechsel aus reinen wie gemischten Beständen sich
zusammensetzt, bietet zugleich auch die sicherste Gewähr für erfolg-
reiche Vorbeugungsmaßnahmen im Kampfe gegen die Massen-
vermehrung der gefährlichsten Insekten. Der stete Wechsel in der
Zusammensetzung der Bestände, die getrennte Lagerung der Altersklassen,
Schirmschlag-, Blenderschlag- und Saumschlagverjüngungen führen zu einer
räumlichen Trennung der Fraßherde, erleichtern deren rechtzeitige Ent-
deckung und Bekämpfung, verhindern die Ausdehnung einer Kalamität auf
große zusammenhängende Flächen, und selbst bei förmlichen Katastrophen
bleiben im gemischten Wald viele Bestände verschont, andere werden nur
beschädigt und können erhalten bleiben, die Niederlegung großer Flächen
im Zusammenhang fällt fort, das Waldbild mag sogar stark verändert sein,
doch ist es nicht völlig zerstört.
Ferner bietet die Naturverjüngung eine weitaus größere Sicherheit
allen sogen. „Kulturverderbern" gegenüber, als die Saat oder Pflanzung nach
vorausgegangenen Kahlschlägen.
Die kulturellen Vorbeugungsmaßregeln. 323
Der Rüsselkäfer ist in den meisten reinen Nadelholzgebieten mit Kahl-
schlag und künstlicher Kultur eine ständige Gefahr. Wird ihm nicht dauernd
durch Stockrodung, Käfergräben, Fangknüppel, Fangrinden usw. Abbruch ge-
tan, so folgt oft in kürzester Zeit eine solche Ausbreitung des Insekts, daß
man dann nur schwer seiner noch Herr werden kann.
Es wäre nicht richtig, der mehrjährigen Schlagruhe das Wort zu reden.
Zwar werden die Schäden am Jungwuchs, wenn erst die im Boden ver-
bliebenen Stöcke als Brutmaterial nicht mehr tauglich sind, erträglichere sein,
auch erspart man nicht unwesenthche Kosten der Bekämpfung, doch stehen
als negative Faktoren die Bodenverangerung, eine erschwerte und teuerere
Kultur und ein mehrjähriger Zuwachsverlust gegenüber, die an sich schon
die erstgenannten Vorteile mehr als aufwiegen. Vor allem aber kann der
Rüsselkäfer von Jahr zu Jahr sich ungehindert vermehren, sodaß
man schließlich doch vor der Notwendigkeit steht, Vertilgungsmaßnahmen in
größerem Umfang anzuwenden. Darum verzichte man auf die Schlagruhe
mit ihren Nachteilen in bodenpfleglicher, kultureller und finanzieller Beziehung.
Denn für die hierin sich häufenden Summen, deren man verlustig geht,
kann man schon viele Rüsselkäfer Jahr für Jahr in systematischer Arbeit
vernichten und damit einer förmlichen Kalamität dauernd vorbeugen.
Dann sind auch die Schäden der Kahlschlagwirtschaft, die in der großen
Mehrzahl der reinen Kiefern- und Fichtengebiete noch auf lange Zeit hinaus
die herrschende Verjüngungsmethode wird bleiben müssen, wesentlich ge-
mildert, die Abtriebsflächen sind alsbald wieder in Bestand gebracht, der
Boden ist gedeckt, neuer Holzzuwachs erwächst auf dem Boden in unmittel-
barem Anschluß an die Nutzung des seitherigen Altbestandes.
Weit größere Gefahren als der Kahlschlag an sich, wenn er in mäßigen
Grenzen gehalten wird, ist der Kahlschlag auf großer Fläche: der ausge-
sprochene Großkahlschlag. Hier pflegen die Kulturverderber: Maikäfer,
Hylobius, Pissodes u. a. in Verbindung mit Graswuchs, Schütte, Hallimasch
und Wurzelpilz am verheerendsten aufzutreten.
Man mag dem Großkahlschlag in bestimmten Wirtschaftsgebieten i) heute
wieder das Wort reden — ein anderes Extrem will heute den reinen Plenter-
wald, und zwischen beiden Extremen werden auch heute wieder mehr denn
je alle denkbaren Zwischenstufen von Verjüngungsformen und Betriebs-
systemen eifrig erfochten — , ein Ideal stellt der Großkahlschlag in boden-
pfleglicher und waldbaulicher Beziehung, namentlich aber vom Standpunkt
der Verhütung von Insektenschäden ebensowenig dar, wie die Wirtschaft in
zusammenhängenden, gleichalterigen und reinen Beständen auf
großer Fläche.
Solche Waldbilder verdankten seither vielfach der alten Fachwerks-
methode extremster Richtung mit Zusammenlegung der Altersklassen, Groß-
kahlschlägen und dem vermeintlichen waldbaulichen Ideal kunstvoller
^) Vgl. die Verhandlungen des Schlesischen Forstvereins vom 4. — 6. Juli 1912
in Beuthen (Oberschlesien): Über Groß- und Kleinkahlschläge bei Kiefern (Bericht-
erstatter Forstm. Junack in Neudeck O.-S.).
21*
324 Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
Saat- und Pflanzmethoden zur Nachzucht reiner Nadelholzbestände
ihre Entstehung.
Die auf mathematischer Grundlage sich entwickelnde, noch junge Forst-
einrichtung führte zum Schematismus, sie wurde in Norddeutschland zur
Schablone der Großflächenwirtschaft und zwang dem Walde ein System
räumlicher Ordnung auf, das seinem natürlichen Aufbau nicht entsprach,
das namentlich in Verbindung mit der irrigen Lehre vom höchsten Wald-
reinertrag in hohen Umtrieben, bei unzureichender Bestandspflege und
dem Ideal reiner Nadelholzbestände die Kunst des Waldbaus verkümmern ließ
und einen Mischbestand nach dem andern einem verfehlten System opferte.
Die Kunst der Naturverjüngung, die noch bis Anfang des 19. Jahr-
hunderts gelang, schwand mit den hohen Waldreinertragsumtrieben und ihren
verangerten, längst nicht mehr empfänglichen Böden dahin. Auf den aus-
gedehnten Kahlschlagkulturen richteten Maikäfer und Rüsselkäfer große
Verheerungen an. In den ausgedehnten reinen und gleichalterigen Stangen-
hölzern hielten Spinner, Spanner und Eule ihren Einzug.
Eine einseitige Auffassung der Aufgaben der Forsteinrichtung und des
ökonomischen Wirtschaftszieles schuf Waldbilder, die ebensowenig der Boden-
pflege, der Erhaltung einer Mehrheit standortsgemäßer Holzarten im gemischten
Wald und einer naturgemäßen Erziehung und Verjüngung der Bestände ent-
sprach, als den Grundsätzen der vorbeugenden Maßnahmen gegen eine Massen-
vermehrung zahlreicher Insekten.
Die vornehmste Aufgabe der Forsteinrichtung ist die Sicherung
eines möglichst naturgemäßen und frei gestalteten Waldbaues im Hinblick auf
das ökonomische Ziel der nachhaltigen Erzeugung wertvollsten Holzzuwachses
im Rahmen eines zeitlich und räumlich w^ohlgeordneten Betriebes. Damit
erfüllt sie zugleich auch am besten die Aufgaben des Forstschutzes, die auf
eine Verhütung größerer Insektenschäden hinauslaufen.
Dann werden die Extreme eines übertriebenen Nadelholzanbaues, der
Zusammenlegung ausgedehnter reiner Bestände gleichen Alters, der Groß-
kahlschlagwirtschaft und forcierten künstlichen Kultur vermieden, die sämtlich
der Entstehung großer Insektenschäden Vorschub leisten.
Die Erhaltung einer Mehrheit von Holzarten im gemischten Wald und
ihre möglichst naturgemäße Verjüngung genügt aber allein noch nicht zur
Schaffung einer sicheren Grundlage für die Verhütung von größeren Insekten-
kalamitäten, vielmehr muß eine sorgsame und planmäßig gehandhabte Be-
standserziehung jene wichtigste Grundlage weiter festigen und erhalten.
Rationelle Durchforstungen, die schon frühzeitig allen gutveranlagten
Stämmen eine kraftvolle Entwicklung sichern, alles kränkelnde, beschädigte
oder sonst anfällige Material beseitigen und damit den Angriffen be-
stimmter Insekten, namentlich der Borken- und Bastkäfer schon erheblich
vorbeugen, lassen Bestände erwachsen, die im übrigen durch ihre kräftigen
Kronen weitaus widerstandsfähiger gegen Nonne, Spinner, Spanner,
Eule, Blattwespen usw. sind, als in drangvoller Enge stammzahlreich
erwachsene Stangenhölzer mit hoch hinaufgeschobenen kleinen
Kronen, die an sich schon kümmerlich entwickelt und der Ernährung des
Die kulturellen Vorbeugungsmaßregeln. 325
Baumes in gesunden Tagen kaum das Notwendigste vermittelnd, bei dem
ersten stärkeren Insektenfraße völlig aufgezehrt und mit einem
Schlage vernichtet werden, so daß die Bestände auf großen Flächen ab-
sterben. Wie viel günstiger stehen kräftig erzogene, zwar weniger stamm-
zahlreiche, aber mit einer wesentlich größeren Kronenmasse ausgerüsteten
Bestände da. Sie werden nicht in dem Maße kahlgefressen, daß schon im
ersten Jahr ihre Erhaltung zweifelhaft erscheint.
Die Nonne bevorzugt zur Eiablage zudem dicht geschlossene Bestände,
zumal undurchforstete Stangenhölzer, zu denen Wind und Sonne wenig Zutritt
haben. Dort sind auch häufig die ersten Fraßherde zu beobachten.
Noch weit freiere Hand hat der Wirtschafter in der Bestandspflege
gemischter Bestände. Die führende Holzart, z. B. Kiefer mit Buche,
Kiefer mit Fichte, kann in lockerer Kronenstellung gehalten werden, das
Mischholz bietet neben dem Boden- und Bestandsschutz reichlichen Ersatz,
die Buchen, die Fichten schieben sich in das gelockerte Kronendach herauf,
die Hauptholzart — in dem gedachten Beispiel die Kiefer — ist nicht nur an
sich kräftiger entwickelt und widerstandsfähiger, sondern es wird auch bei
einem Nonnenfraß ein erheblicherer Teil der zu Boden kommenden Raupen
auf die Mischhölzer abgelenkt. Bei reichlicherem Buchenunter- und zwischen-
stand ist dessen Stammzahl um ein Vielfaches größer als die Stammzahl des
herrschenden Kiefernbestandes. Die Mehrzahl aller wiederaufbaumenden Raupen
gelangt auf die Buchen oder Fichten. Der Kiefernbestand wird entlastet.
Die Buchen ertragen den Kahlfraß. Mag auch der Fichtenunterstand ver-
nichtet werden, der Hauptbestand der Kiefer ist gerettet.
Ähnlich verhalten sich Mischbestände von Fichte mit Buche. Und wenn
dort selbst ein Teil der Fichten einem Nonnenfraße zum Opfer fällt, dann
bleiben die Buchen erhalten, und wenn sie nur noch einen Schirmbestand
abgeben, in dessen Schutz ein neuer Jungbestand erzogen werden kann.
Auch bei der Holzernte lassen sich manche Vorbeugungsmaßnahmen
unschwer durchführen. Hierher gehört namentlich die rechtzeitige Ent-
rindung der Nadelhölzer, tunlichst schon in Verbindung mit dem Hiebe, um
den Borken- und Bastkäfern das Brutmaterial zu entziehen. Ferner ist es eins
der wirksamsten Vorbeugungsmittel gegen den großen braunen Rüsselkäfer,
wenn, wie dies im norddeutschen Kieferngebiet üblich ist, die Stämme stehend
gerodet und mit dem „Waldteufel" so gefällt werden, daß der ganze
Wurzelstock herausgezogen wird. Endlich gehört die saubere Aufarbeitung
aller Hölzer und ihre tunlichst rasche Abfuhr hierher.
Überblickt man die vielfachen Maßnahmen, die in erster Linie auf dem
Gebiete der Standortspflege und des Waldbaues, in zweiter Linie auf
jenem der Forsteinrichtung und Forstbenutzung liegen, so ist es- nicht
schwer, in dem Gesamtbild als Kernpunkt aller Vorbeugungsmaßnahmen das
Ergebnis zu erkennen, daß in einer wohlgeordneten, den Grundsätzen
eines natürlichen Waldbaues wie den ökonomischen Forderungen
gleichermaßen gerecht werdende, von schablonenhafter Einseitig-
keit sich freihaltenden Wirtschaft zugleich auch die besten Grund-
lagen zur Verhütung größerer Insektenkalamitäten geschaffen sind.
326 Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamiläten.
Nicht überall werden sich in idealer Weise diese Grundlagen vereinigen
lassen. Wo vi^irtschaftliche Fehler in der Zusammensetzung und der Lagerung
der Bestände vorliegen, läßt sich nicht von heute auf morgen Wandel schaffen.
Das Streben muß aber immer wieder in erster Linie auf die Nachzucht
der standortsgemäßen Holzarten, wo irgend angängig in gemischten Beständen,
in Verbindung mit guter Bodenpflege, auf eine rationelle Bestandserziehung und
tunlichst naturgemäße Verjüngung gerichtet sein. Wo der Standort nur eine
Holzart zuläßt, wie namentlich im reinen Kiefern- und Fichtengebiet, ver-
meide man die großen Kahlschläge, trenne die Altersklassen, schaffe eine
genügende Zahl von Anhieben und bekämpfe dauernd die kulturverderbenden
Insekten, namentlich den Rüsselkäfer durch Stockrodung, Fanggräben und
Fangknüppel bezw. -rinden.
Wo die künstliche Kultur, wie wiederum in den meisten reinen
Kiefern- und Fichtengebieten, die Regel bildet und meist wohl noch
lange Zeit bilden wird, sorge man für die Verwendung besterzogener,
kräftiger Pflanzen aus eigenen Kämpen, für sorgsame Kulturausführung,
und meide zu weite Verbände, da bei größerer Pflanzenzahl die Insekten-
schäden sich verteilen. Bei der Kiefer besitzen die Streifenkulturen,
die bodengleich oder etwas erhöht gegraben werden, große Vorzüge, da sie
in den ersten Jahren leicht von einwachsendem Gras, Heide usw. durch Be-
hacken freigehalten, auch sehr viel erfolgreicher mit Bordelaiser Brühe gegen
die Schütte bespritzt werden können. Dadurch werden von vornherein
kräftige Pflanzen erzogen. Zugleich aber wirkt der den nackten Boden in
den Streifen treffende Regenschlag, daß der aufspritzende lockere Boden an
den kleinen Stämmchen der Pflanzen haften bleibt und diese mit „Erd-
höschen" umgibt, die gegen Rüsselkäferfraß erfolgreich schützen. Das Frei-
halten der Pflanzen vom Graswuchs in solchen Streifen wirkt auch vor-
beugend gegen die wurzelbrütenden Hylesinen, deren Imagines besonders in
Lochpflanzungen mit eingelagertem Grasfilz schädlich werden. Auch für die
Fichte wird vielfach, insoweit es sich um Verhältnisse ähnlicher Art handelt,
die Streifenpflanzung neuerdings empfohlen.
In Maikäferfraßgebieten empfiehlt sich die Kultur in durchlaufenden
Streifen weniger, da der Engerling gern den Reihen nachgeht und so leichter
Pflanze für Pflanze auffindet. Hier empfiehlt sich eine häufige Unterbrechung
der Streifen in der Form von hochgegrabenen Stückriefen.
Die größere Pflanzenzahl liegt gleichermaßen im Interesse der kräftigen
Bestandserziehung, da man bei frühzeitigem Eingriff unter einer größeren Zahl
von Stämmen Auslese halten und somit nur wirklich gut veranlagte Bestands-
glieder in Pflege zu nehmen in der Lage ist.
Die Erziehung zuwachsfreudiger, widerstandsfähiger Bestände mit kräftiger
Kronenbildung, die schon von Jugend an etwa ein Drittel der Schaftlänge
umfaßt, in guter räumlicher Verteilung der Altersklassen bildet eine der
wichtigsten Grundlagen der Waldwirtschaft.
Sie ist zugleich auch das wertvollste Vorbeugungsmittel
kultureller Art im Kampfe gegen die Insektenschäden.
Die biologische Bekämpfung. 327
2. Die biologische Bekämpfung.
Die biologisciie Bekämpfung (im weiteren Sinn) schließt alle
jene Maßnahmen in sich, die auf eine Unterstützung der natür-
lichen Feinde der Schädlinge hinauslaufen, also:
a) Schutz und Verwendung der insektenvertilgenden Säugetiere,
b) Schutz und Verwendung von insektenvertilgenden Vögeln,
c) Schutz, Vermehrung und Verbreitung von Parasiten und räuberischen
Arthropoden, und
d) Begünstigung und V^erbreitung von Mykosen und anderen Infektions-
krankheiten.
a) Schutz und Verwendung von insektenvertilgenden Säugern.
Eine direkte Schonung nützlicher Säuger kommt nur in seltenen Fällen
in Anwendung. Wenn der Forstmann darauf sieht, daß Fledermäuse, die
in gefällten, hohlen Bäumen gefunden werden, nicht mutwillig von den Wald-
arbeitern getötet und die betreffenden Bäume im Winter bis zum Frühjahr
unzerstückt liegen gelassen werden, daß ferner der Maulwurf nicht unnötig
weggefangen und der Fuchs nicht übermäßig dezimiert werde, so hat er
seine Pflicht völlig erfüllt. Wie wichtig speziell die Schonung der Fleder-
mäuse ist, geht aus den oberen (S- 225) mitgeteilten Tatsachen über die her-
vorragende Rolle dieser Tiere im Kampfe gegen gewisse Schädlinge ohne
weiteres hervor.
Wir dürfen aber nicht vergessen, daß viele als Insektenvertilger nützliche
Säuger oft aus anderen Gründen verfolgt werden müssen. So wird man den
Maulwurf trotz seiner Feindschaft gegen den Engerling z. B. in Saatkämpen
nicht dulden, ebenso wird das Schwarzwild, das so wesentlich bei der Ver-
tilgung von der in der Bodendecke überwinternden Schädlinge mitwirkt, in
einem fein bewirtschafteten Forste seiner übrigen fo-rstschädlichen Eigen-
schaften halber, dennoch nicht geschont werden können, ganz abgesehen
davon, daß schon die Rücksicht auf die angrenzenden Felder dies häufig
verbietet (N.). -
Dieser letzte Punkt stellt ein sehr lehrreiches Beispiel dar, wie durch
die Kultur notwendigerweise ein für die Erhaltung des Gleichgewichtes sehr
wesentlicher Faktor ausgeschaltet werden mußte. Es ist zweifellos, daß der
Rückgang oder die gänzliche Entfernung des Schwarzwildes ein gut Teil
Schuld an der Vermehrung so mancher schlimmer Schädlinge (wie der
Kieferneule, des Kiefernspanners, der verschiedenen Blattwespen usw.) tragen.
Man sucht denn auch den Ausfall vielerorts dadurch wieder auszugleichen,
daß man die Wildschweine durch Kulturschweine ersetzt, indem man letztere
in die befallenen Bestände eintreibt. Die Erfolge, die damit erzielt wurden,
sind zum Teil recht befriedigende; sie hängen natürlich von verschiedenen
Umständen ab, wie von der Zahl und der Rasse der zur Verfügung stehenden
Schweine (am besten eignen sich die gewöhnlichen noch w^enig veredelten
Landrassen, die noch täglich zur Weide getrieben werden und infolgedessen
die Fähigkeit, in der freien Natur Nahrung zu finden, noch nicht in dem
hohen Maße verlernt haben wie die hochgezüchteten Rassen), — sodann von
328 Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
der Bodenbeschaffenheit (im lockeren Boden werden die Schweine leichtere
Arbeit haben als im Lehm- oder Tonboden), — ferner von der Zeit, die für
den Eintrieb zur Verfügung steht (Blattwespenkokons, die mehrere Jahre
überliegen, stellen natürlich ein günstigeres Obiekt dar als die Eulenpuppen,
die nur während des Winterhalbjahres im Boden sich befinden), ferner von
der Dichtigkeit der Besetzung und der Ausdehnung des befallenen Gebietes
usw. (Ausführlichere Angaben über die Haltung der Schweine und alle beim
Schweineeintrieb zu beachtenden Maßregeln gibt Eckstein in seiner Technik
des Forstschutzes). -
b) Schutz und Verwendung insektenvertilgender Vögel.
Weit wichtiger als der Schutz der Säugetiere ist der Vogelschutz,
wie sich ja schon aus einer einfachen Vergleichung der oben mitgeteilten
Tatsachen über die Bedeutung der Säugetiere und Vögel im Kampf gegen
die Forstschädlinge ohne weiteres ergibt. Auf dem Gebiet des Vogelschutzes
sind in den letzten Jahren große Fortschritte gemacht worden, speziell in
Deutschland, welches in dieser Beziehung gegenwärtig an der Spitze der
Nationen steht. Ist doch Deutschland auch die Heimat des wissenschaftlichen
Vogelschutzes. Denn erst durch die Versuche des Freiherrn v. Berlepsch
auf Seebach ist der Vogelschutz auf eine sichere Grundlage gestellt worden,
die eine Anwendung im großen ermöglichte. In erstaunlich kurzer Zeit haben
sich die v. Berlep sehen Grundsätze die Welt erobert, so daß heute bereits
in den meisten Kulturländern Vogelschutz in der von v. Berlepsch aus-
gearbeiteten Methode getrieben wird. In Deutschland vor allem hat die
Vogelschutzbewegung mächtig an Boden gewonnen und alle Kreise der Be-
völkerung ergriffen. Zahlreiche Vereine sind allenthalben entstanden, die
lediglich der Förderung des Vogelschutzes dienen, in den meisten Bundes-
staaten sind Vogelschutzkommissionen gebildet worden, welche die Aufgabe
haben, den Vogelschutzgedanken möglichst allgemein zu verbreiten und die
nötige Organisation in die Wege zu leiten. Kurz es geschieht von staatlicher
wie von privater Seite alles, was geschehen kann, um den Rückgang der
Vogelwelt, den die Kultur mit sich gebracht hat, möglichst wieder aus-
zugleichen. So erfreulich dieser hohe Enthusiamus ist, so birgt er — wenig-
stens in praktischer Hinsicht — doch auch eine Gefahr in sich: Er kann
nämlich allmählich die Meinung erzeugen, daß der Vogelschutz das Allheil-
mittel gegen alle landwirtschaftlichen und forstlichen Schädlinge darstellt, und
daß man mit Ausübung des Vogelschutzes genug gegen diese Ver
derber getan habe. Man kann auch in der Tat gar nicht so selten
Äußerungen hören, die sich in dieser Richtung bewegen. Es kann dem-
gegenüber nicht oft genug daran erinnert werden, daß dem Vogelschutz
in seiner Wirkung deutliche Grenzen, und zwar mitunter recht
enge, gezogen sind. Die Regulierung der Vermehrungszahl wird eben bei
vielen Schädlingen weit mehr durch andere Faktoren (wie vor allem Parasiten
und Raubinsekten) bewirkt als durch die vertilgende Tätigkeit der Vögel, und
in solchen Fällen kann man die Gleichgewichtserhaltung natürlich auch nicht
von den Vögeln erwarten. Daß von dem Rückgang der Vögel allein (oder
in der Hauptsache) die Zunahme der Schädlinge nicht ohne weiteres ab-
Die biologische Bekämpfung.
329
geleitet werden darf, geht aus der Tatsache hervor, daß doch viele Schäd-
linge (virie z. B. die Nonne) oft jahrzehntelang sich nicht bemerkbar gemacht
haben (und zwar in einer Zeit, wo man noch keinen Vogelschutz trieb), um
dann plötzlich zu einer Massenvermehrung zu gelangen, ohne daß aber in
diesen Zeiten ein auffallender Unterschied in der Zahl der Vögel bemerkt
worden v/äre. Die Tätigkeit der Vögel kommt gewiß bei allen Schädlingen
als einer unter den vielen vermehrungsbeschränkenden Faktoren in Betracht;
doch ist seine Bedeutung bei den verschiedenen Schädlingen sehr ungleich,
wie ja oben des näheren ausgeführt wurde; und dementsprechend werden
wir auch unsere Erwartungen bezügl. der Wirkung des Vogelschutzes je
nach der Art des Schädlings verschieden hoch einzustellen haben.
Der Vogelschutz ist ein eigenes
Gebiet für sich geworden (gibt es« doch
auch besondere Beamte für Vogelschutz),
und verfügt bereits über eine überaus
umfangreiche eigene Literatur. Es kann
daher davon Abstand genommen werden
hier* ausführlich darauf einzugehen, zu-
mal es eine Anzahl ausgezeichneter,
billiger Schriften gibt, die jedermann zu-
gänglich sind, und die die ganze Vogel-
schutzfrage in kurzer bündiger Weise
behandeln (wie vor allem: Hiesemann,
Lösung der Vogelschutzfrage nach Frei-
herrn V. Berlepsch; Hennicke, Vogel-
schutzbuch und das ausführlichere Hand-
buch des Vogelschutzes; Haenel, Unsere
heimischen Vögel und ihr Schutz). Nur
die Hauptgrundsätze des Vogelschutzes
seien hier mit wenigen Worten angeführt.
Der erste und wichtigste Punkt
bei der Ausübung des Vogelschutzes
ist die Schaffung von Nistgelegenheiten; denn ohne geeignete Nist-
plätze ist trotz Vogelschutzgesetze und sonstiger Bemühungen eine gedeihliche
Entwicklung des Vogellebens von vornherein ausgeschlossen. Für den
Forstmann kommt es dabei vor allem auf die Höhlenbrüter an, denn diese
sind es ja in erster Linie, die unter der modernen Forstkultur am meisten
Not leiden, und außerdem befinden sich gerade unter diesen auch die
wichtigsten Vertilger der Forstschädlinge. Und so hat sich die vogel-
schützlerische Tätigkeit des Forstmannes vor allem auf das Aushängen von
Nisthöhlen zu beziehen. Über die Art der zu wählenden Nistkästen dürften
heute wenig Zweifel bestehen, da ja die v. Berlep sehen Nisthöhlen (Fig. 214)
allgemein als die besten und wirksamsten anerkannt sind. Da es sich im
Walde in der Hauptsache um die Heranziehung der Meisen und Stare handelt,
so kommen vor allem die Größen A und B (A- und B- Höhle) in Be-
tracht, während die übrigen Größen und die sog. Halbhöhlen im forstlichen
Vogelschutz in weit geringerem Maße zur Verwendung gelangen. Auch die
Fig 214 ßerlepsche Nisthöhle
Aus Hiesemann.
330
Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
Erhaltung und Vermehrung der Freibrüter wird sich der Forstmann an-
gelegen sein lassen, wenn diese für den Wald auch bei weitem nicht die
Rolle spielen wie die Höhlenbrüter. Er kann in dieser Beziehung schon
manches erreichen, wenn er die dichten Junghölzer während der Monate
April bis Juni sperrt, und wenn er außerdem strenge darauf sieht, daß
Fig. 215. Hessisches Futterhaus. Auf dem unteren Futtertiscb wird nur so lange gefüttert, bis die
Vögel den oberen, eigentlichen Futterplatz gefunden haben. Aus Hiesemaun.
Während der Brutzeit die Holz- und Reisigabfuhr unbedingt ruht (Haenel).
Ferner hat er sein Augenmerk auf die Erhaltung und Anpflanzung von ge-
eigneten Sträuchern aller Art, Hecken, Unterholz usw. zu richten, wobei ev.
durch eine besondere Schnittbehandlung die Nistgelegenheit noch wesentlich
erhöht werden kann. Wo sich die Gelegenheit bietet, eigene Vogelschutz-
gehölze, die durch geschickte Auswahl, Anordnung und Behandlung der
Pflanzen (nach flen v. Berlepschen Vorschriften) zur höchst erreichbaren
Die biologische Bekämpfung.
331
Konzentration von Brutstätten führen, anzulegen, mag diese Gelegenheit er-
griffen und ausgenützt werden. —
Der zweite Punkt bei der Ausübung des Vogelschutzes betrifft die
Winterfütterung, deren Hauptzweck darin besteht, die im Winter bei uns
verbleibenden Vögel über die schlimmste Zeit hinwegzubringen. Es steht
fest, daß in strengen Wintern eine große Anzahl von Vögeln an Nahrungs-
mangel zugrunde gehen; dieser Ausfall, der natürlich auch nicht ohne
Wirkung auf das Insektenleben bleibt,
kann durch eine rationelle Winter-
fütterung wesentlich herabgedrückt
werden. Die Fütterung muß, wenn
sie ihren Zweck erreichen soll, so
eingerichtet werden, daß das Futter
den Vögeln stets unter allen
Witterungsverhältnissen selbst beim
Schroffesten Witterungswechsel, wie
Wirbelschnee, Wind, Regen, Glatteis,
unbedingt, und zwar in bester Be-
schaffenheit zugänglich bleibt, und daß
außerdem nichts davon verloren geht,
sondern das gesamte Futter bis zum
letzten Rest ausschließlich den Vögeln
zugute kommt. Diesen Bedingungen
entspricht am besten das sog. „hessi-
sche Futterhaus", das man sich
event. selbst herstellen kann (Fig.
215). Empfehlenswert ist außerdem
noch die automatische Futter-
glocke (Fig. 216), die völlig mäuse-
sicher ist, und die Bruhnsche Meisen-
dose mit dem Futtertrog Antispatz.
Ais dritter Punkt kann die
Schaffung von Tränken und Bade-
gelegenheiten genannt werden.
„Einige Vogelarten sind zwar in ihren
Ansprüchen an das flüssige Element
so bescheiden, daß sie selbst in den
trockensten Gebieten sich wohl und munter fühlen, wie z. B. die Hauben
meise, die in den dürrsten Föhrenkrüppelbeständen, stundenweit vom offenen
Wasser entfernt, angetroffen wurde. Doch kann nicht bestritten werden, daß
die Anwesenheit von Wasser die Ansiedelung der meisten Vögel wesent-
lich erleichtert". „Die Arbeit des praktischen Vogelschützers in dieser Be-
ziehung wird sich unter normalen Verhältnissen darauf beschränken können,
das von Natur aus schon vorhandene Wasser zu erhalten, d. h. übermäßige
Entwässerung zu verhüten und weiter dafür zu sorgen, daß die vorhandenen
Wasserstellen den kleinen Vögeln auch zugänglich gemacht werden"
(Haenel). In ganz trockenen Gegenden wird man allerdings dazu greifen
Fig. 216. Futterglocke (Längsschnitt), a a Futter-
schale; 6 ZufuhiTohr ; c Futterbehälter; rfd Metall-
gloeke. Aus Hiesemann.
332 Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
müssen, künstliche Wasserstellen (kleine Becken aus Zement u. dgl.) zu schaffen,
die regelmäßig mit frischem Wasser beschickt werden (vgl. Schwangart,
Vogeltränken).
Die letzte aber durchaus nicht unwichtigste Aufgabe des praktischen
Vogelschutzes ist die Niederhaltung der ausgesprochenen Vogel-
feinde. Als solche sind vor allem Hühnerhabicht, Sperber und die ver-
schiedenen Würger zu nennen, sodann Elster und Eichelhäher, ferner Eich-
hörnchen, Iltis, Marder, Wiesel und die wildernde Katze. Im allgemeinen wird
der Forstmann schon aus jagdlichen Gründen dafür sorgen, diese Tiere nicht
allzusehr aufkommen zu lassen und sie nach Kräften abzuschießen. Mit be-
sonderem Nachdruck sollte die Vertilgung der wildernden Katzen betrieben
werden, wozu man sich am besten der sog. Kasten- oder Prügelfallen bedient. —
Nicht zu vergessen ist auch der Sperling, der durch sein wüstes Gebahren
und fortgesetztes Lärmen andere Vögel von den Futter- und Nistplätzen ver-
treiben und den Erfolg der Vogelschutzmaßnahmen wesentlich beeinträchtigen
kann: „Je nach der Abnahme der Sperlinge steigt die Zunahme der anderen
Vögel", sagt mit Recht v. Berlepsch. Daher ist gegen dieses überall
gegenwärtige Gesindel der Kampf mit allen Mitteln aufzunehmen, am besten
im Winter, da sie auf einem mit Futter bestreuten, schneefreien Platz oft
massenweise mit einem Schuß erlegt oder mit einem großen Zugnetz ge-
fangen werden können.
Endlich erfährt die Ausübung des Vogelschutzes durch gesetzliche
Vorschriften eine kräftige Unterstützung. So wurde am 30. Mai 1908 für
das Deutsche Reich ein Vogelschutzgesetz erlassen, das „bis auf
wenige Kleinigkeiten als ganz vorzüglich bezeichnet werden müßte, wenn es
überall mit dem nötigen Nachdruck durchgeführt würde" (Haenel). Außerdem
haben verschiedene Bundesstaaten durch besondere landesgesetzliche Regelung
noch ergänzende Bestimmungen erlassen, von denen wohl die Bayerische Ver-
ordnung vom 5. Mai 1913 am weitesten geht, indem dadurch sämtliche insekten-
fressenden Singvögel während des ganzen Jahres vollkommen geschützt sind.
Außer dem Schutz der Vogelwelt kommt auch noch die direkte Ver-
wendung von zahmem Geflügel zur Vertilgung von Schädlingen in Be-
tracht, und zwar in Form von „Huhn er ein trieb". Haushühner und Puten
sind imstande, große Mengen von Puppen, die in der Bodendecke sich be-
finden, zu vertilgen. Man kann sie daher dazu benützen, bei Spanner-
kalamitäten usw. die befallenen Abteilungen von den Puppen zu reinigen,
indem man mit ihnen in großer Zahl in den verschiedenen Orten herum-
zieht, sie überall so lange haltend, bis sie die Reinigungsarbeit gründlich
vollendet haben. Natürlich müssen ihnen Ställe zur Verfügung gestellt
werden, die des ständigen Ortswechsels halber entweder als Ganzes trans-
portabel sind, oder so konstruiert sind, daß sie leicht abgerissen und wieder
aufgeschlagen werden können. (Näheres darüber siehe bei Eckstein,
Technik des Forstschutzes S. 147 ff.)
c) Schutz und Verwendung von Parasiten, Raubinsekten und anderen
räuberischen Arthropoden.
Während in bezug auf Vogelschutz Deutschland in der ersten Reihe
steht, so befindet es sich in bezug auf die Bekämpfung mittels Parasiten und
Die biologische Bel^ämpfung. 333
Raubinsekten in arger Rückständigkeit. Es mag sein, daß die zu starke Be-
tonung des Vogelschutzes die anderen Bekämpfungsrichtungen etwas in den
Hintergrund drängte; zum größten Teil jedoch dürfte die Ursache der Rück-
ständigkeit darin gelegen sein, daß es bisher an der nötigen Organisation
gefehlt hat. Denn die parasitäre Bekämpfung setzt ein ungemein eingehendes
Studium der Parasiten usw. voraus, welches sehr viel Zeit kostet, i) und ein
größeres Personal von Hilfskräften, die Errichtung von temporären Wald-
laboratorien usw. erfordert. Alles Dinge, die uns gegenwärtig noch fehlen.
Da es aber zweifellos schon in der nächsten Zukunft in dieser Beziehung
besser werden und die parasitäre Bekämpfung auch bei uns eine größere
Rolle spielen wird, so dürfte es angezeigt sein, einen kurzen historischen
Überblick über die bisherigen Meinungen und Erfolge auf diesem Gebiet
zu geben; um so mehr, als es für die zukünftige Forschung von Interesse sein
muß, die bisher vorgeschlagenen und beschrittenen Wege kennen zu lernen.
Die Idee, Parasiten und Raubinsekten im Kampfe gegen Schädlinge zu ver-
wenden, ist schon sehr alt. Sogar schon aus dem 12. Jahrhundert haben wir Nach-
richten darüber. So haben die Chinesen bereits zu jener Zeit Ameisen ge-
sammelt, um sie in ihre Gärten zu verpflanzen und gegen die Schädlinge ihrer
Orangen- und Mandarinenbäume loszulassen. Es ist sogar eine besondere Arbeiter-
klasse, die ,, Ameisensammler", entstanden. Und auch die Javaner benutzen seit
uralter Zeit Ameisen, um die Früchte der Mangrovebäume gegen die Angriffe eines
Rüsselkäfers zu schützen; sie verbinden dabei die einzelnen Bäume durch Taue
u. dgl., um den Ameisen direkte Wege von einem Baum zum anderen darzubieten
und ihnen so einen größeren Wirkungskreis zu verschaffen.
Zu Beginn des vorigen Jahrhunderts machten K i r b y und S p e n c e (Ein-
leitung in die Entomologie. Bd. I. S. 292) auf die nützliche Rolle der Coc-
c i n e 11 i d e n aufmerksam und sprachen zugleich auch den Gedanken aus, die-
selben künstlich zu vermehren. Ich führe die Stelle wörtlich an, da hier wohl die
erste Äußerung nach dieser Richtung hin von wissenschaftlicher Seite vorliegt:
„Im Jahre 1807 waren die Küste von Brighton und alle Wasserplätze auf der süd-
lichen Küste ganz bedeckt mit Marienkäfern, zum großen Erstaunen der Ein-
wohner, welche nicht wußten, daß diese kleinen Gäste von den benachbarten
Hopfengärten hergewandert waren, wo sie in ihrem Larvenzustand jeder seine
Tausend oder zehnmal Tausend Blattläuse erlegt hatten, welche die Hoffnung des
Hopfenbauers so oft vernichten. Es ist ein Glück, daß in vielen Ländern die Kinder
diese freundlichen Coccinellen in Schutz genommen haben. In Frankreich be-
trachten sie dieselben als der heiligen Jungfrau geweiht und nennen sie Vaches de
Dieu, bete de la Vierge usw., und bei uns sichert ihnen das Mitleid für das harte
Schicksal einer Mutter, deren ,Haus in Flammen steht und deren Kinder verbrennen
wollen', eine milde Behandlung und Freiheit zu. Selbst die Hopfenbauern erkennen
ihre Nützlichkeit, und wie ich erfahre, dingen sie Buben, um Vögel abzuhalten, daß
sie sie nicht zerstören. Wenn wir uns eine Methode erfänden, um
diese Kerfe zu vermehren, so würden wir nicht nur, was
Dr. Darwin vorgeschlagen, unsere Gewächshäuser von Blatt-
läusen säubern, auch unsere Hopfenernte viel sicherer
1) So werden z. B. seit 2 Jahren im hiesigen Institut Studien über die Lebens-
weise der Tachinen gemacht. Diese Zeit reicht aber noch lange nicht hin, die
Lebensweise nur einer einzigen Tachinenart so zu erhellen, daß man zu einem
abgeschlossenen Urteil über ihre eventuelle Verwendbarkeit zur Bekämpfung ge-
langt. Dazu dürften noch weitere 2 Jahre notwendig sein. Schon allein geeignete
Methoden für die Untersuchung ausfindig zu machen, ist ein Studium für sich
(vgl. Prell).
334 Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
machen als jetzt. Selbst ohne diese Kenntnis ist nichts so leicht, wie ich
erfahren habe, eine Pflanze oder einen Baum zu reinigen, als wenn man mehrere
Larven von Coccinellen oder von blattlausfressenden Fliegen, von weniger ge-
schätzten Pflanzen gesammelt, auf dieselben setzt."
In Frankreich versuchte um das Jahr 1840 Prof. Boisgiraud in
Poitiers verschiedene Schädlinge mit Hilfe von Raubinsekten zu bekämpfen, wie
den Schwammspinner mit Calosoma sycophanta, ferner Forficula mit Hilfe von
Staphylinus olens und Carabus auratus usw., worüber von N. J o 1 y in der „Revue
zoologique" 1842 berichtet wurde. Diese Arbeit scheint Aufsehen erregt zu haben;
denn im Jahre 1843 schrieb die „Commissione tecnica della Societä d'incoraggia-
mento d'arti e mestieri di Milano" einen Preis (Goldene Medaille) aus für den-
jenigen, der eine gute Methode fände zur künstlichen Vermehrung der räuberischen
Insekten, die zur Vernichtung der Schädlinge verwendet werden können. Darauf-
hin wurde von Villa eine Arbeit eingereicht („Degli insetti carnivori adoperati
a distruggere le specie dannose all'agricoltura"), die in der Hauptsache den Vor-
schlag enthielt, für Schädlinge, die auf Bäumen leben, kletternde Carabiden, für
Blumenschädlinge Staphyliniden, und für solche Schädlinge, die am Boden
leben, die nicht kletternden Laufkäfer zu verwenden.
Später machte der Franzose Decaux den Vorschlag, bei der Bekämpfung
des Apfelblütenstechers (Anthonomus pomorum) dessen Parasiten mit
zu verwenden. Und zwar in der Weise, daß man die abgeschnittenen Knospen
nicht gleich verbrennen, wie das bisher Gebrauch war, sondern sie in Gazekäfigen
aufbewahren solle, die von Zeit zu Zeit geöffnet werden müssen, um die ent-
schlüpften Parasiten (Ichneumoniden und Braconiden) herauszulassen. Im Jahre
1880 führte er diese Idee in der Praxis aus: er sammelte in der Picardie von
800 Bäumen etwa 1 Million befallene Knospen und behandelte sie in obiger Weise,
wobei er ca. 250 000 Parasiten erhielt, welche im folgenden Jahr das Zerstörungs-
werk kräftig unterstützten. Die gleiche Prozedur wurde noch einmal ausgeführt,
und es gelang dadurch, den Blütenstecher in dem betreffenden Obstgarten völlig
zu unterdrücken.
Ein ähnlicher Gedanke kommt in dem Vorschlag M a r c h a 1 s zum Aus-
druck, die Stoppeln der von der Hessen fliege befallenen Felder nicht zu
verbrennen, da man das Risiko läuft, daß der Schädling bereits ausgeflogen ist und
nur die in den Stoppeln verbleibenden Parasiten vernichtet werden.
Auch in Deutschland hat man sich mehrfach mit der Frage der
Parasitenverwendung beschäftigt, und zwar vor allem von selten der Forst-
entomologie. — Der erste Vorschlag nach dieser Richtung ging wohl von
Hart ig (1827) aus, indem er die Anlage von sog. „R a u p e n z w i n g e r n"
empfahl. „Das Wesentliche dieser Maßregel besteht darin, daß man auf durch
Gräben isolierten Garten- oder Waldorten eine möglichst große Menge von Raupen
vereinigt, in der Hoffnung, daß an solchen künstlich gebotenen Brutstätten
sich die Schlupfwespen alsbald in Menge zusammenfinden, und so stark ver-
mehren würden, daß diese, wenn sie ausflögen, den benachbarten Wald oder
Garten von Raupen säubertien" (N i t s c h e). — Dann hat der Oberforstmeister
V. Bülow-Rieth, ein ganz vorzüglicher Beobachter, dessen Schriften zu lesen
auch heute noch ein Genuß ist, mehrfach auf die praktische Bedeutung der Para-
siten mit Nachdruck hingewiesen. „Die Fliegen und Schlupfwespen
sind die Schutzengel unserer Kienwaldungen!" ruft er in seiner
Schrift über die Nonne aus; und er wirft die Frage auf, „ob es nicht erfolg-
reicher sein möchte, die menschlichen Bemühungen nicht
sowohl auf die unmittelbare Vernichtung des schaden-
bringenden Insekts zu richten als auf die Erhaltung der
Gegenkraft" (d. h. der Parasiten) — ebenso wie der Mensch ja auch zur
Verminderung der Kaninchen Frettchen, und zur Ausrottung der Ratten und
Mäuse Katzen benutzt. „Die Raupenausbreitung ist unbedenklich eine Folge der
örtlich verschwundenen Raupenfeinde; das Verschwinden der letzteren kann nur
Die biologische Bekämpfung. 335
aus eingetretenem Mangel an Entwicklungswerkzeugen erfolgt sein; und hieraus
ergibt sich, daß man ihre Erhaltung bewirkt, wenn man Raupen aussetzt, die aber,
um sie gegen ihre zahllosen Feinde zu schützen, in Häusern erzogen
werden müssen; erste Bedingung ist jedoch, daß dieses in einer ununter-
brochenen Reihenfolge geschieht; denn unterbleibt die Aussetzung ein Jahr, so
sind keine Raupenfeinde dieser Gattung mehr vorhanden, und die Verhältnisse
sind wieder eingetreten, die eine Raupenausbreitung begünstigen." — Es ist er-
staunlich, mit welch klarem Blick dieser praktische Forstmann die verwickelten
Beziehungen zwischen Schädling und Parasit bereits erkannt hat — zu einer Zeit,
da unser Wissen von den Parasiten noch sehr gering war.
Sehr eingehend hat sich ferner unser Altmeister Ratzeburg mit der
Frage der biologischen Bekämpfung beschäftigt. Hat er sich doch mit Vorliebe
dem Studium der Parasiten gewidmet, wovon sein klassisches Werk „Die Ichneu-
monen der Forstinsekten" beredtes Zeugnis ablegt. Bezüglich der Bedeutung der
Parasiten für die Bekämpfung äußert sich Ratzeburg folgendermaßen: „Wir
lassen die liebe Natur ruhig walten und beschränken uns auf das Erhalten der
nützlichen Insekten. Hin und wieder können wir zu dieser Erhaltung wirklich
etwas beitragen. Denn, wenn wir z. B. die jungen, eben ausgekommenen Räup-
chen der Nonne zerstören, so sind wir sicher, daß keine Schmarotzer mit ihnen
zerstört werden, sondern daß diese die der Vertilgung entgehenden aufsuchen und
mit ihnen viel eher fertig werden, als wenn sie es mit dem ganzen Heer zu tun
gehabt hätten. Man hat sich aber nicht mit dem bloßen Schutz der Schmarotzer
begnügen, sondern diese Tiere auch künstlich vermehren wollen. Von den
sinnlosen früheren Vorschlägen, durch ausgelegte Kadaver die Ichneumonen und
Fliegen anzulocken, kann jetzt nicht mehr die Rede sein. Wohl aber muß ich
die jetzt fast allgemein verbreitete Lehre von der künstlichen Erziehung der
Schmarotzer mittels auf Zwingern ausgesetzten Raupen ausführlich durchnehmen,
so wenig ich ihr auch beistimme." Er führt dann eine ganze Reihe von Gründen
an, die gegen die Zwinger-Methode sprechen; vor allem seien die Schwierigkeiten,
die Raupen in dem Zwinger festzuhalten und zu ernähren, sehr große usw.
Ratzeburg war übrigens nicht ganz konsequent in seinen Anschau-
ungen über die Parasiten. So spricht er einerseits die Überzeugung aus, daß die
Schmarotzer nur kranke Insekten befallen, also zur Beendigung einer Kalamität
wenig beitragen können,^) andererseits empfiehlt er Übertragung von Parasiten
aus parasitenreichen in parasitenarme Abteilungen. Er hat die Beobachtung ge-
macht, daß die Schmarotzer häufig in kleinen Horsten auf-
treten, während sie anderwärts fehlen. Man sollte in solchen
Fällen, schlägt Ratzeburg vor, zahlreiche Raupen oder Eier oder Puppen in
jenen Horsten sammeln und in die parasitenfreien Abteilungen überführen. „Im
Jahre 1838 übertraf der Erfolg dieser Operation alle Erwartungen. Die über-
tragenen Raupen suchten die in der Nähe stehenden Kiefern auf, blieben in den
Schäften und Ästen sitzen und ergossen bis zur Mitte des August die kleinen
1) So sagt er an einer Stelle (Forst-Ins. III, S. 24): „Es wird immer mehr
klar, daß man Ursache und Wirkung verwechselt hat. Nicht weil die Ichneu-
monen sich vermehren, hört der Insektenfraß auf, sondern weil der Insektenfraß
sich seinem Ende naht, vermehren sich die Ichneumonen so ungewöhnlich. Bei
einem zu Ende gehenden Fräße werden die Fresser so allgemein von Krankheiten
befallen, daß eben die Ichneumonen dadurch herbeigezogen werden, gleich wie die
Schmarotzer bei Menschen und Tieren durch Krankheit begünstigt werden, woran
jetzt kein Mensch mehr zweifelt." „Der wahre Nutzen der Ichneumonen liegt
meiner Ansicht nach in folgendem: Sie versetzen manchem Insekt, welches noch
in geringem Maße kränkelt und vielleicht noch kümmerliche, jedoch immer noch
fressende Nachkommen gebracht hätte, den Todesstoß; sie räumen zahllose kranke
und sterbende Insekten schnell auf und verhindern, daß deren sich entmischenden
Säfte nicht die Luft mit verpestendem Gestank erfüllen."
336 Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
Ichneumonen in solchen Massen, daß die Kiefern von den Gespinsten derselben
in der Ferne wie weiße Federbüsche aussahen. Diese Gegenden wurden
durch die Nachkommenschaft der übertragenen Schlupf-
wespen vollkommen von Raupen gesäuber t." Wenn man Eier
zur Übertragung von T e 1 e a s überführen will, so empfiehlt er, die Eimassen
mit geteerten Brettern zu umgeben, um das Entkommen der aus den gesunden
Eiern ausschlüpfenden Raupen zu verhindern. Auch kann man, „sobald die
Ichneumonen ausgeflogen sind, den Ort mit trockenem Reisig überdecken und an-
zünden, um alle etwa noch lebenden Räupchen zu verbrennen". Hier vertritt
also Ratzeburg ganz deutlich die Anschauung, daß der
Mensch durch sein Eingreifen die Ausbreitung der Para-
siten und damit auch die Beendigung einer Kalamität recht
wohl beschleunigen könne. Auch bezüglich gewisser Raubinsekten
nimmt er diesen Standpunkt ein, indem er den Vorschlag macht, die so überaus
nützliche rote Waldameise {Formica rufä) durch künstliche Ableger von
alten Haufen zu vermehren.
So kann also Ratzeburg durchaus nicht kurzweg als Gegner der „bio-
logischen Bekämpfung" bezeichnet werden, wie es hin und wieder geschehen ist,
sondern er hat sich, wie die letztgenannten Beispiele zeigen, mehrfach unzweideutig
für die Möglichkeit einer solchen ausgesprochen.
Weit skeptischer äußert sich N i t s c h e zur Parasiten-Frage. Er hält eine
künstliche Vermehrung oder Verbreitung der Parasiten praktisch für „kaum durch-
führbar". Dagegen erscheint es ihm ,, gewiß richtig, etwa angezeigte Vertilgungs-
maßregeln gegen forstschädliche Insekten möglichst derartig einzurichten, daß die
in ihnen enthaltenen Schmarotzer möglichst verschont bleiben". Nur bezüglich der
Vermehrung der Ameisen urteilt er etwas optimistischer und stützt sich dabei auf
eine Angabe von Oberförster Middeldorpf, wonach es diesem gelang (im
pommerschen Revier Pütt) die Ameisenhaufen durch künstliche Ableger, welche
ohne jede Vorbereitung auf dem bloßen Boden ausgeschüttet wurden, zu vermehren.
Allerdings siedelten sich die Ameisen nie genau an der Stelle, wo sie hingeschüttet
worden waren, an, legten aber doch in der Nähe einen neuen Haufen an (M i d d e 1-
dorpf. Die Vertilgung der Kienraupe durch Teerringe. Berlin 1872, S. 33 u. 34).
Während man in allen diesen Fällen nicht viel über die Anregungen oder über
das erste Versuchstadium hinausgekommen ist, blieb es erst den amerika-
nischen Entomologen vorbehalten, die biologische Methode zu
einem brauchbaren System auszuarbeiten und deren An-
wendbarkeit in der großen Praxis darzutun. Es ist kein Zufall,
daß gerade Amerika sich dieser Methode mit besonderem Eifer zuwandte, da doch
der größte Teil der schlimmsten Schädlinge von anderen Ländern dorthin importiert
sind und die zügellose Vermehrung derselben auf dem Fehlen der ihnen zu-
gehörigen Parasiten, die nicht mit importiert wurden, zurückzuführen ist. Hier
lag der Gedanke der parasitären Bekämpfung natürlich besonders nahe, und so
richteten sich die Bestrebungen schon seit mehreren Dezennien darauf, im Heimat-
land der Schädlinge die Parasiten aufzusuchen und sie dem Schädling nachzu-
senden, um die natürlichen Bedingungen, unter denen der letztere in seiner Heimat
lebt, auch in dem neuen Lande einigermaßen wieder herzustellen.
Die Bestrebungen setzten mit einem großen Erfolg ein: Es handelte sich
darum, die Wo 1 1 s c h i 1 d 1 a u s, Icerya Purchasi die um das Jahr 1886 aus
Australien in Californien eingeführt worden war und dort ungeheueren Schaden
in den Orangen- und Zitronen-Pflanzungen anrichtete, zu bekämpfen. Nachdem
man mit technischen Bekämpfungsmitteln längere Zeit ohne durchschlagenden Er-
folg gegen den Fremdling angekämpft, entsandte man den Entomologen K o e b e 1 e
(einen Deutschen) nach Australien, um dort nach den natürlichen Feinden der
Schildlaus zu suchen. Dieser erkannte bald als den Hauptfeind, der die Ver-
mehrung der Icerya in Australien in sehr engen Grenzen hält, den Coccinelliden
Novius cardinalis. Er sandte eine Anzahl davon nach Californien, von denen aber
Die biologische Bekämpfung. 337
nur wenige lebend ankamen, und brachte dann selbst bei seiner Rückkehr noch
ca. 100 Stück lebend mit. Diese wurden an einen mit einem Gasezelt bedeckten
Orangenbaum gesetzt, wo sie sofort über die darauf befindlichen Schildläuse her-
fielen. Sie gediehen bei der reichen Kost ausgezeichnet und vermehrten sich so
schnell, daß ihre Zahl im folgenden Jahr schon über 10 000 Stück betrug und man
daran gehen konnte, dieselben an die Farmer zur Aussetzung zu verteilen. Die
Wirkung dieser Maßregel übertraf alle Erwartungen, denn schon V-j^, Jahr nach der
Einführung hatte die Icerya ihre Schrecken verloren, d. h. sie war auf eine ganz
ungefährliche Zahl herabgedrückt. Die Farmer glaubten vor einem Wunder zu
stehen. Die ausgedehnten Orangenpflanzungen, deren Ertrag gleich Null war, und
deren Bäume mit weißen Krusten bedeckt und bereits als unheilbar aufgegeben
waren, fingen plötzlich an, neues Leben zu zeigen und wieder reiche Früchte zu
tragen. Die Icerya erlangte auch in der Zukunft keine größere Bedeutung mehr
(wenigstens in Kalifornien); denn wenn sie irgendwo wieder in größerer Zahl auf-
tauchte, so wurde sie durch Aussetzen von Novius, der im Staatsinsektarium von
Kalifornien fortwährend in großen Mengen gezüchtet und bereit gehalten und
jedem Farmer bei Bedarf unentgeltlich zur Verfügung gestellt wird, in kurzer
Zeit wieder hinuntergedrückt.
Dieser unzweideutige große Erfolg, der um die neunziger Jahre des vorigen
Jahrhunderts sich abspielte, machte natürlich einen tiefen Eindruck und löste bei
den Farmern Amerikas, die ja alle stark unter Insekten zu leiden haben, einen
beispiellosen Enthusiasmus aus. Man glaubte nun, auf die gleiche einfache und
billige Weise sich aller lästigen Insekten entledigen zu können, was als unaus-
bleibliche Folge eine bittere Enttäuschung nach sich ziehen mußte. In der ersten
freudigen Aufregung ging man wenig kritisch vor; man glaubte, es genüge die
bloße Einführung eines Feindes, um jeden Schädling damit bekämpfen zu können.
Gab man sich doch sogar der Hoffnung hin, mit Einführung unseres Clerus
formicarius die in den amerikanischen Wäldern so schrecklich wütenden Borken-
käfer bekämpfen zu können und entsandte zu diesem Zwecke einen Entomologen
(Hopkins) nach Deutschland, um den Clerus in größeren Mengen zu sammeln
und nach Amerika zu bringen!
Eine Reihe von Mißerfolgen, die nach der Lage der Dinge nicht ausbleiben
konnten und unbedingt vorauszusehen waren, brachte die Begeisterung bald auf
das richtige Maß zurück. Man ging nun in der Folgezeit etwas kritischer und
mit wissenschaftlichem Ernste vor, und hat dann auch wieder eine Reihe schöner
Erfolge erzielt. So ist es K o e b e 1 e gelungen, verschiedene schlimme Zucker-
rohrschädlinge auf Hawai (vor allem eine Zikade {Perkinsiella) durch Parasiten-
einfuhr wesentlich zurückzudrängen; des weiteren hat man die Ölbaumschildlaus
(Lecanium oleae) durch Einfuhr einer kleinen Schlupfwespe {Scutellista cyaneä)
erfolgreich bekämpft. Man hat auch sogar bereits begonnen, durch Ausführung
amerikanischer Parasiten anderen Ländern zu Hilfe zu kommen. Der neueste
Erfolg in dieser Beziehung ist die wirksame Bekämpfung der in Italien und Süd-
tirol so schädlich auftretenden Maulbeerschildlaus, die mit der aus Amerika
stammenden kleinen Schlupfwespe Prospaltella Berlesei How. in ihrer Vermehrung
wesentlich reduziert werden konnte.
Eine besondere Art der parasitären Bekämpfung hat man gegen den Baum-
wollkapselkäfer, einen Rüßler aus der Gattung Anthonomus, versucht, indem man
sich nicht auf die dem genannten Käfer eigentümlichen Parasiten beschränkte,
sondern auch die bei verwandten Rüsselkäfern vorkommen-
den Parasiten heranzuziehen suchte. Eine ganze Reihe ver-
wandter Rüßler lebt auf verschiedenen Unkräutern, und so ließ man diese Kräuter
stehen (oder pflanzte sie sogar eigens an), aber nur so lange, bis die Parasiten
der darauf lebenden Käfer ausgeflogen waren. Dann entfernte man die betreffenden
Pflanzen, so daß die meist streng monophagen Käfer zugrunde gingen, während
ein Teil der Parasiten, durch die Not gezwungen, auf den überall in Massen vor-
handenen verwandten Baumwollkäfer über flogen. Und so konnte durch die
Esche rieh, Forstinsekten. 22
338 Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
künstliche Herbeiführung von sog. „biologischen Krisen" die Zahl der
auf dem Baumwollschädling schmarotzenden Nützlinge wesentlich vermehrt
werden.
Alle bisher geschilderten Versuche von parasitärer Bekämpfung werden
— wenigstens was Größe und Kühnheit des Feldzuges betrifft — weit übertroffen
von dem gegenwärtig unter der Leitung L. O. Howards, des genialen Organi-
sators der amerikanischen angewandten Entomologie, geführten Kampfes
gegen den Schwamm Spinner, auf den heute die Blicke aller angewandten
Entomologen der Welt gerichtet sind. — Wie schon erwähnt, ist der Schwamm-
spinner durch Unvorsichtigkeit im Jahre 1868 in wenigen Exemplaren im Staate
Massachusetts eingeführt worden und hat sich, da seine natürlichen Feinde fehlten,
derart vermehren können, daß er heute über die ganzen Neuenglandstaaten ver-
breitet ist und zu den schlimmsten Insektenkalamitäten, die die Geschichte kennt,
herangewachsen ist. Nachdem die Vermehrung einmal eine gewisse Ausdehnung
erlangt hatte, war es jedermann klar, daß mit technischen Bekämpfungsmethoden
allein nichts mehr auszurichten war, und daß der einzige noch gangbare Weg darin
bestehen konnte, durch Zufuhr der natürlichen Feinde ähnliche
Verhältnisse zu schaffen wie in der Heimat des Schwammspinners,
wo dieser ja durchaus nicht zu den schlimmsten Schädlingen gehört. Bei der Aus-
führung des Unternehmens ließ man sich von folgenden Grundsätzen leiten:
1. Da die Niederhaltung eines Schädlings nicht durch einen, sondern
durch eine ganze Reihe von Parasiten und Räubern bewirkt wird, so sollte da-
nach gestrebt werden, möglichst alle Parasiten, also die ganze
„Parasitenreihe" des betreffenden Schädlings, einzuführen.
2. Da der Schwammspinner ein sehr großes Verbreitungsgebiet hat und in
den verschiedenen Gegenden von verschiedenen Arten von Parasiten heimgesucht
wird, so sollte man sich womöglich die Parasiten aus den verschie-
densten Gegenden einführen, um dadurch noch mehr als eine
normale „Parasitenreihe" zu erreichen und damit die Parasiten-
wirkung noch über das europäische Durchschnittsmaß zu erheben.
3. Da die Parasitenwirkung im Heimatlande durch Hyperparasiten wesent-
lich beeinträchtigt wird, so sollte man darauf achten, daß bei dem Import
der Parasiten die Hyperparasiten möglichst ausgeschaltet
werden.
So gedachte man zu einer energischen Parasitenwirkung zu gelangen, die
diejenige in Europa zum mindesten erreichen, wenn nicht sogar übertreffen konnte.
Die Grundsätze zeugen jedenfalls von einem weiten biologischen Blick Howards;
ihrer Verwirklichung stellten sich aber sehr große Hindernisse entgegen, so daß
es amerikanischer Zähigkeit bedurfte, um sich nicht vom Ziele abdrängen zu lassen.
Vor allem stellte sich bald heraus, daß die Kenntnisse über die Biologie der
Parasiten des Schwammspinners ganz unzureichend und unzuverlässig waren;
daher mußte zunächst das Studium der Parasiten ganz von vorne angefangen
werden, um eine wissenschaftliche Basis zu erhalten. Das bedeutete aber eine
enorme Arbeit, und wenn dieselbe in einer verhältnismäßig kurzen Zeit (begonnen
wurden diese Studien 1905), zum Teil wenigstens, erledigt worden ist, so konnte
dies nur dadurch geschehen, daß man durch Heranziehung einer großen
Anzahl wissenschaftlicher Arbeiter — zeitweise waren nicht weniger
als 40 Entomologen in der eigens dafür errichteten Parasitenstation in Melrose
Highlands Mass. beschäftigt! — die weitgehendste Arbeitsteilung durchführen
konnte, so daß für jede einzelne Parasitenart mindestens je 1,
meistens aber mehrere Bearbeiter vorhanden waren. Durch
diese gründliche Forscherarbeit wurden der europäischen und speziell der deut-
schen Forstentomologie unschätzbare Dienste geleistet, in-
dem dadurch die Lebensweise vieler wichtigen, unserem Faunengebiet angehörigen
Parasiten und Raubinsekten (wie Tachinen, Calosoma, Ichneumoniden) wesentlich
erhellt wurde.
Die biologische Bekämpfung. 339
Außerdem wurden bei diesen Untersuchungen Methoden ausgearbeitet, die
für die weiteren Parasitenstudien von größtem Wert sind.
Von prinzipieller Wichtigkeit für die Zukunft der biologischen Bekämpfung
ist vor allem die Art, wie die Ansiedelung der importierten Nütz-
1 i n g e betrieben wurde. Nachdem man erkannt hatte, daß es in den meisten Fällen
nicht (wie bei dem obengenannten Novius) genügte, einfach einige Exemplare aus-
zusetzen, sondern eine große Zahl von Individuen (wenigstens 1000) zu einer erfolg-
reichen Ansiedelung notwendig ist, ging man daran, die betreffenden N ü t z 1 i n g e
im großen — gewissermaßen fabrikmäßig — zu züchten, um
ein hinreichendes Material in die Hand zu bekommen. Diese Zuchten sind zum
Teil recht gut geglückt und haben das Ansiedelungswerk wesentlich erleichtert. —
Ist es doch z. B. gelungen von 11 Exemplaren des Eiparasiten Schedins
Kttwanne in 1 Jahr über 2 Millionen Individuen zu erziehen, in-
dem auch im Winter durch Zucht im Warmhaus die Generationsfolge ohne Unter-
brechung aufrecht erhalten wurde. Auch die Zucht des eine relativ geringe Ver-
mehrungsziffer aufweisenden Calosoma sycophanta lieferte gute Resultate, so daß
bis zum Jahr 1911 bereits über 20000 Exemplare ausgesetzt werden konnten. Über
die dabei zur Verwendung gekommenen Zuchtgeräte usw., die zum Teil sehr nach-
ahmenswert sind, wird im folgenden Kapitel noch einiges berichtet werden.
So bedeutet der gigantische Kampf, den die Amerikaner
gegen den Schwammspinner führen, auch für die deutsche
Forstentomologie einen gewaltigen Fortschritt, ja ich
möchte fast sagen, den bedeutungsvollsten Fortschritt, den
unsere f o r s t e n t o m o 1 o g i s c h e Wissenschaft in dem letzten
Dezennium zu verzeichnen hat. Es ist deshalb durchaus not-
wendig, daß der deutsche Forstentomologe Kenntnis von
diesem Kampf hat und die entsprechenden Lehren daraus
zieht.
Was die praktischen Erfolge des bisherigen Kampfes be-
trifft, so ist die Zeit noch viel zu kurz, um ein definitives Urteil darüber fällen zu
können, es wird vielleicht noch ein Dezennium darüber hingehen, bis man etwas
klarer sieht. Immerhin sind schon eine Reihe befriedigender posi-
tiver Erfolge zu verzeichnen, insofern, als bereits eine Anzahl der
importierten Parasiten und Raubinsekten i) sich gut eingebürgert haben und von
Jahr zu Jahr sich weiter verbreiten und stärker vermehren, so daß also schon ein
gewisses Gegengewicht gegen die Schwammspinnervermehrung vorhanden ist,
wenn dasselbe vorläufig auch noch viel zu gering ist. — Mag der definitive Erfolg
ausfallen, wie er will, immer wird dieses Werk, das an Kühnheit und Großzügigkeit
einzig dasteht, ein Ruhmesblatt in der Geschichte der angewandten Entomologie
darstellen. Schon wegen der zahlreichen, wichtigen biologischen Entdeckungen
und der neuen Versuchsmethoden, die es gezeitigt, sodann aber auch, weil es uns,
wie kaum ein zweites Werk, einen tiefen Einblick verschafft hat in das Wirken
der für die Erhaltung des Gleichgewichtes so bedeutungsvollen Parasiten und
Raubinsekten. —
Wir haben in diesem kurzen historischen Überblick eine Reihe von
Fällen dargestellt, in denen die parasitäre Bekämpfung angewandt wurde
und teilweise unzweifelhafte Erfolge gezeitigt hat. Daraus geht jedenfalls
so viel hervor, daß es durchaus keine Utopie, sondern daß es tatsächlich
möglich ist, durch Schonung, Zufuhr und künstliche Vermehrung
1) Zu den gut eingebürgerten Arten gehören die beiden Eiparasiten Anastatus
bifasciatus Fonsk. und Schedius Kuwanae How., verschiedene Tachinen, der
Puppenpai-asit Monodontomerus aereiis Walk, und der Puppenräuber Calo-
soma sycophanta L. — Ausführlicheres darüber ist zu finden in Escherich,
Die angewandte Entomologie in den Vereinigten Staaten.
340 Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
von Parasiten und Raubinsekten, Schädlingskalamitäten wirksam
zu bekämpfen. Daraus hat des weiteren die Wissenschaft die Pflicht abzu-
leiten, mit aller Gründlichkeit sich dieser Methode anzunehmen, und zu unter-
suchen, inwieweit dieselbe gegen die verschiedenen Schädlinge mit Erfolg
anzuwenden ist. Denn solange die Wissenschaft nicht alle überhaupt in Be-
tracht kommenden Möglichkeiten geprüft hat, solange hat sie ihre Pflicht
nicht getan.
Wenn wir diesen Weg betreten wollen — und es ist die höchste Zeit,
daß wir ihn betreten, — so werden wir dabei folgende Gesichtspunkte im
Auge zu behalten haben:
1. Zunächst sind unsere diesbezüglichen Bestrebungen auf solche
Schädlinge zu richten, bei denen ein Erfolg der parasitären Be-
kämpfung nicht a priori ausgeschlossen oder wenigstens höchst
unwahrscheinlich ist.
Eine Bekämpfung mit Parasiten wird meist nur da Erfolg haben, w o
das Übel auf Parasitenmangel zurückzuführen ist. Das ist
aber durchaus nicht bei allen Kalamitäten der Fall. Es gibt eine ganze Reihe
von Insektenkatastrophen, die in anderen Ursachen begründet sind; so hängt
z. B. die Borkenkäfervermehrung weit weniger von der Abnahme der Para-
siten und Räuber als vielmehr von der Zunahme des Brutmaterials ab. Was
würde es in diesem Falle nützen, Clerus formicarius und die verschiedenen
Schlupfwespen heranzuziehen, wenn man nicht gleichzeitig dafür sorgt, daß die
vertrocknenden Bäume entfernt werden. Oder nehmen wir die Phylloxera, die in
den Weinländern Europas so unendliche Verluste verursacht. Es dürfte schwerlich
gelingen, ihr mit natürlichen Feinden zu begegnen. Denn es ist weniger der
Mangel an solchen, welcher diesen amerikanischen Eindringling zu einer so furcht-
baren Plage in Europa macht, als vielmehr die geringere Widerstandsfähigkeit
unserer Reben gegen die Angriffe der Laus. Solche Beispiele ließen sich noch
um vieles vermehren.
2. Sodann sind unter den der biologischen Bekämpfung a [priori zu-
gänglichen Schädlingen zuerst diejenigen in Angriff zu nehmen, bei
denen die technische Bekämpfung versagt oder bei unverhältnis-
mäßig hohen Kosten nur zweifelhafte Erfolge erzielt werden.
Hierher kann man z. B. die Kieferneule oder den Kiefernspanner und auch
die Nonne zählen, ferner die verschiedenen forstlichen Blattwespen usw.
3. Man sollte nicht eher an die praktische Verwendung der Parasiten
denken, bevor nicht deren Lebensgeschichte in allen Einzelheiten
wissenschaftlich erforscht und deren Wirkungsweise auf den
Schädling genau festgestellt ist. Dieser Grundsatz stellt das Axiom
der parasitären Bekämpfung dar, das unter allen Umständen befolgt
werden muß, wenn man zu Erfolgen gelangen will.
Da nun in dieser Beziehung unsere Kenntnisse selbst über die alltäglichsten
und wichtigsten Parasiten und Raubinsekten unserer forstlichen Schädlinge noch
kaum im Anfangsstadium stehen, so hat die forstentomologische Wissenschaft
noch eine gewaltige Aufgabe zu erledigen, wenn sie dieser Forderung genügen
soll. Gehören doch die Parasiten an und für sich zu den am schwierigsten zu er-
forschenden Tieren, deren Studium hohe Anforderungen an Zeit, Scharfsinn,
technische Geschicklichkeit, Geduld usw. stellt. Es kommt auch nicht bloß darauf
an, die Vermehrungsziffer und die Entwicklungsweise der einzelnen Stadien zu
erforschen, es muß auch die Abhängigkeit des Parasiten von den äußeren Faktoren,
ferner seine Verbreitung und Verteilung über das Verbreitungsgebiet des Schäd-
Die biologische Bekämpfung. 341
lings festgestellt werden, es muß untersucht werden, inwieweit er selbst wieder
unter Parasiten und Raubinsekten zu leiden hat, sodann ob er auch auf andere
Schädlinge geht, ob er Zwischenwirte bedarf und viele andere Punkte mehr.
Um alle diese Fragen in absehbarer Zeit erledigen zu können, ist eine Ver-
mehrung des wissenschaftlichen Hilfspersonals an unseren
forstentomologischen Instituten ein dringendes Erforder-
nis, um so mehr als in vielen Fällen ein längerer Aufenthalt draußen in den
Schädlingsgebieten notwendig sein dürfte. Des weiteren wird erforderlich sein,
daß die Praxis nicht allzuschnell greifbare Erfolge haben will, sondern daß sie
der Wissenschaft Zeit läßt, ihre Aufgabe ungestört und in
Ruhe zu erledigen. Man möge sich doch allmählich daran gewöhnen, die
angewandte Entomologie mit dem gleichen Maße zu messen wie die anderen natur-
wissenschaftlichen Disziplinen und die Heilwissenschaften.
4. Was die praktische Ausübung der parasitären Bekämpfung betrifft,
so sind verschiedene Wege möglich:
Der nächstliegende Weg besteht darin, den vorhandenen Parasiten
und Raubinsekten den weitgehendsten Schutz zu gewähren, — z. B.
in der Weise, daß man den in der Bodenstreu sich verpuppenden Parasiten
nicht durch Streuentnahme die Verpuppungsniöglichkeit nimmt, oder dadurch
daf5 man bei Parasiten, die auf Zwischenwirte angewiesen sind, darauf achtet,
daß die Nahrungspflanze des Zwischenwirtes erhalten bleibt; oder dadurch,
daß man Raubinsekten, die in Fanggräben und andere Fangapparate geraten,
wieder in die Freiheit setzt usw. Ferner ist darauf zu sehen, daß die Haufen
der roten Waldameise möglichst wenig gestört werden und vor allem das
Sammeln der Puppen völlig unterbleibt (dafür existieren ja auch gesetzliche
Bestimmungen). Wo Schädlingsraupen zu einem gewissen Prozentsatz (dessen
Höhe sich nach der Vermehrungsgröße des betr. Parasiten zu richten hat)
mit Parasiten besetzt sind, hat die Tötung der Raupen event. zu unterbleiben,
um die ansteigende Parasitenvermehrung nicht aufzuhalten. Wo es sich
um vollgeleimte Bestände handelt, kann diese Maßnahme ohne Bedenken aus-
geführt werden, da ja der ganze Wald durch die Leimung gewissermaßen
in einen großen Zwinger verwandelt ist; man hat nur darauf zu sehen, daß
die über dem Leimring sitzenden Raupen abgekehrt werden. Eventuell
kann man auch zu dem Mittel greifen, daß man die Raupen oder Puppen
des Schädlings in Käfige, die im Walde errichtet werden, zusammensperrt,
aus denen wohl die Parasiten, nicht aber die Schmetterlinge entweichen
können. Alle die hier genannten Maßnahmen sind übrigens schon stets mehr
oder weniger geübt worden; so ist das Entfernen des Puppenräubers aus
Käfergräben eine jedem Praktiker geläufige Sache, ebenso ist vom Töten der
Nonnenraupen bei stärkerem Tachinenbefall vielerorts Abstand genommen
und auch das Errichten von Raupenzwingern im Walde zum Zweck des
Parasitenschutzes ist bei Nonnenkalamitäten schon mehrfach versucht worden.
Ein anderer Weg der parasitären Bekämpfung besteht in der direkten
Zufuhr von Parasiten und Raubinsekten in das befallene Gebiet. In
welcher Weise dieselbe geschehen kann, dafür finden sich in der obigen
historischen Übersicht eine Reihe von Beispielen. Es sei hier auf die haupt-
sächlichsten Möglichkeiten kurz hingewiesen.
Wo das Vorkommen eines Parasiten auf engbegrenzte Lokalitäten
(Horste) beschränkt ist, empfiehlt es sich. Raupen oder Eier oder Puppen des
342 Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
Schädlings (je nach der Parasitenart) in jenen Horsten zu sammeln und in
die parasitenfreien Abteilungen überzuführen. (Dabei ist durch geeignete
Vorkehrungen zu verhindern, daß die miteingeführten nicht parasitierten
Raupen usw. nicht entkommen können [siehe S. 336].)
Desgleichen kann, was schon von Ratzeburg vorgeschlagen und auch
bereits mehrfach ausgeführt wurde, versucht werden, der so überaus wirk-
samen roten Waldameise {Formica rufa), deren Haufen ja in ihrem Vor-
kommen meist ziemlich vereinzelt anzutreffen sind, eine allgemeinere Ver-
breitung zu geben, indem man einen Haufen in mehrere kleinere Haufen
teilt und dieselben in den verschiedenen Arten des Revieres anzusiedeln
sucht. Man muß bei dieser Staatenzertrümmerung resp. künstlichen Koloni-
sation darauf achten, daß in jeder Abteilung genügend Arbeiter und Brut
vorhanden sind, damit die neuen Kolonien auch lebensfähig sind und sich
entwickeln können.
Eine weitere Möglichkeit der Räuber- oder Parasitenzufuhr ist dann ge-
geben, wenn ein Schädling in verschiedenen Gegenden eines Landes zeitlich
verschieden auftritt, in der Weise, daß die Kalamität hier erst im Beginne, dort
aber bereits im Erlöschen begriffen ist, was z. B. bei den großen Nonnen-
perioden nicht selten eintritt. Man kann in solchen Fällen von dort, wo die
Kalamität im Erlöschen begriffen ist oder noch besser, wo sie eben erloschen
ist, und wo gewöhnlich Parasitenreichtum herrscht, Parasiten in großen
Mengen beziehen, um sie an die Orte der beginnenden Kalamität zu schaffen.
So konnte man, um ein konkretes Beispiel zu erwähnen, während der letzten
großen Nonnenkalamität lesen, daß im Hannoverschen ein größerer Nonnen-
kahlfraß stattgefunden hat, trotzdem eine ungeheure Menge von Tachinen
vorhanden war, während gleichzeitig von anderen Orten gemeldet wurde,
daß die Nonne am Beginne einer Vermehrung zu stehen scheine. In einem
solchen Falle stünde nun gar nichts im Wege, in dem kahlgefressenen, für
den Abtrieb bestimmten Revier im zeitigen Frühjahr den Boden gründlich
nach Tachinentönnchen absuchen zu lassen und diese in das im ersten Be-
ginne einer Kalamität stehende Revier zu bringen; es würde dadurch in dem
letzteren gleich von Anfang an ein günstiges Verhältnis zwischen Tachinen
und Raupen geschaffen, was sicherlich njcht ohne Einfluß auf die Nonnen-
vermehrung bleiben würde, ja vielleicht zu einer direkten Koupierung der
Vermehrung führen könnte.
Wo es sich ferner um Schädlinge mit einer großen geographischen
Verbreitung handelt, sind die Parasitenverhältnisse vielfach verschieden, in-
sofern als in dem einen Teil des Verbreitungsgebietes z. B. eine andere
Tachinenart vorkommt als in dem anderen. Hier könnte nun versucht
werden, die Parasitenreihen der verschiedenen geographischen
Bezirke zu vereinigen und dadurch eine weit stärkere Parasiten Wirkung zu
erreichen. Es müßte besonderes Augenmerk auf solche Länder gerichtet
werden, in denen der betr. Schädling wenig zur Übervermehrung neigt, da
anzunehmen ist, daß hier möglicherweise bessere, wirksamere Parasiten den
Schädling in seiner Vermehrung bedrängen. Daß die verschiedenen Parasiten,
selbst solche, die sich sj^stematisch nahe stehen, große Unterschiede in der
Die biologische Bekämpfung.
343
Wirksamkeit aufweisen können, geht aus den im hiesigen Institut gemachten
Untersuchungen Prelis über die Nonnen- und Eulentachine, Parasetigena
segregata und Panzeria rudis hervor, von denen die erstere schlechter
an den Parasitismus angepaßt ist als die letztere und infolgedessen auch nur
eine geringere Wirksamkeit entfalten kann.
Dieser letztgenannte Umstand legt ferner den Gedanken nahe, zu ver-
suchen, besonders gut wirkende Parasiten von einem Wirt auf
einen anderen zu gewöhnen. Nehmen wir z. B. an, irgend ein Spinner
habe eine ausgezeichnet arbeitende Tachine, so wäre zu erproben, ob diese
Tachine nicht dahin zu bringen wäre, auch an einen anderen verwandten,
Fig. 217. Fabrikmäßige Zucht \ uu Eipaiasiten zur Bekämijfuug des Schwammspinners in Amerika.
(Aus Escherich.)
als schlimmer Schädling auftretenden Spinner (z. B. Nonne) zu gehen. Auch
in dieser Beziehung verweise ich auf die Arbeiten Prelis, der bereits den
Anfang dazu gemacht hat. Er versuchte die so sehr wirksame Eulentachine
auf die Nonne überzuführen, wobei der Anfang auch gelang: die kleinen auf
den Nadeln lauernden Tachinenlarven bohrten sich (allerdings nur, wenn sie
eine Zeitlang gehungert hatten) in die vorbeilaufenden Nonnenraupen ebenso ein,
wie in die Eulenraupen, doch starben sie meist vor der ersten Häutung in der
Nonne ab, wahrscheinlich weil ihnen die Zusammensetzung des Nonnenblutes
nicht zusagte. Es heißt nun, mit anderen ebenso brauchbaren Tachinen und
anderen Schädlingen weitere Versuche in dieser Richtung zu machen. Das
Prell sehe Experiment hat wenigstens das eine ermutigende Ergebnis gezeitigt,
daß eine für monophag geltende Tachine unter Umständen dazu zu bringen
ist, auch fremde Raupen anzunehmen (vgl. hierzu auch das über die para-
sitäre Bekämpfung des Baumwollkapselkäfers durch Herbeiführung von
„biologischen Krisen" Gesagte, siehe S. 338).
344 Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
Endlich wäre noch die künstliche („fabrikmäßige") Parasiten-
zucht in besonderen Zuchtanstalten zu bedenken, die uns in den Stand
setzen würde, stets ein Heer der wichtigsten Parasiten und Räuber zur Ver-
fügung zu haben, um sie gleich beim Beginne einer Kalamität gegen den
noch schwachen Feind aussenden zu können. Daß solche Zuchten möglich
sind, haben die Amerikaner bewiesen (Fig. 217); sie haben uns auch die Wege
gezeigt, auf denen dieselben am besten anzustellen sind. Neben den
Tachinen und Schlupfwespen kämen als besonders geeignete Objekte die
Coccinellen und sodann vielleicht auch die Spinnen in Betracht, deren Zucht
und Ansiedlung am wenigsten Schwierigkeiten bereiten dürften (vgl.
Schwangart, Über die Traubenwickler usw.).
Damit sind wohl die wichtigsten Richtungen angegeben, die fürs erste
bei der praktischen Ausführung der parasitären Bekämpfung in Betracht zu
ziehen sind. Zweifellos werden sich noch eine ganze Reihe anderer Möglich-
keiten ergeben, sobald man erst einmal begonnen hat, das Problem systematisch
zu bearbeiten.
d) Verbreitung von Mykosen und anderen Infektionskrankheiten.
Über die Bekämpfung mittels Mykosen und anderen Infektionskrankheiten
gilt annähernd dasselbe, was soeben über die parasitäre Bekämpfung gesagt
wurde, d. h. daß wir auch in dieser Beziehung noch ganz am Anfang unserer
Erkenntnis stehen. Es wurden zwar, da die Wirkung der epidemisch auf-
tretenden, akuten Krankheiten, die plötzlich ungezählte Mengen von Schäd-
lingen dahinraffen, viel augenfälliger und drastischer sich kund tut als die
Wirkung der Parasiten, der Verbreitung solcher Raupenseuchen usw. im all-
gemeinen schon etwas mehr Interesse entgegengebracht als der künstlichen
Verbreitung der Parasiten. Doch meistens erlahmte das Interesse gewöhnlich
schnell wieder, sobald die angestellten Versuche mit einem Mißerfolg endeten.
Was zunächst die künstliche Verbreitung von Mykosen betrifft,
so wurde schon oben (S. 284 — 289) bei der Besprechung der insekten-
tötenden Pilze das Wichtigste gesagt. Den dortigen Angaben ist ja im all-
gemeinen nicht sehr viel erfreuliches zu entnehmen, wenn auch in einigen
Fällen unzweifelhafte Erfolge zu verzeichnen waren. Gewöhnlich erzielte man
wohl im Laboratorium sehr gute Infektionserfolge, während sie draußen im
großen mehr oder weniger versagten; so erging es mit der Nonnen-
bekämpfung vermittelst Botrytis Bassiana, so erging es mit der Maikäfer-
bekämpfung vermittelst Botrytis tenella^ so erging es mit der Heuschrecken-
bekämpfung vermittelst Sporotrichum, und so erging es mit der Verwendung
verschiedener Isarien usw. Als Hauptgrund für die Mißerfolge im großen
wird gewöhnlich der Umstand angeführt, daß das Gedeihen der Pilze von
verschiedenen äußeren Bedingungen (wie Feuchtigkeit, geschwächte Wider-
standsfähigkeit der Raupen usw.) abhängig sei, und daß es eben außerhalb
der menschlichen Machtsphäre liege, solche Bedingungen künstlich zu schaffen.^)
Wir sollten uns aber bei derartigen Überlegungen keineswegs beruhigen;
1) Vergl. dagegen Schwangart, der durch besondere Kultur-
methoden („Anhäufelung") die Vermehrung vorhandener pathogener Pilze er-
strebte und auch erreichte.
Die biologische Bekämpfung. 345
denn einerseits werden sich vielleicht Pilzarten finden lassen, die weniger
anspruchsvoll sind, und sodann werden auch die Insekten gewisse Perioden
in ihrem Leben haben, in denen sie hinfälliger sind und infolgedessen ge-
eigneter für eine Pilzinfektion; außerdem dürften sich auch die verschiedenen
Insektenarten an und für sich verschieden empfänglich gegen die Pilze ver-
halten (so erfahren wir z. B. durch Schwangart, daß solche Insekten, die
normalerweise unterirdisch leben, der Verpilzung weniger ausgesetzt sind
als die an der Luft lebenden Insekten). Jedenfalls ist durchaus kein Grund
vorhanden, jetzt schon die Flinte ins Korn zu werfen. Wir schließen
uns vielmehr in dieser Beziehung voll den Ausführungen des berühmten
französischen Gelehrten Paul Marchai an, die hier wörtlich wieder-
gegeben seien: „Wenn in der Praxis die Ergebnisse (mit der künstlichen
„Verbreitung von Mj^'osen) noch recht ungleich und nicht immer so günstig
„waren, wie der Anfang erhoffen ließ, bestehen doch gewichtige Gründe
„für die Annahme, daß diese Unsicherheit mit unseren noch un-
„genügenden Kenntnissen von den natürlichen Vorbedingungen der
„Wirksamkeit dieser Pilze und mit der unzulänglichen, eben auf
„unserer mangelhaften Kenntnis beruhenden Technik zusammen-
„hängt. Denn diese wird verschieden sein müssen, je nach der Art der zu
„verwendenden Pilze sowohl wie nach den Lebensbedingungen der einzelnen
„Insektenarten, an denen sie leben. Es bleibt also noch sehr viel zu er-
„forschen übrig. Es gilt zu ermitteln, welches im Einzelfall die günstigste
„Zeit, welches das der Ansteckung am meisten ausgesetzte Stadium des
„Schädlings, welches die richtigen Methoden für die Vermehrung und Ver-
„breitung des Krankheitserregers sind, wie die Virulenz von Kulturen durch
„geeignete Nährböden auf der Höhe gehalten werden kann. Man muß
„rechnen mit Schwierigkeiten der praktischen Durchführung, vor allen mit
„den durch die klimatischen Verhältnisse gestellten Vorbedingungen usw."
„Nichts aber berechtigt uns zu der Behauptung, daß diese Hindernisse unüber-
„ windlich seien. Manche Ergebnisse sind im Gegenteil dazu angetan, uns zu
„ermutigen. Doch nur konsequente Untersuchung mit dem Ziele,
„allmählich alle Seiten des Problems aufzuklären und das Studium
„selbst immer mehr zu vertiefen, werden uns Klarheit verschaffen, welche
„praktische Bedeutung diese Methoden werden erreichen können".
Betreffs der anderen, nichtpilzlichen Infektionskrankheiten ist
es beinahe noch schlechter bestellt, insofern, als wir ja bei vielen derselben
noch gar nicht einmal wissen, um welchen Erreger es sich handelt. Es trifft
dies vor allem für die forstlich am meisten in Betracht kommenden
Polyederkrankheiten zu, über deren Erreger die Forscher heute noch
recht geteilter Meinung sind (siehe S. 302). Solange wir aber über diesen
Punkt noch nicht klar sind, können war auch nicht erwarten, daß die Praxis
sichere Ergebnisse erzielt. Gerade bezügl. der Polyederkrankheiten dürfte es
übrigens geboten sein, keinem allzugroßen Optimismus sich hinzugeben,
schon aus dem Grunde, weil die Erfahrung besonders der letzten Jahre ge-
lehrt hat, daß die Krankheit mitunter auf ganz engbegrenzte Orte beschränkt
bleiben kann, ohne sich wesentlich auszubreiten. Wenn schon unter natür-
346 Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
liehen Verhältnissen am Ende einer Nonnenkalamität (wo wir doch eine all-
gemeine Schwächung der Raupen anzunehmen geneigt sind) die Krankheit
mitunter keine größere Verbreitung zu erlangen vermag, so dürften die Be-
dingungen für eine künstliche Verbreitung der Krankheit beim Beginn einer
Kalamität wohl noch weniger günstig sein.
Welch große Hoffnungen hatte die Praxis Anfangs der Neunziger Jahre
des vorigen Jahrhunderts auf die Wipfelkrankheit (die ja eine Polyeder-
krankheit ist) gesetzt, als Medizinalrat Hofmann und v. Tubeuf ihre Unter-
suchungen bekannt gaben, und ein Bakterium als den Verursacher der
Krankheit nannten. Manche Praktiker glaubten schon, mit Hilfe dieses
Bakteriums der Nonne völlig Herr zu sein, und zahlreich sind die Versuche,
die seit dieser Zeit im Großen wie im Kleinen ausgeführt wurden. Erst-
malig ist der Versuch, die Nonne im großen durch künstliche Verbreitung
der Wipfelkrankeit zu bekämpfen, wohl in den herzoglich Ratiborschen
Forsten in Oberschlesien durch Forstmeister Schmidt unternommen worden.
Es dürfte sich verlohnen, mit einigen Worten darauf einzugehen, einmal
des historischen Interesses wegen, und sodann, um zu zeigen, wohin allzu-
große Begeisterung im Verein mit einem halben Verstehen
der wissenschaftlichen Ergebnisse und Methoden führen kann.
Forstmeister Schmidt hat seine Versuche in einer kleinen Schrift ausführlich
beschrieben, wo bezüglich des Verfahrens, das bei der Infektion der Wälder an-
gewandt wurde, folgendes mitgeteilt wird: „Außer jenen (allgemein gebräuchlichen
„Bakteriennährböden) verwendete ich auch Fleisch, und zwar Rind- und Pferde-
„fleisch, welches ich in Kolben, mit etwas Wasser versehen, an verschiedenen Tagen
„in kochendes Wasser gebracht hatte. Ich verwendete auch nicht sterilisiertes
„Fleisch. Sowohl sterilisiertes als auch nicht sterilisiertes Fleisch wurde rein und
„mit Kartoffelbrei derartig vereinigt verwandt, daß der Brei über die durch Messer-
,, einschnitte vielfach geöffnete Oberfläche des Fleischstückes dünn gestrichen wurde.
,,Nach der Impfung des Bazillus und der Mischkultur auf die genannten Nährböden
„entstanden üppige Pilzwucherungen. Auf Kartoffeln und Brei, sowie auf mit
„Kartoffelbrei versehenem Fleisch zeigten sich eiterähnliche, übelriechende halb-
,, flüssige Massen. Die an gesunden Raupen bewirkten Infektionen mit den von
„den verschiedenen Nährböden entnommenen Spaltpilzen verliefen günstig, indem
„die meisten Raupen starben. Die besten Resultate aber ergaben die Infektions-
„stoffe, die von mit Kartoffelbrei versehenem Fleisch und aus Gelatinekultur ent-
„nommen waren. Ich ließ deshalb in dem Hauptfraßherd an verschiedenen Orten
„frisches Pferdefleisch aushängen, überstrich die durch Messereinschnitte empfäng-
„lich gemachte Oberfläche mit sterilisiertem Kartoffelbrei und impfte hierauf
,, Kulturen von den oben beschriebenen Nährböden" usw. usw. „Einige Zeit nachher
,,trat in jenem Infektionsgebiet die Flacherie auf, sich schnell über das Fraßgebict
„verbreitend. Der Beweis, daß die Flacherie durch jene Infektion hervorgerufen
,, worden sei, läßt sich zwar nicht erbringen, ich möchte dies aber bestimmt an-
,, nehmen" usw.
Ein so gründliches Mißverstehen bakteriologischer Arbeit, wie es in
diesem Fall vorliegt, gehört, wenigstens in der Literatur, glücklicherweise zu
den vereinzelten Erscheinungen; doch auch die zahlreichen anderen Versuche,
die in dieser Richtung bis in die neueste Zeit angestellt wurden, sind, wenn
sie auch auf einem höheren Niveau stehen, mehr oder weniger lückenhaft
und jedenfalls nicht beweisend. Gewöhnlich liegt allen diesen Versuchen
folgender Gedankengang zugrunde: Man bringt verseuchtes Material (wipfel-
kranke Raupen oder aus solchen hergestellte Präparate) in eine „gesunde"
Die biologische Bekämpfung. 347
Abteilung, in der bisher „keine Spur" von Wipfelkrankheit „zu bemerken" war.
Wenn nun nach einiger Zeit deutliche Anzeichen der Wipfelkrankheit auf-
treten, so wird daraus geschlossen, daß die Infektion durch das Einbringen
des verseuchten Materials bewirkt wurde, daß also die Infektion von Erfolg
begleitet war. Dieser Schluß hängt aber insofern in der Luft, als in keinem
dieser Fälle nachgewiesen ist, daß die Versuchsabteilung wirklich „gesund"
war und nicht bereits die Wipfelkrankheit in latenter Form unter den Raupen
geherrscht hat (siehe S. 300 ff.). Zum mindesten hätte eine Anzahl Raupen aus
dem angeblich gesunden Bestand mikroskopisch auf das Vorhandensein von
Polyedern untersucht werden müssen, was aber bisher niemals geschehen ist
(vgl. darüber auch Wahl). So kann stets der Einwand erhoben werden, daß
die akute Form der Krankheit in dem betreffenden Jahr ohnehin, auch ohne
künstliche Infektion eingetreten sein würde, um so mehr als es sich in den
meisten der diesbezüglichen Versuche um Orte mit älterem Nonnenbefall ge-
handelt hat. (In ganz frisch befallenen Beständen, mit noch sehr geringer Nonnen-
vermehrung, ist, so viel mir bekannt, bisher noch keine Infektion in obiger
Weise „erzielt" worden.)
Was die Art der Ausführung der Infektionsversuche
betrifft, so wurden die verschiedensten Verfahren angewandt, von
denen die wichtigsten hier angeführt seien:
Eckstein stellt folgende Punkte auf, welche für die in verschiedenen
preußischen Revieren seinerzeit mit der künstlichen Infizicrung beauftragten Be-
amten als Richtschnur dienen sollten, nämlich
1. Die Infektion wird ausgeführt A. durch Impfung, B. durch Auslegen der
Reinkulturen an der Futterpflanze.
2. Die Impfung geschieht dadurch, daß mit einer Präpariernadel der zu
impfenden Raupe eine Spur Impfstoff in den After gebracht wird, aber ohne dabei
die Raupe zu verletzen.
3. Da die Bakterienkrankheiten sich im allgemeinen- von gewissen Zentren
aus verbreiten, so müssen solche künstlich geschaffen werden. Dies erreicht man
dadurch, daß man geimpfte Raupen in größerer Zahl, etwa 50, an je einem Stamme
hinauf laufen läßt und mehrere nebeneinander stehende Stämme in dieser Weise
besetzt.
4. Das Auslegen von Reinkulturen an Futterpflanzen geschieht dadurch, daß
man a) den flüssigen Inhalt der Röhrchen auf die Nadeln, respektive Blätter gießt,
welche demnächst den Raupen zum Futter dienen werden, oder b) den festen Inhalt
aus den zerschlagenen Röhrchen vorsichtig, ohne die Bakterien, d. h. den weißlichen,
bräunlichen oder gelblichen Überzug des Nährbodens abzuwischen, herausnimmt
und dahin bringt, event. etwas verteilt, wo die Raupen am dichtesten sitzen.
5. Da auch hierbei Infektionsherde geschaffen werden müssen, so können
die Reinkulturen in einer der folgenden Weisen ausgelegt werden: a) Die Rein-
kulturen werden unter Leimringen da an die Stämme mit einem glatt geschnittenen
Hölzchen gestrichen, wo die Raupen am dichtesten sitzen, b) Auf jungen Kiefern,
respektive Fichten wird die Reinkultur an die Nadeln der Zweige gebracht, c) Im
hohen Holze können einige Äste abgeschlagen und in den Boden gesteckt werden.
Nachdem diese mit zahlreichen Raupen besetzt sind, werden die Reinkulturen auf-
gestrichen, d) In Raupengräben und Fanglöchern werden kleine Zweige — so klein,
daß sie den Raupen keine Gelegenheit zum Entwischen bieten — die mit Rein-
kulturen bestrichen wurden, ausgelegt.
6. Ist die Schlaffsucht hie und da zum Ausbruche gekommen, so können,
aber erst nachdem das Umsichgreifen der Erkrankung beobachtet wurde, kranke
und tote Raupen gesammelt und an anderen Orten ausgelegt werden.
348 Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
7. Vor allzu weitgehender Verteilung ist dabei wie bei dem Auslegen der
Bakterienkulturen zu warnen.
8. Die Röhrchen sind nicht der allzu großen Sonnenhitze auszusetzen. Der
Watteverschluß der Röhrchen ist, außer bei der Infektion, nicht zu lüften.
9. Die zum Impfen verwandten Präpariernadeln müssen, bevor zur Infektion
mit einer zweiten Bakterienart geschritten wird, in Spiritus gründlich abgerieben
werden. Hölzchen sollten nur einmal verwendet werden.
10. Die einzelnen Versuche müssen räumlich möglichst getrennt voneinander
— 100—200 m — angestellt werden."
In A m e r i k a, wo man Versuche mit der künstlichen Verbreitung der Poly-
ederkrankheit des Schwammspinners (der sog. „Wilt") machte, führte man folgende
Methoden aus: Im Kleinen benützte man eine Mischung aus frischgestorbenen
Raupen, Wasser und etwas Leim, die entweder auf den Stamm aufgestrichen oder
mit einem Spritzapparat in die Krone gebracht wurde; im großen suchte man die
Infektion dadurch zu bewerkstelligen, daß man eine größere Menge abgestorbener
oder absterbender Raupen in einem hängemattenähnlich aufgehängten Beutel in der
Krone verschiedener Bäume anbrachte, und zwar in der Weise, daß der vorherr-
schende Wind die Krankheitskeime von den behängten Bäumen in die zu bekämpfen-
den Abteilungen tragen mußte. Daszur Infektion notwendige kranke Material suchte
man — gestützt auf die Angaben E. Fischers, wonach durch Darreichung von
nassem Futter die „Flacherie" erzeugt werden könne — dadurch sich zu ver-
schaffen, daß man stets eine große Anzahl von Raupen in Käfigen mit nassem
Futter bedachte. Sobald diese Zuchten nun Symptome der Krankheit aufwiesen,
wurden sie dann in den genannten Hängematten im Walde aufgehängt (Reiff,
W., The Wilt Disease or Flacherie of the Gypsy Moth. Boston 1911). Auf die
Unzulänglichkeit dieser Versuche wurde von Escherich bereits hingewiesen
(Naturw. Zeitschrift für Land- und Forstwirtschaft 1913). Hier sei nur erwähnt,
daß bei den Reiff sehen Versuchen außer der Erfüllung der oben erwähnten Forde-
rung auch noch der Nachweis fehlt, daß die durch Darreichung nassen Futters
in den Käfigen erzeugte Krankheit mit der draußen in den Wäldern (als vermeint-
liche Folge der Infektion) aufgetretenen auch wirklich identisch war.
Ein weiteres Verfahren zur Bekämpfung der Nonne mit Hilfe von Polyeder-
krankheiten wurde in neuerer Zeit von Bolle vorgeschlagen. Derselbe zielt
daraufhin, die Gelbsucht der Seidenraupe zur Infektion zu ver-
wenden, und zwar derart, daß eine mit zerflossenen gelbsüchtigen Seidenraupen
hergestellte Brühe mit Torf vermengt an verschiedenen Stellen der betreffenden
Wälder in Körben oder dgl. aufgehängt werden sollte. Diese Methode hätte, falls
sie sich verwirklichen ließe, den großen Vorzug, daß man stets, auch schon beim
ersten Beginn von Nonnenkalamitäten, genügenden Infektionsstoff zur Verfügung
hätte. Es sei aber in dieser Hinsicht daran erinnert, daß man heute bezügl. der
Wirkung des Gelbsuchtgiftes der Seidenraupe auf Nonnen noch geteilter Meinung
ist, daß somit erst diese Frage einwandfrei zu lösen wäre.
Einen von den bisher genannten abweichenden Weg zur Verbreitung der
Polyederkrankheit schlägt Klöck vor. Von der Annahme ausgehend, daß die
Krankheit zuerst an solchen Orten akut auftritt, wo infolge gänzlicher oder
wenigstens starker Entnadelung ungünstige Nahrungsbedingungen eingetreten sind,
und sich dann von dort allmählich verbreitet, suchte Klöck solche Krank-
heitsherde künstlich zu schaffen, so daß die akute Seuche eher zum
Ausbruch kommen würde, als unter natürlichen Umständen zu erwarten wäre. Er
empfiehlt hierzu folgende Maßnahmen:
„1. Auf entsprechend großen Flächen jüngerer und noch wenig durchforsteter
Bestände, welche zumeist den Ausgangspunkt für Nonnenfraßherde bilden, wären
zu Beginn der Fraßzeit nach vorausgegangener Leimung des Haupt-
bestandsmaterials Durchforstungen einzulegen, wobei als Hauptmoment in Betracht
käme, daß das gesamte niedergelegte Material mit den daran befindlichen Raupen-
massen oder zum mindesten die mit Raupen dicht besetzten Gipfelstücke bis zum
Ende der Fraßzeit an Ort und Stelle unberührt liegen bleiben müßten."
Die biologische Bekämpfung. 349
„2. In älteren angehend haubaren oder haubaren Beständen, welche auf Grund
des konstatierten Eierbelages ohnehin dem Kahlfraß und sodann der Axt zum
Opfer fallen müßten, wären gleichfalls zu Beginn der Fraßzeit entsprechend große
Flächen nach vorausgegangener Isolierung mittels eines ca. 50 m breiten geleimten
Streifens kahl zu hauen, und das hierbei angefallene Material in der oben be-
schriebenen Weise zu behandeln. Bei der Auswahl der betreffenden Flächen wird
darauf zu achten sein, daß dieselben möglichst zentral liegen, um der voraussicht-
lich sich zuerst an dem gefällten Material einstellenden Wipfelkrankheit Gelegen-
heit zu größtmöglicher Ausbreitung im übrigen Bestandteile zu geben."
Klöck ist der Meinung, daß er mit dieser Methode gute Erfolge erzielt
habe, indem sich von dem künstlich geschaffenen Seuchenherd die Wipfelkrankheit
so ausgebreitet habe, daß die Gefahr von seinem Bezirk rechtzeitig abgewendet
werden konnte. — Der Vorschlag Klöcks hat zweifellos manches für sich, da
derselbe dem natürlichen Weg, auf welchem der Ausbruch der Krankheit in vielen
Fällen vor sich zu gehen scheint, am nächsten kommen dürfte. Doch ist ein Be-
weis für die Wirkung des Verfahrens in der Tatsache, daß nach Anwendung
desselben in jenen Gebieten die Krankheit ausgebrochen ist, ebensowenig erbracht
wie in den obigen Fällen.
Es liegt also heute trotz der zahlreichen Versuche noch kein
einziger Fall vor, der die Möglichkeit einer künstlichen Ver-
breitung der Polyederkrankheiten im Walde strikte bewiesen hätte.
Das sollte uns aber nicht abhalten, weiter zu forschen und weiter Versuche
anzustellen. Vor allem dürfte es notwendig sein, noch weitere Forschungen
über die Natur des Erregers, über seine Vermehrungs- und Verbreitungs-
bedingungen anzustellen, um eine sichere Basis für künstliche Infektions-
versuche zu schaffen. Vordem bedeuten alle derartigen Experimente mehr
ein Raten, denn ein zielbewußtes Arbeiten. Da die Polyederkrankheit, wie
oben (S. 302) ausgeführt, eine ziemliche Verbreitung unter den Insekten
(nicht nur unter den Raupen der Schmetterlinge, sondern auch unter den
Blattwespenlarven usw.) zu haben scheint, so würde ein event. Erfolg der
auf eine künstliche Infektion hinzielenden Bestrebungen von der allergrößten
Bedeutung für die Schädlingsbekämpfung werden.
Mit den anderen der im vorigen Kapitel genannten Krankheiten, den
Bakterien- und Nosemaseuchen, hat man sich in der forstlichen
Praxis noch kaum beschäftigt. Es ist aber gewiß empfehlenswert, in der
Zukunft bei den Bekämpfungsversuchen der verschiedenen ForstschädHnge
auch dieser verheerenden Mächte sich zu erinnern, vielleicht ist der eine oder
andere unserer Waldverderber besonders empfänglich gegen die Erreger
jener Krankheiten. Es ist um so mehr angezeigt, unsere Forschungen nicht
lediglich auf die Wipfelkrankheit (und die übrigen Polyederkrankheiten) zu
beschränken, sondern auch auf die anderen Seuchen auszudehnen (wenn diese
fürs erste auch kein spezielles Interesse für die Forstinsekten zu haben
scheinen), als man in der letzten Zeit in dem Coccobacilhis acridiorum und
Coccobacilhis cajae Mikroorganismen von außerordentlicher Pathogenität und
Virulenz kennen gelernt hat, und mit dem ersteren auch, wie es scheint, gute
Erfolge bei der Bekämpfung" der Wanderheuschrecken in Mexiko erzielte
(D'Herelle).
Auch mit Nosenia, welches aus Seidenzüchtereien ja stets in genügender
Menge zu haben ist, sollten Infektionsversuche an den verschiedenen Forst-
350 Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
Schädlingen gemacht werden, nachdem dessen Pathogenität und leichte Ver-
breitung durch die verheerenden Seuchen, an denen die Seidenzüchtereien
früher (vor der Einführung des Zellensystems) so arg zu leiden hatten, ge-
nügend dargetan ist. — So gibt es also auch auf dem Gebiet der Verbreitung
von Insektenkrankheiten zum Zwecke der Schädlingsbekämpfung noch un-
endlich viel zu tun. Ja, fast alles ist hier noch Problem. Jahrzehnte langes
eingehendes Studium wird nötig sein, Klarheit in die so überaus schwierigen
Fragen zu bringen, und viele Enttäuschungen in praktischer Hinsicht werden
wir vielleicht erleben. Doch darf diese Überlegung niemals ein Grund sein,
von vornherein auf die Inangriffnahme dieser Probleme verzichten zu wollen.
3. Die technische Bekämpfung,
a) Allgemeine Gesichtspunkte.
Die technische Bekämpfung bezweckt die direkte Vernichtung (oder
Abhaltung) der Schädlinge auf chemischem oder mechanischem Wege. „Vom
theoretischen Standpunkt läßt sich dieselbe gegen alle vier Hauptlebens-
stadien eines Schädlings, gegen Ei, Larve, Puppe und Imago anwenden;
desgleichen in jeder Jahreszeit. Gegen welches Stadium im bestimmten
Einzelfalle vorzugehen ist, und zu welchem Zeitpunkte, hängt vor allen
Dingen von der Lebensweise des betreffenden Schädlings ab. Eine völlige
Vertrautheit mit der Lebensweise des Schädlings ist also die wesentliche
Vorbedingung eines günstigen Erfolges, und eine solche zu vermitteln, ist
die Aufgabe der folgenden Bände dieses Werkes. In zweiter Linie wird man
darauf zu sehen haben, daß die Vertilgungsmaßregeln in eine Zeit gelegt
werden, in welcher die nötigen Arbeitskräfte am leichtesten verfüg-
bar sind. — Im allgemeinen wii-d man gegen das Stadium und zu dem Zeit-
punkte zu operieren haben, in welchem der Schädling am leichtesten zu-
gänglich ist, in welchem es ferner möglich ist, viele Individuen auf ein-
mal zu vernichten. Es wird sich ferner bei sonst gleichen Umständen
empfehlen, stets gegen das am längsten dauernde Stadium vorzugehen,
weil dieses die größte zeitliche Ausdehnung der Bekämpfungsmaß regeln
gestattet. Endlich ist es besonders angezeigt, die Schädlinge hinwegzuräumen,
ehe sie zur Fortpflanzung schreiten können." (N.)
Beispiele von Vertilgungsmaßregeln, welche sich gegen das E i s t a d i u m
richten, sind das Sammeln und Vernichten der Eierringe des Ringelspinners oder
der Eierschwämme des Schwammspinners.
Im Larvenzustande werden sehr viele forstschädliche Schmetterlinge
bekämpft, z. B. der Kiefernspinner, die Nonne, die Eule u. a. Auch die Bekämpfung
der Borkenkäfer durch Fangbäume sollte namentlich eine L a r v e n Vertilgung
sein, da ein vorsichtiger Forstmann mit dem Schälen der Fangbäume nicht bis
zur Verpuppung warten wird. Vertilgungsmaßregeln, die speziell gegen die
Puppe gerichtet sind, werden meist nur angewendet bei solchen Schmetterlingen,
welche in diesem Stadium überwintern, z. B. bei Kieferneule und Kiefernspanner.
Bekannte Beispiele von Vertilgung schädlicher Imagines sind das
Sammeln des Maikäfers, des großen braunen Rüsselkäfers, des Nonnenfalters, der
ungeflügelten Frostspannerweibchen usw.
Wo es sich um besonders schlimme Schädlinge handelt, die wenig Angriffs-
punkte zu einer radikalen Bekämpfung bieten, da geht man event. gegen die
verschiedenen Stadien vor, um die Wirkung zu erhöhen; so sucht man
Die technische Bekämpfung. 352
im Kampf gegen die Nonne sowohl die Raupe (in erster Linie), als auch die Puppe
und die Imago zu vernichten.
Wie es möglich ist, durch richtige Wahl des Zeitpunktes der
Vertilgung viele Individuen auf einmal zu töten, dafür liefert ebenfalls die Nonne
einen guten Beleg. Das Vernichten der Raupen ist bei diesem Tiere in der Zeit
am erfolgreichsten, in welcher die aus den einzelnen Eierhaufen geschlüpften,
späterhin sich zerstreuenden Räupchen noch familienweise in den sog. Spiegeln
zusammensitzen. Desgleichen wird die Vertilgung der Raupen des Goldafters,
Liparis chrysorrhoea L., am leichtesten im Winter besorgt, wenn sie zwischen ver-
sponnenen Blättern, den sog. „Raupennestern", in größeren Scharen zusammen-
sitzen.
In vielen Fällen wird aber zur Erreichung eines wirklichen Erfolges nicht
allein die Berücksichtigung der passenden Jahres zeit genügen, sondern auch
die passende Tageszeit oder passende Witterung gewählt werden müssen.
So ist z. B. ein erfolgreiches Sammeln der Maikäfer mittels Schütteln größerer
Bäume nur in den frühen Morgenstunden oder bei naßkaltem Wetter möglich, weil
bei warmen, sonnigen Tagen die herabfallenden Käfer während des Sturzes die
Flügel ausbreiten und davonfliegen. Dergleichen kann ein bequemes und erfolg-
reiches Sammeln der am Tage unterirdisch lebenden Raupen der Kiefernsaateule
nur in der Nacht, wenn sie, hervorgekommen, die oberirdischen Teile der Kiefern-
pflänzchen angehen, bei Laternenlicht vorgenommen werden.
Das vorhin angeführte Beispiel der Vertilgung der Raupen des Goldafters in
ihren Nestern ist auch gültig für die Bemerkung, daß es wünschenswert ist, den
am längsten dauernden Zustand zur Vertilgung zu wählen. Gestattet
doch gerade die Länge der Winterruhe im Raupenneste dem Obstzüchter, die Ver-
tilgungsmaßregeln zu einer ihm bequemen Zeit und so gründlich, als er es nur
irgend wünscht, vorzunehmen. Überhaupt scheint das Uberwinterungsstadium, als
das längste, in sehr vielen Fällen die erfolgreichste Bekämpfung möglich zu machen,
vorausgesetzt, daß sich die Tiere nicht etwa in unzugänglichere Schlupfwinkel
zurückziehen. Letzterer Fall kommt z. B. bei den Engerlingen vor, die sich im
Winter tiefer in die Erde eingraben.
Bezüglich der Art der technischen Bekämpfung- lassen sich zwei Haupt-
richtungen unterscheiden, die eine sucht den Schädlingen durch chemische
Mittel beizukommen, während die andere auf mechanischem Wege die
Vertilgung resp. die Schadlosmachung erstrebt. Wir wollen die erstere kurz-
weg als die chemische, die letztere als die mechanische Methode be-
zeichnen, wobei jedoch gleich zu bemerken ist, daß die beiden nicht immer
scharf voneinander zu trennen sind.
b) Die chemischen Methoden.^)
Die chemische Bekämpfung spielt gegenüber den forstlichen Schädlingen
nicht jene große Rolle wie gegenüber den landwirtschafdichen, vor allem den
Obst- und Weinbauschädlingen, und zwar aus dem einfachen Grunde, weil
die große Ausdehnung der Forsten und die Höhe der Bäume in Beständen
eine allgemeine Anwendung chemischer Mittel (soweit es sich um flüssige
oder staubförmige handelt) aus technischen und finanziellen Gründen erschwert.
Das Bereich der chemischen Bekämpfung ist daher in der Forst-
entolomogie ein beschränktes: es bezieht sich vornehmlich auf solche
1) Eine zusammenfassende Darstellung der wichtigsten chemischen Mittel
findet sich in Hollrung, Handbuch der chemischen Mittel gegen Pflanzen-
krankheiten. Berlin 1898. (Zweite Auflage erscheint 1914.)
352 Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
Formen des Forstes, die dem landwirtschaftlichen oder gärtnerischen Charaktei
nahe kommen, also Pflanzgärten und Kulturen; in Beständen kann sie
nur dann zur Anwendung kommen, wenn es sich um einzelne Bäume oder
wenigstens um eng umschriebene Insektenherde handelt.
Die chemische Methode schließt eine ganze Reihe verschiedener Ver-
fahren in sich, die sich zusammenfassen lassen unter den Begriffen: All-
gemeine und lokale Giftbehandlung der insekten befallenen Pflanzen
und Giftbehandlung des Bodens.
Die allgemeine Giftbehandlung ist da indiziert, wo die Schäd-
linge mehr oder weniger zerstreut auf der Pflanze vorkommen,
so daß eine Einzelbehandlung ausgeschlossen ist; sie kann bestehen in Be-
spritzen, Bestäuben und Räuchern.
Das am meisten zur Anwendung kommende Verfahren ist das Be-
spritzen der befallenen Pflanzen mit Flüssigkeiten, die auf die Schädlinge
tötlich wirken. Der große Vorzug des Spritzens liegt darin, daß die Gift-
flüssigkeit infolge des starken Druckes und der feinen Verstäubung in relativ
kurzer Zeit und mit geringer Arbeit unter größter Sparsamkeit im Verbrauch
an alle, auch entferntere Stellen der zu behandelnden Pflanze gebracht
werden kann. Die anzuwendende Spritzflüssigkeit richtet sich nach dem
zu bekämpfenden Schädling, und zwar nicht nur nach der Art seiner Nahrungs-
aufnahme (ob kauend oder saugend), sondern auch nach seiner spezifischen
Empfindlichkeit. Es hat sich im Laufe der Zeit durch tausendfältige Erfahrung
herausgestellt, daß die verschiedenen Insektenarten (mitunter auch solche, die
im System nahe stehen), sich recht verschieden gegen die einzelnen Gifte
verhalten können, indem die einen eine stärkere Konzentration ertragen als
die anderen, oder überhaupt unempfindlich sind, während die anderen daran
zugrunde gehen. Aber nicht nur das Verhalten des betreffenden Insektes
gegen das Gift ist zu berücksichtigen, sondern ebenso auch die Wirkung des
Giftes auf die Pflanze, auf der der Schädling lebt. Viele der angepriesenen
Spritzmittel töten wohl prompt die Schädlinge, mit denen sie in Berührung
kommen, bringen aber nicht weniger prompt die Pflanzen oder wenigstens
die Teile, die damit benetzt wurden, zum Absterben. Oft macht sich die
verderbliche Wirkung des Giftes auf die Pflanzen erst nach längerer Zeit
geltend, was recht verhängnisvoll werden kann, wenn man nämHch, in der
Meinung von dessen Unschädlichkeit bereits zur Anwendung im großen über-
gegangen ist. Man sollte also jedenfalls längere Zeit, womöglich eine Vege-
tationsperiode abwarten, bevor man ein endgültiges Urteil über das betreffende
Gift fällt.
Die Zahl der Spritzmittel ist Legion. Man braucht nur die ver-
schiedenen Kataloge der Fabriken, die sich mit der Herstellung von Pflanzen-
schutzmitteln befassen,^) einzusehen, um einen Begriff von der Produktivität
auf diesem Gebiet zu bekommen. Und fortwährend werden neue Mittel in
1) Als die bekanntesten Bezugsquellen für chemische Pflanzenschutzmittel
sind zu nennen: Dr. Noerdlinger in Floersheim, E. A. Merk in Darmstadt,
Gehe & C i e. in Dresden, K a h 1 b a u m in Adlershof bei Berlin.
Die technische Bekämpfung. 353
den Handel gebracht, die als sichei-wirkend gegen diesen oder jenen Schäd-
ling gepriesen und mit den verschiedensten Namen belegt werden. Vielfach
sind die neuen Mittel schlechter als die alten, wie wir selbst im hiesigen In-
stitut mehrfach zu erfahren Gelegenheit hatten. Man sollte sich deshalb bei
der Auswahl der Mittel niemals lediglich auf die reklamehaften Anpreisungen
allein verlassen, sondern nicht versäumen, vor der Anwendung bei einem
der zuständigen Institute über den Wert des Mittels anzufragen.
Wir unterscheiden unter den Spritzmitteln im allgemeinen „Magen-
gifte" und „Kontakt- oder Berührungsgifte". Die ersteren werden mit
der Nahrung aufgenommen und wirken vom Darmtraktus aus vergiftend,
während die letzteren durch die bloße Berührung mit der Haut resp. Be-
deckung des Körpers den Tod des Schädlings verursachen. Die Bezeichnung
„Kontakt- oder Berührungsgifte" ist insofern nicht sehr günstig gewählt, als
den hierherzuzählenden Mitteln eine ganz verschiedene Wirkungsweise zu-
kommen kann; so handelt es sich bei dem einen Mittel (z. B. Schwefelkalk-
brühe) um Atzwirkung, bei dem anderen (Öle usw.) um Erstickung, bei dem
dritten um Gasvergiftung usw., so daß es sich vielleicht empfehlen würde,
die Gruppe „Kontaktgifte" aufzulösen. Bei manchen Giften ist man sich
übrigens über die Art ihrer Wirkung noch nicht klar.
Im folgenden seien einige der wichtigsten Spritzgifte, die für den
Foi-stmann in Betracht kommen, genannt:
Unter den Magengiften sind als die wirksamsten die verschiedenen
Arsenikmittel zu nennen, unter denen das Bleiarseniat (Plumbum arseni-
kosum) entschieden die erste Stelle einnimmt. Wenn es auch im Preis etwas
teurer ist als die anderen Arsenikpräparate (Schweinfurtergrün, Londonpurpur
usw.), so hat es doch so viele Vorzüge, daß die Preisdifferenz mehr als aus-
geglichen wird. Vor allem schadet seine Anwendung den Pflanzen so gut
wie garnicht, und sodann bleibt es (wohl infolge der kolloidalen Eigenschaften
des Bleis), weit besser an den Blättern haften als die übrigen, was von der
größten Bedeutung für ein Spritzmittel ist. Natürlich gebietet die Giftigkeit
der Arsenikpräparate für Mensch und Tier besondere Vorsicht und eine Be-
schränkung ihrer Anwendung. So muß bei der Verwendung im Walde stets
auf die Gefahr, die dem Wild durch Äsung arsenhaltiger Pflanzen-
teile erwachsen kann, Rücksicht genommen werden. Man wird Arsen-
bespritzungen daher nur dort vornehmen, wo das Wild keinen Zutritt hat,
also in eingezäunten Pflanzgärten, Kulturen usw. Sind diese Bedingungen
gegeben, so kann das Arsen vorzügliche Dienste gegen die verschiedensten
blatt- und nadelfressenden Insekten leisten, wie z. B. Brachyderes, Blatt-
wespen, überwehte Nonnenraupen usw.^)
In Amerika stellt das Bleiarseniat in der höcfisten Gunst und es wird dort
gegen ein ganzes Heer von Insekten damit gekämpft, wie z. B. gegen den Apfel-
wickler, den Pflaumenrüßler, den Schwammspinner, den Ulmenblattkäfer usw.
Trotz dieser weitverbreiteten Anwendung, selbst bei Alleebäumen in der Stadt,
sind Fälle von Vergiftungen nicht bekannt geworden, ein Zeichen, daß man mit der
Ängstlichkeit nicht zu weit zu gehen braucht. Über die ausgezeichnete Wirkung
des Bleiarseniates konnte sich der Verfasser selbst mehrfach in Amerika überzeugen.
^) Vergl. hierzu die ausgezeichnete Zusammenstellung von F u 1 m e k.
Esche rieh, Forstinsekten. 23
354 Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
Die gegen den Schwammspinner bespritzten Laubbäume zeigten ihr volles Laub,
während die unbespritzten meistens starke Spuren des Fraßes erkennen ließen. Am
deutlichsten konnte man die Wirkung an den Alleebäumen von Boston erkennen:
im Bereich von Cambridge, wo nicht gespritzt wurde, waren alle die schönen alten
Ulmen vom Ulmenblattkäfer kahl gefressen und dem Absterben nahe (teilweise
auch schon abgestorben), während in dem dicht daran anschließenden Arlington,
wo mehrmalige Spritzungen vorgenommen worden waren, fast alle Bäume ihren
vollen Laubschmuck behalten hatten.
Man bezieht das Bleiarseniat am besten in Form einer dicken Paste,
damit ein Verstäuben des giftigen Produktes vermieden wird. Von dieser
Paste verwendet man ^/„ — 1 kg auf 100 1 Wasser.
Man kann das Bleiarseniat auch in Verbindung mit Kupferkalk brühe
als Arsen-Kupferbrühe (z. B. Arsen-Cupretta von Dr. N o e r d 1 i n g e r) verwenden
zur gemeinsamen Bekämpfung von tierischen und pilzlichen Schädlingen, während
Kupferverbindungen allein gegen tierische Schädlinge im allgemeinen von nur
geringer Wirkung sind. Mit Bordelaiser Brühe soll man nach verschiedenen
neueren Berichten allerdings ganz gute Erfolge (? ? der Verf.) gegen Nonnen-
raupen erzielt haben (für kleinere Raupen 20/0, für größere 21/2% Lösung).
Als ein weiteres brauchbares Spritzmittel gegen Raupen und andere
kauende Insekten ist neuerdings Chlorbarium empfohlen worden. Eckstein
hat damit gute Erfolge gegen die Nonne erzielt, und zwar in einer Mischung
von P/2 kg auf 100 1 Wasser; bei einer geringeren Konzentration blieben die
Raupen zum großen Teil am Leben, während eine stärkere Konzentration
die Bäume beschädigte. Um ein besseres Haftenbleiben der Flüssigkeit zu
erzielen, empfiehlt sich der Zusatz von Melasse. Der Preis stellt sich bei
C.A.F. Kahlbaum, Adlershof bei Berlin auf 35 Pf. pro Kilogramm, 100kg
auf 24 M.
Weite Verbreitung als Spritzmittel hat ferner das Karbolineum er-
fahren, welches in zahllosen Marken und unter den verschiedensten Namen
(Karbolineum, Lohsol, Lauril-Karbolineum, Floria-Karbolineum usw.) in den
Handel gebracht wird. Gegen Forstinsekten ist bisher vor allem das Arbo-
lineum, eines der mit Wasser emulgierbaren Karbolineumpräparate, in An-
wendung gekommen, und wie es scheint, mit gutem Erfolg.
Besondere Beachtung verdient des weiteren das Nikotin, welches sowohl
als Magengift als auch als Kontaktgift eine hervorragende Rolle einnimmt.
Es wird gewöhnlich mit anderen Stoffen (wie Schmierseife, Spiritus, Kolo-
phonium usw.), welche ein besseres Eindringen und Festhaften bewirken, an-
gewendet. M. Schwartz empfiehlt vor allem folgende Gemische:
gegen Schizoneura:
3 Teile Tabakextrakt,
5 „ denat. Spiritus,
6 „ Schmierseife,
136 „ Wasser.
Um auch die stark behaarten Raupen ausreichend mit der Nikotinlösung
benetzen zu können, empfiehlt sich ein Zusatz von Harz und Ammoniak in
folgender Weise:
gegen Raupen:^)
gegen Chermes:
3 kg Tabakextrakt,
3
Teile N-Tabakextrakt,
3 „ Schmierseife,
10
„ Schmierseife,
144 „ Wasser,
140
„ Wasser,
^) Schwan gart empfiehlt gegen den Traubenwickler IV2 kg Tabak-
extrakt, V2 bis 1 kg Schmierseife auf 100 1 Wasser.
Die technische Bekämpfung.
355
3 kg Tabakextrakt,
3 „ Schmierseife,
1 „ Kolophonium in 3 1 denaturiertem Spiritus gelöst.
Fig. 218. Spritzen im Hochwald mit einer Motorspritze. Bei 300 m Schlauchlänge kann eine, Strahlen-
höhe von 30 m erreicht werden. (Phot. Fitzhenry-Guptill.) Aus Escherich.
3 1 Sahiiiakgeist,
137 „ Wasser.
Ferner kann auch Nieß würz der Mischung beigesetzt werden, wodurch
die Blätter oder Nadeln gewissermaßen immun gemacht werden, indem die
meisten Raupen den damit behandelten Pflanzenteil meiden. M. Schwartz
empfiehlt folgende Mischung:
3 kg Tabakextrakt,
3 „ Schmierseife, 23*
356 Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
1 1 denaturierten Spiritus,
500 g pulverisierte Nießwurz,
141 1 Wasser.
Die Kosten betrugen bei den Versuchen für je ein ca. 2 m hohes
Bäumchen (Obstbaum) ca. 5 Pf.
Bezügl. des Tabakextraktes herrschen nach den Untersuchungen Schwan-
gar t s große Unterschiede im Nikotingehalt. Es ist daher auf die Auswahl der
Fig.
219. Motorspritze (auf Automobil) mit zwei Schläuchen. (Phot. Fitzhenry-Guptill.)
Aus Escherich.
Präparate besonderer Wert zu legen. Eine recht konstante Zusammensetzung hat
die von der Administration des Tabaks in Frankreich staatlich hergestellte Nicotine
titree. Da jedoch das französische Präparat von den staatlichen Verkaufsstellen
in Frankreich nicht nach Deutschland abgegeben wird und nur indirekt durch Ver-
mittlung von Privatpersonen bezogen werden kann, kann dasselbe für den prak-
tischen Gebrauch in Deutschland nur wenig in Betracht kommen. Nach
Schwangart ist auch das von der Firma Merk in Darmstadt hergestellte
Rohnikotin ein technisch und chemisch einwandfreies Fabrikat, welches einen
Nikotingehalt von 99,4% aufweist. Besonders empfehlenswert ist nach demselben
Autor der von der Firma A. W. Everth in Hamburg (Kajen 22) in den Handel
gebrachte amerikanische Tabakextrakt „Black Leaf", der annähernd konstant
Die technische Bekämpfung. 357
10,04 % Nikotin enthält. Erstklassig ist auch der Österreichische Rcgie-
cxtrakt, der (ohne Zoll) i) pro Kilogramm nur 1,40 M. (gegen 2,20 M. von
Everths „Black Leaf") kostet.
Ähnlich wie die Nikotingemische wirkt Quassiabrühe, aus einem
Absud von 1^2 kg Quassiaholz (Panamaspäne) und l^/a — 2 kg Schmierseife in
100 1 Wasser hergestellt. Quassiabrühe wird dort verwendet, wo der Geruch
des Nikotins vermieden werden soll (Fulmek). — Gegen eine ganze Reihe
saugender Insekten genügt übrigens auch eine einfache Schmierseifen-
lösung (ohne Tabakextrakt) mit etwas Petroleumzusatz (l^/.j kg Schmier-
seife, 1/.2 1 Petroleum auf 100 1 Wasser.) Vor allem gegen verschiedene
Pflanzenläuse kann die Anwendung dieses einfachen Mittels guten Erfolg bringen.
Endlich sei noch auf die Schwefelkalkbrühe (Kalifornische Brühe)
hingewiesen, die seit langer Zeit in Amerika in größtem Maßstabe angewandt
wird und jetzt auch in Deutschland mehr in Aufnahme zu kommen scheint,
allerdings in erster Linie als Fungizid. Da sie jedoch auch ein wirksames
Insektizid darstellt, vor allem gegen Schildläuse (wird sie doch als Haupt-
bekämpfungsmittel gegen die San-Jose-Schildlaus angewandt), sollte man sich
gegebenenfalls dieses billigen Mittels"^) erinnern (vgl. Fulmek, Die Schwefel-
kalkbrühe).
Für Schwefelkalkbrühe sind besondere Spritzen notwendig, da Kupfer von
der Brühe stark angegriffen wird und die chemische Zusammensetzung der Brühe
selbst hierdurch verändert und ihre Wirksamkeit herabgemindert wird. Man ver-
wendet für Schwefelkalkbrühe Spritzen, welche im Inneren verzinkt sind oder
solche aus Stahlblech oder aus anderen Metallegierungen, die von der Brühe nicht
angegriffen werden (B. W a h 1).
Was die Spritzapparate^"^) betrifft, so dürfte man in den meisten
Fällen mit den gewöhnlichen selbsttätigen Schüttespritzen, die am Rücken
getragen werden, auskommen. Die Reichweite kann ja event. durch ein-
zusetzende Bambusrohre etwas vergrößert werden. Wo es sich aber um
die Rettung einzelner großer Bäume handelt, da ist zu stärkeren Modellen
event. mit Motorbetrieb zu greifen. Wie weit man mit solchen Kraftspritz-
apparaten bereits gekommen ist, zeigen die in Amerika hundertfach im Be-
trieb stehenden „Power sprayers", mit denen man bei einer Schlauchlänge
von 2—300 m Bäume von 30 m Höhe bespritzen kann (Fig. 218 u. 219).
Es dürfte sich zweifellos sehr empfehlen, daß große Forstverwaltungen, Stadt-
gemeinden, botanische Gärten, Besitzer von großen Parks usw. sich eine
solche Kraftspritze zulegen, um einzelne wertvolle alte Bäume oder auch be-
sonders wertvolle Bestandesteile bei eventuellem Insektenbefall retten zu
können.
1) Durch Bundesratsbeschluß fällt der Zoll bei Verwendung gegen
Rebschädlinge weg.
2) Großvertrieb für S c h w e f e 1 k a 1 k b r ü h e: Agrikulturabteilung der
Schwefelproduzenten - G. m. b. H. in Hamburg I, Mönkcbergstr. 9. ^ Weitere
Bezugsquellen: Agraria, Fabrik landwirtschaftl. Artikel, Dresden-A. 16. und
die anderen auf S. 352 genannton Firmen.
^) Für Spritzapparate seien folgende Bezugsquellen genannt: Holder in
Metzingen (Württbg.), G o c h 1 e r s Witwe Nachfolger in Freiberg (Sa.), letztere
Firma liefert auch alle anderen zur Insektenbekämpfung nötigen Apparate.
358 Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
Die renommierteste Fabrik für die großen Kraftspritzen ist F i t z h e n r y -
G u p t i 1 1 in Cambridge Mass. Der Preis der stärksten Spritzen beträgt ca. 4000 M.
Übrigens werden neuerdings auch in Deutschland Spritzen mit Motorbetrieb her-
gestellt, wie aus dem Katalog der Firma Holder in Metzingen hervorgeht.
Gegen das Spritzen tritt das Bestäuben bezügl. der Anwendbarkeit
u'eit zurück; hat es doch auch dem Spritzverfahren gegenüber verschiedene
Nachteile. Es ist vor allem vielmehr von dem Wetter abhängig als das letztere,
indem z. B. starke Winde die Ausführung unmöglich machen. Ferner ist die
gleichmäßige Verteilung auf alle Blätter oder Nadeln bei staubförmigen Stoffen
schwieriger als bei flüssigen, und endlich ist auch die Wirkung der Staub-
mittel unbeständiger als die der letzteren, indem sie durch Winde abgeweht
oder durch Regen leicht abgeschwemmt werden können. Andererseits hat
das Bestäubungsverfahren den Vorteil des leichteren Transportes und der
Entbehrlichkeit des Wassers, und außerdem wird manchen Mitteln im staub-
förmigen Zustand auch eine stärkere Wirkung nachgesagt als im flüssigen
oder gasförmigen Zustand. Als die hauptsächlichsten Bestäubungsmitte] i)
kommen in Betracht: Tabakstaub, Schwefelblume, Schwefelleber, Insekten-
pulver, Naphthalinkalkpulver usw. Im forsdichen Betrieb eignet sich das Be-
stäubungsverfahren nur in Pflanzgärten oder jungen Kulturen, und wird hier
gegen Blattläuse, Afterraupen und vor allem gegen Erdflöhe angewendet.
Zur Verstäubung der pulverförmigen Stoffe bedient man sich besonderer
Apparate, die mit Blasbälgen versehen sind. Zur Vornahme der Bestäubung
empfiehlt es sich, einmal möglichst windstille Tage und sodann die Morgen-
stunden, in denen die Pflanzen noch die Morgenbetauung tragen, zu wählen.
Während der letzten großen Nonnenkalamität in Sachsen wurde der Vor-
schlag gemacht, das Bestäubungsverfahren im großen in den Beständen durchzu-
führen, und es wurde sogar auch ein Apparat konstruiert, durch den die Staub-
massen hoch in die Luft geschleudert werden können. Der Vorschlag hat aber
wenig Anklang gefunden; auch hat man nichts darüber erfahren, ob der Apparat
irgendwo in der Praxis in Gebrauch gekommen ist und ob irgendwelche greif-
baren Erfolge damit erzielt sind. —
In noch geringerem Ansehen als das Bestäuben steht das Räuchern
in der Forstentomologie. Es wird bis jetzt nur in ganz wenig Fällen an-
gewendet; eigentlich nur gegen die beiden Tannentrieb wickler. Die Rauch-
entwicklung wird in diesen Fällen in der Weise bewirkt, daß das von der
Durchforstung stammende Reisig in regelmäßiger Verteilung auf Haufen ge-
setzt und angezündet wird. Das grüne Material liefert einen dicken Rauch,
unter dessen Einwirkung, zumal bei feuchtem Wetter, die Raupen massen-
haft zu Boden fallen, wo man sie zusammenfegen und vernichten kann. —
Es fragt sich, ob das Räucherverfahren nicht doch vielleicht auch in der
Forstentomologie weiter ausgebaut werden kann.^) Im allgemeinen scheinen
^) Nach M. S c h w a r t z ist die Verschiedenheit in der Einwirkung der
pulverförmigen und gasförmigen Gifte wohl dadurch zu erklären, daß „das Insekt
bereits die ersten schwachen Gasspuren wahrzunehmen und darauf durch Schließung
der Tracheen zu reagieren vermag. Das Pulver dagegen wird erst nach dem Ein-
dringen der Teilchen in die Atemöffnung wahrgenommen. Der Verschlußmechanis-
mus (siehe oben S. 72) tritt alsdann für das Tier zu spät in Tätigkeit."
^) Der vor wenigen Jahren gemachte Vorschlag, mit Schwefeldämpfcn die
Nonne zu bekämpfen, hat, wie nicht anders zu erwarten war, allseitige Zurück-
weisung erfahren.
Die technische Bekämpfung.
359
die Raupen ja sehr unempfänglich gegen Rauchwirkung zu sein, wie wir uns
selbst durch verschiedene Versuche überzeugen konnten: so blieb z. B. der
dickste Qualm, der durch Verbrennung von mit den verschiedensten Stoffen
getränkten Sägespänen scheinbar ohne jede Wirkung auf die Nonnenraupen,
die sich nicht einmal von ihrem Sitz vertreiben ließen. Dies schließt aber
nicht aus, daß vielleicht doch noch Stoffe gefunden werden, deren Ver-
brennungsgase eine empfindlichere Wirkung auf die Raupen oder andere
Schädlinge auszuüben vermögen. —
Wo die Schädlinge an einzelnen eng umschriebenen Stellen konzen-
triert, ferner gut sichtbar und erreichbar sind, oder wenn es sich um einzelne,
besonders große, mechanisch schwer zu erreichende Schädlinge handelt, kann
die chemische Bekämpfung in der Weise ausgeführt werden, daß nur die
betr. Stellen, resp. die dort angehäuften Schädlinge mit dem Gift
behandelt werden („lokale chemische Behandlung"). Solche Fälle
liegen z. B. vor bei den Eischwämmen des Schwammspinners, die weithin
sichtbar sind und zahlreiche Keime enthalten, ferner bei den Raupennestern
des Goldafters und des Prozessionsspinners, bei den Spiegeln der jungen
Fig-. 220 a. Fig. 220 b.
Petroleumkanne zur Tötungider Eier des Schwammspinners. Nach Rörig.
Nonnenraupen, bei den Kolonien von Rindenläusen am Stamm, bei den
Larven von Zeiizera, Sesien usw. Die Ausführung der lokalen Behandlung
kann in verschiedener Weise geschehen, am einfachsten dadurch, daß man
die Schädlinge mit einem in die Giftflüssigkeit getauchten Pinsel oder
Wergbausch oder dgl. bestreicht oder betupft. So kann man die
Eischwämme des Schwammspinners dadurch abtöten, daß man sie mit
Petroleum bepinselt, oder die Nonnenspiegel dadurch, daß man sie mit
Öl betupft usw. Um die Giftflüssigkeit in genau abgemessenen Quanti-
täten an die besetzten Stellen bringen zu können, ist von Rörig ein be-
sonderer Apparat konstruiert worden, der aus einer auf einer Stange befind-
lichen Kanne mit einem dünnen Ausflußrohr besteht, dessen Verschluß von
unten aus in der leichtesten Weise bewerkstelligt werden kann (Fig. 220a u. b).
Die Anwendung dieses Apparates hat den Vorzug, bei größter Sparsamkeit
des Materials eine genügende Durchtränkung der betr. Stelle zu gewährleisten;
außerdem kann man ihn für verschiedene Zwecke gebrauchen, nicht nur zum
360 Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
Abtöten der Eischwämme (wofür er ursprünglich konstruiert wurde), sondern
auch zur Durchtränkung der Raupennester, wie vor allem der Prozessions-
spinnernester. Bei der lokalen Behandlung, besonders bei dem Verfahren
gegen die Eischwämme empfiehlt es sich, der Flüssigkeit einen Farbstoff bei-
zumischen (Rörig benutzte Alkanin, einen roten Pflanzenfarbstoff, der dem
Petroleum eine tief schwarzrote Färbung verleiht), um eine Kontrolle über
die behandelten Stellen zu haben.
Die lokale Behandlung kann naturgemäß nur in relativ beschränktem
Maße Anwendung finden, wo eben die obigen Bedingungen erfüllt sind. In
dieser Beziehung steht sie der Spritzmethode wesendich nach, andererseits
aber hat sie das vor ihr voraus, daß sie sicherer und sparsamer arbeitet.
Eine Anwendung der „lokalen Methode" in großem Maßstab konnte der Ver-
fasser in Amerika sehen, wo Hunderte von Arbeitern damit beschäftigt waren, die
Eischwämme des Schwammspinners mit Kreosot zu bepinseln. Um die höher
sitzenden Schwämme zu behandeln, wurden Leitern benützt, was gegen-
über der Methode, mit langen Stangen von unten aus die Behandlung vorzunehmen,
zweifellos den großen Vorteil besitzt, daß einmal ein Übersehen
von Schwämmen weniger leicht vorkommt und sodann auch
die Bepinseln ng gründlicher ausgeführt werden kann. —
Wo es sich um Insekten handelt, die im Boden leben resp. im Boden
ihre Entwicklung durchmachen, sucht man denselben durch Behandlung
des Bodens mit Giftstoffen beizukommen. Es können dabei ver-
schiedene Verfahren zur Anwendung gelangen. Das verbreitetste ist die
Schwefelkohlenstoffinjektion, welcher der Gedanke zugrunde liegt,
Schwefelkohlenstoff in den Boden einzubringen, damit dessen sich im Boden
verbreitende Dämpfe die dort befindlichen Larven usw. abtöten. Die Ein-
bringung des Schwefelkohlenstoffes kann entweder dadurch geschehen, daß
man Löcher (mit dem Pflanzeisen) in den Boden stößt, die Flüssigkeit
eingießt und dann das Loch wieder schließt. Oder man verwendet Gelatine-
kapseln, die mit Schwefelkohlenstoff gefüllt sind (die sog. Jamain sehen
Kapseln, 1000 Stück ä 2^2 g flüssigen Schwefelkohlenstoffes kosten ca.
25 M. bei L. Möller in Erfurt), die man in die Löcher einwirft. Oder man
gebraucht, was neuerdings meistens geschieht, eine Bodeninjektions-
spritze (ein mit einer Kompressionspumpe versehener hohler Stahlstab), bei
deren Anwendung die Arbeit des Löcherstoßens völlig in Wegfall kommt.
Um das Verfahren erfolgreich zu gestalten, sind verschiedene Momente
zu berücksichtigen: Vor allem kommt es auf eine richtige Dosierung an;
denn zu geringe Einspritzungen wirken nicht tödlich auf die Insekten, zu
starke dagegen wirken tödlich auf die Pflanzen. So hat man sich also zu-
nächst durch eine Reihe Versuche über die anzuwendende Quantität zu ver-
gewissern. Nach Decoppet läßt sich die günstigste Wirkung auf Engerlinge,
gegen die ja das Verfahren in erster Linie angewendet wird, mit 40 — 50 g
für den Quadratmeter, verteilt auf 6 Einstichlöcher, erzielen. Doch spielt
dabei natürlich auch die Bodenbeschaffenheit eine wesendiche Rolle, insofern
als lehmige Böden die Dämpfe schwerer durchtreten lassen als lockere sandige.
Ferner ist zu bedenken, daß die Schwefelkohlenstoffdämpfe in ihrer ver-
hältnismäßigen Schwere die Tendenz haben, nach unten zu sinken; es dürfen
Die technische Bekämpfung. 361
demnach die Löcher resp. die Einstiche nicht zu tief gemacht werden; jeden-
falls nicht tiefer als die zu bekämpfenden Larven sich befinden.
Die Schwefelkohlenstoffbehandlung läßt sich außer gegen den Enger-
ling auch gegen noch verschiedene andere Wurzelinsekten anwenden, wie
z. B. gegen Otiorhynchus, Brachyderes usw., und zwar nicht nur als Ver-
tilgungs-, sondern auch als Vorbeugungsmittel bei der Anlage von Kulturen.
Auch gegen die Maulwurfsgrille kann man Schwefelkohlenstoff benutzen,
indem man die Flüssigkeit einfach in ihre Gänge eingießt und das Eingangs-
loch zutritt.
Neben dem Schwefelkohlenstoff hat man noch alle möglichen anderen
Flüssigkeiten zum Einbringen in den Boden empfohlen, wie Karbolsäure,
Schmierseifenwasser usw.; doch keine derselben kommt in ihrer Wirkung
dem Schwefelkohlenstoff gleich.
Eine weitere chemische Bodenbehandlung als Kampfmittel gegen Schäd-
linge besteht in der Verwendung von pulver- oder staubförmigen Pro-
dukten, die entweder in den Boden durch Umgraben gebracht oder aber
einfach auf der Oberfläche aufgestreut werden. Die erstere Methode verfolgt
den Zweck, die in der Erde befindlichen Tiere zu töten, die letztere dagegen
zielt hauptsächlich darauf ab, die Weibchen vom Eindringen in den Boden
und der Eiablage daselbst abzuhalten.
Zum Untergraben wird hauptsächlich Tabakstaub empfohlen; doch
muß dieser schon in großen Quantitäten verwandt werden, wenn er wirken
soll. Vi 11 gibt als wirksame Dose gegen Engerling 1 Ztr. auf 20 qm an.
Ferner soll auch Kainit sich gut bewähren gegen Erdraupen, Drahtwürmer
usw. — Zur Bodenbestreuung verwendet man gewöhnlich Ätzkalkstaub von
feingemahlenem, ungelöschtem Ätzkalk. Die Bestreuung muß derartig sein,
daß der Boden wie mit einer leichten Schneedecke überzogen erscheint, wozu
nach Vill ca. 40 Ztr. pro Hektar Pflanzgartenfläche notwendig ist. Da die
Bestreuung den Käfer von der Eiablage abhalten soll, so muß sie in der Zeit
der Fortpflanzung vorgenommen werden, und zwar mehr als einmal: „zum
ersten Mal, sobald die ersten Käfer in Kopula gefunden werden, zum zweiten
Mal, wenn der Kalkstaub durch Witterungseinflüsse gelöscht resp. nicht mehr
sichtbar ist, und event. zum dritten Mal, wenn die Flugzeit sehr lange sich
ausdehnt." Der Erfolg dieser Methode ist ein durchschlagender, indem die
Maikäfer den Ätzkalk absolut meiden und auch die verschiedenen kleinen
und mitunter recht schädlichen Rüsselkäfer darin umkommen. Der einzige
Nachteil dieser Methode besteht darin, daß sie bei anhaltend nasser Witte-
rung nicht anwendbar ist (Vill).
Endlich sei noch auf eine andere chemische Bekämpfungsmethode von
Bodeninsekten hingewiesen, die in Frankreich und Amerika verschiedentlich
versucht wurde: nämlich Entwicklung von Blausäuredämpfen im Boden.
Man verfuhr dabei in der Weise, daß man wässerige Zyankaliumlösung ganz
ähnlich wie Schwefelkohlenstoff in 10 — 20 cm tiefe Löcher eingoß und diese
wieder zumachte. Die Wirkung dieses Mittels soll langsam, aber vollständiger
sein als diejenige des Schwefelkohlenstoffs ; die Insekten sollen sich nicht vor
dem Mittel fürchten und die Pflanzen sollen selbst bei recht kräftigen Dosen
362
Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
nicht leiden. Es wurden 6 — 15 Löcher pro Quadratmeter mit je 8 10 ccm
einer 20'^/oigen Z^^ankaliumlösung (= 15 — 20 g Zyankaliumlösung pro Quadrat-
meter) verwendet (Mamelle). Da Zyankalium eines der stärksten Gifte ist,
so ist bei dessen Verwendung größte Vorsicht geboten. Jedenfalls
darf die Blausäuremethode nur unter sachkundiger Leitung aus-
geführt werden.
c) Die mechanischen Methoden.
Die nächstliegende und einfachste Methode ist das direkte Entfernen
resp. Vernichten der Schädlinge. Am leichtesten kann diese Methode
da ausgeübt werden, wo es sich um Schädlinge handelt, die in dichten Mengen
konzentriert beisammensitzen, wie z. B. die Lophyrus-Arten. Hier kann man
durch einfaches Abstreifen der besetzten Äste und Zerdrücken der Larven
mit der Hand vieles erreichen. Ebenso kann man die jungen Nonnenräupchen,
die noch in Spiegeln zusammensitzen, in großer Zahl mechanisch vernichten,
indem man die Spiegel zerdrückt, wozu man kürzere oder längere, mit einem
Fig. 221, Kr ah es Käferfalle. Aus Eckstein.
Lappen- oder Wergbausch versehene Stangen benutzt. Um die Wirkung zu
erhöhen, kann man den Bausch mit Öl tränken, worauf schon oben bei der
chemischen Methode hingewiesen wurde.
Auch bei Nonnenfaltern, die ja den Tag über meist ruhig an den
Stämmen sitzen und durch ihre weiße Färbung leicht zu entdecken sind, wird
die mechanische Vernichtung durch Zerdrücken vielfach angewendet. Natürlich
soll das Vernichtungswerk geschehen, noch bevor das Weibchen seine Eier
abgelegt hat. Welche Unmengen von Faltern auf diese Weise getötet werden
können, ist in dem eben ausgefochtenen großen Nonnenkampf in Sachsen
bewiesen worden, wo z. B. im Jahre 1908 im Forstbezirk Dresden allein über
12 Millionen Falter gesammelt wurden.
Für Weideninsekten, die oft in ungeheueren Mengen die ganzen Weiden
bedecken und bei denen ein Abstreifen mit der Hand zu zeitraubend wäre,
hat man einen Abstreifapparat geschaffen, (Krahes Käferfalle, Fig. 221) be-
stehend aus zwei langen Bürsten, die auf ein ebenso langes schmales einrädeiiges
Karrengestell beweglich aufmontiert sind. Indem man mit dem Karren durch
die befallene Kultur hinfährt, streift man die Insekten mit Hilfe der beiden
Bürsten von den Pflanzen ab, die in eine auf dem Karren angebrachte, mit
Wasser und Petroleum gefüllte Wanne fallen.
Die technische Bekämpfung.
363
Sollen Insekten gefangen werden, die sich in den Baumkronen befinden,
so müssen sie aus der Krone herabgeschüttelt oder geprellt werden.
Bei stärkeren Bäumen, die nicht wohl im ganzen zu schütteln oder zu prellen
sind, können die einzelnen Zweige mit Hakenstangen geschüttelt werden. Um
die herunterfallenden Insekten bequem sammeln zu können, empfiehlt es sich,
Tücher unterzulegen oder zu halten, auf denen die Insekten leicht zusammen-
kehrt oder zusammengeschüttet werden können. Die Tücher müssen natür-
lich mindestens so groß sein wie der Umfang der Krone.^) Wo es sich um
das Abschütteln kleiner Bäumchen handelt, klopft man die Insekten am besten
in einen untergehaltenen Schirm (sog. Klopfschirm). Bei ^-^
gut fliegenden Insekten (z. B, Maikäfer) hat das Ab- ^
schütteln zu früher Morgenzeit zu ge-
schehen, wenn die Tiere von der Nacht-
kühle noch erstarrt sind, da sie sonst
beim Aufstören sofort zum Flug über-
gehen. Beim Prellen der Bäume ist
darauf zu achten, daß keine Quetsch-
wunden erzeugt werden; deshalb sind
besonders Astslumpfe zum Anschlagen
zu wählen. Außerdem sind die zum
Prellen bestimmten Äxte an ihrer
Rückseite mit Werg oder Lappen
zu umwinden.
Handelt es sich um Eigelege,
Gallentiere, Raupennestei usw., die an
einzelnen Zweigen sitzen (wie z. B. die Eiringel des Ringelspinners,
oder die Ananasgallen, oder die Nester von Goldafterraupen, oder um
Minierer, die in einzelnen Zweigen leben, oder die Raupen von Triebwicklern
usw.) so hilft man sich am besten dadurch, daß man die betreffenden Äste
oder Triebe einfach abschneidet oder abbricht und verbrennt. Sitzen
die Zweige sehr hoch, so bedient man sich hierzu der Raupenschere
(Fig. 222 a). Bei den Raupennestern kann man auch zu dem Mittel des Ab-
brennens greifen, das mit Hilfe der Raupenfakeln (Fig. 222b) sich bequem
ausführen läßt.
In welcher Ausdehnung das Verfahren des Abschneidens der Nester aus-
geübt werden kann, zeigt die Bekämpfung des Goldafters in Amerika, wo jährlich
Millionen von Nestern abgeschnitten und zu meterhohen Haufen aufgetürmt und
verbrannt werden.
Handelt es sich bei dieser Vernichtungsarbeit um die Nester von Raupen,
deren Berührung dem Menschen Nachteil bringen kann, wie die Prozessionsspinner-
raupen, so hat der Arbeiter sich durch Handschuhe, umgebundene Tücher, Be-
streichen der Hände und des Gesichtes mit Öl usw. gegen diese Schädlichkeit zu
schützen.
Besondere Vorkehrungen sind beim Fang von springenden Insekten
notwendig, wie z. B. der Erdflöhe. Man sucht dieselben dadurch festzuhalten,
1) Welch ausgezeichneten Erfolge durch konsequentes Sammeln (Ab-
schütteln) erzielt werden können, zeigt die großzügig durchgeführte' Maikäfer-
bekämpfung des Forstmeisters P u s t e r in Kandcl (Pfalz).
Fig. 222 a.
Raupenschere.
Aus Ecksl
364 Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
daf3 man sie auf eine mit einer klebenden Masse bestrichene Unterlage
abklopft. Man nimmt dazu gewöhnlich sog. „Teer Schlitten", die aus einem
einfachen Stück Pappe, das mit Raupenleim bestrichen ist, bestehen, und die
zwischen den Pflanzenreihen (in Pflanzgärten oder Kulturen) hindurch gezogen
werden, während gleichzeitig die Pflanzen abgeklopft werden.
Weit schwieriger und zeitraubender ist das direkte Entfernen der
im Boden lebenden Insekten. Wo es sich um ganz lockere Böden
und gleichzeitig größere Insekten (wie z. B. Saateulenraupen) handelt, da
kann man einfach mit den Fingern die Tiere aus dem Sand herausschleudern.
Meist aber wird man zum Spaten greifen müssen, um den Boden umzu-
graben und die darin befindlichen Insekten bloßzulegen. Event, sind auch
die Pflanzen herauszunehmen, um die an den Wurzeln sitzenden Larven ab-
zuschütteln und dann wieder einzupflanzen.
Insekten, die in der Bodendecke überwintern, kann man event.
durch „Streu rechen" vernichten, d. h. dadurch, daß man die Bodendecke
abzieht und auf Haufen zusammenbringt, in denen die Puppen usw. der betr.
Schädlinge meist von selbst zugrunde gehen. Bei manchen schlimmen Schäd-
lingen, wie z. B. Kiefernspanner, ist das Streurechen gegenwärtig das einzige
mechanische Mittel, das einigermaßen Erfolg verspricht. (Über die Ver-
nichtung der Bodeninsekten durch Schweine und Hühnereintrieb ist oben bei
der biologischen Bekämpfung berichtet.)
Das Fangen der Insekten kann dadurch wesendich erleichtert und
erfolgreicher gemacht werden, daß man sie durch Anlockungsmittel an
einzelnen Stellen zusammenzieht, wodurch die Schädlinge gewisser-
maßen aus dem befallenen Gebiet extrahiert werden, oder vielmehr aus deren
zerstreutem Vorkommen ein lokales, engbegrenztes gemacht wird. Solcher
Anlockungsmittel gibt es eine ganze Reihe:
Die meisten laufen darauf hinaus, den Schädlingen möglichst günstige
Nahrungsmittel- und Brutgelegenheit darzubieten. So kann man z. B.
die Drahtwürmer durch „Fangpflanzen" anlocken, indem man Salat, der
von den Drahtwürmern vor allen anderen Pflanzen vorgezogen wird, zwischen
die Saat- und Pflanzreihen und die die Beete trennenden Wege sät. Die von
den Larven angenommenen Salatpflanzen werden welk und scheinen etwas
in den Boden gezogen zu sein. Man hebt diese Pflanzen heraus und wird
in der bis auf die äußere Haut ausgehöhlten Wurzel oder sogar weiter oben
den Drahtwurm finden. Ist die Pflanze leer, so befindet sich die Larve
bereits auf dem Wege zu einer nächsten, in welcher sie am anderen Tage
gefunden werden wird. Auch aufgeschnittene Kartoffeln, welche abends aus-
gelegt werden, können als Köder benutzt werden.
Ein sehr bekanntes und vielgebrauchtes Anlockungsmittel sind die
„Fangrinden", die hauptsächlich zum Sammeln des großen braunen Rüssel-
käfers und der wurzelbrütenden Hylesinen benutzt werden. Die Rindenstücke
(von je 20 — 30 cm im Quadrat) müssen vom frisch gefällten Stamm genommen
sein (da sie ja dem Käfer Nahrung darbieten sollen), und werden mit der
Bastseite auf den Boden seiest und mit einem Stein beschwert. Das Sammeln
Die technische Bekämpfung.
365
der Käfer geschieht durch vorsichtiges Aufheben und Umdrehen der Rinde
und Lesen der an dieser und auf dem Boden sitzenden Individuen. Trocken
gewordene Rindenstücke müssen durch frische ersetzt werden, wobei die
alte Rinde zum Schutz des frischen Stückes auf das letztere gelegt werden
kann (Fig. 223b). In Kiefernrevieren verwendet man auch „Fangkloben",
zu welchen man frisch gefälltes, dünnrindiges Kiefernholz benutzt; sie werden
in ganz ähnlicher Weise gehandhabt wie die Fangrinden (Fig. 223 a). Um
die Anziehungskraft dieser Fangmittel zu erhöhen, hat man auf die Fangrinden
und Fangkloben etwas Tei"pentin gegeben. Doch sind die Meinungen über
die Wirkung dieses Zusatzes recht verschieden; wahrscheinlich spielt hier
auch die Qualität des Terpentins eine Rolle.
Beruhten die bisher genannten Anlockungsmittel im wesentlichen auf
der Darbietung von besonders zusagender Nahrung, so bestehen die folgen-
den hauptsächlich in einer Darbietung von möglichst günstigen Brutgelegen-
heiten. So sucht man die eben genannten Schädlinge außer durch Fang-
rinden auch noch durch „Brutknüppel" aus den bedrohten Kulturen heraus-
F"ig. 223 a. FaugklobeD.
Fig. 223 b. Fangrinden, zweimal erneuert.
Aus Eckstein.
zuziehen. Das Prinzip derselben besteht darin, daß je eine Anzahl (etwa
armdicker und '^/^ m langer) Knüppel zusammen eingegraben werden, wo
sie von den Weibchen der genannten Schädlinge aufgesucht und mit Eiern
belegt werden. Nach einiger Zeit werden die Knüppel wieder heraus-
genommen und die darin befindliche Brut vernichtet. Forstmeister Groh-
mann sucht die Anziehungskraft der Brutknüppel dadurch noch zu steigern,
daß er über die Knüppel frisches Reisig legt, welches zum Zweck der Be-
festigung und längeren Frischhaltung in der Mitte mit Erde bedeckt wird, so
daß nur die äußeren Enden der Zweige frei hervorragen. Dadurch wird
den Käfern neben der Brutgelegenheit zugleich auch zusagende Nahrung
dargeboten. Die Erfolge dieser kombinierten Methode waren sehr zufrieden-
stellende.
Eine sehr wichtige Rolle unter den hierherzählenden Fangmethoden
spielen die sog. „Fangbäume", welche ein wirksames Bekämpfungsmittel
gegen viele Borkenkäfer und andere rindenbrütende Käfer (Cerambyciden,
Pissodes usw.) darstellen. Die Methode beruht darauf, daß frisch gefällte
Bäume von den genannten Schädlingen gern als Brutmaterial angenommen
werden, da sie sich eben in einem für sekundäre Schädlinge gerade ge-
eigneten Zustand befinden. Und so braucht man nur eine genügende An-
366 Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
zahl solcher Fangbäume zu werfen, um die größte Zahl der Borkenkäfei
usw. aus dem Walde herauszuziehen. Da die Fortpflanzungsbereitschaft der
Borkenkäfer sich über eine längere Zeit erstreckt, die Bäume aber allmählich
ihre Anziehungskraft verlieren, so muß dafür gesorgt werden, daß von Zeit
zu Zeit neue Bäume gefällt werden. Besonders wichtig ist es ferner, daß die
Fangbäume stets revidiert und zur rechten Zeit entrindet werden. Am besten
geschieht die Entrindung, noch bevor die Larven zur Verpuppung schreiten;
es ist dann gar nicht einmal notwendig, daß die Rinde verbrannt wird, da
die Larven, wenn sie freigelegt sind, von selbst zugrunde gehen. — Von
Sedlaczek ist vorgeschlagen worden, auch stehende Bäume als Fangbäume
zu präparieren, indem man die Rinde derartig ringelt, daß der Saftstrom
unterbrochen wird; sie sollen für gewisse Borkenkäferarten wirksamer sein
als die gefällten. Näheres darüber wird im 2. Band bei Besprechung der
Borkenkäfer mitgeteilt werden.
Endlich hat man auch das Licht als Anlockungsmittel dem Kampf
gegen die Schädlinge dienstbar zu machen gesucht. Von der allbekannten
Erscheinung ausgehend, daß die nächtlichen Insekten, vor allem die Nacht-
schmetterlinge, zum Licht geflogen kommen, hoffte man durch Aufstellen von
starken Lichtquellen im Walde einen Massenfang gewisser Schädlinge erzielen
zu können. Im großen Maßstabe wurde der Versuch zum ersten Male
während der Nonnenkalamität in Bayern (1890/92) unternommen. Es wurden
Bogenlampen aufgestellt und in Verbindung mit einem starken Saugapparat
(Exhaustor) gebracht, welcher die vom Licht angezogenen Schmetterlinge
durch ein weites Rohr in ein mit einer Flüssigkeit gefülltes Gefäß saugen
sollte. Der Apparat entsprach durchaus nicht den Erwartungen; jedenfalls
stand der Erfolg in gar keinem Verhältnis zu den hohen Kosten, so daß man
vollständig von ihm abkam (Pauly). Auch alle späteren in den Handel ge-
brachten Lichtfangapparate haben, soweit es sich um die Vertilgung von
Forstinsekten handelte, einen durchschlagenden Erfolg nicht gehabt, so daß
man heute von der Lichtfangmethode als Bekämpfungsmittel ziemlich all-
gemein abgekommen ist.
Eine weitere Methode der mechanischen Bekämpfung besteht darin, die
Schädlinge in Fanggräben auf ihren Wegen zum Fraßgebiet abzufangen
und so das letztere freizuhalten. Natürlich kann diese Methode nur gegen
solche Schädlinge geübt werden, welche flugunfähig sind oder wenigstens
von ihrem Flugvermögen nur geringen Gebrauch machen, also boden-
bewohnende Larven, wie Engerlinge oder Erdraupen, flügellose Kurzrüßler
und ganz besonders gegen den flugunlustigen Hylobius. Die hauptsächlichste
Indikation für die Anlage von Fanggräben ist Schutz der Kulturen. Es
werden zu diesem Zwecke die betreffenden Kulturen allseitig mit Fanggräben
umgeben; wo außerdem noch bereits in der Kultur befindliche Schädlinge,
wie z. B. Saateulenraupen, abgefangen werden sollen, sind neben dem Um-
fassungsgraben noch weitere Gräben in der Kultur anzulegen, welche die
letztere durchqueren und mit dem Umfassungsgraben in Verbindung stehen.
Die Tiefe der Gräben beträgt gewöhnlich ca. 30 cm, die Breite kann ungefähr
Die technische Bekämpfung. 357
ebensoviel betragen, sie kann aber auch etwas schmäler sein. Die Haupt-
sache ist, daß die Wände (oder wenigstens die der Kultur zugewandte) senk-
recht abfallen und möglichst glatt sind. Auch die Sohle des Grabens ist zu
ebnen und von dem überflüssigen lockeren Erdreich zu reinigen, des leichteren
Sammeins halber. Aus demselben Grunde sind im Graben in regelmäßigen
Abständen (von vielleicht 10 m) Löcher auszuheben, in denen die im Graben
hin- und herlaufenden Käfer sich sammeln, wodurch die Arbeit des Ent-
fernens wesentlich erleichtert wird (Fig. 224). Von größter Wichtigkeit ist
es, daß der Graben fängisch gehalten, d. h. daß er stets von hineinfallenden
Ästen, Laub usw. gereinigt wird, daß event. abgefallene Wände wieder-
hergestellt und geglättet werden usw. Von Zeit zu Zeit müssen die Gräben
abgesammelt werden, wobei besonders darauf zu achten ist, daß Nützlinge,
die mit gefangen sind (wie Ca/osonia, Mistkäfer, Eidechsen usw.), wieder in
H
Fig. 224. Fauggraben zur Bekämijfung des HyJoUus. A Längsschuitt. B von oben gesehen, die Fall-
löclier sind gestreift. Ans Eckstein.
Freiheit gesetzt werden. — Die Erfolge, die man mit den Fanggräben, vor
allem gegen Hylobius, erzielt hat, sind sehr zufriedenstellende, und es
empfiehlt sich jedenfalls, überall, wo die Anlage solcher Gräben technisch
leicht ausführbar ist, zu diesem Mittel zu greifen.
Auf dem gleichen Prinzip wie die Fanggräben beruhen die Fanglöcher
und die Fangtöpfe, nur handelt es sich hier um vereinzelte kleinere Fang-
stellen, die in großer Anzahl über das zu schützende Gebiet verteilt werden
können. Fanglöcher werden z. B. angewendet gegen Engerlinge; sie werden
in diesem Falle mit Moos gefüllt, in dem sich die Engerlinge gern aufhalten.
Fangtöpfe nimmt man vor allem gegen die Maulwurfsgrille. Es können
Blumentöpfe, Konservenbüchsen, abgeschlagene Flaschen usw. dazu benutzt
werden; es ist nur darauf zu achten, daß der obere Rand des Topfes nicht
vorsteht, sondern eher etwas tiefer liegt als die Erdoberfläche; die Erde wird
möglichst fest angedrückt und gerundet, so daß die heranlaufenden Werren
abstürzen müssen. Die Fangtöpfe werden zwischen den Saatbeeten in 3 bis
5 m Abstand eingegraben. Man kann die Wirkung noch erhöhen, wenn man
die einzelnen Fangtöpfe mit Latten verbindet, die etwas in den Boden ver-
368 Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
senkt, ungefähr 5 cm hervorsehen: die Werren, die an diese Latten hin-
geraten, laufen dann daran entlang und werden so direkt zu den Fangtöpfen
geleitet (Eckstein).
Außer diesen Fanggräben, Fanglöchern und Töpfen werden noch zahl-
reiche Insektenfallen, vor allem Rüsselkäferfallen, in denen sich die Käfer
„massenweise" fangen sollen, in den Handel gebracht. Doch keine von allen
angepriesenen Fallen hat sich so bewährt, daß sich ihre Einführung im großen
empfehlen würde. Jedenfalls ist nicht anzuraten, viel Geld für derartige
Apparate auszugeben. Man sollte in dieser Beziehung überhaupt als Regel
aufstellen, neue in den Handel kommende Apparate nicht gleich im großen
anzuschaffen, bevor nicht einwandfreie Versuche (am besten durch die Ver-
suchsanstalten) angestellt worden sind. Große Summen Geldes könnten auf
diese Weise gespart und besseren Zwecken zugeführt werden. Dies gilt
übrigens nicht nur für die Käferfallen, sondern in gleicher Weise auch für
alle übrigen zahlreichen „Neuerfindungen" auf dem Gebiete des Pflanzen-
schutzes, z. ß. Lichtfang- und Leimapparate, Spritzmittel usw.
Als eines der wichtigsten der mechanischen Bekämpfungsmittel ist der
Leimring zu nennen. Er verfolgt denselben Zweck wie der Raupengraben,
nämlich die Schädlinge vom Fraßort abzuhalten; nur handelt es sich hier
um Bauminsekten, die vom Aufsteigen in die Krone abgehalten werden
sollen, während der Raupengraben zur Abhaltung der Erdinsekten dient.
Die Wirkung des Leimringes ist durchschlagend bei solchen Insekten, die
gezwungen sind, gemäß ihrer Entwicklung vom Boden auf dem Stamm zur
Krone zu kriechen, wofür die bekanntesten Beispiele die aus dem Boden
kommenden flügellosen Weibchen der Frostspanner oder die im Boden über-
winternden Raupen des Kiefernspinners darstellen.
Aber auch bei anderen Insektenarten, deren Biologie obige Forderung
nicht ausnahmslos erfüllt, kann der Leimring Ausgezeichnetes leisten, wo-
für die Nonne ein Beispiel liefert: Die Eiablage dieses Schädlings ist oft über
den ganzen Stamm verteilt, so daß ein Teil der Räupchen oberhalb des
Leimringes auskommt und also ungehindert in die Krone zum Fraß sich be-
geben kann. Ein großer Prozentsatz dieser anfangs freien Räupchen kommt
aber nachträglich doch noch in die Gewalt des Leimringes, da sie nämlich
die Gewohnheit haben, sich bei Störungen usw. abzuspinnen. Dadurch ge-
langen sie, soweit sie nicht durch untere Äste aufgefangen werden, unter-
halb des Leimringes und werden nun beim Wiederaufbaumen vom Leimring
abgehalten. Wir sprechen in solchen Fällen von der „sekundären Wirkung"
des Leimringes. Wie groß dieselbe sein kann, wurde neuerdings durch die
Versuche von Escherich und Weißwange zahlenmäßig festgestellt. Ganz
ähnlich wie die Nonnenraupen verhalten sich auch noch andere Spinnerraupen,
wie z. B. die Räupchen des Schwammspinners, worüber die Amerikaner
interessante Versuche angestellt haben. Bei allen diesen Raupen kann also,
trotzdem sie teilweise oberhalb des Leimes geboren werden, der Leimring als
Bekämpfungsmittel angezeigt sein.
Die technische Bekämpfung.
369
Auch bei an und für sich flugfähigen Insekten, die aber von ihrem
Flugvermögen nur ungern Gebrauch machen, kann der Leimring Gutes leisten.
So berichtet Forstmeister Sihler von recht befriedigenden Erfolgen des
Leimringes gegen Lyda hypotrophica, deren flugunlustige Weibchen zunächst
am Stamme hinaufkriechend die Krone zu erreichen suchen und auf dieser
Wanderung durch den Leimring abgehalten werden können. In diesem Falle
müssen aber die Weibchen sobald als möglich getötet werden, da
sie sonst, von der Fortpflanzungsnot getrieben, sich doch noch zum Über-
« b c
Fig. 225. Leimtecbnik: Kiefernstamm, a gerötet; 6 mit dem vermittelst des Spatels aufgetragenen
Leim; c mit fertigem Leimring, entstanden durch Überstreichen des in 6 aufgetragenen Leimes mit
dem Glättholz. Aus Eckstein.
fliegen des Leimhindernisses aufraffen würden. Endlich kann selbst bei
solchen Raupen, die ihrer ganzen Biologie nach gar nicht oder nur sehr
spärlich und zufällig unter den Leimring geraten, der letztere mit Erfolg in
Anwendung gebracht werden, wenn man das Leimen mit Abschütteln resp.
Prellen verbinden kann. So kann man z. B. die Raupen der Kieferneule in
Stangenhölzern durch dieses kombinierte Verfahren bis zu einem hohen Prozent-
satz unschädlich machen resp. unter den Leimring bringen, wie eine (1913)
in dieser Weise auf Veranlassung von Geh. Oberforstrat Neumeister vorge-
nommene erfolgreiche Bekämpfung der Eule im Dresdener Bezirk dargetan hat.
Die Leimringbekämpfung ist bei Obstbaumzüchtern schon seit langer
Zeit gegen die Frostspanner im Gebrauch. Wenn das Verfahren im forst-
lichen Betrieb erst später allgemeinere Bedeutung erlangt hat, so liegt dies
Escherich, Forstinsekten. 24
370 Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
daran, daß der im Obstbau gebrauchte Leim (resp. Fanggürtel) für die großen
forstlichen Verhältnisse viel zu teuer war, und daß ferner der Teer, den man
anfangs gegen Forstinsekten anwandte, zu bald seine Fängigkeit verlor. Erst
nachdem es der chemischen hidustrie gelungen war, dem Teer durch eine
Art Verseifungsprozeß eine längere Fängigkeitsdauer zu geben und so in
\/
/
ü
Fig. 226 a.
Tragekasteu für Leim.
Fig. 226 b.
Spatel und Glättholz. Verschiedene Formen. (N.)
dem „Raupenleim"^) ein ebenso billiges wie geeignetes Klebemittel zu
schaffen, konnte man an eine Anwendung des Leimringes im großen gehen,
und heute steht derselbe unter den technischen Kampfmitteln gegen einige
unserer gefährlichsten Schädlinge zweifellos an erster Stelle. Hat doch der
Kiefernspinner durch ihn allein seine Schrecken verloren.
Die Wirkung des Leimringes beruht natürlich in- erster Linie auf seiner
Klebekraft; doch auch schon der Geruch allein, der von demselben ausgeht,
Fig. 227. Der Ecksche Leimschlauch. (N.)
wirkt auf manche Insekten abhaltend. Manche Larven allerdings machen sich
wenig aus dem Geruch, wie z. B. die Blattwespenlarven, was man sehr
schön gelegentlich der oben (S. 369) erwähnten Kieferneulenbekämpfung sehen
konnte. Während die Eulenraupen alle schon vor dem Leimring Halt machten
0 Als die renommiertesten Leimfirmen
lisch in Burg bei Magdeburg, Ä. W i
seien genannt: Heinrich Er-
_-„ „-. -.^„a a, -- genroth in Mannheim, Schindler
& M ü t z e 11 Nachfolger in Stettin, P. H o f f m a n n ii
sehen 14 und 20 M. —
Doppelzentner schwankt z'
Freiberg. Der Preis pro
Die technische Bekämpfung. 371
und keine auf den Leim kroch, versuchten die Lophyrus-Lavyen über den
Leim zu laufen und blieben samt und sonders auf dem Leimring kleben.
Je nachdem der Leimring tiefer oder höher am Stamm angelegt wird,
unterscheiden wir eine Tief- und Hochleimung. Die erstere, die etwa in
Brusthöhe vorgenommen wird, ist bei solchen Schädlingen indiziert, die vom
Boden aus aufsteigen müssen, wie z. B. gegen den Kiefernspinner, oder
bei dem mit Prellen kombinierten Verfahren. Die Hochleimung in 4 — 6 m
Höhe wird der Tiefleimung überall da überlegen sein, wo die Eiablage über
den ganzen Stamm verteilt ist (wie bei der Nonne); denn je höher in diesem
Falle der Leimring sitzt, desto mehr Räupchen werden primär von ihm ab-
gefangen.
Die Ausführung des Leimens zerfällt in zwei Akte, nämlich: L die
Vorrichtung der Leimstelle und 2. das Auftragen des Leimes, Die Vor-
richtung besteht hauptsächlich in der Glättung der betreffenden Rindenpartie.
Handelt es sich um die an und für sich ziemlich glatte Rinde von jungen
Kiefern oder Fichten, so genügt es, die Leimstelle mit einer Drahtbürste ab-
zureiben oder mit der stumpfen Seite des Schnitzmessers abzuschaben; wo
es sich aber um dickborkige Rinde alter Bäume handelt, da muß die grob-
rissige Borke abgeschnitzt werden, bis eine glatte Ringfläche entsteht, — ein
Vorgang, den man als „Röten" bezeichnet (Fig. 225a). Beim zweiten Akt,
dem Auftragen des Leimes, ist darauf zu achten, daß der Ring geschlossen
ist und überall dem Stamme aufsitzt, daß er sodann möglichst gleichmäßig
ist, d. h. überall die erforderliche Dicke und Breite aufweist, dass ferner dabei
mit dem Material möglichst sparsam umgegangen wird, und daß endlich die
Arbeit in möglichst kurzer Zeit erledigt werden kann. Um diese Forderungen
zu erfüllen, sind eine ganze Menge Leimapparate konstruiert und in den
Handel gebracht worden, von denen aber nur ganz wenige sich als wirklich
brauchbar erwiesen haben. Heute stehen hauptsächlich folgende in Ver-
wendung: der Leimspatel, der Ecksche Leimschlauch, die Ringlersche
Leimquetsche, die Jankesche Leimspritze und die Leimstricke,
Das primitivste Werkzeug ist der Spatel (Fig. 226b), der einen ein-
fachen Holzstab von der ungefähren Breite des zu machenden Leimringes dar-
stellt. Mit ihm wird der Leim, der in einem Tragekasten (Fig. 226a) mitgeführt
wird, auf die gerötete Stelle aufgetragen, worauf mit einem besonderen Glätt-
holz der gänzlich unregelmäßige Ring glatt gestrichen werden muß. Das Ver-
fahren macht also drei verschiedene Instrumente notwendig; außerdem ist
unvermeidlich, daß meistens etwas Leim abfällt.
Der Leimschlauch (Fig. 227) bedeutet dem Spatel gegenüber einen
wesendichen Fortschritt, vor allem bezügl. der Einfachheit und Schnelligkeit
der Arbeit, Der Schlauch, der aus undurchlässig gemachtem Segeltuch be-
steht, hat nur eine Öffnnng, die mit einem abnehmbaren Mundstück von der
Breite und Dicke des gewünschten Leimbandes versehen ist. Es bedarf nur
eines leichten Druckes auf den gefüllten Schlauch, um die erforderliche Quan-
tität Leim aus dem Mundstück auszudrücken, während man gleichzeitig um
den Stamm herumfährt und den Ring legt. Zur Füllung der Schläuche
sind besondere, nicht gerade billige Füllapparate notwendig (Fig. 228),
24*
372 Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
Die Ringlersche Leimquetsche (Fig. 229), von der Form einer alten
Lichtputzschere, beruht im Prinzip darauf,
daß der Leim aus dem pyramidenförmig ge-
stalteten Leimbehälter mit Hilfe einer scheren-
förmig mit diesem verbundenen Klappe durch
eine kleine Öffnung herausgequetscht wird.
Die Quetsche hat verschiedene Nachteile:
die Arbeit mit ihr wirkt auf die Dauer er-
müdend, und sodann tritt gewöhnlich beim
Schließen des Klappdeckels mehr oder
weniger Leim zwischen dem Deckel und
dem Behälter aus, was Leimverlust und
Schmutzerei bedeutet.
Der Jankesche Apparat^) endlich
(Fig. 230 a, b u. c) beruht auf dem Prinzip
der Leimspritzen, d. h. er besteht aus
einem Zylinder, aus dem der Leim mit
Hilfe eines Stempels durch eine schmale,
mit einem kleinen Mundstück versehene
Fig. 228. D e eher ts Füllapparat für den Öffnung herausgepreßt wird. Die Vorwärts-
Leimschiauch. Aus Eckstein. bewegung des Stempels geschieht ver-
mittelst eines nach Scherenart zu bedienen-
den Hebelapparates, dessen einer an der Spitze rechtwinklig gebogener
Hebelarm in die an der Trieb-
stange angebrachten Zähne ein-
greift. Es genügt ein relativ
schwacher Druck auf diesen
Hebelarm, um den Stempel vor-
wärts zu treiben. Ist die Schere
geschlossen, so wird sie von
neuem geöffnet, der gebogene
Hebelarm, der an der Spitze
einen kurzen beweglichen Finger
besitzt, greift damit in den
nächsten Zahn ein, und nun
kann die Schere wieder ge-
schlossen werden usw. Man
verfährt also etwa so, wie wenn
man mit einer großen Tuch-
oder Papierschere arbeitet, und
es ist dabei, dank der sehr gün-
stigen Hebelwirkung, kaum mehr
Kraftanstrengung notwendig, als
man beim Schneiden eines dünnen Kartons gebraucht. Der Stempel ist am
Rande mit Filz gedichtet, so daß ein Durchtreten des Leimes nach hinten aus-
A B
Fig. 229. Die Ringlersche Leimquetsche. A Ausein-
andergenommen; B Kleinere Profllansicht. (N.)
0 Zu beziehen vom Erfinder M a .x J a n k e in Putzkau, Sachsen (Preis 4,5U M.).
Die technische Belcämpfung.
373
geschlossen ist. An dem Vorderende der Spritze ist ein abnehmbarer Handgriff
angebracht, an dem man mit der linken Hand, der sicheren Führung halber, den
Zylinder festhalten kann, während man mit der rechten die Schere in Be-
wegung setzt. Doch ist diese zweihändige Bedienung wohl nur bei Frauen-
arbeit nötig, während bei Männerarbeit der Handgriff entfernt werden
und die Spritze sehr gut mit einer Hand bedient werden kann. Dieses
Fig. 230. Janke sehe Leimspritze.
a Stempel herausgeuommen, h und c im Gebrauch (ein- und zweihändig).
letztere Moment in Verbindung mit dem überraschend geringen Kraftaufwande,
der zur Bedienung des Apparates notwendig ist, und der überaus reinlichen
und sparsamen Arbeit erhebt die Janke sehe Spritze unserer Meinung
nach über alle bisherigen Leimapparate, und sie dürfte wohl be-
rufen sein, der Leimapparat der Zukunft zu werden.
Durch die einhändige Bedienung der Ja nk eschen Spritze ist — abge-
sehen davon, daß durch sie die Tiefleimung ohne weiteres höher anzubringen
ist (Fig. 231), als es bei den zweihändigen Apparaten tunlich ist (was bei
manchen Bekämpfungen, z. B. Nonne, einen entschiedenen Vorteil bedeutet) —
374
Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
auch das Problem der Hochlei mung der Lösung wesendich näher gebracht.
Wenn man bis jetzt so wenig zu der Hochlei mung gegriffen hat, trotz der
großen Vorzüge, die sie bei gewissen Insekten gegenüber der Tiefleimung
hat, so lag dies hauptsächlich an den zu hohen Kosten resp. an dem Fehlen
brauchbarer Methoden. Dieser Hinderungsgrund dürfte durch die Erfindung
Jankes wesentlich verkleinert worden sein. Jedenfalls lehren die Erfahrungen,
die Herr Oberförster Weiske in Oberholz und Herr Oberförster Cunit in
Fig. 231. Tiefleimen mit der .lankeschen Spritze. Die leichte finhaiuliKi' Bi'di(Miuug ermöglicbt ein
höheres Anlegen des Leimringes als mit den bisher gebräuchlichen Apparaten. (Aufgenommen in
Oberholz bei Leipzig.)
Flößberg damit gemacht haben, daß durch die Jankesche Spritze das Hoch-
leimen nicht nur sehr erleichtert ist, sondern auch die Kosten^) so reduziert
^) Die Kosten des Hochleiniens dürften nach den dem Verfasser gemachten
Mitteilungen durchschnittlich ca. 28 — 35 M. pro Hektar betragen (die früher vom
Verfasser gegebenen Zahlen von 25 — 28 M. waren etwas zu niedrig gegriffen).
Herr Oberförster Cunit in Flößberg gelangte sogar noch zu wesentlich günstigeren
Resultaten, wie aus folgenden Daten zu ersehen ist: Die Hochleimung erfolgte auf
einer Fläche von 17,51 ha, und kostete bei 678 Stunden Arbeit 201,55 M. Es kamen
somit auf 1 ha 11,51 M. ohne anteilige Leimkosten, die 139,19 M. (also 7,95 M. pro
Die technische Belcämpfung. 375
sind gegenüber früherer Hochleimverfahren, daß die Mehrkosten gegenüber
der Tief leimung durch die wesentlich größere Wirkung der Hochleimung
zweifellos reichlich gerechtfertigt sind.
Die Ausführung der Hochleimung (Fig. 232) mit der J an k eschen Spritze
geschieht von 4 — 5 m hohen Leitern aus, welche der Sicherheit halber mit
Eisenschuhen versehen sind; ausserdem empfiehlt es sich, die oberen Enden
der Leiter mit einem kräftigen Hanfstrick zu verbinden, der sich beim An-
legen der Leiter dem Stamm anschmiegt und so der letzteren einen festen
Halt verleiht (empfohlen von Oberforstmeister Schleinitz). Zur Reinigung
der Leimstelle (Entfernung dei Äste usw.) wird ein kräftiges schwertartiges
Instrument, das sog. „Schwert" benutzt, welches mittels einer Draht-
schlinge am oberen Ende der Leiter angehängt ist. Der Arbeiter besteigt
mit der gefüllten Leimspritze die Leiter, reinigt rasch mit dem Schwert die
Umgebung der Leimstelle, hält sich mit der linken Hand fest (an der Leiter
oder am Stamm) und legt mit der rechten den Leimring an. Gewöhnlich ge-
schieht dies mit zweimaligem Ansetzen, einmal links, einmal rechts herum;
geschickte Arbeiter vermögen indes auch mit nur einmaligem Ansetzen, in
einem Zug, den Ring zu legen. Ob so oder so, in beiden Fällen ist die
Arbeit des Leimens in wenigen Sekunden erledigt. —
Die Leimstricke stellen möglichst rauhe Stricke dar, die in Raupen-
leim getaucht und dadurch fängisch gemacht werden. Sie werden heute fast
ausschließlich für Hochleimung verwandt und zwar vielfach in Verbindung
mit Apparaten, welche die Anbringung der Stricke in der gewünschten Höhe
vom Boden aus ermöglichen, so daß Leitern entbehrlich werden.
Hektar) betrugen; so stellten sich also die Gesamtkosten der Hoch-
leimung auf 19,46 M. pro H e k t a r.
Um einen Vergleich der Kosten der Hochleimung mit denen der Tiefleimung
herbeizuführen, wurde eine benachbarte gleichwertige Abteilung mit der Janke-
schen und der R i n g 1 e r sehen Quetsche t i e f g e 1 e i m t. Die Leimung kostete
bei 268 Arbeitsstunden für das Röten und 457 Arbeitsstunden für das Leimen
211,25 M. bei einer Fläche von 16,69 ha, somit 12,66 M. pro Hektar (ohne
anteilige Leim kosten) gegen 11,51 M. bei der Hochleimung!
Dieses überraschende Resultat, daß die Tiefleimung teurer zu stehen kam als
die Hochleimung, erklärt sich daraus, daß bei der letzteren das Röten in Wegfall
kam. Trotzdem aber dürfte es sich hier um abnorm niedere Kosten handeln,
die wohl nur unter ganz besonders günstigen Umständen zu erzielen waren.
Über die Zeit, welche die Hochleimung beansprucht, liegen folgende Angaben
von Herrn Oberförster Cunit vor: Eine Fläche von 1 a Größe mit 20 Bäumen
wurde von einem Arbeiter in 24 Minuten geleimt; das ergäbe ca. 50 Bäume pro
Stunde. Eine andere Fläche von 4 a mit 58 Bäumen wurde von 4 Arbeitern in
15 Minuten geleimt, was einem Arbeitslohn von 0,5 Pf. pro Baum (bei 30 Pf.
Stundenlohn) gleichkommt. —
Die Tiefleimung kostete in Sachsen im Jahre 1908 ca. 16—24 M. pro
Hektar, durchschnittlich 19 M., bei einem Leimverbrauch von durchschnitdich
61 kg — gegenüber den Leimungskosten 1907 von durchschnittlich 22 M. Der
Unterschied erklärt sich einmal aus der gesteigerten Übung der Arbeiter und sodann
daraus, daß es sich 1908 vielfach um Leimungen von Flächen handelte, die schon
1907 geleimt worden waren, und bei denen infolgedessen — da die neuen Ringe auf
die alten gelegt wurden — die Arbeit des Rötens zum Teil erspart werden konnte.
376 Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
So wurde schon vor längerer Zeit von Wappes ein Apparat konstruiert,
mit dem man die Strickenden vom Boden aus zusammenknoten konnte; und
neuerdings ist ein Strick -Hochleimapparat in den Handel gekommen,
dem die Idee zugrunde liegt, durch kräftiges Schleudern den Strick in der
gewünschten Höhe mehrmals um den Stamm herum zu schlingen, so daß er
ohne weiteres vermöge seiner Kraft haften bleibt.
Fig. 232. Hochleimung mittelst Leiter und J an k escher Spritze.
(Aufgenommen in Obei'holz bei Leipzig.)
Dieser letztere (vom Oberförster Schön felder konstruierte) Apparat
(Fig. 233) besteht aus einem mit einem Deckel ü verschließbaren Blechgefäß G.
An dem letzteren befindet sich eine Spule Sp, von der ein gerauhter Strick durch
das Führungsrohr R in das mit Leim gefüllte Gefäß und von da durch die zusammen-
steckbare Blechrohrleitung L ins Freie läuft. Der (leer) nur 3,5 kg wiegende Apparat
wird an dem Tragseil T bequem von dem Arbeiter getragen.
Um den Apparat gebrauchsfertig zu machen, setzt man zunächst die Leitung
L, die am unteren Ende beweglich (durch Gummischlauch) mit dem Kasten ver-
bunden ist, bis zur gewünschten Höhe zusammen und zieht gleichzeitig den Strick
mit durch. Hierauf füllt man das Gefäß zu Vö rnit flüssigem Raupenleim und zieht
Die technische Bekämpfung.
377
den Strick so weit heraus, bis eine etwa 2 — 3 m lange geleimte Strickbahn erscheint.
Hiernach hängt der Arbeiter den Apparat rechtsseitig (mit durchgestecktem rechten
Arm) um den Hals, faßt mit beiden Händen das Leitungsrohr und schlägt mit
diesem nach Art eines Peitschenhiebes das herabhängende Strickende in der ge-
wünschten Höhe um den Stamm. Je nach der herausragenden Stricklänge wird
sich der Strick ein oder mehrere Male um den Stamm schlingen, alsdann wird durch
Rückwärtsgehen des Arbeiters eine beliebige Länge des beleimten Strickes heraus-
gezogen, und nun schneidet ein zweiter Arbeiter mit einer Stangenschere den
Leimstrick hart am Stamm ab, so daß das beleimte Strickende wie zuvor von dem
Leitungsrohr herabhängt.
Die Idee des Strick-Hochleimapparates ist zweifellos eine sehr gute;
und als der Apparat während
der Forstversammlung in Bautzen
(1910) vorgeführt wurde, fand
er auch allgemeinen Beifall. Bei
der Anwendung in der Praxis
jedoch versagte er mehr oder
weniger: Des öfteren brach die
Rohrleitung, ferner spritzte der
Leim beim Schleudern weit
herum und „leimte" noch die
recht entfernt stehenden Zu-
schauer, während der wenige
am Strick hängen gebliebene
Leim in kurzer Zeit austrocknete,
so daß die Raupen bald kein
Hindernis mehr in ihm fanden;
sodann ist in Beständen, die
einigermaßen dicht stehen, das
Arbeiten sehr erschwert, indem
der Strick bald da, bald dort
an Ästen usw. hängen bleibt,
und endlich ist auch die Hand-
habung des Apparates auf die
Dauer recht ermüdend. So
konnte denn auch der Apparat
bis heute keinen rechten Anklang in der Praxis finden. Es dürfte ihm
auch für die Zukunft, selbst wenn die oben gerügten Mängel beseitigt
werden sollten, keine allzugünstige Prognose gestellt werden, und zwar außer
aus den schon genannten Gründen auch noch deshalb, weil man nie
sicher ist, ob der Leimstrick auch überall richtig aufliegt und
weil ferner auch die mitunter recht wichtige Reinigung der Um-
gebung der Leimstelle unterbleibt.
Diese letzteren Gründe treffen mehr oder weniger für alle
Hochleimapparate zu; außerdem kommt bei solchen Hochleimapparaten,
bei denen schwere Leimquetschen — oder Spritzen auf 3 — 4 m hohen Stangen
angebracht sind, als weiterer Nachteil hinzu, daß hier von einer einigermaßen
sicheren Führung nicht mehr die Rede sein kann.
Fig. 233. Strick-Hochleimapparat der Firma
Erbstößer & Haubert (Dresden).
378
Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
Wenn wir ordentlich hochicimen wollen, müssen wir un-
bedingt zur Leiter greifen, und daß dies kein Hindernis ist (weder in
finanzieller noch in technischer Hinsicht), haben die Erfahrungen in Oberholz
und Flößberg zur- Genüge gezeigt.
Über die Dauer der Fängigkeit des Leimringes lassen sich keine
allgemeingültigen Annahm niarl-icn. Das mindeste abci-, was man von einem
234. Aufgekämmter Leimring, uiil zalilreichea daruntersitzendeu ScliwauiUispiuuerraupen.
( Amerika.) Aus Escherich.
brauchbaren Leim verlangen kann, ist, daß er während einer Saison fängisch
bleibt. Doch behalten gute Qualitäten weit länger ihre fängische Eigenschaft,
und hat Verfasser selber schon Leimringe gesehen, die im 2. Jahre noch
wirksam waren. i) Wenn nun die oberste Schicht einzutrocknen beginnt, so
1) Die Verschiedenheit der Fängigkeitsdauer hängt nicht alkin von den ver-
schiedenen Bezugsquellen des Leims ab, sondern auch von den Jahrgängen. Nur
zu oft kann man hören, daß der Leim, von der gleichen Fabrik bezogen, in diesem
Jahr nicht so gut ist als im vergangenen. Es scheint demnach, daß die Erzielung
eines stets gleichbleibenden bestimmten Fängigkeitsgrades mit gewissen techni-
sc'hen Schwierigkeiten verknüpft ist.
Beurteilung der Notwendigkeit und Möglichkeit der Bekämpfung. 379
kann man zunächst als einfachstes Auf frischungs verfahren das Auf-
kämmen mit einem Kamm aus Blech oder Holz versuchen (Fig. 234), ein
Verfahren, das in Amerika, wo der Leim sehr teuer ist, allgemein geübt
wird, und das wenigstens für einige Wochen die Dauer der Leimwirkung
verlängern kann. Wenn der Vertrocknungsprozeß weitere Fortschritte macht,
kann man event. durch Überpinseln mit einem billigen Pflanzenöl den Leim
wieder erweichen (Eckstein).
Der Raupenleim findet übrigens nicht nur als Leimring Verwendung,
sondern wird auch noch in verschiedener anderer Form gebraucht. Von der
Verwendung des Leimes zu „Teerschlitten" war oben schon die Rede.
Des weiteren wird der Leim zur Herstellung von Leimstangen benutzt, die,
gleichwie die Raupengräben, die am Boden kriechenden Schädlinge abhalten
sollen, und die, wie die Gräben, hauptsächlich zur Isolierung von Kulturen
(aber auch Beständen) benutzt werden. Es braucht kaum gesagt zu werden,
daß die Stangen gut auf dem Boden aufliegen müssen und daß die Leimseite
stets fängisch zu halten ist, indem aufgewehte Blätter, Nadeln, Aststückchen
usw. entfernt resp. mit neuem Leim überstrichen werden. Und endlich wird
der Leim auch noch als Leimanstrich benutzt, um Rindeninsekten vom
Fraß, Benagen oder Einbohren in die Rinde abzuhalten (z. B. Hylobiits,
Dendroctotius micans und andere).
Zu letzteren Zwecken benützt man übrigens an Stelle von Leim auch noch
verschiedene andere Stoffe. So hat sich z. B. als Vorkehrungsniittel gegen
Hylobiusfraß ein einfaches Schlämmen der Pflanzen in Ziegellehm oder
dick angerührter Kalkmilch vor dem Einsetzen sehr gut bewährt. Desgleichen
kann man den Anflug von Borkenkäfern, Bupresten usw. durch einen Anstrich
der gefährdeten Stämmchen mit einem erhärtenden Brei schützen; man gebraucht
dazu gewöhnlich eine Mischung von Lehm, Kalk, Kuhdung zu gleichen Teilen mit
Wasser zu einem dickflüssigen Brei zusammengerührt, event. kann man demselben
noch etwas Tabaksbrühe oder Rinderblut beimischen. —
4. Beurteilung der Notwendigkeit und Möglichkeit der Bekämpfung.
Nicht bei jedwedem Auftreten von forstschädlichen Insekten hat der
Forstmann ohne weiteres zu Bekämpfungsmaßregeln zu greifen. Er wird
vielmehr in jedem Einzelfall besonders erwägen müssen, inwieweit die all-
gemeinen forst- und volkswirtschaftlichen Rücksichten deren Anwendung
wünschenswert oder nötig machen. Jede zur Bekämpfung eines Schädlings
getroffene Maßregel bezweckt ja doch schließlich die Verhinderung oder
Minderung einer Schmälerung des wirtschaftlichen Vermögens. Daraus folgt,
daß Bekämpfungsmaßregeln nur dann empfehlenswert sind, wenn
deren Erfolg im richtigen Verhältnis zu dem durch sie bewirkten
Aufwände an Arbeit und Kapital steht.
Der Forstwirt muß sich daher zunächst darüber klar zu werden suchen,
ob der Fraß ein solcher ist, daß sich eine Bekämpfung wirklich lohnt. Dies
wird der Fall sein, wenn durch sie wertvolle Bestände oder Kulturen, oder
auch einzelne wertvolle Bäume voraussichtlich vor dem gänzlichen oder teil-
weisen Eingehen geschützt werden können, oder wenn zu befürchten ist,
daß die Unterlassung der Bekämpfung eine gefährliche Steigerung und weitere
380 Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
Ausbreitung des Fraßes zur Folge haben könne. Andererseits würde die
Bekämpfung zu unterlassen sein, einmal wenn die Beschädigungen nur un-
bedeutender Natur sind, die sich nur in einer geringen Zuwachsverminderung
des Bestandes geltend machen, oder nur einen geringen Ausfall von Pflanzen
(in Kulturen usw.) zur Folge haben; sodann, wenn die natürlichen Gegen-
gewichte ein selbstständiges Erlöschen des Fraßes bald erwarten lassen; und
endlich auch in solchen Fällen, in denen der Fraß schon so weit vorge-
schritten ist, daß ein menschliches Eingreifen voraussichtlich keinen Erfolg
mehr verspricht.
Ein richtiges Urteil hierüber abzugeben ist mitunter sehr schwierig,
und der Forstmann wird in dieser Beziehung oft genug in die gleiche Ver-
legenheit kommen, wie der Arzt, der in zweifelhaften Fällen sich für einen
bestimmten Weg der Therapie entscheiden soll. Nur gründliches Wissen,
eingehende Untersuchung aller in Betracht kommender Faktoren werden in
Verbindung mit einem scharf geübtem Blick und feinem biologischen Takt-
gefühl in solchen Fällen dazu führen können, das Richtige bezügl. der Prog-
nose zu treffen. Als Grundlage der Beurteilung sind hauptsächlich folgende
Punkte zu berücksichtigen: 1. der Grad der Übervermehrung der Schäd-
linge, 2. der Gesundheitszustand der Schädlinge und 3. die äußeren
Faktoren, das sind die klimatischen, geologischen, waldbaulichen Verhält-
nisse usw. des befallenen Gebietes.
Untersuchung über den Vermehrungsgrad der Schädlinge.
In vielen Fällen wird der Forstmann direkt durch den einfachen
Augenschein bei Begehung der in Frage kommenden Bestände über die
Menge der vorhandenen Schädlinge sich orientieren können. Es trifft dies
vor allem für an sich leicht wahrzunehmende, auffallende Schädlinge zu, wie z. B.
die Prozessionsspinnerraupen, Nonnenfalter, schwärmende Kiefernspanner usw.
In anderen Fällen, wo es sich um unscheinbare Insekten handelt, oder
um solche, die verborgen leben unter der Rinde oder im Boden oder hoch
oben in der Baumkrone, wird der Forstmann nach anderen i«-d4-t^«4t4-e-n
Kennzeichen urteilen müssen oder eine planmäßige Untersuchung an-
zustellen haben.
.Von irfl-dire-kten Kennzeichen kommt das allgemeine Aussehen des
Bestandes, die Stärke der Entnadelung oder Entlaubung, die Verfärbung der
Nadeln, reichliches Vorhandensein von Harzausfluß oder Bohrmehl, sowie bei
Raupen oder Maikäfern die Menge des von ihnen erzeugten Kotes in Be-
tracht. Letztere ist besonders in alten, starken Beständen, deren Bäume
sich nicht schütteln lassen, also bei Kiefernspinnerfraß im Hochwalde, bei
Eichenwicklerfraß auf alten übergehaltenen Eichen usw. wichtig, und es kann
hier den Forstmann nicht bloß das Gesicht, sondern auch das Gehör belehren,
da mitunter der Kot so massig erzeugt wird, daß sein Herabfallen ein
rieselndes Geräusch hervorbringt. Auch die Ansammlung insektenfressender
Vögel, z. B. des Kuckucks, in einem Bestände wird vom aufmerksamen Forst-
manne wohl beobachtet werden.
Beurteilung der Notwendigkeit und Möglichkeit der Bekämpfung. 381
Planmäßige Untersuchungen sind in Form des Probesammeins
anzustellen; sie werden hauptsächlich da vorzunehmen sein, wo begründeter
Verdacht auf eine größere Schädlingsgefahr besteht, sei es, daß derselbe in
direkten Beobachtungen begründet ist, oder darin, daß in Nachbarrevieren
der betr. Schädling vermehrt auftritt, oder daß es sich um eine allgemeine
Vermehrungsperiode des betr. Schädlings handelt. Das Probesammeln kann
sich auf die verschiedenen Stadien des Schädlings beziehen. So sucht man
sich z. B. bei der Nonne über die Stärke des Befalls dadurch zu vergewissern,
daß man eine Anzahl Stämme fällen läßt und dieselben gründlich nach den
Eiern absucht, um deren Zahl festzustellen (Probeeiern). Wenn die Zahl
der gefällten und abgeeierten Stämme genügend groß ist, so kann man sich
aus den Befunden ein annäherndes Bild von dem Befall und der Verteilung
über die einzelnen Abteilungen machen. Der Übersichtlichkeit halber können
die Befunde kartographisch dargestellt werden, wodurch die Aufstellung des
Kriegsplanes wesentlich erleichtert werden kann.
Zahlreicher sind die Fälle, wo sich das Probesammeln auf das Larven-
stadium bezieht. Dasselbe kann in der verschiedensten Weise ausgeübt
werden: Am einfachsten dadurch, daß man eine Anzahl Pflanzen nach den
Raupen usw. absucht, oder dadurch, daß man probeweise die verschiedenen
der oben (siehe S. 361 ff.) angegebenen Fangmethoden anwendet, wie z. B.
Fanglöcher, Fanggräben, Fangbäume oder den Leimring. Besonders der
letztere kommt in Form von streifen- oder platzweisen Probeleimungen
ziemlich häufig zur Anwendung, vor allem bei Nonnen- und Kiefernspinner-
befall. Ein weiteres recht empfehlenswertes Mittel zur Eruierung der in den
Kronen fressenden Raupenmengen stellen die sog. Kotfänge dar, deren
Prinzip darin besteht, aus der aufgefangenen Kotmenge auf die Zahl der
Raupen zu schließen. Um dies einigermaßen zutreffend ausführen zu können,
ist es unbedingt notwendig, zu wissen, wieviel Kot eine einzelne Raupe pro
Stunde oder Tag produziert. Bis heute fehlen aber noch systematisch ange-
stellte Versuche in dieser Beziehung, und so ist es dringend geboten, solche
Untersuchungen wenigstens für die wichtigsten Schädlinge baldigst anzustellen.
Denn solange wir über die Kotproduktion der einzelnen Raupe (für jedes
ihrer Stadien usw.) nicht Bescheid wissen, haben alle auf den Kotmengen
aufgebauten Schätzungen nur bedingten Wert. Die Ausführung der Kot-
fänge geschieht in der Weise, daß man Tücher oder Papier im Kronen-
bereich auslegt und den darauf fallenden Kot in bestimmten Zeiträumen fest-
stellt, entweder durch Zählung der Kotballen oder durch Messung oder
Wägung. Auch durch Schütteln resp. Prellen einzelner Bäume kann man
sich einen ungefähren Begriff von der Zahl der in der Krone befindlichen
Raupen verschaffen.
Wo es sich um Raupen handelt, die im Boden überwintern (Kiefern-
spinner), kann man sich am besten dadurch ein Urteil über die ungefähr
vorhandenen Mengen verschaffen, daß man die Bodendecke im Umkreis
einer Anzahl von Stämmen durchsuchen läßt (Probesuchen). Die
Ausführung des Probesuchens, zu dem am besten Frauen herangezogen
werden, geschieht in der Weise, daß vorsichtig vom Stamm anfangend zu-
nächst eine etwa 2U cm breite und ^ 3 m lange Moosplagge umgeschlagen, an
382 Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
der Unterseite betrachtet und gegen den Körper der Arbeiterin hingeschoben
wird. Durch Wiederholung dieser Prozedur wird die entblößte Fläche ver-
größert bis zur Entfernung von etwa 1 m vom Stamm (Fig. 235). Bei ge-
lindem Wetter und lockerer Bodendecke benutzt man zu dieser Arbeit die
Hand, bei Frost und filzigem Pflanzenwuchs eine kurzstielige Harke. Ist die
Moosdecke abgesucht und zurückgeschoben und sind die darin gefundenen
Insekten in einen kleinen Topf (Tasse, Blechbüchse) gelesen, dann wird
unter ganz langsamem Abschaben der Humusschichte die freigelegte Fläche
bis auf den Rohboden durchsucht. Um einen Vergleich der an verschiedenen
Orten erzielten Fangergebnisse zu ermöglichen, ist es notwendig, daß die
abgesuchten Flächen gleich groß und in gleicher Weise behandelt sind. Im
allgemeinen nimmt man sie kreisrund mit einem Halbmesser von 1 m vom
Stamm ab gemessen, man kann aber auch nach Quadratmetern absuchen
lassen, d. h. größere Flächen von einer bestimmten Quadratmeterzahl (Eckstein).
In gleicher Weise
wie die im Boden über-
winternden Raupen wer-
den auch die hier über-
winternden Puppen (Eule,
Spanner, Schwärmer Blatt-
wespen usw.) durch Probe-
suchen zur Feststellung des
Vermehrungsgrades der
betr. Schädlinge benutzt.
EndHch kann auch
durch Probesammeln
von Imagines eine an-
nähernde Orientiei-ung
über die Höhe des Befalls
erlangt werden, z. B. beim
großen braunen Rüssel-
käfer oder Maikäfer oder
bei der Nonne usw. Die
Ausführung des Sammeins
kann in der oben ausgeführten Weise vor sich gehen. Für die Nonne
und auch andere Nachtschmetterlinge kommt außerdem ein Probefang mit
Hilfe von Lichtquellen in Betracht; man kann hierzu Zinkfackeln oder
helleuchtende Lampen mit oder ohne Selbstfangvorrichtung, wie sie von
Entomologen zu ihren Nachtfängen benutzt werden, verwenden. Man kann
auf diese Weise leichter und event. auch schon frühzeitiger von der An-
wesenheit eines Schädlings Kenntnis erhalten, als es durch die bloße Be-
obachtung möglich wäre.
Bei all den Probesammlungen, wie wir sie hier geschildert haben, ist
zu bedenken, daß sie nur eine annähernde Schätzung erlauben, und daß auch
bei gründlicher Ausführung des Probesuchens, Probeeierns usw.
stets nur ein Teil der wirklich vorhandenen Schädlinge aufge-
Fig. 235. Umgewendete Bodendecke um eine Kiefer, zum Zweck
des Probesuchens. Aus Eckstein.
Beurteilung der Notwendigkeit und Möglichkeit der Bekämpfung. 383
funden wiid. Nach Eckstein dürften z.B. beim Probesammeln der Kiefer-
spinnerraupen nur ca. 50 ^Jq der tatsächlich vorhandenen Individuen erbeutet
werden, und beim Probeeiern der Nonne ist nach den Erfahrungen, die der
Verfasser gemacht hat, der Prozentsatz der gefundenen Eier gegenüber den
tatsächlich vorhandenen noch geringer, was ja aus der Kleinheit der Objekte
und dem versteckten Vorkommen leicht erklärlich erscheint.
Untersuchung des Gesundheitszustandes der Schädlinge.
Um zu einer einigermaßen richtigen Prognose resp. einer richtigen
Entscheidung über die zu treffenden Bekämpfungsmaßregeln zu gelangen, ge-
nügt es nicht, über die Menge der vorhandenen Schädlinge sich Aufschluß
zu verschaffen, sondern wir müssen auch ebenso dringlich den Gesund-
heitszustand der Schädlinge zu ermitteln suchen. Denn die Vorher-
sage wird ganz anders lauten müssen, wenn die Schädlinge durchgehends
gesund sind, als wenn ein großer Teil von ihnen krank ist; und es kann
vorkommen, daß bei dem gleichen Grad der Vermehrung die Prognose in
dem einen Fall äußerst ungünstig ist und kostspielige Bekämpfungsmaßregeln
indiziert, im anderen Fall dagegen so günstig, daß überhaupt keine Be-
kämpfungsmaßregeln notwendig werden.
Es kommt aber bei diesen Feststellungen nicht nur auf die Zahl der
erkrankten Schädlinge an, sondern auch auf die Art der Erkrankung,
indem eben die eine Krankheit schnellere Fortschritte macht als die andere;
ferner ist auch in Erwägung zu ziehen, ob nicht vielleicht Umstände (z. B.
Hyperparasiten) eingetreten sind, welche der weiteren Ausbreitung der Krank-
heit entgegenstehen usw. Es kommen bei der Untersuchung über den Ge-
sundheitszustand hauptsächlich in Betracht: Parasitenbefall, Mykosen
und andere Infektionskrankheiten, und Krankheiten unbekannter Natur.
Parasiten können in jedem Stadium vorkommen, doch wird es sich
für unseren Zweck in der Praxis vornehmlich um das Ei-, Larven- und
Puppenstadium des Schädlings handeln. Die Feststellung des Parasitenbefalls
kann in verschiedener Weise geschehen, durch den bloßen Augenschein,
durch Sektion und durch Zucht usw. Wo es sich um Eier oder Puppen-
parasiten handelt, die bereits ausgeflogen sind, kann man meistens an der
Form der Ausflugöffnungen deutlich erkennen, ob Parasiten vorhanden waren,
worauf ja oben bereits hingewiesen wurde. Wenn z. B. die Eier des Kiefern-
spinners kleine regelmäßige, runde Löcher aufweisen, so wissen wir, daß die
Eier parasitiert waren (vergl. Fig. 192 S. 249); durch Zählung dieser Eier und
Vergleichung mit den gesunden können wir sodann einen annähernden Begriff
von der Höhe des Parasitenbefalls erlangen. Ebenso läßt sich mit den Puppen
verfahren, wenn deren von der Norm abweichenden Ausflugöffnungen auf
das frühere Vorhandensein von Parasiten schließen lassen. Außerdem kann
man bei einiger Übung mitunter auch schon aus dem Aussehen der Puppen
und vor allem aus deren Unbeweglichkeit die Besetzung mit Schmarotzern
erkennen. — Auch bei Raupenparasiten können wir zuweilen schon durch
den bloßen Augenschein den Befall feststellen, wenn nämlich die Parasiten-
eier außen auf dem Körper des Schädlings abgelegt werden, wie bei vielen
Tachinen, oder aber wenn es sich um nackte Raupen handelt, bei denen die
384 Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
Stichstelle als dunkler Fleck sichtbar ist. Da jedoch die Zahl der Tachinen-
eier auf dem Schädling durchaus nicht immer mit dem Grade der Tachinose
im Einklang steht (siehe oben S. 252), und da auch die dunklen Stichflecke auf
nackten Raupen nicht immer deutlich zu sehen sind, so wird man, falls eine
genaue Feststellung der Höhe des Parasitenbefalls erwünscht ist,
stets zur Sektion greifen müssen. Dieselbe bietet keine großen Schwierig-
keiten dar und kann von jedem Praktiker vorgenommen werden. Es wird eine
Anzahl Raupen (vielleicht hundert oder zweihundert aus jeder Abteilung) ge-
sammelt und mit Äther getötet. Darauf schneidet man jede einzelne Raupe in
einer flachen Schale mit Wasser mit einer feinen Schere der ganzen Länge nach
auf,i) womöglich ohne Verletzung des Darms. Sind Schmarotzerlarven vor-
handen, so werden dieselben von dem Wasser bald aus den Eingeweiden
herausgespült und als weiße Maden leicht erkannt werden. Wird das Wasser
trübe, was besonders dann geschieht, wenn der Darm verletzt wurde, so muß
dasselbe erneuert werden. Anfänger haben sich zu hüten, daß sie nicht
Stücke des Raupenleibes, z. B. die gelblichen Anlagen der Geschlechtsorgane
oder Teile des Fettkörpers für Parasitenlarven halten. In zweifelhaften Fällen
wird die Untersuchung mit der Lupe sofort Aufschluß geben. Sind die
Parasitenlarven noch sehr klein, so kann die Untersuchung allerdings recht
mühsam und zeitraubend werden. Man kann sich in solchen Fällen damit
helfen, daß man die Raupen noch einige Zeit im Zuchtkäfig aufzieht, um die
Parasiten größer werden zu lassen, ein Verfahren, das z. B. bei den aus dem
Winterlager stammenden Raupen des Kiefernspinners häufig geübt wird.
Will man Puppen auf Schmarotzer untersuchen, so bricht man dieselben ein-
fach in der Mitte auf und drückt sie in eine Wasserschale aus, wobei die
Schmarotzer, die im allgemeinen in der Puppe meist in vorgerückteren Ent-
wicklungsstadien enthalten sind, gewöhnlich ohne weiteres deutlich erkennbar
zum Vorschein kommen.
Auch durch Aufsuchung und Zählung der Schmarotzerpuppen
kann man einen Begriff von der Höhe des Parasitenbefalls sich verschaffen.
Am bekanntesten sind die weißen Cocons der kleinen Schlupfwespen (ßra-
coniden), die oft haufenweise die getöteten Raupen bedecken; auch andere
Schlupfwespencocons findet man nicht selten im Fraßgebiet unter Leim-
ringen usw. Eine systematische Feststellung der Zahl der Parasitenpuppen
kann vor allem bei solchen Schädlingen vorgenommen werden, die sich im
Boden verpuppen (z. B. Kieferneule oder Spanner usw.). Es geschieht dies
in der Weise, daß beim Probesuchen der Schädlingspuppen zugleich auch
alle in der Bodendecke befindlichen Tachinentönnchen und Schlupfwespen-
cocons gesammelt und gezählt werden. Diese Untersuchung setzt allerdings
eine gewisse Vertrautheit mit den in Frage kommenden Parasiten voraus,
weil man sonst eventuell durch Berücksichtigung harmloser, saprophytischer
^) Eckstein wendet eine andere Methode an: er schneidet das Hinterende
der Raupe ganz knapp ab, legt dann die Raupe auf eine Glasplatte und quetscht
ihren Inhalt mit einem fest aufgedrückten Glasstab vom Kopf nach hinten zu
streichend aus. In dem ausgequetschten Inhalt sind die Parasiten gewöhnlich ohne
Schwierigkeit zu finden.
Beurteilung der Notwendigkeit und Möglichkeit der Bekämpfung. 385
oder aus anderen Wirten stammender parasitischer Insekten (besonders Fliegen)
zu falschen Schlüssen bezügl. der Befallshöhe gelangen kann. — Um zu einem
dem tatsächlichen Parasitenbefall einigermaßen entsprechenden Bild bei den
eben genannten Schädlingen zu gelangen, genügt es übrigens nicht, die beim
Probesuchen zutage geförderten Parasitentönnchen und Cocons in Rechnung
zu stellen, da ja auch noch eine Anzahl von Parasiten in den Puppen selbst
sich befinden können. Es muß also in diesen Fällen auch noch eine besondere
Untersuchung der Puppen vorgenommen werden. Um ein Beispiel hierfür
anzuführen, so hat das hiesige Institut in diesem Herbst große Quantitäten
„Bodendeckeninhalt" aus verschiedenen Eulenrevieren erhalten, um eine Prog-
nose über den Verlauf der Eulenkalamität zu geben: Es wurde zunächst der
Inhalt der Sendungen sortiert, d. h, die Eulenpuppen von den Parasitenpuppen
und die letzteren nach den Arten getrennt, ferner alle übrigen Puppen, die
zur Eule in keinem Verhältnis standen, entfernt. Sodann wurden genaue
Zählungen vorgenommen (natürlich stets auf bestimmte Flächeneinheiten be-
zogen); und endlich wurden noch von jeder Probe eine größere Anzahl
Puppen durch Aufbrechen auf die Anwesenheit von Schmarotzern untersucht,
deren Ergebnis in manchen Fällen die auf der einfachen Zählung der ge-
fundenen Tönnchen und Cocons beruhenden Schätzungen noch wesentlich
beeinflußt hat.
Endlich kann man zur Feststellung des Parasitismus auch noch zur
Zucht greifen, indem man eine Anzahl Schädlinge in Parasitenzuchtkästen
(siehe unten) einbringt und die daraus auskommenden Parasiten zählt.
Wie oben (S. 244) ausgeführt, kann das Fortschreiten des Parasitismus
mitunter wesentlich durch Auftreten von Hyperparasiten gehemmt werden.
Es darf daher bei den Untersuchungen über die Höhe des Parasitismus
diese Frage nicht außer acht gelassen werden; d. h., es muß die Zahl der
von Hyperparasiten besetzten Schmarotzer bei der Kalkulation in Abzug ge-
bracht und sodann auch das event. Fortschreiten des Hyperparasitismus
in Rechnung gezogen werden. Wir selbst haben in den letzten Jahren
mehrfache Erfahrungen in dieser Beziehung gemacht, indem z. B. die Tönnchen
der Nonnentachine aus mehreren Orten von dem hyperparasitisch lebenden
Trauerschweber {Anthrax) zu einem ziemlich hohen Prozentsatz besetzt waren,
desgleichen zahlreiche Cocons eines in Eulen schmarotzenden Banchus.
Wenn wir den Hyperparasitismus in solchen Fällen unberücksichtigt
lassen, so werden wir event. zu einem falschen Bild über den Stand des
Parasitismus gelangen. Die Feststellung des Hyperparasitismus kann heute
in den meisten Fällen nur durch Zucht bewerkstelligt werden. Wenn wir
aber erst einmal etwas besser über die Erscheinung des Hyperparasitismus
unterrichtet sein werden und wenigstens für unsere wichtigsten Schädlinge
die in Frage kommenden Hyperparasiten und vor allem deren Larvenformen
kennen und unterscheiden gelernt haben werden, so wird auch diese Aufgabe
sich vielleicht einfacher und leichter gestalten.
Was die Untersuchung auf Mykosen betrifft, so werden sich diese
häufig schon im Walde durch den bloßen Augenschein feststellen lassen,
Escherich, Forstinsekten. 25
386 Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
indem die mit Pilzen infizierten Larven oder Raupen zuweilen mißfarbige
Flecke zeigen, oder indem man auch ein oder das andere eingegangene,
äußerlich mit Pilzfäden (bezw. Fruchtkörper) bedeckte Tier findet. Manchmal
macht sich das Vorhandensein einer Mykose dadurch bemerkbar, daß die
Raupen usw. nach dem Wipfel der Fraßpflanze (gleichwie die wipfelkranken
Nonnenraupen) zustreben, wie dies z. B. mehrfach bei empusakranken Eulen-
raupen beobachtet worden ist. Sodann kann auch eine makroskopische
Untersuchung mitunter einigen Aufschluß geben: man braucht nur die ver-
dächtigen Raupen (z. B. Kiefernspinnerraupen aus dem Winterlager) oder
Puppen auseinanderzureißen oder zu brechen, um die Anwesenheit von
Pilzen event. schon an der bloßen Veränderung des Inhaltes erkennen zu
können, indem dieser milchig getrübt erscheint, oder, wenn die Verpilzung
schon weiter fortgeschritten, zu einer zähen kautschukartigen Masse umge-
wandelt ist, und außerdem einen charakteristischen aromatischen Pilzgeruch
verbreitet {Cordyces militaris, siehe S. 271, Anm.). Wo die makroskopische
Untersuchung Zweifel läßt, da hat man zurmikroskopischenUntersuchung
überzugehen, oder aber durch Einzwingerung einer Anzahl Raupen aus dem
verdächtigen Gebiet sich Gewißheit zu verschaffen. Wenn man die zu unter-
suchenden Raupen in feuchte Gefäße bringt und außerdem warm hält, so
wird sich schon in kurzer Zeit (1 bis wenigen Tagen) die Anwesenheit von
Pilzen durch Hervorbrechen von Pilzfäden kund tun.
Ähnlich wie bei den Mykosen hat man bei der Untersuchung der ver-
schiedenen anderen Infektionskrankheiten zu verfahren. Man wird auch
hier zuerst auf die verschiedenen äußeren Kennzeichen („Wipfeln", Schlaff-
werden, Freßunlust usw.) zu achten haben; diese Beobachtungen werden zu
ergänzen sein durch mikroskopische Untersuchung, die nach dem Vorhanden-
sein der Erreger oder sonstiger mikroskopischer Sjanptome (Polj^eder!) zu
fahnden hat. Und gegebenenfalls sind endlich die Raupen eine Zeitlang in
Zwingern zu halten und genau zu beobachten und event. wiederholt mikros-
kopisch zu untersuchen. Über die Symptome, die mikroskopischen wie die
makroskopischen, ist alles wissenswerte oben gesagt.
Was endlich die Krankheiten unbekannter Natur betrifft, so habe
ich hier vor allem das Absterben der Eier im Auge, wie es z. B. bei
Nonneneiern verschiedentlich konstatiert worden ist. Wenn das Absterben
in großem Maßstabe eintritt, wie es von uns vor einigen Jahren beobachtet
und beschrieben worden ist, so bedeutet dies natürlich eine wesentliche Ver-
besserung der Prognose. Als das hauptsächlichste Symptom der Krankheit
ist das Auftreten von Luftblasen zu nennen (weshalb Wolff dieselbe als
„Blasenkrankheit" bezeichnet hat). Da dieses Symptom aber ei'st in einem
späten Stadium der Krankheit eintritt, und es mitunter von großer Wichtig-
keit ist, möglichst frühzeitig über die Ausdehnung der Krankheit Bescheid zu
erhalten, so bleibt in solchen Fällen fürs eiste kein anderer Weg, als die
Eier in feuchter Wärme zu „treiben", wodurch die gesunden Eier zum vor-
zeitigen Ausschlüpfen gebracht werden können. Das hiesige Institut hat seit
einigen Jahren in jedem Winter eine große Zahl Nonneneier in dieser Weise
auf ihren Gesundheitszustand untersucht.
Beurteilung der Notwendigkeit und Möglichkeit der Bekämpfung. 387
Untersuchung des befallenen Bestandes.
In welcher Weise die verschiedenen äußeren Faktoren, wie die klima-
tischen, geologischen w^aldbaulichen Verhältnisse eines Bestandes bei der
Stellung der Prognose Berücksichtigung zu finden hat, ist oben (S. 214 ff.) be-
reits ausgeführt worden, und braucht daher hier nicht nochmals geschildert
zu werden. Nur auf einen Punkt muß hier eingegangen werden, der viel-
fach große Schwierigkeiten bereitet, nämlich ob die Beschädigung eines Be-
standes oder eines Baumes derart ist, daß sie unrettbar das Absterben zur
Folge hat (so daß jede Bekämpfungsmaßregel überflüssig wäre und nur
die Entfernung der befallenen Objekte bleibt), oder ob sie noch Aussicht auf
Erholung bestehen läßt, so daß event. Bekämpfungsversuche angezeigt sind.
In der vorigen Auflage dieses Werkes gaben Judeich und Nitsche folgende
Anhaltspunkte:
Die Beachtung des Standortes ist insofern wichtig für die Vorhersage,
als im allgemeinen die Gefahren durch Insektenbeschädigungen dann am größten
sind, wenn ungünstiger Standort einen kümmerlichen Wuchs der Bäume bedingt,
während günstigere Standortsverhältnisse die Widerstandskraft derselben stärken.
Daß von unseren heimischen Holzarten die Laubhölzer im allge-
meinen weit weniger empfindlich sind als Nadelhölzer, daß sie namentlich in den
höheren Altersstufen einer wirklich tödlichen Verletzung durch Insektenfraß viel
weniger ausgesetzt sind, wurde früher schon erwähnt (vgl. S. 215). Man wird
deshalb in älteren Laubholzbeständen selten notwendig haben, kostspielige Be-
kämpfungsmaßregeln anzuwenden. Bei Raupenfraß, wie z. B. bei Fraß von
Dasychira pudibunda Z-., Geometra brumata L., Tortrix viridana L. usw. wird in
der Regel nichts zu tun sein, weil die Kosten der Vertilgungsmaßregeln meist größer
sein würden, als der durch den Fraß bewirkte Verlust an Zuwachs oder Samen.
Von Borkenkäfern, Buprestiden, Bockkäfern oder anderen im Holze lebenden
Insekten heimgesuchte alte Bäume kann man, obgleich sie den Fraß meist jahre-
lang aushalten, ohne Verlust entfernen, soweit dies nötig erscheint, um eine weitere
Ausbreitung des Übels zu verhindern. Man braucht sich aber damit nicht zu über-
eilen. Empfindlicher sind jüngere Bäume, namentlich frisch gepflanzte Heister.
Borkenkäfer, einige Buprestiden und Rüsselkäfer, Raupen usw. können junge
Buchen, Eichen, Eschen, Rüstern, Birken usw. schwer schädigen und schon in
einem Jahre töten. Man bemerkt dies meist zur rechten Zeit, um die kranken
Stämmchen noch vor Ausfliegen der Käferbrut entfernen zu können. Ein sicheres
Kennzeichen ist namentlich das schneller als beim Nadelholze eintretende Welken
der Blätter; auch an der Rinde verdächtiger Bäumchen wird man bei aufmerksamer
Untersuchung die Bohrlöcher entdecken. Sehr leicht ist es. Raupen- oder Käfer-
fraß an den Blättern zu bemerken. In allen den hier genannten Fällen ist also
die Prognose nicht sehr schwierig, aber auch meist nicht notwendig.
Etwas anderes ist es mit den weit empfindlicheren Nadelhölzern, diese
erfordern größere Aufmerksamkeit. Nicht bloß die alten, sondern auch die jungen
und ganz jungen Bestände sind viel mehr der Gefahr ausgesetzt, durch Insekten-
fraß vernichtet oder schwer geschädigt zu werden, als Laubhölzer von dem-
selben Alter.
Bei jungen Nadelhölzern treten die Symptome sehr bestimmt auf. Keim-
linge und selbst etwas ältere Pflanzen lassen als schwächliche Individuen die töd-
liche Erkrankung leicht erkennen. Wenn die noch zarten Wurzeln von Engerlingen
abgefressen werden, so lassen die Pflänzchen noch an demselben Tage die Nadeln
hängen, und man braucht gar nicht das Rotwerden derselben abzuwarten, um ihren
Tod vorauszusagen. Schwächere Beschädigungen heilen die Pflanzen wohl auch
wieder aus. Die stets mit dem Tode verknüpfte Schädigung der jungen Kiefern
durch Larven von Pissodes noiatus Fabr. kennzeichnet sich im Juni und Juli leicht
25*
388 Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
durch Welken der Triebe, ebenso sterben von Hylesinus cunicularius Er. befallene
junge Fichten sehr bald ab. Leicht beurteilen sich auch die Schäden, welche an
jungen Kiefern und Fichten durch den Fraß des großen Rüsselkäfers, an Kiefern
durch die Saateule hervorgerufen werden. Die Prognose bereitet hier keine
Schwierigkeiten. Insoweit als die etwa zu ergreifenden Maßregeln vom Zustande
der Pflanze selbst abhängen, kann man ruhig abwarten, ob sich dieselben erholen
oder nicht, ehe man für die eingegangenen durch Ausbesserung der Kultur Er-
satz schafft.
In älteren Nadelholzbeständen handelt es sich dagegen um den Schutz
und die Erhaltung wirtschaftlicher Objekte, welche leicht und schnell nicht wieder
ersetzt werden können. Sichere Todeskennzeichen fehlen hier zwar ebenfalls nicht,
sind aber nicht immer so deutlich ausgesprochen, wie bei den jungen Pflanzen.
Plötzliches Absterben kommt beim alten Baum nicht vor, das Absterben erfolgt
mehr allmählich. So grünt manchmal der Wipfel noch längere Zeit, während unten
am Stamme die Rinde sich bereits loslöst: ein sicheres Kennzeichen des Todes.
Wir müssen schon zufrieden sein, wenn sich die bestimmten Todeszeichen noch
vor Winter oder während des Winters einstellen, damit die Axt dem Verderben
des Holzes vorbeugen kann. — Zunächst ist hier der Fraß der Rinden-, Bast- und
Holzbeschädiger, in der Hauptsache also der Käferfraß, von dem der Nadel-
beschädiger, also hauptsächlich dem Raupenfraß, zu unterscheiden.
„Im Falle eines Käferfraßes, welcher im Nadelholze für jüngere und
alte Bäume gleich gefährlich ist, gewöhnlich auch zum baldigen Abtriebe drängt,
ist zuerst die Rinde zu beobachten, an der sich die Borkenkäfer durch Bohrlöcher
und Wurmmehl, Pissodes piniphilus Hbst. und harcyniae Hbst. sowie Tetropium
luridum L. u. A. durch Harztropfen verraten. Das Bleichen und Rotwerden der
Nadeln tritt zuweilen bald ein, bei Fichte schneller als bei Kiefer; manchmal bleibt
es auch bis zum Winter oder bis zum nächsten Frühjahre aus. Dies ist z. B. bei
Fraß von Pissodes piniphilus der Fall und bei Borkenkäfern dann, wenn der Anflug
erst im Spätherbst erfolgte. Von Borken- oder Stangenrüsselkäfern befallene
Bäume sind im Gewöhnlichen unrettbar verloren. Sie bieten also keine Schwierig-
keiten bezügl. der Prognose und müssen schon wegen der Gefahr der VVeiter-
verbreitung des Übels unter allen Umständen gefällt, bei Borkenkäferfraß auch ent-
rindet und entfernt werden, selbst für den Fall, daß der betroffene Bestand nicht
mehr zu retten ist, um so mehr aber, wenn letzteres noch möglich. Nur bei
glücklicherweise seltenen, besonderen Unglücksfällen ist diese Möglichkeit aus-
geschlossen, wenn man gegen Borkenkäfer mit Fällung von Fangbäunien stets in
richtiger Weise vorgeht.
„Schwierige Zweifel entstehen dagegen oft bei den Nadelfressern, bei
Raupenfraß, da der Tod oder die mögliche Genesung des befallenen Baumes
nicht bloß von der Art des Nadelholzes und von der Insektenart abhängt, sondern
ganz wesentlich von der Intensität des Fraßes und von der Witterung. Nur in
seltenen Fällen werden einzelne Stämme wirklich tot gefressen, d. h. inmitten des
Fraßes getötet. Der Abtrieb eilt hier zwar nicht so sehr wie bei „Wurmtrocknis",
weil sich die Schädlinge nicht innerhalb der Fraßobjekte entwickeln, und man Zeit
hat, die Kranken länger zu beobachten, allein die Frage danach, ob und welche
Vertilgungsmittel zu ergreifen sind, muß wesentlich auch nach dem Zustand des
befallenen Bestandes entschieden werden. Ist letzterer einmal rettungslos ver-
loren, so sind zu seinem Schutze keine Kosten aufzuwenden, sondern nur zur Ver-
breitung des Übels in Nachbarbestände. Lärche und Tanne werden seltener ein-
gehendere Untersuchungen notwendig machen, viel öfter Fichte und Kiefer.
„Als Zeichen eines bald zu erwartenden Todes nach Raupen-
fraß gilt das Trocknen und Welken der Knospen, sowie das Auftreten
von Borkenkäfern, Hylesinen und Bockkäfern. Wenn die Knospen beim Durch-
schneiden nirgends mehr grüne Nadelchen zeigen, dann ist allerdings der Baum
tot, indessen kann man nicht umgekehrt aus dem grünen Inhalte der Knospen stets
Beurteilung der Notwendigkeit und Möglichkeit der Bekämpfung. 389
auf Gesundheit schließen; dergleichen Bäume sterben trotzdem manchmal plötz-
lich ab.
„Für die Fichte kommt besonders der Fraß der Nonne in Betracht, der
nicht selten den Tod herbeiführt, manchmal aber wenig schadet. In der Regel
zeigen die Fichten meist ein früheres Rotwerden der Nadeln als die Kiefern, so bei
Nonnenfraß, oft schon im Herbste. Es ist das sehr auffallend, wenn scheinbar nur
eine so geringe Beschädigung der Bäume stattfand, daß ein Viertel oder selbst die
Hälfte der Benadelung erhalten blieb. Im Sommer ist also die Prognose äußerst
schwierig und unsicher. Kiefern halten einen viel stärkeren Fraß aus als
Fichten. Man wird also bei Nonnenfraß an Kiefer wohl meistens auf Wieder-
genesung hoffen dürfen. Auch nach dem Fräße der Forleule hat man wiederholt
beobachtet, daß sich trotz fast vollständigen Kahlfraßes die Bäume wieder erholten,
selbst solche, bei denen schon viele Knospen abgestorben waren, ein Beispiel,
welches lehrt, daß man mit der Vorhersage des Todes vorsichtig sein muß.
Andererseits ist infolge des durch Kiefernspanner eingetretenen Kahlfraßes, aller-
dings unter Hinzutritt anderer ungünstiger Umstände, schon unerwartet der Tod
eingetreten. Noch größere Schwierigkeiten bietet die Vorhersage in Kiefern-
beständen beim Fraß des Spinners, und ist man in früheren Zeiten nicht selten
wegen irriger Vorhersage zu schnell mit dem Abtriebe vorgegangen. Allerdings
ist auch bei Kiefern die Zerstörung der Knospen in großer Ausdehnung eine Todes-
ursache. Je mehr Knospen zerstört wurden, desto zahlreicher treten auch andere
Anzeichen schwerer Erkrankung hervor, wie Rosetten und Scheidentriebe (vgl.
S. 212). Einzeln, also unbedeutend, erscheinen Rosetten auch nach Spanner-, zu-
weilen auch nach Eulen- und Nonnenfraß, massenhaft jedoch nach dem Fraß des
Kiefernspinners, und sind immer mit kümmerlicher Ausbildung der Jahresringe
verknüpft. Hat man auch dann noch bezügl. der Vorhersage Zweifel, so unter-
suche man, ob der Weichbast schon gelbfleckig oder wässerig wird oder sich gar
zunderartig auflöst, in hohem Grade „aufgebacken" erscheint, und ob dem letzten
Jahresringe nicht schon Harzkanäle und Herbstholz, ,, Braunholz", fehlen. In
vielen Fällen sind, selbst ohne Eintritt der Bildung von Rosetten, schon die vor-
hergehenden Ringe mehr oder weniger abnorm; teils sind sie sehr schmal, teils
zeigen sie „Harzketten", welche immer ein bedeutendes Sinken der Lebenstätigkeit
bekunden. An einzelnen sehr zweifelhaften Bäumen kann man dann auch ,,fenstern",
d. h. man schneidet ein Rindenfenster von einigen Quadratzentimetern aus, um auf
dem dadurch entblößten Splinte die austretenden Harztröpfchen beobachten zu
können. Dies kann zum Vergleiche zwischen gesunden und kranken Stämmen
sowohl im Winter, wie im Sommer geschehen. Kleine und sehr sparsame Harz-
tröpfchen verraten eine bereits eingetretene Schwäche des Baumes."
Durchführung der Bekämpfung.
Die Möglichkeit der Durchführung zweckmäßiger Bekämpfungs-
maßregeln hängt natürlich auch ab von den Hilfsmitteln, über welche der
Waldbesitzer verfügen kann. Der Kleinbesitzer ist meist nicht in der Lage,
so bedeutende Kosten aufzuwenden wie der Großbesitzer, wie namentlich
der Staat. Da aber auch ein kleiner Wald zum Herde für die Ansteckung
weiterer Bezirke werden, also eine Gefahr für die Allgemeinheit bringen kann,
und da der Wald außer seinem direkten wirtschaftlichen Werte für den Be-
sitzer auch eine weitere Bedeutung für das Volkswohl überhaupt hat, so wird
es die Aufgabe des Staates, die wirtschaftlichen Maßregeln der Kleinbesitzer
durch Gewährung des Rates von Sachverständigen, unter Umständen auch
durch Arbeitskräfte (Militär oder Sträflinge), sowie durch Vorstreckung des
nötigen Geldes zu unterstützen, die Bekämpfung der Forstschädlinge aber ge-
setzlich zu fordern (N.).
390 Kapitel VII. Entstehung und Bekämpfung von Insektenkalamitäten.
In letzterer Beziehung ist bisher im deutschen Reiche der Schutz gegen
schädliche Forstinsekten zum größten Teil der Partikulargesetzgebung ^) über-
lassen, was für den einzelnen Bundesstaat unter Umständen recht verhängnisvoll
werden kann. Nehmen wir z. B. an, daß eine allgemeine Nonnenperiode ein-
setzt: in dem einen Staat wird nun sofort unter Anwendung der landesgesetz-
lichen Vorschriften eine allgemeine intensive Bekämpfung eingeleitet, im Nach-
barstaat dagegen wird nichts gegen den Schädling unternommen, — so kann es
sich ereignen, daß die Vorsichtsmaßnahmen des ersteren Staates durch die
Nachlässigkeit des letzteren zum Teil zunichte gemacht werden, indem die Nonne,
nachdem sie hier die Wälder kahl gefressen, über die Grenze in die direkt be-
nachbarten noch gut erhaltenen Wälder zieht. Es ist daher zweifellos be-
rechtigt, wenn Beck die Forderung eines Reichs-Pflanzenschutzgesetzes
aufstellt. Allerdings sind heute die Grundbedingungen für ein solches Gesetz
gerade in bezug auf die schlimmsten Forstschädlinge, wie z. B. die Nonne,
noch nicht gegeben: Wenn man auf der einen Seite der Ansicht huldigt, daß
gegen die Nonne überhaupt nichts unternommen werden kann, auf der
anderen Seite aber die Überzeugung besteht, daß die Nonne bei rechtzeitigem
Einschreiten erfolgreich bekämpft werden kann, so wird es noch eines weiten
Weges bis zu einer gesetzlichen Regelung dieser Frage bedürfen. Was vor
allem not tut, ist eine planvolle Erforschung unserer wichtigsten Forst-
schädlinge, die aber, wie der Verfasser verschiedentlich ausgeführt hat, ohne
eine gründliche Reform unseres bisherigen entomologischen Versuchswesens
kaum erzielt werden dürfte.^) Nur dann, wenn die einzelnen Schädlings-
probleme gründlich erforscht sind und man über die anzuwendenden Be-
kämpfungsmaßnahmen sich einigermaßen geeinigt haben wird, kann an eine
reichsgesetzliche Regelung im Sinne Becks gedacht werden.
Literatur.
(Siehe auch das Literaturverzeichnis für das vorhergehende Kapitel [S. 304 — 306|).
Beck, R., Die Insekten- und Pilzkalamitäten im Walde. Thar. Forstl. Jahrb.
1909 (Leipzig-Band), S. 1—65.
Bcrlepsch, Hans Freiherr von, Der gesamte Vogelschutz, seine Be-
gründung und Ausführung. Gera.
B e r n e r, P., Ein neues Mittel zur Vertilgung des Nonnenfalters. Deutsche Forst-
Zeitg. 23. Bd., 1908, S. 784—786. (Lichtfang mit Quarzlampen.)
Decoppet, Vernichtung der Engerlinge in den Forstgärten (gekürzte deutsche
Übersetzung). Schweiz. Zeitschr. f. Forstwesen 1912, S. 122—129. (Referat im
Forstwiss. Zentralblatt 1913, S. 266—267.)
1) Siehe Müller, P., Das Forst- und Feldstrafgesetz für das Königreich
Sachsen. Leipzig 1909. (Auf Seite 147 u. 148 sind die einschlägigen Gesetze der
verschiedenen Staaten zusammengestellt).
^) Um die so dringend notwendige Reform unserer Wissenschaft in die
Wege zu leiten, hat sich vor kurzem die ,,D e u t s c h e Gesellschaft für
angewandte Entomologie" mit dem Sitz in Tharandt konstituiert. Sie
wird durch Jahresversammlungen, Herausgabe einer Zeitschrift, Verfassung von
Denkschriften, Bildung von Fachausschüssen zur Bearbeitung der einzelnen
Fragen usw. ihrem Ziele nahezukommen suchen. (Beitrittsanmeldungen sind an
das Zoologische Institut in Tharandt zu richten.)
Literatur. 391
Doli es, Streifzug im Gebiete von Feinden unserer schädlichen Waldinsekten.
Forstl.-nat. Zeitschr. Bd. 6 (1897), S. 257—270.
Eckstein, K., Die Technik des Forstschutzes gegen Tiere. Mit 52 Text-
abbildungen. Berlin 1904.
— Wie untersucht man, ob Kiefernraupen {Lasiocampa pitti) von Parasiten besetzt
sind. Deutsche Forst-Zeitg. 22. Bd., 1907, Nr. 3, S. 53—55.
— Zur Bekämpfung der Nonne. Deutsche Forst-Zeitg. 24. Bd., 1909, S. 462. (An-
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F'ulmek, Leop., Die Schwefelkalkbrühe. Mitteil. K. K. Pflanzenschutz-
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— Zur Arsenfrage im Pflanzenschutzdienst, bes. betreffend das Bleiarseniat.
Arch. f. Chemie und Mikroskopie 1913. Heft 6.
— • Neuerungen im Pflanzenschutz (Zoolog. Teil). Wien 1913.
Grohmann, Die Generation des großen braunen Rüsselkäfers (Hylobius abieiis)
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Haenel, Karl, Unsere heimischen Vögel und ihr Schutz. Würzburg 1913.
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Hiesemann, Martin, Lösung der Vogelschutzfrage nach F r e i h e r r n von
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Forstwiss. Zentralbl. 1910, S. 109 ff. u. 1911, S. 377 ff.
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S. 45—73.
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des Leimringes. Tharandter Forstl. Jahrb. Bd. 64 (1913), S. 160—177.
Kapitel VIII.
Allgemeine Übersicht über das System der Insekten,
Mit einem Anhang:
Anleitung zur Anlegung einer forstentomologischen
Sammlung.
Das System der Insekten.
Es ist für den Forstmann durchaus notwendig, daß er auch mit der
Klassifizierung der Insekten einigermaßen vertraut ist. Denn nur dann wird
er imstande sein, sich in der überaus mannigfaltigen Gesellschaft der ihm
entgegentretenden Insektenformen zurecht zu finden und zu einer richtigen
Bestimmung der ihn interessierenden Arten zu gelangen. Vor allem muß er
wissen, in welche Ordnungsgruppe resp. Ordnung ein Insekt gehört. Der
größte Teil der im Walde auftretenden Formen wird ja in dieser Beziehung
keine Schwierigkeiten bereiten; wird doch jeder einen Schmetterling von
einem Käfer unterscheiden können. Immerhin kommen aber auch eine ganze
Anzahl Formen vor, welche trotz großer äußerer Ähnlichkeit ganz verschiedenen
Ordnungen angehören. Ich erinnere nur z. B. an den Hornissenschwärmer,
der in seiner Form und noch mehr in seiner Färbung. stark an eine Hornisse
erinnert, oder an manche Fliegen, die in ihrer Färbung und Behaarung sehr
Wespen oder Hummeln ähneln, oder an die kleinen Formen der Phr5^ganiden
(Köcherfliegen), die oft Kleinschmetterlingen zum Verwechseln ähnlich sind
usw. In solchen Fällen muß man die charakteristischen Merkmale der einzelnen
Ordnungen kennen, um vor Verwechselungen und Irrtümern sich zu sichern.
Im folgenden sei eine kurze Übersicht über die Hauptkategorien (Ord-
nungsgruppen) der Insektenklasse gegeben. Auf die Unterkategorien (Ord-
nungen, Familien usw.) soll dagegen hier nicht weiter eingegangen werden,
da diese im speziellen Teil bei jeder Ordnungsgruppe eingehend behandelt
werden sollen.
Die Klassifizierung der Insekten hat im Laufe der Zeiten verschiedene
wesentliche Wandlungen durchgemacht, und zwar im Sinne einer immer
weitergehenden Teilung. In manchen heute noch im Gebrauch befindlichen
älteren Lehrbüchern (wie z. B. im „Leunis") findet man eine Einteilung der
Insekten in folgende 9 Ordnungen: Thysanuren, Orthopteren, Neuropteren,
Coleopteren, Strepsipteren, Hymenopteren, Lepidopteren, Dipteren und
Hemipteren. Eingehende Studien anatomischer und entwicklungsgeschicht-
licher Art haben aber dargetan, daß in diesen Ordnungen vielfach recht
394 Kapitel VIII. Allgemeine Übersicht über das System der Insekten.
heterogene Gruppen vereinigt waren. Besonders galt dies für die Ordnung
der Orthopteren, die in eine Anzahl gesonderter Ordnungen zerlegt werden
mußte; auch die Ordnung der Neuropteren erwies sich als unnatürlich usw.
Es ist das Verdienst Fr. Brauers, das lange Zeit geltende alte System von
den gröbsten Fehlern gereinigt zu haben. Er setzte an Stelle des alten
Systems ein neues, nach welchem die Insekten in zwei Unterklassen (die
Apterygogenea und die Pterygogenea) und 16 Ordnungen zerlegt wurden.
Die starke Vermehrung der Ordnungen ist vor allem in der Aufteilung der
alten Ordnung der Orthopteren in nicht weniger als 7 Ordnungen (Dermap-
teren, Ephemeriden, Odonaten, Plecopteren, Orthoptera genuina, Corrodentia
und Thysanoptera) begründet, ferner in der Aufteilung der Neuropteren in
drei Ordnungen, die Neuroptera s. str., die Panorpatae und die Trichopteren.
Das Brau ersehe System bedeutete einen wesentlichen Fortschritt bezügl.
der natürlichen Gruppierung und fand auch fast allgemeine Annahme. Und
auch heute noch bildet es die Grundlage des Insektensystems, wenn auch
weiteres Eindringen in morphologische Details und einige überraschende
Entdeckungen neuer Insektenformen (die Proturen) noch manche Änderungen
notwendig gemacht haben. Es ist vor allem Handlirsch, der sich um die
weitere Ausgestaltung des Systems verdient gemacht hat; daneben sind noch
Börner, Prell u. a. als Reformatoren tätig gewesen.
Wir werden uns hier in der Hauptsache an das Handlirsch sehe
System (mit der Prellschen Modifikation) halten, wobei wir jedoch — dem
praktischen Zwecke des Buches entsprechend — die 22 Ordnungen in eine
Anzahl Ordnungsgruppen zusammenfassen, um eine leichtere Handhabung
und größere Übersichtlichkeit zu erlangen. So stellen wir unter die Ord-
nungsgruppe der Orthopteroidea 7 Ordnungen, unter die Ordnungsgruppe
der Lepidopteroidea 3 Ordnungen usw. Wir kommen auf diese Weise zu
9 Ordnungsgruppen, die zum Teile den alten Ordnungen entsprechen (z. B.
die Hymenopteroidea den Hymenopteren), zum Teil aber eine mehr oder
weniger veränderte Zusammensetzung aufweisen (so sind z. B. die Pediculiden
jm neuen System nicht mehr bei den Wanzen, sondern bei den Orthopteren
untergebracht, oder die Trichopteren und die Panorpaten nicht mehr bei den
Neuropteren, sondern mit den Lepidopteren zu einer Ordnungsgruppe zu-
sammengestellt usw.).
Als Grundlage zur Einteilung dienen die verschiedensten Merkmale :
vor allem die Art der postembryonalen Entwickung (Metamorphose), ferner
das Fehlen oder der Besitz von Flügeln, die Beschaffenheit der Flügel, die
Mundwerkzeuge, die Abdominalanhänge, das Verhältnis der drei Brustringe
zueinander und verschiedener anatomischer Merkmale, wie Zahl der
Malpighischen Gefäße usw.
Die Berücksichtigung" aller dieser Merkmale führt zur Aufstellung folgender
Kategorien der Insektenklasse.
I. Unterklasse: Anamerciitoina.
Verlassen das Ei nicht mit vollständiger Segmentzahl; Mundteile voll-
ständig in die Kopfkapsel verlagert („entotroph"); stets ungeflügell, am Abdomen
ohne Styli und Cerci. Hierher die Ordnungen: Prottira und CoUcmhola.
Das System der Insekten. 395
II. Unterklasse: Holomerentoma.
Verlassen das Ei mit vollständiger Segmentzahl, Mundgliedmaßen meist
frei („ektotroph"); umfaßt die meisten Insekten.
1. Ordnungsgruppe: Thysanuroidea.
Stets flügellos; meist zarthäutige Tiere mit langen Fühlern, und wohl-
ausgebildeten Cerci und Styli am Abdomen. Hierher die Ordnungen :
Entognatha {Campodea, Japyx) und Ectognatha {Machilis und Lepisma).
2. Ordnungsgruppe: Orthopteroidea.
Mundgliedmaßen meist beißend (selten saugend); die beiden Flügel-
paare entweder ungleich (Vorderflügel pergamentartig), oder aber gleichartig,
oder ganz fehlend; Prothorax meist groß und frei beweglich; Cerci meist
vorhanden, Larven stets primär; postembryonale Entwicklung eine Epimor-
phose. Hierher die Ordnungen: Orthoptera (Feld- und Laubheuschrecken
und Grillen), Phasmodea (Stabheuschrecken), Dermaptera (Ohrwürmer),
Thysanoptera (Blasenfüße), Oothecaria (Schaben und Fangheuschrecken),
Corrodentia (Termiten, Holzläuse, Federlinge und echte Läuse).
3. Ordnungsgruppe: Amphibiotica.
Mundgliedmaßen beißend; zwei Paar gleichartiger häutiger netzadriger
Flügel, zahlreiche Malpighische Gefäße, Abdomen mit Cerci, Larven wasser-
bewohnend, mit Tracheenkiemen. Hemimetabole oder prometabole Entwicklung.
Hierher die Ordnungen: Ephemeridae (Eintagsfliegen), Plecoptera (Uferfliegen)
und Odonata (Libellen).
4. Ordnungsgruppe: Neuropieroidea.
Mundteile beißend, Prothorax wohl entwickelt und frei, zwei Paar gleich-
artiger häutiger und meist auch gleich großer Flügel ; Larven räuberisch lebend,
zum Teil mit Saugzangen versehen. Holometabole Entwicklung, mit freier
Puppe. Hierher die Ordnungen: Neuroptera (Ameisenlöwen, Florfliegen,
Kamelhalsfliege).
5. Ordnungsgruppe: Coleopteroidea.
Mundwerkzeuge beißend, Vorderflügel meist zu Flügeldecken umgebildet;
Hinterflügel gewöhnlich unter den Vorderflügeln eingefaltet (oder fehlend),
Prothorax gut entwickelt und frei beweglich. Vier oder 6 Malpighische Ge-
fäße. Holometabole Entwicklung mit freier Puppe. Hierher die Ordnungen :
Coleoptera (Käfer) und Strepsipfera (Stylopiden).
6. Ordnungsgruppe: Hymenopteroidea.
Mundwerkzeuge beißend oder leckend; die zwei Flügelpaare gleichartig,
häutig, (oder auch fehlend), Hinterflügel kleiner als Vorderflügel; Prothorax
klein, Pronotum meistens mit den Mesonotum verw^achsen, zahlreiche (mindestens
6 Malpighische) Gefäße. Holometabole Entwicklung mit freier Puppe. Hierher
die Ordnung: Hymenoptera (Hautflügler, Immen).
396 Kapitel VIII. Allgemeine Übersicht über das System der Insekten.
7. Ordnungsgruppe: Lepidopteroidea.
Mundteile oft stark rückgebildet (beißend oder saugend); Prothorax
klein, frei oder mit dem Mesothorax verwachsen, Metathorax kleiner als der
Mesothorax oder beide gleich groß. Flügel meist wohlausgebildet, nur selten
fehlend, gleichartig, häutig, unbeschuppt oder meist beschuppt. Larven raupen-
ähnlich. Holometabole Entwicklung mit freier oder bedeckter Puppe. Hierher
die Ordnungen : Panorpatae (Scorpionsfliegen), Trichoptera (Köcherfliegen) und
Lepidoptera (Schmetterlinge).
8. Ordnungsgruppe: Dipteroidea.
Mundteile saugend oder stechend ; nur die Vorderflügel wohlausgebildet,
die Hinterflügel zu kleinen Schwingkölbchen rückgebildet; Prothorax meist
klein; Larven stets ohne Beine, entweder mit Kopfkapsel oder ohne solche.
Holometabole Entwicklung mit freier (resp. Tönnchenpuppe) oder be-
deckter Puppe. Hierher die Ordnungen: Diptera (Zweiflügler, Fliegen) und
Suctoria (Flöhe).
9. Ordnungsgruppe: Hemipteroidea.
Mundteile stechend und saugend; Prothorax groß, gewöhnlich frei;
Flügel zuweilen ganz fehlend, zuweilen nur im weiblichen Geschlecht, meist
vier (selten zwei) Flügel vorhanden, entweder gleichartig oder die Vorder-
flügel als Halbdecken. Entwicklung Epimorphose oder Hemimetabolie. Hier-
her die Ordnung: Hemiptera (Wanzen, Cicaden, Pflanzenläuse und Blattflöhe).
Um die charakteristischen Merkmale der einzelnen Ordnungsgruppen
deutlicher hervortreten zu lassen, sind im folgenden die 9 Ordnungsgruppen
der Holomerentoma in Form einer dichotomischen Tabelle angeordnet, wobei
aber gleich zu bemerken ist, daß bei der Aufstellung der Charakteristik manche
aberrante Formen unberücksichtigt geblieben sind, zumal solche, die für den
Forstmann an und für sich kein Interesse besitzen.
(Siehe Tabelle S. 397.)
Was die hier eingehaltene Reihenfolge betrifft, so soll diese keineswegs
etwa die phylogenetische Entwicklung ausdrücken. Die verschiedenen Ord-
nungsreihen sind vielmehr als von einem gemeinsamen Urahnen ausgehend
zu betrachten, die ihre Entwicklung nebeneinander und unabhängig von-
einander genommen haben. Alle Ordnungen resp. Ordnungsreihen sind
daher, um mit Handlirsch zu reden, ungefähr gleichwertig und gleichweit
voneinander entfernt; man kann sie also stellen, wie es einem beliebt.
Wir werden im speziellen Teil (aus praktischen Gründen) folgende
Anordnung treffen: der 2. Band soll die Thysannroidea, Ortlwpteroidea,
Amphibiotica, Neiiropteroidea und die Coleopteroidea behandeln, der 3. Band
die Lepidopteroidea und der 4. Band endlich die noch verbleibenden
Hymenopteroidea , Dipteroidea und Hemipteroidea.
Die Nomenklatur.
397
Epimor-
phose
(s. lat.).
liemi- oder
Prometa-
bolie
Holome-
tabolie
Meist geflügelt, oder wenn unge-
flügelt, durch sekundäre Rück-
bildung der Flügel; höchstens
ein Paar Styli vorhanden.
Tabelle über die Ordnungsgruppen der Holomerentoma.
Stets ungeflügelt (primär flügellos); die drei Thoraxsegmente frei, an-
nähernd einander gleich; meist mit mehreren Paaren St3di Thysanuroidea.
Mundgliedmaßeu meist beißend. Nur
selten (Läuse) stechend und saugend,
wobei die Unterlippe zu einem Bohr-
stachel umgebildet ist (während
Mandib. und Max. rückgebildet sind)
Orthopteroidea.
Mundgliedmaßen stets stechend und
saugend; Schnabel (aus Ober- und
Unterlippe gebildet) mit 4 aus den
umgebildeten Mandibeln u. Maxillen
bestehenden Stechborsten
Hemipteroidea (partim).
Mundgliedmaßen beißend, Larven wasser-, Imagines luftlebend; Larven
mit Tracheenkiemen (Wasseratmung) Amphibiotica.
Mundgliedmaßen stechend und saugend; Larven wie die Imagines, für die
Luftatmung organisiert Hemipteroidea (partim).
Vorderflügel zu Elytren umgebildet (selten, bei Strepsipteren, rückgebildet)
Coleopteroidea.
Nur die Vorderflügel wohl ausgebildet, Hinterflügel zu
kleinen „Schwingkölbchen" reduziert. Selten (Lausfliegen,
Flöhe) vollkommen flügellos. Mundgliedmaßen saugend
oder stechend. Larven stets völlig beinlos und vielfach
auch ohne deutliche Kopfkapsel Dipteroidea.
Prothorax wohl ent-
wickelt und frei ; die
4 Flügel annähernd
gleich groß
Neuropteroidea.
Prothorax klein, Pro-
notum mit dem Meso-
notum verwachsen ;
Hinterfiügel kleiner
als die Vorderflügel
Hymenopteroidea.
Mundgliedmaßen meistens saugend
(Saugrüssel); nur selten beißend,
dann aber der Ivopf schnabelförmig
verlängert ; Larven stets mit Beinen
Lepidopteroidea.
Vorderflügel
häutig
(wenn nicht
alle Flügel
rück-
gebildet).
Paar häutige
Flügel vorhanden
(oder beide Paare
rückgebildet),
Larven entweder
beinlos (dann
aber stets mit
Kopf kapsei) oder
aber mit Beinen,
und zwar außer
Brustbeinen viel-
fach auch noch
mit Bauchbeinen.
Mundglied-
maßen
beißend oder
leckend.
Die Nomenklatur.
Die Nomenklatur ist das Schmerzenskind der Zoologen. Es sind im
Laufe der Zeiten bezügl. der Namengebung der Tiere eine Reihe von Fehlern
gemacht worden; man suchte dieselben wieder gut zu machen, gelangte aber
dabei auf unrichtige Wege, so daß wir in eine Konfusion hineingeraten sind,
die ihresgleichen sucht und die eine ernste Gefahr für unsere Wissenschaft
bedeutet. Sind wir doch heute bereits vielfach an dem Punkte angelangt,
daß jeder eine andere zoologische Sprache spricht, so daß wir uns unter-
einander kaum mehr verstehen. Der eine spricht von Noctua piniperda, der
andere von Panolis piniperda und der dritte von Panolis griseovariegata —
drei verschiedene Namen für ein und dasselbe Tier, die Kieferneule. Oder
der eine spricht von Ips und meint einen Nitiduliden, der andere spricht
398 Kapitel VIII. Allgemeine Übersicht über das System der Insekten.
ebenfalls von Ips, meint aber einen Borkenkäfer — also ein und derselbe
Name für zwei verschiedene Tiere, usw. — Und nehmen wir verschiedene
Lehrbücher und systematische Spezialwerke heran, so finden wir auch da
das gleiche Tier vielfach mit verschiedener Benennung bedacht.
Die Ursache zu dieser beispiellosen Konfusion ist in verschiedenen
Momenten zu suchen: Bekanntlich benennen wir die Arten nach der von
Linne eingeführten binären Nomenklatur, d. h. die wissenschaftliche Be-
zeichnung der Art (Spezies) setzt sich zusammen aus zwei lateinischen Namen,
einem Gattungs- und einem Artnamen, welche sich gewissermaßen verhalten
wie Familien- und Vorname bei den Menschen.^) Hinter den Artnamen ist
stets der Name desjenigen Autors zu setzen (gewöhnlich in Abkürzungen),
welcher dem betreffenden Tier diese Bezeichnung gegeben hat; also z. B.
Melolontha vulgaris Fab. (oder einfach F.) bedeutet, daß Fabricius dem
Maikäfer diesen Namen gegeben hat.
Würden nun diese Namen stets richtig angewendet, d. h. stets nur für
das Tier gebraucht worden sein, das der ursprüngliche Autor damit meinte,
und würde stets auf die bereits beschriebenen Arten Rücksicht genommen
worden sein, so daß jedes Tier nur einmal beschrieben worden wäre, so
gäbe es keine Nomenklaturstreitigkeiten und wäre alles klar. Dem ist jedoch
leider nicht so! Einmal sind sehr häufig von späteren Autoren die alten
Namen falsch angewendet worden und sodann ist mindestens ebenso häufig
eine Art von verschiedenen Autoren immer wieder unter anderem Namen
beschrieben worden. Als bekanntes Beispiel für den ersteren Fall sei die
Benennung des großen braunen Rüsselkäfers genannt.
Diesen hatte Linne Curculio abietis getauft, dagegen den einen kleinen
braunen Rüsselkäfer Curculio pini. Ratzeburg verwechselte nun diese Tat-
sache, und bezeichnete den großen braunen Rüsselkäfer als Curculio pini,
den kleinen dagegen als Curculio abietis. Sobald nun dieser Irrtum bemerkt
wurde, mußte derselbe natürlich korrigiert werden, obgleich vermöge der un-
gemein weiten Verbreitung der Ratzeburgischen Werke der Name Curculio
pini sich bereits allenthalben in der Forstwelt für den berüchtigten Kultur-
verderber eingebürgert hatte. — Nun kommt in diesem Falle noch etwas
anderes hinzu: Die Gattung Curculio wurde mit der Zeit durch fortwährende
Neuentdeckungen so umfangreich, daß sich in ihr ohne weiteres verschiedene
natürliche Gruppen ergaben, welche von späteren Autoren in den Rang von
besonderen Gattungen erhoben wurden. So hat Schönherr von der
Gattung Curculio die Gattung Hylobius abgetrennt mit den Merkmalen des
Curculio abietis, und Germar die Gattung Pissodcs mit den Merkmalen des
Curculio pini, und nun hatte der große braune Rüsselkäfer ' den Namen
Hylobius abietis zu führen und der kleine braune Rüsselkäfer den Namen
Pissodes pini, beide natürlich mit dem Autornamen der Art, also L. (Linne).
1) Neuerdings wird vielfach auch die trinäre Nomenklatur angewendet,
indem die Abarten (Varietäten, geographische Rassen) einfach dem Artnamen
angefügt werden, z. B. Lucanus cervus capreolus Fueßl. Wir werden diesem
Brauche nicht folgen, sondern die Varietäten durch das Zeichen „var." von dem
Artnamen abtrennen, und also in obigem Beispiel schreiben Lucanus cervus L. var.
capreolus Fueßl.
Die Nomenklatur. 399
In solchen Fällen, wo ein Artname unter eine andere Gattung gestellt wird,
wie in den ebengenannten Fällen, wird der Autorname neuerdings vielfach
auch in eine Klammer gesetzt; also Hylobius abietis (L.).
Nicht überall liegen die Verhältnisse so einfach, wie hier. Oft ist es
sehr schwierig, aus der kui'zen Beschreibung zu ersehen, welches Tier der
betr. Autor eigentlich gemeint hat. Wenn die Originalexemplare (die sog.
T3^pen) noch vorhanden sind, so läßt sich darnach noch eine bestimmte Ent-
scheidung treffen; wo die Typen jedoch nicht mehr vorhanden sind, da wird
man event. überhaupt zu keiner sicheren Entscheidung mehr kommen können,
und dann beginnen die Zweifel und Unsicherheiten, die zu Streitigkeiten und
Verwirrung führen.
Dazu kommt das zweite der oben genannten Momente, nämlich, daß
eine und dieselbe Art von mehreren Autoren unter verschiedenen Namen be-
schrieben wurde. Für diese Fälle wurde das sog. Prioritätsgesetz auf-
gestellt, das auf dem 6. Internationalen Zoologenkongreß in Bern (im Jahre
1904) folgende Fassung erhielt (Art. 25 der Internationalen Regeln der
zoologischen Nomenklatur):
Gültiger Name einer Gattung oder einer Art kann nur der Name sein,
mit dem sie zuerst bezeichnet worden ist, unter der Bedingung,
a) daß dieser Name veröffentlicht und definiert oder angedeutet worden
ist, und
b) daß der Autor den Grundsätzen der binären Nomenklatur folgte.
Als Datum für das Inkrafttreten des Prioritätsgesetzes wurde das Jahr
1758 festgesetzt, in welchem die 10. Ausgabe des Linneschen „Systema
Naturae" erschienen ist.
Wo also eine Art mehrmals beschrieben wurde, ist darnach lediglich
der älteste Name zu verwenden, während die späteren Namen als sog.
Synonyme darunter gesetzt werden, z. B.:
Cerambyx cerdo L.
Cerambyx heros Scopol, oder
Callidium aeneum Deg.
Callidium dilatatum Payk,
— aurichalceum Gmel.,
— venosum Eschsch.,
— variabile F.
D. h. im 1. Beispiel ist der Name Cerambyx cerdo L. der allein gültige,
C. heros Scop. dagegen S3'nonym; und im 2. Beispiel ist Callidium aeneum
Deg. der allein gültige Name, während alle übrigen 4 Synonyme darstellen.
Bei vielen Arten ist die Zahl der Synonyme noch wesentlich größer, und
wenn man die vielbändigen Katologe der verschiedenen Insektenordnungen
durchsieht, so wird einem bald klar, daß weitaus der größte Raum von den
Synonymen eingenommen wird.
Mit dem Prioritätsgesetz glaubte man, eine klare Grundlage für die zoolo-
gische Nomenklatur geschaffen zu haben und mit Hilfe desselben in einiger Zeit
zu einer einwandfreien, für alle Zeiten festgelegten Namengebung zu gelangen.
Die Erfahrung lehrte uns aber das Gegenteil. Kaum hatte einer geglaubt,
den ältesten Namen gefunden zu haben, so kam schon ein anderer, der mit
400 Kapitel VIII. Allgemeine Übersicht über das System der Insekten.
einem noch älteren Namen aufwartete, bis auch dieser wieder mit einem noch
ehrwürdigeren Namen geschlagen wurde usw. Die Folge davon war, daß
man in jeder neuen Auflage eines Werkes andere Namen vorfand. Es hat
sich mit der Zeit die Prioritätsjagd zu einer Art Sport herausgebildet, der
manchem als Selbstzweck und der Inbegriff zoologischer Weisheit erschien.
Diese Prioritätsschnüffler vergaßen ganz, daß die Nomenklatur doch
hauptsächlich ein Verständigungsmittel darstellen soll, um uns auf
bequeme und kurze Weise über die einzelnen Tierformen unterhalten zu
können; ihnen schien die Nomenklatur vielmehr dazu geeignet, möglichst
schwierige Rätselaufgaben daraus zu bilden, in der Meinung, daß der wissen-
schaftliche Zoologe keine größeren Aufgaben hat, als Rätsel zu lösen.
Es hat denn auch in der letzten Zeit eine starke Bewegung eingesetzt,
dem unvernünftigen Treiben der extremen Prioritätsjäger ein Ende zu bereiten,
indem man wenigstens die Zulassung von Ausnahmen von dem Gesetz erstrebte.
Was hat es doch für einen Zweck, 100 Jahr alte oder noch ältere jedem
geläufige und verständige Namen durch neue zu ersetzen, nur weil gefunden
wurde, daß das Tier noch einige Jahre früher von einem anderen (weniger be-
kannten) Autor unter einem anderen Namen beschrieben worden war. Die
Hauptsache ist doch eine stabile Nomenklatur. Von dieser Überlegung aus-
gehend, hat man den Vorschlag gemacht, daß man die gebräuchhchsten altein-
gebürgerten Namen von dem Prioritätsgesetz unabhängig machen und sie als ein
für allemal feststehend proklamieren sollte, gleichgültig, ob später noch ein älterer
Name entdeckt werde oder nicht. Man schlug vor, eine Liste solcher außerhalb
des Gesetzes stehender Namen aufstellen. Es wäre dies jedenfalls ein sehr guter
Ausweg gewesen, aus der großen Nomenklaturkalamität herauszukommen. Es
würde auch sicherlich gelungen sein, sich über die Arten, die eine solche Aus-
nahmestellung genießen sollten, zu einigen. — Leider ging jedoch dieser Vor-
schlag auf dem letzten Internationalen Zoologenkongreß in Monaco (1913)
nicht durch; es wurde aber wenigstens so viel erreicht, daß nunmehr Aus-
nahmen zulässig sind. So braucht von jetzt ab das Prioritätsgesetz keine
Anwendung zu finden, wenn ein Name für nur eine Gattung 50 Jahre lang
bis 1890 in wissenschafdichen Arbeiten, Katalogen u. a. gebraucht worden
ist; und ferner, wenn der Name, der nach dem Prioritätsgesetz der älteste
ist, 20 Jahre keinen Eingang in die wissenschaftliche Systematik gefunden
hat. — Zweifellos wird die Bewegung damit noch nicht zu Ende sein; vor
allem sollte man darauf hinarbeiten, daß man sich doch noch zu dem obigen
Ausweg entschließen möchte, nämlich Listen von Tiernamen aufzustellen, die
als absolut unveränderlich zu gelten haben. Nur damit dürften wir allmählich
zu einer einigermaßen konstanten und übereinstimmenden Nomenklatur,
wenigstens für die bekanntesten und wichtigsten, in unseren Lehrbüchern
stets wiederkehrenden Tierarten gelangen.
Was unsere Stellung zur Nomenklaturfrage betrifft, so werden wir im
Hinblick darauf, daß das Werk für die Praxis bestimmt ist, bestrebt sein,
so weit es irgend geht, an den alt eingebürgerten Namen festzuhalten, vor
allem bezügl. der Artnamen. Nur wo zwingende Gründe, z. B. Aufdeckung
einer irrtümlichen Anwendung, vorliegen, werden wir uns entschließen, den
Anhang. 401
in der Praxis geläufigen Artnamen durch einen neuen zu ersetzen. Für die
Praxis kommt ja der Artname auch in erster Linie in Betracht, da wir
vielfach nur ihn zur Bezeichnung eines Schädlings heranziehen; so sprechen
wir z. B., wenn es sich um Borkenkäfer handelt, allgemein nur vom „typo-
graphus^^ oder „calcographiis^^. oder wo es sich um Kleinschmetterlinge
handelt, vom „huoliana^'' oder „resinella^^ usw. — Bezüglich der Gattungen
werden wir den Begriff oft weiter fassen, als es in den systematischen
Spezialwerken geschieht. Jedenfalls wollen wir die auf recht geringen
Unterschieden beruhende Genera-Aufteilung, wie sie in neuerer Zeit viel-
fach geübt wird, und die mitunter soweit geht, daß beinahe auf jede Art
oder jede zweite Art eine Gattung kommt, nicht mitmachen. Der Gattungs-
begriff, wie er in diesem der Praxis dienenden Werke zur Anwendung
kommt, deckt sich in manchen Fällen mit dem Begriff der Unterfamilie oder
sogar auch Familie in systematischen Spezialwerken; so werden wir z. B.
für alle Lipariden, die in den Spezialwerken in eine Reihe verschiedener
Gattungen zerlegt sind, den Gattungsnamen „Liparis^' gebrauchen usw.
Wir werden aber stets Sorge tragen, sowohl bezügl. der Gattungen
wie der Arten, daß auch die neuesten Namen — gewöhnlich in
Klammern — beigefügt werden und im Register zu finden sind, da-
mit auch der der neuesten Nomenklatur und S3'stematik huldigende Forscher
sich zurechtfinden kann.
Anhang.
Anleitung zur Anlegung einer forstentomologischen Sammlung.
Nur derjenige wird den Aufgaben der Forstentomologie vollkommen
gerecht werden können, der sich durch praktische Übung einen scharfen
entomologischen Blick erworben hat. Am besten kann dies dadurch er-
reicht werden, daß der Forstmann sich selbst eine forstentomologische
Sammlung anlegt. Dabei wird sein Interesse für die Insekten wachsen, je
vollkommener die Sammlung ward. Und event. kann dabei auch eine spezielle
Insektengruppe ihn so fesseln, daß er dieselbe zu seinem Spezialstudium
wählt und er so ' auch an der Förderung der Wissenschaft aktiven Anteil
nimmt. Der Fälle sind ja nicht wenig, in denen praktische Forstwirte durch
Bearbeitung einer Spezialgruppe der forstentomologischen Wissenschaft
wesentliche Dienste geleistet haben.
Das Sammeln von Forstinsekten.
Das Sammeln von Insekten läßt sich nicht aus Büchern lernen, es ge-
hört dazu vor allem praktische Erfahrung und Übung. Am schnellsten und
besten wird man die Sammelkunst dadurch sich aneignen, daß man mit einem
erfahrenen Sammler sich in Verbindung setzt und möglichst viel Exkursionen
mit ihm gemeinsam macht. Es hat daher auch nicht viel Zweck, hier jede
einzelne Sammeltätigkeit bis ins Detail zu schildern; es dürfte genügen,
wenn die Hauptregeln, die beim Sammeln zu beachten sind, hier an-
geführt werden.
Zunächst einige Worte über die Ausrüstung: Wer auf eine forst-
entomologische Sammelexkursion ausgeht, hat sich mit einer Anzahl von
Ksclierich, Forstinsekten. 26
402 Kapitel MII. Allgemeine Übersicht über das System der Insekten.
Sammelutensilien zu versehen, von denen hauptsächlich folgende in Be-
tracht kommen:
ein Stemmeisen mit Hammer I
ein kräftiges Messer \ zum Herausarbeiten der
eine Säge (der Bequemlichkeit halber eine i Rinden- und Holzinsekten,
zusammenklappbare) '
Kig. 236. Exhaustor. Sammelglas zum schnellen und sicheren Einsammeln der Insekten aus dem
Klopfschirm, ans Fraßgängen usw. (Katalog von Winkler A Wagner, Wien XVill, Dittesgasse ii.)
ein Klopfschirm, zum Abklopfen
lebenden Insekten;
ein Insektenfangnetz, zum Fangen
eine Pinzette | zum Ergreifen und
ein Pinsel (
Fig. 237. Verschiedene Tötungsgläser, a Tötungs-
glas mit zwei flachen Seiten (zum bequemen
Einstecken) zum Töten von Insekten mit Äther oder
Schwefeldioxyd. Das Glas ist für Käfer usw. mit
groben Sägespänen oder Papierschnitzel oder Holz-
wolle etwa zur Hälfte zu füllen Das kleine Röhrchen
im Kork dient zum Einwerfen kleiner Insekten,
fc Tötungsglas mit Kugel. Die Kugel, die von
außen zugänglich ist, wird mit Watte gefüllt, auf die
Äther getropft wird. Es kann auch Zyankali mit
Gips in die Kugel gegossen werden, c Präparaten-
glas. (Katalog von Winkler & Wagner.)
der auf Bäumen und Sträuchern
der fliegenden Insekten;
Aufnehmen kleiner und kleinster
Insekten;
(an Stelle der Pinzette und
des Pinsels kann auch ein sog,
„Exhaustor" [Fig. 236] be-
nutzt werden, mit dessen Hilfe
man durch Saugwirkung die
kleinen Insekten am schnellsten,
mühelosesten und sichersten
aufnehmen kann);
verschiedene Tötungsgläser
(Fig. 237), und zwar: einige
zur trockenen Tötung mit Essig-
äther, Z3^ankali oder Schwefel-
dioxyd (für empfindliche, fein
behaarte Insekten usw."), zum
Teil mit Fließpapierschnitzel
o. dgl. gefüllt, z. T. (Schmetter-
linge) ohne solche; außer-
dem eine größere Anzahl
kleinerer, möglichst stark-
wandiger sog. Präparatengläser
mit schwachem Alkohol (50 bis
70<^/oj gefüllt (zur Aufnahme
weniger empfindlicher Käfer,
Larven usw.);
Anhang. 403
eine Anzahl leere Präparatengläser (zur lebenden Aufbewahrung ge-
sammelter Kleinschmetterlinge) ;
eine Anzahl Insektennadeln;
eine Blechschachtel mit Torfeinlage (zum Einstecken getöteter
größerer Schmetterlinge) ;
einige größere und kleinere Blechschachteln (Raupenschachteln);
einige größere und kleinere Leinwandsäckchen;
ein ca. 1 qm großes Tuch.
Um alle diese Utensilien unterzubringen, bedient man sich am besten
einer Umhängetasche; oder man läßt sich seine Sammeljoppe möglichst weit
machen und mit so viel Taschen versehen, als nur irgend angängig. Es
dürfte sich sehr empfehlen, die gesamten Ausrüstungsgegenstände von einer
Spezialfirma zu beziehen, da man dann sicher ist, wirklich brauchbare
Utensilien zu einem angemessenen Preise zu erhalten.
Als eine der renommiertesten Firmen dieser Branche ist zu nennen: W i n k 1 e r
& Wagner, Naturhistorisches Institut, Wien XVIII, Dittesgasse 11, die alle auf
Entomologie bezüglichen Gerätschaften in bester Konstruktion und Ausführung
liefert. Des weiteren kommen in Betracht: E. A. Böttcher, Berlin C. 2, Brüder-
straße 15, H. K r e y e in Hannover, W. S c h 1 ü t e r in Halle a./Saale, F. O. K ö n i g
in Erfurt, Johannes-Str. 72.
Begibt man sich nun, so ausgerüstet zum Sammeln in den Wald, so
wird man im allgemeinen auf folgende Punkte sein Augenmerk zu richten
haben: Abgestorbene, absterbende, gefällte Stämme mit Bohrmehlhäufchen,
gelockerter Rinde usw. bieten Aussicht auf Holz- und Rindeninsekten;
man hat sie daher genau zu untersuchen, indem man die Rinde losstößt und
event. mit Säge und Meißel tiefer in das Holz eindringt. Dasselbe gilt für
abgestorbene oder abgefallene Äste und Zweige, ferner für Klafterholz oder
Stockholz oder Reisighaufen usw., auch für scheinbar gesunde Stämme, die
Spechteinschläge oder Harzausflüsse oder Bohrmehl zeigen. Hat man nun
die Käfer usw. unter der Rinde oder im Holz bloßgelegt, so nimmt man sie
mit der Pinzette oder dem Pinsel (oder auch mit dem Exhaustor) auf und
bringt sie in ein Tötungsglas. Handelt es sich um Borkenkäfer oder der-
gleichen, so kann man dieselben in eine der alkoholgefüllten Präparatengläser
geben, zusammen mit den event. dabei gefundenen Larven und Puppen.
Soll auch das dazugehörige Fraßstück mitgenommen werden (am besten in
kleinen Säcken), so ist in das betreffende Gläschen ein kleiner Papierzettel
zu geben, auf dem mit Bleistift eine Nummer zu schreiben ist, welche mit
der Nummer des Fraßstückes übereinstimmt. Natürlich sind dann keine
weiteren Insekten in das betreffende Gläschen zu bringen. Sind nur Larven
unter der Rinde usw. zu finden und will man die Artzugehörigkeit der
Larven eruieren, so ist das betreffende Aststück usw. nach Hause zu trans-
portieren, um dort die Entwicklung vollenden zu lassen (siehe unten).
Des weiteren ist auf die Veränderung der Blätter oder der Nadeln
zu achten; wo diese gelb gefärbt erscheinen oder Substanzverluste (Löcher,
Scharten, Minen usw.) zeigen, ist der Urheber dieser Erscheinung zunächst
auf den beschädigten Blättern und Nadeln zu suchen. Es ist dabei event.
Blatt für Blatt auf der Ober- und Unterseite genauestens zu untersuchen, oder
26*
404 Kapitel VIII. Allgemeine Übersicht über das System der Insekten.
aber man kann auch den Klopfschirm zu Hilfe nehmen und die befallenen
Äste in denselben abklopfen. Es wird dabei natürlich alles mögliche in den
Schirm kommen; doch wird der einigermaßen Vertraute keine großen Schwierig-
keiten haben, die verschiedenen Insekten mit den Blattbeschädigungen in den
richtigen Zusammenhang zu bringen. Bei dem Sammeln mit Klopfschirm
empfiehlt es sich, für die verschiedenen Baumarten verschiedene Tötungs-
gläser zu benützen, so daß die von Fichten oder Kiefern oder Lärchen usw.
geklopften Insekten getrennt werden.
Ist der Urheber der Blattbeschädigung nicht mehr auf den Blättern selbst
zu finden, so ist daran zu denken, daß seine Fraßzeit vielleicht schon vorüber
und er in ein anderes Entwicklungsstadium eingetreten ist. So kann sich
die Raupe bereits in die Puppe verwandelt haben; daher sind alle für die
Verpuppung in Betracht kommenden Stellen in der Umgebung der Beschädigung
abzusuchen, also Astwinkel, Rindenritzen und vor allem die Bodendecke, in
der ja eine ganze Reihe von Insekten sich verpuppen. Die Entwicklung des
Schädlings kann aber noch weiter gediehen sein, es kann bereits der Falter
ausgekommen und dieser zur Eiablage geschritten sein. Es ist daher auch
auf die eventuellen Eigelege an den Blättern, Nadeln oder am Stamm zu achten.
Das Vergilben der Nadeln und Welken der Blätter deutet oft auch —
besonders bei jungen Pflanzen — auf Wurzelinsekten hin. Der Verdacht
auf solche wird um so größer sein, wenn an dem oberirdischen Teil der
Pflanze keine Schädlinge zu finden sind. Um der eventuellen Wurzelinsekten
habhaft zu werden, reißt man die betreffenden Pflänzchen aus und untersucht
die Wurzeln auf die event. daran sitzenden Insekten. Um nichts zu über-
sehen, klopft man die Wurzeln am besten auf ein ausgebreitetes Tuch aus.
Ferner ist auch auf Wachstumshemmungen oder Deformationen der
Pflanzen oder Gallenbildungen zu achten. In den meisten Fällen wird
man in den betreffenden Pflanzenteilen, soweit sie von dem Schädling noch
nicht verlassen sind, Larven finden. Um die Imago zu erhalten, wird man
daher gut tun, die deformierten Teile oder die Gallen, soweit es möglich ist,
abzuschneiden und zu Hause in ein Zuchtglas zu bringen.
Kommt man gerade zu der Flugzeit eines Schädlings in den Wald, so
tritt das Netz in Aktion, mit dem die an den Waldrändern fliegenden Klein-
schmetterlinge oder die schwärmenden Borkenkäfer oder Blattwespen oder
Ichneumonen u. dgl. gefangen werden.
Um Dämmerungs- und Nachtfalter zu erhalten, kann man auch besondere
Lockmittel anwenden, von denen Licht und Köder die Hauptrolle spielen.
Zum Lichtfang bediene man sich einer möglichst starken Lichtquelle. Am
vorteilhaftesten ist eine Azetylenlampe, auf einem Stock mit kräftiger spitzer
Zwinge befestigt, so daß er leicht festgesteckt werden kann, darunter ein
weißes Tuch ausgebreitet und ferner ein zweites ebensolches Tuch in einiger
Entfernung quer zum Lichtkegel ausgespannt. Von Stunde zu Stunde er-
scheinen andere Arten, die, wenn sie sich auf die beleuchteten Flächen nieder-
lassen oder an ihnen entlang schwirren, mit dem Giftglas, im Fluge aber mit
dem Netz gefangen werden können (Spuler). Der Lichtfang kann kombiniert
werden mit dem Köderfang, der besonders für Eulen und Spanner gute
Anhang. 405
Resultate liefert. Als Grundlage des Köders nimmt man ein Gemisch von
gekochtem Bier (braunes Landbier) und Sirup, dieser Masse füge man warm
Honig in kleinerer Menge (l Eßlöffel auf ^U 1) und nach dem Erkalten Amyl-
nitrit (Apfel-, Birnenäther) bei, von diesem jedoch nur wenige Tropfen. Als
Köderplätze empfehlen sich vor allem nach Süden und Westen gelegene
Waldränder oder Ränder von Lichtungen und freistehende Bäume. Man
säubert in Brusthöhe die Rinde an einer etwa 10 cm breiten und 10 — 20 cm
hohen Stelle und streicht zunächst einen dicken Köder als Grundlage am
späten Nachmittag auf. Später verwendet man zum Nachstreichen dünneren
Köder, dem man etwas Glyzerin (1 Eßlöffel auf 1 I) zufügen kann, damit er
länger feucht bleibt. Die Anstrichstellen nehme man nicht zu dicht beieinander
und beginne, namentlich im ersten Frühjahr und Herbst, nicht zu spät. — Am
besten für den Licht- und Köderfang sind warme Abende bei bedecktem
Himmel. Besonders gierig sind die Tiere am schwülen Abend vor warmem
Regen, doch auch bei leichtem Regen ist der Fang lohnend. Bei kühler
Temperatur, Tau oder starkem Winde wird sich die Mühe nicht lohnen
(S p u 1 e r).
Eine besonders reiche Ausbeute endlich wird der Sammler da machen,
wo zur Bekämpfung einer Kalamität Fangvorrichtungen im großen angebracht
sind. So kann man in geleimten Beständen un! er den Leimringen die
verschiedensten Insekten, deren man sonst nur schwer habhaft werden kann,
erbeuten; ebenso können die Fanggräben oder Fanggruben ein reiches
Sammelresultat ergeben.
Die Zucht der Insekten.
Das Sammeln ist zu ergänzen durch die Zucht. Viele für den Forst-
mann wichtige Insekten, wie z. B. die Buprestiden, sind als Imagines draußen
im Walde nur selten zu finden, während man sie zur Zucht leicht in größerer
Anzahl erhalten kann. Ferner sind die draußen gefangenen Insekten, vor
allem Schmetterlinge, häufig bereits stark abgeflogen, so daß sie für eine
Sammlung sich nicht mehr eignen; in diesen Fällen wird man ebenfalls durch
Zucht sich in den Besitz tadelloser Exemplare setzen können. Besonders
wertvoll ist die Zucht für das Parasitenstudium; ist es doch größtenteils nur
auf diesem Wege möglich, über die Parasiten eines Schädlings sich Klarheit
zu verschaffen. Die Zucht dient aber nicht nur zur Bereicherung der Samm-
lung und der Feststellung der Parasiten, sondern sie gibt uns auch Gelegenheit,
mit den Lebensgewohnheiten des betreffenden Insekts uns vertraut zu machen,
biologische Experimente anzustellen, indem man die Raupen usw. bestimmten
Bedingungen aussetzt und deren Wirkung auf jene beobachtet usw. So muß
also der Forstentomologe auch mit der Praxis der Insektenzucht vertraut sein.
Handelt es sich um Holz oder Rinden bewohnende Larven, so
bietet deren Zucht keine Schwierigkeiten. Wenn man die betreffenden
larvenbesetzten Ast- oder Stammstücke einfach in einen passenden Behälter
(aus Glas, Blech usw.) gibt und dafür sorgt, daß sie nicht zu sehr austrocknen,
so werden sich die Larven gut weiterentwickeln und Imagines ergeben. Man
kann die Äste usw. auch in Säcken einbinden (Paul}'); es empfiehlt sich
406 Kapitel VIII. Allgemeine Übersicht über das System der Insekten.
aber dann, die Enden der Stücke mit Paraffin zu überziehen, um die zu
schnelle Verdunstung hintanzuhalten. Wenn es einem nicht darauf ankommt,
die Zugehörigkeit der Imagines zu den einzelnen Fraßstücken zu ermitteln,
sondern es lediglich darauf abgesehen hat, Imagines für die Sammlung zu
erhalten, so braucht man die einzelnen Holz- oder Rindenstücke nicht zu
sepai-ieren. Man kann in solchen Fällen alles eingetragene Material in einem
gut schließenden kleinen Zimmer oder einer Kammer unterbringen und braucht
dann nur und von Zeit zu Zeit die Wände, Fenster, den Boden usw. dieser
sog. „Käferkammer" gründlich abzusuchen, um eine gute Ausbeute zu machen.
Raupen und Larven, die von Blättern, Nadeln usw. leben,
müssen in besonderen Zuchtkästen untergebracht werden. Für kleine Raupen
und besonders für die Aufzucht aus dem Ei kann man dazu kleine Einmach-
gläser verwenden, die oben mit Gaze zugebunden werden; für größere
Raupen benützt man am besten Holzkästen, deren Seitenwände und Decke
mit Gaze, am vorteilhaftesten mit Drahtgaze, bezogen sind, um Luft und Licht
möglichst reichlich Zutritt zu gewähren.
Von besonderer Wichtigkeit ist bei diesen Aufzuchten die stete Ver-
sorgung mit frischem Futter. Gewöhnlich sucht man das Futter dadurch
frisch zu erhalten, daß man die Zweige usw. der Fraßpflanze in ein kleines
Gefäß mit Wasser steckt. Doch hat diese Methode einen gewissen Nachteil,
indem durch die reichliche Aufnahme von Wasser die Nahrung in ihrer Zu-
sammensetzung wesentlich verändert wird. Manche in den Zuchtkästen aus-
brechenden Krankheiten sind vielleicht diesem Umstände zuzuschreiben. Es
ist daher, wo es angängig ist, zu empfehlen, die nötige Frische des Futters
durch möglichst häufiges Wechseln zu erreichen zu suchen. Erleichtert kann
diese Arbeit dadurch werden, daß man die Zeit, zu der die betr. Raupen ihre
Mahlzeiten einzunehmen pflegen — die einen Raupen fressen z. B. nur des
Nachts, die anderen nur in den Vormittagsstunden usw. — feststellt; dann
braucht man ja nur dafür zu sorgen, daß zu diesen Zeiten frisches Futter
vorhanden ist.
Ein weiteres wichtiges Moment, das bei den Zuchten zu berücksichtigen
ist, ist die Reinlichkeit. In diesem Punkte kann man nicht peinlich genug
sein. Der Kot, faulende Pflanzenteile usw. sind stets zu entfernen. Ferner
ist scharf darauf zu achten, ob die Raupen Krankheitssymptome zeigen (Durch-
fall, Freßunlust, schlaffe Haltung usw.). Ist dies der Fall, so sind die Raupen
sofort in andere Kästen überzuführen und zwar die gesunden getrennt von
den kranken, während der alte Kasten gründlichst zu desinfizieren ist (durch
Auspinseln mit Formalin).
Wenn die Raupen ausgewachsen sind und zur Verpuppung schreiten
wollen, so sind sie am besten in einen besonderen Verpuppungskasten zu
bringen, in dem alle für die Verpuppung in Betracht kommenden Gelegen-
heiten gegeben sind, also Erde zur Verpuppung im Boden, Torfabfälle, Moos,
Holzstückchen usw.
Bei Raupen, Puppen usw., die überwintern, ist dafür zu sorgen, daß
sie in ähnliche Verhältnisse wie in der Natur gebracht werden. Man stellt
daher die betreffenden Kästen zum mindesten in ein kaltes Zimmer, besser
Anhang.
407
noch direkt ins Freie vor das Fenster oder auf den Balkon o. dgl.; am besten
stellt man den Käfig in den Garten und nimmt die Decke desselben weg,
so daß auch der Schnee Zutritt hat. In diesem Falle soll aber der Boden
des Kastens ebenfalls aus Drahtgaze bestehen, damit das Wasser usw. durch-
laufen kann, — Bei einer Anzahl von Raupen gelingt es allerdings, auch durch
eine geeignete Behandlung die Überwinterungsperiode ganz auszuschalten,
so daß die Verpuppung wesentlich früher als in der Natur stattfindet. Bei
diesem sog. Treiben muß man jedoch darauf achten, daß die Raupen in
feuchter Wärme (Treibhauswärme) gehalten werden; außerdem empfiehlt es
sich, nur solche Raupen zum Treiben zu nehmen, welche noch nicht zur
Winterruhe sich begeben und also das Fressen noch nicht eingestellt hatten.
Fig. 238. Aufzucht von großen Raupeumassen in sog. Fiske sehen Raupenzuchtrahmen.
Nach Flske.
Neuerdings werden vielfach auch offene Zuchtkästen (die sog.
„Fiskeschen Raupenzuchtrahmen") benützt. Dieselben bestehen aus
einem ca. 10 cm hohen einfachen Holzrahmen, dessen oberer Rand eine nach
innen vorspringende Leiste trägt; auf der Unterseite dieser Leiste ist Raupen-
leim aufgetragen, der das Entweichen der Raupen verhindert. Der Boden
des Kastens wird durch Stoff gebildet, der an den unteren Rändern des
Rahmens festgenagelt wird. Die Kästen sind also oben vollständig offen,
was für das Gedeihen der Raupen, für die Beobachtung, den Wechsel des
Futters usw. von großem Vorteil ist. Daß der Boden von Stoff ist, ermöglicht
eine rasche Erneuerung desselben, was die Reinigung der Kästen nach an-
steckenden Krankheiten usw. leicht und einfach gestaltet. Weitere Vorteile
der Fiskeschen Rahmen liegen in der Billigkeit und der Raumersparnis;
können sie doch in größerer Zahl mit einigem Zwischenraum übereinander-
gestellt werden (Fig. 238). Sie sind daher besonders da zu empfehlen, wo
es sich um die Aufzucht großer Mengen Raupen handelt.
408
Kapitel VIII. Allgemeine Übersicht über das System der Insekten.
Endlich wäre noch die „Beutelmethode" zu nennen, die darin besteht,
daß man die aufzuziehenden Raupen draußen in einem Gazebeutel um die
Enden eines Zweiges der Futterpflanze einbindet. Natürlich muß die be-
treffende Stelle gewechselt werden, sobald die Nadeln oder Blätter abgefressen
sind. Die Methode hat den Vorteil, daß sie wenig Arbeit erfordert und das
Futter in vollkommen natürlichem Zustand sich befindet. Andererseits kann
diese Methode nur da ausgeübt werden, wo man vor dem Eingreifen unbe-
rufener Hände sicher ist. Auch in starken Rauchgegenden kann die Methode
zu Mißerfolgen führen, da die
Gaze durch den Ruß usw. bald
verstopft wird, und dann die
Blätter usw. ihr Chlorophyll
mehr oderweniger verlieren.
Besondere Bedeutung er-
langt die Zucht für das Para-
sitenstudium. Soll dasselbe
systematisch betrieben werden,
so kommt es darauf an, daß
möglichst alle aus einer Raupen-
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Fig. 239. Großer Parasitenkasten mit zahlreichen Glas-
tuben. Aus Es eher ich.
zucht usw. auskommenden Para-
siten in unsere Hände gelangen.
Nun weiß aber jeder, der sich
mit Parasitenzucht abgegeben
hat, wie mühsam und zeitraubend
es ist, die kleinen Parasiten aus
den gewöhnlichen Gazekäfigen
herauszufinden; und wo es sich
gar um die kleinsten Formen
der Proktotrupiden handelt,
werden dieselben zum großen
Teil überhaupt nicht entdeckt.
Um diese Mißstände zu besei-
tigen, benützt man besondere
Parasitenkästen, am besten die sog. kalifornischen oder amerikanischen
Parasitenkästen. Dieselben stellen Kästen aus Pappe oder Holz dar, in deren
Vorderwand ein oder mehrere Löcher gebohrt sind, in welche Glastuben
(Präparatengläser) mit dem geschlossenen Ende nach außen gekehrt, gesteckt
sind. Damit die Zylinder möglichst fest in den Löchern stecken, wird ein
Konus aus aufgerollter Pappe zwischen Zylinder und Lochrand eingeschoben;
so kann man den Durchmesser des Loches durch Verschiebung des Konus
nach innen oder außen verkleinern oder vergrößern und damit die event.
Größenunterschiede, die bei den Gläsern immer bestehen, leicht ausgleichen.
Die Größe der Kästen ist sehr verschieden, je nach dem Material, welches
sie aufzunehmen haben: wo es sich um Eiparasiten handelt, genügen ganz
kleine Formen von etwa 5x15x10 cm; sollen aber z. B. die Parasiten aus
den Winternestern des Goldafters gezogen werden, so nimmt man uanz große
Anhant
409
Kästen von ^/., oder 1 m Höhe, um recht viel Nester darin unterbringen zu
können (Fig. 239).
Kommen nun in solchen Kästen Parasiten aus, so streben diese meistens
dem Licht zu und begeben sich daher in die Glastuben. Man braucht also
nur die letzteren zu revidieren, um die Parasiten zu erhalten. Dies bedeutet
nicht nur eine große Zeitersparnis, sondern auch eine weit größere Ge-
nauigkeit der Arbeit, als sie bei dem alten System selbst bei äußerster
Sorgfalt möglich war. Denn es werden hier die kleinsten Formen ebenso
präzise weggefangen wie die größten. Von italienischen Entomologen sind die
amerikanischen Kästen etwas modifiziert worden, indem sie die Glastuben
anstatt an der Seite an
der Decke anbringen (und
zwar in größerer Zahl).
Diese Modifikation ist da-
rin wohl begründet, daß
viele Parasiten die Ge-
wohnheit haben , zuerst
nach der Decke des Zucht-
kastens zu streben.
Nicht alle Parasiten,
die aus den Raupen und
Puppen herauskommen,
streben dem Licht zu;
manche von ihnen sind
im Gegenteil luzifug, d. h.
begeben sich aus dem Licht
in die Dunkelheit. Dahin
gehören vor allem die
Tachinenlarven, die, nach-
dem sie die Wirtsraupe
verlassen, sich im Boden
einbohren, um sich da zu
verpuppen. Diesen Even-
tualitäten ist Rechnung"
getragen durch kombi-
nierte Kästen (Fig. 240), die sowohl für die lichtzustrebenden als für die
den Boden aufsuchenden Formen eingerichtet sind. Sie sind zu diesem Zweck
durch ein Drahtgitter in eine obere und untere Abteilung zerlegt, deren jede
mit Glastuben versehen ist; die Raupen oder Puppen werden in der oberen
Abteilung untergebracht, von wo aus die Hymenopteren-Parasiten in die
oberen Glastuben fliegen, während die sich ausbohrenden Tachinenlarven
durch das Gitter fallen und durch den darunter befindlichen Trichter in die
untere, schräg nach unten gerichtete Tube geleitet werden. So kann man also
in den kombinierten Kästen beide Kategorien von Parasiten (die fliegenden
lichtfreundlichen und die lichtscheuen Maden) in den Glastuben abfangen.
Fig. 240. Kombinierter Parasitenzuchtkasten. q Glastubeu für
die fliegenden, dem Licht zustrebenden Parasiten; ef Glastube
zum Auffangen der durch das Gitter c (welches auf dem Rahmen
b liegt) fallenden Tachinenlarven. Nach Howard u. Fiske.
410 Kapitel VIII. Allgemeine Übersicht über das System der Insekten.
Die Tachinenmaden müs.scn natürlich möglichst schnell aus den Fanggläsern
entfernt und in die Verpuppungsbehälter gebracht werden.^)
Das Präparieren der Insekten und Fraßstücke.
Die gesammelten und gezüchteten Insekten müssen, soweit sie der
Sammlung einverleibt werden sollen, präpariert werden, was in folgender
Weise zu geschehen hat:
Die getöteten Imagines werden auf Fließpapier ausgebreitet, von den
daran haftenden Schmutzteilchen usw. gereinigt und dann, soweit sie nicht
zu klein sind, aufgespießt („genadelt"), wozu man sich besonderer Insekten-
nadeln (am besten der sog. „Idealnadeln") bedient, die von den obengenannten
Firmen zu beziehen sind, und in verschiedenen Stärken (Nr. 0 — 4), je nach
der Größe der betreffenden Insekten, zur Verwendung kommen. Die Käfer,
die meisten Wanzen und einige Orthopteren (z. B. Blattiden) werden durch
die rechte Flügeldecke (im vorderen Drittel) aufgesteckt. Bei den übrigen
Insekten (Schmetterlingen,
H^anenopteren, Dipteren usw.)
wird die Nadel durch den
Thorax gestochen. Die mit
^^r"-:'''" ^^ ' j^f^ Flügeldecken versehenen In-
-^^* -^^ ^^^^ sekten werden im allgemeinen
mit anliegenden Flügeln prä-
pariert. Bei den Schmetter-
lingen, bei denen ja die Haupt-
FiR. 241. Verstellbares Spannbrett, für kleine und große Zeichnung auf den Flügeln sich
Schmetterlinge verwendbar. (Katalog von Winkler & befindet werden die Flüo'el
Wagner.) r i, j c
auf besonderen „bpann-
brettern" (Fig. 241) aus-
gespannt und in dieser Lage getrocknet, so daß sie bei der Abnahme vom
Spannbrett in derselben bleiben. Bei den übrigen Insekten mit häutigen
Flügeln genügt es im allgemeinen, die Flügel in die normale Ruhelage (mehr
oder weniger schräg abstehend) zu bringen; doch empfiehlt es sich auch bei
diesen Insekten, wenigstens einige Individuen nach Art der Schmetterlinge
aufzuspannen, um das für die Bestimmung oft so wichtige Flügelgeäder deut-
lich sichtbar zu machen. Bei den Käfern beschränkt sich die Präparation
darauf, daß man die Beine und Fühler möglichst symmetrisch anordnet und
sie derart an den Körper anlegt, daß sie nicht sperrig abstehen; bei Käfern
mit sehr langen Beinen ist es zum besseren Schutz der Tarsen vorzuziehen,
die Beine gekreuzt unter den Leib zu schieben. Vielfach bleiben die Extre-
mitäten ohne weiteres in der Lage, die man ihnen gibt; wo dies nicht der
Fall ist, steckt man die zu präparierenden Käfer usw. auf sog. „Torfklötze"
(d. s. ca. 4 cm starke, mit weißem Papier überzogene Torfplatten) und be-
festigt die einzelnen Glieder in der gewünschten Lage mit Nadeln (Tredl).
1) Für diesen Zweck benutzt man gewöhnlich engmaschige Drahtzylinder mit
festem Boden und abnehmbarem Deckel, die bis an den oberen Rand in die Erde
eingegraben werden.
Anhang.
411
Soll eine Sammlung" ein schönes Aussehen bekommen, so ist neben
einer möglichst gleichmäßigen Präparation vor allem auch darauf zu achten,
daß die Insekten in ungefähr gleicher Höhe auf der Nadel stecken, etwa so
hoch, daß ^/.^ der Nadel noch über dem Insekt herausragt.
Handelt es sich um kleine und kleinste Insekten, so können dieselben
nicht ohne weiteres genadelt werden, da man dafür zu dünne Nadeln ver-
wenden müßte, die bei der Normallänge zu wenig Widerstand beim Ein-
stecken usw. bieten und daher abbiegen würden usw. Man hilft sich in
solchen Fällen damit, daß man die betr. Insekten nicht direkt auf die Nadel
bringt, sondern auf eine an der Nadel befestigte Unterlage. Für kleine
Käfer, Wanzen und ähnliche Insekten benützt man einfach ein Karton-
blättchen, auf welchem man das Insekt aufklebt. Es sind verschiedene Formen
von sog. „Aufklebeplättchen" im Gebrauch. Am meisten empfehlen sich
die dreieckigen Plättchen (Fig. 242), da bei denselben die Beine und der
größte Teil der Unterseite sichtbar bleiben, besonders wenn das Insekt quer
Ml
Fig. 242. Dreieckige Aufklebe-
plättchen für Kleinkäfer usw.
Fig. 24.B. Ein auf ein dreieckiges
Plättchen aufgeklebter Klein-
käfer mit Fundortetikette (N.).
Fig. 244. Ein vermittelst einer
Minutiennadel auf einem Ho-
luUderklötzchen aufgestecktes
Kleininsekt.
aufgeklebt wird, wie in Fig. 243 zu sehen ist. Die Orientierung hat so zu
geschehen, daß die Nadel bei vorwärtsgerichtetem Tier rechts von demselben
zu stecken kommt, damit beim Einstecken mit der rechten Hand das Tier
von der Hand unberührt bleibt. Als Klebemittel verwendet man einen mög-
lichst hellen und möglichst wenig spröden Leim, entweder starkes Gummi
arabicum, das mit 1 ^Iq Glyzerin und etwas Zucker versetzt ist, oder Syndeti-
kon (Fischleim). — Bei den Kleinschmetterlingen, kleinen Hymenopteren,
Fliegen usw. anderen zarten Kleininsekten benützt man feinen, kurzen Silber-
draht (oder noch besser sog. Minutiennadeln), mit dem die Insekten aufge-
spießt und dann in ein auf der Insektennadel befestigtes Stück Holundermark
eingesteckt werden (Fig. 244). Die Kleinschmetterhnge müssen zuerst ge-
spannt werden, wie die Großschmetterlinge, um die Zeichnung der Flügel
sichtbar zu machen. Die Silberdrahtmethode kann natürlich auch für die
anderen Insekten (Käfer usw.) angewandt werden und stellt zweifellos
die schönste und für die Bestimmung zweckmäßigste Präparationsmethode
dar; doch beansprucht sie viel mehr Zeit und Geschicklichkeit als das Auf-
kleben, so daß man im allgemeinen bei solchen Insekten, die das Aufkleben
ertragen, diese einfachere Methode anwenden wird.
412 Kapitel VIII. Allgemeine Übersicht über das System der Insekten.
Ist nun ein Insekt genadelt und präpariert, so ist unverzüglich eine
kleine Etiquette an der Nadel anzubringen, auf welcher Fangzeit, Fundort
und sonstige Bemerkungen zu notieren sind. Nur in dieser Weise sorgfältig
etikettierte Tiere können für wissenschaftliche Bearbeitungen einen Wert
erlangen.
Eine forstentomologische Sammlung soll neben den Imagines womöglich
auch die verschiedenen Jugendzustände der Schädlinge enthalten. Ist
es doch für den Forstmann überaus wichtig, auch die Eier, Larven und
Puppen der Forstschädlinge genau zu kennen und zur Vergleichung in
späteren Fällen aufzuheben. Die Eier und Puppen werden einfach in ein
Tötungsglas (am besten Zyankali) gebracht und dann langsam getrocknet.
Fig. 24.5. Ausblaseapiiarat mit HandgebLibe mit vernickeltem PiapaiiPiofen samt dickei Kupferplatte,
die durch eine Spirituslampe erhitzt wiid Das Glast ohi mit dem Piapaiat ist auf einem Stativ au-
gebracht, so daß eine Hand freibleibt. (Katalog von Winkler & AV agner.)
Um das Einschrumpfen zu verhindern und der Luft Zutritt in das Innere der
Eier und Puppen zu verschaffen, werden die betr. Objekte mit einer feinen
Nadel angestochen; größere Objekte bedürfen natürlich mehrerer Stiche als
kleine. Die schönsten Eierpiäparate erhält man, wenn man solche Eier ver-
wendet, die kurz vor dem Ausschlüpfen stehen, da in diese bereits ein größeres
Luftquantum eingetreten ist.
Weit umständlicher als die Präparation der Eier und Puppen gestaltet
sich die Präparation der Larven, die in zweierlei verschiedener Weise ge-
schehen kann, entweder durch Aufblasen oder Härten. Die erstere Methode
wird hauptsächlich für Schmetterlingsraupen und Afterraupen angewandt,
außerdem zuweilen auch für andere kräftiger chitinisierte größere Insekten-
larven, die letztere vor allem für die weißen, weichen farblosen Larven und
Puppen (Pupae liberae) der Käfer Hymenopteren, Dipteren usw.
Beim Aufblasen der Raupen wird folgendermaßen verfahren: Die
Raupe wird in einem Glas oder unter der Glasglocke mit einigen Tropfen
Anhang. 413
Äther betäubt; dann legt man sie zwischen weiches Fließpapier und
streift mit einem runden Stabe von vorn nach hinten darüberwalzend den
Inhalt der Raupe langsam durch den After aus, wobei sich früher oder später
der Enddarm nach außen stülpt. Bei größeren Raupen muß das Papier mehr-
mals erneuert werden, bis der Raupeninhalt völlig entleert ist. Zu starkes
Drücken vermeide man, da sonst die Haut verletzt wird oder die Haare aus-
gehen. Ist der Balg vollständig leer, so wird in die Afteröffnung ein passender
Grasstengel gesteckt, von denen man 4 — 5 Größen vorrätig haben muß; an
diesen Stengel wird die Raupe mit einer abgezwickten feinen Nadelspitze
oder einem Klebstoff befestigt und nun wird durch denselben Luft einge-
blasen, während man die Raupe gleichzeitig über eine erhitzte Metallplatte
oder in einen erhitzten Glaszylinder hält. Es gibt auch komplette Ausblase-
apparate (Fig. 245), bei denen die Raupen anstatt auf einen Grasstengel auf
eine dünn ausgezogene Glasröhre gesteckt und mit einer besonderen Halte-
vorrichtung festgehalten werden, während sie mit einem Handgebläse aufge-
blasen werden, oder sogar mit einem Gebläse mit Fußbetrieb, welch letztere
Einrichtung den Vorteil hat, daß man die beiden Hände frei hat und mit
Hilfe derselben der Raupe die gewünschte Form geben kann. Beim Blasen
ist zu beachten, daß zu starkes Blasen den Balg zu sehr ausdehnt und da-
durch der Raupe eine unnatürliche Form gibt. Das Einblasen ist so lange fort-
zusetzen, bis der Balg vollkommen trocken ist. Das gute Präparieren der
Raupen erfordert große Übung und Erfahrung. Die ausgeblasenen Raupen
werden entweder an einem Halm, der in den After gesteckt ist, befestigt
und daran genadelt, oder aber auf präparierte Fraßpflanzen geklebt. Grüne
Raupen verlieren ihre natürliche Färbung durch das Ausblasen meist so sehr,
daß man sie künstlich auffärben muß.
Was die andere Methode, die Härtung der Larven, betrifft, so ge-
schieht dieselbe nach dem in Zoologenkreisen allbekannten Semp ersehen
Verfahren zur Herstellung anatomischer Trockenpräparate. Scheidter gibt
für die Präparation der Larven folgende Vorschriften:
L Die Larven werden zunächst in Wasser gekocht, und zwar werden
ganz kleine Larven am besten lebend in ein Glas gegeben und mit sprudelndem
Wasser überbrüht und in diesem dann bis zum Erkalten stehen gelassen;
größere Larven (1 cm) bringt man in ein Reagenzglas mit kaltem Wasser
und erhitzt dieses auf einer Flamme bis zum Kochen ; ist dies erreicht, so
entfernt man sie von der Flamme. Ganz große Larven (Engerlinge usw.)
läßt man 1 — 2 Minuten kochen. Beim Kochen werden die Larven oft stark
aufgetrieben, was man dadurch wieder gut machen kann, daß man an wenig
sichtbaren Stellen, am besten zwischen den Segmenten, einige Nadelstiche
macht. Die Puppen jeder Größe werden am besten nur mit siedendem Wasser
überbrüht und in diesem stehen gelassen; wenn man sie siedet, so spreizen
sie ihre Flügel in unnatürlicher Weise vom Körper. Zweck des Abkochens
ist hauptsächlich, die Eiweißstoffe zum Gerinnen zu bringen. Ist das Wasser
erkaltet, so wird es möglichst vollständig abgegossen und sodann werden die
Larven und Puppen dem Härtungsprozeß unterworfen. Sie werden zu
diesem Zweck
414 Kapitel VIII. Allgemeine Übersicht über das System der Insekten
2. zunächst in 70°/oigen, dann in 80°/oigen und 90°/oigen und schließUch
in sog. absoluten Alkohol gebracht, um das in ihnen enthaltene Wasser zu
entfernen. In jeder dieser Flüssigkeiten verbleiben sie dann, je nach der
Größe, 1 — 3 Wochen; namentlich im absoluten Alkohol sollten sie möglichst
lange bleiben, wobei derselbe event. mehrmals zu wechseln ist. Um möglichst
alles in der Larve und im absoluten Alkohol enthaltene Wasser heraus-
zubekommen, kann man dem letzteren in einem dichten Leinensäckchen
kalziniertes Kupfervitriol beigeben, das, sobald es bläulich, d. h. wasserhaltig
geworden ist, durch ein neues zu ersetzen ist. Um den Alkohol besser in
die Larve usw. eindringen zu lassen, empfiehlt es sich, einige ganz feine
Schnitte an wenig bemerkbaren Stellen des Larvenkörpers anzubringen.
3. Nach der Alkoholbehandlung kommen die Larven und Puppen in
Xylol, und zwar werden sie dahin ganz allmählich übergeführt, indem man
sie zuerst in eine Mischung von -/g absol. Alkohol und ^/g Xylol, dann in
eine Mischung von ^/g absol. Alkohol und '■^/g Xylol und schließlich in reines
Xylol bringt. In jeder dieser Flüssigkeiten bleiben sie wiederum 1 — 3 Wochen,
je nach der Größe der Objekte. Hauptsächlich sind sie in reinem Xylol ge-
nügend lange zu lassen.
4. In gleicher allmählicher Weise werden sie nun in Terpentin über-
geführt, wieder zuerst in eine Mischung von -/g Xylol und ^/g Terpentin und
dann in V3 Xylol und ^/g Terpentin und schließlich in reines Terpentin.
Verbleiben hierin wie vorher. Im allgemeinen sollen sie im Xylol wie im
Terpentin so lange bleiben, bis sie fast durchsichtig geworden sind.
5. Hierauf werden sie aus dem Terpentin herausgenommen und auf
einem reinen Löschblatt langsam getrocknet. Zu rasches Trocknen,
namentlich auf einem warmen Ofen, ist meist nachteilig, da dadurch eine
große Anzahl der Larven einschrumpft. Am besten bedeckt man die zu
trocknenden Larven mit einem zweiten Löschblatt oder einer Glasglocke usw.,
um ein Verstauben derselben zu verhindern. Das Trocknen dauert nun
wieder, je nach der Größe, bis zu 8 Tagen.
Die so präparierten Larven usw. können nun in die Sammlung gesteckt
werden. Grosse Larven und Puppen werden wie Käfer usw. mit einer In-
sektennadel ungefähr in halber Länge und je nach der Gestalt und Form der
Larven entweder von der Seite her (so namentlich bauchwärts gekrümmte
Larven) oder vom Rücken her vorsichtig durchstochen. Kleinere Larven
und Puppen werden auf Klebeplättchen aufgeklebt wie die kleinen Käfer usw.
Nur benutzt man hierzu rechteckige Plättchen, und zwar wo es sich um weiße
Larven handelt, schwarze, auf denen sich die weißen Larven gut abheben.
Man kann die gehärteten Larven und Puppen auch in den Fraßstücken in
ihrer natürlichen Lage befestigen und damit schöne biologische Präparate
herstellen.
Die hier beschriebene Härtungsmethode erscheint auf den ersten Blick
etwas umständlich; in Wirklichkeit macht sie jedoch nur ganz wenig Arbeit
und erfordert eigentlich nur Zeit.^) Sie hat aber den großen Vorteil, daß sie
1) Ein wesentlich kürzeres Verfahren empfiehlt Deegener: Die Larven
und Puppen werden V2 — 1 Minute gekocht, nachdem sie chloroformiert in kaltes
Anhang.
415
einmal die natürliche Form der Larven und Puppen gar nicht verändert, und
sodann ermöglicht, daß eine beliebig große Zahl von Larven usw. auf einmal
präpariert werden können. Am besten richtet man sich gleich einen größeren
Vorrat der notwendigen Mischungen zurecht, die natürlich entsprechend zu
etikettieren sind. Die zu präparierenden Larven usw. werden in ein
Präparatenglas gebracht und dann die Flüssigkeiten der Reihe nach hinzu-
gegossen, nachdem die vorhergehende immer abgeschüttet wurde. Die Zeit,
zu welcher die Flüssigkeiten gewechselt werden, ist stets genau zu notieren.
Man kann in ein Glas gleichzeitig 3 — 4 verschiedene Larvenarten usw.
bringen, vorausgesetzt, daß sich dieselben leicht voneinander unterscheiden
lassen (z. B. die Larven von Borken-, Blatt-, Bock- und Laufkäfern).
(Scheidter.)
Von besonderem Werte für den Forstmann sind ferner die Fraß-
stücke. Sind sie es
doch vielfach, an denen
man den Schädling
ohne weiteres erkennen
kann. Es sind daher
auch die Fraßstücke zu
sammeln und zu Ver-
gleichszwecken aufzu-
bewahren. Handelt es
sich um befressene
Blätter, so werden die-
selben genau so präpa-
riert wie für das He-
barium. Umfangreiche
frische Pflanzenteile wie
auch Blattgallen usw.
kann man durch Trock-
nen in heißem Sande
in ihren natürlichen Formen erhalten
p
^-
««-«s— i»ta«^.....
i-
&
Fig. 246. Fraßstück von Sirex, in Scheiben geschnitten und buch-
förmig montiert. (Tharandter Sammlung.)
wenn man es nicht vorzieht, sie in
Wasser gebracht worden sind. Man achte aber bei den Larven, vor allem Raupen
darauf, daß sie vor der Behandlung nicht längere Zeit gehungert haben, weil sonst
häufig später Schrumpfungen auftreten, welche das Präparat verderben. Nachdem
das Wasser erkaltet ist, werden die Tiere je 24 Stunden in folgenden Flüssigkeiten
belassen: 40 »/o Alkohol, 60% Alkohol, 90% Alkohol, absolutem Alkohol, Alkohol-
Xylol (zu geichen Teilen), Xylol. Die dem Xylol entnommenen Objekte werden
am besten auf Fließpapier im Thermostaten getrocknet und dann genadelt. In
vielen Fällen erhalten sich die Farben sehr gut (Rhopalocera z. T., Bombyciden,
Geometriden, viele Noctuiden und Mikrolepidopteren). Da, wo sie verblassen oder
verloren gehen, muß man eine nachträgliche Färbung vornehmen. Bei empfind-
lichen grünen Eulenraupen kann man event. dadurch ganz gute Resultate erzielen,
daß man den einzelnen Alkoholstufen eine ziemlich starke, durch Auskochen von
Blättern gewonnene alkoholische Chlorophyllösung zusetzt (P. Schulze). Die
D e e g e n e r sehe Methode ist mir aus eigener Erfahrung nicht bekannt, so daß
ich nicht sagen kann, ob die damit erzielten Resultate denen der S e m p e r sehen
Methode, nach der bisher im hiesigen Institut die Trockenpräparate hergestellt
wurden, völlig gleichkommen.
416 Kapitel VIII. Allgemeine Übersicht über das System der Insekten.
Flüssigkeiten (Alkohol oder Formalin) aufzubewahren. Fraßgänge in Holz
und Rinde bereiten die wenigsten Schwierigkeiten. Man hat hauptsächlich
darauf zu sehen, daß die Fraßstücke handlich zugeschnitten und größere
dünne Rindenstücke zwischen Brettern flach gepreßt werden. Sind die Gänge
tief im Holz verborgen, so werden geschickt gelegte Längs- und Querschnitte,
sowie glücklich gesprungene Spaltstücke häufig das Fraßbild deudich er-
kennen lassen. Gehen die Gänge durch den ganzen Querschnitt des
Stammes, so kann man das betr. Stammstück in eine größere Anzahl Längs-
scheiben zerlegen, die auf der einen Seite mit Bändern zusammengehalten
werden, so daß man die Scheiben wie Blätter eines Buches aufschlagen kann
(Fig. 246).
Erfahrungsgemäß unterliegen die Fraßstücke mit der Zeit den Angriffen
verschiedener Schadinsekten. Namentlich berindete Nadelholzstücke werden
durch die Larven von Anobium molk L. gründlichst zerstört, und die Laub-
hölzer, obgleich weniger gefährdet, sind den Angriffen von Bockkäfern, z. B.
von Hylotrupes bajulus /.., Callidium violaceum L. und variabile L. aus-
gesetzt. Es empfiehlt sich daher, die Fraßstücke vor der Einverleibung
in die Sammlung zu vergiften, was am einfachsten dadurch geschieht,
daß man die Stücke gründlich mit einer nicht zu starken Lösung von
arseniksauerem Natron bepinselt; kleinere Stücke kann man auch eine
Zeidang darin liegen lassen. Vor der Vergiftung streicht man die Stücke
am besten mit Spiritus an, damit das Konservierungsmittel leichter einzieht.
Die Arseniklösung ist so zu verdünnen, daß ein auf eine schwarze Unterlage
gebrachter Tropfen beim Trocknen keinen nennenswerten weißen Fleck hinter-
läßt. Zu beachten ist bei dieser Methode, daß arseniksaueres Natron ein starkes
Gift und zugleich eine Lauge ist, so daß also Vorsicht bei der Ausführung
der Vergiftung anzuwenden ist. Neben dem arseniksaueren Natron wird auch
Chlorzink als Präventivmittel verwendet, und zwar in gesättigter alkoholischer
Lösung; in diesem Fall ist natürlich das Vorstreichen mit Spiritus nicht
notwendig.
Die Bestimmung der Forstinsekten.
Von jedem praktischen Forstmann muß vorausgesetzt werden, daß er
so weit naturwissenschaftlich vorgebildet ist, daß er von einem Insekt weiß,
in welche Ordnung oder Ordnungsgruppe es gehört, d. h. daß er einen
Käfer von einer Wanze oder einem Schmetterling usw. zu unterscheiden ver-
mag; und ferner, daß er wenigstens bei den wichtigsten Ordnungen auch
annähernd die Familie erkennt, der ein als Schädling auftretendes Insekt
zuzurechnen ist. So dürfte es kaum einen Forstmann geben, der einen
Rüsselkäfer oder Borkenkäfer oder Bockkäfer nicht gleich als solchen an-
sprechen würde. Es ist daher meistens unnötig, daß beim Bestimmen eines
erbeuteten Insektes ganz von vorne angefangen wird, und erst die Ordnungs-
gruppe, dann die Ordnung und Familie festgestellt wird, um dann endlich
erst die Gattung und Art zu eruieren, sondern die Bestimmung- kann viel-
mehr gewöhnlich gleich bei der Familie oder Gattung einsetzen. Nehmen
wir an, ein Forstmann findet einen Borkenkäfer, so wird er gleich zur
Familie der Borkenkäfer sich wenden und dort die Gattung und Art zu be-
Anhang. 417
stimmen suchen. Ist er schon etwas bewanderter, so wird er auch bereits
wissen, ob es sich um einen Hylesinen oder Ipinen usw. handelt und kann
dementsprechend gleich bei dieser Unterfamilie mit der Bestimmung be-
ginnen.
In den speziellen Bänden dieses Werkes werden alle Insekten, welche
in unseren Waldungen als forstlich beachtenswert auftreten, in syste-
matischer Reihenfolge behandelt und so gekennzeichnet werden, daß sie
darnach sicher bestimmt werden, können. Wo es sich um größere Familien
und Gattungen handelt, werden zunächst die Gattungen resp. die Arten in
Form von dichotomischen Tabellen dargestellt, mit deren Hilfe man ehestens
zum Ziele gelangen kann. Wo die Unterscheidung besonders schwierig ist,
werden die Unterschiede außerdem noch in eingehendster Weise expliziert
und event. durch Zeichnungen klar gemacht werden, so daß jeder zu einer
sicheren Erkennung gelangen kann.
Größere Schwierigkeiten bietet mitunter die Bestimmung der Larven
dar, ja in vielen Fällen ist dieselbe überhaupt nicht mit Sicherheit aus-
zuführen. So sind wir heute bei den wenigsten Ichneumonidenlarven,
Tachinenmaden, Rüsselkäferlarven usw. imstande, nach den morphologischen
Merkmalen allein die Altzugehörigkeit festzustellen. Zweifellos existieren
zwischen den Larven der einzelnen Ichneumonen usw. Unterschiede wie bei
den Imagines; sie müssen aber erst durch eingehendstes Studium fest-
gestellt werden.
Große Bedeutung können in solchen Fällen, wie überhaupt für die
Bestimmung eines Forstinsekts, die Fraßstücke erlangen. Sind doch die Fraß-
spuren vieler Forstinsekten so charakteristisch, daß man an ihnen allein ohne
weiteres den Urheber erkennen kann. Jedenfalls lassen sich dieselben zur
Unterstützung der Bestimmung eines Insektes in vielen Fällen ausgezeichnet
verwenden, da doch oft die Unterschiede in der Fraßfigur wesentlich auf-
fallender sind, als die Unterschiede der betreffenden Insekten selber. Ich
brauche nur an den großen und kleinen Waldgärtner zu erinnern, die als
Imagines gar nicht leicht zu unterscheiden sind, während die Fraßbilder der
beiden gänzlich voneinander abweichen. Auch schon die Berücksichtigung
der Fraßpflanze allein kann bei der Bestimmung große Dienste leisten und
manchen Zweifel beheben. So stehen also dem Forstentomologen verschiedene
Mittel zur Verfügung, die ihm zur richtigen Bestimmung eines Insekts ver-
helfen können.
Der Anlage dieses Werkes entsprechend, das speziell die forstlich
beachtenswerten Insekten behandelt, darf man natürlich nicht erwarten, jedes
überhaupt im Walde gefangene Insekt darnach bestimmen zu können. Denn
eine große Anzahl von im Walde lebenden Insekten ist forstlich bedeutungslos
und daher in diesem Werke nicht berücksichtigt. Will man solche Insekten
bestimmen, so muß man eben zu Spezialwerken greifen, an denen ja —
wenigstens für die wichtigsten Ordnungen wie die Käfer und Schmetterlinge
— kein Mangel ist (siehe Literatur: Werke zur Bestimmung mitteleuropäischer
Insekten).
Kscherich, Foi-stinsekteu 27
418 Kapitel VIII. Allgemeine Übersicht über das System der Insekten.
Wo es sich nicht um große Insekten mit sehr auffallenden Merkmalen
handelt, wird man sich zur Bestimmung einer Lupe bedienen müssen, deren
Stärke (Vergrößerung) sich nach der Größe des Objektes, resp. der zur Unter-
scheidung herangezogenen Merkmale zu richten hat. Im allgemeinen genügen
die bekannten Einschlaglupen mit zwei oder drei verschieden starken Linsen,
die einzeln oder kombiniert verwendet werden können.
Eine große Auswahl von Lupen findet sich in dem Katalog von W i n k 1 e r
& Wagner in Wien (siehe S. 401), von denen hier nur einige Typen genannt
seien: für die einfachsten Ansprüche kann genügen die „Große Taschen-
lupe in Hornfassun g", mit 3 bikonvexen Linsen im Durchmesser von 30 mm,
je 5 fach, zusammen 15 fach vergrößernd (Preis 5 Kr.); etwas mehr leistet die
„Doppel-Einschlaglupe mit Schildpattschalen" (Fig. 247 A) mit
2 je 5 fach vergrößernden Bikonvexlinsen und einem Konvexlinsensystem mit
20 f acher Vergrößerung (Preis 8 Kr.); bedeutend klarere und differenziertere Bilder
ergeben die „Apianatischen Linsen nach Steinhei 1", die in verschie-
A B
Fig. 247. Lupen zum Insektenbestimmen. A Doppel-Einschlaglupe mit Schildpattsehalen mit 2 je
.'ifach vergrößernden Bikonvex-Linsen und einem Konvexlinsensystem mit 20faclier Vergrößerung;
B Doppel- Einschlaglupe mit einem 15 fach vergrößernden Aplanaten nach Steinheil und einer
achromatischen Lupe mit SOfacher Vergrößerung.
dener Vergrößerung (10-, 15- und 25 fach) geliefert werden (Preis 15 Kr.). Für die
meisten Fälle ausreichend wird die „D o p p e 1 e i n s c h 1 a g 1 u p e" (Fig. 247, B)
sein, die mit einem großen 15 fach vergrößernden Aplanaten nach S t e i n h e i 1 und
einer achromatischen Lupe mit 30 facher Vergrößerung versehen ist (Preis 30 Kr.).
Ganz vorzügliche Lupen liefern auch die bekannten Mikroskopfirmen E. L e i t z
in Wetzlar und C. Z e i ß in Jena. Die letztere Firma hat vor einigen lahren speziell
für entomologische Zwecke eine Doppeleinschlaglupe in den Handel gebracht, die
in optischer Hinsicht unübertroffen dasteht. Sie ist ausgestattet mit einer 10- und
einer 27 fach vergrößernden Lupe, die ein astigmatisch vollständig korrigiertes Seh-
feld besitzt. Jedem, der sich eingehender mit entomologischen Studien befassen
will, sei die Anschaffung dieser Zeiß-Lupe aufs dringendste empfohlen. Der schein-
bar etwas höhere Preis (42 M.) wird durch die glänzende optische Leistung der
Gläser mehr wie ausgeglichen.
Wo es sich um ganz kleine Objekte und sehr schwierig festzustellende
Unterschiede handelt, wie z. B. um die Fühlergliederzahl winziger Käfer oder
um feinste Skulpturverhältnisse der Flügeldecken usw., wird man event. zum
Mikroskop greifen müssen, wozu im allgemeinen die in der Fleischbeschau
gebräuchhchen hinreichend sind. Wer die Kosten nicht zu scheuen braucht
und sich in den Besitz des besten optischen Hilfsmittels, das für Bestimmungs-
zwecke existiert, setzen will, der möge sich ein sog. Binokulannikroskop
Anhang. 419
anschaffen, welches ein vollkommen plastisches Sehen ermöglicht. Für
entomologische Institute, die viel mit Bestimmungen zu tun haben, gehört
ein Binokularmikroskop zum unentbehrlichen Instrumentarium, zumal es auch
zur Herstellung anatomischer Präparate von kleinen Insekten vorzügliche
Dienste leistet (betr. Bezugsquellen für Mikroskope siehe die ebengenannten
Firmen).
Aufbewahrung und Einordnung der präparierten Insekten.
Sind die gesammelten Insekten präpariert, etikettiert und bestimmt, so
sind sie in gutschließenden Kästen aufzubewahren. Man verwendet hierzu
am besten besondere „Insektenkästen" aus Holz, die mit einem abnehm-
baren Glasdeckel vei sehen sind. Der Boden der Kästen ist mit Insektentorf
ausgelegt, der mit einem möglichst glatten Papier überzogen ist. Vor allem
sehe man auf einen gutgearbeiteten Deckelverschluß mit Nut und
Feder; nur dadurch kann man seine Sammlung vor der Zerstörung durch
Schadinsekten schützen. Die Insektenkästen werden von den auf S. 401 ge-
nannten Firmen in der verschiedensten Ausführung und den verschiedensten
Größen geliefert; als gangbarste Größe sei empfohlen 30x40x6.
Zu einer guten Erhaltung der Sammlung gehört ferner, daß die Kästen
an einem trockenen Ort aufbewahrt und nicht zu sehr dem Licht ausgesetzt
werden. Denn Feuchtigkeit führt zur Verschimmlung der Insekten und Licht
bleicht die Farben aus. Das Aufhängen der Sammlung an der Wand (als
Wandschmuck) ist daher zu vermeiden; es müßte denn sein, daß über die
Glasscheibe ein dunkler Vorhang gezogen wird. Als Präventivmittel gegen
Schadinsekten kann man stark riechende Substanzen in den Kasten bringen.
Am meisten verwendet wird hierzu Naphthalin, das man entweder lose in den
Kasten streuen kann oder in Form von Naphthalinkugeln einsteckt. Es sei
aber betont, daß das Naphthalin keineswegs einen absoluten Schutz gegen
das Eindringen von Schadinsekten bedeutet und der Hauptschutz stets in dem
guten Verschluß zu erblicken ist. — Sind Schadinsekten bereits in einer
Sammlung vorhanden, so sind die befallenen Kästen zu desinfizieren; weitaus
am besten eignet sich hierzu der Schwefelkohlenstoff, durch den weder die
Insekten noch die Nadeln Schaden leiden.
Aber nicht nur unter Schadinsekten, sondern auch unter verschiedenen
anderen Einflüssen haben die Insektensammlungen zu leiden. Oben ist schon
des Schimmels Erwähnung getan, der an feuchten Orten viel Unheil anrichten
kann. Eine weitere unangenehme Erscheinung ist das Öligwerden, dem
eine ganze Anzahl Insekten in besonderem Maße ausgesetzt sind und durch
welches das Aussehen der Insekten stark beeinflusst wird. Glücklicherweise
hat man Mittel, die ölig gewordenen Insekten zu entfetten: man benutzt dazu
Benzin, Chloroform oder Äther oder auch ein Gemisch davon, und zwar in
der Weise, daß man die betr. Insekten einige Zeit (^/o — 2 Tage) in die
Flüssigkeit steckt.
Was die Einordnung der Sammlung betrifft, so soll jeder Entomologe
darnach streben, eine möglichst große Übersichtlichkeit, Gleichmäßigkeit und
Sauberkeit zu erreichen. Je sauberer, übersichtlicher und schöner eine
27*
420 Kapitel VIII. Allgemeine Übersicht über das System der Insekten.
Sammlung eingeordnet ist, desto mehr Freude wird sie dem Sammler machen,
und desto mehr wird sie sein Interesse erwecken. Wo es sich um eine rein
systematische Sammlung handelt, achte man darauf, daß die Insekten in ge-
raden Reihen gesteckt werden — man kann zu diesem Zweck Fäden spannen,
oder aber schwach karriertes Papier zum Überziehen des Torfbodens be-
nutzen ■ — ferner, daß zwischen den einzelnen Arten ein gleichmäßiger
Zwischenraum eingehalten wird, daß die Familien-, Gattungs- und Artetiketten
sich durch verschiedene Größe und Ausstattung (verschieden starke Um-
randung) auszeichnen, und daß dieselben so angebracht sind, daß die Schrift
von den Insekten möglichst wenig verdeckt wird. — Wo es sich um eine
biologische Sammlung handelt, in der nicht nur die Iniagines, sondern auch
Fig. 248. Beispiel für die Einordnung einer biologischen Saimulung. Jjauljholz-HJattwespen.
(Tharandter Sammlung.)
die Entwicklungsstadien, Fraßstücke usw. enthalten sind — Forstentomologen
sollten sich vor allem eine solche Sammlung anlegen — , da ist natürlich die
Ordnung in Reihen nicht immer durchführbar. Doch sollte man auch in
diesen Fällen sich Mühe geben, durch geschickte gruppenweise Anordnung
der zusammengehörenden Insekten und Fraßstücke usw. die Übersichdichkeit
zu wahren und der Sammlung zugleich ein schönes Aussehen zu geben
(Fig. 248). Es gehört hierzu allerdings ein gewisser künstlerischer Sinn.
Literatur.
s System der Insekten und Nomenklatur.
Systematik der Hexapoden. Zoolog. Anzeiger XXVII. Bd.
D
B ö r n e r , C, Zur
1906, S. 511 ff.
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sber. der Kais. Akad.
-. _ . ._.., ^-., .iibeKieii. Handbuch der Naturwissenschaften Bd. V, S. 501 ff .
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Handbuch. Leipzig 1906—1908.
Literatur. 421
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Präparation usw.
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S. 267.
Mühl, Raupen und Schmetterlinge. Stuttgart 1908.
— Larven und Käfer. Praktische Anleitung zum Sammeln, Züchten und Präpa-
rieren. Stuttgart 1909.
Scheidtcr, Fr., Trockenpräparation von Larven und Puppen. Entom. Blätter,
IV. Bd., 1908, S. 61—64.
Tredl, R u d., und Curti, M., Normalpräparation von Käfern. Entom. Blätter,
IV. Jahrgang, 1908, S. 121—128.
Bestimmungs werke für die verschiedenen Insekte n-
ordnungen.
C a 1 w e r - S c h a u f u ß, Käferbuch, Naturgeschichte der Käfer Europas. 6. Aufl.
Mit 48 farbigen Tafeln. Stuttgart 1913." (Anfängern sehr zu empfehlen.)
Enslin, E., Die Tenthredinoidea Mitteleuropas. Deutsche Entom. Zeitschrift
1912. (Noch nicht vollendet.)
Fieber, Fr. X., Die europäischen Hemipteren. Wien 1861.
Hof mann, E., Die Raupen der Großschmetterlinge Europas. Stuttgart 1893.
(Mit zahlreichen bunten Tafeln.)
Houard, C, Les Zooceidies des Plantes d'Europe. 2 Bände. Paris 1908.,
Lampert, R., Die Großschmetterlinge Deutschlands. Stuttgart. (Mit zahl-
reichen bunten Tafeln.)
Lindinger, L., Die Schildläuse (Coccidae). Stuttgart 1912.
Melichar, L., Cicadinen von Mitteleuropa. Berlin 1896.
R a t z e b u r g, J. T h. C h., Die Ichneumonen der Forstinsekten. Berlin 1844 — 1852.
Reitter, Ed., Fauna germanica. Die Käfer. Stuttgart. (Mit zahlreichen
bunten Tafeln.)
Rübsaamen, Ew. H., Die Zoocecidien. I. Bd. Stuttgart 1911. Ein groß an-
gelegtes, mit zahlreichen bunten Tafeln ausgestattetes Werk. (Im Erscheinen
begriffen.)
Sc hin er, J. R., Fauna austriaca. Die Fliegen (Dipteren). 2 Bände. Wien 1862.
S c h 1 e c h t e n d a 1 , D. H. R. v o n , Die Gallenbildungen (Zoozedien) der deutschen
Gefäßpflanzen. Zwickau 1891.
Schmiedeknecht, O., Die Hymenopteren Mitteleuropas. Jena 19Ö7.
Seidlitz, G., Fauna baltica. Die Käfer. (Ohne Abbildungen.) Königsberg 1891.
Spuler, Arnold, Die Schmetterlinge Europas. 3. Bd. Stuttgart 1908. (Mit
zahlreichen bunten Tafeln.)
Tümpel, R., Die Geradeflügler Mitteleuropas. Eisenach 1901. (Mit zahlreichen
bunten Tafeln.)
Namenregister. ')
Adler lü5.
Adolph 35.
Altum, B. 221 225 226 229
230 232 304 314.
B.
Bachnietjew, P. 81 82 83*
84 85 114 174 185 223
304.
Baer, W. 209* 228 230 234
270* 271 286 287 290 304.
Bali 265 285 286 290.
Balbiani 297.
Ballowitz, E. 119 184.
Bary, A. de 268* 272 278*
281* 290.
Bauer, A. 54 114.
Beck, R. 390.
Bejerinck 206 207.
Bengtsson, S. 288 290.
Berger, E. W. 287 290.
Berlepsch, H. v. 231 390.
Berlese, A. 11 14* 15*37*
40* 41* 48 51* 52* 53*
54 77*88*112*114139*.
Berner, P. 390.
Bernhard, C. 121 184.
Biedermann, W. 69 114.
Blanc, G. R. 294.
Blochmann 117*.
Blunck, H. 120* 184.
Blüthgen 287.
Boas, J. C. 131* 304.
Bocchia, J. 293 305.
Bolle, J. 288 290 293 297
302 303 305 348.
Bongardt 87 88 115.
Bordas 112*.
Borgmann, W. 218 315 fl.
320.
Börner, C. 30 32 48 127*
156 160 184 185 394 420.
Borries, H. 226 304.
Böttcher, E. A. 403.
Brandt 140*.
Brauer, Fr. 74* 118* 152*
394 420.
Brefeld, O. 261* 264* 285
290.
Brongniart 135*.
Buckton 257.
Buchner, P. 274 290.
Bugnion 7.
Burgess, A. F. 141 304.
Burmeister 112*.
Bütschli. O. 11.
Calwer-Schaufuss 421.
Chamisso, v. 286.
Chapmann, W. 302, 305.
Chernel, v. 232.
Chesire 292.
Cheyne 292.
Claus-Grobben 11 44*.
CobeUi 61.
Cohn, F. 286 290.
Comstock 35* 36 48.
Conte, A. 288 291.
Crisp 226 304.
Cuenot 86.
Cunit 374 375.
Curti. M. 421.
D.
Dalla Torre 304.
Danysz, J. 290.
Decoppet 360 390.
Deegener, P. 69 98 114
142 150 185 414 415 421.
Delacroix 279 288 291.
Demandl, C. 115.
Demoll, R. 103* 115.
D'Herelle, F. 294 305 349
391.
Döderlein 44 48.
Doflein, Fr. 48 295* 296*
297 305.
Dolles 391.
Dufour, J. 288 290.
Dzierzon 124 125.
E.
Eckstein, K. 201* 221 245
257* 258 286 290 347
354 362* 363* 365* 367*
368 369* 372* 379 382*
383 384 389.
Eggers, Fr. 98 115.
Emerton 154*.
Emery 47*.
Engler-Prantl 289.
Enslin, F. 421.
Ermisch, H. 370.
Escherich, K. 29* 48 112
115 139* 142 173 184
185 220 2.38 247 251*
270* 271 274 287 290
299 300 301* 302 303
304 305 320 343* 348
355* 356* 368 378* 391
408* 420.
Everth, A. 356.
F.
Fabre, J. 158* 185.
Fabricius 398.
Fawcett, H. S. 290.
Fieber, Fr. X. 421.
Fischer, E. 302 305 348.
Fiske, W. F. 239 241 248
249 251* 304 407* 409*.
Fitzhenry-Guptill 358.
Folsom, J. W. 48 91.
^) Auf den mit * versehenen Seiten finden sich die Namen unter den dort
befindlichen Abbildungen.
Namenregister.
423
Forel, A. 90 93 115 254.
Frank, A. 288 290.
Friese, H. 421.
Fron, G. 282 290.
Fuchs, G. 174 185.
Fulmek 353 357 391.
Gaita, v. 60*.
Ganglbauer 27'*'.
Gegenbaur 32.
Gehe 352.
Germar 398.
Giard, A. 280 284 288 290.
Glaser, R. W. 302 305.
Goehlers Witwe 357.
Goette, A. 9 11 121*.
Göldi, E. A. 193 220.
Gorka, S. 68 114.
Graber, V. 48 60 97* 104.
Grohmann 256 365 391.
Groß, J. 48 117 119 184.
Gvozdenovic, Fr. 286 290.
H.
Haenel, K. 391.
Handlirsch, A. 11 394 396
420.
Hartig, R. 210 212* 216
218 221 274 285 290.
Harz 288.
Hatschek 73*.
Hauser 94*.
Heider 139* 140* 184.
Heidrich 304.
Heinze, K. 304.
Henking 117*.
Henneguy, L. F. 48 122*
135* 149*.
Hennicke, C. R. 391.
Hennicke-Naumann 304.
Hennings, C. 170 171 172
173 174 185.
Herpig 252.
Hertwig, R. 11 20* 71* 104.
Heß, R. 221 391.
Hesse, R. 22 35 48 56 57
58 59 60 69 76 95 96
98 99* 102 114 115.
Heymons, R. 9 11 12 48
115 119 139 141 142
152* 154 156 158 159*
160 184 185.
Hiesemann, M. 391.
Hochreuter, R. 115.
Hoffmann, P. 370.
Hofmann, O. 346 391.
Hof mann, E. 421.
Holder 357 358.
Hollrung, M. 351 391.
Hopkins 337.
Houard, C. 205 421.
Houlbert, C. 48.
Howard, L. O. 239 248
250 251* 304 338 409*.
Huber 191.
J.
Janet, Ch. 78* 114.
Janke, M. 372 373.
Johnas, W. 115.
Tonescu, C. N. 90* 115.
Jordan, H. 22 49 70 114
226.
Judeich, J. F. 387.
K.
Kahlbaum 352.
Kahle, W. 128 184.
Kaltenbach, J. H. 213 221.
Keller, C. 256 257 258 304.
Kerner v. Marilaun 207
221.
Kieffer 166*.
Kihlmann 273.
Kirchner, O. 188 220.
Kleine 286 291.
Klöck 348 349 391.
Knoche, E. 109* 115 142
170 173 174 177 182 184
185 223 302 304 305.
Kochi, C. 48.
Koebele 337.
Kolbe, H. J. 26* 37* 48.
König, F. O. 403.
Korscheit 139* 140* 151*
184.
Krähe 362.
Krasan 212.
Krassilistschik, J. M. 290
302.
Kreye, H. 403.
Kunckel d'Herculais 135*
149* 159.
Küster, E. 205 206 207 221.
Lakon, G. 2.58 ff .
Lampert, C. 421.
Landois, H. 61 114.
Lang 74* 89* 107*.
Lecaillon 136*.
Leger 259.
Leisewitz, W. 146* 185
235 304.
Leitz, E. 418.
Leuckart 68 117*.
Leydig 92*.
Lichtenstein 84.
Lindau, G. 271* 279* 286
290.
Linden, M. v. 175 185.
Lindinger, L. 421.
Lindner, P. 274 290.
Link, J. A. 304.
Linne 188 398.
Loos, K. 304.
Lyonet 54 144.
M.
Maaßen 274 297 298 305.
Mamelle, Th. 361 391.
Marchai, P. 128 129 184
345 391.
Marey 57*.
Marzocchi, v. 302 305.
Mc. Attee 184.
Meinert 164*.
Melichar, L. 421.
Merk 352 356.
Metzger, A. 175 305.
Miall, L. C. 48 163*.
Middeldorpf 286.
Miyajima, M. 299 300 301*
302 305.
Möller, L. 360.
Mordwilko 84.
Moser, W. G. 316.
Moult, le 288 290.
Mühl 419.
Müller, J. 101.
Müller, G. W. 148* 185.
Müller, P. 390.
N.
Nagel 70.
Needham 35* 36 48.
Nees von Esenbeck 281*.
Neger, Fr. 191 273.
Neumeister 369.
Newport 80.
Nielsen, J. C. 251 253 305.
Nitsche, H. 208 311 387.
Nördlinger, H. 3.52 354 391.
NüßUn,0. 107 109 111 113*
114 115 127 170 174 177
179 181 185 218 219 221
304 313.
424
Namenregister.
Olsen-Sopp 273 287 290.
Oudemans, J. Th. 17* 305.
P.
Packard, A. S. 25* 48 55
118* 152* 161* 167* 186.
Pagenstecher 128*.
Palmen 76*.
Pannewitz, von 195.
Pantel, J. 251 305.
Parton 75.
Pasteur 297.
Pauly, A. 366 391 405.
Peckham, G. u. E. 255 305.
Perrand, J. 291.
Petri 277.
Petrunkewitsch 60* 114.
Pfurtscheller 145* 147*
169*.
Phillips, C. F. 192 220.
Picard, F. 295 305.
Pietschker, H. 90 91* 115.
Pocock, R. J. 11.
PreU, H. 11 14 16 49 251
305 343 394 421.
Prillieux 288 291.
Prochnow, O. 61 114.
Prowazek, S. v. 302 306.
Puster 363 391.
Putscher 314 391.
R.
Rabenhorst 279* 289.
Ramann 220.
Ratzeburg, J. Th. 77 163*
164* 166* 172 185 193
212* 214 221 223 241
247 250 305 342 398 421.
Rayband 274 291.
Redtenbacher 35.
Rees, von 151*.
Regen 61*.
Reh 82 84 156.
Reichert 304.
Reiff, W. 348 391.
Rey 304.
Riedel, M. 88 115.
Riley 16 131*.
Ritzema Bos 254*.
Rolfs, P. H. 287 291.
Rörig, G. 227 230 231 232
304 359* 360 391.
Rösel von Rosenhof 162*.
Roß, H. 205 206 221.
Rössig 206.
Rübsaamen, E. H. 221 421.
Ruby 274 291.
Rungius, H. 63* 64* 68 114.
Saccardo 279* 280 289.
Sachs 267.
Sasaki 300.
Sauvageau, C. 291.
Scheidter, Fr. 121* 122
129 132* 133* 134* 135*
184 413 415 421.
Schenk 93 94*.
Scheuring 103 115.
Schewyreuv 247 305.
Schindler & Mützell 370.
Schiner, J. R. 421.
Schlechtendal, D. H. R.
V. 421.
Schleh 304.
Schleinitz 375.
Schlüter, W. 403.
Schmeil 155*.
Schmidt, A. 346 391.
Schmiedeknecht, O. 421.
Schneider-Orelli, O. 191
220.
Schönfelder 376.
Schönherr 398.
Schröder, Chr. 48.
Schrödter 163*.
Schultz 285.
Schulze, P. 415.
Schwabe, J. 98* 115.
Schwangart, Fr. 258 282
287 289 291 302 305 343
345 354 356 391.
Schwartz, M. 355 358 391.
Sedlaczek, W. 66 114 312
392.
Seidlitz, G. 421.
Sernander, R. 190* 191
221.
Sharp, D. 48 118* 162*
164* 196 305.
Siebold, v. 119* 124.
Sihler 369 392.
Silvestri, F. 128* 129 159*
184 185.
Simroth 310.
Sinz 235.
Sobolew 235.
Sorauer 194.
Sprengel, Gh. C. 188 189.
Spuler, A. 118* 404 405
421.
Standfuß, M. 174 175 185
297 304 306.
Steche, O. 114.
Stein 108*.
Stempeil, W. 296 297 306.
Störmer 286 291.
Suckow 107* 149*.
Swammerdamm 166.
Tangl, Fr. 288 291.
Taschenberg 40* 256*.
Tauber, P. 226 304.
Thaxter 263 275*.
Thelohan 295*.
Thienemann 153.
Thomas 205 207.
Tiedemann 311.
Timaeus, Fr. 305.
Townsend, Ch. 251 305.
Tredl, R. 410 421.
Tubeuf, C. v. 262* 279*
285 286 288 291 302 306
346.
Tulasne, L. R. et C. 268*
273 286 291.
Tümpel, R. 421.
u.
Uhlig 173 185.
V.
Vaney, C. 288 291.
Vater 232.
Verhoeff, C. W. 49 60 114
256 305.
Vill 361 392.
Vogel, R. 70 94* 98 115.
Voß, Fr. 49 54 114.
Vuillemin, P. 277 282 291.
w.
Wachtl, Fr. 232 235 304.
Wagener 258.
Wagner, N. 127 226 227.
Wahl, Br. 293 299 300*
306 347 357 392.
Wappes 376.
Webster 247.
Weiske 236 374.
Weismann 223.
Weißmann, A. 304.
Weißwange 368 392.
Namenregister,
425
Werneburg 179.
Westwood 156*.
Wheeler, W. 48.
White, G. F. 292 306.
Wingenroth, A. 370.
Winkler & Wagner 402
403 410 ff.
Wize, K. 290.
Wolff, M. 302 306 386.
Woodworth, C. W. 35 49.
z.
Zander, E. 21* 28* 30* 48
57* 58* 67* 75 78* 79*
86 107 292 296 298 306.
Zeiß, C. 418.
Zopf, W. 289.
Sachregister.
A.
Aaskäfer 256.
Abbrennen 363.
Abdomen 3 12 36 ff.
Acanthis 233.
Acron 12.
Actia 253.
Adern 31 ff.
Aegerita 284.
Aestivales 126.
After 67.
Afterfüsse 148.
Afterklappen 57.
Afterraupen 164.
Agelastica 129 134.
Agrilus 210.
Agrotis, schwarze Mus-
kardine 266.
Akrocecidien 207.
Alauda 232.
Algenpilze 260.
Ameisen 29 254 333.
— als Pflanzenverbreiter
190 ff.
Ameisenlöwe 162 195.
Amnion 139.
Amphibiotica 395 397.
Anabiotischer Zustand 84.
Anamerentoma 394.
Anamerie 144 153.
Ananasgallen 208 209.
Anastatus 240 241 248 249
250 339.
Anergates 33.
Angel 20.
Ankerfrass 199.
Anlegung V. Sammlungen.
Anlockungsmittel 364.
Anobium 203, Klopflaute
59.
Anomalon circumflexum
239 243 247 248.
Anopheles 193.
Anophthalmus 103.
Ansteckende Ruhr 298.
Antennen 17 ff.
Anthonomus 194 334 337.
Anthrax 170 237 244 385.
Anthribus 245.
Anthus 232.
Apanteles 240 243 249 250.
Apfelblütenstecher 334.
Aphis 84.
Apiosporium 274.
Apoderus 17.
Appendix vermiformis 64.
Appositionsbilder 102.
Apus 233.
Aradus 43.
Arbeiter 47.
Arbolineum 354.
Arctia 129.
Arg3'-rophylax 243.
Arrhenotokie 125.
Arsen-Cupretta 354.
Arsenikmittel 353.
Arseniksaures Natron 416.
Arthropoden 1.
Arvicola 227.
Aschersonia 276.
Asci 269.
Ascomyceten 269.
Ascosporen 269.
Aspergillus 274.
Astacus 4.
Atelocerata 8 9 10.
Attelabus 131.
Ätzkalkstaub 361.
Aufblasen der Raupen 412.
Aufkämmen 379.
Aufklebeplättchen 411.
Augen 98 ff.
I — acone usw. 101.
I Augenformen 100.
Ausblaseapparate 412 413.
Aussenskelett 2.
autochthone Vermehrung
310.
Azygosporen 261.
B.
Bachstelzen 232.
Bacillus- Arten 292 ff.
Bacterium monachae 302.
! Baetis 76.
< Bakterienkrankheiten 292.
Bakterienseuchen 349.
Balaninus 46.
Banchus 168 385.
Bauchfüsse 148.
Bauchmark 7 50 89.
Baumfalk 235.
Baumweissling 311.
Baumwollkapselkäfer 337.
Beeinflussbare Insekten
174.
Begattungstasche HO ff.
Begattungszeichen 123.
Beinformen 30 31.
Bekämpfung, biologische
314.
— parasitäre 340 ff.
— technische 314 315 317.
Berührungsgifte 353.
Bespritzen 352.
Bestand, eiserner 222.
Bestandspflege 320.
Bestandsverderber 198.
Bestäuben 352 358.
Bestäubungsmittel 358.
426
Sachregister.
Bestimmen von Insekten
416 ff.
Beutelgallen 208.
Beutelmethode 408.
Bibio 45 99 164.
Biene, Mundwerkzeuge 2 1 .
Biologische Methode 314.
Biorhiza, Heterogonie
125 ff.
Biston 175.
Black Leaf 356.
Blastoderm 8 138.
Blastophaga 189 246.
Blattlauslöwen 256.
Blattminen 200.
Blattskelettierung 199 202.
Blattwickler 201.
Blaurake 233.
Blausäuredämpfe 361.
Bleiarseniat 354.
Blepharipa 240 241 252.
Blut 80.
Blutkiemen 77.
Blutkreislauf 79 ff.
Bodeninjektionsspritze
360.
Bombyx 129.
— var. arbusculae 175.
Bombyxarten, Generation
180.
Bordelaiser Brühe 354.
Borkenkäfer 311.
Botrytis 273 277 ff 287 ff.
Brachyderes 254 258 353
361.
Braconiden 245.
Brutknüppel 365.
Brutpest 292.
Buchfink 232.
Buntspecht 234.
Bursa copulatrix 110 ff.
Bürstentriebe 211.
c.
Calcino 277.
Calopteryx 45.
Calosoma 34 141 163 240
255 334 339.
Caprimulgus 233.
Carabus 70 334.
Carcelia 240 253.
Cardo 20.
Carpogon 275.
Cecidien 205 ff.
Cecidomyia 197.
Cellaris 126.
Cephalon 3 12.
Cephalosporium 277.
Cephalothorax 3 8 9.
Cerambyx 163 197.
Ceratostomella 273.
Cerci 38 ff.
Cetoura 168.
Chalcididen 244 246.
Chalcis 240 244 250.
Champagnerpfropforgan
93.
Cheimatobia 46.
Chelicerata 8 9 10.
Chemische Bekämpfung
351.
Chermes 206 209 257.
— Heterogonie 126.
Chilopoden 257.
Chimabacche 46.
Chironomus 77 132 ff. 134
164.
Chiroptera 225.
Chitin 2.
Chitinpanzer 5.
Chlamydozoen 295 302.
Chloeon 45 121.
Chlorbarium 354.
Chlorzink 416.
Chordotonalorgane 96 ff.
Chorion 117.
Chylus 69.
Cicada septemdecim 176.
Cicindela 27 33.
Cimbex 165 201 203.
Cladosporium 281.
Cleonus 266 287.
Clerus 195 236 256 337 340.
Clypeus 15.
Clytra 167.
Cnethocampa, Generation
178.
— Eiablage 133.
Coccinelliden 253 254 333
343.
Coccobacillus 294.
Coleopteroidea 395 397.
Compsilura 240 241 252.
Coracias 233.
Cordiceps 270 ff. 286.
Cordicepsarten 272.
Coremium 269.
Cornaliasche Körperchen
295.
Cornea 100.
Corpora lutea 107 111.
Corvidae 230.
Cossus 165 197.
Coxa 29 ff.
Crossocomia 240.
Crypten (Regenerations-)
66.
Cryptorhynchus 198 217.
Cucujiden 256.
Cuticula 2 40 ff. 51 ff.
Cychrus 16.
Cynips calycis 194.
D.
Dachs 226.
Darmkanal 6 50 62 ff. 148.
Dauersporen 261.
Deegenersche Methode
415.
Deilephila 81 ff.
Deutocerebrum 90.
Deutoplasma 117.
Dimorphismus 44 ff.
— larvaler 159.
Dipteroidea 396 397.
Dotterhaut 107 117.
Drosseln 232.
Drüsen 52 ff. 147.
Ductus ejaculatorius 113.
Duftschuppen 42.
Dünndarm 66 ff.
Durchforstung 324.
Dytiscus 45 47 68 69 70
75 82 112 120 163.
Eccoptogaster 174.
Ei 117 ff.
Eiche 322.
Eichelhäher 230.
Eichhorn 226.
Eierstöcke 105 ff. 106 107
Eiformen 118.
Eihäute 139 ff.
Eikapseln 134 ff.
Eikelch 105 ff.
Eileiter 109 ff.
Eiplatten 132 ff.
Eiringel 132 ff.
Eiröhren, panoistische
usw. 105 ff.
Eischale 107 117.
Eischwämme 134 ff.
Eisprenger 141.
Eistadium 141 350.
Eitaschen 133 ff.
Eizahl 129.
Eizellen 132 ff.
Eizelle 117.
Sachregtster.
427
Ektadenien 113.
Ektoderm 138.
Elaiosome 191.
Elasmostethus 136.
Elateridenlarven 256.
Elytra 32 ff .
Embryo 138.
Emigranten 126.
Empusa 260 ff. 285 289.
Encyrtus 128 129.
Engerling 163 197 360.
Engerlingfraß 203.
Entoderm 138.
Entomophthora 263 286.
Entomophthora-Arten 265
266.
Entomophthoraceen 260ff.
285.
Entoskelett 27.
Entrindungen 325.
Epeira 4 9 257 258.
Ephialtes 247.
Epimerum 27.
Epimorphose 143 ff. 153 ff.
Epipharynx 15.
Episternum 27.
Erinaceus 226.
Erlenzeisig 233.
Eulophus 246.
Eupeleteria 252.
Evaniiden 246.
Exhaustor 366 402.
Exkretionsorgane 7.
Exuvialflüssigkeit 144.
F.
Facettenaugen 98 ff.
Fadenpilze 268 ff.
Faltenwespen 254.
Fangbäume 365.
Fanggräben 366.
Fangkloben 364.
Fanglöcher 367.
Fangpflanzen 364.
Fangrinden 364.
Fangtöpfe 367.
Fasan 235.
Faulbrut 292.
Feldheuschrecke 135 154
161.
Femur 29 ff.
Fettkörper 51 85 ff.
Fettsucht 302.
Fettzellen 85.
Fichte 321 326 389.
Filzgallen 207.
Finkenvögel 232.
Fiskesche Tabellen 239 ff.
Fiskesche Zuchtkästen
407.
Flacherie 292.
Flagellum 19.
Fleckenkrankheit 296.
Fledermäuse 225 327.
Fliegenschnäpper 233.
Flohkrebs 9.
Florfliegen 256.
Flugbewegung 56.
Flügelgeäder 35 ff.
Flügellosigkeit 33.
Flügelmuskel 79.
Fluglaute 61.
Flugleistungen 58.
Flugmuskulatur 57.
Flugzeiten 181 ff.
Flußkrebs 4.
FoUikelzellen 106.
Fonscolombia 84.
Formica rufa 191 254 336
342.
Forsteinrichtung 324.
Fortpflanzungsorgane
104 ff.
Fraßherde 308.
Freibrüter 330.
Fringillidae 232.
Frons 15.
Fruchthälter HO.
Frühjahrsfraß 218.
Fühler, Formen 17 ff.
— der Larven 147.
Fuchs 226 327.
Fundatrigeniae 126.
Fundatrix 126.
Fungi imperfecti 269.
Furchung, superficielle 8.
Furchungszellen 138.
Fusarium 284.
Futterglocke 331.
Futterhaus, hessisches
330 ff.
G.
Galeruca 238.
Gallen 205 ff .
Gallwespen 125.
Gammarus 9.
Gamogenese 116.
Ganglien 88 ff .
Gattina 296.
Gehirn 7 50 90.
Gehör 96 ff.
Geißel 19.
Gelbsucht 302 348.
Genae 15.
Generation 176 ff.
Geotrupes 55 100.
Germinogonie 128.
Geruch 92 ff.
Geruchsorgane 95 ff.
Geschlechtsorgane 7.
Geschmack 92 ff.
Geschmacksorgane 96 ff.
104 ff.
Gesier 64.
Giftbehandlung 352.
Giftstachel 40.
Glossa 21 ff.
Glossina 193.
Glühwürmchen 87.
Goldafter 351.
Goldammer 233.
Goniops 136.
Grabwespen 254.
Grapholitha 265 286.
Grasmücken 232.
Grasserie 302.
Grillen 60.
Großkahlschlag 323.
Grauspecht 235.
Grubenkegel 93.
Grundmembran 51 ff.
Grünspecht 235.
Gryllotalpa 34 136.
Gryllus 19.
Gula 14 15.
Gyrinus 100.
Gyrococcus 302.
H.
Haare 40 ff .
Halobates 187.
Halsschild 26.
Halteren 32.
Härtung der Larven 413ft.
Hautdrüsen 52 ff.
Hautsinnesorgane 92 93.
Häutungsdrüsen 144.
Heerwurm 311.
Hefepilze 274.
Hemerobius 257.
Hemielytra 32.
Hemimetabolie 144 ff.
155 ff.
Hemipteroidea 396 397.
Hemiteles 245.
Herbstfraß 218.
Herde (der Massenver-
mehrung) 308.
428
Sachregister.
Hermaphroditen 104. i
Herz 77 ff. ^
HessenfUege 128 334.
Heterogonie 125 ff. 128.
Heuschrecken 60.
Heuschreckenpest 294.
Hiemalis (Chermes) 126.
Hinterdarm 66 ff.
Hinterkiefer 20 21.
Hirundo 233.
Hochleimung 371 374 ff.
Hoden 111 ff.
Höhlenbrüter 329.
Holomerentoma 395.
Holomerie 144 153.
Holometabolie 144 ff.
155 ff.
Holzameise 203.
Holzbock 4.
Holzwespe 28 40 163 197
203.
Honigbiene 21, Eizahl 129.
Hopfenspinner 204.
Hornisse 203.
Hornissenschwärmer 121.
Hörstift 97.
Hüfte 29 ff.
Hüftgriffel 29.
Hühnereintrieb 322.
Hühnervögel 235.
Hylesinus 182 199.
Hylobius 112 184 198 203
256 366 ff.
Hymenopteroidea 395 397.
Hypermetabolie 153 158.
Hypermetamorphose 158.
Hyperparasiten 237 338
385.
Hyphomyceten 276.
Hypodermis 2 51 ff.
Hypognath 16.
Hyponomeuta 128 ff.
Hypopharynx 23 ff.
I.
Icerya 193 253 336 ff.
Ichneumon disparis 240
247.
Ichneumoniden 245 ff.
Igel 226.
Imaginalanlagen 150.
Imagostadien 151 ff.
Infektionskrankheiten
343 ff. 386.
Innenlippe 23.
Insectivora 226.
Insektenfresser 226.
Insektenherde 308.
Insektenkästen 419.
Insektennadehi 403 410.
Insektenpulver 358.
Intercalarsegment 5.
Intima 62.
Ips typographus 113 170
172 ff. 311.
Isaria 272 281 ff. 287.
Isosoma 246.
Ixodes 4.
J.
Jamainsche Kapseln 360.
Jankescher Apparat 372 ff.
Jugendformen 142.
Jungfernzeugung 124.
Juvenalformen 142.
K.
Käferkammer 406.
Kahlschlagwirtschaft 308.
Kainit 361.
Kalamitäten 214.
Kalksucht 277.
Kältestarre 82 ff.
Kamelhalsfliege 162 195
256.
Kappenzelle 94.
Karbolineum 354.
Katastrophale Insekten
214.
Katastrophen 214.
Kaumagen 62 (54.
Keimbläschen 117.
Keimblätter 138 ff.
Keimdrüsen 105 ff.
Keimstreif 8 138.
Keimzellen 117 ff.
Kernpilze 269.
Kiefer 322 326 389.
Kieferneule 262.
Kieferneule, Parasiten
242.
Kiefernsaateule 203.
Kiefernspinner 157 166
249 318.
Kiefernspinner, Kalamität
243.
Kittdrüsen 110.
Klauenapparat 29 ff.
Klopflaute 59.
Klopfschirm 363 402 404.
Klunkern 208.
Knopperngallen 208.
Köderfang 404.
Kokonbrecher 170.
Kokons 167.
Kommissuren 88.
Konidien 260 269.
Kontaktgifte 853.
Kopfblase 170.
Kopula 120 ff.
Kotfänge 381.
Krabbenspinnen 258.
Krähen 230.
Krankheiten, unbekannter
Natur 386.
Krebsbildungen 208.
Kreuzbefruchtung 188.
Kreuzspinne 4 9.
Krisen, biologische 338.
Kropf 62 ff.
Kuckuck 228 ff.
Küchenschabe 15 20.
Kulturverderber 198 220
Kupferkalkbrühe 354.
Labium 20 21.
Laboulbeniaceen 274.
Labrum 15 23 ff.
Lachmöve 236.
Lachnus 206.
Laden 20.
Laichschnüre 134.
Laminae anales 37.
Lampyris 46 87 ff.
Laniidae 231.
Lärche 322.
Lärchenwickler 311.
Larus 236.
Larven, primäre usw.
142 ff. 161 ff.
Larvenzustand 350.
Lasius 191.
Latenz 170 174.
Laterigraden 258.
Laubhölzer 386.
Laufkäfer 255.
Lautäußerungen 59.
Lebensdauer 183.
Lebia 159.
Lecanium 258 337.
Legeröhre 38.
Legescheide 39.
Leiman.strich 379.
Leimen 371.
Leimquetsche, Ring-
lersche 371 372
Leimring 368 ff. 405.
Sachregister.
429
Leimschlauch, Eckscher
370 371.
Leimspatel 370 371.
Leimspritze, Jankesche
371.
Leimstangen 379.
Leimstricke 371 375.
Lepidopteroidea 396 397.
Lepisma 33.
Leptura 45.
Lerchen 232.
Leuchtorgane 86 ff.
Leydigsche Kegel 93.
Libellen 155.
— Begattung 122.
Libellenlarve, Mundwerk-
zeuge 21.
Libellula 187.
Lichtfangmethode 366 ff.
404.
Lichtquellen 382.
Lina 147.
Liparis 45 351.
— monacha, Generation
178.
Lithobius 257.
Lobus intern., extern. 20.
Löcherfraß 199.
Lohsol 354.
Lophyrus 45 160.
— Generation 176 179.
Lucaniden 45.
Luftsäcke 73.
Lupen 418.
Lyda 129 165 174 227.
Lysiphlebus 309.
Lytta 194.
M.
Machilis 29 33 39 56.
Maden 164.
Magengifte 353.
Mahlzahn 20.
Maikäfer 45 95 121 158
163 171 324 351.
— Fraßgebiete 326.
Malachius 53.
Malacodermata 87.
Malpighische Gefäße 66
bis 70.
Mandibeln 20 f f .
Mantelgallen 208.
Mantispa 152.
Markgallen 208.
Markröhrenfraß 203.
Matrix 51.
Mauersegler 233.
Maulwurf 226 327.
Maulwurfsgrille 34 204
361.
Mäuse 226.
Mäusebussard 235.
Maxillen 20 ff .
Mediansegment 28 ff.
Megastigmus 246.
Meisen 230 ff .
Meisendose 331.
Melanospora 273.
Melasoma 129.
Meloiden 158.
Melolontha, Generation
178.
Membrana basilaris 51 ff.
Mentum 21 ff.
Mesadenien 113.
Mesochorus 245.
Mesoderm 138.
Mesothorax 26 ff.
Metamorphose 143 ff.
155 ff.
Metathorax 26 ff .
Meteorus 243.
Methoden, chemische 351.
Miastor 127.
Microcera 273.
Micrococcus 294 302.
Micropyle 117.
Microsporidium 302.
Micryphantes 258.
Migrantes alatae 126.
Mikroskop 418.
Mimikry 43.
Mistkäfer 55.
Mitteldarm 65 ff.
Mittelkiefer 20 ff .
Mondvogel 121 133.
Monodontomerus 240 248
339.
Mordella 99.
Mordspinnen 258.
Motacillidae 232.
Mucor mucedo 267.
— Arten 268.
Mucoraceen 266.
Mundgliedmaßen 19 ff.
Mundhöhle 62.
Mus 227.
Muscardine 277.
Muscicapa 233.
Muskel, Kraftleistung 55.
Muskelschichte 54.
Muskelsystem 54 ff.
Mykosen 258 ff. 343 ff.
385.
Myriangium 274.
Myriapoden 8 11.
Myrmekochoren 190 ff.
Myxomyceten 259.
N.
Nachahmung 43.
Nachtschwalbe 233.
Nadelholzanbau 323.
Nadelhölzer 387.
Nagelgallen 208.
Naphthalinkalkpulver 358.
Naturverjüngung 323.
Nebenhoden 113.
Nebenzungen 21 ff.
Nebria 265.
Necrophorus 60 68 129.
Necydalis 44.
Nematus 209 308.
Nervensystem 88 ff. 150.
Netzaugen 98 ff.
Neuropteroidea 395 397.
Nießwurz 355.
Nikotin 354.
Nisthöhlen 329 ff .
Nitiduliden 256.
Nonne 183 200 224 243
250 302 312 314 319 325
351.
Nonnenkalamität 243.
Nonnenraupe, Häutungen
175.
Normalzahl 222.
Nosema 295 ff. 349 ff.
Novius 193 253 254 336 ff.
0.
Oberlippe 15 23 ff.
Oberschlundganglion 90.
Occiput 15.
Ocellen 98 ff .
Oenocyten 86.
Oesophagus 62 ff.
Oesophagusstiel 64.
Ohrwürmer 256.
Olocrates 259.
Öligwerden von Insekten
419.
Onthophagus 55.
Oospora 276 277 287.
Ophionectria 273 287.
Orchestes 200 202 212.
Orgyia 46 250.
Oriolus 229.
Orthopteroidea 395 397.
430
Sachregister.
Ortsbewegungen 55 ff.
Oryctes 46 55.
Ovarien 105 ff.
Ovidulcte 109 ff.
Ovipositor 39.
Paedogenesis 127 ff.
Palaeococcus 254.
Palpus 20 ff.
Panolis 262 282.
Panzeria 343.
Paraglossen 21 ff.
Parameren 39 120.
Parasetigena 178 240 243
251 253 343.
Parasiten 195 ff. 236 332 ff.
340 ff. 383.
Parasitenreihe 338 342.
Parasitenzucht 339 343
408 ff.
Paridae 230 ff.
Parthenogenese 7 117 124.
Patagia 36.
Pebrine 295.
Pedes spurii 148.
Pemphigus 84 208.
Penis 120.
Pentatoma 23.
Perikardialzellen 86.
Peripatus 10.
Periplaneta 15 20.
Perisporiaceen 274.
Perithecien 269.
Perkinsiella 337.
Petroleum 357.
Pezomachus 245.
Phalangium 258.
Phalera 121 133.
Pharyngealdrüsen 65.
Pharynx 62.
Phryganidenlarve 149.
Phryxe 253.
Phylloscopus 232.
Phylloxera 340.
Phytonomus 265.
Picromerus 257.
Picus 233 ff.
Pieris 44 45 263 264.
Pieper 232.
Pigmentfarben 42.
Pigmentwanderung 132.
Pilze, insektentötende 258.
Pilzförmige Körper (Ge-
hirn) 90.
Pimpla 247 248.
Pirol 229.
Pissodes 198.
Pleuren 26.
Pleurocecidien 207.
Polyeder 299 ff.
Polyederkrankheiten
299 ff.
Polyembryonie 128 ff.
Polygnotus 128.
Polygraphus 100.
Polymetabolie 158 ff.
Polymorphismus 44 ff.
Pontania 206.
Porenplatten 93.
Powersprayers 357.
Präparieren von Insekten
410.
Präpupa 160.
Prätarsus 29 ff.
Prellen 363 369.
Primitivrinne 138.
Prioritätsgesetz 399.
Probeeiern 381.
Probeleimungen 381.
Probesammeln 381 382.
Probesuchen 381.
Proctotrypiden 246.
prognath 16.
Prometabolie 155 ff.
Prospaltella 337.
Prothorax 26 ff.
Protocerebrum 90.
Pselaphus 99.
Pseudobranchien 76.
Pseudochrysalis 158 ff.
Pseudonymphe 160.
Psyche 46 127 183.
Pteromalus 246 248 250.
Ptychoptera 74.
Punktaugen 98 ff .
Pupa libera, obtecta 165 ff.
— coarctata 168.
Puppe 144 151 165 ff.
Puppenräuber 255.
Puppenstadium 350.
Puppenwiegen 167.
Pygidium 37.
Pylorus 66.
Q.
Quassiabrühe 357.
R.
Raife 38 ff.
Raptatores 235.
Rattenschwanzlarve 74.
Raubvögel 235.
Raubinsekten 195 236
253 ff. 332 ff. 341 ff.
Räuchern 352 358.
Raupenzwinger 334.
Kaupenfackeln 363.
Raupenleim 370.
Receptaculum seminis
110 ff.
Rectaldrüsen 67.
Rectum 66 ff .
Reibungslaute 59.
Reichspflanzenschutz-
gesetz 390.
Respirationstöne 61.
Retina 99.
Rhabdom 99 ff.
Rhaphidia 162 256.
Rhynchhes 130 201.
Rhyssa 95 131 247.
Rindenplatzfraß 201.
Ringelspinner 133.
Ringeltaube 235.
Rodentia 226.
Rosettentriebe 212.
Röten 371.
Rückengefäß 50 77 ff.
Rüssel 64.
Rüsselkäfer 323 324 325
Rüsselkäferfallen 368.
s.
Saccharomyceten 274.
Saisondimorphismus 46.
Saiten Organe 96 ff.
Salticoidae 258.
Samen 119.
Samenfäden 111 ff.
Samenleiter 113.
Samenpatrone 120.
Samentasche 110 ff.
Sammeln von Insekten
401.
Sammelutensilien 402 ff.
Saperda 130 206.
Saturnia 174.
Saugmagen 63.
Scapus 19.
Schädigungen, physiol.,
techn., primäre, sekund.
197.
Schaft 19.
Schartenfraß 199.
Schaumfleck 136.
Schedius 240 241 248 339.
Scheide 109 ff.
Scheidentriebe 212.
Scheinpuppe 158 ff.
Schenkel 29 ff.
Schenkelring 29 ff.
Schiene 29 ff.
Schildchen 26.
Schildwanzen 33 134 141
257.
Schizoneura 208.
Schlaffsucht 292.
Schlund 62.
Schlunddrüsen 65.
Schlundkommissur 7.
Schlundring 90.
Schlupfwespen 245 ff.
Schmetteriing, Mund-
werkzeuge 24 ff.
Schmierdrüsen 110.
Schmierseife 354 357.
Schreitbewegungen 55.
Schrilleisten 60.
Schuppen 40 ff.
Schuppenkolben 134 ff.
Schützende Ähnlichkeit
43.
Schwalben 233.
Schwalbenschwanz 99.
Schwammspinner 122 231
338 ff. , Parasiten folge
240.
Schwanzstück 37.
Schwarzspecht 235.
Schwarzwild 327.
Schwebfliegen 256.
Schwefelblume 358.
Schwefelkalkbrühe 357.
Schwefelkohlenstoff 360.
Schwefelleber 358.
Schweineeintrieb 327.
Schwimmbewegungen 56.
Schwindsucht 292.
Schwingkölbchen 32.
Scolopendra 3 10.
Scolopophor 96.
Scutellista 337.
Scutellum 26.
Seeorgane 98.
Segmentierung, hetero-
nome 2 ff.
Segmentplatten 2.
Sekrete der Drüsen 53.
Sektion (von Larven) 384.
Semipupa 160.
Sempersches Verfahren
412.
Sensilla 93.
Serosa 139.
Sachregister.
431
Sexuales (Chermes) 126.
Strickleiternervensvstem
Silpha 256.
7 89.
Simulia 193.
Stidulationslaute 59.
Sinneshaare 93.
Streurechen 363.
Sinneskegel 93.
Strukturfarben 42.
Sinneskuppeln 94.
Stubenfliege 99.
Sinodendron 46.
Sturnus 229.
Sirex 163 197.
Styli 38 ff.
Sklerotien 259.
Subimago 152 156.
Sorex 226.
Submentum 21 ff.
Spannbretter 409.
Superpositionsaugen 102.
Spatel (Leim) 370.
Superpositionsbilder 102.
Spechte 233 ff.
Sylviidae 232.
Speicheldrüsen 64 ff.
Synonyme 398.
Speiseröhre 62 ff.
Syrphiden 256.
Speriing 332.
T.
Spermatocyste 111.
Tabakextrakt 354 ff.
Spermatogonien 111.
Tabakstaub 358 361.
Sphaeropsidales 276.
Tachina japonica 240.
Sphaerostilbe 273 287.
— larvarum 240 251 253.
Sphinx 80.
Tachinen 250 ff. 343.
Spicaria 282.
Tachinentönnchen 168.
Spinndrüsen 149.
Tachinierung 252.
Spinnen 257 343.
Tachinose 252.
Spiralfaden 71.
Talpa 226.
Spitzmäuse 226.
Tardigraden 10.
Sporangien 266.
Tarichium 266 286.
Sporen 29.
Tarsus 29 ff.
Sporotrichum 277 287 344.
Taster 20 ff.
Sporozoen 295.
Tastsinn 92 ff.
Springbewegungen 56.
Tauben 235.
Springspinnen 258.
Täuschende Forstinsekten
Spritzapparate 357.
214.
Spritzmittel 352 ff.
Tausendfüsse 257.
Stäbchensaum 66.
Teerschlitten 364 379.
Stamm 20.
Tegulae 36.
Stammutter (Chermes)
Teleas 249 326.
126.
Teleiocerata 9.
Standortspflege 320.
Telson 12 37.
Staphyliniden 255 334.
Star 229.
Temperatur der Insekten
81 ff.
Steatodia 258
Tentorium 17.
Stechmücke, Mundwerk-
Tereas 125.
zeuge 22. .
Tergum 26 37.
Stegomyia 193.
Termiten 129.
Sternum 26 ff. 37.
Termitoxenia 7 104.
Stiftchenträger 96.
Tetragnatha 257.
Stiftkörperchen 94.
Tetropium 100 197 198.
Stigmatomyces 275.
Thalessa 131.
Stigmen 71 ff.
Thelytokie 124.
Stigmenverschlüsse 72.
Theridium 257.
Stipes 20.
Theronia 240.
Streifenkulturen 326.
Thomiscus 258.
Streptococcus 292.
Thorax 3 12 25 ff.
1 Strickhochleimapparat
Thysanuroidea 395 397.
• 376 ff.
Tibia 29 ff.
432
Sachregister.
Tiefleimung 371 375.
Tomicus 45.
Tönnchenpuppe 168.
Torfklötze 410.
Tortrix 48 199.
Torubiella 273.
Totenkopf, Lautorgan 61.
Totenuhr 59.
Tötungsgläser 402.
Toxophore 41 53.
Toxoptera 309.
Toxotus 45.
Tracheen 71 ff.
Tracheenkiemen 76 ff.
Tracheensystem 50 149.
Tränken für Vögel 331.
Treiben der Raupen 407.
trichogene Zellen 51.
Tricholyga 240.
Trichome 41.
Tritocerebrum 91.
Triungulinus 158.
Trochanter 29 ff.
Trochilium 121.
Trockenpräparation von
Larven 413 ff.
Troilus 257.
Trommelfellorgane 96 ff.
Trommellaute 62.
Trypanosoma 299.
Tsetsefliege 193.
Turbanaugen 101.
Turdidae 232.
Turmfalk 235.
Tympanalorgane 96 ff.
u.
Überflüge 310 ff.
Überjährigkeit 174.
Überhegen 174.
Überwinterungsstadien
179 ff.
Ulmenblattkäfer 238.
Unterlippe 20 ff.
Unterschlundganglien 91.
Upupa 233.
Lirsamenzellen 111 ff.
Uterus 110.
V.
Vacuole 94.
Vagina 109 ff.
Valvula cardiaca 64.
— pylorica 66.
Vanessa 46 47.
Vasa deferentia 113.
Ventilschlauch 64.
Ventiltrichter 64.
Ventralsinus 79.
Verdauung 69 ff., extra-
intestinale 70.
Vergiften v. Fraßstücken
416.
Vertex 15.
Verticillium 280.
Vesiculae seminales 113.
Vespa crabro 3 12.
Vesperugo 225.
Virginogeniae 126.
Viviana 253.
Vogelfeinde 332.
Vogelschutz 328 ff.
Vogelschutzgesetze 332.
Vorbeugung 312 315 ff.
Vorderdarm 62 ff.
Vorderkiefer 20.
Vormagen 62 64.
j w.
Wachsbildungen 42 53.
Wachsdrüsen 53.
Waldameise 254 336 342.
i Wärmestarre 82 tf.
I Wärmetod 82 ff.
Wasserjungfer 99.
Weidenbohrer 99.
Weidenrosen 208.
Weißtanne 322.
Wendehals 235.
Wespenbussard 235.
Wiedehopf 23.
Wildschwein 227.
Wilt (des Schwammspin-
ners) 302 348.
Winterei 126.
Winterfütterung 331.
Wipfelkrankheit 302 346.
Wirrzöpfe 208.
Witterungseinflüsse 217
223 ff. 307 309.
Wollringel 134 ff.
Wollschildlaus 253 3.36.
Würger 231.
Wurzelfraß 203 404.
z.
Zellen 35.
Zentralnervensystem 7.
Zoogamie 189.
Zuchtanstalten 343.
Zunge 21 24.
Zuwachsverlust 211.
Zwergfell 78 ff.
Zwitter 46 104.
Zygobothria 240.
Zygosporen 261.
Zu Escherich, Forstinsekten. I. Bd.
Nachträge
zum
Druckfehlerverzeichnis (Seite 483).
Es wird gebeten, die Änderungen vor dem Lesen vorzunehmen.
Seite 106, Zeile 2 von unten ist hinter „Sie gruppieren sich" einzusetzen: „in den
polytrophen Eiröhren".
Seite 113, Zeile 7 von oben lies: Samenblasen statt Samentaschen.
Seite 129, Zeile 8 von unten lies: Kieferneule 300—500 statt 200—300.
Seite 154, Zeile 11 von oben lies: Umwandlung statt Verwandlung.
Seite 380, Zeile 15 von unten ist das Wort „indirekten" zu streichen, und drei
Zeilen weiter unten ist das Wort „indirekten" durch „solchen" zu ersetzen.
Druckfehlerverzeichnis und Nachträge.
Es wird gebeten, die hier verzeichneten Druckfehler vor dem Lesen des
Buches richtig zu stellen:
Seite 9, Zeile 6 von unten lies: ab er ran t statt aborrant.
Seite 33, Bezeichnung der unteren Figur lies: Fig. 36 statt Fig. 34.
Seite 35, Zeile 7 von unten lies: Comstock statt Comstok.
Seite 62, Zeile 19 und 24 von unten lies: Hinterdarm statt Enddarm.
Seite 67, Figurenerklärung lies: bei Ed Hinterdarm statt Enddarm, ferner
„wie auf den Fig. 59 u. 61" statt 60 u. 61.
Seite 107, Zeile 3 von oben ist hinter Eifach zu setzen: (im weiteren Sinne).
Seite 107, Zeile 3 von unten lies: Fig. 94 statt Fig. 96.
Seite 138, Figurenerklärung bei A lies: Teilung statt Teile.
Seite 139, Zeile 15 von oben lies: eigentliches Entoderm statt eigentlicher
Entoderm.
Seite 142, Zeile 11 von oben lies: deutlich statt vollkommen.
Seite 247, Erklärung der Fig. 190 lies: „Eine Schlupfwespe {Lysiphlebus),
eine Blattlaus anstechend" statt „Eine Blattlaus usw. eine Blattlaus an-
stechend".
Seite 302, letzte Zeile lies: Bolle (nach persönlicher Mitteilung) statt
Schwangart.
Seite 357, Zeile 3 von oben ist nachzutragen:
Neuerdings werden von verschiedenen Seiten auch die Präparate der „El-
sässischen Tabakmanufaktur" in Straßburg-St. Ludwig empfohlen, darunter
besonders die Marke „Wetterfest". Bei Bezug im großen (zunächst für wein-
bauliche Zwecke) will diese Firma gute Nikotinlaugen zu etwa demselben
Preise abgeben, wie die Österreichische Regie ihre Extrakte.
Ischerich, Foi-stinsekten.
Druck von Fr. Stollberg, Merseburg.
Verlag von Paul Parey in Berlin SW. 11, Hedemannstraße 10 u. 11.
Anfang 1914 beginnt zu erscheinen:
Zeitschrift
für
angewandte Entomologie.
Herausgegeben von
Prot. Dr. K. Escherich, und Prof. Dr. F. SchAvangart,
Professor derZoologrie an der Kgl. Forstakademie Vorstand der Zoolog. Station an der Kgl. Lehr-
Tharandt, und Versuchsanstalt für Wein- und Obstbau in
Neustadt a. Haardt.
Wir stehen gegenwärtig im Zeichen einer Reform der angewandten Ento-
mologie in Deutschland. Bis vor kurzem war diese Wissenschaft in Deutschland
arg verkannt und vernachlässigt, so daß wir uns in dieser Beziehung den meisten
anderen Kulturnationen gegenüber in starker Rückständigkeit befunden haben. Erst
in neuester Zeit beginnt man — aufmerksam gemacht durch die Anstrengungen und
Erfolge des Auslandes — auch bei uns der angewandten Entomologie sich mehr
anzunehmen und ihr das allgemeine Interesse entgegenzubringen, das ihr gemäß ihrer
tief in das Kulturleben einschneidenden Bedeutung zusteht.
Inauguriert wurde die Reformbewegung durch die Gründung einer „Deutschen
Gesellschaft für angewandte Entomologie", die in kurzer Zeit so erstarkte,
daß sie bereits nach einem halben Jahr nach der Gründung eine glänzend besuchte
Versammlung (in Würzburg) mit einem überaus vielseitigen und interessanten Pro-
gramm abhalten konnte. Der Verlauf der Versammlung bewies, daß in Deutschland
zahlreiche angewandt entomologische Interessen und Kräfte vorhanden sind ; dieselben
waren aber bisher zerstreut und isoliert, so daß sie zu keiner größeren Gesamtwirkung
gelangen konnten.
Dieser bestehenden Zersplitterung und Kraftvergeudung entgegen-
zuarbeiten, soll einmal durch die genannte Gesellschaft bewirkt werden, und sodann
durch die Herausgabe einer Zeitschrift, die mit Beginn des Jahres 1914 unter
dem obigen Titel erscheinen wird, und zwar unter der Redaktion von Prof. Dr. K.
Escherich-Tharandt und Prof. Dr. F. Schwan gart -Neustadt a. Haardt. Die neue
Zeitschrift wird in zwanglosen Heften von wechselndem Umfang ausgegeben werden.
Jeder Band wird ca. 25 Druckbogen enthalten und kostet 20 M. (für Mitglieder der
Gesellschaft für angewandte Entomologie nur 18 M.).
In der Zeitschrift werden die Verhandlungen der Gesellschaft für an-
gewandte Entomologie zum Abdruck kommen, ferner größere und kleinere,
reich illustrierte Originalarbeiten, Referate, Mitteilungen, Personalnach-
richten aus dem Gesamtgebiet der angewandten Entomologie (Pflanzen-
pathologie, medizinische Entomologie, Bienen- und Seidenraupenzucht usw.\ und so
wird sie den Mittelpunkt des angewandt entomologischen Lebens in
Deutschland bilden und die zu einer gedeihlichen Entwickliang der
Wissenschaft so notwendige Verbindung zwischen den verschiedenen
Gebieten der angewandten Entomologie herstellen. Die neue Zeitschrift
dürfte für forstliche und landwirtschaftliche Kreise eben so unentbehrlich sein
wie für medizinisch-h}' gienische, koloniale, bienen- und seidenzüchte-
rische usw.; ebenso wird sie in keinem zoologischen Institut und keiner ento-
mologischen Bibliothek fehlen dürfen.
Die Namen der Herausgeber wie des Verlages bürgen dafür, daß die neue Zeit-
schrift sowohl inhaltlich als bezügl. der Ausstattung dem hohen Zwecke, dem sie dienen
soll, in jeder Weise gerecht werden wird.
Das erste Heft wird zu Anfang des Jahres 1914 erscheinen und Aufsätze über Reb-
schädlinge, Bedeutung des V^ogelschutzes für die Forstentomologie, über die Tse-Tse-
Fliege, über afrikanische Seidenzucht, über die Lebensweise der Raupenfliegen, über
die angewandte Entomologie in Italien, über die Notwendigkeit der Reformen der Ento-
mologie in Deutschland, über die angewandte Entomologie in den Kolonien, über Ge-
treideschädlinge usw. enthalten.
Im gleichen Verlag 1913 erschienen:
K. Escherich,
Die angewandte Entomologie in den
Vereinigten Staaten.
Eine Einführung in die biologische Bekämpfungsmethode. Zugleich mit
Vorschlägen zu einer Reform der Entomologie in Deutschland.
Mit 61 Textabbildungen. 196 Seiten. Preis 6 M.
Selten hat ein entomologisches Buch so viel Aufsehen erregt und so
allgemeine und begeisterte Zustimmung gefunden wie die Escherich'sche Reform -
Schrift, und selten sind Reformgedanken so schnell in die Wirklichkeit umgesetzt
worden wie die in dieser Schrift dargelegten Vorschläge, — ein Zeichen, daß
der Verfasser zur rechten Zeit den rechten Weg gezeigt hat.
Aus den zahlreichen Aufsätzen und Besprechungen, die über das
Escherich'sche Amerikabuch in den Zeitschriften des In- und Auslandes er-
schienen sind, seien nur einige Sätze hier wiedergegeben:
Geh.-Rat von Rümker schreibt in der „Deutschen Landwirtschaft-
lichen Presse" vom 19. März 1913:
„Dieses höchst verdienstliche und interessante Buch zeigt
in allgemein verständlicher, klarer Weise nicht nur, was man in
Amerika getan und erreicht hat, sondern auch, wie wir dieses Vor-
bild auf unsere deutschen Verhältnisse übertragen können, und
es wäre im Interesse der besonders für die Landwirtschaft und
unsere Kolonien praktisch so bedeutsamen Sache von größtem
Werte, wenn dieses Buch nicht nur in den Kreisen der Praxis und
Wissenschaft, sondern auch in denen der Verwaltung und der zu-
ständigen Ministerien bekannt und beachtet würde . . .
Eine frische Brise amerikanischer Großzügigkeit und praktischen Sinnes
weht einem aus diesem Buche entgegen, das an vielen Stellen die nur durch
Unkenntnis der Verhältnisse entschuldbare hochmütige Verurteilung amerika-
nischer Einrichtungen mit Recht geißelt . . .
Eine weitere Anregung kann man aber auch aus diesem Buche in der
Richtung entnehmen, daß die Pflanzenpathologie ein Gebiet ist, das sich,
wie selten eins, für internationale Bearbeitung eignet, und daß sie daher ein
sehr dankbares Objekt für die gründlichere Bearbeitung im Rahmen
des Internationalen landwirtschaftlichen Instituts in Rom sein
würde, wenn man ihr dort die entsprechenden Arbeitskräfte widmen wollte." . . .
Prof. Dr. E. A. Göldi (Bern) schreibt in einem längeren Aufsatz in der
„Frankfurter Zeitung":
„Vor wenigen Wochen ist ein Buch erschienen, das den Finger auf
eine wunde Steife in der bisherigen Organisation des naturwissenschafdichen
Hochschulunterrichtes legt und sowohl durch seinen Inhalt, als durch die
Persönlichkeit des Verfassers und dessen Stellung in den Reihen
der führenden Naturforscher der Aufmerksamkeit der Regierungen,
den akademischen Lehrkörpern und dem gesamten Kreise der-
jenigen Gebildeten, welche den Forderungen der Zeit zugänglich
sind, angelegentlich empfohlen werden kann. Es ist verfaßt von Prof.
Escherich . . . Das neue Buch ist ein brillant geschriebener Rapport des-
jenigen, was der Verfasser auf einer speziellen Studienreise nach den Vereinigten
Staaten beobachten konnte . . . Wir schließen wiederholend, daß den Unter-
richtsministerien im besonderen und allen denjenigen Kreisen, die sich ein
Urteil über die Möglichkeit und Art und Weise einer zeitgemäßen Ausgestaltung
des akademischen Lehrplanes bilden möchten, die höchst verdienstvolle
Propaganda-Schrift von Prof. Escherich als bahnbrechend aufs
wärmste empfohlen ist."
Regierungsdirektor Dr. Wappes (Spe3'er) schreibt im „Forstwissen-
schaftlichen Centralblatt" (November 1913):
„Wenn ich eine Besprechung des Werkes unternehme, so geschieht
es, weil wir in dem Werke nicht nur eine literarische Erscheinung zu erblicken
haben, sondern eine Tat, die auch für das Forstfach von wichtigen Folgen
sein wird, die Einleitung eines entomologischen Dienstes in Deutschland . . .
Professor Es che rieh hat sich nicht damit begnügt, seine Reformgedanken
darzulegen, sondern hat sie auch in die Tat umzusetzen gewußt, und so kann
ich heute mitteilen, daß die Gründung einer „Deutschen Gesellschaft für an-
gewandte Entomologie" fertige Tatsache ist . . . Für heute möchte ich
allen Fachgenossen, auch wenn sie kein besonderes Interesse für
Entomologie haben, empfehlen, das Escherich'sche Werk zu lesen,
schon um das viele allgemein Belehrende und Anregende aufzu-
nehmen, das in so reichem Maße geboten wird. Die Begeisterung für
wissenschaftliches Forschen in Verbindung mit dem weitschauenden Blick für
das praktisch Mögliche und Wertvolle kann uns nur zum Muster dienen."
Dr. Aulmann vom Berliner Museum schreibt in der „Deutschen Entom.
Zeitschrift" :
. . . „Die vorliegende Schrift dürfte als eine der verdienstvollsten
Arbeiten auf dem Gebiete der angewandten Entomologie, welche in
den letzen Jahren erschienen sind, anzusprechen sein ... Es wäre sehr zu
wünschen, daß die Arbeit Escherichs als ständiges Inventar auf dem
Schreibtisch der an diesen Fragen interessierten Kreise liegen
möchte . . . ."
Prof. Dr. Fritz Schwangart, Leiter der Zoologischen Station der Königl.
Lehr- und Versuchsstation für Obst- und Weinbau in Neustadt a. Haardt, schreibt
in einem längeren Artikel in der „München Augsburger Abendzeitung" betitelt
„Die angewandte Entomologie, ein Stiefkind der deutschen Kultur" :
. . . „K. Escherich, einer unserer tüchtigsten Insektenbiologen, ist weiteren
Kreisen besonders durch seine Ameisen- und Termitenstudien bekannt ge-
worden; in den letzten Jahren hat er sich ganz den Aufgaben der angewandten
Entomologie hingegeben; aus dieser Zeit stammen seine speziellen Arbeiten
über die Nonne und sein vortreffliches Reformburch ,Die angewandte
Entomologie in den Vereinigten Staaten'."
Die „Deutsche Tageszeitung" schließt ihre Besprechung mit den Worten:
. . . „So darf man das Buch wohl als ein Vollkommenes be-
zeichnen, das bei glänzender Stoffbeherrschung sein Gebiet er-
schöpft und für die deutsche Landwirtschaft beachtenswerte Ausblicke
eröffnet ..."
Geh.-Rat von Seelhorst schreibt am Schluß seiner Besprechung im
„Journal für Landwirtschaft":
. . . „Jedem, der die ungeheueren Schäden kennt, welche die deutsche
Land- und Forstwirtschaft durch Insekten erleidet, wird die Lektüre des an-
regend geschriebenen Buches den Wunsch erwecken, daß die Vorschläge des
Verfassers von den maßgebenden Stellen berücksichtigt werden."
Die „Rewiew of Applied Entomology" (London) schließt ihre längere
Besprechung :
. . . „The book contains a large mass of useful and well arranged
information and provides an excellent summary of the subject."
Verlag von Paul Parey in Berlin SW. 11, Hedemannstraöe 10 u. 11.
Die Lehre vom Waldschutz.
Von Dr. H. von Fürst,
Königl. Forstdirektor, Direktor a. D. der ehem. Forstlichen Hochschule in AschaflFenburg.
Zugleich siebente, neubearbeitete Auflage von
Kauschingers Lehre vom Waldschutz.
Mit 5 Tafeln. Gebunden, PrHs 4 M. 50 Pf.
In leicht faßlicher Form geschrieben und in seiner neuesten Auflage den Fortschritten
der Wissenschaft und Praxis entsprechend ergänzt, ist das Buch zum Unterricht sowohl wie
auch zum Selbststudium gleich brauchbar. Es lehrt alle die Gefahren kennen, welche den
Wald bedrohen (Frost, Hitze, Schnee, Sturm, Blitz, schädliche Pflanzen, Tiere Und Menschen),
und gibt die Mittel an, diesen Gefahren vorzubeugen oder doch ihre schädlichen Folgen
tunlichst einzuschränken.
Forstliche Zoologie.
Von Dr. Karl Eckstein,
Professor an der Königlichen Forstakademie in Eberswalde.
Mit 660 Textabbildungen. Gebunden, Preis 20 M.
Das vorliegende Werk soll dem Forstmann eine Übersicht über das gesamte Tierreich
geben, vor allem aber die den forst- und landwirtschaftlichen Kulturpflanzen schädlichen Tiere
eingehender behandeln. Es ist also in erster Linie für den Forstmann geschrieben, weiterhin
natürlich auch für jeden Zoologen, der sich eingehender mit diesem speziellen Gebiete seines
Faches beschäftigen will.
Die Technik des Forstschutzes gegen Tiere.
Anleitung zur Ausführung von Vorbeugungs- und Vertilgungsmaßregeln
in der Hand des Revierverwalters, Forstschutzbeamten und Privatwaldbesitzers.
Von Dr. Karl Eckstein,
Professor an der Forstakademie Eberswalde, Dirigent der zoologischen Abteilung des forstlichen
Versuchswesens in Preußen.
Mit 52 Textabbildungen. Gebunden, Preis 4 M. 50 Pf.
Die zur Bekämpfung forstschädlicher Tiere nötigen Maßregeln sind hier so klar und
praktisch beschrieben, daß jedermann die angegebenen Vertilgungsmittel wird mit Erfolg zur
Anwendung bringen können.
Die Kiefer und ihre tierischen Schädlinge.
Von Dr. Karl Eckstein,
Professor an der Forstakademie Eberswalde.
Erster Band: Die Nadeln.
Mit 22 farbigen Lichtdrucktafeln nach Zeichnungen des Verfassers. Kart., Preis 36 M.
Leitfaden der Forstinsektenkunde.
Von Dr. Otto NUßlin,
Grol3h. Bad. Geh. Hofrat, Prof der Zoologie und Forstzoologie an der Technischen Hochschule.
Vorstand am Großh. Naturalienkabinet in Karlsruhe.
Zweite, neubearbeitete Auflage.
Mit 432 Textabbildungen und den Bildnissen hervorragender Forstentomologen. In Leinen
gebunden, Preis 12 M.
Dem allgemein empfundenen Bedürfnis nach einem knappen, reich illustrierten prak-
tischen Lehrbuch der Forstinsektenkunde dürfte das vorliegende Werk in der vortrefflichsten
Weise entsprechen. Seine Vorzüge sind vor allem: möglichst kurze und knappe Form,
didaktische Anordnung mit Bevorzugung analytischer Tabellen, sodann volle Berücksichtigung
des wissenschaftlichen Charakters, der neuesten Forschungsmethoden und Literatur.
Zu beziehen durch jede Buchhandlung.
Verlag von Paul Parey in Berlin SW. 11, Hedemannstraße 10 u. 11.
Illustriertes Forst- und Jagd-Lexikon.
Zweite, neubearbeitete Auflage.
Unter Mitwirkung hervorragender Fachmänner aus Wissenschaft und Praxis
herausgegeben von Dr. H. von Fürst,
Königl. Forstdirektor und Direktor a. D. der ehem. Königl. Forstliclien Hochschule Aschafifenburg.
Mit 860 Textabbildungen. In Halbleder gebunden. Preis 23 M.
Das illustrierte Forste und Jag-d-Lexikon enthält Tausende einzelner Artikel und bietet
so die Möglichkeit schneller Orientieruno- über alle nur erdenklichen Fragen, die beim Lesen
der Zeitschriften wie draußen im Wald an den Land- und Forstwirt herantreten. Sein Preis
ist im Verhältnis zum Gebotenen außerordentlich niedrig.
Die Forstbenutzung.
Ein Lehr- und Handbuch.
Begründet von Geh. Rat, Professor Dr. Karl Gayer-München.
Zehnte, vermehrte Auflage,
bearbeitet von Professor Dr. Heinrich Mayr-München.
Mit 1 Porträt, 356 Textabbildungen und 1 Farbendrucktafel. Gebunden, Preis 15 M.
Die zehnte Auflage des weitbekannten Werkes ist die erste nach dem Tode seines Be-
gründers. Herausgegeben von Professor Mayr, der sich bereits an der Herausgabe der neunten
Auflage wesentlich beteiligte, stellt sie eine umfassende Neubearbeitung dar.
Sie dürfte einer freundlichen Aufnahme in weitesten Kreisen gewiß sein. Auch die
Besitzer älterer Auflagen des Werkes werden in der neuen Auflage so viel des Neuen und
Wichtigen finden, daß sie diese nicht werden entbehren können.
Waldi3au auf naturgesetzlicher Grundlage.
Ein Lehr- und Handbuch,
bearbeitet von Professor Dr. Heinrich Mayr-München,
Mit 27 Textabbildungen und 3 Tafeln. Gebunden, Preis 15 M.
Dieses neu erschienene Werk, das erste Lehrbuch des Waldbaues auf natu r gesetz-
licher Grundlage, bringt vollkommen neue Gesichtspunkte und wird für jeden Porstwirt
und Waldbesitzer eine ungemein anregende, hochwillkommene Gabe sein.
Die in ihm aufgestetlten Grundsätze stehen so im Mittelpunkte des allgemeinen forstwirt-
schaftlichen Interesses, daß jeder aus eigenem Studium heraus zu ihnen wird Stellung nehmen müssen.
Vorträge über Pflanzenschutz
der Abteiinng für Pflanzenkrankheltcn dos Kaiser-Williehns-Institiits für Landwirtschaft in Bromberg.
Herausgegeben von Dr. Schander.
Erstes Heft: Forstschutz. I.
Mit 61 Textabbildungen. Preis 1 M. 20 Pf. 25 Stück 25 M. 50 Stück 45 M.
Inhalt: Einfluß der Holzkrankheiten auf die Verarbeitung und Verwertung des Holzes.
— Die Nonne. — Die Schüttekrankheit der Kiefer und ihre Bekämpfung. — Die Borken-
käfer, ihre Schäden und ihre Bekämpfung. — Rostkrankheiten der Kiefer und Fichte und
Triebschwinden der Kiefer.
Zweites Heft: Forstschutz. II.
Mit 52 Textabbildungen. Preis 1 M. 60 Pf. 25 Stück 35 M. 50 Stück 60 M.
Inhalt: Die Bedeutung der Samenprovenienzfrage. — Der forstliche Kulturbetrieb und
seine Krankheiten. — Forstlich wichtige Schildläuse.
Tabellen zur Bestimmung schädlicher Insekten
nach den Fraßbeschädigungen.
Von R. Koch,
Königlich Baj-eriseber Forstamtsassessor.
Fichte und Tanne. Mit 150 Textabbildungen. Gebunden, Preis 3 M.
Kiefer und Lärche. Mit 217 Textabbildungen. Gebunden, Preis 4 M. 50 Pf.
Zu beziehen durch jede Buchhandlung.
Verlag von Paul Parey in Berlin SW. 11, Hedemannstraße 10 u. 11.
Handbuch der Pflanzenkrankheiten.
Dritte, vollständig neubearbeitete Auflage,
in Gemeinschaft mit
Prof. Dr. G. Lindau, und Dr. L. Reh,
Privatdozent an der Universität Berlin, Assistent am Naturhist. Museum in Hamburg,
herausgegeben von
Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. P. Sorauer, Berlin.
Erster Band: Die nichtparasitären Krankheiten.
Bearbeitet von Geh. Reg.-Rat Prof. Dr. P. Sorauer.
Mit 208 Textabbildungen. 891 Seiten. Gebunden, Preis 36 M.
Zweiter Band: Die pflanzlichen Parasiten.
Bearbeitet von Prof. Dr. G. Lindau.
Mit 62 Textabbildungen. 550 Seiten. Gebunden, Preis 20 M.
Dritter Band: Die tierischen Feinde.
Bearbeitet von Dr. L. Reh.
Mit 386 Textabbildungen. 774 Seiten. Gebunden, Preis 33 M.
Der Besitz eines umfassenden Werkes über Pflanzenkrankheiten und
damit die Erwerbung eingehender Kenntnisse auf diesem so außerordentlich
wichtigen Gebiete ist für jeden gebildeten Land- und Forstwirt in hohem
Grade wünschenswert und rein praktisch von größtem Nutzen.
Die neue, dritte Auflage des Handbuchs der Pflanzenkrankheiten stellt
gegenüber der früheren Auflage ein vollständig neues Werk dar.
Seiner ganzen Anlage nach ist Sorauers Handbuch der Pflanzenkrankheiten
in seiner dritten Auflage als das zurzeit umfassendste, in jeder Hinsicht grund-
legende Werk des mächtig sich entwickelnden Gebietes der Phytopathologie zu
bezeichnen, wie es keine andere Nation besitzt und dessen Anschaffung warm
zu empfehlen ist.
Die Forsteinrichtung.
Von Dr. Friedrich Judeich,
weil. Königl. Sächsischer Geheimer Oberforstrat, Direktor der Forstakademie zu Tharand.
Sechste, ergänzte Auflage
von Dr. Max Neumeister,
Königl. Sächsischer Geheimer Oberforstrat, Direktor der Forstakademie zu Tharand.
Mit einer Karte in Farbendruck. Gebunden, Preis 10 M. 50 Pf.
Daß bereits sechs Auflagen von dem berühmten Judeich'schen Buche vorliegen, ist ein
beredtes Zeugnis für seine große Beliebtheit. Es ist in der Tat ein ganz ausgezeichnetes
Buch, gleich wertvoll für Wissenschaft wie Praxis. — Die Urteile forstwissenschaftlicher
Autoritäten sind durchweg fflänzend.
Zu beziehen durch jede Buchhandlung.