Skip to main content

Full text of "Die forstinsekten Mitteleuropas. Ein lehr- und handbuch"

See other formats


®I?p  i.  B-  ItU  IGtbrara 


o376l 


v.l 


Oberförster  KLAMM 


NORTH  CAROLINA  STATE  UNIVERSITY  LIBRARIES 


iliililiilliliilüil 

S01 898754 % 


THIS  BOOK  IS  DÜE  ON  THE  DATE 
INDICATED  BELOW  AND  IS  SUB- 
JECT  TO  AN  OVERDUE  FINE  AS 
POSTED  AT  THE  CIRCULATION 
DESK. 


HINRICH  NITSCHE 

geboren  14.  Februar  1845,  gestorben  8.  November  1902 
1876 — 1902  Professor  der  Zoologie  an  der  Kgl.  Forstakademie  in  Tharandt 


Die 

Forstinsekten  Mitteleuropas, 


Ein  Lehr-  und  Handbuch 


K.  Escherich, 

Dr.  med.  et  phiL,  o.  Pi-ofessor  der  Zoologie  an  der  Forstakademie  Tharandt. 
Als  Neuauflage  von 

Jodeich-Nitsche,  Lehrbuch  der  mitteleuropäischen  Forstinsektenkunde 

bearbeitet. 


Erster  Band. 

Allgemeiner  Teil. 

Einführung  in  den  Bau  und  die  Lebensweise  der  Insekten,  sowie  in  die 
allgemeinen  Grundsätze  der  praktischen  Forstentomologie. 

Mit  248  Textabbildungen. 


BERLIN 
Verlagsbuchhandlung  Paul  Parey 

Verlag  fUr  Landwirtschaft,    Gartenbau  und  Forstwesen 

SW.  11,  Hedemannstraße  10  u.  11 
1914. 


Alle  Rechte,   auch   das  der   Übersetzung,   vorbehalten. 
Copyright  by  Paul  Parey,  Berlin  1914. 


Dem  Andenken 

Hinrich  Nitsches. 


Vorwort. 


Als  vor  einigen  Jahren  die  Verlagsbuchhandlung  Paul  Pare)^  auf  An- 
raten von  Prof.  Pauly  (München)  sich  an  mich  wandte  mit  dem  Antrage,  die 
Neuauflage  von  Judeich-Nitsches  Lehrbuch  der  mitteleuropäischen  Forst- 
insektenkunden zu  besorgen,  fühlte  ich  mich  natürlich  einerseits  sehr  erfreut 
über  das  Vertrauen,  das  man  mir  mit  diesem  Antrag  entgegenbrachte,  anderer- 
seits aber  war  es  mir  vollkommen  klar,  daß  ich  eine  sehr  schwierige  und 
verantwortungsvolle  Arbeit  zu  übernehmen  hatte.  Stellte  doch  Judeich- 
Nitsches  Lehrbuch  das  Standard-Werk  der  forstentomologischen  Wissen- 
schaft dar  und  war  es  gewissermaßen  tonangebend  in  allen  forstentomologischen 
Fragen.  Aber  noch  weit  über  die  forstentomologischen  Kreise  hinaus  er- 
streckte sich  der  Ruf  des  Nitscheschen  Lasektenwerkes;  ja  man  darf  getrost 
sagen,  daß  es  sich  bei  allen  wissenschaftlichen  Entomologen  der  Welt  des 
höchsten  Ansehens  erfreute. 

Beinahe  drei  Jahrzehnte  sind  nun  verflossen,  seitdem  die  erste  Abteilung 
von  „Judeich-Nitsche"  erschienen  —  drei  Jahrzehnte  voll  des  Schaffens 
und  Ringens  in  unserer  Wissenschaft.  Überall,  vor  allem  in  Nord-Amerika, 
hat  man  —  in  der  Erkenntnis  von  der  tief  in  unser  Kulturleben  einschneiden- 
den Bedeutung  der  Insekten  —  der  angewandten  Entomologie  mit  einem  vordem 
noch  nicht  gekannten  Eifer  und  wissenschaftlichem  Ernste  sich  hingegeben. 
Eine  Unmenge  neuer  Tatsachen  von  allgemeiner  Bedeutung  sind  dadurch  zu- 
tage gefördert  worden,  und  andererseits  mußte  manche  der  früheren  An- 
schauungen mehr  oder  weniger  modifiziert  oder  auch  gänzlich  über  Bord  ge- 
worfen werden,  so  daß  unsere  Wissenschaft  heute  ein  wesentlich  anderes 
Bild  darbietet  und  auch  wesentlich  höhere  Anforderungen  an  das  Wissen  und 
Können  ihrer  Vertreter  stellt  als  vor  30  Jahren:  Weit  mehr  als  damals 
trachtet  man  heute  danach,  den  Ursachen  der  Schädlingsvermehrung 
nachzuforschen  und  die  bestehenden  Kausalzusammenhänge  auf- 
zudecken. Denn  nur  dann,  wenn  wir  die  Ursache  eines  Übels  erkennen, 
sind  wir  imstande,  es  an  der  Wurzel  zu  fassen  und  auszurotten.  Die  Zu- 
sammenhänge aber,  welche  das  organische  Gleichgewicht  erhalten,  sind  ge- 
wöhnlich von  ungemein  komplizierter  Struktur,  deren  Aufdeckung  ein  tiefes 
Eindringen  in  das  Problem  erfordert:  Es  genügt  nicht  mehr,  daß  wir  über 
die  Entwicklungsgeschichte  eines  Schädlings  Bescheid  wissen,  sondern 
wir  müssen  auch  alle  seine  Abhängigkeiten  von  der  Umwelt,  der  organischen 
wie  der  anorganischen,  genau  kennen.  Wir  müssen  wissen,  wie  der  Schäd- 
ling, resp.  jedes  einzelne  Stadium  desselben,  sich  gegen  die  verschiedenen 
klimatischen  Einflüsse  wie  Hitze,  Kälte,  Feuchtigkeit,  Trockenheit^  ferner  gegen 


YI  Vorwort. 

die  verschiedenen  Kulturformen,  Pflanzenrassen  usw.  verhält,  welche  Feinde 
er  hat  und  in  welchem  Verhältnis  die  verschiedenen  Feinde  auf  ihn  einwirken ; 
ferner  muß  wieder  jeder  der  Feinde  ebenso  genau  wie  der  Schädling  selbst 
studiert  werden,  d.  h.  wir  müssen  von  jedem  Feind  die  Entwicklungsgeschichte 
sowie  seine  Abhängigkeiten  von  der  gesamten  Umwelt  zu  eruieren  suchen. 
Die  Feinde  haben  wieder  ihre  Feinde,  und  so  müssen  auch  diese  nach  ihren 
Entwicklungsbedingungen  eingehend  erforscht  werden  usw.  Dazu  kommen 
die  verschiedenen  Infektionskrankheiten  der  Schädlinge,  die  ebenfalls  als 
gleichgewichtserhaltende  Faktoren  in  Betracht  zu  ziehen  sind  und  deren 
Studium  zu  den  schwierigsten  Aufgaben  der  organischen  Naturwissenschaft 
überhaupt  gehört. 

Diese  vielseitigen  Aufgaben  fordern  gebieterisch,  daß  der  moderne 
Forstentomologe  über  sein  eigenstes  Spezialgebiet  hinausblickt 
und  auch  die  Arbeiten  der  anderen  Zweige  der  angewandten  Entomologie, 
vor  allem  der  landwirtschaftlichen  Entomologie,  aufmerksam  verfolgt,  um 
überall  das  für  ihn  Brauchbare  aufnehmen  zu  können.  Wenn  z.  B.  irgendwo 
in  der  Welt  Studien  über  Tachinen  oder  über  eine  Krankheit  irgend  eines 
Schädlings  (sei  es  Obst-  oder  Wein-  oder  Getreideschädlings)  gemacht  werden, 
so  können  die  Ergebnisse  dieser  Forschungen  auch  für  den  Forstentomologen 
von  größtem  Werte  sein,  und  wenn  es  auch  nur  die  Methodik  der  Forschung 
ist,  die  er  sich  auf  diese  Weise  aneignen  kann.  Eine  Fülle  von  Anregung 
wird  dadurch  dem  Forstentomologen  zuteil,  während  andererseits  die  ängst- 
liche Beschränkung  auf  das  Spezialgebiet  zu  Arbeitsvergeudung,  Stagnation 
und  Selbsterschöpfung  führen  muß. 

Allen  diesen  aus  den  Forschungen  der  letzten  Dezennien  sich 
ergebenden  Forderungen  mußte  in  der  neuen  Auflage  vollauf  Rechnung 
getragen  werden,  wenn  der  Ruf  der  alten  Auflage  gewahrt  werden  sollte. 
Dies  konnte  aber  nur  dadurch  erreicht  werden,  daß  w^enigstens  der  allgemeine 
Teil,  der  das  Fundament  und  die  Richtlinien  der  forstentomologischen  Wissen- 
schaft enthält,  einer  nahezu  völligen  Neubearbeitung  unterzogen  wurde. 
Eine  solche  stellt  denn  auch  der  vorliegende  erste  Band,  der  dem  allgemeinen  Teil 
der  alten  Auflage  entspricht,  dar.  Ich  habe  mich  bemüht,  die  Fortschritte  der 
angewandten  Entomologie  aller  Länder,  soweit  sie  für  die  Ausgestaltung  der 
Forstentomologie  in  Betracht  kommen  können,  darin  zu  verwerten  und  im 
Geiste  Nitsches  zu  verarbeiten,  und  hoffe  damit  zu  einem  einigermaßen  zu- 
treffenden Bild   des  heutigen  Standes  unserer  Wissenschaft  gelangt   zu   sein. 

Es  mag  wohl  sein,  daß  manchem  die  Bearbeitung  des  allgemeinen  Teiles 
in  einigen  Kapiteln  zu  ausführlich  und  eingehend  erscheint.  Ich  mache  mich 
von  vornherein  auf  derartige  Einwände  gefaßt.  Denn  solange  man  noch  die 
Ansicht  vertreten  findet,  daß  ein  einzelner  Forscher  imstande  wäre,  ein  so 
ungemein  kompliziertes,  aus  zahlreichen  schwierigen  Einzelfragen  zusammen- 
gesetztes Problem  wie  z.  B.  die  Nonnenbekämpfung  in  wenigen  Jahren  zu 
lösen,  solange  ist  die  Erkenntnis  von  dem  eigentlichen  Wesen  der  Forst- 
entomologie noch  keineswegs  Allgemeingut  der  forstlichen  Kreise  geworden. 
Es  dürfte  aber  —  so  wage  ich  zu  hoffen  —  die  Zeit  nicht  mehr  allzuferne 
sein,  in  der  jene  Erkenntnis  sich  durchgerungen,    in  der  man  die  Schwierig- 


Vorwort.  VIT 

keit  der  forstentomologischen  Probleme  allgemein  einzusehen  gelernt  haben 
wird  (wie  dies  ja  bei  den  anderen  Heilwissenschaften,  z.  B.  der  Medizin, 
längst  der  Fall  ist),  in  der  man  verstehen  wird,  daß  nur  eine  von  der  breitesten 
Basis  ausgehende  Forschung  erfolgreich  sein  kann,  und  in  der  endlich  auch 
der  forstliche  Praktiker  zusammen  mit  dem  Forscher  gerne  und  verständnis- 
voll die  schwierigen  und  gewundenen  Wege  wandeln  wird,  die  in  die  Tiefe 
der  Probleme  führen. 

Dann  werden  auch  die  Fortschritte  nicht  ausbleiben  und  viele  der  \^er- 
heerenden  Insekteninvasionen,  die  heute  eine  stete  schwere  Sorge  des  Forst- 
mannes bilden,  allmählich  ihre  Schrecken  verlieren,  gleichwie  manche  der 
ehedem  so  fürchterlich  wütenden  menschlichen  Seuchen  dank  der  fort- 
gesetzten intensiven  Arbeit  zahlreicher  medizinischer  und  hygienischer  Forscher 
auf  ein  erträgliches  Maß  herabgedrückt  wurde.  Möge  der  vorliegende  Band 
dazu  beitragen,  den  Weg  zum  Fortschritt  zu  zeigen  und  dem  uns  vor- 
schwebenden Ziele  näher  zu  kommen. 

Was  die  Anlage  des  ganzen  Werkes  betrifft,  so  sind  vier  Bände  vor- 
gesehen, von  denen  der  vorliegende  erste  der  Einführung  in  den  Bau  und  die 
Funktion  des  Insektenkörpers  sowie  in  die  allgemeinen  Grundsätze  der  praktischen 
Forstentomologie  gewidmet  ist,  während  die  drei  übrigen  Bände  der  speziellen 
Forstentomologie  (Behandlung  der  einzelnen  Forstschädlinge)  dienen  sollen, 
und  zwar  soll  der  zweite  Band  die  Käfer  (mit  den  Orthopteren  s.  1.,  mit  den 
Amphibiotica  und  den  Neuropteren),  der  dritte  in  der  Hauptsache  die 
Schmetterlinge  und  der  vierte  die  Hymenopteren,  Dipteren  und  Hemipteren 
enthalten. 

Der  erste  Band  ist  in  seinem  Umfange  wesentlich  (mehr  als  um  das 
Doppelte)  stärker  geworden  als  der  entsprechende  Teil  der  alten  Auflage, 
was  einmal  in  der  notwendigen  ausführlicheren  Behandlung  der  Anatomie, 
Physiologie  und  Entwicklungsgeschichte  der  Insekten,  und  sodann  besonders 
in  der  eingehenden  Darlegung  der  vermehrungsbeschränkenden  Faktoren 
(Kap.  VI)  und  der  für  eine  rationelle  Bekämpfung  geltenden  Grundsätze 
(Kap.  VII)  begründet  ist.  Gerade  die  letzteren  beiden  Gebiete  konnten 
meiner  Ansicht  nach  nicht  eingehend  genug  bearbeitet  werden,  da  sie  die 
Grundlage  der  forstentomologischen  Praxis  darstellen.  Wer  in  diesen 
Punkten  richtig  denken  gelernt  hat,  wird  in  der  Praxis  vor  groben  Fehlern 
bewahrt  bleiben. 

Um  auch  auf  den  mir  ferner  liegenden  Gebieten  zu  einer  möglichst  zu- 
verlässigen Darstellung  zu  gelangen,  habe  ich  für  die  Bearbeitung  der  be- 
treffenden Abschnitte  bewährte  .Spezialforscher  herangezogen.  So  wurden 
die  insektentötenden  Pilze  (S.  258 — 291)  von  Dr.  Georg  Lakon,  früher 
Assistent  am  hiesigen  botanischen  Institut,  jetzt  Abteilungsvorstand  an  der 
landwirtschaftlichen  Hochschule  in  Hohenheim  bearbeitet,  während  die  Be- 
handlung der  „kulturellen  Vorbeugungsmaßregeln"  (S.  315 — 326)  aus  der 
Feder  des  Herrn  Prof.  Dr.  W.  Borgmann  Tharandt  stammt.  Den  beiden 
Herren  Mitarbeitern  sei  für  diese  so  überaus  wertvolle  Unterstützung  auch 
hier  herzlichst  gedankt. 


Vm  Vorwort. 

Bezüglich  der  Literatur  habe  ich  es  so  gehalten,  daß  am  Ende  jeden 
Kapitels  ein  Verzeichnis  der  wichtigsten  einschlägigen  Schriften  gegeben 
wird:  es  sind  da  einmal  die  Titel  aller  jener  Schriften  angeführt,  auf  die  im 
vorhergehenden  Text  Bezug  genommen  ist,  und  außerdem  auch  noch  solche 
im  Text  nicht  zitierte  Arbeiten,  in  denen  ausführliche  Literaturnachweise  zu 
finden  sind,  so  daß  der  wissenschaftlich  arbeitende  Forstentomologe  sich 
unschwer  über  die  gesamte  Literatur  der  ihn  gerade  interessierenden  Fragen 
orientieren  kann. 

Besonderer  Wert  wird  auf  die  Illustrierung  des  Werkes  gelegt 
werden,  und  es  ist  beabsichtigt,  die  Gesamtzahl  der  Abbildungen  gegenüber 
der  alten  Auflage  um  ein  Mehrfaches  zu  erhöhen.  Schon  in  dem  vorliegenden 
ersten  Band  ist  die  Zahl  der  Figuren  um  weit  mehr  als  das  Doppelte  ge- 
stiegen gegenüber  dem  entsprechenden  Teil  der  alten  Auflage.  Nur  relativ 
wenige  Abbildungen  (durch  den  Buchstaben  „N."  am  Schluß  der  Figuren- 
erklärung kenntlich  gemacht)  konnten  von  der  alten  Auflage  übernommen 
werden,  da  heute  die  Ansprüche  an  die  Ausführungen  der  Zeichnungen  und 
Reproduktionen  wesentlich  gesteigert  sind.  Die  neuen  Abbildungen  sind  teils 
anderen  Werken  entnommen,  teils  nach  neuen  Vorlagen  angefertigt.  Die 
letzteren  wurden,  soweit  Zeichnungen  in  Betracht  kommen,  von  Herrn  Dr. 
O.  Römer-Dresden,  ferner  von  Fräulein  Margarete  Hummel -Dresden  und 
Fräulein  Gertrud  Kunze-Tharandt  ausgeführt.  Die  photographischen  Vor- 
lagen verdanke  ich  zum  großen  Teil  Herrn  Forstassessor  Fr.  Scheidter, 
Assistent  am  forstzoologischen  Institut  in  München,  z.  T.  wurden  sie 
im  hiesigen  Institut  von  Präparator  Herpig  hergestellt.  Ihnen  allen  sei 
herzlichst  gedankt. 

Vielen  Dank  schulde  ich  ferner  noch  Herrn  Prof.  Dr.  Schwangart- 
Neustadt  a.  Haardt,  Herrn  Dr.  H.  Prell -Tübingen  und  Herrn  Assistenten 
W.  Baer-Tharandt,  welche  mich  beim  Lesen  der  Korrekturen  in  der  hin- 
gehendsten Weise  unterstützt  haben  und  mir  dabei  manche  wertvolle  Hin- 
weise zuteil  werden  ließen.  Letzterer  hat  sich  außerdem  noch  der  mühe- 
vollen Arbeit  der  Herstellung  der  beiden  Register  unterworfen. 

Endlich  sei  des  Verlegers  in  dankbarer  Gesinnung  gedacht,  der  keine 
Mittel  scheute,  dem  Werke  eine  würdige  Ausstattung  zu  geben,  der  allen 
meinen  oft  recht  weitgehenden  Wünschen  in  der  bereitwilligsten  Weise  ent- 
gegengekommen ist,  und  der  oft  eine  Geduld  bewies,  die  ich  aufrichtig 
bewundere. 

Tharandt,  Ende  November  1913. 

K.  Escherich. 


Inhalt  des  ersten  Bandes. 


Kapitel  I. 

Stellung  der  Insekten  im  System.  Seite 

Die  Stämme  des  Tierreichs 1 

Definition  und  allgemeine  Charakteristik  der  Arthropoden 1 

Die  Klassen  der  Arthropoden 8 

Literatur 11 

Kapitel  II. 
Die  äußere  Erscheinung  der  Insekten  (Morphologie). 

1.  Der  Kopf 13 

A.  Die  Kopfkapsel 13 

B.  Die  Anhänge  (Extremitäten)  des  Kopfes:  Fühler,  Mundgliedmaßen   •    •    •  17 

2.  Die  Brust      25 

A.  Die  Segmente 25 

B.  Die  thorakalen  Anhänge:   Beine,  Flügel 29 

3.  Der  Hinterleib  (Abdomen)      36 

A.  Zusammensetzung  und  Form  des  Hinterleibes 36 

B.  Die  Anhänge  des  Hinterleibes 38 

4.  Skulptur  und  Färbung  der  Haut 40 

5.  Polymorphismus  bezw.  Dimorphismus 44 

Literatur 48 

Kapitel  III. 
Der  innere  Bau  der  Insekten  (Anatomie  und  Physiologie). 

Allgemeines  (Lagerung  der  Organe) 50 

1.  Die  Haut 51 

2.  Das  Muskelsystem  und  seine  Tätigkeit 54 

Allgemeines  (Bau  der  Muskulatur) 54 

Ortsbewegungen 55 

Lautäußerungen      59 

3.  Der  Darmkanal  und  seine  Anhänge  (Verdauungs-  und  Excretionsorgane)     •  62 

4.  Die  Atmungsorgane  (Tracheensystem)       71 

Stigmenatmung 71 

Hautatmung  (Tracheen-  und  Blutkiemen)     76 

5.  Die  Kreislauforgane 77 

6.  Temperatur  der  Insekten 81 

7.  Fettkörper  einschl.  Oenocyten,  Pericardialzellen  und  Leuchtorgane   •    •    •    •  85 


X  Inhalt. 

Seite 

8.  Nervensystem  und  Sinnesorgane 88 

Nervensystem      88 

Sinnesorgane  (Tast-,  Geruch-,  Geschmacks-,  Gehör-  und  Sehorgane)     •    ■  92 

9.  Fortpflanzungsorgane 104 

Allgemeines 104 

Die  w^eiblichen  Fortpflanzungsorgane 105 

Die  männlichen  Fortpflanzungsorgane 111 

Literatur 114 

Kapitel  IV. 
Fortpflanzung. 

Allgemeines 116 

Die  Keimzellen  (Ei  und  Samen) 117 

Das  Ei 117 

Der  Samen 119 

Die  Begattung 120 

Parthenogenese  und  verwandte  Erscheinungen      124 

Parthenogenese  und  Heterogonie 124 

Paedogenesis 127 

Polyembryonie  oder  Germinogonie 128 

Eiablage 129 

Die  Embryonalentw^icklung 138 

Die  nachembryonale  Entw^icklung 142 

Allgemeines  über  die  Larven 142 

Die  Häutung 144 

Entwicklungsstadien 145 

Provisorische  (larvale)  Organisation 146 

Die  Imaginalanlagen  der  Larven 150 

Die  Puppe 151 

Die  verschiedenen  Formen  der  Entwicklung 153 

Epimorphose 153 

Metamorphose 155 

Hemimetabolie 155 

Prometabolie 156 

Holometabolie 156 

Hypermetabolie  (Polymetabolie) 158 

Die  verschiedenen  Larvenformen 161 

Primäre  Larven 161 

Sekundäre  Larven 161 

Tertiäre  Larven      162 

Die  verschiedenen  Formen  der  Puppe      165 

Der  Vorgang  des  Ausschlüpfens 168 

Das  Ausreifen 170 

Zeitlicher  Ablauf  der  Entwicklung  (Dauer  der  Gesamtentwicklung)    .    •    •    ■  170 

Generation 176 

Übervvinterungsstadium 179 

Flugzeit 181 

Lebensdauer  der  Insekten 183 

Literatur 184 


Inhalt.  XI 

Kapitel  V.  Seite 
Die  Insekten  als  natürliche  und  wirtschaftliche  Macht  im  allgemeinen 
und  besonders  in  forstlicher  Beziehung. 

Die  Bedeutung  der  Insekten  im  allgemeinen  Naturhaushalt 186 

Nutzen  und  Schaden  der  Insekten  im  allgemeinen 192 

Nutzen  und  Schaden  der  Insekten  für  die  Forstwirtschaft  (Die  Forstinsekten)  194 

Die  nützlichen  Forstinsekten 194 

Die  schädlichen  Forstinsekten 196 

1.  Physiologisch  und  technisch  schädliche  Insekten 196 

2.  Primär  und  sekundär  schädliche  Insekten 197 

3.  Kultur-  und  Bestandsverderber 198 

Die  verschiedenen  Arten  der  Pflanzenbeschädigungen  durch  Forstinsekten  199 

1.  Verletzungen  durch  Zerstörung  fester  Pflanzensubstanz 199 

Fraß  an  Blattorganen 199 

Fraß  an  Stamm  und  Zweigen 201 

Fraß  an  Wurzeln 203 

2.  Verletzungen,  die  nur  Saftverlust  zur  Folge  haben 204 

3.  Verletzungen,  w^elche  Gallbildungen  zur  Folge  haben 205 

Folgen  der  Angriffe  auf  die  Pflanzen 209 

Grad  der  Schädlichkeit  der  Forstinsekten 213 

Wirkung  der  Insektenschäden  auf  den  forstlichen  Wirtschaftsbetrieb    ■    ■    •  219 

Literatur 220 

Kapitel  VI. 
Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 

Allgemeines 222 

1.  Insektenvertilgung  durch  Witterungseinflüsse 223 

2.  Insektenvertilgende  Tiere 224 

a)  Säugetiere 225 

b)  Vögel 227 

c)  Schmarotzer  und  Raubinsekten,  und  andere  insektentötende  Arthropoden    237 

Allgemeines 237 

Parasiten 244 

Raubinsekten 253 

Andere  räuberische  Arthropoden 257 

3.  Die  insektentötenden  Pilze  (Mykosen).     Bearbeitet  von  Dr.  Georg  Lakon  258 

A.  Systematik  und  Biologie 258 

Algenpilze 260 

Fadenpilze      268 

Fungi  imperfecti 276 

B.  Wirtschaftliche  Bedeutung  der  insektentötenden  Pilze 284 

Literatur  über  die  Pilzkrankheiten  der  Insekten 289 

4.  Pathogene  Mikroorganismen  (Spaltpilze  und  Protozoen) 291 

a)  Bakterienkrankheiten 292 

b)  Nosema-Krankheiten  (Pebrine) 295 

c)  Polyederkrankheiten 299 

Literatur 304 

Kapitel  \ai. 
Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 

A.  Die  Entstehung  von  Kalamitäten      307 

B.  Vorbeugung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten 312 


XII  Inhalt. 

Seite 

Allgemeines 312 

1.  Die  kulturellen  Vorbeugungsmaßregeln.    Bearbeitet  von  Prof.  Dr.  W.  Borg- 
mann       315 

a)  Allgemeine  Grundsätze 315 

b)  Die  besonderen  Maßnahmen 320 

2.  Die  biologische  Bekämpfung     327 

a)  Schutz  und  Verwendung  von  insektenvertilgenden  Säugern 327 

b)  Schutz  und  Verwendung  insektenvertilgender  Vögel      328 

c)  Schutz    und    Verwendung    von    Parasiten,    Raubinsekten    und    anderen 
räuberischen  Arthropoden 332 

d)  Verbreitung  von  Mykosen  und  anderen  Infektionskrankheiten 344 

3.  Die  technische  Bekämpfung 350 

a)  Allgemeine  Gesichtspunkte 350 

b)  Die  chemischen  Methoden 351 

c)  Die  mechanischen  Methoden 362 

Direktes  Entfernen  und  Vernichten 362 

Anlockung  der  Schädlinge  durch  Darbietung  von  Brut-  und  Nahrungs- 
gelegenheiten    364 

Fanggräben,  Fanglöcher  usw. 366 

Leimring 368 

4.  Beurteilung  der  Notwendigkeit  und  Möglichkeit  der  Bekämpfung 379 

Untersuchung  über  den  Vermehrungsgrad  der  Schädlinge 380 

Untersuchung  des  Gesundheitszustandes  der  Schädlinge 383 

Untersuchung  des  befallenen  Bestandes 387 

Durchführung  der  Bekämpfung 389 

Literatur 390 

Kapitel  VIII. 
Allgemeine  Übersicht  über  das  System  der  Insekten. 

Mit  einem  Anhang: 
Anleitung  zur  Anlegung  einer  forstentomologischen  Sammlung. 

Das  System  der  Insekten 393 

Die  Nomenklatur 397 

Anhang:  Anleitung  zur  Anlegung  einer  forstentomologischen  Sammlung     •    •    •  401 

Das  Sammeln  der  Forstinsekten 401 

Die  Zucht  der  Insekten 405 

Das  Präparieren  der  Insekten  und  Fraßstücke 410 

Die  Bestimmung  der  Forstinsekten 416 

Aufbewahrung  und  Einordnung  der  präparierten  Insekten 419 

Lheratur 421 

Namenregister 423 

Sachregister ....  426 


Allgemeiner  Teil. 


Kapitel  I. 

Stellung  der  Insekten  im  System. 


Die  Stämme  des  Tierreichs. 

Das  Tierreich  wird  gewölmlich  in  sieben  Stämme  oder  Phyla  eingeteilt: 

1.  Die  Protozoa  (Urtiere), 

2.  Die  Coelenterata  (Hohldarm-  oder  Pflanzentiere), 

3.  Die  Vermes  (Würmer), 

4.  Die  Arthropoda  (Gliederfüßler), 

5.  Die  Mollusca  (Weichtiere), 

6.  Die  Echinodermata  (Stachelhäuter), 

7.  Die  Chordata  (Chordatiere),    die   Tunicata  (Manteltiere)   und    die  Verte- 
brata  (Wirbeltiere)  umfassend. 

Die  Insekten  gehören  dem  vierten  Stamm  der  Arthropoden  (abgeleitet 
von  cig^QO}'  das  Glied,  ttovc,  nodög  der  Fuß)  oder  Gliederfüßler  an. 

Definition  und  allgemeine  Charakteristik  der  Arthropoden. 

Die  Arthropoden  sind  bilateral  symmetrische^)  Tiere  mit 
meist  kräftigem,  chitinisiertem  Außenskelett  (Cuticula),  mit 
heteronom  segmentiertem  Körper  und  paarig  angeordneten,  ge- 
gliederten Segmentanhängen  oder  Extremitäten. 

Durch  die  Zerlegung  des  Körpers  in  eine  Anzahl  hintereinander  ge- 
legener Ringel,  Metameren  oder  Segmente  erinnern  die  Arthropoden  deutlich 
an  die  Ringelwürmer  oder  Anneliden,  mit  denen  sie  auch  bezüglich  der  inneren 
Organisation  vielfach  übereinstimmen  und  von  denen  sie  phylogenetisch  wahr- 
scheinlich abzuleiten  sind.  Wurden  doch  früher  die  beiden  sogar  zu  einem 
gemeinsamen  Stamm  (Articulata  oder  Annulata)  vereinigt. 

Den  übereinstimmenden  Zügen  stehen  jedoch  so  wesentliche  und  charak- 
teristische Unterschiede  gegenüber,  daß  die  Trennung  der  beiden  und  die 
Berechtigung   zur  Aufstellung   des  Stammes   der  Arthropoden   ohne   weiteres 


^)  D.  h.  die  rechte  Hälfte  des  Körpers  ist  spiegelbildlich  gleich  der  linken 
Hälfte,  während  die  gliedmaßentragende  Bauchseite  von  der  gliedmaßenlosen 
Rückenseite  verschieden  ist. 

..Escherich,  Forstinsekten.  1 


2  Kapitel  I.     Stellung  der  Insekten  im  System. 

einleuchtet.  —  Die  Unterschiede  sind  hauptsächlich  bedingt  durch  zwei  Mo- 
mente: durch  die  Ausbildung  eines  Außenskeletts  und  durch  das  Auf- 
treten gegliederter  Extremitäten. 

Das  Außenskelett  besteht  zum  größten  Teil  aus  Chitin,  einer  orga- 
nischen Substanz  (von  der  Formel  Qg/Zge^aöio))  <^i^  ungemein  hart  und 
widerstandsfähig  ist,  und  nur  durch  Kochen  in  konzentrierten  Mineralsäuren 
oder  Kalilauge  angegriffen  resp.  gelöst  werden  kann  Sie  wird  von  den 
Epidermiszellen  nach  außen  abgeschieden,  wo  sie  die  ganze  Oberfläche  des 
Körpers  überzieht  und  an  der  Luft  allmählich  zu  einer  festen  Schicht  erhärtet. 
Wir  haben  es  also  nicht  mit  einem  aus  Zellen  bestehenden  Gewebe  zu  tun  — 
wie  etwa  bei  der  Hornschicht  der  menschlichen  Haut  — ,  sondern  mit  einem 
erhärteten  Sekret,  einer  Cuticula.  Da  die  Epidermis  durch  die  Überlagerung 
der  Cuticula  von  der  Oberfläche  abgerückt  wird,  so  bezeichnet  man  sie  als 
Hypodermis.  Sie  wird  übrigens,  nachdem  sie  ihre  Hauptfunktion  (Chitin- 
abscheidung)  erfüllt  hat,  mehr  oder  weniger  rückgebildet. 

Das  Chitinskelett  dient  sowohl  der  Bewegung  (indem  es  Anheftungs- 
stellen  für  die  von  der  Haut  losgelöste  und  in  einzelne  Muskeln  zerlegte  Be- 
wegungsmuskulatur darbietet)  als  auch 
dem  Schutz.  Um  bei  der  Starrheit 
des  Panzers  eine  ausgiebige  Be- 
wegungsmöglichkeit zu  erlangen,  ist 
es  notwendig,  daß  jener  in  kleinere 
Stücke  zerlegt  wird,  die  beweglich  mit- 
einander verbunden  sind  ■ —  ähnlich 
wie  die  Ritterrüstungen  des  Mittel- 
Fig.  1.    segmentpiatten  (S)  und  intersegmentai-      alters.     Es   ist   dies   bei   den   Arthro- 

häute   (i).     In  A   die   letzteren  freiliegend,   inJB  ,  .  ,  tx7-  j         i.      t-u   4. 

eingefaltet,    so   daß  Platte    an  Platte    zu  liegen       PO^^"     ^^     ^er     Weise     durchgeführt, 

kommt,  wodurch  der  Schutz  erhöht  wird.  daß   dicke    Starre   Hautabschnitte   mit 

dünnen  beweglichen  abwechseln  (Fig.  1) 
(mit  und  ohne  Ausbildung  eigentlicher  Gelenke).  Erstere  werden  (soweit  der 
Körperstamm  in  Betracht  kommt)  als  Segmentplatten  bezeichnet,  letztere  als 
Interseg mentalhäute.  Von  dem  gegenseitigen  Größenverhältnis  der  beiden 
hängt  der  Grad  der  Beweglichkeit  ab,  d.  h.  je  mehr  die  Intersegmentalhäute  den 
Segmentplatten  gegenüber  an  Ausdehnung  gewinnen,  desto  größer  ist  die 
Beweglichkeit  und  umgekehrt.  Da  die  Intersegmentalhäute  bei  ihrer  Feinheit 
wenig  Schutz  gewähren,  so  liegen  diese  für  gewöhnlich  nicht  frei  an  der 
Oberfläche,  sondern  sind  so  weit  unter  die  Segmentplatten  eingefaltet,  daß 
die  Ränder  der  letzteren  direkt  aneinanderstoßen  resp.  über-  oder  unter- 
einander zu  liegen  kommen  (Fig.  1  B). 

Die  Abschnitte  (Segmente),  in  welche  der  Körper  in  dieser  Weise  zerlegt 
ist,  sind  keineswegs  alle  einander  gleichwertig,  sondern  oft  recht  ungleichwertig 
oder  mit  anderen  Worten:  die  Segmentierung  ist  eine  heteronome.  Die 
Heteronomie  ist  aber  nicht  als  ursprünglicher  Zustand  zu  betrachten,  sondern 
ist  in  der  Hauptsache  durch  Verschmelzungen  (sodann  auch  durch  Reduktion) 
einer  größeren  oder  geringeren  Anzahl  von  im  Embryo  homonomen  Segment- 
anlagen hervorgegangen.     So  entspricht  also  der  Grad  der  Heteronomie  der 


Definition  und  allgemeine  Charakteristik  der  Arthropoden. 


3 


Ausdehnung  der  stattgehabten  Verschmelzungen  (resp.  Reduktionen).  Am  ge- 
ringsten ist  die  Heteronomie  ausgebildet  bei  den  Tausendfüßen  oder  Chilo- 
poden  (Fig.  2),  bei  denen  der  einzige  ungleichwertige  Abschnitt  der  Kopf 
(Cephalon)  ist,  der  aus  nicht  weniger  als  sechs  Segmenten  verschmolzen 
ist,  also  morphologisch  auch  sechs  der  folgenden  Rumpfsegmente  gleichzu- 
setzen ist.  Weitere  Verschmelzungen  finden  wir  bei  den  Insekten  (Fig.  3),  bei 
denen  außer  dem  aus  5  Segmenten  gebildeten  Kopf  einmal  auch  die  folgenden 


7    8     9    10 

Fig.  2.     Ein  Tausendfaß,  Scolopendra  morsitans  L. 
K  Kopf;  F{^  Fühler;  5—26  Extremitäten  des  Rumpfes. 


(N.; 


3  Segmente  zur  Brust  (Thorax)  verwachsen,  und  sodann  auch  mehr  oder 
weniger  ausgedehnte  Verschmelzungen  (und  auch  Reduktionen)  an  dem  auf 
die  Brust  folgenden  Stammabschnitt,  dem  Hinterleib  (Abdomen)  stattfinden 
können.  Ausgedehnte  Verwachsungen  finden  wir  auch  bei  den  Spinnen- 
tieren,   deren  Cephalon    aus  7  Segmenten   zusammengesetzt   ist,    und   deren 


Fig.  3.    Männliche  Hornisse,  Vespa  Crabro  L.    K  Kopf;  B  Brust;   H  Hinterleib  mit  sieben  Segmenten; 
-F  Fühler  (erstes  Gliedmaßenpaar);   JS'A  Seitenauge;   pa  Punktauge;   06 Ä"  Vorderkiefer  (zweites  Glied- 
maßenpaar); die  2  folgenden  Kieferpaare   sind  in  dieser  Ansicht   nicht   wahrzunehmen;   5,  6,  7  Beine 
(fünftes  bis  siebentes  GUedmaßenpaar);  Fl^  Vorderflügel;  F12  Hinterflügel.  —  (N.) 

Hinterleib  ebenfalls  starke  Verschmelzungen  aufweisen  kann;  stellt  doch  bei 
vielen  Spinnen  der  Hinterleib  einen  völlig  einheitlichen  Abschnitt  dar  (Fig.  4). 
Ja,  es  kann  sogar  das  Abdomen  auch  noch  mit  dem  Vorderleibe  (Cephalon) 
verschmelzen,  so  daß  die  Segmentierung  vollkommen  verschwindet  (Fig.  5) 
und  der  Körper  gänzlich  ungegliedert  erscheint  (Milben).  —  In  wieder  anderer 
Weise  vollziehen  sich  die  Segmentverschmelzungen  bei  den  höheren  Krebsen, 
indem  hier  der  Kopf  mit  der  Brust  verwachsen  ist  (13  Segmente)  und  als 
sog.  Kopfbruststück  oder  Cephalothorax  dem  größtenteils  homonom  ge- 
gliederten Hinterleib   gegenübersteht  usw.    (Fig.  6).     So  finden  wir  also  bez. 

1* 


Kapitel  I.     Stellung  der  Insekten  im  System. 


der  Heteronomie  der  Segmentierung  eine  ungeheure  Mannigfaltigkeit, 
die,  wie  wir  gleich  sehen  werden,  für  die  systematische  Einteilung  von  Wich- 
tigkeit ist. 

Die  Heteronomie  hängt  innig  zusammen  mit  der  verschiedenartigen 
Ausbildung  der  gegliederten  Extremitäten.  Wir  müssen  davon  ausgehen, 
daß  ursprünglich  jedem  Segment  ein  Extremitätenpaar  angehörte, 
welches  lediglich  der  Fortbewegung  diente  (wie  wir  es  z.  ß.  noch  am 


Fig.  4.     Kreuzspinne,  Epeira  diadema  L. 
KB  Kopf  brüst  (richtiger  Kopf);  H  Hinterleib. 

Vi  n.  Gr.  —  (N.) 


12  34    56 

Fig.  t>.     Holzbock,  Ixodes  i-icinus  L. 
2/i  n.  Gr.  —  (N.) 


Rumpf  der  Tausendfüße  [Scolopender]  beobachten  können).  Mit  der  besseren 
Ausgestaltung  der  einzelnen  Extremität  und  der  Bewegungsmuskulatur  wurde 
eine  Reduktion  der  Zahl  der  lokomotorischen  Extremitäten  ermöglicht,  resp. 
konnte  die  Fortbewegung  des  Körpers  von  einigen  wenigen  Paaren  allein  be- 
sorgt werden.  Die  dadurch  frei  werdenden  Extremitätenpaare  konnten 
nun  entweder  für  andere  Dienste  herangezogen  oder,  wo  solche  nicht 
nötig,  gänzlich  entfernt  werden.     So  sehen  wir  denn  auch  in  der  Tat  die  ver- 


Fig.  6.    Der  Flußkrebs,  Astacus  fliwiatilis  Fahr.    ÜTB  Kopf bruststück ;  H  Hinterleib;  NA  gestieltes  Netz 

äuge;  FI  vorderer  Fühler;  Fll  hinterer  Fühler ;  9—13  die  Extremitäten  der  Brust;  14—19  Extremitäten 

des  Hinterleibes.  —  iN.) 


schiedensten  Funktionen  der  für  die  Fortbewegung  entbehrlich  gewordenen  Ex- 
tremitäten übertragen,  indem  die  einen  zu  Sinnesorganen  (Fühler),  die  anderen 
zu  Greif-  und  Kauorganen,  wieder  andere  zu  Atmungsorganen  geworden  sind, 
und  sich  endlich  in  den  Dienst  der  Fortpflanzung  (Begattungshülfsapparate) 
gestellt  haben.  Die  Umgestaltungen,  die  mit  einem  solchen  Funktionswechsel 
notwendig  verbunden  sind,  konnten  nicht  ohne  Einfluß  auf  die  Form  der  zu 
den    betreffenden    Extremitäten    gehörenden    Segmente    bleiben.     Besonders 


Definition  und  allgemeine  Charakteristik  der  Arthropoden.  5 

stark  mußte  der  Einfluß  da  sein,  wo  eine  größere  Anzahl  Extremitätenpaare 
zu  einer  gemeinsamen  Funktion  zusammentreten  (wie  z.  B.  die  Mundglied- 
maßen); das  dadurch  bedingte  Zusammenrücken  der  betr.  Extremitätenpaare 
führte  natürlich  auch  zu  einem  engeren  Anschluß  der  Segmente  und  schließlich 
zur  völligen  Verschmelzung  dieser. 

Wenn,  wie  wir  oben  ausführten,  zu  jedem  Segment  ursprünglich  ein 
Extremitätenpaar  gehört,  so  müssen  wir  auch  bei  stattgehabten  Verschmel- 
zungen die  Zahl  der  verwachsenen  Segmente  an  der  Zahl  der  an 
dem  betr.  Abschnitt  vorhandenen  Extremitäten  ohne  weiteres  er- 
mitteln können;  d.  h.  wo  z.  B.  3  Extremitätenpaare  vorhanden  sind,  muß 
der  Abschnitt  aus  3  Segmenten  zusammengesetzt  sein,  auch  wenn  keine 
sonstigen  äußeren  Anzeichen  (Nähte)  auf  eine  Zusammensetzung  schließen 
lassen.  Dies  trifft  auch  im  allgemeinen  zu,  so  sagen  uns  z.  B.  die  3  Bein- 
paare der  Insekten,  daß  der  Brustabschnitt  aus  3  Segmenten  besteht;  so  läßt 
uns  ferner  der  Umstand,  daß  bei  den  Diplopoden  (Tausendfüße)  an  jedem 
Segment  2  Beinpaare  vorkommen,  erkennen,  daß  hier  jedes  Segment  mor- 
phologisch 2  Segmenten  der  übrigen  Tausendfüße  entspricht  resp.  daß  es  sich 
um  „Doppel Segmente"  handelt  usw.  Doch  müssen  wir  dabei  uns  stets 
vergegenwärtigen,  daß  auch  Rückbildungen  von  Extremitäten  statt- 
gefunden haben  können,  so  daß  also  die  Zahl  der  in  einem  Abschnitt  ver- 
einigten Segmente  recht  wohl  auch  größer  sein  kann  als  die  Zahl  der  sicht- 
baren Extremitäten.  Solche  Fälle  sind  gar  nicht  selten;  so  weist  der  Kopf 
der  Insekten  4  Paare  Extremitäten  (1  Paar  Fühler,  3  Paare  Mundgliedmaßen) 
auf,  enthält  aber  trotzdem  die  Elemente  von  5  Segmenten,  von  denen  1 
(Intercalarsegment)  stark  rückgebildet  resp.  nur  noch  in  der  Embryonalanlage 
deutlich  nachweisbar  ist. 

Vielfach  kommen  aber  auch  wohlausgebildete  Segmente  ohne 
Extremitäten  vor,  wie  z.  B.  die  meisten  Hinterleibssegmente  der  Insekten; 
doch  lassen  sich  in  allen  diesen  Fällen  wenigstens  embryonal  noch  mehr  oder 
weniger  deutlich  Extremitätenanlagen  nachweisen,  so  daß  jene  Extremitäten- 
losigkeit  demnach  ebenfalls  einen  abgeleiteten  (sekundären)  Zustand  darstellt 
—  und  also  unser  oben  ausgesprochener  Satz,  daß  zu  jedem  Segment  ein 
Extremitätenpaar  gehört,  dadurch  keine  Einbuße  erleidet. 

Der  Chitinpanzer,  der  den  Arthropodenkörper  umgibt,  ist  durch 
seine  Starrheit  dem  Wachstum  natürlich  sehr  hinderlich.  Es  ist  daher 
notwendig,  daß  derselbe  von  Zeit  zu  Zeit  gesprengt  und  abgeworfen  und 
durch  einen  neuen  geräumigeren  Panzer  (der  unter  dem  alten  vorgebildet 
wird)  ersetzt  wird  —  ein  Vorgang,  den  man  als  Häutung  bezeichnet.  Das 
Wachstum  eines  jeden  Arthropoden  ist  also  mit  Häutungen  ver- 
bunden, deren  Zahl  recht  verschieden  sein  und  selbst  bei  ein  und  derselben 
Art  schwanken  kann  (z.  B.  bei  der  Nonne,  deren  Raupe  4  oder  5  Häutungen 
durchmachen  kann).  Daraus  folgt,  daß  da,  wo  die  Zahl  der  Häutungen  be- 
grenzt ist,  auch  das  Wachstum  beschränkt  ist,  d.  h.  mit  der  letzten  Häutung 
die  definitive  Größe  des  Tieres  bestimmt  ist;  ein  ausgeschlüpfter 
Käfer  z.  B.  oder  Schmetterling  kann  daher  nicht  mehr  wachsen. 


6  Kapitel  I.     Stellung  der  Insekten  im  System. 

Infolge  der  Zerlegung  des  Hautskelettes  in  Segmente  ist  auch  die  an 
der  Innenseite  dieses  Skelettes  angeordnete  Körperniuskulatur  —  die  bei 
den  Ringelwürmern  einen  kontinuierlichen  Hautmuskelschlauch  bildet  —  in 
einzelne  segmentale  Muskelgruppen  gesondert.  Die  Muskeln,  gleichgültig  ob 
willkürliche  oder  unwillkürliche,  sind  (mit  seltenen  Ausnahmen)  quergestreift 
(rasche  Reaktionsfähigkeit!). 

Was  die  innere  Organisation  betrifft,  so  stimmen  die  Arthropoden 
bez.  der  Lagerung  der  Hauptorgane  mit  den  Ringelwürmern  überein, 
indem  die  Leibeshöhle  (die  allerdings  nur  teilweise  der  Annelliden- Leibeshöhle 
entspricht)  dorsal  von  dem  Zentralorgan  des  Kreislaufes  (Herz),  in  der  Mitte  vom 
Darm  und  ventral  vom  Zentralnervensystem  durchzogen  wird  (Fig.  7)  —  also 
gerade  umgekehrt  wie  bei  den  Wirbeltieren,  bei  denen  das  Herz  auf  der 
Bauchseite  und  das  Nervensystem  (Rückenmark)  auf  der  Rückenseite  verläuft. 

Die  Leibeshöhle  ist  mit  der  entweder  farblosen  oder  verschieden  ge- 
färbten und  stets  Zellen  enthaltenden  Blutflüssigkeit,  welche  alle  Organe  be- 
spült, angefüllt.  Das  Blut  der  Arthropoden  ist  demnach  identisch  mit  der 
Leibesflüssigkeit  oder  dem  „Körpersaft".  Die  Zirkulation  des  Blutes  wird  im 
einfachsten  Fall  durch  Bewegungen  des  ganzen  Tieres,   meist  aber  durch  ein 


Fig.  7.    Lagerung  der  Organe  im  Insektenkörper.    Jff  Herz;  Vd,  Md,  Ed  Vorder-,  Mittel-  und  Enddarm: 
iV^  Nervensystem  (Bauchmark);  (?  Geschlechtsorgane;  Ensc  Endoskelett. 

bei  den  verschiedenen  Gruppen  sehr  verschieden  gebautes  Herz  bewirkt.  An 
dieses  schließt  sich  bei  vielen  Formen  ein  mehr  oder  weniger  kompliziertes, 
aber  niemals  vollkommen  gegen  die  Leibeshöhle  abgeschlossenes  Gefäß- 
system an.  —  Die  Ausbildung  des  Herzens-  und  Gefäßsystems  hängt  innig 
zusammen  mit  der  Ausbildung  der  Atmungsorgane:  wo  einerseits  solche 
ganz  fehlen  (Hautatmung)  oder  aber  wo  der  ganze  Körper  von  Atemröhren 
(Tracheen)  durchzogen  wird,  da  treten  die  Gefäße  zurück;  wo  andererseits 
die  Atmung  auf  bestimmte  Körperstellen  lokalisiert  ist  (Kiemen  der  Krebse, 
Lungen  der  Spinnen),  finden  wir  auch  ein  gut  ausgebildetes  Gefäßsystem. 
Im  letzteren  Fall  hat  ja  auch  das  Blut  den  Transport  des  Sauerstoffs  von 
den  Kiemen  oder  Lungen  nach  allen  Körperregionen  hin  zu  besorgen,  während 
diese  Funktion  bei  den  Tracheen-Atmern  wegfällt,  indem  hier  die  im  ganzen 
Körper  verzweigten  Tracheen  selbst  die  Zuleitung  des  Sauerstoffs  zu  allen 
Zellen  übernehmen. 

Der  verschieden  gegliederte  und  mit  verschiedenen  Anhangsdrüsen  ver- 
sehene Darmkanal,  der  nur  in  sehr  seltenen  Fällen  verkümmert,  ist  zwischen 
dem  vorn  (auf  der  Bauchseite)  gelegenen  Mund  und  der  Afteröffnung  aus- 
gespannt.    Er  besteht  aus  3  Abschnitten,  dem  Vorder-,  Mittel-  und  Hinter- 


Definition  und  allgemeine  Charakteristik  der  Arthropoden.  7 

darm,  von  denen  der  erste  und  letzte  durch  Hauteinstülpungen  entstehen 
und  daher  mit  einer  Chitinkutikula,  die  stellenweise  zu  Zähnen,  Leisten  usw. 
verdickt  sein  kann,  ausgekleidet  sind  (Fig.  7  Vd,  Md  und  Ed). 

Das  Zentralnervensystem,  welches  dem  „gangliösen  Typus"  an- 
gehört, besteht  aus  dem  über  dem  Darm  gelegenen  Gehirn  (aus  3  Ganglien- 
paaren verschmolzen),  dem  unter  dem  Darm  von  vorn  nach  hinten  ziehenden 
Bauchmark  (Fig.  1 N)  und  endlich  der  diese  beiden  verbindenden  Schlund- 
kommissur.  Das  Bauchmark  besteht  der  Anlage  nach  in  jedem  Segment 
aus  je  zwei  rechts  und  links  von  der  Medianlinie  gelegenen  Ganglien  (Nerven- 
knoten), welche  sowohl  unter  sich  durch  eine  Querkommissur,  als  auch  mit 
den  jeweils  vorhergehenden  und  folgenden  Ganglienpaaren  durch  je  ein  paar 
Längskommissuren  verbunden  sind.  Dadurch  erinnert  das  Bauchmark  ein 
wenig  an  eine  Strickleiter,  weshalb  man  auch  von  einem  „Strickleiter- 
Nervensystem"  spricht.  Gewöhnlich  aber  tritt  diese  Form  bei  der  Ent- 
wicklung mehr  oder  weniger  wieder  zurück,  indem  ausgedehnte  Verschmel- 
zungen, sowohl  der  Länge  als  der  Quere  nach  stattfinden.  Die  Konzentration 
kann  so  weit  gehen,  daß  das  ganze  Bauchmark  außer  dem  vordersten,  sog. 
Unterschlundganglien,  nur  noch  aus  einem  einzigen  Nervenknoten  besteht, 
der  dann  natürlich  auch  entsprechend  groß  ist. 

Als  Exkretionsorgane  finden  sich  entweder  den  Nephriden  der 
Ringelwürmer  homologe  Organe  (wie  die  Schalen-  und  Antennendrüsen 
der  Krebse,  die  Coxaldrüsen  der  Spinnen)  oder  aber  völlig  neu  auftretende 
Organe,  die  sog.  Malpighischen  Gefäße,  die  als  Ausstülpungen  des  Mitteldarms 
(Spinnen)  oder  des  Hinterdarms  (Insekten)  entstehen. 

Auch  bezügl.  der  Geschlechtsorgane  weichen  die  verschiedenen 
Klassen  der  Arthropoden  mehr  oder  weniger  voneinander  ab.  Den  meisten 
kommt  bloß  ein  Paar  Keimdrüsen  zu,  die  durch  (auf  Nephridien  rückführbare) 
Ausführgänge  entweder  mit  paarigen  oder  unpaaren  Mündungen  nach  außen 
führen.  —  Nur  ganz  wenige  Arthropoden  (wie  z.  B.  die  Cirripedien  oder 
Entenmuscheln,  oder  die  bei  Termiten  parasitierende  Fliegengattung  Termt- 
toxeniay)  sind  Zwitter  oder  Hermaphroditen,  d.  h.  haben  beiderlei  Geschlechts- 
organe in  einem  Individuum  vereinigt.  Alle  übrigen  sind  getrennten  Ge- 
schlechts; allerdings  scheinen  in  einigen  Fällen  die  Männchen  ganz  in  Wegfall 
gekommen  zu  sein,  so  daß  alle  die  betr.  Arten  nur  noch  im  weiblichen  Ge- 
schlecht existieren. 

Die  Fortpflanzung  der  Arthropoden  ist  ausnahmslos  eine  geschlecht- 
liche, geschieht  also  ausschließlich  durch  Keimzellen.  Nicht  selten  kommt 
[edoch  Parthenogenese,  d.  h.  Entwicklung  unbefruchteter  Eier,  vor,  und 
zwar  entweder  rein  oder  in  regelmäßiger  Abwechselung  mit  Gamogonie  (Ent- 
wicklung nach  vorhergegangener  Befruchtung).  Die  Eier  sind  meist  dotter- 
reich und  haben  in  der  Regel  die  Fähigkeit  zur  totalen  Furchung  verloren. 
Es  wird  nur  die  oberflächliche  Schicht  des  Eies  in  Zellen  zerlegt,  während 
der  im  Innern  befindliche  Dotter  lange  Zeit  oder  auch  dauernd  ungefurcht 
bleibt.     Wir  bezeichnen  diese  Art  der  Furchung,  die  sonst  nirgends  mehr  im 

')  Der  Hermaphroditismus  von  Termitoxenia  wird  neuerdings  (von  Bugnion) 
bestritten. 


8  Kapitel  I.     Stellung  der  Insekten  im  System. 

Tierreich  vorkommt,  als  superficielle.  —  Aus  dem  ursprünglich  gleich- 
artigen Blastoderm  —  wie  jene  oberflächlich  gelegene  Zellschicht  benannt 
wird  —  sondert  sich  als  erste  Anlage  des  Embryos  der  deutlich  segmentierte 
„Keimstreif"  ab,  welcher  der  Bauchseite  des  jungen  Tieres  mit  dem 
Nerv^ensystem  und  den  Extremitätenpaaren  entspricht.  Die  Ausbildung  des 
Rückens  vollzieht  sich  erst  viel  später,  und  zwar  meist  erst  ganz  am  Ende 
der  Embryonalentvvicklung.i) 

Nur  wenige  Arthropoden  verlassen  das  Ei  in  der  dem  erwachsenen  Tiere 
eigentümlichen  Form;  die  meisten  durchlaufen  vielmehr  im  Anschluß  an  die 
Embryonalentwicklung  noch  eine  Reihe  unter  mehr  oder  weniger  zahlreichen 
Häutungen  (siehe  oben)  sich  vollziehender  Umgestaltungen,  die  je  nach  Art 
und  Kompliziertheit  als  Ana-,  Epi-  oder  Metamorphose  bezeichnet 
werden.  Das  bekannteste  Beispiel  ist  die  Entwicklung  des  Schmetterlings, 
welcher  vor  seiner  definitiven  Ausbildung  ein  Raupen-  und  Puppenstadium 
durchzumachen  hat  (Metamorphose). 

Die  Klassen  der  Arthropoden. 

Der  Stamm  der  Arthropoden  enthält  vier  natürliche  Gruppen,  Klassen, 
die  unter  dem  Namen  Krebstiere  (oder  Crustacea),  Spinnentiere  (oder 
Arachnoidea  oder  Chelicerata),  Tausendfüße  (oder  Myriapoda)  und 
Insekten  (oder  Hexapoda)  bekannt  sind.  Als  Unterscheidungsmerkmale 
verwendet  man  die  Verschiedenheit  der  Segmentierung,  die  Zahl  und  Aus- 
bildung der  Extremitäten,  die  Beschaffenheit  der  Atmungsorgane,  die  Art 
der  Exkretionsorgane  (Nieren),  das  Vorhandensein  oder  Fehlen  gewisser 
Darmdrüsen  (Leber)  usw.  —  Ziehen  wir  unter  Berücksichtigung  aller  dieser 
Merkmale  Vergleiche  zwischen  jenen  4  Klassen,  so  ergibt  sich,  dass  zwischen 
den  Myriapoden  und  Insekten  eine  weit  größere  Übereinstimmung 
besteht,  als  zwischen  diesen  und  den  Spinnen  oder  Krebsen.  Die  Über- 
einstimmungen bezieht  sich  auf  den  wohlausgebildeten  Kopf  (Cephalon) 
mit  nur  einem  Paar  Fühler  (Antennen),  auf  die  Tracheenatmung,  auf  das 
Fehlen  von  Leberdrüsen  und  auf  das  Vorkommen  von  Malpighischen  Gefäßen 
Man  hat  daher  die  Insekten  und  Tausendfüße  unter  dem  Namen  Ateloce- 
rata  (auch  Antennata,  Eucephalica)  zu  einer  höheren  systematischen  Kategorie, 
einem  Unterstamm  oder  Subphylum,  zusammengefaßt. 

Auch  die  beiden  anderen  Klassen,  die  Krebse  und  Spinnen,  zeigen 
ihrerseits  nähere  Beziehungen  untereinander,  wie  in  dem  Vorkommen  von 
Leberdrüsen  am  Mitteldarm  oder  in  der  Ausbildung  des  vordersten  Körper- 
abschnittes, der  außer  den  eigentlichen  Mundgliedmaßen  (und  event.  Fühlern) 
meist  auch  noch  andere  Extremitäten  trägt  (und  deshalb  auch  als  Cephalo- 
thorax  bezeichnet  wird).  Doch  stehen  hier  den  Übereinstimmungen  so  viele 
wesentliche  Unterschiede  gegenüber,  daß  eine  Vereinigung  der  beiden  besser 
unterbleibt. 


^)  Im  Gegensatz  zu  den  Wirbeltieren,  bei  denen  zuerst  die  Rückenfläche  mit 
dem  dort  befindlichen  Rückenmarke  angelegt  wird,  während  der  Bauch  zuletzt  aus- 
gebildet wird  und  sich  auch  zuletzt  schließt,  wie  die  Stellung  des  Nabels  zeigt. 
Man  kann  sich  diesen  Unterschied  am  besten  an  gekochten  Krebseiern  einerseits 
und  an  jungen,  eben  ausgeschlüpften  Forellen  andererseits  veranschaulichen. 


Die  Klassen  der  Arthropoden. 


Der  Zusammenfassung  der  Spinnen    und  Krebs 
wie    sie    von    Goette    vorgesclilagen    wird,    steht   der 


^t,    besitzt. 

KB 


Fig.    8. 
stück ; 


als  „Cephalothoracica", 
Umstand  entgegen,  daß  die 
Spinnen  nach  den  vergleichend  embryologischen  Untersuchungen  von  Heymons 
gar  keinen  eigentlichen  Cephalothorax,  der  aus  einer  Verschmelzung  des  Kopfes 
mit  Teilen  des  Brustabschnittes  hervorgegangen  ist,  besitzt.  Der  vordere  Körper- 
abschnitt der  Spinnen  enthält  vielmehr, 
trotzdem  er  neben  den  Mundgliedmaßen 
noch  die  4  Beinpaare  trägt,  keine  Ele- 
mente des  Brustabschnitts,  sondern  ist 
ein  reines  Cephalon.  Die  Laufbeine  sind 
also  auch  keine  Brust-,  sondern  Kopf- 
extremitäten und  die  Spinnen  demnach 
richtige  „Kopffüßler".  Der  Körper  der 
Spinnen  zerfällt  also  nicht  in  Cephalo- 
thorax und  Hinterleib  (Abdomen),  sondern 
in  Kopf  (Cephalon)  und  Rumpf.  Nur 
bei  wenigen  Formen  läßt  sich  noch  eine 
Teilung  des  Rumpfes  in  Brust  und  Hinter- 
leib erkennen,  wie  z.  B.  beim  Skorpion, 
dessen  breiter  auf  den  Kopf  folgender 
Rumpfabschnitt  (früher  als  Praeabdomen 
bezeichnet)  dem  Thorax,  und  dessen 
schmaler  hinterer  Teil  (der  sog.  Schwanz) 
mit  dem  Giftstachel  (früher  Postabdomen) 
dem  Abdomen  der  übrigen  Arthropoden 
entspricht.  —  Auch  bei  primitiven  (aus- 
gestorbenen) Formen  und  bei  den  Em- 
bryonen jetzt  lebender  Spinnen  ist  jene 
Teilung  des  Rumpfes  meist  noch  deutlich 
erhalten,  und  besitzt  der  Thorax  auch 
noch  mehr  oder  weniger  vollkommene 
Extremitäten. 

Vielfach  findet  sich  in  den  zoologischen  Lehrbüchern  eine  andere  Gruppierung 
der  obigen  Arthropodenklassen,  welche  in  erster  Linie  die  Beschaffenheit  der 
Atmungsorgane  berücksichtigt  und  dabei  zu  zwei  Hauptgruppen  gelangt:  die  Kiemen- 
atmer  (oder  Branchiaten)  und  die  Tracheenatmer  (oder  Tracheaten).  Die  ersteren 
entsprechen  in  der  Hauptsache  den  Krebsen,  die  letzteren  den  Spinnen  -|-  Tausend- 
füßen -|-  Insekten.  Nachdem  aber  nachgewiesen  ist,  daß  die  Tracheen  der  Spinnen 
keineswegs  den  Insektentracheen  homolog  sind,  sondern 
vielmehr  von  den  Kiemen  der  Krebse  abzuleiten  sind, 
hat  diese  Gruppierung  die  Berechtigung  verloren. 

Wir  teilen  also  den  Stamm  der  Arthropoden 
am  besten  in  drei  Unterstämme  oder  Subphyla 
ein,  nämlich:  1.  die  Teleiocerata  (oder  Crusta- 
cea,  Branchiata,  Krebstiere);  2.  die  Chelicerata 
(Arachnoidea,  Spinnentiere);  3.  die  Atelocerata 
(Eucephalica,  Eutracheata).  Sehen  wir  von  ein- 
zelnen ganz  aborranten  Formen  ab,  so  können 
folgendermaßen  charakterisieren : 

Teleiocerata  (Krebstiere).  Kopf  mit  2  Fühlerpaaren  und 
3  Paaren  Mundwerkzeugen  (Mandibeln  und  zwei  Maxillenpaaren), 
meist  mit  der  Brust  (Fig.  6)  oder  wenigstens  Teilen  der  Brust 
(Fig.  8)  verwachsen  (Cephalothorax).     Atmung  durch  die  Haut  oder 


Flohkrebs.  Gammanis  KB  Kopfbrust- 
!  die  7  freien  Brustringe;  H  Hinterleib; 
NA  sitzendes  Netzauge;  FI  vorderer  Fühler  (erstes 
Gliedmaßenpaar):  FII  hinterer  Fühler  (zweites 
Gliedmaßenpaarj.  Die  3  folgenden  Gliedmaßen- 
paare, die  Kiefer,  sind  nur  angedeutet;  6  Kiefer- 
fuß (6.  Gliedmaßenpaar,  das  letzte  des  Kopfbrust- 
stückes i;  7 — 13  die  7  Fußpaare  der  freien  Brust- 
ringe; 14—16  Schwimmfüße  des  Hinterleibes 
(14.— 16.  Gliedmaßenpaar):  17—19  Springfüße  des 
Hinterleibes  (17.-19.  Gliedmaßenpaar). 
5/i  n.  Gr.  —  (N.) 


Fig.  9.    Kreuzspinne,  Epe 

diadevial  L,  —   (N.) 


diese    drei    Gruppen 


10 


Kapitel  I.     Stellung  der  Insekten  im  System. 


durch  Kiemen.     Mitteldarm  mit  „Leber".     Exkretionsorgane  (Niere) 
kopfständig,  nephridienartig  (Antennen-  und  Maxillendrüse). 

Chelicerata  (Spinnentiere).  Kopf  ohne  eigentliche  rücken- 
ständige Fühler,  mit  6  Extremitätenpaaren,  von  denen  die  ersten 
beiden  (Cheliceren  und  Pedipalpen)  als  Mundgliedmaßen  und  die 
folgenden  4  als  lokomotorische  Extremitäten  (Laufbeine)  dienen. 
Rumpf  gewöhnlich  einheitlich,  nur  selten  in  Thorax  und  Abdomen 
geschieden.  Atmung  durch  Tracheenlungen  oder  Tracheen.  Mittel- 
darm meist  mit  leberartigen  Drüsen.  Exkretionsorgane  meist  in 
den  Mitteldarm,  zuweilen  auch  an  den  Coxen  direkt  nach  außen 
mündend  („Coxaldrüsen"). 

Zu  den  Spinnentieren  werden  vielfach  auch  die  sog.  Bärtierchen  oder 
Tardigraden  gestellt.  Es  sind  dies  mikroskopisch  kleine,  im  Wasser  oder  feuchten 
Moos  lebende  Tiere,  welche  an  einem  unsegmentierten  Körper  4  Paar  mit  „Krallen" 
bewaffnete  Extremitätenstummel   besitzen.     Nachdem   aber  die  „Krallen",    die  so 


7     a     9    10 

Fig.  10.     Ein  Tausendfuß,  ScoJopendra  morsitans  L. 
K  Kopf;  F{i)  Fühler;  5—26  Extremitäten  des  Rumpfes.  —  (N.) 


ziemlich  das  einzige  Arthropodenmerkmal  darstellen,  als  eine  Gruppe 
von  Borsten  sich  erwiesen  haben,  die  viel  Ähnlichkeit  mit  den  Borsten  der 
Annelliden-Parapodien  haben,  sind  die  Tardigraden  aus  dem  Stamm  der  Arthropoden 
zu  entfernen  und  den  Annelliden  anzugliedern. 

Atelocerata  (Insekten-  und  Tausendfülse).  Kopf  mit  einem 
Paar  Fühler  (nur  ganz  selten  fehlend:  Protura  und  verschiedene 
Larven)  und  3  Paaren  Mundgliedmaßen  (Mandibeln  und  zwei 
Maxillenpaaren).  Körper  in  2  (Kopf  und  Rumpf)  oder  3  deutliche 
Abschnitte  (Kopf,  Brust  und  Hinterleib)  zerlegt.  Atmung  durch 
Tracheen.  Mitteldarm  ohne  Leber.  Als  Exkretionsorgane  dienen 
Ausstülpungen  des  Hinterdarms  (Malpighische  Gefäße). 

Zu  den  Atelocerata  werden  neben  den  Tausendfüßen  und  Insekten  gewöhnlich 
auch  noch  die  Protracheaten  oder  Onychophoren  angeführt,  die  mit  wenigen 
(5)  Gattungen,  von  denen  Peripattis  am  bekanntesten  ist,  und  ca.  50  Arten  in  weit 
entfernten  Gegenden  (Süd-Afrika,  Westindien,  Neuseeland)  vorkommt.  Diese  An- 
gliederung  an  die  Antennaten  beruht  lediglich  auf  dem  Vorkommen  von 
Tracheen.  Da  aber  gerade  die  Tracheen,  wie  wir  oben  schon  sahen,  ganz  un- 
abhängig voneinander  auf  verschiedenem  Wege  sich  bilden  können,  so  ist  dieses 
Merkmal  allein  jedenfalls  nicht  genügend,  eine  so  abweichende  Tiergruppe,  die  in 
ihrer  inneren  wie  äußeren  Organisation  (ohne  Hautskelett  und  ohne  deutliche  äußere 
Gliederung,  mit  Hautmuskelschlauch,  mit  undeutlich  gegliederten  Stummelfüßen,  mit 
Segmentalorganen  und  mit  größtenteils  glatter  Muskulatur)  noch  weit  mehr  Annelliden- 
als  Arthropodencharaktere  zeigt,  in  eine  so  scharf  umschriebene  und  spezialisierte 
Gruppe,  wie  die  Atelocei-aten,  einzureihen.  Wenn  wir  die  Onychophoren  überhaupt 
bei  den  Arthropoden  belassen  wollen,  so  müssen  wir  sie  jedenfalls  als  einen  be- 
sonderen Unterstamm  auffassen. 


Die  Klassen  der  Arthropoden.  —  Literatur.  H 

Die  beiden  Klassen  der  Ateloceraten  lassen  sich,  wie  folgt,  leicht  von- 
einander trennen  i^) 

Myriapoden:  Körper  nur  in  zwei  deutlich  gesonderte  Regionen 
(Kopf  und  Rumpf)  geteilt;  letzterer  meist  mit  zahlreichen  Seg- 
menten, die  fast  sämtlich  mit  gut  gegliederten  Extremitäten  ver- 
sehen sind  (Fig.  10). 

Insekten:  Körper  stets  in  drei  Regionen  gesondert,  Kopf, 
Brust  (Thorax)  und  Hinterleib  (Abdomen).  Thorax  mit  drei  Paaren 
ansehnlicher  Bewegungsextremitäten  (Beine)  und  häufig  auch  am 
2.  und  S.Segment  mit  zwei  dorsalen  Flügelpaaren.  Abdomen  meist 
ohne  ausgebildete  Extremitäten  (Fig.  11). 


Von  den  Krebsen,  Spinnen  und  Tausendfüßen  wird,  soweit  sie 
Interesse  für  den  Forstmann  haben,  am  Schlüsse  des  Werkes  in  einem  be- 
sonderen Anhang  noch  die  Rede  sein.  Wir  wenden  uns  im  folgenden  gleich 
zu  den  Insekten. 

Literatur. 

Berlese,  A.,  Monographia  dei  Myrientomata.     Redia.     Bd.  6.     1910. 

Bütschli,  O.,  Vorlesungen  über  die  vergleichende  Anatomie.  Bd.  I  und  II.  Leip- 
zig 1910  und  1912. 

Claus- Grobben.  Lehrbuch  der  Zoologie.     8.  Aufl.     Marburg  1910. 

Gölte,  Alexander,  Lehrbuch  der  Zoologie.     Leipzig  1902. 

Handlirsch,  A.,  Die  fossilen  Insekten  und  die  Phylogenie  der  recenten  Formen. 
Leipzig  1906—1908. 

Hertwig,  Richard,  Lehrbuch  der  Zoologie.     10.  Aufl.     Jena  1912. 

Hevmons,  R.,  Die  Entwicklungsgeschichte  der  Scolopender.  (Zoologica  Heft  33.) 
-Stuttgart  1901. 

Pocock,  R.  }.,  On  the  Classification  of  the  Tracheate  Arthropoda.  Zool.  Anzeiger, 
XVI.  Jahrg.  1893,  p.  271—275. 

Prell,  H.,  Das  Chiünskelett  von  Eosentomen.     Stuttgart  1913  (Zoologica). 


^)  Der  wahren  Stammverwandtschaft  näher  kommt  wohl  die  Einteilung 
Po  Cooks  nach  der  Lage  der  Geschlechtsöffnungen. 

Unter  Berücksichtigung  späterer  Modifikationen  zerfallen  darnach  die  Atelo- 
ceraten in  zwei  Reihen: 

1.  Die  Progoneaten:  Die  Geschlechtsöffnung  befindet  sich  im  vorderen  Teil  des 
Rumpfes.     Hierher  die  Diplopoden,  Pauropoden,  Symphylen. 

2.  Die  Opisthogoneaten:   Die  Geschlechtsöffnung  befindet   sich  am  Hinterende 
des  Rumpfes.     Hierher  die  Chilopoden  und  Insekten. 


Kapitel  11. 

Die  äußere  Erscheinung  der  Insekten 
(Morphologie). 


Der  Körper  der  Insekten  zerfällt  in  drei  mehr  oder  weniger  deutlich 
voneinander  gesonderte  Abschnitte,  die  als  Kopf  (Cephalon),  Brust  (Thorax) 
und  Hinterleib  (Abdomen)  bezeichnet  werden  (Fig.  11).  Der  Kopf  trägt  ein 
Paar  rückenständiger  Fühler  (Ausnahme  Protura)  und  3  Paar  bauchständiger 
Kiefer,  die  Brust  3  Paar  Beine  und  meist  2  Paar  Flügel,  während  der  Hinter- 
leib im  allgemeinen  gliedmaßenlos  ist. 


Fig.  11.  Männliche  Hornisse,  Vespa  Cräbro  L.    E  Kopf;    B  Brust;  H  Hinterleib  mit  sieben  Segmenten; 
F  Fühler  (erstes  Gliedmaßenpaar);  NA  Seitenauge;  pa  Punktauge;  ObK  Vorderkiefer  (zweites  Glied- 
maßenpaar);  die  2  folgenden  Kieferpaare  sind  in  dieser  Ansicht  nicht  wahrzunehmen;  5,  6,  7  Beine 
(fünftes  bis  siebentes  Gliedmaßenpaar);  Fl\  Vorderflügel;  F12  Hinterflüge],  —  (N.) 

Um  die  Zusammensetzung  des  Insektenkörpers  richtig  zu  beurteilen,  müssen 
wir  auf  die  embryonalen  Anlagen  zurückgreifen;  denn  selbst  bei  den  primitivsten 
Insekten  haben  so  viele  Umbildungen  und  Reduktionen  usw.  stattgefunden,  daß  die 
ursprüngliche  Zusammensetzung  teilweise  stark  verdeckt  wird.  —  Nach  Heymons, 
dem  wir  die  umfassendsten  und  bezüglich  der  Klarheit  geradezu  klassischen  Unter- 
suchungen verdanken,  besteht  der  Insektenkörper  aus  folgenden  Teilstücken:  einem 
vor  der  Mundöffnung  gelegenen  extremitätenlosen  Oralstück  oder  Acron,  einem 
hinter,  der  Afteröffnung  gelegenen,  ebenfalls  extremitätenlosen  Analstück  oder 
Telson  und  19  zwischen  diesen  beiden  gelegenen  homonomen,  mit  je  einem  Paar 
Extremitäten  versehenen  Segmenten  (Fig.  \2  A).  Wir  haben  also  zwei  morphologisch 
verschiedenwertige  Elemente  in  der  Anlage  zu  unterscheiden,  nämlich  einerseits  die 
extremitätenlosen  Kopf-   und  Schwanzstücke,   Acron   und  Telson,   und   andererseits 


Der  Kopt. 


13 


die  dazwischenliegenden  echten  Segmente.  Von  diesen  19  Segmenten  gehen  nun 
nicht  weniger  als  5  in  die  Bildung  des  Kopfes  ein,  3  in  die  Bildung  der  Brust,, 
während  die  restlichen  11  auf  das  Abdomen  entfallen.  —  Die  weitgehendsten  Um- 
bildungen erleiden  die  Kopfsegmente,  indem  sie  teilweise  ihre  ursprüngliche  Lage 
und  Formen  verändern  und  auch  ihre  Extremitäten  teils  gänzlich  verlieren  (2.  Segment),, 
teils  stark  umbilden  (1.  und  3. — 5.  Segment).  Die  ersten  zwei  Segmente,  das  An- 
tennal-  und  Intercalarsegment  (und  damit  auch  die  Extremitäten  des  1.  Segments, 
die  Fühler  oder  Antennen)  rücken  über  die  Mvindöffnung,  so  daß  also  nur  noch  drei 
Segmente,  das  Mandibelsegment  und  die  beiden  Maxillensegmente,  hinter  der  Mund- 
öffnung verbleiben  (Fig.  12 B).  —  Die  Brust  läßt  ihre  Zu.sammensetzung  aus  3  Seg- 


JnA. 


d  B 

Fig.  12.  Schematische  Darstellung  der  embryonalen  Segmentierimg.  A  junges,  B  älteres  Stadium. 
Zwischen  Acron  und  Telson  liegen  19  Segmente,  von  denen  die  ersten  5  in  die  Bildung  des  Kopfes^ 
die  folgenden  3  die  Bildung  der  Brust  und  die  letzten  11  in  die  Bildung  des  Abdomens  eingehen. 
Beim  jüngeren  Stadium  zeigen  die  Abdominalsegmeute  noch  die  rudimentären  Beinanlagen.  M  Mund; 
A  und«  After  (ist  in  Fig.  .B  unter  der  mittleren  Lam.  anal,  liegend,  also  endständig  zu  denken);  Nerv 
Anlage  des  Nervensystems;  Ant.  Fühler;  J,— 3  Kiefer  1—3;  ^1—3  Beine  1—3;  b^—^o  rudimentäre  Bein- 
anlagen der  Abdominalsegmente;  Cerc.  Cerci. 

menten  bei  allen  Insekten,  auch  beim  erwachsenen  Tiere,  der  sog.  Imago,  noch 
deutlich  erkennen,  sowohl  an  dem  Vorhandensein  der  3  Beinpaare,  als  auch  an  den 
Segmentgrenzen.  —  Die  Abdominalsegmente  bleiben  meist  deutlich  gegeneinander 
abgegrenzt,  verlieren  aber  größtenteils  ihre  Extremitäten,  nur  das  11.  Segment  be- 
hält bei  einer  Anzahl  Insekten  seine  Extremitäten  in  Form  von  langen  fühlerähnlichen 
Anhängen  (Cerci)  bei.  Bei  den  meisten  Insekten  sind  jedoch  auch  diese  verloren, 
wie  überhaupt  die  Zahl  der  Segmente  mehr  oder  weniger  reduziert  wird. 

1.  Der  Kopf. 
A.  Die  Kopfkapsel. 

Der  vorderste  Abschnitt  der  Insekten,  der  Kopf,  stellt  eine  starre,  meist 
sehr  kräftig  chitinisierte  Kapsel  dar,   welche  gewöhnlich  zwei  Öffnungen  be- 


14 


Kapitel  II.     Die  äußere  Erscheinung  der  Insekten  (Morphologie). 


sitzt:  die  ventral  gelegene  Mundöffnung  und  das  auf  der  Hinterseite  befind- 
liche Hinterhauptsloch,  durch  welches  die  Speiseröhre,  das  Nerven- 
system usw.  in  den  folgenden  Brustabschnitt  übertritt. 

Die  Trennung  des  Hinterhauptsloches  von  der  Mundöffnung  wird  durch  eine 
Kehlplatte  (Gula)  und  Teile  der  Unterlippe  bewirkt.  Bei  niederen  Insekten  bleibt 
die  Gula  frei  oder  verschmilzt  mit  der  Unterlippe,  bei  höheren  bildet  sie  durch 
Vereinigung  mit  den  Seitenteilen  des  Kopfes  eine  Brücke  zwischen  denselben. 
(Prell.) 


Arvb. 


Kojtf 


A. 


L^     21. 


Ard. 


Fig.  13.  Schematische  Darstellung  der  Segmentierung  und  Regionenbildung.  A  die  drei  Regionen 
noch  nicht  voneinander  gesondert;  B  Kopf,  Brust  und  Abdomen  deutlich  geschieden.  Kopf  aus  Acron 
und  5  Segmenten  sich  zusammensetzend.  1  Acron-,  2  Antennal-,  3  Intercalar-,  4—6  Kiefersegmente; 
Ant.  Fühler;  Br  Brust;  AM.  Abdomen;  !•  Oberlippe;  M  Mund;  Ä,_3  Kiefer  1—3;  B^  ^  Brustbeine  1—3. 
Nach  B erlese,  etwas  vei'ändert. 


Der  Kopf  ist  der  Träger  der  wichtigsten  Sinnesorgane  (Geruch,  Ge- 
sicht, Tast  und  Geschmack)  und  der  der  Nahrungsaufnahme  dienenden  Mund- 
werkzeuge.  Letztere  sind  es  vor  allem,  welche  die  Konfiguration  des 
Kopfes  bestimmen.  Das  notwendige  enge  Zusammenrücken  der  drei  Kiefer- 
paare bedingt  natürlich  auch  einen  ebenso  engen  Anschlnß  der  betr.  Seg- 
mente (Fig.  13),  und  die  Muskulatur  für  die  Kiefer  verlangt  kräftige  Ansatz- 
punkte, was  zu  einer  Verschmelzung  der  Segmente  und  kräftigen  Chitini- 
sierung  führt.  So  können  wir  überall  deutliche  Beziehungen  zwischen  der 
Ausbildung  der  Mundgliedmaßen  und  der  Größe  und  Festigkeit  der 
Kopfkapsel  feststellen:  Je  stärker  die  Mundgliedmaßen  ausgebildet  und  je 
höhere  Anforderungen  an  ihre  Kraft  gestellt  werden,  desto  größer  und  härter 
ist  auch  die  Kopfkapsel. 

Es  wäre  also  gänzlich  verfehlt,  aus  der  Größe  des  Kopfes  etwa  auf  die  Höhe 
der  geistigen   Fähigkeiten   schließen   zu   wollen.     Ein   sehr  schönes   Beispiel   dafür 


Der  Kopf. 


15 


bieten  die  sog.  Soldaten  der  Ameisen  und  Termiten  dar,  deren  Köpfe  mitunter 
enorme  Dimensionen  erreichen  und  um  ein  Vielfaches  größer  sein  können  als  die 
Köpfe  der  Arbeiter,  obwohl  die  Soldaten  den  Arbeitern  geistig  unterlegen  sind.  Die 
riesigen  Köpfe  sind  lediglich  bedingt  durch  die  überaus  kräftige  Muskulatur,  welche 
für  die  der  Verteidigung  dienenden  starken  Vorderkiefer  notwendig  ist. 

Obwohl  der  Kopf,  wie  gesagt,  eine  einheitliche  starre  Kapsel  darstellt, 
lassen  sich  doch  einige  durch  Nähte  oder  Furchen  usw.  mehr  oder  weniger 
deutlich  begrenzte  Abschnitte  oder  Regionen  unterscheiden.  Betrachten 
wir  z.  B.  die  Vorderseite  des  Kopfes  einer  Küchenschabe  iFig.  14),  so  sehen 
wir  zu  oberst  eine  mediane  Längsnaht,  die  sich  nach  kurzem  Verlaufe  gabelt. 
Dazu  kommen  weiter  unten  (ventralwärts)  noch  2  weitere,  kürzere  Quernähte. 
Den   dorsal  gelegenen,    durch  die  Längsnaht  in  2  Hälften  geteilten  Abschnitt 


AnL 


Mxt 


ABC 

Fig.  14.  Regionen  der  Kopfkapsel.  X  Kopf  von  Periplaneta  (Küchenschabe)  von  vorn  gesehen; 
B  derselbe  von  der  Seite  gesehen;  C  Kopf  einer  Schmetterlingsraupe.  F  Vertex  (Scheitel);  Fr  Frons 
(Stirne);  Cl  Clypeus;  WWange;  ä  Hinterhaupt;  06  Oberlippe;  Mä  Mandibel;  l/xMaxille;  JWir#  Maxillar- 
taster;  £.e  Lobus  exterior;  FZ  Unterlippe;  T?^  Uuterlippentaster;  Oc  Ocelleu;  AhJ  Fühler.   NachBerlese. 


bezeichnen  wir  als  Scheitel  (Vertex);  die  darauf  folgende  Region,  die 
einerseits  durch  die  Gabelnaht,  andererseits  durch  die  vor  den  Fühlern  gelegene 
Quernaht  begrenzt  ist,  stellt  die  Stirne  (Frons)  dar.  Der  durch  die  letztere  Naht 
von  der  Stirne  abgegrenzte  Teil  wird  als  Kopfschild  (Clypeus)  bezeichnet, 
auf  welchen  endlich  die  durch  eine  weitere  Quernaht  abgetrennte  und 
meist  mit  dem  Clypeus  gelenkig  verbundene  Oberlippe  (Labrum)  folgt,  die 
dicht  über  der  Mundöffnung  gelegen  ist,  und  deren  Unterseite  gelegentlich 
besonders  ausgebildet  ist  und  dann  als  Epipharynx  bezeichnet  wird.  —  An 
der  Hinter  Seite  des  Kopfes  unterscheiden  wir  eine  über  (dorsal)  dem 
Hinterhauptsloch  gelegene  Region,  das  Hinterhaupt  (Occiputi,  und  eine 
ventral  davon  gelegene,  die  Kehle  (Gula),  welche  das  Hinterhauptsloch  von 
der  Mundöffnung  trennt  (häufig  stark  reduziert).  —  Die  seitlichen  Partien 
des  Kopfes  endlich,  welche  von  der  Stirne,  den  Augen,  dem  Scheitel,  Hinter- 
haupt, der  Kehlplatte  und  der  Basis  der  Vorderkiefer  begrenzt  werden,  benennt 
man  als  Wangen  (Genae  und  Postgenae). 

Manche  Autoren  gehen  in  der  Regioneneinteilung  noch  welter  und  unter- 
scheiden eine  Vorder-  und  Hinterstirn  (Prae-  und  Postfrons),  ferner  einen  Ante-  und 
Postclypeus   und   ein   Ante-   und   Postlabrum.  —  Übrigens   ist   die   Begrenzung   der 


16 


Kapitel  II.     Die  äußere  Erscheinung  der  Insekten  (Morphologie). 


Regionen  keineswegs  überall  so  klar  wie  im  obigen  Beispiel,  sondern  im  Gegenteil 
meist  undeutlicher,  so  daß  es  oft  schwer  fällt,  die  Regionen  richtig  zu  deuten.  Es 
liegt  dies  gewöhnlich  daran,  daß  die  Nähte  mehr  oder  weniger  verschwinden,  oder 
daß  einzelne  Regionen  besonders  ansehnlich  ausgebildet  und  dadurch  andere  >tark 
reduziert  sind,  oder  aber  daß  besondere  Bildungen  (Hörner,  Zacken  usw.)  auf- 
treten, welche  die  Grenzen  verdecken  oder  verschieben. 

Was  die  Beteiligung  der  verschiedenen  Segmente 
A  an  der  Bildung  der  Kopfregionen   betrifft,   so   lehrt   die 

Embryologie,  daß  das  Acron  und  die  ersten  3  Segmente 
an  dem  Aufbau  der  Stirne  nebst  Clypeus  und  Labrum 
beteiligt  sind,  während  der  Scheitel,  das  Occiput  und 
die  Wangen  von  den  Seiten-  und  Rückenteilen  der 
Segmente  4 — 6  gebildet  werden.^)  In  welcher  Weise 
dies  geschieht,  dürfte  am  besten  aus  den  schematischen 
Figuren  13  A  u.  B  hervorgehen. 

An  der  Bildung  der  Kopfkapsel  nehmen  auch 
die  Augen  teil,  und  zwar  mitunter  in  hervorragen- 
dem Maße.  Wir  unterscheiden  Seitenaugen,  die 
zu  beiden  Seiten  der  Stirne  (zwischen  Stirne, 
Scheitel  und  Wange  [siehe  Fig.  15]),  und  Stirn- 
augen, die  in  verschiedener  Zahl  (1 — 3)  zwischen  den 
Seitenaugen  auf  der  Stirne  gelegen  sind.  Die  letzteren  sind  meist  klein  und 
erlangen  nur  ganz  selten  eine  nennenswerte  Größe;  die  ersteren  dagegen 
können  eine  solche  Ausdehnung  erreichen,  daß  der  größte  Teil  der  Kopfkapsel 
von  ihnen  eingenommen  wird  (einige  Dipteren,  Libellen  usw.),  während  die 
übrigen  Regionen  (Stirne,  Scheitel  usw.)  stark  reduziert  sind.  —  Näheres  über 


Fig.   15.     Kopf  einer  Schlupf 
wespe.    '/i  n.  Gr.    a  die  3  Punkt- 
äugen;  hb  die  paarigen  Seiten- 
augen; cc  die  Fiibler.  ~  (N.1 


Fig.  16.    Beispiele  für  die  verschiedene  Kopf  Stellung.    A  hypognather  Typus  ( Feldheuschrecke  i 
B  prognather  Typus  (Laufkäfer.  Cychrus  spec). 


die  Formenmannigfaltigkeit  der  Augen  wird  unten  bei  Besprechung  der  Sinnes- 
organe noch  vorgebracht  werden. 

Was  die  Stellung  des  Kopfes  gegen  den  folgenden  Körperabschnitt, 
den  Thorax,  betrifft,  so  kommen  zwei  verschiedene  Typen  vor:  entweder 
steht  der  Kopf  so,  daß  die  Mundteile  nach  unten,  d.  h.  ventralwärts  (und  also 
die  Stirne  nach  vorne),  oder  aber  so,  daß  die  Mundteile  nach  vorne  (und  die 
Stirne  nach  oben)  gerichtet  sind.  Ersterer  Typus,  der  als  hypognath 
(Fig.  16  A)  bezeichnet  wird,  stellt,  wie  aus  obigen  embryologischen  Andeutungen 
hervorgeht,  den  ursprünglichen  Zustand  vor,   letzterer,  der  sog.  prognathe. 


^)  Nach  Riley,  dem  sich  neuerdings  auch  Prell  anschheßt,  werden  von  den 
Kiefersegmenten  (4 — 6)  nur  das  Occiput  und  die  Postgenae  gebildet,  während  der 
Scheitel  und  die  Wangen  (Vertex  und  Genae)  dem  Acron  ihre  Entstehung  verdanken. 


Der  Kopf. 


17 


den  abgeleiteten.  —  Auch  die  Verbindung  des  Kopfes  mit  dem  Brust- 
abschnitt kann  eine  verschiedene  sein,  indem  der  Kopf  entweder  mit  seiner 
ganzen  hinteren  Breite  dem  Thorax  aufsitzt  oder  nur  durch  einen  dünnen 
Hals  mit  ihm  zusammenhängt.  Im  ersten  Fall  ist  der  Kopf  oft  mehr  oder 
weniger  tief  in  den  ersten  Brustring  eingesenkt,  mitunter  so  weit,  daß  er  bei 
der  Ansicht  von  oben  völlig  von  diesem  verdeckt  wird  (Borkenkäfer,  Fig.  17). 


Fig.  17.    Zwei    extreme   Formen   der   Verbindung   des   Kopfes   mit   der    Brust.     Bei  A  (Blattwickler, 

Apoderus  coryli)  ist  der  Kopf  vollkommen  frei,  hängt  nur  mit  einem  dünnen  Hals  mit  der  Vorderbrust 

zusammen;  bei  B  (Borkenkäfer)  ist  der  Kopf  in  den  ersten  Brustring  (Halsschild)  eingesenkt,  so  daß 

er  von  oben  überhaupt  nicht  zu  sehen  ist.    Aus  Oudemans. 

Im  Innern  der  Kopfkapsel  ist  bei  den  meisten  Insekten  ein  gut  ausgebildetes 
Entoskelett,  das  sog.  Tentorium,  vorhanden.  Dasselbe  stellt  ein  Stützgerüst 
dar,  von  dessen  mittlerer  Platte  je  ein  Paar  Arme  nach  vorn,  hinten  und  oben  sich 
erstrecken.  Die  Platte  liegt  zwischen  dem  Ober-  und  Unterschlundganglion,  unter 
dem  Oesophagus,  welch  letzterer  zwischen  den  Armen  hindurchzieht. 


B.  Die  Anhänge  (Extremitäten)  des  Kopfes. 

Trotz  seiner  Zusammensetzung  aus  Acron  und  5  Segmenten  besitzt  der 
Kopf  nur  4  Gliedmaßenpaare,  von  denen  das  vorderste,  die  Fühler  oder 
Antennen,  als  Sinnesorgan  dient,  während  die  3  folgenden  zur  Ergreifung 
und  Aneignung  der  Nahrung  eingerichtet  sind  und  daher  als  Mundglied- 
maßen bezeichnet  werden. 

Die  Fühler. 

Die  Fühler  oder  Antennen  sind  stets  nur  in  einem  Paar  vorhanden 
und  stellen  die  vordersten,  vor  der  Mundöffnung  gelegenen  Gliedmaßen  dar; 
sie  sind  stets  gegliedert  und  mit  der  Kopfkapsel  gelenkig  verbunden.  Die 
Stelle  der  Insertion  kann  sehr  verschieden  gelegen  sein:  entweder  vor 
den  Augen  (zwischen  diesen  und  der  Basis  der  Vorderkiefer),  oder  an  der 
Innenseite  der  Augen  (mehr  oder  weniger  der  Stirnmitte  genähert),  oder  aber 
an  der  Außenseite,  oder  endlich  auch  (allerdings  selten,  z.  B.  Flöhe)  an  der 
Hinterseite  der  Augen. 

Bezüglich  der  Gliederung   herrscht   eine  schier  unermeßliche  Mannig- 
faltigkeit,   sowohl  was  die   Zahl  der   Glieder   als  die  Form  derselben   betrifft. 
Wir  kennen  einerseits  Fühler  mit  nur  2  oder  3  Gliedern,  andererseits  solche 
Escherich,  Forstinsekten.  2 


18 


Kapitel  II.     Die  äußere  Ersclieinung  der  Insekten  (Morphologie). 


mit  40  und  mehr.^)  —  Die  Glieder  können  entweder  alle  annähernd  einander 
gleich  gebaut  sein,  oder  aber  es  können  einzelne  Glieder  oder  ganze  Glieder- 
gruppen bedeutende  Formabweichungen  von  den  übrigen  zeigen;  im  ersteren 
Fall  spricht  man  von  „gleichartigen"  (antennae  aequales),  im  zweiten  von 
„ungleichartigen  Fühlern"  (antennae  inaequales). 


A  B  C  D  E  F  G 

Fig.  18.    Gleichartige  tühler.    A  borstenförmig  (Laubheuschrecke);  S  fadenförmig  (Laufkäfer);  Cperl- 

schnurförmig;  -D  gesägt  (Schwärmer);  E  gekämmt  (Schnellkäfer);  F  doppelt  gekämmt  (Kammmückej; 

G  -wirtelförmig  behaart  (Stechmückenmännchen).  —  (N.) 

Unter  den  gleichartigen  Fühlern  kann  man  wieder,  je  nach  der 
Gestaltung  der  einzelnen  Glieder,  verschiedene  Formen  unterscheiden,  wie: 
borstenförmige,  fadenförmige,  perlschnurförmige,  gesägte,  einfach 
und  doppelt  gekämmte  und  gefiederte  (Fig.  18). 


Fig.  19.  Ungleichartige  Fühler.  A  gekeult  (Kohlweißling);  B  mit  nackter  Fühlerborste;  C  mit  be- 
haarter Fühlerborste  (Fliegen);  D  gebrochener  Fühler  mit  Schaft  und  einfacher  Geißel  (Hornisse,; 
E  gebrochener  Fühler,  Geißel  mit  viergliedriger,  gekämmter  Keule  (Hirschkäfer);  F  gebrochener 
Fühler,  Geißel  mit  einfacher  Keule  (Borkenkäfer);  G  gebrochener  Fühler  mit  geblätterter  Keule  (Mai- 
käfermännchen). —  (N.) 


Bei  den  „ungleichartigen  Fühlern"  handelt  es  sich  meistens  um 
eine  Veränderung  der  Endglieder,  die  gewöhnlich  in  größerer  oder  geringerer 
Ausdehnung  verdickt  sind,  einen  Knopf  oder  eine  Keule  bildend  (Fig.  19). 
Wir  sprechen  dann  von  geknöpften  oder  gekeulten  Fühlern  (und  zwar 
einfacher,   gekämmter  oder  geblätterter  Keule).     Andererseits  können 

^)  Bei  manchen  Insekten  (den  Proturen  und  den  99  der  Stylopiden)  und 
zahlreichen  Larven  sind  die  Fühler  vollkommen  rückgebildet. 


Der  Kopf. 


19 


die  Endglieder  aber  auch  stark  reduziert  und  verdünnt  sein,  wie  z.  B.  bei 
vielen  Fliegen,  bei  denen  die  letzten  Glieder  verschmolzen  und  zu  einer 
Borste  („Endborste")  rückgebildet  sind,  die  höchstens  noch  an  der  Ringelung 
die  Zusammensetzung  aus  Gliedern  erkennen  läßt.  —  Außerdem  kann  die 
Ungleichartigkeit  auch  auf  der  starken  Verlängerung  (und  event.  Verdickung) 
des  1.  Gliedes  beruhen,  wodurch  der  Fühler  gewissermaßen  in  zwei  Teile 
zerlegt  wird:  den  durch  das  lange  erste  Glied  gebildeten  „Schaft"  (scapus) 
und  die  aus  den  übrigen  Gliedern  bestehende  „Geißel"  (flagellum).  Ist  die 
Geißel  winkelig  gegen  den  Schaft  eingelenkt,  so  bezeichnet  man  den  Fühler 
als  „gebrochen"  oder  „gekniet",  eine  Eigenschaft,  die  häufig  (z.  B.  Borken- 
käfer) mit  einer  Keulenbildung  kombiniert 
ist  (Fig.  19,  E  u.  F).  Endlich  kommen 
auch  noch  gänzlich  „unregelmäßige" 
Fühler  vor,  die  auf  Verwachsungen,  Fort- 
satzbildungen, Knickungen  usw.  beruhen 
und  auf  spezielle,  oft  mit  Funktions- 
wechsel verbundenen  Anpassungen  an 
eine  ganz  besondere  Lebensweise  zurück- 
zuführen sind. 

Zwischen  den  gleichartigen  und  un- 
gleichartigen Fühlern  kommen  auch  Über- 
gänge vor,  so  daß  es  schwierig  ist,  sie  einem 
der  beiden  Typen  zuzuteilen.  Streng  ge- 
nommen existieren  „gleichartige"  Fühler 
überhaupt  nicht,  da  das  1.  Glied  bei  allen 
Fühlern  in  einem  gewissen  Gegensatz  zu 
den  übrigen  Gliedern  steht,  sowohl  funk- 
tionell als  morphologisch  (durch  seine  Größe, 
Struktur  usw.),  und  man  daher  bei  allen 
Fühlern  gewissermaßen  von  einer  Zwei- 
teilung in  Schaft  und  Geißel  reden  könnte. 
Vom  praktischen  Standpunkte  aus  ist  jedoch 
die  oben  vorgeschlagene  Einteilung  trotz- 
dem wohl  gerechtfertigt  und  in  den  weitaus 
meisten  Fällen  auch  gut  durchzuführen. 


Fig.  20  A.  Kauende  Mundgliedmaßen  einer 
Feldgrille  (Gryllus  campestris)  in  situ,  von  hinten 
gesehen.  Hl  Hinlerhauptsloch;  Ant  Fühler; 
Md  Mandibel;  Mxt  Maxillartaster;  Le  Lohns 
externus  (äußere  Lade);  ii  L.  internus  (iiinere 
Lade) ;  Oh  Oberlippe ;  UH  Unterlippen-  (=  Labial) 
taster;  Z  Zunge  (Glossa):  Kz  Nebenzunge 
(Paraglossa). 


Die  Mundgliedmaßen. 
Die  Mundgliedmaßen  dienen  in  der  Hauptsache  zur  Ergreifung  und  An- 
eignung der  Nahrung  und  sind  deshalb  um  die  Mundöffnung  herum  gruppiert. 
Entsprechend  der  ungeheuren  Mannigfaltigkeit  der  Nahrung  der  Insekten 
und  der  Art  des  Nahrungserwerbes  treten  uns  auch  die  Mundgliedmaßen  in 
großer  Verschiedengestaltigkeit  entgegen.  Je  nachdem  die  Nahrung  fest  oder 
flüssig  ist,  sind  die  Mundwerkzeuge  zum  Kauen  oder  zum  Lecken  oder 
Saugen  eingerichtet.  So  sehr  nun  auch  dadurch  der  Bau  jener  Organe  be- 
einflußt wird  und  so  grundverschieden  auch  die  kauenden  und  saugenden 
MundwerRzeuge  erscheinen  (man  denke  an  die  Kiefer  eines  Käfers  oder  den 
Rüssel  eines  Schmetterlings!),  so  lassen  sich  doch,  wie  die  vergleichende 
Morphologie  und  Embryologie  lehrte,  die  einzelnen  Formen  voneinander  ab- 
leiten ;  d.  h.  alle  entstehen  aus  den  drei  am  3.,  4.  und  5.  embryonalen  Kopf- 

2* 


20 


Kapitel  IL     Die  äußere  Erscheinung  der  Insekten  (Morphologie). 


Segment     auftretenden     Extremitätenpaaren     (oder     wenigstens     aus     Teilen 
derselben). 

Dem  ursprünglichen  Zustand  am  nächsten  stehen  die  kauenden  oder 
beißenden  Mundwerkzeuge.  Bei  ihnen  lassen  sich  die  drei  Extremitätenpaare 
unschwer  erkennen  (Fig.  20 A  u.  20 B):  das  vorderste  stellt  die  Vorderkiefer 
(auch  Oberkiefer  oder  Mandibeln)  dar,  das  darauffolgende  die  Mittelkiefer 
(auch  Unterkiefer  oder  Maxillen)  und  das  dritte  Paar  die  Hinterkiefer 
(auch  Unterlippe  oder  Labium). 

Die  Vorderkiefer  oder  Mandibeln  stellen  einfache,  ungegliederte, 
meist  äußerst  stark  chitinisierte  Gebilde  dar,  die,  direkt  hinter  der  Oberlippe 

gelegen,  mit  der  Kopfkapsel  gelenkig 
(Scharniergelenk)  verbunden  sind  und 
mit  Hilfe  einer  kräftigen  Muskulatur 
gegeneinander  bewegt  werden  können. 
Am  Innenrand  befinden  sich  meist 
mehrere  Zähne,  von  denen  häufig  der 
basal  gelegene  eine  besondere  Größe 
und  Bedeutung  als  „Mahlzahn"  erreicht. 

Die  Form  der  Mandibeln  ist  sehr 
wechselnd,  je  nach  der  Verwendung.  Bei 
Raubinsekten  (z.  B.  Laufkäfer)  sind  sie  meist 
lang,  spitz  und  mit  ebensolchen  Zähnen 
besetzt  und  greifen  mit  ihren  Enden  über- 
einander (siehe  Fig.  28),  bei  Pflanzenfressern 
(z.  B.  Maikäfer)  dagegen  breit  und  kurz  usw. 
Bei  manchen  Larven  {Dyttscus,  Lampyris 
usw.)  sind  die  Mandibeln  zum  Saugen  ein- 
gerichtet, indem  sie  mit  einem  feinen  Kanal 
versehen  sind.  —  Die  Mandibeln  dienen 
aber  auch  noch  anderen  Zwecken  als  dem 
Nahrungserwerb,  wie  dem  Wohnungsbau 
(Bienen,  Wespen,  Ameisen  und  Termiten), 
der  Verteidigung  (Ameisen  und  Termiten- 
soldaten) usw.,  was  natürlich  auch  wieder 
zu  besonderen  Formbildungen  führte.  — 
Welch  enorme  Kraft  die  Oberkiefer  besitzen 
können,  zeigen  die  Borkenkäfer,  die  das 
härteste  Holz  durchnagen,  oder  gewisse 
Laufkäfer,  die  starke  Schneckenschalen  zer- 
brechen, oder  die  Holzwespen,  die  sich 
sogar  durch  dicke  Bleiplatten  fressen  können. 

Die  Mittelkiefer  (auch  Unterkiefer  oder  Maxillen),  zu  beiden  Seiten 
der  Mundöffnung  gelegen,  sind  weit  weniger  kräftig  als  die  Mandibeln  aus- 
gebildet, andererseits  aber  viel  komplizierter  gebaut,  indem  sie  aus  einer  An- 
zahl mehr  oder  weniger  gegeneinander  beweglichen  Glieder  zusammengesetzt 
sind.  Wir  unterscheiden  zunächst  Stammglieder  und  Endglieder;  die 
ersteren  zerfallen  wieder  in  die  Angel  (oder  Cardo)  und  den  Stamm  (oder 
Stipes),  die  letzteren  in  die  Taster  (Palpus)  und  die  beiden  Laden 
(Lobus  internus  und  externus).     Am  Stamm  kann  sich  noch  ein  weiteres 


Fig.  20  B.  Kauende  Mundgliedmaßen  der 
Küchenschabe  (Periplaneta  Orientalis),  zerlegt, 
ir  Labrum  (Oberlippe) ;  md  Mandibeln;  c  Cardo ; 
si  Stipes;  le  und  li  Lobus  externus  und  inter- 
nus; pm  Maxillarpalpus ;  sm  Submentum;  m 
Mentum;  gl  Glossen  (Zunge);  pg  Paraglossen 
(Nebenzungen);  pl  Labialpalpus  (Unterlippen- 
taster).   Aus  Hertwig. 


Der  Kopf. 


21 


Fig.  21.  Kopf  einer  Libellenlarve  mit  vorgestreckter 
Unterlippe  (^Maske"),  die  zum  Fang  eingerichtet  ist.  Fr 
Stime;  Cl  Clypeus;  Ob  Oberlippe;  Md  Mandibel;  Max 
Maxille;  Sm  Submentum;  Mt  Menttim;  Palp  Unterlippen- 
taster. 


Stück  abgliedern,    welches  den  Palpus  trägt  und  daher  als  Tasterträger  oder 
Palpiger  bezeichnet  wird. 

Bei  den  Mittelkiefern  ist  die  Extremitätennatur  noch  deutlich  erhalten,  und 
wir  finden  auch  an  ihnen  sämtliche  Teile  eines  Laufbeines  wieder.  Die  Stamm- 
glieder entsprechen  der  Coxa  und 
die  Laden  Coxalanhängen,  während 
der  Palpus  allen  auf  die  Coxa 
folgenden  Beingliedern  (wie  Tro- 
chanter,  Schenkel,  Schiene,  Tarsus) 
gleichzusetzen  ist.  —  Die  Funktion 
der  Mittelkiefer  besteht  teils  im 
Zerkleinern  der  Nahrung,  teils  in 
der  Formung  des  Bissens  und  teils 
in  der  Aufsuchung  und  Prüfung 
der  Nahrung  (Taster).  Natürlich 
kommen  auch  hier  —  entsprechend 
der  mannigfaltigen  Nahrung  — 
große  Formverschiedenheiten  vor, 
die  sich  hauptsächlich  auf  die 
Ausgestaltung  der  beiden  Laden 
beziehen. 

Die  Hinterkiefer  (oder  Unterlippe,  Labium)  endlich,  die  hinter 
der  Mundöffnung  gelegen  sind,  stehen  bezüglich  ihrer  Gliederung  den  Mittel- 
kiefern nahe,  unterscheiden 
sich  jedoch  dadurch  wesent- 
lich von  diesen,  daß  sie  in 
der  Regel  zu  einem  unpaaren 
Stück  verwachsen  sind.  Die 
Verwachsung  bezieht  sich  in 
erster  Linie  auf  die  Stamm- 
stücke (d.  h.  die  beiderseitigen 
Cardines  und  Stipites),  die 
zu  2  hintereinander  gelegenen 
unpaaren  Platten,  dem  Sub- 
mentum und  Mentum 
(Kinn),  verschmolzen  sind. 
Sodann  verschmelzen  auch 
die  inneren  Laden  gew^öhnlich 
miteinander  zur  sog.  Zunge 
oder  Glossa,  während  die 
äußeren  (wenn  überhaupt 
vorhanden)  paarig  bleiben 
(Nebenzungen,  Para- 

glossen),    ebenso  die  mehr- 
gliedrigen  Taster  (Lippentaster,  Palpi  labiales). 

Häufig  treten  noch  weitgehendere  Verschmelzungen  und  Reduktionen  ein, 
so  daß  die  Unterlippe  aus  einer  einzigen  ungegliederten  unpaaren  Platte  besteht, 
an  denen  als  einzige  Anhänge  nur  noch  die  Taster  sitzen.  —  Die  Unterlippe  hat 
im  allgemeinen  die  Bedeutung  eines  Hilfsorganes,  welches  dazu 
dient,  „ein  Ausgleiten  der  Nahrungsbrocken,  die  von  den  beiden  Kieferpaaren  ver- 


A 

Fig.  22.  Kopf  und  leckende  Mundteile  einer  Bienenarbeiterin. 
A  von  vorn,  B  von  der  Seite  gesehen.  C  Querschnitt  durch 
die  Zunge.  —  Ant  Fühler:  Aug  Seitenaugen;  Oe  Stirnaugen; 
Fr  Stirn;  Cl  Clypeus;  06  Oberlippe ;  Md  Mandibel ;  Mxt  Maxillar- 
taster;  ilfe- Maxille ;  Ult  Labial- (Unterlippen-) taster;  .2 Zunge; 
iVz  Nebenzungen;  Kf  Mentum;  Sm  Submentum.  (NachZander.) 


22 


Kapitel  II.     Die  äußere  Erscheinung  der  Insekten  (Morphologie) 


arbeitet  werden,  zu  verhindern"  (Hesse).  In  manchen  Fällen  ist  die  Unterlippe 
besonderen  Funktionen  angepaßt  und  dementsprechend  umgebildet.  So  ist  bei  den 
Libellenlarven  Mentum  und  Submentum  stark  verlängert  und  gelenkig  miteinander 
verbunden,  so  daß  die  Unterlippe  wie  ein  Arm  weit  ausgestreckt  werden  kann,  um 
Beute  zu  ergreifen  (Fig,  21). 

Bei  den  Raupen  (und  wohl  noch  bei  vielen  anderen  kauenden  Insekten, 
welche  Stücke  aus  IJlättern  usw.  herausreißen)  dient  die  Unterlippe  (im  \'erein  mit 
der  Oberlippe)  zum  Halten  und  Führen  des  Blattes  während  des  Reißaktes. 
Hierüber  gibt  Jordan  gelegentlich  der  Beschreibung  des  Freßaktes  von  Bombyx 
mori  folgende  treffende  Schilderung:  „Unsere  Raupen  fressen  stets  am  Rande  des 
Blattes,  das  sie  mit  den  vorderen  Beinen  festzuhalten  pflegen.  Der  Kopf  mit  einem 
Teil  des  Vorderkörpers  beschreibt  halbkreisförmige  Bewegungen,  je  einen  regel- 
mäßigen Halbkreis  in  den  Blattrand  fressend.  Schicht  um  Schicht  konzentrisch  ab- 
weidend, dringt  der  Kopf  —  von  oben  nach  unten  fressend,  von  unten  nach  oben 

„leerlaufend"  und  den  Aus- 
gangspunkt wieder  gewin- 
nend —  weiter  und  weiter 
in  das  Blatt  vor.  Die  Man- 
dibeln  schneiden  auch  bei 
diesen  Raupen  nicht  eigent- 
lich; sie  packen  ein  Stück 
Blattrand,  dann  wird  der 
ganze  Kopf  ein  Stückchen 
zurückgezogen  und  dadurch 
das  zwischen  den  Kiefern 
eingeklemmte  Stück  ab- 
gerissen, wie  von  einer 
weidenden  Kuh  das  Gras  ab- 
gerissen wird.  Das  Zurück- 
ziehen des  Kopfes  führte  an 
sich  nicht  zum  Ziele,  der 
Blattrand  würde  jeweils  mit- 
gezogen werden  und  das  ge- 
klemmte Stück  sich  nicht 
ablösen.  Hier  treten  nun 
Oberlippe  und  Unterlippe  in 
Tätigkeit.  Ihre  Bewegungs- 
richtung ist  etwa  senkrecht 
zur  Längsachse  der  Raupe, 
d.  h.  vom  Munde  aus  senk- 
recht nach  unten  (ventral, 
wie  wenn  wir  die  Zunge 
gerade  herausstrecken).  Dabei  erfolgt  jeweilig  solch  ein  Vorstoß  genau  dann, 
wenn  der  Kopf  nach  Mandibelschluß  sich  zurückzieht.  Da  nun  beide  Lippen 
auf  den  Blattrand  sich  aufstützen,  so  drücken  sie  ihn  von  dem  zwischen  den 
Mandibeln  eingeklemmten  Stücke  ab,  es  muß  losgerissen  werden.  Es  ist  schön 
zu  sehen,  mit  welcher  Präzision  dieser  Apparat  arbeitet,  gleich  der  Kolbenstange 
einer  Dampfmaschine  zwischen  zwei  Steuerungsstangen.  LTnd  obwohl  der  Kopf 
mit  den  Mandibeln  Stück  für  Stück  in  Windeseile  aus  dem  Blattrand  zupft,  so  rührt 
sich  das  z.  B.  lose  auf  dem  Tisch  liegende  Blatt  nicht  vom  Flecke  Die  Oberlippe 
ist  mit  einem  Einschnitt  in  der  Mitte  versehen;  in  diesen  Einschnitt  paßt  der  Blatt- 
rand. Ähnliches  finden  wir  bei  der  Unterlippe.  Der  Blattrand  stützt  sich  auf  die 
Zunge,  während  die  beiden  Maxillen  ein  Abrutschen  verhindern.  So  ward  einmal 
vermieden,  daß  das  Blatt  bei  der  geschilderten  Funktion  der  beiden  Lippen  von 
diesen  abrutscht,  zugleich  aber  leisten  die  beiden  Organe  hierdurch  der  Nahrungs- 
aufnahme  einen   neuen  Dienst.     In   den   beiden   Einschnitten   läuft  das  Blatt  —  bei 


Fig.  23.  A  Kopf  einer  weiblichen  Stechmücke  mit  auseinander 
gelegten  Mundteilen.  B  vergrößerter  Querschnitt  durch  die 
Mundteile.  —  Ant  Fühler;  Mx  Maxille;  Mxt  Maxillartaster;  Md 
Mandibel;  Hyp  Hypopharynx;  Oi  Oberlippe;  Z7i  Unterlippe.  —  (N.) 


Der  Kopf. 


23 


Änt. 


Jfd,.  *Mx. 


den  schnellen  Halbkreisen,  die  der  Raupenkopf  beim  Fressen  ausführt  —  in  sicherer 
Führung,  wie  in  einer  Nute.  Trotz  aller  Eile  treffen  daher  die  Mandibeln  stets  den 
erwünschten  Rand.  So  wird  es  auch  verständlich,  daß  die  Raupen  so  große 
Schwierigkeiten  haben,  ein  Blatt  in  der  Mitte  anzufressen.  Ist  dies  aber  einmal  ge- 
lungen, haben  sie  in  die  Mitte  der  Blattspreite  ein  Loch  gefressen,  so  wird  von  da 
an  der  Rand  des  Loches  gleich  dem  Blattrande  behandelt." 

Im  Anschluß  an  die  Unterlippe  ist  noch  ein  Organ  zu  erwähnen,  welches 
der  Innenseite  der  Unterlippe  anliegt  und  häufig  auch  mit  dieser  verwachsen 
ist  und  welches  als  „Innenlippe"  oder  Hypopharynx  bezeichnet  wird. 
Dieses  Organ  stellt  gewissermaßen  das  Gegenstück  zur  Oberlippe  resp.  dem 
Epipharynx  dar,  insofern,  als  es  die  Unter-  oder  Hinterseite  des  Schlund- 
einganges einnimmt,  wie  die  Oberlippe  j^ 
(resp,  der  Epipharynx)  den  Schlund- 
eingang  oben    resp.   vorne    begrenzt. 

Die  Ausbildung  des  Hypopharynx 
der  kauenden  hisekten  ist  eine  sehr  ver- 
schiedene: bei  manchen  (besonders 
niederen)  Formen  ist  er  groß  und  in 
mehrere  Teile  (Mittelstück  und  2  seit- 
liche Stücke)  gegliedert,  bei  anderen 
relativ  klein,  einfach,  zapfenförmig;  bei 
wieder  anderen  mehr  oder  weniger  voll- 
kommen rückgebildet.  Früher  erblickte 
man  in  dem  Hypopharynx  ein  weiteres 
Paar  echter  Mundgliedmaßen  (Extremi- 
täten); neuere  embryologische  Studien 
(Heymons)  haben  jedoch  dargetan,  daß 
der  Hypopharynx  mit  Extremitäten  nichts 
zu  tun  hat,  sondern  vielmehr  als  Reste 
der  Bauchplatten  (Sternite)  der  3  (oder 
wenigstens  2)  letzten  Kopfsegmente 
(Mandibel-  und  Maxillensegment)  auf- 
zufassen ist. 

Die  Mundöffnung  der  kauenden 
Insekten  wird  also  von  folgenden 
Skelettstücken  umgeben:  zu  oberst 
(resp.  vorn)  von  der  Oberlippe  und 
dem  Epipharynx,  zu  beiden  Seiten 
von  den  Mandibeln  und  Maxillen,  zu 
Unterst  (resp.  hinten)  von  dem  H3'popharynx  und  der  Unterlippe. 

Alle  diese  Teile  liegen  (in  der  Anlage)  auch  den  leckenden,  stechenden 
und  saugenden  Mundgliedmaßen  zugrunde;  nur  haben  hier  teilweise  der- 
artige Umbildungen,  Reduktionen,  Verwachsungen  usw.  stattgefunden,  daß  es 
mitunter  schwierig  ist,  die  einzelnen  Stücke  wiederzuerkennen,  und  daß  oft 
nur  die  Embryologie  die  richtige  Deutung  zu  geben  vermochte. 

Den  kauenden  Mund  Werkzeugen  am  nächsten  stehen  die  leckenden 
der  Hymenopteren  (Bienen,  Hummeln  usw.).  Hier  gelingt  die  morpho- 
logische Analyse  ohne  Schwierigkeit  (Fig.  22).  Das  Labrum  und  die 
Mandibeln    sind    überhaupt   nicht   verändert;    dagegen    haben  Maxillen   und 


Flg.   24.     A   Kopf   einer    Feldwanze    (Pentatoma). 

B   Vergrößerter  Durchschnitt  in   der  Höhe   der 

Oberlippe.    Bezeichnungen  wie  auf  den  vorigen 

Figuren.  —  (N.) 


24 


Kapitel  II.     Die  äußere  Ersciieinung  der  Insekten  (Morphologie). 


Unterlippe  wesentliche  Umbildungen  erfahren,  besonders  die  Unterlippe, 
die  hier  (im  Gegensatz  zu  den  kauenden  Mundwerkzeugen)  die  Hauptrolle 
bei  der  Nahrungsaufnahme  spielt.  Das  hervorstechendste  Merkmal  ist  die 
mächtig  verlängerte  Zunge  (herv^orgegangen  aus  den  beiden  inneren 
Laden),  die  durch  Einrollung  der  Ränder  eine  Rinne  oder  ein  Rohr  bildet 
(Fig.  22,  C).  Die  Nebenzungen  sind  wesentlich  kürzer  geblieben,  dennoch  deut- 
lich ausgebildet;  sehr  lang  dagegen  sind  die  Labialtaster,  deren  ersten  beiden 
Glieder  beinahe  die  Länge  der  Zunge  erreichen.  Bei  den  Maxillen  fällt  vor 
allem  die  ansehnliche  Ausbildung  der  beiden  Laden  auf,  die  zu  einem  lanzett- 
förmigen Gebilde  verwachsen,  während  die  Taster  stark  rückgebildet  sind. 
Von  den  Stammstücken  sind  die  Stipites  und  das  Mentum  verlängert,  während 
die  Cardines   und   das   Submentum  nur  ganz  kleine  Skelettstücke   darstellen. 

^it  Weit  mehr  weichen  die  stechenden  und 

saugenden  Mund  Werkzeuge  der  Dipteren  (wie 
z.  B.  der  Stechmücken)  von  dem  ursprünglichen 
Typus  ab,  Sie  setzen  sich  in  der  Hauptsache 
aus    vier    Bestandteilen    zusammen    (Fig.    23): 


Flg.  25.    A  Kopf  eines  Schmetterlings  von  vorn  gesehen;  B  derselbe  von  der  Seite  gesehen  mit  ein- 
gerolltem Rüssel;  C  vergrößerter  Querschnitt  durch  den  Rüssel.    MxIA  Innere  Lade  der  Maxille;   Sgr 
Saugrohr.    Die  übrigen  Bezeichnungen  wie  auf  den  vorigen  Figuren.  —  (N.) 


\.  den  Stechborsten  zum  Verwunden,  2.  dem  Gleitrohr  zur  Führung  der 
dünnen  Stechborsten,  3.  dem  Saugrohr  zur  Hebung  der  aus  der  Wunde 
fließenden  Flüssigkeit,  und  4.  dem  Speichel  röhr  zur  Zuführung  entzündungs- 
erregender Speichelsekrete  zur  Wunde.  —  Die  Stechborsten,  5  an  der  Zahl, 
entsprechen  den  Mandibeln,  Maxillen  und  dem  Hypopharynx,  welch 
letzterer  zugleich  das  Speichelrohr  enthält;  das  Gleitrohr  wird  gebildet  von 
der  Unterlippe  und  Überlippe,  und  das  Saugrohr  größtenteils  von  der 
Oberlippe  (in  Verbindung  mit  dem  Hypopharynx).  Von  den  Tastern  sind 
nur  die  der  Maxillen  gut  ausgebildet. 

Einigermaßen  ähnlich  liegen  die  Verhältnisse  bei  den  Schnabelkerfen 
(Wanzen  usw.),  indem  auch  hier  der  (meist  gegliederte)  Rüssel  (das  Gleitrohr) 
von  der  Ober-  und  Unterlippe  gebildet  wird  (Fig.  24).  Dagegen  sind  nur 
4  Stechborsten  vorhanden,  zwei  mittlere  und  zwei  äußere,  von  denen  die  letzteren 
den  Mandibeln  entsprechen,    und   die    ersteren   den  Maxillen,    resp.    nur   den 


Die  Brust. 


25 


inneren  Laden  derselben  (der  Stamm  wird  zur  Bildung  der  Kopfkapsel  mit 
verwandt).  Die  beiden  mittleren  Borsten  besitzen  an  ihrer  Innenseite  2  Rinnen 
und  legen  sich  damit  so  aneinander,  daß  2  getrennte  Röhren  entstehen 
(Fig.  24,  B),  von  denen  die  eine  als  Saugrohr,  die  andere  als  Speichel  röhr 
dient.     Maxillartaster  sind  höchstens  noch  rudimentär  vorhanden. 

Gänzlich  verschieden  von  diesen  beiden  Typen  saugender  Mundglied- 
maßen ist  der  Saugrüssel  der  Schmetterlinge  aufgebaut.  Da  die 
Schmetterlinge  nur  freiliegende  Säfte  (Nektar)  aufsaugen,  sind  bei  ihnen  Stech- 
organe unnötig  und  stellt  der  Rüssel  nur  ein  einfaches  Rohr  dar  (Fig.  25). 
Dasselbe  wird  gebildet  von  den  beiderseitigen,  mächtig  in  die  Länge  ge- 
zogenen Innenladen  der  Maxillen,  die,  auf  der  Innenseite  rinnen- 
förmig  ausgehöhlt,  sich  der  ganzen  Länge  nach  aneinanderlegen  und  mit- 
einander verbinden  (Fig.  25,  C).  Alle  übrigen  obengenannten  Komponenten 
der  ursprünglichen  kauenden  Mundwerkzeuge  treten  dagegen  mehr  oder 
weniger  zurück.     Die  Mandibeln    sind   zu    unscheinbaren    Höckern    reduziert; 


Flg.  26.    Eine  Feldheuschi'ecke,  in   die  verschiedenen  Körperregionen  zerlegt:   Kopf,  Brust  (Vorder- 

Mittel-,  Hinterbrust)  und  Abdomen.    £pm  Eplmerum ;  Spsi  Episternum ;  Tj/ Tympanalorgan ;  -S%  Stigma; 

Hf  Hinterflügel;  yf  Vorderflügel.    Nach  Pack ard. 

die  Oberlippe  und  Unterlippe  stellen  nur  noch  kleine,  dreieckige  Stücke  dar, 
welche  kleine  Lücken  an  der  Rüsselbasis  ausfüllen,  und  von  den  Tastern  ist 
meist  nur  ein  Paar  gut  entwickelt,  und  zwar  entweder  die  Maxillar-  oder 
aber  die  Labialtaster,  während  das  entsprechende  andere  Paar  stark  rück- 
gebildet oder  auch  gänzlich  geschwunden  ist. 

Die  Mundgliedmaßen  der  saugenden  Insekten  sind  also  auf  recht  verschiedene 
Weise  zustande  gekommen;  so  wird  das  Saugrohr  bei  den  Fliegen  zum  größten 
Teil  von  der  Oberlippe,  bei  den  Bienen  von  der  Unterlippe  und  bei  den  Wanzen 
und  Schmetterlingen  von  den  inneren  Laden  der  Maxillen  gebildet.  Das 
deutet  darauf  hin,  daß  die  verschiedenen  Saugapparate  nicht  direkt  voneinander  ab- 
zuleiten sind,  sondern  unabhängig,  nebeneinander  aus  der  Urform  der  kauenden 
Mundgliedmaßen  hervorgegangen  sind. 


2.  Die  Brust  (Thorax). 
A.  Die  Segmente. 

Wie  wir  den  Kopf  als  den  Träger  der  Mundwei-kzeuge  und  hauptsäch- 
lichen Sinnesorgane  gekennzeichnet   haben,    so   können    wir   den  Thorax   als 


26  Kapitel  II.     Die  äußere  Erscheinung  der  Insekten  (Morphologie). 

den  Träger  der  hauptsächlichsten  lokomotorischen  (zur  Fortbewegung 
dienenden)  Organe  (Beine  und  Flügel)  auffassen.  Im  Gegensatz  zum  Kopf 
sind  hier  die  Segmente  mehr  oder  weniger  deutlich  (wenigstens  teilweise)  in 
ihrem  ursprünglichen  Aufbau  erhalten,  wenn  auch  durch  mannigfaltige  Ver- 
wachsungen usw.  (infolge  der  verschiedenen  Ausbildung  und  Gruppierung 
der  Bewegungsmuskeln)  manchmal  die  richtige  Deutung  der  Segmentgrenzen 
mit  Schwierigkeiten  verbunden  ist. 

Bei  den  meisten  Insekten  setzt  sich  die  Brust  aus  3  Segmenten  zu- 
sammen, die  wir  als  Vorderbrust  (Prothqrax),  Mittelbrust  (Meso- 
thorax)  und  Hinterbrust  (Metathorax)  bezeichnen.  Jedes  der  3  Segmente 
trägt  ventral  ein  Paar  gegliederte  Extremitäten,  außerdem  kann  der  Meso- 
und  Metathorax  auch  noch  dorsal  je  ein  Paar  beweglicher  Anhänge  zum 
Fliegen  (Flügel)  besitzen  (Fig.  26).  —  Jedes  Segment  stellt  einen  geschlossenen 
Ring  dar,  der  aus  einer  dorsalen  und  ventralen  Platte  (Terguni  und 
Stern  um)    und  den  diese  verbindenden  beiderseitigen  Weichen  (Pleuren) 

gebildet  wird.  Zwischen  den  letzteren 
und  dem  Sternum  befindet  sich  die 
Einlenkungsstelle  für  die  Beine,  wie 
zwischen  den  Pleuren  und  demTergum 
die  Einlenkungsstelle  für  die  Flügel 
gelegen  ist  (Fig.  27). 

Meist  bleibt  es  nicht  bei  diesen 

einfachen       Gliederungen ,       sondern 

kommt  es  durch  sekundäre  Teilungen 

resp.   Neubildungen   zu   weiterer   Re- 

.,.      „,    c  ,,       ..    i,     T^     V,    1,  -^4.  j      i,  A  gionenbildung.     Vor  allen  stellen  sich 

tilg.    27.    Schematischer  Durchschnitt  durch  den       *  ° 

mittleren  Brustring  eines  Insekts.    Terg  Tergum        Solche    an    den    Terga    des    Meso-    und 

(Notum);  Stern  Sternum;  PI  Pleura.  Nach  Koibe.      Metathorax  ein  in  Verbindung  mit  dem 

Auftreten  von  Flügeln  resp.  der  kräf- 
tigen Flügelmuskulatur,  welche  natürlich  (durch  ihre  Anheftung)  nicht  ohne  Ein- 
fluß auf  die  Gestaltung  des  Chitinskelettes  bleiben  konnte.  Wir  können  an  jedem 
der  genannten  Terga  nicht  selten  4  durch  Nähte  getrennte  Regionen  unter- 
scheiden, die  (in  der  Reihenfolge  von  vorne  nach  hinten)  als  Praescutum, 
Scutum,  Scutellum  und  Postscutellum  bezeichnet  werden.  Der  größte  Anteil 
fällt  dem  Scutum  und  Scutellum  zu,  während  die  beiden  anderen  meist  nur 
unansehnliche  Stücke  am  Vorder-  und  Hinterrand  des  Tergums  darstellen 
(Fig.  28 B).  Besondere  Beachtung  verdient  das  Scutellum  des  Mesothorax 
(auch  Schildchen  genannt),  weil  es  bei  den  Flügeldecken  tragenden  Insekten 
(bei  geschlossenen  Flügeldecken)  der  einzige  von  oben  sichtbare  Teil  der 
beiden  letzten  Brustabschnitte  ist  und  weil  es  mitunter  durch  seine  enorme 
Ausdehnung  auch  einen  wesentlichen  Einfluß  auf  den  Habitus  erlangen  kann 
(siehe  Fig.  35,  S.  33).  —  Weit  weniger  ward  das  Tergum  des  Prothorax  von 
sekundären  Teilungen  betroffen  (Mangel  der  Flügelmuskulatur!);  dasselbe  stellt 
meist  eine  einheitHche  Platte  dar,  welche  bei  den  mit  Flügeldecken  versehenen 
Insekten  als  Halsschild  bezeichnet  wird  (Fig.  28 B). 


Die  Brust. 


27 


Auch  die  Pleuren 
zerfallen  gewöhnlich  in 
2  durch  eine  deutliche 
Naht  getrennte,  hinter- 
einander gelegene 
Stücke,  deren  vorderes 
das  Episternum  und 
deren  hinteres  das  Epi- 
merum  darstellt  (Fig. 
26,  28  u.  30).  Die  Bauch- 
platten (Sterna)  dagegen 
bleiben  meist  einheitlich, 
wiewohl  sie  embryonal 
aus  je  drei  Stücken 
(einem  mittleren  und 
2  lateralen)  sich  zu- 
sammensetzen. 

Die  sekundäre  Tei- 
lung der  Segmentele- 
mente geht  vielfach  Hand 
in  Hand  mit  der  Aus- 
bildung eines  Ento- 
skelettes,  d.  s.  Fortsätze 
und  Leisten,  die  an  der 
Innenseite  des  Skelettes 
entstehen  und  als  Ansatz- 
punkt für  die  Muskulatur 

dienen.         Gewöhnlich 
lassen  sich  3  Gruppen  von 
Entoskeletteilen     unter- 
scheiden: dorsale  von  den 

Terga  entspringende 
plattenförmige  Fortsätze 
(Entoterga  oder  Phrag- 
men),  seitliche,  von  den 
Pleuren  entspringende 
zapfenförmige  Fortsätze 
(Entopleura  oder  Apo- 
demen)  und  ventrale  von 
der  Sterna  entspringende 
Fortsätze  (Entosterna  oder 
Apophysen) ;  die  letzteren 
sind  gewöhnlich  gabel- 
förmig und  dienen  außer 
als  Ansatzstellen  für  die 
Muskulatur ,  vor  allem 
auch  dem  Schutze  der 
Ganglien,  die  zwischen 
den  Zinken  gelegen  sind 
(vgl.  S.  6,  Fig.  7,  Ensc). 

Bei  manchen  Insek- 
ten  (Hymenopteren)  tritt 


Jfd. 


Flg.  28  A.     Unterseite  eines  Sandläufers  (dcindelä).     sf^,  st^  und  st^ 

Sternumdes  l.,  2.  und 3.  Brnstrinses;  epst  Episternum;  epm  Epimerum; 

i'i_,  Ventralplatten   des  l.— 7.  Abdominalsegmentes;  Pe  Penis;   «r, 

Trochanter  des  3.  Beinpaares;  Md  Mandibeln. 


Fig.  28 B.    Oberseite  eines  Saudläufers  (Cicindela).     epst  Episternum 
epm  Epimerum;   H  Halsschild;    seidig  Scutellum   (Sehildchen);    scut^ 
Scutum    des    Metathorax;    pscutl^    PoHtscutellum    des    Metathorax; 
Vfl   Vorderflügel  (Flügeldecke);  Hfl  Hinterflügel;  t^—tg  Tergum  des 
1.— 8.  Abdominalsegmentes.    Nach  G  an  gib  au  er. 


28  Kapitel  II.     Die  äußere  Erscheinung  der  Insekten  (Morphologie). 

zu  den  drei  typischen  Thoraxsegmenten  noch  ein  viertes,  das  sog.  Mediansegment 
(„Segment  mediaire"),  welches  dem  1.  Abdominalsegment  der  anderen  Insekten  ent- 
spricht. Dasselbe  tritt  während  der  postembryonalen  Entwicklung  (Metamorphose) 
in  innige  Verbindung  mit  dem  Metathorax  und  bildet  so  den  hinteren  Abschluß  des 
Brustabschnittes  (Fig.  30  epn). 

Die  Form  und  Größe  der  einzelnen  Segmente  ist  ungeheueren  Schwan- 
kungen unterworfen,  und  zwar  in  unverkennbarer  Abhängigkeit  von  der 
Ausbildung  der  lokomotorischen  Anhänge  resp.  der  diese  bedienenden 
Muskulatur.  Wo  an  die  Extremitäten  der  drei  Segmente  annähernd  gleiche 
Anforderungen  gestellt  werden  (wie  z.  B.  bei  den  Larven  oder  den  flügel- 
losen „Silberfischchen"),  da  sind  auch  die  Segmente  von  annähernd  gleicher 
Gestaltung.  Wo  jedoch  einzelnen  Paaren  besondere  Leistungen  zufallen,  da 
finden  wir  die  dazu  gehörigen  Segmente  auch  besonders  umfangreich  aus- 
gebildet. So  ist  z.  B.  bei  der  Maulwurfsgrille,  die  die  Vorderbeine  zum 
Graben  gebraucht,  die  Vorderbrust  am  größten,  während  sie  bei  Fliegen  oder 
Bienen  sehr  klein  ist;  so  übertrifft  ferner  bei  den  Fliegen,  Schmetterlingen, 
Bienen,  Wespen  usw.,  wo  die  Fortbewegung  hauptsächlich  durch  die  Vorder- 
flügel bewirkt  wird,  der  Mesothorax  (der  diese  Flügel   trägt)  den  Metathorax 


Fig.  29.    Seitenansicht  einer  Holzwespe  (Sirea:).    J,  JJ,  Ji7  erster,  zweiter,  dritter  Brustring;  i—io  erstes 

bis  zehntes   Abdominalsegment;    St  Legestachel;   F/f,  Hfl  Vorder-  und  Hinterflügel:    Sctl  Scutellum; 

K  Kopf.    Mit  Benutzung  einer  Figur  von  Zander. 

sehr  beträchtlich  an  Ausdehnung,  während  bei  den  Käfern,  bei  denen  die 
Hinterflügel  allein  dem  Flug  dienen,  der  Metathorax  die  größere  Aus- 
dehnung besitzt. 

Wie  sehr  die  Konfiguration  des  Thorax  von  den  Flügeln  abhängig  ist,  läßt 
sich  am  auffallendsten  bei  solchen  dimorphen  oder  polymorphen  Insekten  erkennen, 
die  in  einer  ungeflügelten  und  geflügelten  Form  auftreten.  Man  vergleiche  nur 
den  mächtigen  gewölbten  Thorax  des  geflügelten  Ameisenweibchens  mit  der  flachen 
Brustform  der  ungeflügelten  Arbeiter;  oder  den  großen  Unterschied,  der  zwischen 
dem  Thorax  einer  geflügelten  und  ungeflügelten  Form  einer  Blattlausart  besteht. 

Aber  nicht  nur  auf  die  Größe,  sondern  auch  auf  die  Art  der  Verbindung 
der  3  Segmente  hat  die  Bewegungsmuskulatur  den  größten  Einfluß.  Im  all- 
gemeinen gilt  der  Satz,  daß  die  ursprüngliche  Selbständigkeit  (gelenkige  Ver- 
bindung) der  Segmente  um  so  mehr  verschwindet,  je  mehr  die  Insekten  von 
der  Laufbewegung  zur  Flugbewegung  übergehen.  Sind  doch  bei  aus- 
gesprochenen Fluginsekten,  wie  den  Fliegen  oder  Schmetterlingen,  alle  drei 
Segmente  fest  miteinander  verbunden,  so  daß  die  ganze  Brust  eine  ein- 
heitliche Chitinkapsel  bildet,  die  nur  an  den  Nähten  ihre  Zusammensetzung 
erkennen  läßt.  Bei  anderen,  mehr  auf  Gehbewegungen  und  den  selbständigen 
Gebrauch  der  Vorderbeine  angewiesenen  Insekten  (Käfer,  Wanzen,  Heu- 
schrecken)  bleibt  dagegen  die  Vorderbrust  völlig  selbständig  und  gegen  den 


st 


Die  Brust.  29 

aus  Meso-  und  Metathorax  bestehenden  hinteren  Brustabschnitt  beweglich 
verbunden. 

B.  Die  thorakalen  Anhänge. 

An  der  Brust  können  wir  ventrale  und  dorsale  Anhänge  unter- 
scheiden. Erstere,  die  Beine,  sind  in  ihrem  Vorkommen  überaus  konstant, 
indem  (wenigstens  bei  den  Imagines)  fast  stets  3  Paare  vorhanden  sind; 
letztere  dagegen,  die  Flügel,  sind  in  recht  verschiedener  Weise  ausgebildet, 
entweder  in  2  Paaren  oder  nur  in  einem  Paare  oder  können  aber  auch 
ganz  fehlen. 

Die  Beine. 

Die  drei  Beinpaare  stellen  die  Extremitäten  der  drei  Brustsegmente  dar. 
Sie  sind  auf  der  ventralen  Seite  eingelenkt,  und  zwar  zwischen  den  Pleuren 
und  den  betreffenden  Sterna.  Jedes  Bein  besteht  aus  folgenden  Abschnitten: 
l.derHüfte(Coxa),  2.demSchenkel-  Pp 

ring  (Trochanter),  3.  dem  Schenkel 
(Femur),  4.  der  Schiene  (Tibia), 
5.  dem  Fuß  (Tarsus)  und  6.  dem 
Klauenapparat  (Prätarsus)  (Fig.  31). 

Die  Hüfte,  das  Grundglied  des 
Beines,  stellt  die  gelenkige  Verbindung 

mit  dem  Brustskelett  her.  In  Größe  ^^_  3,  ^^^^^  ^.^^^  ^^^.^^  ^,^  Pronotum 
und  Form  sehr  verschieden,  ist  sie  (Tergum  des  Prothorax);  msn  Mesonotum;  prs 
oft  nur  ein  kleines,  größtenteils  in  der  Proscuteiium ;  sct  Scuteiium;  epn  Epinotum  (Me- 
„.      ,f  ,  0.11  diansegment);pe<  Stiel;  st,  st^  u.  st^  Sternum 

Gelenkpfanne  verborgenes  Stuck,  kann  ^^^  Pro-,  Meso-  und  Metathorax;  em  Epimemm; 
jedoch  auch  einen  ansehnlichen  Um-  es  Episternum.  (Aus  Escherich,  Die  Ameise.) 
fang  annehmen  und  entweder  platten- 

förmig  zwischen  die  ventralen  Skelettelemente  sich  einfügen  oder  stielartig 
vom  Sternum  abstehen. 

Bei  manchen  Insekten  läßt  sich  noch  ein  besonderes  Verbindungsstück 
zwischen  Sternit  und  Coxa  (sog.  Subcoxa  oder  Trochantinus)  feststellen.  Bei 
primitiven  Insekten  {Machtiis)  tragen  die  Mittel-  und  Hinterhüften  ziemlich  große, 
griffeiförmige  Anhänge,  die  als  Hüftgriffel  oder  Styli  bezeichnet  werden. 

Das  auf  die  Hüfte  folgende  Glied,  der  Schenkelring,  ist  meist  relativ 
klein  und  gewöhnlich  einfach.  Nur  bei  einigen  Gruppen  der  Hymenopteren 
ist  er  in  zwei  aufeinanderfolgende  Teile  gegliedert,  so  daß  man  hier  von 
einem  „doppelten  Schenkelring"  spricht. 

Die  Doppelnatur  ist  nicht  auf  eine  Zweiteilung  des  eigentlichen  Trochanter 
zurückzuführen,  sondern  auf  Abgliederung  des  obersten  Schenkelstückes. 

Der  Schenkel  ist  fast  stets  das  größte  und  dickste  Glied  des  Beines; 
enthält  er  doch  auch  die  hauptsächlichste  Beinmuskulatur.  —  Die  Schiene, 
deren  Gelenkverbindung  mit  dem  Schenkel  als  „Knie"  bezeichnet  wird,  ist 
meist  weit  dünner,  nimmt  allerdings  gegen  das  periphere  Ende  am  Umfange 
gewöhnlich  wieder  mehr  oder  weniger  beträchdich  zu.  Hier  finden  sich 
häufig  auch  1  oder  2  (oder  mehrere)  „Sporen"  (Calcaria);  ferner  mitunter 
auch  ein  tiefer  Einschnitt,  der  in  Verbindung  mit  den  Sporen  als  Putz- 
apparat dient. 


30 


Kapitel  II.     Die  äußere  Erscheinung  der  Insekten  (Morphologie). 


Während  Schenkel  und  Schiene  aus  einem  Stück  bestehen,  ist  der  Fuß 
in  den  meisten  Fällen  mehrfach  gegliedert;  nur  selten  begegnen  wir  ein- 
gliedrigen Füßen  (Pediculiden,  Cocciden  cT,  Collembolen).  Am  häufigsten 
finden  wir  den  ögliedrigen  Tarsus,  weniger  häufig  den  4-  und  Sgliedrigen. 
Auf  den  Tarsus  folgt  als  letztes  Beinglied  derPrätarsus  oder  Klauen- 
apparat, der  1  oder  2  (einfache  oder  gespaltene,  gezähnte  oder  gekämmte) 
Klauen  trägt.  Zwischen  den  Klauen  befinden  sich  häufig  noch  unpaare  oder 
paarige  oder  dreiteilige  lappenförmige  Anhänge  von  der  verschiedensten 
Form  und  Ausbildung,  die  als  Haftorgane  (beim  Laufen  auf  glatten  Flächen 
usw.)  dienen  und  mit  den  verschiedensten  Bezeichnungen,  wie  Afterklaue, 
Empodium,  Pulvillus,  Onychium  usw.  belegt  werden  (Fig.  31). 

Bei  manchen  Insekten  {Ateuchus,  Onitis  usw.)  sind  die  beiden  letzten  Bein- 
abschnitte, Tarsus  und  Prätarsus,  an  den  Vorderbeinen  gänzlich  rückgebildet,  bei 
anderen  fehlt  nur  der  Prätarsus,   während  der  Tarsus   mehr  oder  weniger  erhalten 

ist,  und  bei  wieder  anderen  dagegen  fehlt  der 
Tarsus  (resp.  bildet  mit  der  Tibia  einen  ein- 
heitlichen Tibiotarsus),  während  der  Prätarsus 
wohlausgebildet  ist  (bei  manchen  Collembolen, 
Wasserwanzen).  —  Wahrscheinlich  ist  als  der 
ursprüngliche  Typus  des  Insektenbeins  der 
4gliedrige  auzusehen,  bestehend  aus:  der  Coxa, 
einem  einheitlichen  „Trochanterfemur",  einem 
ebensolchen  „Tibiotarsus"  und  dem  Prätarsus. 
Durch  Trennung  des  2.  Gliedes  in  Trochanter 
und  Femur  und  des  3.  in  Tibia  und  Tarsus 
entstand  dann  aus  dem  4gliedrigen  der  ßgliedrige 
Typus.  Ist  diese  (von  Born  er  herrührende) 
Auffassung  richtig,  so  wäre  also  der  Prätarsus 
phylogenetisch  älter  als  der  Tarsus. 

Der  großen  Mannigfaltigkeit  in  der 
Verwendung  der  Beine  entspricht  die 
Mannigfaltigkeit  der  Form.  Durch  Ver- 
längerung oder  Verkürzung,  Abflachung 
oder  Verdickung  der  ganzen  Beine  oder 
einzelner  Teile,  durch  Verkrümmungen, 
Haken,  Zähnen,  durch  dichten  Haarbesatz 
usw.  werden  die  verschiedensten  Formen  erzielt  und  die  verschiedensten 
Funktionen  ermöglicht.  Die  Umgestaltungen  betreffen  nicht  immer  alle 
3  Beinpaare  in  gleicher  Weise,  sondern  sehr  oft  nur  ein  Paar.  So  sind 
in  vielen  Fällen  nur  die  Vorderbeine  verändert,  die  ja  überhaupt  (auch 
in  bezug  auf  die  Stellung)  in  einem  gewissen  Gegensatz  zu  den  beiden 
übrigen  Paaren  stehen  und  auch  weit  mehr  wie  diese  zu  anderen  (als  loko- 
motorischen)  Leistungen  herangezogen  werden  (zum  Graben,  Ergreifen  von 
Beute  usw.). 

Die  meisten  Insekten  haben  gewöhnliche  Laufbeine,  z.  B.  die  Laufkäfer. 
Tritt  eine  Sohlenbildung  an  dem  Fuße  auf,  so  spricht  man  von  Gangbeinen,  z.  B. 
bei  den  Bockkäfern.  Werden  die  Beine  lang  und  schlank,  so  nennt  man  sie 
Schreitbeine,  z.  B.  bei  den  Gespenstheuschrecken.  Beine,  welche  infolge  starker 
Muskelausstattung  des  Schenkels  das  Insekt  zum  Springen  befähigen,  heißen  Spring- 
beine,  so   bei   Heuschrecken   und   Erdflöhen.     Kann    die  Schiene   wie   die  Klinge 


Fig.  31.  Mittleres  Bein  einer  Biene.  Cr 
Coxa  (Hüfte);  Tr  Trochanter  (Schenkei- 
ring);  Fe  Femur  (Schenkel);  Th  Tibia 
(Schiene);  Ts^—Ts^  Tarsenglied  1—5;  Pts 
Prätarsus;  Pulv  Pul  vi  Uns.    Nach  Zander. 


durch  Bewaffnung    mit   Dornen, 


Die  Brust. 


31 


eines  Taschenmessers  gegen  das  Heft,  so  gegen  den  Schenkel  eingeschlagen  werden, 
daß  hierdurch  ein  Ergreifen  der  Beute  möglich  wird,  so  heißen  die  Beine  Raub- 
beine, z.  B.  bei  dem  Wasserskorpion.  Eine  Verbreiterung  der  Schiene  macht  das 
Bein  zum  Graben  geschickt:  Grabbeine,  welche  z.  B.  bei  der  Werre  und  den 
Mistkäfern  vorkommen.  Bei  manchen  der  letzteren,  z.  B.  bei  Ateuchus,  kann,  wie 
schon  gesagt,  außerdem  auch  der  Tarsus  und  Prätarsus  verkümmern.  Eine  starke 
Verkleinerung  der  Fußglieder  kommt  auch  bei  den  zu  Putzbeinen  verkümmerten 
Vorderbeinen  der  Schmetterlinge  vor.  Stärkere  Ausstattung  der  Hinterbeine  mit 
Haaren,  in  welchen  sich  der  abgestreifte  Blütenstaub  festsetzen  kann,  oder  das  Auf- 
treten eines  von  Haaren  umgebenen  „Körbchens"  an  der  Schiene  der  Hinterbeine 
zum  Transporte  des  Pollens,  wie  sie  sich  bei  vielen  Blumenbienen  finden,  lassen 
diese  als  Sammelbeine  erscheinen.  Die  im  Wasser  lebenden  Insekten  haben 
vielfach  breite,  zusammengedrückte,  an  der  Schneide  mit  Schwimmhaaren  versehene 
Hinterbeine,  Schwimmbeine,   z.  B.  die  Schwimmkäfer  und  viele  W^asserwanzen. 


B 


D 


Fig.  32.  Verschiedene  Beinformen.  A  verkümmertes  Putzbein  und  B  gut  entwickeltes  Schreitbein 
eines  Talgschmetterlings,  Vanessa  polychloros;  C  [Bein  mit  doppeltem  Schenkelring  und  langer  Ferse 
von  einer  Holzwespe,  Sirex  gigas;  D  Schwimmbein  eines  Wasserkäfers,  Dytiscus;  E  behaartes  Sammel- 
bein der  Bürstenbiene,  Dasypoda;  Ji' Sammelbein  mit  „Körbchen"  an  der  Schiene  und  stark  entwickelter 
Ferse  einer  Arbeitsbiene  von  Apis  mellifica;  G  Raubbein  des  Wasserskorpions,  Nepa  cinerea;  H  Grab- 
bein der  Werre,  Gryllotalpa,  I  Springbein  eines  Erdflohkäfers,  Haltica.  —  c  Hüfte;  tr  Sohenkelring; 
f  Schenkel;  fb  Schiene:  ts  Fuß.  —  (N.) 


Die  Flügel. 

Die  Flügel  stellen  häutige,  flächenhaft  ausgebreitete  Anhänge  der 
Mittel-  und  Hinterbrust  dar,  welche  rückenständig,  zwischen  Pleura  und 
Tergum,  beweglich  eingelenkt  sind.  Meistens  werden  sie  durch  ein  mehr 
oder  weniger  kompliziertes  System  von  stärker  chitinisierten  Adern  und 
Rippen  gesteift.  Ursprünglich  sind  2  Paar  Flügel  vorhanden,  welche  als 
Vorder-  und  Hinterflügel  unterschieden  werden.  Mehr  als  2  Paar  kommen 
niemals  vor,  dagegen  tritt  nicht  selten  eine  Rückbildung  des  einen  Paares 
(meist  der  Hinterflügel)  ein,  so  daß  nur  noch  ein  Paar  funktionierender  Flügel 
übrig  bleibt. 

Die  Flügel  sind  keine  Extremitäten  in  morphologischem  Sinne,  sondern  stellen 
vielmehr  einfache  Hautausstülpungen  dar,  die  sich  sekundär  abgegliedert  haben 
unter    gleichzeitiger    x\usbildung    von    Gelenken    (d.   s.    eine    Reihe    dorsaler    und 


32 


Kapitel 


Die  äußere  Erscheinung  der  Insekten  (Morphologie). 


Fig.  33.   Eine  Libelle,  deren 

Vorder-    und    Hinterflügel 

annähernd  gleich  sind. 


ventraler  Gelenkstücke,  von  denen  die  dorsalen  jedenfalls  nur  Abgliederungen  der 
Hauptflügeladern  darstellen).  Dieser  Entstehung  nach  setzen  sie  sich  aus  einer 
oberen  und  unteren  Chitinlamelle  zusammen,  die  an  den  Flügelrändern  ineinander 
übergehen  und  zwischen  denen  während  der  Bildung  der  Flügel  die  zellige  Matrix 
liegt.  Letztere  schwindet  bei  den  fertigen  Flügeln  wieder  und  die  beiden  Chitin- 
lamellen legen  sich  enge  aneinander,  so  daß  der  sie  trennende, 
anfänglich  auch  von  der  Blutflüssigkeit  des  Körpers  durch- 
strömte Hohlraum  stark  reduziert  wird  bis  auf  die  in  den 
„Adern"  zurückbleibenden  Kanäle,  die  als  Bahnen  für 
Tracheen  und  Nerven  dienen.  —  Wie  man  sich  die  erste 
Entstehung  der  Flügel  vorzustellen  hat,  ist  ein  schwer  zu 
beantwortendes  Problem,  welches  schon  eine  vielseitige  Er- 
örterung von  Seiten  der  vergleichenden  Anatomen  erfahren 
hat.  Die  bekannteste  Hypothese  ist  die  von  Gegen baur 
aufgestellte,  wonach  die  Ausstülpungen  ursprünglich  zur 
Atmung  dienten  und  demnach  also  die  Flügel  aus  Tracheen- 
kiemen hervorgegangen  wären;  während  Born  er  die 
Tracheenkiemen  auf  echte  ventrale  Extremitäten  zurück- 
führen möchte.  Eine  weitere  viel  behandelte  Frage  ist  die, 
ob  bei  den  Urinsekten  auch  der  Prothorax  Flügel  getragen 
hat.  Nach  den  paläontologischen  (Palaeodictyopteren)  und 
entwicklungsgeschichtlichen  (manche  Termitenlarven  tragen 
flügelähnliche  Prothoracalanhänge)  Befunden  ist  die  Möglich- 
keit, daß  3  Paar  Flügel  vorhanden  waren,  nicht  ausgeschlossen. 
Die  Form  der  Flügel  ist  eine  überaus  mannigfaltige;  es  kann  dieselbe 
rechteckig,  dreieckig,  oval,  gestreckt  oder  gedrungen  usw.  sein,  ferner  aus- 
geschnitten, geschwänzt  oder  am  Rande  mit  Fransen  besetzt  (gefranst),  oder 
gefiedert  usw.  —  Auch  bezüglich  der  Struktur  und  des  Größenverhältnisses 
zueinander  herrschen  beträchtliche  Verschiedenheiten,  die  wir  etwa  folgender- 
maßen gruppieren  können: 

I.  Vorder-    und   Hinterflügel   von    gleicher 
häutiger  Struktur;  Hinterflügel  können  auch  fehlen. 

a)  Hinter-  und  Vorderflügel  von  annähernd  gleicher 
Größe  und  Form  (Beispiele:  Libellen),  Fig.  33; 

b)  Hinterflügel  kleiner  als  die  Vorderflügel  (Beispiele: 
Schmetterlinge,  Bienen,  Wespen); 

c)  Hinterflügel  zu  einem  winzigen  Rudiment  reduziert 
oder  ganz  fehlend  (Beispiele :  manche  Eintagsfliegen 
[Baefts],  Männchen  der  Schildläuse  usw.); 

d)  Hinterflügel  zu  mehr  oder  weniger  langgestielten 
Schwingkölbchen  (Halteren)  umgewandelt  (Bei- 
spiele: Dipteren),  Fig.  34. 

IL  Vorderflügel  in  ihrer  ganzen  Aus- 
dehnung oder  wenigstens  in  ihrer  vorderen 
Hälfte  stärker  chitinisiert  und  als  Flügeldecken 
(Elytra)  oder  Halbdecken  (Hemielytra)  ausgebildet,  die  entweder  (meistens) 
den  Hinterleib  mehr  oder  weniger  vollkommen  bedecken  (Fig.  35,  36^)  u.  38), 
oder  aber  auch  stark  verkürzt  sein  können,  nur  über  die  ersten  Hinterleibs- 
segmente reichend  (Fig.  37);  Hinterflügel  häutig,  meist  wesentlich  größer  als 
die  Flügeldecken,  seltener  reduziert  oder  fehlend. 

^)  Fig.  36  (untere  Figur  auf  S.  33)  ist  fälschlich  dort  als  Fig.  34  bezeichnet. 


Fig.  34.  Weibliche  Gall- 
mücke  (Ceddomyia),  stark 
vergrößert.  Fl^  Vorder- 
flügel gut  ausgebildet;  J7" 
Hinterflügel  zu  Schwing- 
kölbchen umgebildet.  —  (N.) 


Die  Brust. 


33 


Fig;.  35.    Eine  Schildwanze,  deren  Vorderflügel 
zu  Semielytren  umgebildet  sind. 


e)  Hinterflügel  in  der  Ruhelage  weit  über  die  Elytren  hinausragend  (Beispiel: 
Grillen),  Fig.  37. 

f)  Hinterflügel  in  der  Ruhelage    vollkommen    unter  den  Elytren   verborgen 
(Fig.  38). 

g)  Hinterflügel  reduziert  oder  ganz  fehlend,  dabei  die  beiderseitigen  Elytren 
oft    miteinander     zu    einer    einheit- 
lichen Decke  verwachsen  (Beispiele: 
manche  Rüsselkäfer). 

III.  Vorderflügel  stark  redu- 
ziert, Hinterflügel  gut  ausgebildet. 
Kommt  selten  vor  (Stylopiden). 

IV.  Vorder-  und  Hinterflügel 
stark  reduziert  oder  gänzlich  rück- 
gebildet. 

Die    Reduktion    kann     beide    Ge- 
schlechter betreffen  (Bettwanze,  Kleider- 
laus),  oder  aber  nur  auf  ein  Geschlecht 
beschränkt  sein,  und  zwar  dann  meistens 
auf    das    weibliche    (Leuchtkäfer,    Frost- 
spanner).     Nur    in    einem    Fall    ist    das 
Weibchen   geflügelt   und  das   Männchen 
flügellos,  bei  der  parasitischen  Ameisen- 
gattung Anergates.  —  Es  können   auch    ein   und  dieselben  Individuen   zuerst 
geflügelt    sein     und    dann    durch    Abwerfen    der    Flügel    flügellos    werden, 
wie   die  Weibchen  der 
Ameisen  und  die  beiden 
Geschlechter    der    Ter- 
miten,    die    nach    dem 
Hochzeitsflugsich  selbst 
ihrer  Flügel   berauben, 
indem    sie    sie    an    der 
Wurzel  abbrechen. 

Endlich  ist  auch 
noch  darauf  hinzu- 
weisen, daß  es  auch  eine 
primäreFlügellosig- 
keit  gibt  (z.  B.  Lepisina, 
Machilis  usw.),  die  sich 
von  sekundären  da- 
durch unterscheidet,  daß 
in  keinem  Entwicklung 
Stadium  irgendwelche, 
wenn    auch    noch    so    rudimentäre.    Flügelanlagen    sich    nachweisen    lassen. 

Wir  sehen  aus  dieser  Übersicht,  daß  schier  alle  Möglichkeiten  bezüglich 
des  morphologischen  Verhaltens  der  2  Flügelpaare  verwirklicht  sind.  Diesem 
entspricht  auch  das  funktionelle  Verhalten  insofern,  als  in  der  ersten  Gruppe 

Escherich,  Forstinsekten.  ;-} 


—m. 


IgS-      Fig.  34.    Ein  Käfer  (Cm»!de?a');  Vorderflügel  (TT?)  zu  Elytren  umgebildet. 


34  Kapitel  II.     Die  äußere  Erscheinung  der  Insekten  (Morphologie). 

die  Flugbewegung  entweder  von  beiden  Flügeln  in  gleicher  Weise  (I.  a.), 
oder  aber  hauptsächlich  (I.  b.),  oder  auch  ausschließlich  (I.  c.  und  d.)  von  den 
Vorderflügeln  besorgt  wird,  während  in  der  zweiten  und  dritten  Gruppe  aus- 
schließlich die  Hinterflügel  am  Flug  beteiligt  sind.  Die  Flügeldecken  machen 
keine  Flugbewegungen  mit,  sondern  werden  beim  Flug  meistens  ruhig  seitlich 
gespreizt  gehalten  und  dienen  als  Balancierorgan.  (Nur  relativ  selten  [z.  B. 
bei  den  Rosenkäfern]  bleiben  die  Flügeldecken  nach  Entfaltung  der  Flügel  in 
der  normalen  geschlossenen  Stellung  über  dem  Abdomen,  wobei  die  Be- 
wegung der  Hinterflügel  durch  einen  besonderen  Ausschnitt  an  den  Seiten- 
rändern der  Elytren  ermöglicht  wird.)  —  Wo  die  beiden  Flügelpaare  (I.  Gruppe) 


Fig.  37.    Maulwui'fsgrille.   Vorderflügel  kurze  Ely- 
tren, unter  denen  die  gefalteten  Hinterflügel  weit 
hervorragen  (siehe  linker  Flügel). 


Fig.  38.  Kletterlaufkäfer,  Calosoma 
sycophanta  L.  l  Oberlippe;  B  Vor- 
derbrust, Halsschild;  h  Schildchen; 
Fll  zu  einer  Flügeldecke  umge- 
wandelter Vorderflügel  der  rechten 
Seite ;  FlII  der  zusammengefaltete 
Hinterflügel  der  linken  Seite.  -  (N.) 


den  Flug  ausführen,  sind  Vorder-  und  Hinterflügel  vielfach  durch  feine 
Häkchen  (Hymenopteren)  oder  durch  eine  kräftige  Borste,  die  vom  Vorder- 
rand der  Hinterflügel  ausgeht  und  in  einen  Haken  des  Vorderflügels  eingreift 
(Schmetterlinge),  derartig  miteinander  verbunden,  daß  sie  wie  eine  einheitliche 
Fläche  wirken. 

Bei  den  mit  Flügeldecken  versehenen  Formen  sind  die  Hinterflügel  in  der 
Ruhelage  meistens  gefaltet,  um  unter  den  kleineren  Elytren  Platz  zu  finden. 
Die  Faltung  findet  der  Länge  und  Quere  nach  statt,  und  zwar  in  umso  aus- 
gedehnterem Maße,  je  größer  das  Mißverhältnis  zwischen  Flügeldecken  und 
Hinterflügel  ist.  Am  meisten  also  in  den  Fällen,  in  denen  die  Flügeldecken 
stark  verkürzt  sind,  wie  bei  den  kurzflügligen  Käfern  (Staphylinen)  oder 
den  Ohrwürmern  (Forficula).  Das  Einfalten  und  Entfalten  geschieht  nicht 
etwa  durch  einen  besonderen  Muskelapparat  (Muskeln  sind  niemals  innerhalb 


Die  Brust. 


35 


der  Flügelfläche),  sondern  automatisch,  zugleich  mit  dem  Zurücklegen  und 
Ausspannen  der  Flügel,  wovon  man  sich  bei  jedem  frisch  getöteten  Käfer  über- 
zeugen kann. 

„Beim  Zurücklegen  wird  die  Vorderrandader  der  ihr  folgenden  parallel 
laufenden  genähert;  der  zwischen  ihnen  gelegene  Teil  der  Flügelmembran  faltet  sich 
nach  unten  und  zugleich  klappt  die  Flügelspitze  nach  unten  um.  Umgekehrt  wird 
beim  Ausspannen  die  Flügelmembran  zwischen  den  beiden  Adern  gespannt  und 
damit  zugleich  das  Aufklappen  der  Flügelspitze  bewirkt"  (nach  Hesse). 

Das  Flügelgeäder,  das  zur  Festigung  der  häutigen  Flügel  dient, 
kann  je  nach  den  Ordnungen,  Familien,  Gattungen  und  Arten  recht  ver- 
schieden sein  und  findet  deshalb  auch  in  der  Systematik  reichliche  Ver- 
wendung. Es  besteht  in  der  Hauptsache  aus  einer  Anzahl  von  der  Flügel- 
wurzel ausgehenden  Längsadern,  die  sich  mehrfach  verzweigen  können, 
und  mehr  oder  weniger  zahlreichen  Queradern,  welche  die  Längsadern 
und  ihre  Abkömmlinge  miteinander  in  Verbindung  bringen.  Dadurch  wird 
der  Flügel  in  verschiedene  größere  und  kleinere  häutige  Felder  zerlegt,  die 
als  „Zellen"  bezeichnet  werden. 


Scj__3c2ji 


A  B 

Fig.  B9.    Flügelgeäder  (nach  Comstok  und  Needham).   A  H3^potheti sehe  Grundform  der  Aderbildung. 
B  Flügelgeäder  eines  Schmetterlings.     C  Costa;  Sc  Subcosta;  R  Radius;  ii/ Mediana;   Cu  Cubitus;  An 

Analader. 


Die  einzelnen  Adern  werden  mit  verschiedenen  Namen  bezeichnet  (wie 
Costal-,  Subcostal-,  Radial-,  Median-,  Cubital-,  Analader  usw.),  ebenso  die  „Zellen",  die  als 
Costal-,  Cubital-,  Analzellen  usw.  unterschieden  werden.  Jedoch  werden  diese  Be- 
zeichnungen keineswegs  von  allen  Autoren  in  gleichem  Sinne  gebraucht,  so  daß 
man  in  den  verschiedenen  Ordnungen  von  Fall  zu  Fall  sich  erst  in  die  gebräuch- 
liche Nomenklatur  einarbeiten  muß.  Wir  werden  im  speziellen  Teil  uns  noch  öfter 
damit  zu  beschäftigen  haben.  —  Es  hat  nicht  an  Versuchen  gefehlt,  die  mannig- 
faltigen Bilder,  die  das  Flügelgeäder  in  den  verschiedenen  Gruppen  zeigt,  in 
genetische  Verbindung  miteinander  zu  bringen,  d.  h.  die  eine  Form  aus  der  anderen 
abzuleiten  (Adolph,  Redtenbacher,  Comstok  und  Needham);  doch  keiner 
dieser  Versuche  führte  zu  einem  befriedigenden  Resultat.  Es  ist  dies  auch  nicht 
zu  verwundein,  wenn  man  bedenkt,  daß  doch  die  meisten  der  heutigen  Insekten- 
ordnungen sich  unabhängig  voneinander  aus  der  Insektenurform  entwickelt  haben.  — 
Der  neueste  Bearbeiter  des  Flügelgeäders,  Woodworth,  hat  denn  auch  jene  Idee 
aufgegeben  und  sucht  die  verschiedene  Ausbildung  des  Geäders  in  der  Hauptsache 
auf   mechanische  Prinzipien  zurückzuführen.  —  Aus  praktischen  Gründen  dürfte  es 

3* 


36  Kapitel  II.     Die  äußere  Erscheinung  der  Insekten  (Morphologie). 

sich  empfehlen,    überall,    wo  irgend  angängig,  die  Nomenklatur  von  Comstok  und 
Needham  anzuwenden  (Fig.  39). 

Was  nun  endlich  die  Ruhestellung  der  Flügel  betrifft,  so  ist  auch 
diese  eine  recht  wechselnde,  je  nach  den  verschiedenen  Ordnungen  oder 
Familien.  So  werden  z.  B.  bei  den  Libellen  die  4  Flügel  horizontal  und  quer 
abstehend  getragen,  oder  es  werden  die  Vorderflügel  bei  noch  wesentlich 
horizontaler  Stellung  etwas  über  die  Hinterflügel  nach  hinten  und  innen 
übergeschoben  (bei  vielen  Schmetterlingen),  oder  es  werden  die  Vorderflügel  so 
vollständig  über  die  Hinterflügel  hinübergeschoben,  daß  sie  die  letzteren 
gänzlich  verbergen,  und  dabei  entweder  dachförmig  den  Hinterleib  decken, 
indem  sich  eine  mehr  weniger  steile  Firste  über  dessen  Medianebene  bilden 
(viele  Nachtfalter  und  Zikaden),  oder  aber  dem  Hinterleibe  horizontal  auf- 
liegen, z.  B.  bei  den  Blattwespen.  Die  Mehrzahl  der  Tagfalter  und  einige 
Spanner  tragen  die  Flügel  vertikal  in  der  Medianebene  aufgerichtet,  so  daß 
die  oberen  Flächen  beider  Flügelpaare  sich  berühren. 

Außer  den  Flügeln  kommen  bei  einigen  Insektenordnungen  noch  ein  oder 
zwei  Paar  kleiner  dorsaler  Anhänge  vor,  die  als  Patagia  und  Tegulae  (Schulter- 
decken, Squamuli  usw.)  bezeichnet  werden.  Die  Patagia,  die  hauptsächlich  bei 
Schmetterlingen  vorkommen,  sind  am  Prothorax  zwischen  Rückenschild  und  Seiten- 
teil beweglich  eingelenkt  und  stellen  ein  Paar  kleiner  flügelähnlicher  Anhänge  dar, 
die  kräftig  chitinisiert  und  meist  dicht  mit  Haaren  und  Schuppen  bekleidet  sind.  — 
Die  Tegulae  sind  kleine,  muschelförmig  gewölbte,  häutige  Anhänge,  welche  am 
Mesothorax  vor  den  Vorderflügeln  eingelenkt  sind,  deren  Wurzel  bedeckend.  Sie 
finden  sich  ebenfalls  bei  Schmetterlingen,  dann  aber  auch  noch  bei  vielen  anderen 
Insekten,  wie  Trichopteren,  Hymenopt  eren,  Fulgoriden  usw.  —  Manche 
Autoren  haben  die  Patagia  als  Flügel  des  Prothorax  aufgefaßt,  doch  zeigten  ver- 
gleichend anatomische  Studien,  daß  sie  morphologisch  eher  mit  den  Tegulae  zu 
vergleichen  sind. 

3.  Der  Hinterleib  (Abdomen). 

A.  Zusammensetzung  und  Form  des  Hinterleibes. 

Der  Hinterleib  oder  das  Abdomen  beherbergt  den  größten  Teil  der 
Verdauungsorgane  und  die  Geschlechtsorgane.  Da  diese,  speziell  die  letzteren, 
von  wechselnder  Ausdehnung  sind,  so  müssen  auch  die  Wände  des  Abdomens 
entsprechend  ausdehnungsfähig  sein.  So  finden  wir  denn  auch  —  im 
Gegensatz  zu  Kopf  und  Brust  —  nur  relativ  wenig  ausgedehnte  V^er- 
wachsungen  zwischen  den  das  Abdomen  zusammensetzenden  Segmenten. 
Diese  sind  vielmehr  meist  durch  mehr  oder  weniger  umfangreiche  Inter- 
segmentalhäute  voneinander  getrennt,  von  deren  Länge  natürlich  der  Grad 
der  Ausdehnungsfähigkeit  abhängt.  Wie  weit  letztere  gehen  kann,  zeigen 
am  drastischsten  die  Termitenweibchen,  deren  Abdomen  durch  völlige  Ent- 
faltung der  Intersegmentalhäute  das  Zehnfache  der  ursprünglichen  Länge  er- 
reichen kann,  wobei  dann  die  eigentlichen  Segmentplatten  nur  noch  als 
schmale  Striche  auf  dem  mächtigen  weißen  Hinterleib  erscheinen. 

Wie  der  Kopf  und  Thorax,  setzt  sich  auch  das  Abdomen  aus  einer 
konstanten  Zahl  von  Segmenten  zusammen,  die,  in  der  Embryonalanlage 
stets  nachweisbar,  sekundär  durch  Verwachsungen,  Reduktionen  usw.  während 


Der  Hinterleib. 


37 


der  postembryonalen  Entwicklung  eine  wesentliche  Verringerung  erfahren 
kann.  Es  steht  heute  fest,  daß  das  Abdomen  der  Anlage  nach  aus  12  Ringen 
besteht  (11  echten  Segmenten  und  einem  Schwanzstück  oder  Telson),  deren 
Bestandteile  bei  manchen  niederen  Insekten  (z.  B.  Libellen)  dauernd  er- 
kennbar sind. 

Die  einzelnen  Segmente  stimmen  in  ihrem  Aufbau  mehr  oder  w^eniger 
miteinander  überein  und  bestehen  typischerweise  aus  folgenden  Teilen: 
1.  einer  Rückenplatte  (Tergum),  2.  einer  Bauchplatte  (Sternum)  und  3.  den  sie 
verbindenden  Pleuralhäuten,  in  denen  sich  meist  das  Stigmenpaar  vorfindet. 
Nicht  selten  gelangen  in  der  Umgebung  der  Stigmen  noch  selbständige  Chitin- 
plättchen  zur  Ausbildung,  die  dann  als  „Pleurite"  zu  betrachten  sind.  —  Die 
Segmentplatten   können   sehr    stark    chitinisiert   und   infolgedessen   hart    und 


A  B 

Fig.  40.    Verschiedene  Abdomina.    A  von  einem  weiblichen  Bockkäfer  {Cermnhyx).    B  von  einer  weib- 
lichen Fliege  (CaUiphora).    Die  letzten  3  oder  4  Segmente   sind  fernrohrartig  ausgestülpt;  und  dienen 
als  Legeröhren:  in  der  Ruhelage  sind  dieselben  in  den  Hinterleib  eingezogen.    Sti  Stigmen;  #  Tergum; 
s  Sternum.    A  nach  Kolbe,  B  nach  Berlese. 


Starr  sein,  andererseits  aber  auch  weich,  biegsam  und  faltbar.  Bei  den 
Flügeldecken  tragenden  Insekten  sind  die  von  den  Flügeldecken  bedeckten 
Terga  meist  weichhäutig  oder  jedenfalls  stets  viel  dünner  als  die  unbedeckten 
Terga  und  die  Sterna.  Sehr  schön  kann  man  dies  z.  B.  beim  Maikäfer 
sehen,  dessen  von  den  Flügeldecken  freigelassenes  letztes  Tergum  (sog. 
Pygidium)  stark  chitinisiert  ist  —  im  Gegensatz  zu  den  vorhergehenden, 
im  Bereich  der  Flügeldecken  liegenden  Rückenplatten. 

Embryonal  entstehen  die  Rückenplatten  aus  zwei  lateralen  Hälften,  die  sich 
in  der  dorsalen  Medianlinie  aneinanderfügen  und  dort  miteinander  verschmelzen. 
Die  Sterna  dagegen  sind  ursprünglich  dreiteilig,  indem  mit  einem  medianen  Ab- 
schnitt sich  zwei  laterale  verbunden  haben,  welch  letztere  zum  Teil  auf  die  ab- 
geplatteten Extremitätenanlagen  zu  beziehen  sind  (vgl.  Fig.  41). 

Das  Schwanzstück  oder  Telson,  das  in  morphologischem  Sinne 
kein  eigentliches  Segment  darstellt,  tritt  gewöhnlich  in  Form  von  drei  Platten 
auf,  die  als  Afterklappen  oder  Lamina  anales  bezeichnet  werden  und 
von  denen  die  eine  unpaare  (Laminae  supraanalis)  dorsal,  und  die  beiden 
paarigen  (Laminae  subanales)  lateroventral   der  Afteröffnung  angelagert  sind. 


38  Kapitel  II.     Die  äußere  Erscheinung  der  Insekten  (Morphologie). 

Nur  bei  relativ  wenigen  Insekten  ist  die  ursprüngliche  Zusammensetzung 
des  Abdomens  (11  Terga,  11  Sterna  und  3  Laminae  anales)  im  Imago- 
zustand  noch  zu  erkennen.  Gewöhnlich  finden  wir  eine  geringere  Zahl,  ja 
bei  manchen  Insekten  sind  äußerlich  nur  3 — 4  Abdominalsegmente  sichtbar. 
Dies  beruht  entweder  darauf,  daß  die  hinteren  Segmente  von  den  vorderen 
überwachsen  resp.  in  die  vorderen  fernrohrartig  eingezogen  sind,  oder  aber 
auf  wirklichen  Rückbildungen.  —  Im  ersten  Fall  können  die  eingezogenen 
Segmente  meist  auch  wieder  ausgestülpt  werden  und  dienen  so  als  „Lege- 
röhre" zum  Unterbringen  der  Eier  in  schmale  Spalten,  unter  Rindenschuppen 
usw.  (z.  B.  bei  vielen  Fliegen,  Schmetterlingen,  Käfern  usw.).  —  Was  die 
Reduktion  anbetrifft,  so  spielen  sie  sich  zunächst  ebenfalls  am  Hinterende 
ab,  indem  zuerst  das  11.  Segment,  dann  die  3  Analplatten,  dann  das  Sternum 
des  10.,  dann  event.  auch  das  Tergum  desselben  rudimentär  wird.  Auch  das 
9.  Segment  kann  noch  starke  Veränderungen  zeigen,  und  zwar  ebenfalls  (wie 
beim  10.)  zuerst  an  der  Ventralplatte,  was  durch  das  Auftreten  von  Genital- 
anhängen bedingt  wird.  Als  eine  Verkümmerungserscheinung  muß  ferner  das 
ständige  Fehlen  der  Stigmen  in  den  letzten  3  Segmenten  gelten  (das  hinterste 
Stigmenpaar  pflegt  schon  am  8.  Segment  [Ausnahme:  Lepisina  am  9.]  sich  zu 
befinden).  —  Aber  auch  am  Vorderrande  des  Abdomens  können  Reduktionen 
erfolgen,  die  sich  ebenfalls  meist  zuerst  auf  die  Sterna  beziehen,  während 
die  zugehörigen  Terga  noch  länger  sich  erhalten  können;  so  fehlen  z.  B. 
bei  den  meisten  Käfern  die  beiden  ersten  Sterna.  —  Um  die  Verhältnisse 
der  Glieder  des  Abdomens  kurz  und  übersichtlich  auszudrücken,  bedient  man 
•  u  u  j  TT  ,  ^      D   1,  2,  3,  4,  5,  6,  7,  8,  9,  (10)      ^    ^      ,         , 

sich  besonderer  1*  ormeln,  z.  ß.:  -xt ^ — • — ^    7^ — ^ — ^cTtt^  >    d.  h.,    dorsal 

'  V  3,  4,  5,  6,   /,  8,  (9) 

sind  die  Segmentplatten  1 — 9  gut  ausgebildet,  10  dagegen  mehr  oder  weniger 
reduziert;  ventral  fehlen  die  Platten  1,  2  und  10  ganz,  9  ist  rudimentär,  nur 
3 — 8  sind  vollkommen  vorhanden. 

Die  Form  des  Abdomens  kann  recht  verschieden  sein:  parallelseitig, 
stabförmig,  oval,  rund,  nach  hinten  verbreitert  usw.  Ferner  kann  der  Hinter- 
leib von  rechts  nach  links  zusamm.engedrückt  sein  (komprimiert),  oder  aber 
von  oben  nach  unten  (deprimiert).  Endlich  kommt  es  noch  auf  die  Art  der 
Verbindung  des  Hinterleibes  mit  der  Brust  an:  Ist  das  1.  Hinterleibssegment 
so  breit  wie  der  Metathorax  und  sitzt  es  diesem  auch  mit  seiner  ganzen 
Breite  an,  so  spricht  man  von  einem  festsitzenden  Hinterleib  (Käfer, 
Blattwespen,  Fliegen);  sitzt  es  nur  mit  einem  kleinen  Teil  seiner  Vorderfläche 
an,  so  spricht  man  von  einem  anhängenden  Hinterleib  (Wespen);  sind 
dagegen  die  ganzen  ersten  Segmente  stielartig  verdünnt,  so  haben  wir  einen 
sog.  gestielten  Hinterleib  vor  uns  (Ameisen,  Schlupfwespen  usw.). 

B.  Die  Anhänge  des  Hinterleibes. 

Wenn  auch  das  Abdomen  der  erwachsenen  Insekten  im  allgemeinen 
(im  Gegensatz  zu  Kopf  und  Brust)  als  der  gliedmaßenlose  Abschnitt  be- 
zeichnet wird,  so  kommen  doch  bei  manchen  niederen  Insekten  noch  echte 
abdominale  Extremitäten  als  sog.  Cerci  (Raife)  und  Styli  (Griffel)  vor; 
außerdem   finden   sich   bei   den   meisten  Insekten   noch   verschiedene   andere 


Der  Hinterleib. 


39 


(allerdings  wohl  nur  zum  Teil  auf  Extremitäten  zurückführbare)  Anhänge,  die 
um  die  Geschlechtsöffnung  gelegen  sind,  und  daher  als  Genitalanhänge  be- 
zeichnet werden.  — 

Die  Cerci  (Raife)  die  bei  Thysanuren,  Orthopteren,  Ephemeriden, 
Perliden  usw.  vorkommen,  sind  der  Anlage  nach  dem  11.  Segment  zuzu- 
sprechen (können  aber  nach  Rückbildung  des  11.  Segmentes  an  das  10.  sich 
anfügen)  und  stellen  entweder  lange,  gegliederte,  fühlerartige  Anhänge  („After- 
fühler") dar,  (wie  z.  B.  die  Schwanzfäden  der  Eintagsfliegen  und  Silberfische), 
oder  kräftige  ungegliederte,  gegeneinander  beweg- 
liche Zangen  (wie  z.  B.  bei  den  Ohrwürmern). 

Bei  manchen  Insekten  kommt  neben  den  paarigen 
Schwanzfäden  (Cerci)  noch  ein  dritter,  unpaarer,  über 
der  Afteröffnung  gelegener  Schwanzfaden  vor.  Auch 
dieser  gehört  dem  11.  Segment  an  und  stellt  das  lang- 
ausgezogene Tergum  desselben  dar. 

Während  es  sich  also  bei  den  Cerci  um 
relativ  gut  ausgebildete  Extremitäten  handelt,  haben 
wir  in  den  Styli  nur  noch  kleine  Extremitätenreste 
vor  uns,  die  noch  mehr  auf  die  primitiven  Insekten- 
formen beschränkt  sind  als  die  Cerci.  Sie  stellen 
kurze  eingliedrige  Zapfen  dar,  die,  am  Hinterrand 
der  Sterna  jederseits  gelenkig  eingefügt,  bei  einigen 
Formen  noch  in  8  Paaren  (Fig.  41)  am  2.  bis 
9.  Segment  auftreten  können,  gewöhnlich  aber  nur 
noch  an  den  hinteren  Segment  zur  Ausbildung 
gelangen. 

Die  abdominalen  Styli  sind  den  Hüftgriffeln,  die 
wir  oben  an  den  Mittel-  und  Hinterbeinen  von  Machilis 
kennen  gelernt  haben,  morphologisch  gleichwertig.  Das 
Vorkommen  von  Styli  an  8  Abdominalsegmenten  zeigt 
uns  wieder,  daß  die  Vorfahren  der  Insekten  an  allen 
Segmenten  Beine  besaßen  (was  ja,  wie  schon  gesagt, 
auch  durch  die  embryologischen  Befunde  bewiesen  ist). 

Die  Genitalanhänge  sind  je  nach  dem  Ge- 
schlecht verschieden.  Beim  Männchen  handelt  es 
sich  um  2  oder  4  klappenartige,  kräftig  chitinierte 
Gebilde,  die  neben  einem  unpaaren  medianen  Anhang,  dem  Penis,  sich  erheben, 
und  als  Parameren  bezeichnet  werden.  Sie  dienen  wohl  meistens  als  Halt- 
zangen zur  Befestigung  der  beiden  Geschlechter  während  der  Copula.  —  Im 
weiblichen  Geschlecht  sind  es  gewöhnlich  6  (bei  Thysanuren  nur  4)  längere 
stabförmige  Gebilde,  welche  sich  zu  einem  gemeinsamen  Legeapparat  (auch 
Legescheide  oder  Ovipositor  genannt)  zusammenfügen  i^Fig.  42).  Letzterer 
hat  vor  der  oben  erwähnten  „Legeröhre"  den  Vorzug,  daß  er  infolge  seiner 
Härte  auch  in  festere  Körper  einzudringen  vermag,  wobei  vielfach  auch  säge- 
oder  bohrerartige  Vorrichtungen  mitwirken  können.  Wir  finden  daher  Lege- 
scheiden hauptsächlich  bei  solchen  Insekten  ausgebildet,  welche  ihre  Eier  in 
den  Boden   (z.  B.  Heuschrecken),   oder  parasitisch   in   andere  Tiere  (Schlüpf- 


rig. 41.  Hinterleib  von  MachiUs 

(nach  L  a  n  g).  c  Cerci ;  hs  Styli ; 

Ir  Ovipositor. 


40 


Kapitel  II.     Die  äußere  Ersclieinung  der  Insekten  (Morphologie). 


Wespen),  oder  in  Holz  (z.  B.  Holzwespen)  usw.  legen.  Die  Länge  des  Lege- 
apparates kann  mitunter  sehr  beträchtlich  werden,  wie  manche  Schlupfwespen 
zeigen,  bei  denen  der  Legebohrer  länger  ist  als  das  ganze  Tier.  —  Bei 
manchen  Hymenopteren  (Bienen,  Wespen,  Ameisen  usw.)  bekommt  der  Lege- 
apparat entweder  neben  der  ursprünglichen  Funktion  (Weibchen)  oder  auch 
ausschließlich  (Arbeiter)  die  Bedeutung  eines  Giftstachels,  indem  der  Aus- 
fuhrgang einer  Giftdrüse  mit  ihm  in  Verbindung  tritt  (Funktionswechsel). 

Der  Legebohrer  besteht  meist  aus  2  Bohrern  oder  Sägen,  aus  einer  Rinne, 
welche  zur  „Führung"  dieser  Bohrer  dient  (Stachelrinne,  Gleitrinne),  und  zwei  den 
Bohrapparat  beiderseits  bedeckenden  Scheidenklappen  (Fig.  43).  —  Wahrscheinlich 
sind  die  Genitalanhänge  auf  Extremitäten  zurückzuführen ,  wenn'  sie  auch  embryo- 
onal  an  einer  anderen  Stelle,  nämlich  unmittelbar  an  der  Medianlinie  entstehen. 
Möglicherweise  verhalten  sich  aber  die  verschiedenen  Insekten  in  dieser  Beziehung 


Fig.  42.     Hinterleib  einer  weiblichen  Laubheuschrecke  mit 

langem,  kräftigem'  Legesäbel  Ov,  der  aus  Anhängen  des  8. 

und  9.  Segmentes  gebildet  wird-    Nach  B erlese. 


Fig.    43.     Querschnitt    durch    den 

Legestachel    einer    Holzwespe.     S 

die  beiden   Sägen;    i?   Gleitrinne; 

Seh  Scheidenklappe.    Nach 

Taschenberg. 


verschieden.  —  Die  männlichen  Genitalanhänge  finden  in  der  Systematik 
reichliche  Verwertung;  sind  sie  doch  auch  einerseits  fast  bei  jeder  Art  ver- 
schieden geformt,  während  sie  andererseits  innerhalb  der  Art  eine  relativ  hohe 
Konstanz  besitzen. 


4.  Skulptur  und  Färbung  der  Haut. 

Skulptur. 
Die  Chitincuticula,  die  den  Abschluß  des  Insektenkörpers  nach  außen 
bewirkt,  ist,  wie  aus  dem  Vorhergehenden  ersichtlich,  sehr  verschieden  stark 
ausgebildet,  und  kann  von  dem  zartesten  Häutchen  bis  zum  mehrfach  ge- 
schichteten dicken  starren  Panzer  variieren.  Auch  die  Oberflächenskulptur 
zeigt  große  Mannigfaltigkeiten,  indem  sie  glatt,  fein  oder  grob  gerunzelt,  ge- 
netzt, höckerig,  genarbt,  bedornt,  mit  Poren  besetzt  usw.  sein  kann.  —  Dazu 
kommt,  daß  die  Cuticula  meistens  auch  mit  Anhängen,  Chitinhaaren  oder 
Schuppen  bedeckt  ist. 

Die  ersteren  sind  allgemein  verbreitet  und  es  gibt  kein  Insekt,  welches 
der  Haare  vollkommen  entbehrt.  Allerdings  ist  die  Behaarung  oft  nur  sehr 
spärlich  und  nur  auf  einzelne  Stellen  beschränkt  (Extremitäten,  Flügeldecken- 
ränder usw.);  andererseits  kann  sie  aber  so  dicht  werden,  daß  sie  wie  ein 
Pelz  das  ganze  Tier  umhüllt.  Die  Behaarung  kann  ferner  anliegend  oder 
abstehend,  lang  oder  kurz,  seidenartig  weich  oder  borstig  sein. 
Auch    die  Form    der  einzelnen  Haare   kann  recht   verschieden  sein,   wie:    ge- 


Skulptur  und  Färbung  der  Haut. 


41 


dreht,   gespalten,   gekäiiiiiit,   gefiedert,   geknöpft   oder  am  Ende   glockenförmig 
erweitert  usw.  (Fig.  44). 

Wie  die  Form,  so  ist  auch  die  Funktion  der  Haare  eine  recht  vielseitige. 
Die  wichtigste  Aufgabe  besteht  in  der  Übermittlung  äußerer  Reize  (Sinneshaare); 
andere  Haare  dienen  zum  Schutz,  wieder  andere  zum  Sammeln  von  Blütenstaub 
(Sammelhaare),  oder  zum  Putzen  (Putzhaare),  oder  zum  Anheften  an  andere 
Gegenstände  (Hafthaare).  Oft  stehen  sie  auch  im  Dienst  der  Sekretion,  wobei  sie 
sogar  kleine  ballonartige  Auftreibungen  zeigen  können  (siehe  Fig.  52,  S.  53),  die  als 
Sammelreservoir  für  die  abgeschiedenen  Sekrete  dienen  (Drüsen-  oder  Gifthaare, 
Toxophore,  Trichome).  Bei  manchen  Wasserinsekten  dient  das  Haarkleid  dazu, 
Atemluft  festzuhalten;  bei  Holzinsekten  können  die  Haare  zur  Reinigung  der  Gänge 
von  Bohrmehl  mitbenutzt  werden. 

Nicht  so  allgemein  verbreitet  wie  die  Haare  sind  die  Schuppen; 
immerhin  kommen  auch  sie  bei  einer  grossen  Anzahl  von  Insekten  vor:  wie 
bei  den  Apterygoten,   Psociden, 

Trichopteren,Lepidopteren,  eini-  g^ 

gen  Coleopteren  und  Dipteren. 
Bei  den  flügellosen  Apter3^goten 
(Silberfischchen,  Felsenspringer 
usw.),  beiden  meisten  Schmetter- 
lingen  und    vielen    Käfern   (vor 


Fig.   44. 


Verschiedene    Haarformen. 
Nach  B erlese. 


Fig.  45.    Verschiedene  Schuppenformen.    A  von  einem 

Schmetterling;  B  von  Lepisma;  C  Duftschuppe  eines 

Schmetterlings. 


allem  aus  der  Familie  der  Rüsselkäfer,  Hirschkäfer,  Maikäfer,  Borkenkäfer  usw.) 
ist  häufig  der  ganze  Körper  mit  einem  mehr  oder  weniger  lückenlosen  Schuppen- 
kleid überzogen,  bei  anderen  dagegen  (Trichopteren,  einige  Dipteren)  sind 
die  Schuppen  hauptsächlich  auf  die  Flügel  beschränkt  oder  vielmehr  sogar 
nur  auf  einzelne  Regionen  derselben  (z.  B.  die  Adern).  —  Wo  es  sich  um 
eine  geschlossene  Schuppendecke  handelt  (wie  z.  B.  auf  den  Schmetterlings- 
flügeln), sind  die  Schuppen  gewöhnlich  in  regelmäßigen  Reihen  angeordnet, 
dachziegelförmig  übereinandergreifend. 

Von  den  Haaren  unterscheiden  sich  die  Schuppen  einmal  gewöhnlich 
durch  ihre  Kleinheit  (mit  bloßem  Auge  erscheinen  sie  als  Staub),  sodann  durch 
ihre  Form  (meistens  flache,  breite  Blättchen  mit  dünnem  Stiel)  und  endlich  durch 
ihren  losen  Zusammenhang  mit  der  Cuticula;  genügt  doch  meistens  schon  eine 
leise  Berührung,    die  Schuppen    abzustreifen,    während  die  Haare  gewöhnlich 


42  Kapitel  II.     Die  äußere  Erscheinung  der  Insekten  (^Morphologie). 

SO    fest    sitzen,    dass    sie    nur    durch    gewaltsames    Ziehen    entfernt    werden 
können. 

Die  Formenmannigfaltigkeit  der  Schuppen  ist  mindestens  ebenso  groß 
wie  die  der  Haare ;  wir  kennen  rechteckige,  breite,  schmale,  dreieckige,  ovale, 
runde  Schuppen,  mit  gerade  abgestutzter,  ausgerandeter,  gerundeter,  mehr- 
zackiger Spitze  usw.  (Fig.  45).  Manche  Schuppen  sind  so  schmal,  dass  sie 
der  Haarform  nahekommen  (haarförmige  Schuppen),  andere  (ebenfalls  lange, 
schmale)  sind  an  der  Spitze  gefranzt  (Federbusch-  oder  Duftschuppen)  oder 
fächerartig  verbreitert  (Fächerschuppen).  Oft  finden  sich  verschiedene  Formen 
auf  ein  und  demselben  Tier.  Im  allgemeinen  aber  kommen  doch  den  Schuppen 
der  einzelnen  Insektenordnungen  ganz  charakteristische  Merkmale  zu,  so  daß 
man  z.  B.  ohne  Schwierigkeit  eine  Käferschuppe  von  einer  Schmetterlings- 
schuppe zu  unterscheiden  vermag. 

Wie  die  Haare,  besitzen  auch  die  Schuppen  verschiedene  (wenn  auch  nicht 
so  vielseitige)  Funktionen;  in  erster  Linie  geben  sie  den  betreffenden  Insekten 
Färbung  und  Zeichnung;  sodann  können  sie  zur  Verdunstung  aromatischer  Sekrete 
(zwecks  Anziehung  der  Geschlechter)  dienen  (Duftschuppen),  oder  sie  können  dazu 
verwandt  werden,  die  abgelegten  Eier  zu  bedecken  und  schützen  (Eideckschuppen 
der  Prozessionsspinner)  usw. 

Im  Anschluß  an  die  Haare  und  Schuppen  sei  noch  auf  die  sog. 
Wachsbildungen  hingewiesen,  die  aus  besonderen  Hautdrüsen  (Wachs- 
drüsen) abgeschieden  werden,  und  in  Form  von  weißen  Haaren,  Fäden,  oder 
eines  flaumartigen  Überzuges  oder  einer  festen  Schicht  die  Oberfläche  des 
Körpers  (von  Blattläusen,  Zikaden,  Schildläusen  usw.)  bedecken.  Diese 
Bildungen,  die  wohl  als  Schutzeinrichtungen  aufzufassen  sind,  können  mit- 
unter eine  sehr  ansehnliche  Größe  erreichen  und  um  ein  mehrfaches  länger 
als  der  ganze  Körper  werden. 

Färbung. 
Die  Farbenpracht  der  Insekten  ist  allbekannt;  sie  ist  es  ja  in  erster 
Linie,  welche  die  Insekten  zu  den  populärsten  Tieren  gemacht  hat.  Die 
Färbung  ist  entweder  bedingt  durch  Farbstoffe  oder  durch  Struktureigen- 
tümlichkeiten der  Cuticula  (verschiedene  Lichtbrechung).  Wir  unterscheiden 
demnach  Pigmentfarben  oder  Strukturfarben  (auch  optische  Farben  ge- 
nannt); zu  den  ersteren  gehören  die  roten,  schwarzen,  braunen  und  gelben 
Töne,  zu  den  letzteren  hauptsächlich  die  blauen  und  grünen  (vor  allem  die 
Schillerfarben).  Die  schönsten  Farbeneffekte  werden  durch  Kombination 
der  Pigment-  und  Strukturfarben  bewirkt;  dadurch  entsteht  der  wunder- 
bare Glanz,  der  über  den  satten  Farben  mancher  Schmetterlinge  liegt,  und 
den  nachzuahmen  keinem  Künstler  gelingt. 

Die  Ursache  der  Färbung  (Pigment  oder  Struktur)  kann  entweder  in 
der  Haut  selbst,  oder  in  den  Anhängen  (Schuppen  oder  Haaren)  gelegen 
sein;  bei  den  Schmetterlingen  z.  B.  sind  es  größtenteils  die  Schuppen,  welche 
die  Färbung  bedingen,  bei  den  Käfern  liegt  der  Farbstoff  gewöhnlich  in  der 
Cuticula  oder  der  Hypodermis  oder  in  beiden  (bei  einigen  allerdings  auch  in 
Schuppen)  usw. 


Skulptur  und  Färbung  der  Haut.  43 

Bei  manchen  Rüsselkäfern  (z.  B.  Lixus,  Larinus)  beruht  die  Färbung  auf 
farbigen  (gelben,  gelbgrünen  usw.)  Exkreten,  die  als  puderartiger  Belag  die  Haut 
bedecken.  Derselbe  läßt  sich  leicht  abstreifen,  erneuert  sich  aber  beim  lebenden 
Tier  in  kurzer  Zeit  wieder. 

Die  Färbung  und  Zeichnung  spielt  in  der  Systematik  eine  große  Rolle;  jedoch 
kann  ihr  nicht  überall  der  gleiche  Wert  beigelegt  werden,  da  sie  nicht  überall 
konstant,  sondern  bei  vielen  Arten  sogar  recht  inkonstant  und  variabel  ist;  so  gibt 
es  Arten,  bei  denen  man  kaum  2  völlig  gleich  gefärbte  Individuen  trifft  (z.  B. 
Tetropiutn  luridum^  Callidium  variabile). 

Die  Skulptur  und  Färbung  dienen  in  vielen  Fällen  dem  Schutze  des 
Tieres.  —  Es  ist  sicherlich  kein  Zufall,  daß  viele  Insekten  bezüglich  ihrer 
Färbung  oder  Skulptur  so  sehr  mit  ihrem  gewöhnlichen  Aufenthaltsort 
übereinstimmen,  daß  man  das  ruhig  sitzende  Insekt  von  seiner  Um- 
gebung kaum  zu  unterscheiden  vermag.  Diese  Übereinstimmung  bedeutet 
für  die  betreffenden  Insekten  zweifellos  einen  großen  Schutz  gegen  die  sie 
verfolgenden  Vögel  usw.,  die  an  solchen  Insekten  natürlich  eher  vorbei- 
fliegen, als  an  abstechend  gefärbten,  auffallenden  Tieren.  Man  bezeichnet 
daher  eine  derartige  Anpassung  an  die  Umgebung  als  „schützende 
Ähnlichkeit." 

Einheimische  Beispiele  dafür  sind  die  grüne  Färbung  vieler  Gras-  und  Baum- 
tiere, z.  B.  die  Laubheuschrecken;  die  bräunliche  Färbung  des  Kiefernspinners, 
welcher  sich  in  der  Ruhe  nur  schwer  von  der  Kiefernborke  unterscheiden  läßt;  die 
rötliche  (gescheckte)  Färbung  des  Kieferntriebwicklers  (Tortrix  buoltana),  die  den 
auf  dem  ebenso  gefärbten  Maitrieb  sitzenden  Schmetterling  kaum  entdecken  läßt; 
oder  die  plattgedrückten  Baumwanzen  (z.  B.  Aradus),  welche  einem  abgelösten 
Rindenschüppchen  täuschend  ähneln  usw.  Noch  auffallender  sind  die  „schützenden 
Ähnlichkeiten"  in  den  Tropen;  wir  erinnern  nur  an  das  allbekannte  wandelnde 
Blatt,  das  genau  wie  ein  grünes  Blatt  aussieht,  oder  an  die  Stabheuschrecken,  die 
kleine  Äste  copieren,  oder  an  die  sog.  Blattschmetterlinge,  die  in  der  Ruhestellung 
ganz  und  gar  einem  verdorrten  Blatt  gleichen. 

Bei  allen  diesen  schützenden  Ähnlichkeiten  sind  meist  nur  diejenigen  Körperteile 
übereinstimmend  (mit  der  Umgebung)  gefärbt,  welche  in  der  Ruhestellung  nach 
außen  gekehrt,  d.  h.  sichtbar  sind.  So  ist  bei  den  letztgenannten  Blattschmetter- 
lingen nur  die  Unterseite  der  Flügel  blattähnlich,  weil  in  der  Ruhestellung  nur 
diese  zu  sehen  sind ;  bei  Tortrix  buoliana  hat  nur  die  Oberseite  der  Vorderflügel  die 
triebähnliche  Färbung,  da  beim  Sitzen  nur  diese  offen  daliegen ;  und  noch  bei  vielen 
anderen  Schmetterlingen  (z.  B.  Ordensbänder)  läßt  sich  die  differente  Färbung 
zwischen  Hinter-  und  Vorderflügel  in  der  gleichen  Weise  erklären. 

Eine  andere  Form  der  schützenden  Ähnlichkeit  besteht  darin,  daß  eine 
Insektenart  einer  anderen  systematisch  gänzlich  verschiedenen  Art  in  Habitus 
und  Farbe  täuschend  ähnelt,  so  daß  die  beiden  bei  oberflächlicher  Betrachtung 
leicht  miteinander  verwechselt  werden  können.  Man  bezeichnet  diese  Er- 
scheinung als  Nachahmung  oder  Mimikry.  Biologisch  ist  dieselbe  dadurch 
verständlich,  daß  die  nachgeahmte  Art  meistens  wehrhaft  ist  (mit  Giftstachel 
ausgerüstet  usw.),  oder  einen  ekelerregenden  Geruch  oder  Geschmack  be- 
sitzt, und  deshalb  von  den  Insektenfressern  verschmäht  wird,  während  die 
nachahmende  Art  gewöhnlich  weder  die  eine  noch  die  andere  Eigenschaft 
besitzt.  Die  letztere  profitiert  also  durch  ihre  Nachahmung  (die  gewisser- 
maßen eine  Verkleidung  darstellt)  von  dem  Respekt,  den  die  nachgeahmten 
Vorbilder  infolge  ihrer  Waffen  usw.  genießen. 


44  Kapitel  II.     Die  äußere  Erscheinung  der  Insekten  (Morphologie). 

Eines  der  bekanntesten  Beispiele  von  Mimikry  aus  unserer  Fauna  ist  der 
Hornissenschwärmer,  ein  harmloser  Schmetterling,  der  in  Zeichnung  und  Form  der 
gefürchteten  Hornisse  sehr  ähnlich  ist  (Fig.  46).  Ferner  gibt  es  unter  den  Schwebe- 
fliegen mehrere  Arten,  welche  Hummeln  oder  Bienen  zum  Verwechseln  ähneln; 
auch  einige  Käfer  (Necydalis)  ahmen  Wespen  nach.  —  Häufiger  noch  kommt  die 
Mimikry  in  der  tropischen  Insektenwelt  vor,  wobei  es  sich  hauptsächlich  um 
Schmetterlinge  aus  verschiedenen  Gattungen  oder  Familien  handelt,  die  sich  nach- 
ahmen. Manchmal  ahmt  nur  das  weibliche  Geschlecht  ein  geschütztes  Vorbild 
nach,  während  das  Männchen  sein  Familienkleid  unverändert  bewahrt;  bedarf  doch 
auch  das  weibliche  Geschlecht  im  Interesse  der  Erhaltung  der  Art  weit  mehr  des 
Schutzes  als  das  Männchen. 

5.  Dimorphismus  (bezw.  Polymorphismus). 

Unter  Polymorphismus  verstehen  wir  die  Eigenschaft  einer  Art,  sich  in 
mehrere  verschiedene  Formen  zu  differenzieren,  die  alle  mehr  oder  weniger 
regelmäßig  bei  jeder  Generation  oder  bei  gewissen  Generationen  als  Kinder 
gleicher  Eltern  wieder  erzeugt  werden.  Polymorphe  Arten  sind  also  solche, 
welche  in  verschiedenen  Formen  auftreten,  sei  es  gleichzeitig,  oder  zu  ver- 
schiedenen Zeiten  oder  in  einem  mehr  oder  weniger  regelmäßigen  Zyklus. 


Fig.  46.    Mimikry:  Wespe  und  Hornissenscliwärmer.    (Aus  Claus- Grobb  en.) 

Es  lassen  sich  (nach  Döderlein)  mehrere  Kategorien  von  Polymorphis- 
mus resp.  Dimorphismus  unterscheiden,  von  denen  wir  folgende  hier  erwähnen 
wollen: 

1.  Sexueller  Dimorphismus.  Ein  solcher  liegt  da  vor,  wo  die  beiden 
Geschlechter  sich  nicht  nur  durch  die  eigentlichen  Geschlechtsorgane  (primäre 
Geschlechtscharaktere)  unterscheiden,  sondern  außerdem  auch  noch  durch  die 
Gestalt,  Färbung,  Struktur  usw.  (sekundäre  Geschlechtscharaktere)  wesentlich 
voneinander  abweichen.  Dadurch  ist  in  vielen  Fällen  die  Möglichkeit  gegeben, 
auf  den  ersten  Blick  Männchen  und  Weibchen  einer  Art  zu  erkennen.  Die 
Unterschiede  können  einerseits  nur  geringe  sein,  so  daß  man  danach  suchen 
muß,  andererseits  aber  auch  so  groß,  daß  Zuchtversuche  und  die  Beobachtung 
der  regelmäßigen  Begattung  notwendig  waren,  um  die  Zusammengehörigkeit 
der  betr.  Formen  zu  einer  Art  festzustellen. 

Es  seien  im  folgenden  einige  der  auffallenderen  und  häufigeren  Beispiele  aus 
unserer  einheimischen  Fauna  genannt.  Bei  vielen  Insektenarten,  besonders  lebhaft 
gefärbten  Formen,  unterscheiden  sich  die  beiden  Geschlechter  durch  eine  ver- 
schiedene Färbung  oder  Zeichnung,  so  z.  B.  der  Aurorafalter  (Pieris 
Cardaiuittes  L.):    beim  cf  Sphzenhäfte   der  Vorderflügel   mit   oranger,   beim   9    niit 


Dimorphismus.  45 

weißer  Grundfarbe;  der  Kohlweißling  (Pietis  Brassicae):  $  mit  zwei  schwarzen 
Flecken  auf  dem  Vorderflügel,  die  dem  cT  fehlen;  viele  Bläulinge  (z.  B.  Lycaena 
Bellargus  Rott):  Flügel  des  cf  schön  himmelblau,  des  9  dunkelbraun  mit  rotgelben 
Randflecken;  der  Schwammspinner  (^i^«m  dispar  L.):  Grundfarbe  der  Flügel  beim 
cf  graubraun,  beim  $  gelblich  weiß;  zwei  Bockkäfer,  Leptura  testacea  L.:  cf  Hals- 
schild schwarz,  Flügeldecken  lehmgelb,  9  Halsschild  und  Flügeldecken  rotbraun 
-  und  den  verwandten  Toxotus  cursor  L.\  cf  schwarz,  9  rötlich  gelbbraun  mit 
einem  roten  Längsstreif  auf  jeder  Flügeldecke;  von  Orthopteren  die  Wasserjungfer, 
Calopteryx  virgo  L.:  cT  Körper   und  Flügel  tiefblau,   9    Körper  grün,    Flügel  braun. 

Die  als  Größendifferenzen  sich  ausprägenden  sekundären  Geschlechts- 
unterschiede können  in  zwei  Richtungen  ausgebildet  sein;  bei  vielen  Insekten  ist 
das  Weibchen,  bei  anderen  das  Männchen  der  stärkere  Teil.  Der  erstere  und  bei 
weitem  häufigere  Fall  hängt  zusammen  mit  dem  Umstände,  daß  die  von  dem 
Weibchen  produzierten  Eier  den  von  dem  Männchen  produzierten  Samen  an 
Volumen  bedeutend  übertreffen.  Kleiner  sind  die  Männchen  bei  vielen  Feld- 
heuschrecken, bei  vielen  Bockkäfern,  z.  B.  bei  Pachyta  cerambyciformis  Schrank, 
bei  den  Ölkäfern,  Meloe,  und  der  spanischen  Fliege,  Lytta  vesicatoria  L ,  bei  den 
Blatt-  und  Holzwespen,  z.  B.  bei  Lophyrus  pini  L.  und  Sirex  juvencus  L.,  sowie  bei 
den  Ameisen;  bei  vielen  Spinnern,  z.  B.  dem  Kiefernspinner,  den  Flöhen  und  der 
Hirschlausfliege,  Lipoptena  cervi  L.  Der  extremste  Fall  in  unserer  Fauna  ist  wohl 
bei  Tomicus  dispar  Fabr.,  einem  Laubholzborkenkäfer,  vorhanden.  Der  andere 
Fall,  daß  die  Männchen  größer  sind,  tritt  besonders  bei  den  Formen  ein,  bei 
welchen  die  Männchen  um  den  Besitz  der  Weibchen  kämpfen.  Stärkerer  Statur 
sind  z.  B.  die  Männchen  vieler  Schaben,  ferner  der  Lucam'dae,  z.  B.  bei  Dorcus 
parallelopipedus  L.  und  bei  unserer  Honigbiene. 

Die  eben  erwähnten  geschlechtlichen  Färbungs-  und  Größenunterschiede  sind 
häufig  verbunden  mit  der  dritten  Kategorie  der  sekundären  Geschlechtscharaktere, 
mit  den  Strukturverschiedenheiten  gewisser  Körperteile.  Die  solche  Aus- 
zeichnung zeigenden  Körperteile  können  einmal  stärker  ausgebildet,  anderersehs  redu- 
ziert sein.  Ersteres  ist  meist  das  Teil  der  Männchen.  Diese  haben  häufig  stärker  aus- 
gebildete .Sinnesorgane  als  das  Weibchen,  eine  Ausstattung,  welche  ihnen  das  Auf- 
finden der  Weibchen  erleichtert.  Die  als  Tast-  und  Geruchsorgane  dienenden 
Fühler  sind  stärker  gebaut  bei  den  Männchen  vieler  Käfer,  z.  B.  des  Maikäfers  und 
des  Walkers,  vieler  Bockkäfer,  z.  B.  Prionus  coriarius  L.  und  Astynomus  aedilis  L. 
mancher  Hymenopteren,  z.  B.  Lophyrus  pini,  vieler  Schmetterlinge  aus  den  Gruppen 
der  Schwärmer,  Spinner  und  Spanner,  z.  B.  Kiefernspinner  und  Kiefernspanner, 
der  .Stechmücken,  Culex  pipiens  L.  u.  s.  f.  Die  Augen  sind  größer,  ja  sogar  ge- 
doppelt, bei  den  Männchen  mancher  Eintagsfliegen,  z.  B.  der  Ephemera  vulgata  L. 
und  Cloeon  dipterum  L.  und  vieler  bienenartigen  Insekten,  z.  B.  bei  den  Drohnen  der 
Honigbiene,  bei  welchen  sie  auf  dem  Scheitel  zusammenstoßen,  während  sie  bei 
Arbeiterinnen  und  Königin  getrennt  bleiben;  bei  den  Männchen  mancher  Zweiflügler, 
z.  B.  Bibio  marci  Z,.,  nehmen  die  Augen  den  ganzen  Kopf  ein,  während  sie  bei  den 
Weibchen  klein  und  getrennt  bleiben.  Die  Männchen  verschiedener  Geradflügler 
besitzen  ferner  Tonorgane,  welche  den  Weibchen  abgehen,  während  allerdings  in 
anderen  Gruppen  beide  Geschlechter  mh  solchen  Lockmitteln  versehen  sind.  (Vgl. 
den  Abschnitt  über  die  Lautäußerungen  der  Insekten  in  Kap.  III.) 

Der  bedeutenderen  Größe  mancher  Männchen  gesellen  sich  noch  ausgeprägte 
Kampforgane  bei,  wie  wir  sie  z.  B.  in  den  geweihartig  verlängerten  Vorder- 
kiefern des  Hirschkäfers  kennen,  sowie  Apparate  zum  Festhalten  des  sich  sträubenden 
Weibchens,  wie  z.  B.  die  Haftscheiben  an  den  Vordertarsen  vieler  Schwimmkäfer, 
z.  B.  des  Dytiscus  marginalis,  und  die  Sohlenbildungen  an  den  Vordertarsen  vieler 
Laufkäfermännchen,  z.  B.  bei  Calosoma  sycophanta  L.  Hierzu  kommen  noch  eine 
Reihe  von  Auszeichnungen  der  Männchen,  welche,  da  ihr  Zusammenhang  mit  dem 
Geschlechtsleben  nicht  ohne  weiteres  verständlich,  uns  als  bloße  Zierraten  er- 
scheinen, so  die  Hörner  auf  Kopf-  und  Halsschild,  welche  bei  vielen  exotischen 
Lamellicorniern   ihre   höchste   Ausbildung   erreichen,   aber   auch  in   unserer  Fauna 


46  Kapitel  II.     Die  äußere  Erscheinung  der  Insekten  (Morphologie). 

vorkommen,    z.  B.   bei  dem  Nashornkäfer,   Oryctes  iiasicornis  L.  und  dem  Sinoden- 
dron  cylindricum  L. 

Andererseits  sehen  wir  bei  vielen  Weibchen,  welche  infolge  des  eier- 
beschwerten Hinterleibes  schon  ohnehin  häufig  weniger  beweglich  sind  als  die 
Männchen,  die  Bewegungsorgane  und  besonders  die  Flügel  verkümmert.  Die 
schönsten  Beispiele  hierfür  geben  uns  viele  Schmetterlinge.  So  sind  z.  B.  bei 
einer  häufigen  einheimischen  Motte,  Chimabacche  fagella,  die  Flügel  des  Weibchens 
noch  annähernd  halb  so  lang  als  beim  Männchen,  bei  dem  Frostspannerweibchen, 
Cheimatobia  brumata  Z..,  sind  sie  bereits  auf  Rudimente  reduziert,  bei  Orgyia 
antiqua  L.  im  Verhältnis  zu  dem  Körper  des  Weibchens  schon  verschwindend, 
und  die  Weibchen  der  Gattung  Psyche^  welche  madenförmig  bleiben,  ermangeln 
der  Flügel  und  ausgebildeter  Beine  völlig.  Auch  einige  Käfer,  z.  B.  unser  gewöhn- 
licher Leuchtkäfer  Lampyris  splendidula^  haben  larvenähnliche,  ungeflügelte,  sowie 
auch  der  Flügeldecken  entbehrende  Weibchen. 

Es  kommen  aber  auch  Fälle  vor,  in  welchen  den  Weibchen  besondere,  den 
Männchen  fehlende  Ausstattungen  zukommen;  dieselben  beziehen  sich  immer  auf 
die  Brutpflege.  Hierher  können  wir  den  verlängerten  Rüssel  der  Weibchen  der 
Rüsselkäfergattung,  Balaninus,  rechnen,  welche  zur  Unterbringung  der  Eier  in  der 
Tiefe  der  Fruchtknoten  dienen,  sowie  die  zum  Sammeln  des  als  Larvennahrung 
dienenden  Blumenstaubes  eingerichteten  Hinterbeine  der  Weibchen  vieler  Blumen- 
bienen. 

Wenn  auch  die  Insekten  normalerweise  getrennten  Geschlechts  sind,  so 
kommen  doch  hier  und  da  als  Monstrositäten  Zwitter  vor.  Bezieht  sich  der  Herma- 
phroditismus auf  sexuell  dimorphe  Arten,  so  prägt  sich  derselbe  meist  schon  äußer- 
lich aus;  so  existieren  z.  B.  Zwitter  vom  Frostspanner,  die  auf  der  einen  Seite  die 
wohlausgebildeten  Flügel  der  Männchen  tragen,  auf  der  anderen  Seite  dagegen  nur 
mit  den  stark  .verkümmerten  Flügelresten  der  Weibchen  ausgestattet  sind.  Auch 
beim  Schwammspinner  und  Kiefernspinner  sind  solche  regelmäßig  seitliche  Zwitter 
bekannt,  bei  denen  die  eine  Seite  die  männliche,  die  andere  die  weibliche  Zeichnung 
trägt  (siehe  unten). 

2.  Der  alternierende  Polj'morphismus.  Die  verschiedenen  Formen 
treten  in  regelmäßigem  Wechsel  in  aufeinanderfolgenden  Generationen  auf. 
Wir  finden  diesen  Polymorphismus  da,  wo  parthenogenetische  und  gamo- 
genetische  (doppelgeschlechtliche)  Generationen  miteinander  abwechseln,  wie 
bei  den  Gallwespen,  wo  die  Unterschiede  zwischen  den  Tieren  der  beiden 
Generationen  so  bedeutend  sind,  daß  man  sie  früher  vielfach  als  verschiedene 
Arten  aufgefaßt,  ja  sogar  in  verschiedene  Genera  gestellt  hat  (z.  B. 
Tereas  terminalis  Hrtg.  und  Biorhiza  aptera  F.).  Oder  bei  den  Afterblatt- 
läusen (Chermesiden),  wo  nicht  nur  zwei,  sondern  mehrere  in  einem  regel- 
mäßigen Z3^klus  aufeinanderfolgende  verschiedene  Formen  vorkommen. 

3.  Der  Saisondimorphismus.  Dieser  kann  als  eine  besondere  Form 
des  alternierenden  Polymorphismus  aufgefaßt  werden,  wobei  die  Formver- 
schiedenheiten direkt  durch  den  Klimawechsel  während  der  verschiedenen 
Jahreszeiten  veranlaßt  werden.  Hierher  gehören  die  sog.  Winter-  und  Sommer- 
formen (resp.  in  den  Tropen  die  Regen-  und  Trockenformen)  bei  den 
Schmetterlingen,  deren  bekanntestes  Beispiel  Vanessa  levana  (braune  Winter- 
form) und  V.  prorsa  (dunkle  Sommerform)  ist  (Fig.  47). 

4.  Der  fakultative  Polymorphismus.  Die  Kinder  der  gleichen 
Mutter  treten  ohne  ersichtlichen  äußeren  Anlaß  mehr  oder  weniger  regel- 
mäßig   in   verschiedener   Gestalt    auf,    und    zwar    gleichzeitig    nebeneinander. 


Dimorphismus. 


47 


Fig.  47.    Saisondimorphismus.    Vanessa  levana,  Sommmerform  (rechts) 
und  Winterform  (links). 


Der  fakultative  Poh-morphismus  kann  sich  nur  auf  das  eine  Gesctilecht  be- 
schränken, wie  z.  B.  bei  dem  Gelbrandkäfer  {Dytiscus),  bei  dem  die  Weibchen 
mit  gerippten  oder  glatten  Flügeldecken  vorkommen;  oder  aber  auf  die  beiden 
Geschlechter  in  gleicher  Weise  sich  beziehen,  wie  bei  der  Nonne,  wo  oft 
dunkle  und  helle  Formen 
(9  und  cf)  nebenein- 
ander vorkommen,  und 
bei  vielen  anderen  stark 
variablen  Schmetter- 
lingen und  Käfern. 

5.  Der  soziale 
Polymorphismus. 
Bei  den  sozialen  Insek- 
ten treten  neben  den  Geschlechtsindividuen  (Männchen  und  Weibchen),  die  für 
die  Fortpflanzung  zu  sorgen  haben,  noch  die  sog.  Arbeitstiere  oder  Arbeiter 
auf,  welchen  der  Nestbau,  die  Herbeischaffung  der  Nahrung,  die  Pflege  der 
Larven  usw.  obliegt.  Die  Arbeiter  unterscheiden  sich  von  den  Geschlechts- 
tieren durch  eine  ganze  Reihe  auffallender  Merkmale;  im  einfachsten  Fall 
(Wespen)  nur  durch  kleinere  Statur,  bei  den  Bienen  durch  die  längere  Zunge, 
das  Vorhandensein 

eines   Sammelapparates  ^^  ^  '^^^^f         \ 

usw.,  bei  den  Ameisen 
und  Termiten  durch 
Flügellosigkeit  und  (da- 
mit zusammenhängend 
andere  Thoraxbildung) 
ferner  kräftigere  Man- 
dibeln  und  meist  auch 
noch  durch  ihre  kleinere 
Statur.  Die  Unterschiede 
zwischen  Arbeitern  und 

Geschlechtstieren 
können  bei  den  Ameisen 
und  Termiten  so  groß 
werden,  daß  es  ein- 
gehender Untersuchung 
und  direkter  Beobach- 
tung bedarf,  um  sie 
als  zusammengehörig  zu 
erkennen;  gibt  es  doch  Ameisenweibchen 
dazu  gehörigen  Arbeiter  (Fig.  48). 

Die  Formspaltung  geht  bei  den  Ameisen  und  Termiten  aber  vielfach 
noch  w^eiter,  indem  sich  die  Arbeiter  wieder  in  2  verschiedene  Kasten  teilen: 
die  Arbeiter  s.  str.  und  die  „Soldaten",  die  speziell  der  Verteidigung  angepaßt 
sind,  und  die  mitunter  (vor  allem  durch  Vergrößerung  und  Umgestaltung  des 
Kopfes   nebst   den   Kiefern)    mindestens   ebenso    sehr  von  den  Arbeitern   ab- 


Fig.  48.  Sozialer  Polymorphismus  bei  Ameisen  (Aphaenogaster).  1 — 3 
großer,  mittlerer  und  kleiner  Arbeiter;  4  Königin  (älteres,  entflügeltes 
Weibchen);  5  junges,  geflügeltes  Weibchen  vor  dem  Hochzeitsflug; 
6  Männchen.  Nach  Emery  (Wandtafeln  zur  allgemeinen  Biologie, 
Verlag  von  Erwin  Nägele,  Leipzig). 


die    10  mal    so    lang   sind   als    die 


48  Kapitel  II.     Die  äußere  Erscheinung  der  Insekten  (Morphologie). 

weichen,  wie  diese  von  den  Geschlechtstieren.  Endlich  können  auch  innei- 
halb  der  Soldaten  und  der  Arbeiterkaste  nochmals  Differenzierungen  Platz 
greifen:  in  große,  mittlere  und  kleine  Soldaten  resp.  Arbeiter. 

Die  morphologische  Differenzierung  geht  Hand  in  Hand  mit  einer  immer 
weiter  greifenden  Arbeitsteilung,  indem  die  verschiedenen  Funktionen  mehr  und 
mehr  auch  von  verschiedenen,  besonders  angepaßten  Individuen  ausgeführt  werden. 
Die  Arbeiter  stellen  in  den  meisten  Fällen  rückgebildete  Weibchen  dar  mit 
verkümmerten  Geschlechtsorganen  (^die  aber  nötigenfalls  event.  wieder  in  Funktion 
treten  können);  nur  bei  den  Termiten  besteht  das  Arbeiterheer  sowohl  aus  männ- 
lichen als  auch  aus  weiblichen  (natürlich  rückgebildeten  resp.  nicht  gänzlich  aus- 
gereiften) Individuen. 

Literatur. 

Lehr-  und  Handbücher. 
Berlese,  Antonio,  Gli  Insetti.     Bd.  I.     (1004  S.  und  1292  Fig.  im  Text  und  10  Taf.) 
Mailand  1909. 

Es  ist  dies  weitaus   das  beste  der  heute   existierenden  Handbücher   der 
Entomologie,     das    jedem     wissenschaftlich     arbeitenden    Entomologen     unent- 
behrlich ist. 
Escherich,  K. ,  Die  Ameise,  Schilderung  ihrer  Lebensweise.     Braunschweig  1906. 

—  —  Die  Termiten  oder  weißen  Ameisen.     Leipzig  1911. 
Folsom,  J.  W,  Entomologv.     Philadelphia  1909. 
Graber,  V.,  Die  Insekten.'  2  Bände.     München  1877—1879. 
Groß,  J. ,  Die  Insekten  (Sammlung  Göschen).     Berlin  1911. 
Henneguy,  L.  F.,  Les  Insektes.     804  S.,  622  Fig.   und  4  Taf.     Paris  1904. 
Hesse-Doflein,  Tierbau   und  Tierleben.     Bd  I.     Der  Tierkörper  als  selbständiger 

Organismus  von  R.  Hesse.     799  S.,  480  Fig.  und  15  Taf.     Leipzig  1910. 

Ein  vorzügliches  Werk,  indem  die  Form  des  Tierkörpers  und  seiner  Teile 
aus  der  Lebensweise  resp.  aus  seiner  Funktion  zu  erklären  versucht  wird. 

Houlbert  C  ,  Les  Insektes.     Paris  1901.     370  S.,  202  Fig. 

Kolbe,  H.  J.,  Einführung  in  die  Kenntnis  der  Insekten.     709  S.,  324  Fig.     Berlin  1893. 

Miall,  L.  C.,  The  natural  historv  of  aquatic  Insects.     London  1895. 

Packard,  A.  S.,  A.  Text-Book  of  Entomologv.     729  S.,  654  Fig.     Newyork  1898. 

Schröder,  Chr.     Handbuch  der  Entomologie".     Im  Erscheinen  begriffen. 

Sharp,  David,  Insects.  The  Cambridge  Natural  history  Bd.  V  und  VI.  London 
1895  und  1899. 

Wheeler,  W.  M.,  Ants.     63  S.,  284  Fig.     Newyork  1910. 

Zander,  Enoch,  Handbuch  der  Bienenkunde.     III.  Der  Bau  der  Biene.     Stuttgart. 
Eine  klare  Darstellung  des  Baues  der  Biene,  welche  auch  zur  ersten  Ein- 
führung in  die  Insektenkunde  geeignet  ist. 

Spezialarbeiten,  auf  die  im  vorstehenden  Kapitel  Bezug 
genommen  ist. 

Born  er,  C,  Die  Tracheenkiemen  der  Ephemeriden.  Zoologischer  Anzeiger,  33.  Bd., 
1908,  S.  806-823. 

Die  Gliederung  der  Laufbeine  der  Ateloceraten.  Sitzungsbericht  der  Gesell- 
schaft naturforschender  Freunde  zu  BerUn  1902,  Heft  9. 

—  —  Zur  Klärung   der  Beingliederung   der   Ateloceraten.      Zoologischer   Anzeiger, 

27.  Bd.,  1904,  S.  227—243. 

Comstok  u.  Kochi  C,  The  sceleton  of  the  head  of  Insects.  Amer.  Nat.  Vol.  36, 
1902. 

Comstok  u.  Needham,  The  wings  of  Insects.  Amer.  Nat.  Vol.  32  und  33,  1898 
bis  1899. 

Döderlein,  Über  die  Beziehungen  nahverwandter  Tierformen  zueinander.  Zeitschr. 
f.  Morphol.  und  Anthropol.,  Bd.  4,  1902,  S.  394-442. 

Heymons,  R.,  Die  Segmentierung  des  Insektenkörpers.  Abhandl.  der  Kgl.  Preuß. 
Akademie  der  Wissenschaften,  1895. 

Zur  Morphologie  der  Abdominalanhänge  bei  den  Insekten.  Morphol.  Jahr- 
buch, 24.  Bd.,  1896,  S.  178—204. 


Literatur.  49 

Heymons,  R. ,  Der  morphologische  Bau  des  Insektenabdomens.  Zoologisches 
Zentralblatt,  4.  Jahrgang  1899,  S.  537—556. 

Über  die  Zusammensetzung  des  Insektenkopfes.  Sitzungsbericht  der  Gesell- 
schaft naturforschender  Freunde  zu  Berlin  1897. 

Die   Hinterleibsanhänge  der   Libellen   und   ihrer  Larven.     Annalen  des  K.  K. 

Naturhist.  Hofmuseums.     Wien  1904,  S.  21—58. 

Jordan,  H.,  Die  Wirkungsweise  der  Mundwerkzeuge  bei  Seidenraupen.  Biologisches 
Zentralblatt,  31.  Bd.,  1911,  S.  111—114. 

Prell,  H.,  Das  Chitinskelett  von  Eosentomon.     Stuttgart  1913. 

Verhoeff,  K.  W.,  Zur  Kenntnis  der  vergleichenden  Morphologie  der  weiblichen 
Coleopteren.     Deutsche  Entom.  Zeitschr.  1894,  S.  177—188. 

—  —  Zur   Alorphologie   der  Segmentanhänge   der  Insekten  und  Myriopoden.     Zoo- 

logischer Anzeiger,   19.  Bd. 

—  —  Über  vergleichende  Morphologie  des  Kopfes  der  niederen  Insekten.    Abhandl. 

Kais.  Leop.-Carol.     Akademie  der  Naturforscher,  Bd.  LXXXIV,  Nr.  1,  1904. 
Voß,  Friedrich,  Über  den  Thorax  von  Gryllus  domesticus,  Zeitschr.  f.  wissensch. 

Zoologie,  Bd.  LXXVIII,  1904. 
Woodworth,  C.  W.,  The  Wing  veins   of  Insects.     University    of  California  Publi- 

cations.     Entomologv.     Vol.  Nr.  1,  1906. 


Escherich,  Forstinsekten. 


Kapitel  III. 

Der  innere   Bau   der  Insekten 
(Anatomie  und  Physiologie). 


Zur  übersichtlichen  Orientierung  über  die  Anordnung  der  Organe  resp. 
Organsysteme  und  deren  Lagebeziehungen  zueinander  betrachten  wir  am 
besten  einen  Längsschnitt  durch  den  Insektenkörper  (Fig.  49).  Da  sehen 
wir  zu  äußerst  die  Leibeswand,  bestehend  aus  Cuticula,  Hypodermis  und 
Muskulatur;   die  von  ihr  umschlossene  Körperhöhle  wird  in  der  Mitte  durch- 


Fig.  49.    Schematische  Darstellung  der  Lage  der  Organe  im  Insektenkörper,    b:  Herz  (Rückengefäß); 
Yi  Vorder-,  Mi  Mittel-,  'Eä  Enddarm;  Ä^  Nervensystem ;  (?  Geschlechtsorgan;  .Ensc  Endoskelett. 

zogen  von  dem  Darmkanal,  der  am  Vorder-  und  Hinterende  durch  Mund 
und  After  mit  der  Außenwelt  in  Verbindung  steht,  und  der  meist  mehrere 
Anhangsdrüsen  besitzt,  von  denen  vor  allem  die  Speicheldrüsen  und  die 
Malpighischen  Gefäße  (Harngefäße)  größeren  Umfang  annehmen  können. 
Dorsal  vom  Darmrohr  liegt  das  zarte,  mit  segmentalen  Einschnürungen 
versehene  „Rückengefäß"  oder  Herz,  während  ventral  davon  der  größte 
Teil  des  Zentralnervensystems,  das  Bauchmark,  sich  hinzieht.  Nur  im 
vordersten  Körperabschnitt,  im  Kopf,  ist  das  Nervensystem  dorsalwärts 
gerückt  und  liegt  als  sog.  Gehirn  über  dem  Darmrohr  resp.  Schlund;  eine 
jederseits  des  Darmes  herabziehende  Kommissur  (Schlundkommissur)  ver- 
bindet den  dorsalen  Teil  des  Zentralnervensystems  mit  dem  ventralen.  — 
Im  hinteren  Körperabschnitt,  der  Bauchhöhle,  sehen  wir  neben  dem  Darm 
die  mehr  oder  weniger  umfangreichen  Geschlechtsorgane  (Ovarien  oder 
Hoden  und  deren,  meist  mit  Anhangsdrüsen  versehenen  Ausfuhrgänge),  die 
stets  auf  der  Bauchseite,  unterhalb  des  Darmes  (resp.  vor  demselben)  nach 
außen  münden.  Endlich  ist  noch  das  Respirationsorgan,  das  sog.  Tracheen- 
system, zu  erwähnen,  welches  von  den  segmental  angeordneten  Luftlöchern 


Die  Haut.  51 

oder  Stigmen   entspringt   und  ein  oder   mehrere  Paare   Längsstämme   bildet, 
von  denen  zahlreiche,  sich  immer  feiner  verzweigende  Äste  abgehen. 

Diese  einfache  Anordnung  der  Hauptorgane  wird  teilweise  verschoben, 
indem  der  Darmkanal  länger  wird,  als  der  gerade  Abstand  von  Mund  zu 
After,  und  auch  die  Ausführungsgänge  der  Fortpflanzungsorgane  sich  strecken. 
Alsdann  liegen  Darm  und  Fortpflanzungsorgane,  die  seitliche  Symmetrie 
störend,  aufgeknäuelt  im  Hinterleibe.  —  Der  Raum  zwischen  den  einzelnen 
Eingeweiden  wird  zum  Teil  ausgefüllt  von  den  regellosen  Zellballen  des 
Fettkörpers.  Festgehalten  in  ihrer  Lage  werden  die  sämtlichen  Organe 
durch  die  feinen  und  feinsten  Verzweigungen  der  Tracheen,  welche  alle 
Organe  dicht  umspinnen.  Um-  und  durchspült  wird  das  Ganze  von  der 
Blutflüssigkeit,  die  (da  ja  kein  geschlossenes  Blutgefäßsystem  vorhanden  ist)  frei 
in  der  Leibeshöhle  zirkuliert. 

1.  Die  Haut. 

Die  Haut  der  Insekten  setzt  sich  von  außen  nach  innen  aus  folgenden 
Schichten  zusammen:  1.  der  Cuticula,  2.  der  Hypodermis  und  3.  der  Grund- 
membran oder  Membrana  basilaris. 

Die  Cuticula  ist  ein  Abkömmling  der  Hypodermis  und  besteht  in  der 
Hauptsache  aus  Chitin,  über  dessen  chemische 
Beschaffenheit  oben  bereits  einiges  erwähnt 
ist  (S.  2).  Man  kann  an  ihr  deutlich  zwei 
Lagen  unterscheiden,  nämlich  eine  dünnere 
äußere,  oder  dickere  innere  (Fig.  50),  die 
auch  als  „primäre"  und  „sekundäre"  Cuticula 
bezeichnet  werden.  Erstere  ist  vollkommen 
homogen,  letztere  dagegen  meist  deutlich  ge-  Fig.  5o.  Durchschnitt  durch  die  Haut 
schichtet  und  gewöhnlich  von  feinen  Kanälen  einer  frisch  geschlüpften  Fliege  mit 
j        ,       ^  ^        -.XT       T^i^rr       •         1         /"•^•i  noch    gut    ausgebildeter   H3T)odermis 

durchsetzt.      Wo    Farbstoffe    in    der    Cuticula      ^j,^^^   c«.  primäre,  c«,  sekundäre  cuti- 

vorhanden  sind,   haben  sie  ihren  Sitz  stets  in      cuia;  Bas  Basalmembran;  ff  Haar;  Tr 
der  äußeren,    primären  Lage.  trichogene  Zeile.    Nach  B erlese. 

Von  der  Skulptur  und  den  Anhängen 
der  Cuticula  (Haare,  Schuppen)  war  oben  (S.  40)  schon  die  Rede.  Es  sei 
hier  nur  noch  hervorgehoben,  daß  wir  unter  den  letzteren  zu  unterscheiden 
haben  zwischen  rein  cuticularen  und  solchen,  welche  in  direkter  Beziehung 
zu  Hypodermiszellen  stehen.  Häufig  sind  beide  gleichzeitig  vorhanden:  ein 
dichtes,  feines,  rein  cuticulares  Börstchen-  oder  Haarkleid,  und  daneben 
größere  hypodermoidale  Borsten  oder  Haare  (Fig.  50). 

Die  unter  der  Cuticula  liegende  Hypodermis  besteht  aus  einer 
Schicht  mehr  oder  weniger  deutlich  voneinander  abgegrenzter,  polygonaler 
Epithelzellen,  welche  nach  außen,  wie  schon  erwähnt,  die  Chitinsubstanz 
als  ein  anfangs  zähflüssiges,  erst  später  erhärtendes  Sekret  absondern.  Im 
Hinblick  auf  diese  Funktion  bezeichnet  man  die  Hypodermis  auch  als 
chitinogene  Schicht  oder  Matrix.  Die  Gleichmäßigkeit  der  Hypodermis 
ist  häufig  unterbrochen  durch  auffallend  große  Zellen,  welche  nach  innen 
weit   hervorraaen   und   auch   nach   außen  durch  die  Cuticula   hindurch   einen 


52         Kapitel  III.     Der  innere  Bau  der  Insekten  (Anatomie  und  Physiologie). 

Fortsatz  entsenden,  der  mit  einem  Haar  in  Verbindung  steht,  resp.  in  das- 
selbe eindringt.  Es  sind  dies  die  sog.  trichogenen  oder  Haarbildungs- 
zellen, denen  die  meisten  Haare  ihre  Entstehung  verdanken,  indem  auf  der 
Oberfläche  jener  Zellfortsätze  sich  Chitin  abscheidet  (Fig.  50,  Tr).  Die  so 
entstandenen  (hypodermoidalen)  Haare  bilden  an  ihrer  Ansatzstelle  meist 
eine  Art  Gelenk  aus.  —  Auch  die  Schuppen  entstehen  auf  ähnliche  Weise, 
indem  auch  sie  von  Zellfortsätzen  abgeschieden  werden,  welche  ebenfalls  von 
besonders  großen  Zellen,  den  Schuppenbildungszellen  ausgehen. 

Beim  ausgebildeten  Insekt  hat  die  Hypodermis  keine  Aufgabe  mehr  zu 
erfüllen,  da  ja  keine  neue  Cuticula  mehr  gebildet  zu  werden  braucht  (aus- 
gewachsene Insekten  häuten  sich  nicht  mehr).  Sie  bildet  sich  daher,  wie 
alle  außer  Funktion  gesetzten  Organe  zurück  und  ist  meist  nur  als  ganz  dünne, 
aus  platten  Zellen  bestehende  Haut  unter  der  Cuticula  aufzufinden. 

Die  Grundmembran  (Membrana  basilaris)  ist  äußerst  fein  und  besteht 
aus  sternförmigen  Zellen,  welche  eine  die  Zwischenräume  zwischen  ihnen 
ausfüllende  Intercellularsubstanz   ausscheidet.  —  Sie   liegt  der  Innenseite   der 

Hypodermis  an  und  über- 
^Cut  zieht     auch     die     großen 


Haarbildungszellen  usw., 
soweit  sie  aus  der  Hypo- 
dermis nach  innen  zu  vor- 
ragen (Fig.  50,  Bas). 

Bei  den  meisten  In- 
sekten ist  die  Haut  mehr 
oder  weniger  reichlich  mit 

Fig.51.  Zwei  verschiedene  Typen  einzelliger  Hautdrüsen.  C?«<Cuti-       Drüsen  hvDodermalen  Ur- 

cula;  -ffi/i)  Hypodermis;  Ba  Basalmembran;  As  Ausfulirröhrchen ; 

Em  Endblase.   Nach  B erlese.  sprungs  ausgestattet,  deren 

Form,  Aufbau  und  Funk- 
tion ungemein  wechselnd  ist.  Da  haben  wir  auf  der  einen  Seite  einzellige 
Drüsen,  die  sich  nur  wenig  von  den  Hypodermiszellen  unterscheiden,  anderer- 
seits höchst  komplizierte  vielzellige  Drüsenorgane  mit  besonderen  Aus- 
führgängen, Sammelreservoir  usw.,  —  und  zwischen  diesen  Extremen  alle 
möglichen  Zwischenformen. 

Schon  die  einzelligen  Drüsen  weisen  eine  große  Mannigfaltigkeit 
der  Form  auf;  neben  solchen,  die  den  gewöhnlichen  Hypodermiszellen 
noch  recht  ähnlich  sehen,  finden  sich  andere,  die  mehr  und  mehr  von 
diesen  abweichen,  in  erster  Linie  durch  ihre  bedeutendere  Größe  und 
sodann  auch  durch  die  Struktur,  die  sehr  charakteristisch  ist.  Es  senkt 
sich  nämlich  von  der  Ausfuhröffnung  in  der  Cuticula  ein  feines  cuticulares 
Röhrchen  bis  tief  in  das  Zellplasma  hinein,  wo  es  in  einem  eigentüm- 
lichen radiär  gestreiften  Körper  (Endblase)  endet.  Durch  Verlängerung 
des  freien  Teiles  dieses  Röhrchens  (Fig.  51)  rückt  die  sezernierende  Zelle 
mehr  oder  weniger  von  der  Haut  ab  ins  Innere  des  Körpers.  —  Ein- 
zellige Drüsen  finden  sich  allenthalben:  auf  den  Flügeldecken,  an  den 
Abdomensegmenten,  an  den  Beinen,  an  den  Fühlern  usw.,  sowohl  einzeln 
zerstreut,   als   auch   zu   größeren  oder   kleineren  Gruppen   vereinigt,    und   so 


Die  Haut. 


53 


Cbergangszustände  zu  den  vielzelligen  Drüsen  bildend.  Die  von  ihnen  aus- 
geschiedenen Sekrete  sind  sehr  vielseitiger  Natur,  den  verschiedensten 
Zwecken   entsprechend;   vielfach   handelt   es   sich  um   wachsartige  Körper, 


^^^'^k 


A  B 

Fig.  52.     Drüsenhaare  mit  blasenförmigen  Erweiterungen  (Toxophore),  in  denen  das  Sekret  sich  an- 
sammelt.   Kommen  bei   verschiedenen   Schmetterlingsraupen   (Spinnern)   vor.    A  Durchschnitt   durch 
eine  Raupe;  B  Drüsenhaare,  vergrößert.    Nach  B erlese. 


die  zum  Schutz  gegen  Nässe  oder  tierische  Feinde  dienen  (Blattläuse  usw.) 
oder  als  Baumaterial  für  die  Brutstätte  verwandt  werden  (Bienen);  andere 
Sekrete  (aus  Gelenkdrüsen)  dienen  als  Schmiermittel  für  die  Gelenke; 
wieder  andere  enthalten  angenehme  oder  widrige  Geruchsstoffe  zum  An- 
locken oder  zur  Abwehr,  in  welchem  Fall  die  Drüsenzellen  häufig  mit 
Haaren  oder  Schuppen  (Duftschuppen)  in  Verbindung  stehen  (siehe  oben). 

Bei  den  Wachsdrüsen  der  Honigbiene  handelt  es  sich 
streng  genommen  nicht  um  einzellige  Drüsen,  sondern  es 
beteiligen  sich  an  der  Wachsabsonderung  ganze  Strecken 
der  Hypodermis  der  abdominalen  Ventralplatten,  deren 
Zellen  von  den  gewöhnlichen  chitinogenen  Zellen  nur 
wenig  sich  unterscheiden. 

Noch  mannigfaltiger  fast  als  die  einzelligen  sind 
die  vielzelligen  Drüsen.  Meist  sind  dieselben  mit 
einer  mehr  oder  weniger  ausgedehnten  Einstülpung 
der  Haut  verbunden,  entweder  in  der  Weise,  daß  die 
ganze  eingestülpte  Partie  von  Drüsenzellen  besetzt  ist, 
oder  aber  so,  daß  die  letzteren  nur  um  den  ge- 
schlossenen Endteil  herum  sitzen,  während  der  übrige 
Teil  als  Ausfuhrgang  resp.  Sammelreservoir  dient 
(Fig.  53).  Oft  ist  der  Ausfuhrweg  mit  einer  kom- 
plizierten Muskulatur,  und  anderen  Vorrichtungen  (Gas- 
rezipienten  usw.)  ausgerüstet,  wodurch  ein  rasches 
explosionsartiges  Ausstoßen  der  Sekrete  ermöglicht 
wird  (z.  B.  die  neben  dem  After  ausmündenden 
Explosionsdrüsen  der  Bombardierkäfer).  Bei  manchen 
Insekten    können    die    Hauteinstülpungen    handschuh- 

fingerähnlich  nach  außen  vorgestülpt  werden,  so  daß  deren  mit  Sekret  be- 
deckte Innenfläche  direkt  nach  außen  zu  liegen  kommt  (z.  B.  die  roten 
Drüsensäcke   am   Thorax   von  MalachiuSy    oder   die    P3"gidialdrüsen    mancher 


Fig.  53.  Beispiel  einer  viel- 
zelligen Drüse  mit  deut- 
licher Scheidung  eines  se- 
zernierenden  (s)  und  aus- 
führenden Abschnittes  (a). 
Nach  B erlese. 


54         Kapitel  III.     Der  innere  Bau  der  Insekten  (Anatomie  und  Physiologie). 

Staphylinen).  Bei  den  Giftdrüsen  der  Bienen,  Wespen  usw.  steht  der  Aus- 
fuhrgang mit  einem  kräftigen  Stachel  in  Verbindung,  mit  dessen  Hilfe  das 
Gift  in  den  Körper  des  Feindes  injiziert  werden  kann.  —  Wie  diese  drei 
hier  genannten  Beispiele,  so  stehen  die  meisten  übrigen  der  vielzelligen 
Hautdrüsen  im  Dienste  der  Verteidigung  und  Abwehr. 


2.  Das  Muskelsystem  und  seine  Tätigkeit. 

An  die  Hypodermis  schließt  sich  nach  innen  zu  eine  mehr  oder  weniger 
geschlossene  Muskelschichte  an.  Dieselbe  setzt  sich  aus  einer  großen  An- 
zahl von  Einzelmuskeln  zusammen,  deren  Anordnung  deutlich  segmental  ist, 
d.  h.  in  jedem  Segment  sich  in  gleicher  Weise  wiederholt.  Nur  in  stark  ab- 
geänderten Segmenten  oder  Segmentkomplexen,  wie  im  Kopf  und  in  der 
Brust,  ist  davon  wenig  zu  merken,  und  scheint  die  Muskulatur  gänzlich  ab- 
weichend von  der  des  Hinterleibes. 
Immerhin  dürfte  es  sich  auch  hier 
nur  um  Modifikationen  der  ursprüng- 
lichen segmentalen  Muskeln  handeln 
und  wird  es  auch  wohl  einem  ein- 
gehenden vergleichenden  Studium  noch 
gelingen,  die  verschiedenen  Brust- 
und  Kopfmuskeln  auf  die  letzteren 
zurückzuführen.  Die  Zahl  der  Einzel- 
muskeln ist  eine  ungeheuer  große;  hat 
doch  Lyonet  für  eine  Schmetterlings- 
raupe nicht  weniger  als  2000  Muskeln 
berechnet. 

Wir  können  die  Muskulatur  ein- 
teilen in  Stamm-  und  Extremitäten- 
muskeln. Erstere  besorgen  die  Be- 
wegungen des  Kopfes  und  Hinter- 
leibes gegen  die  Brust,  die  Krümmungen 
des  Hinterleibes  und  seine  Ausdehnung 
resp.  Zusammenziehung  (Atembe- 
wegung), ferner  die  Bewegungen  der 
Mundwerkzeuge,  Beine,  Flügel,  Genitalanhänge  usw.  gegen  den  Stamm; 
letztere  dagegen  führen  die  Bewegungen  der  einzelnen  Glieder  der  Extremi- 
täten gegeneinander  aus  (Fig.  54).  Je  nachdem  ferner  die  Bewegung  in 
einer  Beugung,  Streckung,  Ausdehnung,  Zusammenziehung,  Drehung  usw. 
besteht,  teilt  man  die  Muskeln  in  Flexoren,  Extensoren,  Elevatoren,  De- 
pressoren,  Rotatoren  usw.  ein. 

Näher  auf  die  einzelnen  Muskeln  einzugehen,  ist  hier  nicht  der  Platz. 
Eine  sehr  ausführliche  Darstellung  der  teilweise  überaus  komplizierten  Ver- 
hältnisse findet  sich  in  Berleses  großem  Handbuch  (und  außerdem  bei  Voß 
und  A.  Bauer  [siehe  Literatur]). 

Die  Muskeln  der  Insekten  bestehen  aus  farblosen  oder  weißlichen 
Fasern,    die    eine    deutliche   Querstreifung   erkennen   lassen.     Ihre   Inser- 


Fig.  54.  Muskulatur  eines  Insektenbeines  (Lepisma). 
Cx  Coxa;  Fe  Femur;  Tr  Trochanter;  Tb  Tibia; 
Ts  Tarsenglied;  Pts  Praetarsus;  Ks  Krallensehne. 


Das  Muskelsystem  und  seine  Tätigkeit.  55 

tion   findet   meist  mittels    einer  aus  chitinösen  Fasern  (aus  Hypodermiszellen 
hervorgegangen)  zusammengesetzten  Sehne  direkt  an  der  Cuticula  statt. 

Die  Kraftleistung  der  Muskeln  ist  (relativ  genommen)  eine  sehr  be- 
deutende; können  doch  die  meisten  Insekten  ein  Vielfaches  ihres  eigenen 
Körpergewichts  tragen.  So  kann  z.  B.  der  große  Nashornkäfer  {Oryctes 
nasicornis)  das  4^/^  fache,  der  etwas  kleinere  Mistkäfer  {Geotrupes  stercorarius) 
das  ca.  10  fache  und  der  viel  kleinere  Onthophagits  das  14^/0  fache  seines 
Körpergewichts  heben.  Bei  manchen  Käfern  steigert  sich  die  Leistung 
sogar  bis  zum  40  fachen  des  Körpergewichts  (z.  B.  Trichius  fasciatus, 
Donacia,  Crioceris  usw.).  —  Auch  die  gewaltigen  Sprünge,  die  ein  Floh 
macht  (etwa  das  200  fache  seiner  Körperhöhe)  oder  die  langen  anhaltenden 
Flüge  der  Wanderheuschrecken  oder  Libellen,  oder  das  oft  stundenlange 
Musizieren  der  Grillen  geben  uns  einen  Begriff  von  der  gewaltigen  Kraft- 
leistung der  Insektenmuskeln. 

Die  Tätigkeit  des  Muskelsystems  ist  eine  ungemein  vielseitige; 
wir  wollen  hier  jedoch  nur  auf  einige  der  auffallendsten  Muskelwirkungen 
näher  eingehen:  nämlich  die  Ortsbewegungen  und  die  Lautäußerungen. 

Ortsbewegungen. 
Unter   diesen  Begriff   fallen  in  der  Hauptsache  die  Schreit-,    Schwimm-, 
Sprung-  und  Flugbewegungen. 

Die  Schreitbewegungen  werden  von  den  Beinen  der  Brust  ausgeführt, 
und  zwar  in  folgender  Weise :  Es  werden  zuerst  das  rechte  Vorder-  und  Hinter- 
bein zugleich  mit  dem  linken  Mittelbein  vorgesetzt  (vgl.  Fig.  38,  S.  34,  Ri,  Rni 
und  Ln)  und  sodann,  während  der  Körper  vorwärts  gezogen  resp.  geschoben 
wird,  das  linke  Vorder-  und  Hinterbein  zugleich  mit  dem  rechten  Mittelbein. 
Das  Insekt  ruht  also  beim  Gehen  stets  auf  einem  für  das  Körpergleichgewicht 
durchaus  nötigen  Dreieck,  welches  gebildet  wird  von  dem  Vorder-  und  Hinter- 
bein der  einen  und  Mittelbein  der  anderen  Seite,  während  es  die  drei  übrigen 
Beine  hebt  und  nach  vorn  setzt  (Packard).  Entsprechend  der  Beinstellung  (die 
Vorderbeine  sind  nach  vorn,  die  Hinter-  und  Mittelbeine  nach  hinten  gerichtet) 
ist  beim  Vorsetzen  der  drei  Beine  das  Vorderbein  gestreckt,  das  Mittel-  und 
Hinterbein  dagegen  gebeugt.  Der  Körper  wird  nun  durch  das  vorgesetzte 
Vorderbein  gezogen  und  durch  das  aufgesetzte  Mittelbein  der  einen  und 
Hinterbein  der  anderen  Seite  vorwärts  geschoben.  Unmittelbar  darauf  treten 
die  drei  entsprechenden  anderen  Beine  in  dieselbe  Tätigkeit.  Dabei  leisten 
die  Hinterbeine  (wie  bei  den  Säugern)  die  Hauptarbeit,  was  meist  auch  in 
dem  kräftigeren  Bau  derselben  zum  Ausdruck  kommt. 

Viele  Insekten  haben  bekanntlich  die  Fähigkeit,  an  glatten  senkrechten 
Wänden  in  die  Höhe  zu  klettern  oder  an  der  Unterseite  einer  horizontalen 
Fläche  zu  laufen  (wie  z.  B.  die  Stubenfliegen,  Bienen,  Heuschrecken  usw.). 
Dieses  Vermögen  beruht  auf  besonderen  an  der  Sohle  oder  zwischen  den 
Klauen  angebrachten  Heftvorrichtungen,  wie  Saugnäpfen,  Hafthaare  oder  Haft- 
lappen, deren  Oberfläche  auch  noch  häufig  durch  Drüsensekrete  feucht  ge- 
halten   wird   —   zwecks  Verstärkung   der  Adhäsionswirkung.      Umgekehrt   ist 


56         Kapitel  III.     Der  innere  Bau  der  Insekten  (Anatomie  und  Physiologie). 

bei  den  auf  der  Wasseroberfläche  laufenden  sog.  Wasserläufern  (Wanzen) 
die  Unterseite  und  das  Ende  der  Füße  so  ausgestattet,  daß  keine  Wasser- 
teilchen an  ihnen  adhärieren.  Denn  würden  die  Füße  einmal  benetzt,  so 
würden  die  Tiere  (infolge  Störung  der  Oberflächenspannung  des  Wassers) 
einsinken,  ähnlich  wie  eine  sorgfältig  gereinigte  Nähnadel  untersinkt,  während 
eine  schwach  eingefettete  und  so  vor  dem  Benetzen  geschützte  auf  der 
Wasseroberfläche  schwimmt  (Hesse.) 

Die  Schwimmbewegungen  werden  durch  die  stark  abgeplatteten 
Mittel-  und  Hinterbeine  oder  durch  die  Hinterbeine  allein  ausgeführt,  welche 
hierbei  weniger  eine  Beugung  und  Streckung  als  eine  mit  einer  Drehung  um 
ihre  Achse  verbundene  Vor-  und  Rückwärtsbewegung  ausführen. 

Dies  geschieht  stets  nach  der  Art  der  Bewegung  eines  Bootsruders, 
indem  die  mehr  weniger  abgeplatteten  Extremitäten  bei  ihrer  Bewegung  nach 
hinten  ihre  breite  Fläche  dem  Wasser  zukehren,  während  sie  bei  der  Zurück- 
bewegung nach  vorn  ihre  schneidende  Kante  verwenden,  so  daß  sie  also  bei 
letzterer  Bewegung  einen  geringeren  Widerstand  linden  als  bei  ersterer. 
Schöne  Beispiele  hierfür  sind  die  Schwimmkäfer  {Dytisais)  und  Wasserwanzen 
{Notonecta). 

Die  Springbewegungen  werden  in  den  meisten  Fällen  von  den 
Hinterbeinen  bewirkt,  die  durch  ihre  verdickten  Schenkel  auch  morphologisch 
sich  als  Sprungbeine  dokumentieren.  Diese  Verdickung  ist  bedingt  durch 
die  überaus  starke  Ausbildung  der  Streckmuskeln,  durch  deren  plötzliche 
Kontraktion  die  in  der  Ruhelage  dem  Schenkel  dicht  anliegenden  Schienen 
so  kräftig  gestreckt  resp.  gegen  die  Unterlage  gestemmt  werden,  daß  der  Körper 
mit  großer  Wucht  nach  vorn  und  oben  geschleudert  wird.  In  dieser  Weise 
springen  z.  B.  die  Heuschrecken,  Flöhe,  Springrüßler,  Erdflöhe  usw.  Doch 
kennen  wir  auch  andere  Vorrichtungen  zum  Springen;  so  besitzen  die  sog. 
Springschwänze  (zu  denen  der  „Gletscherfloh"  gehört)  an  der  Bauchseite  des 
Abdomens  eine  Sprunggabel,  die  mit  großer  Kraft  nach  hinten  und  unten 
geschlagen  werden  kann,  wodurch  das  Tier  natürlich  in  entgegengesetzter 
Richtung  in  die  Luft  geworfen  wird.  Bei  den  Felsenspringern  oder  Stein- 
hüpfern  {Machilis)  sind  es  die  jedem  Abdominalsegment  in  je  1  Paar  zu- 
kommenden sog.  Abdominalgriffel  (Styli),  welche  in  ähnlicher  Weise  wirken 
wie  die  Sprunggabel  der  Springschwänze  (siehe  Fig.  41).  Wieder  anders 
springen  ferner  manche  Ameisen  (exotische),  indem  sie  durch  rasches  Zu- 
sammenschlagen ihrer  langen  Kiefer  auf  weite  Strecken  sich  fortschnellen. 
Eine  ganz  besondere  Art  des  Springens  kommt  endlich  den  Schnellkäfern 
(Elateriden)  zu,  worüber  im  speziellen  Teil  (bei  der  Besprechung  dieser 
Käfer)  noch  näheres  berichtet  wird. 

Die  Flugbewegung.  —  Der  Flug  der  Insekten,  diese  sie  vor  allen 
anderen  Arthropoden  charakterisierende  Bewegungsart,  wird  vermittelt  durch 
die  gleichzeitig  ausgeführten,  schlagenden  Bewegungen  der  Flügel  beider 
Seiten.  Eine  Erhebung  in  die  Luft,  d.  h.  eine  Überwindung  der  Schwerkraft, 
wird  dadurch  möglich,  daß  bei  dieser  Bewegung  die  Flügel  beim  Nieder- 
schlag einem  größeren  Widerstände  begegnen  als  beim  Aufschlage.     Hierdurch 


Das  Muskelsystem  und  seine  Tätigkeit.  57 

gewinnt  der  beim  Niederschlage  entstehende,  nach  oben  wirkende  Rückstoß 
der  Luft  die  Oberhand  und  das  Insekt  wird  gehoben. 

Die  Verschiedenheit  des  Luftwiderstandes  wird  bewirkt  durch  die  ver 
schiedene  Einstellung  der  Flügelebenen  beim  Auf-  und  Niederschlag.  Da 
nämlich  die  Vorderzone  der  Flügel  durch  eine  stärkere  Aderung  viel  mehr 
gesteift  wird  als  die  Hinterzone,  so  wird  beim  Niederschlag  der  Hinterrand 
gegenüber  dem  Vorderrand  gehoben,  beim  Aufschlag  dagegen  umgekehrt, 
was,  bei  der  gewöhnlich  schiefen  Einstellung  des  fliegenden  Insektes  gegen 
die  Ebene  des  Horizontes,  eine  Änderung  des  Luftwiderstandes  in  obigem  Sinne 
bedeutet.  Eine  Verkleinerung  der  Flugfläche  zur  Verminderung  des  Luft- 
widerstandes bei  der  Hebung  der  Flügel,  wie  sie  durch  Zusammenfalten  bei 
den  Vögeln  und  Fledermäusen  erfolgt,  kommt  bei  den  Insekten  nicht  vor.  — 
„Hält  man  ein  Insekt,  etwa  eine  Fliege  oder  Wespe  fest,  so  daß  es  seine 
Flügel  schwirrend  bewegt,  so  beschreiben  die  Flügelspitzen  eine  Figur  von 
der  Form  einer  8;  d.  h.  beim  Senken  schiebt  sich  die  Flügelspitze  nach  vorn, 
unten  wird  sie  nach  hinten  gezogen,  um  sich  beim  Hub  wieder  nach  vorn 
zu  bewegen,  worauf  oben  wieder  eine  Verschiebung  nach  hinten  erfolgt. 
Bei  der  Vorwärtsbewegung  des  Insektes 
muß  sich  die  Achterfigur  in  eine  Zickzack- 
linie mit  kleinen  Schleifen  an  den  Wende- 
punkten auflösen"   (Hesse).     (Fig.  55.) 

Die  Zahl  der  Flügelschläge  ist  bei 
den  verschiedenen  Insekten  recht  wechselnd, 
entsprechend  der  Größe  der  Flugflächen 
und  der  Schnelligkeit  des  Fluges.  So 
machen  die  langsam  fliegenden  Tagschmetter- 
linge mit  ihren  großen  breiten  Flügeln  nur 

relativ    wenig    Schläge    (ein   Weißling    ca.    9        Fig.  55.    Schema  der  Flügelbewegung  einer 
o    1  1    \     j  j-  1        iin-   ^        j  Wespe.    (Nach  Marey,  aus  Zander.) 

pro  Sekunde),  dagegen  die  schnelliliegenden 
Nachtschwärmer    mit    ihren    viel    kleineren 

schmalen  Flügeln  70 — 80.  Noch  größer  ist  die  Zahl  der  Schläge  bei  der 
Biene  (ca.  190),  oder  gar  bei  der  Stubenfliege,  bei  der  sie  330  pro  Sekunde 
beträgt.  Ist  doch  auch  bei  der  letzteren  die  wirkende  Flugfläche  durch 
Reduktion  der  Hinterflügel  besonders  klein.  Wo  die  4  Flügel  am  Fluge  sich 
beteiligen,  sind,  wie  wir  oben  bereits  erwähnt  (S.  34),  die  Vorder-  und  Hintei- 
flügel  jeder  Seite  häufig  derartig  zusammengekoppelt,  daß  sie  der  Wirkung 
nach  nur  eine  Flugfläche  bilden;  und  auch  da,  wo  eine  solche  mechanische 
Verkoppelung  fehlt,  geschieht  die  Bewegung  der  Vorder-  und  Hinterflügel 
meist  so  gleichzeitig,  daß  sie  ebenfalls  wie  eine  Fläche  wirken.  Nur  gewisse 
Libellen  machen  davon  eine  Ausnahme,  indem  sie  ihre  Vorder-  und  Hinter- 
flügel unabhängig  voneinander  bewegen. 

Die  Bewegung  der  Flügel  wird  durch  die  im  Meso-  und  Metathorax  be- 
findliche Flugmuskulatur  hervorgebracht,  die,  besonders  bei  den  guten 
Fliegern,  eine  gewaltige  Ausbildung  erreichen  kann.  Bei  weitaus  den  meisten 
Insekten  wirken  die  Muskeln  jedoch  nicht  direkt  auf  die  Flügel,  sondern 
indirekt    durch    Veränderung    der    Thoraxform;    längs  verlauf  ende    Muskeln 


58         Kapitel  III.     Der  innere  Bau  der  Insekten  (Anatomie  und  Physiologie). 

steigern  bei  der  Kontraktion  die  Wölbung  der  Brust  (resp.  der  beiden  Brust- 
segmente),  während  dorsoventral  (von  der  Rücken-  zur  Bauchseite)  ver- 
laufende Muskeln  die  Rückenfläche  herabziehen;  dadurch  werden  auch  die 
Flügel,  die  ja  mit  dem  Brustskelett  verbunden  sind,  bewegt,  und  zwar 
bei  der  Wölbung  gesenkt  und  bei  der  Abflachung  gehoben.  Es  greifen 
zwar,  wie  die  Fig.  56  zeigt,  einige  kleinere  Muskeln  auch  direkt  an  der 
Flügelbasis  an,  doch  dienen  diese  nicht  der  eigentlichen  Flugbewegung, 
sondern  nur  dazu,  den  Flügeln  eine  bestimmte  Richtung  zu  geben,  sie 
bei  ihrer  höchsten  und  tiefsten  Stellung  von  vorne  nach  hinten  zu 
ziehen  usw.  (Hesse).  —  Nur  bei  den  oben  schon  genannten  Libellen 
kommen  direkte  Flugmuskeln  vor,  die  an  der  Flügelbasis  selbst  angreifen; 
diese  Tiere  sind  daher  auch  in  der  Lage,  die  beiden  Flügelpaare  unabhängig 
voneinander  zu  bewegen,  so  daf3  z.  B.  in  demselben  Moment  die  Hinterflügel 
gesenkt  und  die  Vorderflügel  gehoben  sein  können. 

Bei  den  Ameisenweibchen,  die  nach 
dem  Hochzeitsflug  die  Flügel  abwerfen, 
wird  die  überflüssig  gewordene  Musku- 
latur wieder  rückgebildet  resp.  aufgelöst 
und  zur  inneren  Ernährung  benützt. 

Die  Bestimmung  resp.  Änderung 
der  Flugrichtung  wird  auf  ver- 
schiedene Weise  bewerkstelligt.  Viele 
Insekten  (Schmetterlinge,  Hymeno- 
pteren  usw.)  benutzen  als  Steuer  ihren 
Hinterleib;  bei  den  meisten  Käfern 
werden  die  Flügeldecken,  die  ja  im 
Flug  seitlich  gespreizt  gehalten  werden, 
dazu  verwandt,  und  bei  den  Fliegen 
spielen  die  kleinen,  die  Stelle  der 
Hinterflügel  einnehmenden  Schwingkölbchen  eine  wichtige  (allerdings  noch 
nicht  völlig  aufgeklärte)  Rolle  bei  der  Steuerung. 

Was  endlich  die  Flugleistungen  der  Insekten  betrifft,  so  finden  wir 
auch  hierin  die  größten  Unterschiede.  Auf  einer  Seite  haben  wir  schlechte 
Flieger,  die  nur  eine  kurze  Strecke  unsicher  dahinflattern  können,  nachdem 
sie  vorher  in  die  Luft  gesprungen  (Schnarrheuschrecken);  auf  der  anderen 
Seite  dagegen  brillante  Flieger,  die  viele  hundert  Kilometer  in  kurzer  Zeit 
zurückzulegen  vermögen.  Man  denke  nur  an  die  Wanderheuschrecken, 
die  in  oft  riesigen  Schwärmen  von  Land  zu  Land  nach  Nahrung  ziehen 
oder  an  die  weiten  Wanderungen  der  Libellen.  Der  Oleanderschwärmer, 
der  südlich  der  Alpen  beheimatet  ist,  ist  schon  in  Finnland  gefangen 
worden,  muß  also  eine  Strecke  von  ca.  1200  km  durchflogen  haben.  Bei  vielen 
Schmetterlingen  (z.  B.  Spinnern)  fliegen  die  Männchen  leichter  als  die 
Weibchen,  da  die  letzteren  durch  die  Eier  beträchtlich  beschwert  sind.  Wie 
groß  die  Schnelligkeit  des  Insektenfluges  ist,  darüber  wissen  wir  wenig; 
immerhin  deuten  die  wenigen  Beobachtungen  darauf  hin,  daß  manche  Insekten 
hohe  Schnelligkeitsziffern  erreichen.  Die  schnellsten  Flieger  sind  wohl  die 
großen  Libellen,  die  selbst  der  flüchtigen  Schwalbe  zu  entkommen  vermögen 


Fig.  56.     Querschnitt  durch  den  mittleren  Brust- 
ring einer  Biene.    Fbn  vertikale  (indirekte)  Hebe- 
muskeln   der    Vorderflügel;    Flg    Flügel.      Nach 
Zander. 


Das  Muskelsystem  und  seine  Tätigkeit.  59 

und  danach  mindestens  15  m  pro  Sekunde  zurücklegen.  Auch  die  Schwärmer 
bringen  es  zu  hohen  Leistungen,  und  es  ist  z.  B.  für  das  Abendpfauenauge 
ca.  6  m  pro  Sekunde  festgestellt  worden,  während  die  Geschwindigkeit  anderer 
Insekten  wieder  viel  geringer  sein  kann  (so  z.  B.  von  der  Stubenfliege  ca. 
IV2  ni  pro  Sekunde).  Manche  der  guten  Flieger  (z,  B.  die  Libellen,  Schwärmer, 
Schwebefliegen)  haben  die  Fähigkeit,  unter  beschleunigtem  Flügelschlag, 
gleichwie  die  rüttelnden  Raubvögel,  längere  Zeit  in  der  Luft  an  ein  und  der- 
selben Stelle  „stehen"  zu  bleiben.  Viele  Tagfalter  (z.  B.  Segelfalter)  mit 
breiten  Flügeln  vermögen  andererseits  bei  eingestelltem  Flügelschlag,  lediglich 
getragen  von  den  ausgebreiteten  Flügeln,  einige  Zeit  dahinzuschweben,  wobei 
die  letzteren  wie  Papierdrachen  wirken  (Hesse). 

Lautäußerungen. 

Viele  Insekten  sind  imstande,  dem  menschlichen  Ohr  wahrnehmbare 
Töne  hervorzubringen,  deren  Erzeugung  in  letzter  Instanz  stets  auf  Muskel- 
wirkung beruht.  Die  biologische  Bedeutung  dieser  Laute  ist  verschieden:  da, 
wo  die  Lauterzeugung  ausschließlich  (oder  wenigstens  in  höherem  Maße)  dem 
männlichen  Geschlecht  zukommt,  dienen  die  Töne  wohl  sicher  zur  Anlockung 
der  Weibchen,  wo  jedoch  die  beiden  Geschlechter  in  gleichem  Maße  Töne 
hervorbringen,  dürfte  der  Zweck  wohl  vielfach  in  einer  Abschreckung  der 
Feinde  gelegen  sein. 

Nach  der  Art  der  Erzeugung  können  wir  verschiedene  Kategorien  von 
Insektenlauten  unterscheiden,  nämlich: 

1.  Klopflaute, 

2.  Reibungs-  oder  Stridulationslaute, 

3.  Fluglaute  und 

4.  Trommellaute. 

Die  Klopflaute  werden  erzeugt  durch  Aufschlagen  eines  festen  Körper- 
teiles, meistens  des  Kopfes,  auf  eine  tönende  Unterlage. 

Hierher  gehört  z.  B.  das  Klopfen  der  verschiedenen  Atiobium-Arien,  welche 
im  alten  Holz  leben  und  durch  Aufschlagen  der  Vorderkiefer  auf  die  Wandungen 
der  Gänge  ein  tickendes  Geräusch  hervorbringen,  welches  diesen  Käfern  den 
populären  Namen  „Totenuhr"  eingebracht  hat.  Auch  die  weithin  hörbaren 
raschelnden  Geräusche,  welche  gewisse  Termiten  und  Ameisen  bei  Beunruhigung 
ihrer  Nester  ertönen  lassen,  werden  dadurch  erzeugt,  daß  die  Soldaten  mit  ihren 
großen  Köpfen  schnell  aufeinanderfolgende  Zitterschläge  auf  die  aus  Holz  oder 
Blättern  bestehende  L^nterlage  geben. 

Die  Reibungs-  oder  Stridulationslaute  werden  dadurch  hervor- 
gebracht, daß  zwei  harte  Teile  des  Chitinpanzers  gegeneinander  gerieben 
werden,  von  denen  der  eine  gewöhnlich  aus  einer  fein  gerillten  oder  be- 
zahnten Reibleiste  besteht,  während  der  andere  eine  scharfe  Kante  darstellt. 
Indem  nun  die  letztere  über  die  Reibleiste  (oder  auch  umgekehrt)  hin  und 
her  gestrichen  wird,  entstehen  jene  charakteristischen  Geräusche,  die  wir 
von  den  Grillen,  Heuschrecken  usw.  kennen,  und  die  je  nach  der  Zahl  und 
Feinheit  der  Rillen  usw.  starke  Verschiedenheiten  aufweisen  können.  Bei 
manchen  Insekten  sind  auch  noch  besondere  Resonanzapparate  vorhanden, 
wodurch  die  Töne  eine  wesentliche  Verstärkung  erfahren.  Der  Sitz  der 
Stridulationsapparate    ist  sehr  wechselnd,   je   nach    der   Insektenart;    bei    den 


60 


Kapitel  III.     Der  innere  Bau  der  Insekten  (Anatomie  und  Physiologie). 


einen  finden  wir  die  Reibleisten  an  den  Vorderflügeln,  bei  den  anderen  an 
den  Beinen,  und  wieder  bei  anderen  an  der  Brust  oder  am  Abdomen  an- 
gebracht usw. 

Um  einige  Beispiele  zu  erwähnen,  beginnen  wir  mit  den  bekanntesten 
Musikanten,  den  Heuschrecken  und  Grillen.  Bei  den  Laubheuschrecken  und  den 
Grillen  sitzen  die  Schrillleisten  an  der  Basis  der  Flügeldecken,  und  wir  sehen  daher 
diese  Tiere  beim  Musizieren  ihre  Vorderflügel  gegeneinander  reiben  (Fig.  58).  „Die 
Oberflügel  der  zirpenden  Feldgrille  bewegen  sich  in  einer  Sekunde  6— 8mal  hin  und 
her,  da  sich  aber  beide  Oberflügel  gleichzeitig  bewegen,  ist  die  Geschwindigkeit 
doppelt  so  groß.  Es  liegen  also  die  Verhältni.sse  so,  als  ob  die  Schrillkante  32 mal 
in  der  Sekunde  über  die  131 — 138  Zähnchen  der  ruhenden  Schrillader  vorbeigeführt 
würde;  das  gäbe  einen  Ton  von  131x32  =  4192  Schwingungen,  was  mit  der  be- 
obachteten Tonhöhe  (c')  gut  stimmt"  (Hesse).  Zur  Schallverstärkung  dienen  be- 
stimmte „Schrillfelder"  der  Flügel,  die  durch  das  Reiben  der  Schrillleisten  in 
Schwingung  versetzt  werden.  —  Bei  den  Gras-  oder  Feldheuschrecken  befindet 
sich  die  Schrillleiste  an  der  Innenseite  der  hinteren  Oberschenkel  (Fig.  57),  mit  denen 
sie  über  die  starke  Randader  der  Vorderflügel  schnell  hin  und  her  fahren  und  dadurch 
dieselbe  in  Schwingung  versetzen.  Die  landläufige  Meinung,  daß  nur  den  männ- 
lichen Heuschrecken  ein  Tonapparat  zu 
kommt  und  daß  auch  nur  die  Männchen 
Laute  hervorzubringen  vermögen,  ist 
übrigens  in  dieser  Allgemeinheit  nicht 
zutreffend;  denn  Petr  unke  witsch  und 
Guaita  haben  gezeigt,  daß  eine  ganze 
Anzahl  von  Heuschreckenarten  auch  im 
weiblichen  Geschlecht  einen  Tonapparat 
besitzen,  und  außerdem  wurde  auch  von 
Grab  er  direkt  beobachtet,  daß  gewisse 
weibliche  Heuschrecken,  „wenn  auch 
nur  schwache  Laute"  hervorbringen 
können. 

Auch  unter  den  Käfern  gibt  es 
viele,  welche  Reibegeräusche  erzeugen 
können;  allerdings  sind  dieselben  meist 
viel  schwächer  als  bei  den  eben  ge- 
nannten Orthopteren  und  oft  nur  in  der 
nächsten  Nähe  hörbar.  So  können  die  Totengräberkäfer  {Necrophorus)  ein  Geräusch 
hervorbringen,  indem  sie  zwei  geriefte  Längsleisten  auf  dem  Rücken  des  fünften 
Hinterleibsringes  gegen  eine  am  Hinterende  der  Flügeldecken  angebrachte  Quer- 
leiste reiben.  Die  Bockkäfer  erzeugen  Töne  durch  Reibung  des  Hinterrandes  des 
Vorderrückens  auf  einem  unter  ihm  vorragenden,  fein  quergerieften  Fortsatz  des 
Mittelrückens.  Bei  den  Dungkäfern  sind  sogar,  wie  Verhoeff  zeigte,  zwei  ver- 
schiedene Stridulationsorgane  vorhanden,  von  denen  eines  an  der  Hinterhüfte  und 
das  andere  auf  den  Rückenplatten  des  vierten  bis  siebenten  Hinterleibsegmentes  ge- 
legen ist.  Das  letztere  besteht  aus  zahlreichen  steifen  Börstchen,  die  an  die  rauhe 
LTnterseite  der  Flügeldecken  reiben,  während  das  erstere  mit  einer  richtigen  Reib- 
leiste ausgestattet  ist.  Übrigens  vermögen  auch  die  Larven  der  Dungkäfer  und 
deren  Verwandten  deutliche  Geräusche  zu  erzeugen,  und  zwar  durch  Reibapparate, 
welche  am  zweiten  oder  dritten  Beinpaar  oder  auch  an  den  Mundteilen  ihren 
Sitz  haben. 

Gewisse  Wanzen  (Reduvüden)  streichen  mit  der  besonders  bewaffneten 
Spitze  ihres  Rüssels  über  eine  an  der  Vorderbrust  gelegene  Reibplatte,  und  er- 
zeugen so  ein  Geräusch;  andere  Wanzen  benützen  als  Fiedelbogen  ihre  Beine,  und 
zwar  in  verschiedener  Weise,  z.  B.  so,  daß  sie  mit  dem  Vorderfuß  der  einen 
Seite   über  die  auf  der  Innenseite   des  Vorderschenkels  der  anderen  Seite  gelegene 


A  B 

Fig.  57.     Stimmorgan   einer  Feldheuschrecke.    A 

Hinterbein  (von  der  Innenseite)  mit  der  Reibleiste 

(R);  S  Reibleiste,  vergrößert.     Nach  Petrunke- 

witsch  u.  V.  Galta. 


Das  Muskelsystem  und  seine  Tätigkeit. 


Gl 


Reibleiste  dahinstreichen,  oder  daß  sie  mit  den  Hinterfüßen  auf  Reibplatten  spielen, 
welche  hinter  ihnen  gelegen  sind  {Pachycoris)  usw. 

Unter  den  Hymenopteren  sind  vor  allem  die  Ameisen  mit  Stridulations- 
organen  ausgestattet;  meist  handelt  es  sich  dabei  um  eine  geriefte  Platte,  die  am 
ersten  Tergum  des  Hinterleibes  gelegen  ist  und  über  die  ein  Fortsatz  vom  zweiten 
Stielgliedchen  durch  Auf-  und  Abbewegen  des  Abdomens  hin  und  her  ge- 
rieben wird. 

Auch  Schmetterlinge  können  Reibgeräusche  hervorbringen,  die  am  auf- 
fallendsten und  bekanntesten  beim  Totenkopf  sind.  Eine  Menge  verschiedener 
Ansichten  wurden  über  die  Lauterzeugung  des  Totenkopfs  aufgestellt,  und  man  ist 
auch  heute  noch  nicht  ganz  klar  darüber,  wie  die  Geräusche  entstehen.  Immerhin 
steht  so  viel  fest,  daß  es  sich  um  Reibgeräusche  handelt,  die  in  der  Kopfregion 
hervorgebracht  werden.  Cobelli  vertritt  neuerdings  die  Anschauung,  daß  die 
beiden  Rüsselhälften  gegeneinander  gerieben  werden,  während  früher  Landois  an- 
genommen hatte,  daß  das  Geräusch  durch  Reibung  einer  fein  gerieften  Stelle  der 
Lippentaster  gegen  die  Basis  des  Saugrüssels  entsteht. 

Die  Fluglaute  entstehen  dadurch,  daß  durch  die  Flügelschläge  der 
fliegenden  Insekten  die  Luft  in  so  zahlreiche  Schwingungen  versetzt  wird, 
daß  sie  für  uns  als  Ton  wahrnehmbar  sind.  Sie  sind  demnach  nur  bei 
schnellfliegenden  Insekten 

(mindestens      20      Flügel-  j0^^^ 

schlage  pro  Sekunde)  zu 
beobachten,  während  der 
Flug  der  langsamen  Flieger 
wie  z.  B.  der  Tagfalter 
völlig  geräuschlos  ist.  Die 
Tonhöhe  hängt  ganz  und 
gar  von  der  Zahl  der 
Flügelschläge  ab,  d.  h.  der 
Ton  ist  um  so  höher,  je 
zahlreicher  die  Flügel- 
schläge sind.  Darum  finden  wir  auch  die  höchsten  Töne  bei  den  Fliegen 
und  Mücken,  die  ja,  wie  oben  schon  erwähnt,  auch  die  höchste  Zahl  der 
Flügelschläge  erreichen;  dann  kommen  die  Bienen  und  Hummeln,  deren 
Flugton  schon  weniger  hoch  ist,  dann  die  Schwärmer,  die  mit  mehr  oder 
minder  tiefem  Brummen  fliegen  und  endlich  die  größeren  Noctuiden  (z.  B. 
Catocalen),  deren  Flugton  sehr  tief  ist  und  beinahe  an  das  Unhörbare  grenzt 
(Prochnow), 

Die  Höhe  des  Flugtones  gestattet  auf  die  Zahl  der  Flügelschläge  zu  schließen, 
indem  die  letztere  der  bekannten  Schwingungszahl  des  Tones  gleich  sein  muß. 
So  bestimmte  Landois  z.  B.  den  Flugton  der  Stubenfliege  auf  e',  was  330  Flügel- 
schlägen pro  Sekunde  entspricht.  Daß  die  Fliege  auch  tatsächlich  so  viel  Schläge 
macht,  wurde  später  durch  andere  Methoden  bestätigt. 

Neben  dem  eigentlichen  Flugton  ist  häufig  noch  ein  zweiter  Ton  hörbar,  der 
auch  als  „zweiter"  oder  „sekundärer  Flugton"  bezeichnet  wird,  und  der  stets 
höher  als  der  erste  ist.  Landois  nahm  an,  daß  dieser  Ton  durch  Membranen  er- 
zeugt wird,  welche  in  den  Tracheen  in  der  Nähe  der  Stigmen  eingefügt  sind,  und 
wie  die  Stimmbänder  des  menschlichen  Kehlkopfes  wirken,  indem  sie  durch  die 
austretende  Atmungsluft  in  Schwingung  versetzt  werden;  man  sprach  daher  auch 
von  „Respirationstönen".  Nach  neueren  Untersuchungen  scheint  aber  diese 
Theorie  nicht  haltbar  zu  sein,  sondern  entsteht  der  zweite  Ton  durch  Schwingungen 


Fig.  58.    Musizierende  Grille.    Nach  Regeu. 


62         Kapitel  III.     Der  innere  Bau  der  Insekten  (Anatomie  und  Physiologie). 

der  Thoraxwandung,  die  wegen  der  Elastizität  des  Chitins  schneller  erfolgen  als  die 
normalen  Muskelkontraktionen  resp.  die  Flügelschläge.  Um  zu  einer  klaren  Ent- 
scheidung zu  kommen,  sind  allerdings  noch  eingehende  Studien  notwendig. 

Die  Trommellaute  sind  nur  einer  kleinen  Gruppe  von  Insekten  eigen, 
nämlich  den  Singcicaden.  Der  Trommelapparat  besteht  aus  zwei  paarig  an- 
geordneten, ziemlich  großen  Hohlräumen,  welche  an  der  Basis  des  Abdomens 
gelegen  und  von  breiten  plattenförmigen  Fortsätzen  des  Metasternums  bedeckt 
sind.  In  den  Hohlräumen  befindet  sich  eine  trommelfellartige,  elastische 
Membran,  an  welcher  sich  ein  an  der  gegenüberliegenden  festen  Wand  ent- 
springender Muskel  anheftet.  Durch  rasch  hintereinander  erfolgende  Kon- 
traktionen des  letzteren  wird  die  Membran  in  Schwingungen  versetzt,  wodurch 
der  charakteristische  Cicadenton  entsteht.  Verstärkt  wird  der  Ton  durch  den 
großen,  zum  größten  Teil  mit  Luft  gefüllten  Hinterleib,  der  gewissermaßen 
als  Resonanzapparat  dient. 

3.  Der  Darmkanal  und  seine  Anhänge. 

Verdauungs-  und  Exkretionsorgane. 

Der  Darm  beginnt  an  der  von  den  Mundwerkzeugen  umgebenen  Mund- 
öffnung und  geht  zu  der  am  Ende  des  Abdomens  gelegenen  Afteröffnung,  je 
nach  seiner  Länge  in  geradem  oder  mehr  oder  weniger  gewundenem  Verlauf. 
Er  gliedert  sich  stets  in  drei  ihrer  Funktion  und  Entstehung  nach  verschiedene 
Abschnitte,  den  Vorder-,  Mittel-  und  Enddarm.  Vorder-  und  Enddarm 
entstehen  durch  Einstülpung  des  äußeren  Keimblattes  (Ektoderms),  während 
der  Mitteldarm  aus  dem  inneren  Keimblatt,  dem  Entoderm,  hervorgeht. 
Dementsprechend  zeigen  auch  die  beiden  ersteren  Abschnitte  einen  anderen 
geweblichen  Aufbau  als  der  letztere,  was  sich  vor  allem  darin  dokumentiert, 
daß  Vorder-  und  Enddarm  mit  einer  chitinigen  Cuticula  (Intima)  austapeziert 
sind,  die  dem  Mitteldarm  fehlt. 

Im  Einklang  mit  der  großen  Verschiedenheit  der  Nahrungsaufnahme,  die 
bei  den  Insekten  herrscht,  zeigt  auch  der  Darm  eine  schier  unerschöpfliche 
Mannigfaltigkeit  und  zwar  nicht  nur  bei  den  verschiedenen  Arten,  sondern 
auch   bei  den  verschiedenen  Stadien  ein  und  derselben  Art. 

Vorderdarm.  —  Naturgemäß  macht  sich  diese  Mannigfaltigkeit  am 
meisten  am  Vord erdarm  geltend,  da  ja  dieser  Abschnitt  von  der  Verschieden- 
artigkeit der  Nahrungsaufnahme  am  direktesten  und  unmittelbarsten  betroffen 
wird.  —  Im  allgemeinen  können  wir  an  ihm  folgende  Teile  unterscheiden: 
die  Mundhöhle,  den  Schlund  oder  Pharynx,  die  Speiseröhre  (Oeso- 
phagus), den  Kropf  und  endlich  den  Vor-  oder  Kaumagen. 

Die  Mundhöhle  stellt  den  vordersten  Abschnitt  dar,  welcher  von  den 
oben  beschriebenen  Mundgliedmaßen  und  dem  Epi-  und  H3^popharynx  be- 
grenzt wird. 

Der  auf  die  Mundhöhle  folgende  Schlund  oder  Pharynx  zeichnet  sich 
meist  durch  eine  stark  verdickte  Cuticula  und  eine  kräftige  Muskulatur  aus. 
Letztere  besteht  sowohl  aus  Ringmuskeln,  durch  deren  Kontraktion  das 
Lumen  verengert  wird,  als  auch  aus  solchen  Muskeln,  welche  die  Darmwand 


Der  Darmkanal  und  seine  Anhänge. 


63 


mit  der  Kopf  wand  verbinden  und  durch  deren  Kontraktion  die  Schlund- 
wände auseinandergezogen  (dilatiert)  werden.  Besonders  stark  ist  diese 
Muskulatur  bei  den  saugenden  Insekten  ausgebildet,  wo  durch  die  abwechselnde 
Kontraktion  der  Ringmuskeln  und  der  Dilatatoren  eine  Pump-  und  Saug- 
wirkung erzielt  wird. 

Die  Speiseröhre  (Oesophagus)  stellt  gewöhnlich  ein  einfaches  dünn- 
wandiges Rohr  dar,  dessen  Muskulatur  nur  schwach  ausgebildet  und  dessen 
Intima  mehr  oder  weniger  gefaltet  ist. 

Der  Kropf  ist  eine  Erweiterung  der  Speiseröhre,  die  sich  aber  von  dieser 
meist  auch  strukturell  etwas  unterscheidet  durch  stärkere  Faltelung  der  Intima 


A  B 

Flg.  59.    Darmkanal  des  Gelbrandkäfers  (Dytiscus  marginalis  L.).    A  Imago,  B  Larve.    Ph  Pharynx;  Oe 

Oesophagus;  Oest  Oesophagusstiel;  Kr  Kropf;  Km  Kaumagen;  Md  Mitteldarm;  Dd  Dünndai'm;  Ba  Rectal- 

ampulle;  C  Coecum  (Blinddarm);  Mip  Malpighische  Gefäße.    Nach  Rungius. 


und  bisweilen  auch  durch  kräftigere  Muskulatur.  Der  Übergang  von  der 
Speiseröhre  zum  Kropf  ist  entweder  ein  allmählicher,  so  daß  die  beiden  Ab- 
schnitte gar  nicht  scharf  voneinander  abzugrenzen  sind  oder  aber  der  Kropf 
erscheint  als  eine  (manchmal  auch  paarige)  Ausstülpung  der  Speiseröhre, 
wobei  er  oft  weit  von  dieser  abgerückt  und  nur  durch  einen  dünnen  Stiel 
mit  ihr  verbunden  ist  (Fig.  61,  Sm). 

Letzteres  trifft  vor  allem  für  solche  Insekten  zu,  welche  flüssige  Nahrung  zu 
sich  nehmen,  weshalb  man  den  gestielten  Kropf  mit  der  Saugtätigkeit  in  Zusammen- 
hang brachte  und  ihn  fälschlicherweise  auch  als  „Saugmagen"  bezeichnete  (Honig- 
blase). Bei  manchen  Insekten  ist  der  Kropf  ungemein  ausdehnungsfähig  und  kann 
durch  Anhäufung  von  Nahrung  (oder  auch  AnfüUung  mit  Luft)  so  groß  werden,  daß 
er  nicht  nur  den  größten  Teil  des  Hinterleibes  ausfüllt,  sondern  den  letzteren  auch 
noch  mächtig  kugelförmig  auftreiben  kann,   wie  z.   B.   bei  den  Honigameisen,   bei 


/ 


64         Kapitel  III.     Der  innere  Bau  der  Insekten  (Anatomie  und  Physiologie). 

denen   die   Kröpfe    einzelner   Individuen   als   Sammeltöpfe    zum   Aufspeichern    von 
Honig  für  die  ganze  Gesellschaft  benützt  werden. 

Der  Vormagen  (auch  Kau-,  Pumpmagen,  Ventiltrichter,  Gesier 
genannt)  ist  durch  die  Stärke  der  Intima,  die  gewöhnlich  mit  zahlreichen 
Zähnen,  Borsten  usw.  besetzte  Falten  bildet,  und  durch  eine  sehr  kräftige 
Muskulatur  ausgezeichnet.  Die  Anordnung  der  chitinösen  Falten,  Zähne, 
Borsten  usw.  ist  meist  sehr  regelmäßig  (Fig.  60),  so  daß  auf  Querschnitten 
überaus  zierliche  Bilder  entstehen,  zeigt  aber  je  nach  den  Familien,  Gattungen 
und  Arten  große  Verschiedenheiten,  so  daß  man  sie  vielfach  auch  in  der 
Systematik  verwertet  hat  (z.  B.  bei  den  Borkenkäfern).  Bei  den  Käfern 
herrscht  die  Vierzahl  in  der  Faltenbildung  vor,  bei  den  Orthopteren  die 
Sechszahl,  wobei  gewöhnlich  gleiche  Falten  alternieren. 

Über  die  Funktion  des  Vormagens  gehen  die  Anschauungen  der 
Autoren  vielfach  auseinander:  während  die  einen  in  ihm  einen  Kauapparat 
sehen,  in  dem  die  Nahrung  zerkleinert  und  zerrieben  wird,  erblicken  die 
anderen  in  ihm  einen  Schling-,  oder  Pump-,  oder 
Reußenapparat,  dem  die  Funktion  zufällt,  die  Nahrungs- 
zufuhr zum  Mitteldarm  zu  regeln,  Nahrung  vom  Kropf 
in  den  Magen  zu  pumpen  (Ameisen,  Bienen),  oder 
ungeeignete  Nahrung  vom  Eintritt  in  den  Magen  ab- 
zuhalten usw.  Wahrscheinlich  bestehen  alle  diese 
Anschauungen  mehr  oder  weniger  zu  Recht,  indem 
die  Funktion  des  Vormagens  bei  den  verschiedenen 
Insekten  zweifellos  verschieden  ist.  Jedenfalls  ist  es 
nicht  gerechtfertigt,  wie  es  einige  neuere  Autoren  ge- 
tan haben,  dem  Vormagen  eine  Kaufunktion  durchweg 

^  .^^  ^     ^  absprechen  zu  wollen;  denn  bei  manchen  Insekten,  wie 
Flg.  60.  Längsschnitt  durcli  -rT,-,         t-.i  r-i- 

den  Kaumagen  von  Dytis-  z.  B.  bei  den  Borkenkäfern,  Schwimmkäfern  usw.,  fällt 

cus.   Nach  Rungius.  ihm  zweifellos  eine  solche  Funktion  zu. 

Auf  den  Vormagen  folgt  gewöhnlich  noch  ein 
dünnerer  Vorderdarmabschnitt,  welcher  die  Verbindung  zwischen  jenem  'und 
dem  Mitteldarm  herstellt,  und  entweder  frei  vor  dem  letzteren  gelegen  ist 
(„Oesophagusstiel",  Fig.  59,  Oest),  oder  mehr  oder  weniger  tief  in  den  Mittel- 
darm hineinragt  (Rüssel,  Ventilschlauch,  Appendix  vermiformis  usw. 
Fig.  62,  Vtr).  Das  hintere  Ende  dieses  dünnen  Abschnittes  oder  aber  auch  der 
ganze  Abschnitt  bildet  zugleich  einen  Verschlußapparat  zwischen  Mittel-  und 
Vorderdarm  (Valvula  cardiaca),  der  verhindert,  daß  Nahrungsteile  aus  dem 
ersteren  in  den  letzteren  zurücktreten  können.  Meist  handelt  es  sich  um 
eine  Ringfalte  mit  Ringmuskulatur;  bei  manchen  Insekten  jedoch  (Bienen) 
geschieht  der  Verschluss  dadurch,  daß  der  rüsselartig  in  den  Mitteldarm 
hineinragende,  zartwandige  „Ventilschlauch"  beim  leisesten  Druck  von  hinten 
her  zusammengequetscht  wird. 

Im  Anschluß  an  den  Vorderdarm  sind  auch  noch  die  Speichel- 
drüsen zu  erwähnen,  die  zwar,  zum  Teil  wenigstens,  morphologisch  nicht 
eigentlich   diesem  Darmabschnitt  angehören,  aber  doch  physiologisch  ihm  zu- 


Der  Darmkanal  und  seine  Anhänge. 


zurechnen  sind.  Speicheldrüsen  kommen  bei  den  meisten  Insekten  vor,  und 
zwar  in  sehr  verschiedener  Zahl  und  Ausbildung:  manchmal  nur  in  einem, 
manchmal  in  zwei  oder  auch  in  drei  Paaren.  Oft  sind  es  einfache  oder 
verzweigte  Schläuche,  die  länger  als  der  ganze  Körper  und  daher  mehrfach 
gewunden  sind  (z.  B.  die  Speicheldrüsen  der  Fliegen),  oft  handelt  es  sich 
auch  um  kleinere  oder  größere  Drüsenpackete,  und  bisweilen  finden  sich 
auch  neben  den  eigentlichen  Drüsen  noch  größere  Reservoire,  in  welchen 
das  Sekret  angesammelt  wird.  Die  Ausmündung  erfolgt  gewöhnlich  an  der 
Basis  der  Mundgliedmaßen,  weshalb  die  betreffenden  Drüsen  auch  als 
Mandibular-,  Maxillar-  und  Labialdrüsen  unterschieden  werden.  Die 
letzteren  besitzen  gewöhnlich  einen  unpaaren  Ausführungsgang  (Speichel- 
te 

m 

7i 


Fig.  61.    Darmkanal  eines  Schmetterlings.    A  Imago;  -B  Larve;  Oe  Ösophagus;  s»n  „Saugmagen"  (Kropf j; 
W(J  Mitteldarm ;  Ml-p  Malpighische  Gefäße;  D<?  Dünndarm;  .B  Rektum;  .5p  Speicheldrüse;  Spi  Spinndrüse. 


gang),  und  sind  nur  in  ihrem  drüsigen  Teil  paarig  (Fig.  62 B).  Nicht  selten 
münden  auch  noch  in  den  Schlund  ein  paar  Drüsen,  welche  als  Pharyn- 
geal- oder  Schlunddrüsen  (Fig.  62A,  Dr-^  bezeichnet  werden  und  die 
bei  den  Bienen  eine  Länge  von  zusammen  2  cm  (doppelt  so  lang  als  der 
ganze  Bienenkörper)  erreichen  können. 

Die  Funktion  der  genannten  Drüsen  ist  eine  verschiedene. 
Meistens  stehen  sie  im  Dienst  der  Verdauung;  die  Labialdrüsen  sind  bei 
vielen  Larven  zu  Spinndrüsen  umgebildet,  der  Schlunddrüse  der  Bienen 
kommt  die  Funktion  der  Futtersaftabscheidung  zu  usw. 

Mittel darm.  —  Entsprechend  der  einheitlichen  Funktion  des  Mittel- 
darmes (Verdauung  der  zugeführten  Nahrung)  zeigt  auch  der  Bau  dieses 
Darmabschnittes  bei  weitem  nicht  so  mannigfaltige  Differenzierungen  als  der 
Voiderdarm.  Er  stellt  ein  mehr  oder  weniger  weites  Rohr  von  ver- 
schiedener   Länge    dar,    dessen    Außenseite    entweder    glatt    oder    mit    dicht 

Escherich,  Forstinsekten.  5 


66        Kapitel  III.     Der  innere  Bau  der  Insekten  (Anatomie  und  Physiologie). 

stehenden  Zotten  oder  mit  einzelnen  fingerförmigen  Anhängen  besetzt  ist. 
Nicht  selten  lassen  sich  verschiedene  Abschnitte  an  ihm  unterscheiden,  je 
nach  seinem  dickeren  oder  dünneren  Umfang,  oder  je  nachdem  der  eine  Teil 
mit  längeren,  der  andere  mit  kürzeren  Zotten  besetzt  oder  ganz  glatt  ist  usw. ; 
so  spricht  Sedlaczek  bei  den  Borkenkäfern  von  4  Mitteldarmregionen:  der 
erweiterten,  der  engeren,  der  Blindschlauch-  und  der  Divertikelregion. 

Die  Hauptarbeit  im  Mitteldarm  fällt  den  Epithelzellen  zu,  welche  die 
verdauenden  Sekrete  zu  liefern  und  auch  die  Resorption  zu  besorgen  haben; 
daher  sind  dieselben  hier  auch  besonders  gut  ausgebildet,  meist  als  hohe 
Zylinderzellen.  Eine  chitinöse  Intima  fehlt,  wie  oben  schon  gesagt,  dagegen 
sind  die  freien  Zellenden  gewöhnlich  von  einem  feinen  „Stäbchensaum" 
eingefaßt,  über  dessen  Entstehung  und  Bedeutung  noch  keine  volle  Klarheit 
herrscht.  Auf  die  Zellschicht  folgt  nach  außen  eine  feine  Membran,  die  als 
Basal-  oder  Stützmembran  oder  als  Grenzlamelle  bezeichnet  wird,  und 
welche  die  Zellen  zusammenhält;  und  endlich  kommt  zu  äußerst  eine  dünne 
Muskelschicht,  die  aus  Rings-  und  Längsmuskeln  besteht. 

Die  meisten  Verschiedenheiten  finden  wir  an  der  Zellschicht,  die  nicht  nur 
bei  den  verschiedenen  Arten,  sondern  auch  bei  Larve  und  Imago  deutliche  Ab- 
weichungen zeigen  kann.  Ja  sogar  bei  der  Imago  selbst  kann  das  Epithel  recht 
verschieden  erscheinen,  je  nach  dem  jeweiligen  Stand  der  Verdauung,  denn 
meistens  hat  die  Sekretion  der  Verdauungssäfte  eine  relativ  rasche  Zerstörung 
der  Zellen  zur  Folge.  Bei  minchen  Insekten  wird  dabei  die  ganze  Zellschicht 
von  Zeit  zu  Zeit  (alle  paar  Tage)  im  Zusammenhang  abgeworfen  (Hydrophilus), 
bei  anderen  dagegen  erfolgt  die  Zellabstoßung  partiell  und  allmählich,  geht  dafür 
aber  ununterbrochen  vor  sich. 

Der  Ersatz  für  die  abgestoßenen  Zellen  erfolgt  von  Gruppen  junger 
Zellen  aus,  die  als  Regenerations-,  oder  Epithelmutter-  oder  Crypten- 
zellen,  oder  auch  kurzweg  als  Crypten  bezeichnet  werden.  Sie  liegen  entweder 
als  kleine  Nester  zerstreut  unter  dem  Epithel,  oder  aber  am  Grunde  jener  aus- 
gestülpten Zellschläuche,  die  außen  als  Zotten  hervortreten. 

Hinterdarm.  —  Der  Hinterdarm,  der  wie  der  Vorderdarm  eine  Haut- 
einstülpung darstellt  und  daher  mit  einer  chitinigen  Intima  austapeziert  ist, 
läßt  bei  den  meisten  Insekten  nach  seiner  äußeren  Konfiguration  zwei  differente 
Abschnitte  unterscheiden:  den  Dünndarm  und  den  Mast-  oder  Enddarm, 
auch  Rektum  oder  Kotblase  genannt.  Der  Anfang  des  Hinterdarms  ist 
durch  die  hier  entspringenden  Malpighi sehen  Gefäße  (siehe  unten)  äußerlich 
stets  gut  gekennzeichnet. 

Der  Dünndarm  ist  der  längere  der  beiden  Abschnitte  und  zeigt  meist 
einen  mehr  oder  weniger  gewundenen  Verlauf.  Er  beginnt  mit  dem  sog. 
Pylorus  (Valvula  pylorica),  welcher  aus  hohen  in  das  Lumen  vorspringenden 
Falten  und  einer  kräftigen  Ringmuskulatur  besteht,  und  welcher  die  Beförderung 
des  Darminhaltes  vom  Mittel-  zum  Enddarm  regelt. 

Die  Pylorusregion  geht  allmählich  in  das  eigentliche  Dünndarmrohr  über, 
indem  die  Muskulatur  dünner  und  die  Epithelzellen  merklich  größer  und 
vielfach  anders  strukturiert  (streifig)  erscheinen.  Die  Intima  des  Dünndarms 
(wie  auch  des  Rektums)  ist  oftmals  mit  verschieden  geformten  Zähnen  und 
Borsten,  die  meist  nach  hinten  gerichtet  sind,  besetzt. 


Der  Darmkanal  und  seine  Anhänse. 


67 


Das  Rektum  (Fig.  61  u.  62,  R)  ist  durch  die  starke  (oft  blasenförmige) 
Erweiterung  deutlich  vom  Dünndarm  abgesetzt;  auch  im  geweblichen  Aufbau 
unterscheidet  es  sich  wesentlich  von  dem  vorhergehenden  Abschnitt,  und  zwar 
vor  allem  durch  die  Reduktion  der  Zellschicht,  die  gegenüber  der  starken  Intima 
gänzlich  in  den  Hintergrund  tritt.  Nur  an  einigen  Stellen  bleiben  Streifen  von 
hohen  Epithelzellen  erhalten,  die  als  Längswülste  in  das  Lumen  vorragen  und 


B 

ä''ig.   62.     Darmkanal   eiaer    Biene.     A  Imago;    B  Larve;    Di\   Schlunddrüse ;   D>\  Mandibnlardrüse : 

Oi-3    Labialdriise ;    Vfr   Ventiltrichter;    Vd   Vorderdarm;    Ed    Enddarm.     Die    übrigen    Bezeichnungen 

wie  auf  den  Fig.  60  u.  61.    Nach  Z  ander. 


die  als  Rektaldrüsen  bezeichnet  werden.  Ihre  Funktion  ist  noch  nicht  mit 
Sicherheit  festgestellt,  vielleicht  spielen  sie  bei  der  Bildung  der  Kotballen 
eine  Rolle.  —  Auch  die  Muskulatur  des  Rektums  ist  von  der  des  Dünndarms 
verschieden  durch  ihre  wesentlich  stärkere  Ausbildung;  sie  besteht  aus  einer 
Anzahl  Längsmuskelbündeln  und  einer  Ringsmuskulatur,  die  in  der  Afterregion 
als  Sphinkter  wirkt.  Der  After  ist  im  letzten  Segment  gelegen  und  stellt 
einen  schmalen  Spalt  dar,  dessen  Wände  durch  den  Besitz  zahlreicher  Falten 
stai-k  erweiterungsfähig  ist. 

5* 


68        Kapitel  III.     Der  innere  Bau  der  Insekten  (Anatomie  und  Physiologie). 

Bei  manchen  Insekten  besitzt  das  Rektum  eine  blindsackartige  Ausstülpung, 
die  mitunter  von  der  halben  Länge  des  ganzen  Tieres  sein  kann  (z.  B.  Dytiscuslarve). 
Der  Bau  des  Darmkanals  (Länge  und  Differenzierung  der  einzelnen 
Abschnitte)  ist,  wie  oben  schon  betont,  ungemein  verschieden,  je  nach  der 
Ernährungsart  und  dem  Bau  des  betr.  Insekts.  Im  allgemeinen  kann  man 
wohl  sagen,  daß  der  Darm  bei  Pflanzenfressern  länger  ist  als  bei 
Fleischfressern;  doch  trifft  dies  nicht  ausnahmslos  zu,  so  ist  z.  B.  der 
Darm  des  pflanzenfressenden  Kolbenwasserkäfers  {Hydrophilus)  nicht  nur 
nicht  länger,  sondern  sogar  (relativ)  kürzer  als  der  Darm  des  fleischfressenden 
Gelbrandkäfers  {Dytiscus).  Dies  kann  damit  erklärt  werden,  daß  bei  diesen 
Fleischfressern  durch  die  große  Energie  ihrer  Lebenstätigkeit  ein  rascherer 
Verbrauch  der  Körpersubstanzen  und  damit  zugleich  ein  beträchtlicherer 
Ersatz  bedingt  ist  (Leuckart),  oder  daß  die  Art  der  Lebensweise  es  nötig 
macht,  daß  das  betr.  Tier  auf  einmal  größere  Mengen  verschlingt,  um  für 
längere  Zeit  versorgt  zu  sein  (Rungius). 

Um  einen  Begriff  zu  geben  von  dem  Verhältnis  zwischen  Darm- 
länge und  Nahrung,  seien  hier  einige  Beispiele  von  verschiedenen  Käfern 
(nach  G  o  r  k  a)  angeführt: 

bei  coprophagen  (kotfressenden)  Käfern  {Geotrupes  usw.)  beträgt  die  Länge  des 
Darms  das  5 — 8  fache  der  Körperlänge; 

bei  phytophagen  (z.  B.  Melolontha)  das  3— 7  fache; 

bei  succiphagen  (saftleckenden)  Käfern  (Cerambyciden)  das  2— 3  fache; 

bei  saprophagen  (von  modernden  Substanzen  lebenden)  Käfern  das  2V2' — 4  fache; 

bei  sarcophagen  (Fleischfressern)  das  1,7 — 3,2  fache  und 

bei  necrophagen  (Aasfressern)  das  4 — 7  fache. 
Auch  das  Längenverhältnis  der  einzelnen  Darmabschnitte  zu- 
einander ist  recht  verschieden.  Bei  manchen  Insekten  ist  der  Mittel  dann  der 
längste  Abschnitt  (z.  B.  bei  den  coprophagen  Käfern,  bei  denen  er  80 — 90  ^Jq 
der  gesamten  Darmlänge  ausmacht,  dann  auch  bei  den  phytophagen  Käfern  usw.); 
in  anderen  Fällen  ist  der  Vorderdarm  der  längste  Abschnitt  (z,  B.  bei  den 
Ameisen  und  Verwandten)  und  in,  wieder  anderen  Fällen  überragt  der  Hinter- 
darm die  anderen  Abschnitte  wesendich  an  Länge,  so  z.  B.  bei  den  Toten- 
gräbern {Necrophorus),  bei  denen  er  ca.  ^,'4  des  gesamten  Darmkanals  beträgt^ 
oder  bei  Dytiscus^  bei  dem  er  beinahe  doppelt  so  lang  als  Vorder-  und 
Mitteldarm  zusammen  ist. 

Was  die  Differenzierung  der  einzelnen  Darmabschnitte  betrifft, 
so  steht  diese  in  bezug  auf  ihre  Mannigfaltigkeit  den  eben  besprochenen 
Verhältnissen  kaum  nach,  was  sich  in  dem  Fehlen  oder  Vorhandensein  von 
einem  Kropf,  Vormagen,  Rektum,  Rectaldrüsen  usw.  kund  tut. 

Natürlich  weichen  auch  Larve  und  Imago  der  gleichen  Art  im  Bau  des 
Darmkanals  wesentlich  voneinander  ab,  wenn  die  beiden  eine  verschiedene 
Ernährungsweise  besitzen;  so  kann  man  sich  kaum  größere  Gegensätze  vor- 
stellen als  den  Darm  der  von  Blattsubstanz  sich  nährenden  Raupe  und  dem 
von  Nektar  lebenden  Schmetterling  (Fig.  61 A  u.  B). 

Bei  manchen  Insekten  treten  starke  Reduktionen  am  Darm  röhr  ein ; 
so  ist  bei  den  Eintagsfliegen,  die  während  ihres  kurzen  Imagolebens  überhaupt 
keine  Nahrung  zu  sich  nehmen,  der  Vorderdarm  verkümmert,  resp.  völlig  zu- 
sammengepreßt, so  daß  er  unpassierbar  ist.  In  anderen  Fällen  ist  der  Hinter- 
d  a  r  m    funktionslos    geworden,    indem    die    Verbindung    zwischen    ihm    und    dem 


Der  Darmkanal  und  seine  Anhänge.  69 

Alitteldarni  fehlt,  resp.  die  Valvula  pylorica  geschlossen  bleibt  (Fig.  62  B).  Solche 
Zustände  finden  wir  bei  den  Bienen  und  Wespenlarven,  die  ja  eine  sehr  konzen- 
trierte Nahrung  dargereicht  erhalten,  welche  fast  restlos  verdaut  wird.  Erst 
während  der  Umwandlung  zur  Imago  wird  die  Verbindung  zwischen  den  beiden 
Darmabschnitten  hergestellt,  worauf  die  wenigen  unverdauten  Reste  nach  außen 
entleert  werden. 

Über  die  Verdau ungs Vorgänge  sind  wir  noch  recht  schlecht  unter- 
richtet. Nach  dem  wenigen,  was  wir  bis  jetzt  darüber  wissen,  können  wir 
uns  ungefähr  folgendes  Bild  machen:  Die  Verdauung  beginnt  schon  in  der 
Mundhöhle,  wo  durch  die  Sekrete  der  Speicheldrüsen  (wie  bei  den  Wirbel- 
tieren) Stärke  in  Zucker  verwandelt  wird.  Im  Kropf  und  Vormagen  setzt 
sich  dieser  Vorgang  weiter  fort,  und  daneben  beginnt  bereits  (bei  den  Fleisch- 
fressern) die  Verdauung  des  Eiweißes,  d.  h.  die  Überführung  der  unlöslichen 
Eiweißstoffe  in  lösliche  (Peptonisierung) ;  die  nötigen  Fermente  hierzu  stammen 
zweifellos  aus  dem  Mitteldarm. 

Die  Untersuchung  des  Kropfinhaltes  hei  Dyiiscus  durch  Deegener  ergab, 
daß  die  Erweichung  der  Nahrung  mehrere  Stunden  in  Anspruch  nimmt.  Die  ersten 
verflüssigten  Bestandteile  traten  hier  nach  ^4 — 1  Stunde  in  den  Mitteldarm  ein. 
Noch  17  Stunden  nach  der  Nahrungsaufnahme  waren  im  Kropf  einige  gequollene 
Fleischreste  zu  finden,  erst  nach  20  Stunden  waren  größere  ungelöste  Bestandteile 
im  Kropfinhalt  nicht  mehr  wahrnehmbar. 

Wo  ein  Kaumagen  vorhanden  ist,  wird  die  Nahrung  weiter  zerkleinert 
und  zerrieben  und  mit  dem  Magensaft  durchgeknetet,  um  dann,  soweit  sie 
richtig  vorverdaut  ist,  in  den  Mitteldarm  abgepreßt  zu  werden. 

Der  Mitteldarmsaft  (Ch3dus),  der  von  den  Mitteldarmzellen  aus- 
geschieden wird,  ist  nach  Biedermann  stark  eiweiß verdauend  und  enthält 
außerdem  stärkelösende  und  fettzersetzende  Fermente.  Merkwürdigerweise 
findet  sich  in  ihm  kein  zelluloselösendes  Mittel,  so  daß  also  nur  der 
Inhalt  derjenigen  Blattzellen  verdaut  werden  kann,  die  beim  Kauen  an- 
geschnitten und  eröffnet  sind,  während  der  Verdauungssaft  zu  den  übrigen 
noch  von  der  Zellulosemembran  umschlossenen  Zellen  keinen  Zutritt  hat 
(Hesse).  Daher  besteht  denn  auch  der  Kot  der  Raupen  aus  vielen  kleinen 
Blattstückchen,  die,  mit  Ausnahme  der  Randzellen,  meist  noch  gut  erhalten 
sind.  Die  aufgenommene  Nahrung  kann  also  hier  nur  sehr  unvollkommen 
ausgenutzt  werden,  womit  sich  auch  der  außerordentliche  Futterverbrauch 
der  Raupen  erklären  läßt:  frißt  doch  die  Raupe  des  Kiefernspinners  vom 
Ei  bis  zur  Verpuppung  ca.  1000  Kiefernnadeln  und  die  Nonnenraupe  bis  zu 
1300  Fichtennadeln. 

Im  Mitteldarm  findet  nicht  nur  die  Verdauung,  sondern  auch  die 
Resorption  statt,  so  daß  also  die  gleichen  Zellen  zwei  recht  verschiedene 
Funktionen  zu  erfüllen  haben  (vielleicht  hängt  damit  auch  ihr  stetiger  Zerfall 
zusammen). 

Übrigens  scheint  sich  der  Resorptionsvorgang  auch  auf  den  Dünndarm, 
wenigstens  auf  seinen  Anfangsteil  fortzusetzen,  wofür  jedenfalls  die  oft  sehr 
respektable  Länge  dieses  Darmabschnittes  und  seine  relativ  großen  und  oft 
auch  besonders  strukturierten  Epithelzellen  sprechen.  Der  hintere  Abschnitt 
des  Dünndarms,  wie  auch  das  Rektum,  dienen  wohl  lediglich  zur  Aufsammlung 
und  Ausfuhr  der  unverdauten  Nahrungsreste. 


70       Kapitel  III.     Der  innere  Bau  der  Insekten  (Anatomie  und  Physiologie). 

Bei  einigen  Insekten  findet  die  Verdauung  r  e  s  p.  V  o  r  v  e  r  d  a  u  u  n  g 
außerhalb  des  Körpers  statt  (extraintestinale  Verdauung), 
wie  z.  B.  bei  der  Dyh'scus -Larve,  deren  Mandibeln,  wie  bereits  erwähnt,  mit  einem 
feinen  Kanal  versehen  und  zum  Saugen  eingerichtet  sind.  Diese  Zangen  bohrt  sie 
ihrem  Opfer  in  den  Leib,  dann  läßt  sie  aus  der  Kanalmündung  einen  Safttropfen 
austreten,  der  vorab  durch  Giftwirkung  das  Opfer  tötet  und  sodann  das  Fleisch 
auflöst.  Den  Speibewegungen  (durch  welche  Gift  und  Fermentsaft  in  die  Beute 
gespritzt  wird)  folgen  regelmäßig  Saugbewegungen,  und  nach  einer  Viertelstunde 
ist  das  Opfer  (etwa  eine  Schmeißfliege)  völlig  ausgesogen  (Nage  1).  Ganz  ähn- 
liche Vorgänge  spielen  sich  auch  bei  der  Larve  der  Leuchtkäfer  (nach  R.  Vogel), 
des  Ameisenlöwen  {Myrmeleo)  und  der  Florfliege  ab.  Neuerdings  stellte  Jordan 
auch  bei  einem  ausgesprochen  kauendem  Insekt,  bei  unserem  Goldlaufkäfer  {Carabus 
auratus)  eine  extraintestinale  Verdauung  fest.  Wenn  dieser  Käfer  ein  Stück  Fleisch 
fressen  will,  so  versenkt  er  den  Kopf  in  das  Fleisch,  sich  mit  den  Mandibeln  den 
Weg  bahnend,  und  läßt  einen  braunen  Saft  aus  dem  Munde  austreten,  der  ferment- 
haltig  ist  und  das  Fleisch  auflöst.  So  verschwindet  denn  letzteres  zusehends,  ohne 
daß  der  Käfer  ein  Stück  davon  verschluckte,  während  gleichzeitig  sein  Hinterleib 
immer  mehr  anschwillt.  Nach  Jordan  dauerte  die  Auflösung  eines  Stückchen 
Fleisches  von  1  cm  Länge  und  1/2  cm  Dicke  3  Stunden  und  15  Minuten. 

Die  Malpighischen  Gefäße  (Harngefäße).  —  Die  Malpighischen 
Gefäße  sind  längere  oder  kürzere,  meist  blind  endigende,  dünne  Schläuche, 
welche  an  der  Grenze  von  Mittel-  und  Hinterdarm  entspringen.  Sie  entstehen 
als  Ausstülpungen  des  Hinterdarmes,  sind  also  diesem  Darmabschnitt 
zuzuzählen.  Ihr  geweblicher  Aufbau  ist  ein  sehr  einfacher:  die  Wand  besteht 
aus  großen  Zellen,  deren  Grenzen  oft  undeutlich  und  deren  Kerne  meist 
recht  unregelmäßig  geformt  (mitunter  verzweigt)  sind.  Eine  chitinöse  Intima 
fehlt  oder  sie  ist  äußerst  fein  und  nur  teilweise  erhalten.  Außen  ist  die 
Zellschicht  von  einer  feinen  Grundmembran  umgeben,  die  von  einem  dichten 
Netz  feinster  Tracheenäste  umsponnen  wird. 

Bezüglich  der  Zahl,  Form  und  Farbe  der  Malpighischen  Gefäße  herrschen 
die  größten  Verschiedenheiten:  Die  Farbe  kann  weißlich,  gelblich,  grünlich 
oder  bräunlich  oder  sogar  dunkelrot  sein.  Die  Form  ist  meist  einfach 
zylindrisch,  doch  kommen  auch  keulenförmige  (Phora),  oder  mehrfach  aus- 
gebuchtete oder  geweihartig  verzweigte  Gefäße  (Wachsmotte)  vor.  Auch 
bezüglich  der  Länge  und  Dicke  sind  große  Schwankungen  vorhanden.  Im 
allgemeinen  gilt  der  Satz,  daß  die  Länge  umgekehrt  proportional  ist  der  Zahl 
der  Gefäße;  d.  h.  wo  nur  wenige  (4 — -6)  vorhanden  sind,  wie  z.  B.  bei  den 
Käfern  und  Schmetterlingen,  da  sind  sie  sehr  lang;  je  zahlreicher  aber  die 
Gefäße  werden,  desto  kürzer  und  zugleich  auch  dünner  werden  sie,  wie  das 
z.  B.  bei  den  Geradeflüglern  oder  den  Bienen  und  Wespen,  bei  denen  die 
Zahl  100  und  mehr  betragen  kann,  deutlich  zu  sehen  ist.  Im  letzteren  Fall 
vereinigen  sich  die  Gefäße  zuweilen  büschelförmig,  um  mit  einem  gemeinsamen 
Gang  in  den  Enddarm  zu  münden  (Grillen).  Übrigens  auch  da,  wo  nur 
wenige  Gefäße  vorhanden  sind,  können  sich  zwei  oder  mehrere  Gefäße  zu 
einem  gemeinsamen  Mündungskanal  vereinigen.  Bei  gewissen  Insekten  zeigen 
die  Malpighischen  Gefäße  untereinander  deutliche  Verschieden- 
heiten; so  haben  die  Borkenkäfer  zwei  dünnere  und  vier  dickere  Gefäße 
oder  es  tritt  ein  Teil  der  Gefäße  mit  ihren  Enden  in  eine  feste  Verbindung 
mit  dem  Darm,  während  die  anderen  frei  endigen  usw. 


Atmunesorgane. 


71 


Was  die  Funktion  der  Malpighischen  Gefäße  betrifft,  so  stellen  sie 
zweifellos  in  der  Hauptsache  Exkretionsorgane  (Harnorgane)  dar.  Denn 
in  ihren  Ausscheidungen  läßt  sich  stets  reichlich  Harnsäure  nachweisen; 
außerdem  sind  in  ihnen  auch  noch  Kristalle  von  oxalsaurem  Kalk  und  Taurin, 
ferner  Kugeln  von  Leucin  und  harnsaurem  Natron  gefunden  worden. 

Daneben  können  allerdings  noch  andere  Funktionen  ausgeübt  werden;  so 
werden  bei  einigen  Insekten  (Neuropteren)  Spinnsekrete  von  den  Malpighischen 
Gefäße  ausgeschieden,  und  einige  Autoren  schreiben  ihnen  auch  eine  resorbierende 
Funktion  zu.  An  solche  Doppelfunktionen  könnte  man  am  ersten  da  denken,  wo 
die    Gefäße   untereinander    verschieden    sind   (siehe    oben). 

Die  Atmungsorgane  (Tracheensystem). 
S  t  i  g  m  e  n  a  t  m  u  n  g . 

Die  Insekten  atmen  durch  Tracheen,  das  sind  Luftröhren  oder  Kanäle, 
welche  einerseits  meist  durch  paarige,  segmental  angeordnete  Öffnungen 
oder  Stigmen  mit  der  Außenwelt  in  Verbindung 
stehen,  andererseits  durch  reich  verzweigte  feinste 
Äste  überall  im  Körper  sich  verbreiten,  um  alle 
Organe  zu  umspinnen  und  zu  allen  Zellen  zu 
gelangen.  So  wird  der  Sauerstoff,  der  durch  die 
Stigmen  eindringt,  direkt  und  unmittelbar  den  Ge- 
weben zugeführt  und  ebenso  die  ausgeschiedene 
Kohlensäure  direkt  auf  demselben  Wege  ausgeführt. 
Die  Insekten  bedürfen  also  keines  besonderen  Trans- 
portorganes  zum  Hin-  und  Hertransport  von  Sauer- 
stoff und  Kohlensäure,  wie  dieses  z.  B.  bei  den 
Wirbeltieren  der  Fall  ist  (Blutgefäßsystem). 

Der  gewebliche  Aufbau  der  Tracheen  ist  fast 
überall  der  gleiche.  Da  die  Tracheen  als  eine 
Einstülpung  der  Körperwand  entstehen,  so 
ist  ihre  Innenwand  von  einer  Cuticula  ausgekleidet, 
welche  die  Fortsetzung  der  äußeren  Chitinhaut  des 
Körpers  darstellt.  Sie  zeigt  eine  sehr  charakteristische 
Struktur,  an  der  die  Tracheen  stets  leicht  zu  er- 
kennen sind:  nämlich  eine  fadenförmig,  spiralig  fortlaufende  Verdickung,  den 
sog.  Spiralfaden,  welcher  durch  seine  Elastizität  dafür  sorgt,  daß  die  Röhre 
offen  gehalten  wird  (Fig.  63).  Nur  in  den  dünnsten  Endteilen  der  Tracheen 
und  in  den  Luftsäcken  fehlt  der  Spiralfaden,  sonst  ist  er  stets  vorhanden. 
Die  Zellschicht,  welche  die  Intima  ausgeschieden  hat,  und  welche  als  die 
Fortsetzung  des  Epithels  der  Körperwand  zu  betrachten  ist,  besteht  gewöhn- 
lich aus  sehr  niedrigen,  platten  Zellen. 

Die  Stigmen  zeigen  große  Verschiedenheiten  bezügl.  ihres  Baues;  schon 
ihre  Form  ist  recht  verschieden  und  kann  sowohl  rund,  als  auch  breit-  oder 
schmaloval  sein.  Noch  weit  mehr  aber  variiert  ihre  Struktur;  so  finden  wir 
innerhalb  des  stark  chitinisierten  Stigmenringes,  welcher  zur  Offenhaltung 
der  Stigmen  dient,  die  mannigfaltigsten  aus  Falten,  Borsten  und  Haaren 
bestehenden   Bildungen,    die    den  Zweck    haben,    das    Eindringen   von   Staub 


Fig.   63.      Bau    einer  Trachee 

(nach    Hertwig).     A   Haupt- 

stamm;  B,  C,D  Verästelungen; 

a  Epithel  mit  Kernen  (6). 


72        Kapitel 


Der  innere  Bau  der  Insekten  (Anatomie  und  Physiologie). 


und   anderen  Fremdkörpern   in    das  Tracheens3'stem   zu  verhindern  und  also 
gewissermaßen  als  Filter  oder  Reusenapparat  anzusehen  sind. 

Innerhalb  der  Filterapparate  liegen  an  den  von  den  Stigmen  ausgehenden 
Tracheenstämmen  gewöhnlich  mehr  oder  weniger  komplizierte  Verschluß- 
apparate, welche  dazu  dienen,  die  eingetretene  Luft  festzuhalten,  so  daß 
dieselbe  durch  die  Atembewegungen  bis  in  die  feinsten  Verzweigungen  vor- 
gedrückt werden  kann.  Sie  bestehen  aus  Klappen  oder  Zangen  oder  einer 
mit  einem  Hebel  versehenen,  mehrteiligen  Chitinspange,  welche  um  die  Trachee 
gelegt  ist  und  durch  Muskelwirkung  dieselbe  zusammenquetscht  (Fig.  64). 

Was  die  Anordnung  des  Tracheensystems  betrifft,  so  sind  ursprüng- 
lich 10  Paar  Stigmen  vorhanden,  die  bei  den  Imagines  folgendermaßen  verteilt 
sind:  Je  ein  Paar  am  Meso-  und  Metathorax  und  den  ersten  acht  Hinterleibs- 
ringen. Kopf  und  Prothorax  sind  bei  den  Imagines,  mit  wenigen  Ausnahmen 
(z.  B.  Floh),  ohne  Stigmen.  Bei  den  Larven  dagegen  besitzt  meist  der 
Prothorax  ein  Stigma,  während  Meso-  und  Metathorax  frei  sind. 

Die  Stigmen  liegen 
im  allgemeinen  in  den 
Intersegmentalhäuten ; 
doch  rücken  sie  häufig 
des  besseren  Schutzes 
halber  dorsal-  oder  ven- 
tralwärts  in  die  eigent- 
lichen Segmentplatten ; 
so  liegen  die  Abdominal- 
stigmen bei  den  Käfern 
meistens  derart,  daß  sie 
von  den  Flügeldecken 
vollkommen  bedeckt 
werden;  bei  vielen 
Bienen  liegen  sie  am  Vorderrand  der  Segmentplatten,  so  daß  sie  durch  die 
übergreifenden  vorhergehenden  Platten  geschützt  sind  usw. 

Von  den  Stigmen  tritt  gewöhnlich  je  ein  stärkerer  Tracheenstamm  nach 
innen,  der  sich  nach  kurzem  Verlauf  gabelt,  um  mit  den  vom  vorhergehenden 
und  nachfolgenden  Stigma  entspringenden  Gabelästen  in  Verbindung  zu 
treten.  So  entsteht  jederseits  ein  geschlossener  Längsstamm,  der  den  ganzen 
Körper  von  hinten  nach  vorn  durchzieht.  Zu  diesen  seitlichen  Hauptiängs- 
stämmen  können  dadurch,  daß  die  von  diesen  abgehenden  Aste  nochmals 
Längsverbindungen  eingehen,  noch  ein  oder  2  weitere  Paare  solcher  Stämme 
(1  Paar  ventraler  und  1  Paar  dorsaler)  hinzutreten,  so  daß  der  Körper  also 
von  3  Paar  Längsstämmen  durchzogen  wdrd,  die  alle  durch  Querkommissuren 
miteinander  verbunden  sind  (Fig.  65).  Von  diesen  Stämmen  und  Kom- 
missuren gehen  wieder  zahlreiche  Äste  ab,  die  sich  immer  mehr  verzweigen 
und  immer  feiner  werden,  um  alle  Organe  mit  einem  dichten  Netz  zu  um- 
spinnen und  schließlich  als  Capillaren  in  die  Gewebe  einzudringen. 

Nur  bei  den  niedersten  Insekten  finden  wir  bisweilen  eine  andere  Anordnung 
des    Tracheensystems,    indem    hier    die    von    den    Stigmen    abgehenden    Tracheen- 


Fig.  64.  Schematische  Darstellung  des  Tracbeenversohlusses  bei 
einem  Hirschkäfer.  A  der  geöffnete,  B  der  geschlossene  Apparat; 
St  Stigma  mit  vorspringendem  Gitterverschluß;  Ct  Cuticula  der 
Leibeswand;  Vk  Verschlußkegel;  Vhü  Verschlußbügel;  Vba  Verschluß- 
band; M  Muskel.  —  (N.) 


Atmungsorgane. 


73 


Stämme  mit  den  benachbarten  nicht  in  Verbindung  treten,  sondern  völlig  unab- 
hängig voneinander  sich  verästeln,  um  die  nächstliegenden  Organe  zu  versorgen  — 
ein   Zustand,   der  zweifellos   als   der   primitivere   anzusehen  ist. 

Bei  vielen  fliegenden  Insekten  sind  die 
Tracheen  stellenvi'eise  zu  Luftsäcken  er- 
weitert, deren  Wände,  wie  schon  erwähnt, 
des  versteifenden  Spiralfadens  entbehren 
(Fig.  66).  Bei  manchen  Insekten  (Bienen, 
Fliegen,  Schmetterlingen,  Maikäfer  usw.)  können 
sie  so  groß  und  zahlreich  werden,  daß,  wenn 
sie  mit  Luft  gefüllt,  den  größten  Teil  der 
Leibeshöhle  einnehmen.  Da  die  Luftsäcke 
nur  den  fliegenden  iVrten  zukommen  (den 
Larven  fehlen  sie  ganz  und  ebenso  gehen  sie 
auch  da,  wo  nur  ein  Geschlecht  flugfähig, 
dem  flugunfähigen  Geschlecht  ab),  so  dürfen 
wir  sie  wohl  mit  dem  Flugvermögen  in  Zu- 
sammenhang bringen,  und  zwar  wahrschein- 
lich in  dem  Sinne,  daß  sie  als  Sauerstoff- 
reservoir während  des  Fluges,  während  dem 
die  Atembewegung  stark  gehindert  ist,  dienen. 

Die  lange  geltende  Anschauung,  daß  durch 
die  Füllung  der  Säcke  mit  Luft  das  spezifische 
Gewicht  des  Körpers  gegenüber  der  Luft  ver- 
ringert werde,  ist  heute  gänzlich  aufgegeben. 

Die  10  stigmige  Anordnung  erleidet 
mancherlei  Modifikationen,  was  hauptsächlich 
in   einer  Reduktion   der  Stigmenzahl  sich 


Fig.  65  Schematische  Darstellung  des 
Tracheensystems  der  Küchenschabe 
(Periplmieta).  Sh' Stigmen;  T/ seitlicher, 
Tv  ventraler,  Tä  dorsaler  Längsstamm. 
Nach  Hatschek. 


Sf/         Sn  Tri  TrK        St  4:- 10 

Fig.  66.  Schematische  Darstellung  des  Tracheensystems  einer  weiblichen  Feldheuschrecke  nach 
Emerton  und  Packard.  JT  Kopf ;  B  Brust  mit  ihren  3  Segmenten  /—///;  H  Hinterleib  mit  seinen 
10  Segmenten  i—iO;  St  die  Stigmen;  TvB  die  Tracheenblasen;  Tri  der  äußere  linke  bauchständige 
Tracheenhauptstamm ;  Trll  der  linke  rüi^kenständige  Tracheenhauptstamm;  TrIII  der  liuke  innere 
bauchstandige  Tracheenhauptstamm     Die  entsprechenden  rechten  Stämme  fehlen  in  dieser  einseitigen 

Darstellung.  —  (N.) 


kund  tut.  Dieselbe  kann  so  weit  gehen,  daß  nur  noch  2  Paare  Stigmen  (1  am 
Thorax  und  1  am  Ende  des  Hinterleibes]  bestehen  bleiben  (amphipneustischer 
Typus)  (Fig.  67),  oder  gar  nur  noch  ein  Paar,  das  entweder  am  Vorderende 
(propneustisch)  oder  am  Hinterende  des  Körpers  (metapneustisch)  gelegen  sein 


74        Kapitel    II.     Der  innere  Bau  der  Insekten  (Anatomie  und  Physiologie). 


kann.  Derartig  weitgehende  Reduktionen  finden  sich  hauptsächlich  bei 
Larven,  welche  im  Wasser  oder  einem  anderen  für  die  Stigmenatmung  un- 
geeigneten Medium  leben,  wie  z.  B.  die  Larven 
von  Wasserkäfern,  die  Larve  der  Schlamm- 
fliege, die  Culex-  oder  Itpula-Larven,  die 
Larven  der  parasitisch  lebenden  Raupenfliegen 
(Tachinidcn)  usw.  Bei  manchen  Larven  und 
Puppen  sitzen  die  Stigmen  auf  langen  Röhren, 
mit  deren  Hilfe  sie  Luft  von  der  Oberfläche 
des  Wassers  her  beziehen  können,  ohne  sich 
selbst  an  die  Oberfläche  begeben  zu  müssen, 
wie  z.  B.  bei  gewissen  Tipuliden  (Fig.  68) 
oder  die  als  „Rattenschwanzlarve"  bekannte 
Larve  der  Schlammfliege,  oder  bei  den  frei- 
beweglichen Puppen  der  Stechmücken,  bei 
denen  die  Atemröhi  en  am  Vorderende  des 
Thorax  sitzen  („Hörnchen").  Um  das  Hängen 
an    der   Oberfläche   zu    ermöglichen,    sind   die 


Flg.  67.    Amphipneustische  Fliegenlarve 

nach    Lang),     vs  vorderes,  hs  hinteres 

Stigmenpaar. 


Fig.   68.    Larve  von  Ptychoptera  contaminata  L.  mach 
Brauer),    a  Atemröhre.  —  (N.) 


Flg. 


Larve  und  Puppe  einer  Stechmücke.    Beide  atmen  durch  Atemröhren,  die  bei  der  Larve  vom 
Hinterende,  bei  der  Puppe  vom  Thorax  abgehen. 


Stigmen    oft    mit    Borstenkränzen    usw.    umgeben,    die    als    Schvvebeapparate 
dienen  (Fig.  69). 

Die  rückgebildeten  Stigmen  lassen  sich  meist  noch  deutlich  erkennen,  be- 
sonders an  dem  soliden  Zellstrang,  der  von  der  Stelle,  an  der  später  (in  der  Imago) 
das  Stigma  zum  Durchbruch  kommt,  zu  dem  Tracheenlängsstrang  zieht,  und  der 
dem    vom    Stigma    ausgehenden   Tracheenstamm   entspricht. 


Atmungsorgane.  75 

Die  Stigmenreduktion  betrifft  übrigens  durcliaus  nicht  alle  im  Wasser 
lebende  Insektenformen;  so  haben  die  Imagines  der  Wasserinsekten 
meist  die  volle  Stigmenzahl.  Natürlich  müssen  diese  zum  Luft  holen  stets  an 
die  Oberfläche  heraufkommen;  doch  haben  sich  vielfach  Vorrichtungen 
herausgebildet,  die  ein  längeres  Verbleiben  im  Wasser  ermöglichen;  der 
Kolbenwasserkäfer  nimmt  einen  größeren  Luftvorrat  in  seinem  die  Bauch- 
seite bedeckenden  Haarkleid  mit;  der  Gelbrandkäfer  {Dytiscus)  saugt  so 
reichliche  Luft  in  den  unter  den  gewölbten  Flügeldecken  gelegenen  Hohlraum 
ein,  daß  er  ca.  8  Minuten  unter  Wasser  bleiben  kann,  usw. 

Die  Bewegung  der  Luft  in  den  Tracheen  wird  durch  abwechselnde  Zu- 
sammenziehung und  Erweiterung  des  Körpers,  vor  allem  des  Hinterleibes 
bewirkt  (Atembewegung).  Das  Zusammenziehen  geschieht  durch  Muskel- 
tätigkeit, während  die  Ausdehnung  größtenteils  auf  der  Elastizität  des  Chitin- 
skeletts beruht.  Die  Erweiterung  des  Körpers  hat  natürlich  auch  eine  Er- 
weiterung der  Tracheen  zur  Folge  und  diese  bewirkt  ein  Einströmen  von 
Luft  (Einatmung).  Die  Verengerung  kann  eine  zweifache  Wirkung  haben: 
bei  geschlossenem  Verschlußapparat  wird  die  Luft  aus  den  Hauptstämmen 
weiter  in  den  Körper  hineingepreßt  bis  in  die  feinsten  Gefäße;  bei  offenem 
Verschlußapparat  dagegen  wird  die  Luft  nach  außen  geschafft  (Ausatmung). 
Die  Zahl  der  Atembewegungen  wechselt  je  nach  der  Art  des  Insekts  und 
den  jeweiligen  Lebensbetätigungen.  Der  Hirschkäfer  und  Wolfmilchschwärmer 
z.  B.  machen  ca.  20 — 25,  eine  Libelle  30 — 35,  das  große  grüne  Heupferd 
{Locusta)  50 — 55  Ein-  und  Ausatmungen  in  der  Minute.  Bei  den  fliegenden 
Insekten  kann  man  oft  eine  Vermehrung  der  Atembewegungen  vor  dem  Ab- 
fliegen bemerken  (die  z.  B.  beim  Maikäfer  als  „Zählen"  bekannt  ist),  was 
zweifellos  mit  der  Füllung  der  oben  erwähnten  Luftsäcke  (Einnahme  von 
Sauerstoffvorrat  für  die  Luftreise)  zusammenhängt. 

Das  Sauerstoffbedürfnis  der  Insekten  ist  vielfach  ein  sehr  großes,  was 
in  Anbetracht  der  regen  Lebenstätigkeit  nicht  zu  verwundern  ist.  Es  über- 
trifft zweifellos  das  aller  anderen  Wirbellosen  und  auch  der  Fische  und 
kommt  wohl  dem  der  Amphibien  mindestens  gleich.  Ja,  es  soll  sogar  der 
Sauerstoffverbrauch  des  Maikäfers  etwa  dem  des  Hundes  gleich  sein  (natür- 
lich relativ!)  und  der  des  fleischfressenden  Schwimmkäfers  oder  gar  der 
Bienen  noch  weit  größer. 

Das  Atembedürfnis  der  Bienen  scheint  besonders  groß  zu  sein,  worüber 
Zander  (nach  P  a  r  h  o  n)  folgende  Zahlen  angibt:  Bei  20  0  q  verbraucht  pro 
1  kg  Körpergewicht   in  jeder   Stunde: 

ein  Hund 911  ccm  Sauerstoff, 

„     Mensch 233      „ 

„     Frosch 70      „ 

In  derselben  Zeit  gibt 

ein  Hund 674  ccm  Kohlensäure, 

„     Mensch 16K      „ 

„     Frosch 57      „  „  ab. 

Dagegen  bedarf  1  kg  Bienen  bei  20"  C. 

im  Frühling 29774  ccm  Sauerstoff, 

„    Sommer 17336      „ 

„    Herbst 24795      „ 

„    Winter 22549      „ 

und   gibt   auch    annähernd   die   gleichen   Mengen   Kohlensäure    ab. 


76         Kapitel 


Der  innere  Bau  der  Insekten  (Anatomie  und  Physiologie). 


Die  Bienen  veratnien  also  (je  nach  der  Jahreszeit)  20 — 250  mal  mehr  Sauer- 
stoff und  Kohlensäure  als  die  genannten  Tiere. 

Solche  Vergleiche  sind  allerdings,  worauf  Hesse  hinweist,  nicht  allzu 
wörtlich  zu  nehmen;  im  allgemeinen  haben  bei  gleicher  Lebhaftigkeit  kleinere  Tiere 
einen  regeren  Stoffwechsel  als  größere  und  es  sollten  daher  nur  Tiere  von  gleicher 
Größe  verglichen  werden.  ,, Immerhin  läßt  sich  aus  jenen  Angaben  entnehmen, 
daß    die   Atmung    der    Insekten   eine    relativ    sehr    intensive    ist." 

Hautatmung  (Tracheen-  und  Blutkiemen). 
Die  oben  beschriebenen  Anpassungen  der  Stigmenatmung  an  das 
Wasserleben  sind  alle  mehr  oder  weniger  unvollkommen,  indem  die 
betreffenden  Tiere  zum  Luftholen  stets  an  die  Oberfläche  sich  begeben  und 
wenigstens  in  der  Nähe  der  Oberfläche  sich  aufhalten  müssen.  Von  einer 
vollkommenen  Anpassung  können  wir  erst  da  reden,  wo  die  Tiere  in  den 
Stand  gesetzt  sind,  den  Sauerstoff  dem  Wasser  selbst  zu  entnehmen,  wie  es 
die  Krebse,  Fische  und  Amphibienlarven  usw.  mit 
ihren  Blutkiemen  zu  tun  vermögen. 

Bei  zahlreichen  wasserlebenden  Insektenlarven 
sind  derartige  Einrichtungen  voi"handen,  und  zwar 
in  den  sog.  „Tracheenkiemen"  (auch  Pseudo- 
branchien  genannt).  Dieselben  stimmen  mit  den 
echten  Kiemen  darin  überein,  daß  es  sich  um  sehr 
zartwandige  Hautausstülpungen  handelt,  unterscheiden 
sich  aber  von  jenen  dadurch  wesentlich,  daß  sie  an 
Stelle  des  Blutkapillarnetzes  (welches  die  echten 
Kiemen  auszeichnet)  ein  Tracheenkapillarnetz  in 
sich  bergen  (Fig.  70).  Der  Sauerstoff,  der  auf 
osmotischem  Wege  die  Haut  der  Kiemen  passiert, 
gelangt  also  direkt  in  die  Luftgefäße  und  von  da 
zu  den  Geweben;  ebenso  tritt  die  Kohlensäure 
direkt  aus  den  Tracheenkapillaren  durch  die  Kiemen- 
haut nach  außen.  Die  Stigmen  fehlen  in  allen 
diesen  Fällen,  so  daß  das  Tracheensystem  also  vollkommen  geschlossen  ist. 
Die  Tracheenkiemen  sind  sehr  verbreitet  und  kommen  den  Larven  der 
Ephemeriden  (Eintagsfliegen),  Libellen,  Perliden,  Trichopteren  (Köcherfliegen) 
zu;  ferner  auch  einigen  Schmetterlingsraupen  [Paraponix),  Käferlarven  ((S^j'r?;7MS, 
Hydrochares,  Pelobius,  Hydrobius  usw.),  Fliegenlarven  usw. 

Auch  bei  den  Imagines  finden  sich  zuweilen  Tracheenkiemen  (z.  B.  bei 
Perla);  doch  gehören  diese  Fälle  zu  den  Ausnahmen. 

Die  Form  und  Lage  der  Tracheenkiemen  ist  ungemein  wechselnd 
(Fig.  71):  bald  treten  sie  uns  in  Form  von  runden  und  lanzettförmigen  Blättchen 
mit  einfachen  oder  gefiederten  Rändern,  und  bald  in  Form  von  schlauchförmigen 
Anhängen,  einfachen  und  verästelten  und  gegliederten,  einzelnstehend  oder 
zu  Büscheln  vereinigt,  entgegen.  Bald  sitzen  sie  paarweise  an  den  ersten 
6 — 7  Hinterleibssegmenten,  an  der  Seite  oder  am  Rücken  und  am  Bauch, 
bald  an  der  Brust,  an  der  Basis  der  Extremitäten  usw.  Bei  manchen  Libellen- 
larven {Agrion)  erscheinen  sie  als  drei  lange  Anhänge  am  letzten  Hinterleibs- 
ring; bei  anderen  {Libellula,  Aeschna)  sind  die  Tracheenkiemen  in  den  End- 


Fig.  70.  Tracbeenkiemen  der 
Larve  von  Baetis  binoculatus  L. 
nach  Palmen.  a  Kiemen- 
blätter; ?/  Tracheenlängsstamm ; 
c  Stämme,  welche  die  Kiemen- 
blätter versorgen;  e  Darm  (N.) 


Kreislauforgane. 


77 


darin  verlagert,    wo   sie   in   dessen  Lumen   als  Hautfalten  (4—12)  hineinragen 
(wahrscheinlich  aus  den  „Rektaldrüsen"  hervorgegangen). 

Wie  bei  den  Blutkiemen,  so  ist  auch  bei  den  Tracheenkiemen  eine 
ständige  Erneuerung  des  Atemwassers  notwendig.  Diese  geschieht  ent- 
weder durch  die  Fortbewegung  des  betr.  Tieres,  oder  dadurch,  daß  sie  durch 
Teilbewegungen  des  Körpers,  die  vielfach  in  Bewegungen  der  Tracheen- 
kiemen selbst  bestehen,  einen  Wasserstrom  erzeugen.  Die  Libellenlarven 
mit  rektalen  Tracheenkiemen  versorgen  die  letzteren  in  der  Weise  mit  neuem 
Wasser,  daß  sie  von  Zeit  zu  Zeit  Wasser  in  den  Enddarm  einsaugen  und 
es  wieder  ausstoßen,  was  so  heftig  geschehen  kann,  daß  sie  durch  den  Rück- 
stoß nach  vorne  getrieben  werden. 


A  B 

Fig.  71.    Verschiedene  Formen  von  Tracheenkiemen.    A  SjaZWen-Larve ;  ß  .EpÄemeWcfew-Larve;  C  Libellen- 
larve.    Tk  Tracheenkiemen.    (Nach  B erlese). 


Außer  der  Atmung  durch  Stigmen  und  Tracheenkiemen  kommen  auch  noch 
andere  Atmungsarten  bei  Insekten  vor.  So  besitzen  einige  Mückenlarven  {Chiro- 
«ow«s)  richtige  Blutkiemen,  d.  h.  Hautausstülpungen,  die  mit  Blut  gefüllt 
sind.  Über  die  Atmung  der  parasitisch  lebenden  Larven  sind  wir  noch  nicht 
überall  genügend  unterrichtet;  Ratzeburg  hält  die  Endblase,  die  man  bei  vielen 
parasitischen  Hymenopteren  findet,  für  ein  Atmungsorgan.  Eingehendere  Unter- 
suchungen  in   dieser   Richtung   wären    sehr   wünschenswert. 

Die  Kreislauforgane. 

Die  Kreislauforgane  der  Insekten  bestehen  in  der  Hauptsache  aus 
einem  propulsatorischen  Apparat  (Herz),  welcher  für  die  Bewegung 
der  Blutflüssigkeit  sorgt.  Derselbe  stellt  einen  Schlauch  dar,  welcher  den 
Körper  von  hinten  nach  vorne  dicht  unter  der  Rücken  decke  durchzieht 
und  deshalb  auch  als  Rückengefäß  bezeichnet  wird.  Sein  hinteres  Ende, 
das  meist  im  vorletzten  Segment  liegt,  ist  stets  geschlossen,  sein  vorderes,  in 
die  Brust-  oder  Kopfregion  reichendes  Ende  dagegen  mündet  offen  in  die 
Leibeshöhle  (Fig.  72), 


78         Kapitel  III.     Der  innere  Bau  der  Insekten  (Anatomie  und  Physiologie). 


Meist  lassen  sich  zwei  Abschnitte  an  dem  Rückengefäß  unterscheiden, 
von  denen  der  hintere  breitere  und  deutlich  segmentierte  das  eigentliche 
Herz  darstellt,  während  der  vordere  schmälere  und  unsegmentierte  als  aus- 
leitendes Gefäß  funktioniert  und  daher  auch 
als  Aorta  bezeichnet  wird.  Letztere  ist  ver- 
schieden lang,  manchmal  viel  länger  als  das 
Herz,  mehrere  Windungen  und  Schlingen 
bildend  (z.  B.  bei  der  Biene),  manchmal  aber 
auch  kürzer  und  dann  gerade  verlaufend. 

Der  hintere  Abschnitt  (das  eigentliche 
Herz)  ist  in  eine  Anzahl  (bis  9)  Kammern  ein- 
geteilt, die  durch  Klappenventile  miteinander 
in  Verbindung  stehen.  Außerdem  ist  jede 
Kammer  mit  einem  Paar  Spaltöffnungen  ver- 
sehen, die  seitlich  gelegen  und  ebenfalls  mit 
nach  innen  vorspringenden  Klappen  versehen 
sind.  Die  zarten  Wandungen  des  Herz- 
schlauches enthalten  eine  aus  glatten  Muskeln 
bestehende  Ringsmuskulatur,  durch  deren 
Kontraktion  der  Schlauch  zusammengedrückt 
wird.  Außerdem  gehen  vom  Herzschlauch 
zu   den  benachbarten  Geweben,   vor  allem  zu 


An. 


Fig.  72.  Schematische  Darstellung  des 
Rückengefäßes.  Hintere  Hälfte  das 
eigentliche  Herz  (propulsatorischer 
Apparat),  vordere  Hälfte  die  Aorta. 
Das  Herz  ist  in  eine  Anzahl  Kammern 
eingeteilt,  die  durch  Klappenventile 
(Klv)  miteinander  in  Verbindung  stehen. 
Jede  Kammer  ist  mit  einer  Spalt- 
öifnung  iS^)  versehen,  diu-ch  die  das 
Blut  in  das  Herz  zurücküießt.  Unter 
dem  Herzschlauch  das  aus  den  Flügel- 
muskeln (Flm)  bestehende  Septum. 
Unter  Anlehnung  an  eine  Figur 
Zanders. 


Fig.  73.  Querschnitt  durch  das  Rückengefäß  einer  Ameise. 
HHerz;  Rm  radiäre  Muskeln  (Dilatatoren) ;  Jfe  Fettzellen; 
Oe  Oenocyten;  Fz  Pericardialzellen;  Mm  Flügelmuskel; 
D  Darm.  Die  punktierte  Linie  unter  den  Flügelmuskeln 
zeigt  die  Lage  des  Septums  bei  kontrahierten  Muskeln  an. 
Nach  Jan  et  aus  Wheeler. 


dem  darunter  liegenden  Zwerchfell  und  zu  der  Rückendecke  noch  einzelne 
radiäre  Muskelfasern,  welche  den  Herzschlauch  in  seiner  Lage  erhalten  und 
außerdem  als  Dilatatoren  wirken  (Fig.  73,  Rtn). 

Der  so  gestaltete  Herzschlauch  allein  genügt  aber  nicht,  das  Blut  durch 
die  ganze  Leibeshöhle  zu  drücken  und  dann  von  da  auch  wieder  anzusaugen. 
Dazu  sind  noch  Hilfsapparate  notwendig,    von  denen  das  dorsale  Zwerch- 


Kreislauforsane. 


79 


feil  die  Hauptrolle  spielt.  Es  ist  dies  ein  Septum,  welches,  von  den  Seiten 
der  Rückenplatten  ausgehend,  dicht  unter  dem  Herzschlauch  ausgespannt  ist, 
und  so  einen  schmalen  Rückenraum,  in  welchem  das  Herz  liegt,  von  der 
übrigen  Leibeshöhle  abtrennt.  Mit  dem  Herzschlauch  selbst  ist  es,  wie  eben 
erwähnt,  nur  lose  durch  feine  Radiärfasern  verbunden.  Das  Septum  besteht 
in  der  Hauptsache  aus  fächerförmig  von  außen  nach  innen  sich  ver- 
breiternden Muskeln,  welche  „Flügeln  gleichen,  die  am  Herzschlauch  hängen" 
und  deshalb  auch  als  „Flügelmuskel"  bezeichnet  werden.  In  ihnen  be- 
finden sich  eine  Anzahl  Spalten,  die  mit  den  Spaltöffnungen  des  Herz- 
schlauches ungefähr  korrespondieren.  Im  Ruhezustand  der  Flügelmuskeln  ist 
das  Zwerchfell  stark  dorsalwärts  gekrümmt  und  infolgedessen  der  Rücken- 
raum beträchtlich  eingeengt.  Bei  der  Kontraktion  der  Muskeln  dagegen  wird 
es  herab  (ventralwärts)  gezogen,  wodurch  der  Rückenraum  und  zugleich  auch 
der  Herzschlauch  erweitert  und  der  darunter  gelegene  Teil  der  Leibeshöhle  ver- 
engert wird  (Fig.  73) ;  was  zur  Folge  hat,  dass  die  hier  befindliche  Flüssigkeit 
nach  dem  Rücken  gepreßt  wird.  Außer  dem  dorsalen  Zwerchfell  existiert  noch 
ein  ventrales  Zwerchfell,  welches,  von  den  Seiten  der  Bauchplatten   aus- 


:r~XTr\ 


Fig.  74.    Schematische  Darstelhing  des  Blutkreislaiifes  eines  Insekts.    Vs  ventrales,  Ds  dorsales  Septum. 
(Unter  Anlehnung  an  Zander.) 


gehend,  über  das  Bauchmark  hinweg  durch  die  Leibeshöhle  zieht,  und  einen 
ventralen  Raum,  in  dem  das  Bauchmark  liegt  (Ventral sinus),  von  dem 
darüber  gelegenen  Teil  der  Leibeshöhle  abtrennt. 

Wenn  wir  nun  den  aus  dem  Zusammenwirken  dieser  Organe  resul- 
tierenden Blutkreislauf  verfolgen  wollen,  so  beginnen  wir  am  besten  mit 
der  S3'stole  (Kontraktion)  des  Herzens  (Fig.  74).  Diese  betrifft  nicht  gleich- 
zeitig den  ganzen  Herzschlauch,  sondern  beginnt  an  der  letzten  Kammer  und 
schreitet  von  da  von  einer  Kammer  zur  anderen  nach  vorne  zu  fort,  und 
preßt  so  das  im  Herzschlauch  befindliche  Blut  nach  vorne,  zunächst  in  die 
Aorta  und  von  da  in  die  Leibeshöhle.  Ein  Rückfließen  des  Blutes  von  einer 
vorderen  Kammer  in  eine  hintere  wird  durch  die  Kammerventile  verhindert, 
ebenso  wie  die  Klappen  der  seitlichen  Spaltöffnungen,  die  sich  durch  den 
Flüssigkeitsdruck  schließen,  ein  Entweichen  der  Flüssigkeit  nach  der  Seite 
unmöglich  machen.  Das  aus  der  Aorta  herausgedrückte  Blut  gelangt  zunächst 
in  den  Kopf  und  seine  Extremitäten,  dann  in  die  Brust,  um  von  da  aber  nicht 
gleich  in  den  Hauptraum  der  Hinterleibshöhle  zu  strömen,  sondern  zuerst  unter 
dem  ventralen  Zwerchfell,  das  Bauchmark  umspülend,  nach  hinten  zu  fliessen 
und  erst  dann  in  die  Bauchhöhle  zu  treten.     Nachdem  es  hier  den  Darm,  die 


yO        Kapitel  III.     Der  innere  Bau  der  Insekten  (Anatomie  und  Physiologie). 

Malpighischen  Gefäße,  die  Geschlechtsorgane  umspült,  wird  es  durch  den 
Druck  des  dorsalen  Zwerchfelles  nach  dem  Rücken  gepreßt,  gelangt  durch 
die  Spalten  jenes  in  den  Rückenraum,  und  wird  von  da  in  den  gleichzeitig 
erweiterten  Herzschlauch  (durch  die  seitlichen  Spaltöffnungen)  eingesaugt. 
So  wechseln  also  Kontraktion  des  Herzens  (Systole)  einerseits,  Kontraktion 
der  Flügelmuskeln  und  Erweiterung  des  Herzens  (Diastole)  andererseits  in 
rhytmischer  Weise  miteinander  ab. 

Die  Zahl  der  Herzschläge  ist  sehr  verschieden,  je  nach  der  Lebhaftigkeit 
der  Art  und  nach  der  jeweiligen  Tätigkeit.  Ein  ruhender  Schwärmer  z.  B.  hat 
40 — 50  Schläge  in  der  Minute,  unmittelbar  nach  dem  Fluge  dagegen  bis  140.  Nach 
Newport  zeigen  auch  die  verschiedenen  Entwicklungsstadien  große  Unter- 
schiede, so  zählte  er  im  ersten  Raupenstadium  von  Sphtnx  ligiistri  82  Schläge  pro 
Minute,  im  zweiten  89,  im  dritten  63,  im  vierten  45,  im  letzten  nur  39,  und  bei  der 
Puppe  gar  nur  29.  Im  Winterschlaf  ist  natürlich  die  Herztätigkeit  noch  weit  mehr 
herabgesetzt. 

Das  Blut  der  Insekten  ist  meist  eine  farblose  oder  schwach  gelbliche, 
grünliche    oder   bräunliche  Flüssigkeit,    in   der   mehr  oder  weniger  zahlreiche 

Zellen  (Blutkörperchen)  schwimmen.  Letz- 
tere treten  im  Gegensatz  zu  den  Blut- 
körperchen der  höheren  Tiere  nur  in  einer 
Form  auf,  welche  mit  einem  großen  Kern 
\^  ausgestattet  und   amoeboid   beweglich  sind 

)^^-       ,,«^  und  somit  etwa  den  weißen  Blutkörperchen 

^^  ^<^^  der   höheren  Tiere  entsprechen  (Fig.  75). 

gl^  Steche  stellte  neuerdings  fest,  daß  die  Farbe 

^P  des    Blutes    in    den    beiden    Geschlech- 

tern   gelegentlich   verschieden   ist,    was 
Fig.  75.    Blutkörperchen  aus  dem  Blut  der       vor    allem    bei    den    Raupen    der    Schmetter- 
Nonnenraupe.  linge    in    Erscheinung    tritt.     Bei    den    meisten 

der  untersuchten  Raupen  erschien  die  Blut- 
flüssigkeit im  männlichen  Geschlecht  wasser- 
klar und  farblos,  im  weiblichen  dagegen  von  leuchtend  grüner  Farbe.  Letztere  rührt, 
wie  die  chemische  Untersuchung  lehrte,  von  Chlorophyllderivaten  her;  es  liegt 
deshalb  der  Schluß  nahe,  daß  im  weiblichen  Organismus  das  Chlorophyll  in  wenig 
modifizierter  Form  in  die  Blutbahnen  gelangt,  während  es  beim  Männchen  ab- 
gebaut wird.  Und  das  deutet  darauf  hin,  daß  die  Darmzellen  im  weiblichen  Ge- 
schlecht anders  organisiert  sind  als  im  männlichen,  indem  jene  das  Chlorophyll  in 
ziemlich  unveränderter  Form  durchgehen  lassen,  diese  aber  nicht.  Das  heißt  aber 
nichts  geringeres,  als  daß  bei  den  Insekten  nicht  nur  die  Sexual- 
organe, sondern  alle  Körperzellen  von  vornherein  sexuell 
differenziert  sind. 

Die  abweichende  Beschaffenheit  des  Insektenblutes  von  dem  der 
höheren  Tiere  erklärt  sich  ohne  weiteres  daraus,  daß  beim  Insektenblut  die 
respiratorische  Funktion  (Transport  von  Sauerstoff  und  Kohlensäure)  in  Weg- 
fall kommt,  da  ja,  wie  wir  oben  gehört  haben,  bei  den  Insekten  der  Sauer- 
stoff durch  die  Luftröhren  direkt  zu  den  Geweben  hingebracht  wird.  Und 
so  bleiben  also  für  das  Insektenblut  nur  die  zwei  anderen  Aufgaben 
des  Wirbeltierblutes  übrig,  nämlich: 
L  die  verdauten  Nahrungsstoffe  vom  Darm  aufzunehmen  und  sie  den 
Geweben  zuzuführen,  und 


Temperatur  der  Insekten.  81 

2.  die  unbrauchbaren  Stoffwechselprodukte  nach  außen  zu 
schaffen,  resp.  den  Exkretionsorganen  (Malpighischen  Gefäßen)  zuzu- 
bringen und  so  den  Körper  von  diesen  Schlacken  zu  reinigen. 

Temperatur  der  Insekten. 

Über  die  Eigenwärme  der  Insekten  hatten  die  früheren  Untersuchungen 
vielfach  widersprechende  Resultate  ergeben,  welche  wohl  zumeist  auf  die 
Mangelhaftigkeit  der  Untersuchungsmethoden  zurückgeführt  werden  müssen. 
Erst  durch  Bachmetjews  im  letzten  Jahrzehnt  angestellte  Untersuchungen 
sind  uns  einwandfreie  Daten  geliefert  worden. 

Bachmetjew  wandte,  um  möglichst  genaue  Werte  zu  erhalten,  die 
in  der  Physiologie  schon  länger  gebräuchlichen  thermoelektrischen  Temperatur- 
messungen an.  Es  wurde  eine  thermoelektrische  Nadel  aus  Stahl  und  Manganin 
in  den  Thorax  des  zu  untersuchenden  Insektes  unter  Beobachtung  gewisser 
Vorsichtsmaßregeln  eingestochen.  Die  zweite  Lötstelle  befindet  sich  in  einem 
Paraffinbad,  dessen  Temperatur  gemessen  wird.  Die  Ableitung  erfolgt  zu  einem 
W  i  e  d  e  m  a  n  n  sehen  Galvanometer,  dessen  Empfindlichkeit  noch  0,001  "  zu 
messen  gestattet. 

Nach  Bachmetjews  Untersuchungen  variiert  die  Temperatur  der  Insekten 
innerhalb  sehr  weiter  Grenzen,  ohne  scheinbar  schädliche  Folgen  für 
das  Leben  nach  sich  zu  ziehen.  Die  Eigentemperatur  der  in  Ruhe 
befindlichen  Insekten  ist  gleich  der  Temperatur  der  umgebenden 
Luft  oder  nur  ganz  unbedeutend  höher.  Es  sind  demnach  die  Insekten 
den    „wechselwarmen"  oder  „poikilothermen"  Organismen  zuzuzählen. 

Die  Anpassung  der  Eigentemperatur  an  die  der  umgebenden  Luft  erfolgt 
aber  nur  innerhalb  gewisser  Grenzen  und  wird  sehr  wesentlich  von  äußeren 
Faktoren,  vor  allem  Feuchtigkeit,  beeinflußt.  Versuche  an  Deilephila 
euphorbiae  bei  gewöhnlicher  Luftfeuchtigkeit  ergaben,  daß  die  Temperatur 
des  Schmetterlings  mit  der  Zunahme  der  Lufttemperatur  zuerst  iminer  mehr 
und  mehr  hinter  der  letzteren  zurückbleibt  und  kurz  vor  der  partiellen 
Lähmung  der  Flügelmuskel  (siehe  unten)  der  Lufttemperatur  sich  wieder  zu 
nähern  beginnt.  Beim  Tode  sind  die  Temperaturen  der  Luft  und  des 
Schmetterlings  einander  gleich. 

Ist  die  umgebende  Luft  sehr  feucht,  dann  besitzt  der  Schmetterling  immer 
eine  höhere  Temperatur  als  die  umgebende  Luft,  wobei  mit  der  Steigerung 
der  Lufttemperatur  die  Differenz  zunimmt.  Daraus  geht  hervor,  daß  die 
Eigentemperatur  des  Schmetterlings  von  der  Luftfeuchtigkeit  genau 
so  beeinflußt  wird  wie  die  der  Warmblüter.  Andererseits  zeigte  sich 
bei  niedriger  Luftfeuchtigkeit  die  Temperatur  der  Insekten  geringer  als  die 
der  umgebenden  Luft,  was  zweifellos  mit  der  raschen  Verdunstung  der  Körper- 
säfte zusammenhängt,  wobei  die  durch  die  Tracheen  zirkulierende  Luft  sich 
rasch  mit  dem  Wasserdampf  beladet  und  schnell  entführt  wird,  während  minder 
gesättigte  immer  wieder  an  ihre  Stelle  tritt. 

Nicht  minder  wichtig  für  die  Höhe  der  Eigentemperatur  der  Insekten  ist 
die  Körperbewegung,  indem  die  Temperatur  bei  intensiver  Muskeltätigkeit 
steigt  und  mit  dem  Aufhören  der  Muskelarbeit  sofort  wieder  fällt.  Genauere 
Untersuchungen  über  den  Einfluß  der  Körperbewegung  stellte  Bachmetjew 

Escherich,  Forstinsekten.  6 


82        Kapitel  III.     Der  innere  Bau  der  Insekten  (Anatomie  und  Ph^^siologie). 

an  Sphinx  pinastri  an  mit  dem  Ergebnis,  daß  der  Schmetterling  durch 
Summen  (sehr  schnelle  Flügelschläge)  seine  Eigentemperatur  wesentlich 
erhöht  (um  10°  und  mehr),  wogegen  durch  bloßes  Flattern  keine  Temperatur- 
erhöhung eintrat.  Wenn  eine  gewisse  Erhöhung  der  Eigentemperatur  ein- 
getreten war  (36*'),  hörte  der  Schmetterling  sofort  mit  dem  Summen  auf 
und  vertauschte  es  mit  Flattern,  oder  verfiel  auch  gar  in  Ruhe,  was  nach 
Bachmetjews  auf  eine  plötzliche  Verminderung  der  Muskelkraft  unter  dem 
Einfluß  der  Temperatursteigerung  („partielle  Muskelparal3^sation")  hinweist. 
Bemerkenswert  ist  auch  die  Beobachtung,  daß  der  Schmetterling  bei  einer 
desto  höheren  Temperatur  zu  summen  aufhört,  je  höher  die  Temperatur  der 
umgebenden  Luft  ist;  so  brachte  z.  B.  Deilephila  elpenor  seine  Eigentemperatur 
durch  Summen  bei  einer  Lufttemperatur  von  19,2°  auf  34,8°,  bei  einer  Luft- 
temperatur von  28,5°  auf  37,0°  und  bei  einer  Lufttemperatur  von  29 — 34° 
gar  bis  auf  42,1°.  Es  finden  also  zweifellos  Anpassungen  an  die  höheren 
Temperaturen  statt. 

Von  großem  Einfluß  auf  den  Eintritt  der  Muskelparalysation  (Wärme- 
starre) ist  auch  der  Feuchtigkeitsgehalt  der  Luft,  und  zwar  in  der  Weise,  daß 
die  Lähmung  um  so  eher  eintritt,  je  trockener  die  Luft  ist.  Dies 
erklärt  sich  ohne  weiteres  daraus,  daß  trockene  Luft  eine  starke  Verdunstung 
bewirkt,  wodurch  wiederum  der  Wasserreichtum  der  Gewebe  abnimmt. 

Über  die  optimale  Temperatur  sind  noch  wenig  genaue  Angaben 
vorhanden,  doch  scheint  daraus  hervorzugehen,  daß  das  Optimum  sowohl 
für  die  Bewegung  des  Protoplasmas  in  den  Zellen  als  auch  für  die  vitalen 
Funktionen  der  Insekten  bei  ca.  26°  liegt. 

Wenn  wir  uns  vom  Temperaturoptimum  entfernen,  sowohl  nach  oben 
als  nach  unten  (oder  auf  der  nebenstehenden  Kurve  nach  rechts  oder  links), 
so  tritt  nach  gewissen  Temperaturen  (über-  resp.  unteroptimale  Zone)  zunächst 
eine  vorübergehende  Wärme-  resp.  Kältestarre  ein,  die  bei  noch  höheren 
resp.  tieferen  Temperaturen  in  die  permanente  Wärme-  oder  Kältestarre 
übergeht,  wobei  der  Tod  der  Insekten  stattfindet. 

Wärmestarre,  Wärmetod.  —  Die  vorübergehende  Wärmestarre 
tritt  je  nach  den  äußeren  Umständen  bei  recht  verschiedenen  Temperaturen  ein; 
schwankte  sie  doch  in  dem  oben  mitgeteilten  Beispiel  von  Deilephila  elpenor 
zwischen  28,8°  und  42,1°,  je  nachdem  die  Lufttemperatur  19°  oder  30°  betrug. 
Die  permanente  Wärmestarre  scheint  im  allgemeinen  bei  46°  zu  liegen. 
Doch  wurden  bei  manchen  Insekten  weit  niedrigere  Temperaturen  beobachtet, 
so  bei  Phylloperiha  horticola  ca.  43°,  bei  Dytiscus  marginalis  ca.  40°,  bei 
Blatta  Orientalis  gar  nur  33°.  Andererseits  gibt  es  auch  Insekten,  welche 
wesentlich  höhere  Temperaturen  ertragen  können;  so  wurde  für  Ameisen  49" 
und  für  Schildläuse  nicht  weniger  als  54  ° — 55  °  als  oberste  Temperaturgrenze 
festgestellt.  Übrigens  hängt  das  vitale  Temperaturmaximum  sehr  viel  von 
der  Zeit  ab,  während  welcher  das  betreffende  Insekt  die  hohen  Temperaturen 
auszuhalten  hat.  So  blieben  bei  den  Versuchen  von  Reh  die  Schildläuse 
bei  einer  Temperatur  von  54°  noch  40  Minuten  am  Leben,  während  sie  bei 
55°  schon  nach  22  Minuten  abstarben. 


Temperatur  der  Insekten. 


83 


Außerdem  spielen  bei  der  Einwirkung  erhöhter  Temperaturen  noch 
folgende  Faktoren  eine  nicht  zu  unterschätzende  Rolle: 

a)  Der  Stoffwechsel:  Ist  die  Temperatur  der  Luft  erhöht,  so  steigt 
die  Pulsation  und  die  Atmung  des  Insektes,  folglich  verbraucht  es  von  seinem 
Körper  mehr  Material,  welches  in  Form  von  Kohlensäure  und  Wasser  ent- 
weicht, als  bei  gewöhnlicher  Temperatur.  Das  Insekt  stirbt  in  diesem  Falle 
nicht  infolge  der  erhöhten  Temperatur,  sondern  an  Erschöpfung,  besonders 
wenn  es  keine  Nahrung  einnimmt. 

b)  Die  Feuchtigkeit:  Ist  die  Luftfeuchtigkeit  gering,  oder  die  Luft 
gar  trocken,  so  verdampft  das  Wasser  der  Insektensäfte  viel  stärker  als  sonst, 
und  das  Insekt  stirbt  wiederum  nicht  direkt  wegen  der  erhöhten  Temperatur, 
sondern  infolge  der  Austrocknung. 


Verhalten  der  Insekten  gegen  hohe  und  niedere  Temperaturen  (nach  Bachmetjew). 

c)  Die  Wärmeleitungsfähigkeit  des  Insektenkörpers:  Kleine  Diffe- 
renzen an  der  Behaarung,  an  der  Beschaffenheit  der  Oberfläche  usw.  des 
Insektes  einer  und  derselben  Spezies  können  offenbar  auf  die  Größe  des 
vitalen  Temperaturmaximums  einen  gewissen  Einfluß  haben.  Die  Folge  davon 
wird  sein,  daß  unter  sonst  gleichen  Umständen  ein  Exemplar  derselben  Spezies 
stirbt  und  ein  anderes  noch  am  Leben  bleibt. 

d)  Die  Größe:    Dieselbe  Rolle  wie  unter  c. 

e)  Der  Säftekoeffizient:  Unter  sonst  gleichen  Umständen  wird  das- 
jenige Exemplar  einer  Spezies  früher  sterben,  welches  mehr  Wasser  in  seinen 
Säften  enthält,  d.  h.  bei  welchem  die  Säfte  w^ässeriger  sind.  Denn  das  Eiweiß 
gerinnt  bei  um  so  höheren  Temperaturgraden,  je  wasserärmer  es  ist;  somit 
ist  die  Gerinnungsfähigkeit  der  Insektensäfte,  welche  ja  Eiweiß  enthalten,  von 
ihrem  Wassergehalte  abhängig. 

Zieht  man  alle  diese  Umstände  in  Betracht,  so  stellt  sich  heraus,  daß, 
wenn   bei   erhöhten  Temperaturen    das  Insekt  1.  nicht   erschöpft   wäre,    d.  h. 

6* 


84        Kapitel  III.     Der  innere  Bau  der  Insekten  (Anatomie  und  Physiologie). 

künstlich  gefüttert  wäre,  2.  nicht  austrocknete,  d.  h.  in  entsprechender  feuchter 
Luft  sich  befinden  würde,  3.  gleiche  Wärmeleitungsfähigkeit  und  gleiche 
Größe  seines  Körpers  für  eine  gegebene  Spezies  hätte,  sein  Leben  nur 
davon  abhängen  würde,  ob  seine  Säfte  resp.  das  Eiweiß  des  Körpers  bei  der 
gegebenen  Temperatur  gerinnen  würden  oder  nicht.  Dann  würde  das  vitale 
Temperaturmaximum  nichts  anderes  ausdrücken,  als  daß  bei  dieser 
Temperatur  seine  Säfte  gerinnen. 

Kältestarre,  Kältetod.  —  Während  der  Weg  zum  Wärmetod,  wie  wir 
eben  gesehen,  in  einfacher  Linie  vom  Optimum  aus  verläuft,  zeigt  der  Weg 
zum  Kältetod  einige  sehr  interessante  Komplikationen,  die  wir  am  besten  an 
der  Hand  der  beigegebenen  Kurve  verfolgen  wollen:  Bei  einer  Abkühlung 
gelangen  wir  von  der  optimalen  Temperatur  aus  zunächst  durch  die  unter- 
optimale Zone  zu  Punkt  K,  bei  dem  die  vorübergehende  Kältestarre 
beginnt.  Die  Lage  dieses  Punktes  ist  ungemein  verschieden:  bei  gewissen 
Arten  (z.  B.  Tagfaltern)  setzt  die  vorübergehende  Kältestarre  schon  bei  +  15® 
ein,  während  sie  bei  anderen  erst  bei  viel  tieferen  Temperaturen,  sogar  weit 
unter  0°  beginnt.  So  beobachtete  Reh  die  reifen  Fonscolombia  fraxtm  Kalt. 
bei  —2,5°  bis  —3,7°  auf  der  Suche  nach  Weibchen;  und  nach  Grum- 
Grschimajlo  führen  die  Mücken  in  der  Mongolei  noch  bei  —8°  ein  aktives 
Leben.  Lichtenstein  beobachtete  bei  —7°  das  Kopulieren  der  Aphis 
brassicae  und  Mordwilko  fand  die  erwachten  Wurzelläuse  Pemphigus 
coerulescens  bei  — 3°. 

Die  letzteren  Angaben  deuten  bereits  darauf  hin,  daß  die  Insektensäfte 
unterkühlt  werden  können,  ohne  zu  frieren,  was  durch  Bachmetjews  ein- 
gehende thermoelektrische  Messungen  zur  Gewißheit  erhoben  wurde,  und 
was  zweifellos  zu  den  interessantesten  Erscheinungen  der  Biologie  gehört. 
Der  Grad  der  möglichen  Unterkühlung  hängt  wesentlich  von  der  Abkühlungs- 
geschwindigkeit ab;  außerdem  weichen  auch  die  verschiedenen  Arten  in 
dieser  Beziehung  noch  mehr  oder  weniger  stark  voneinander  ab. 

Ist  nun  der  tiefste  Punkt  der  Unterkühlung,  der  „kritische  Punkt", 
erreicht,  so  macht  die  Temperatur  plötzlich  einen  gewaltigen  Sprung 
bis  zum  Punkt  N._,  (—  1,5°),  wobei  nun  die  Säfte  zu  erstarren  (gefrieren) 
beginnen.  Unter  weiterer  Abkühlung  schreitet  das  Gefrieren  der  Säfte  fort, 
bis  zu  dem  Punkt  T.,  (normaler  Erstarrungspunkt),  bei  dem  alle  Säfte  gefroren 
sind,  und  bei  dem  der  sog.  „anabio tische  Zustand"  beginnt.  Wird  ein 
in  diesem  Zustand  befindliches,  also  völlig  erstarrtes,  hart  gefrorenes  Insekt 
erwärmt,  so  lebt  es  von  neuem  wieder  auf.  Somit  bedeutet  also  das  Gefrieren 
der  Säfte  eines  Insektes  an  und  für  sich  noch  lange  nicht  dessen 
Tod.  Dieser  tritt  vielmehr  erst  dann  ein,  wenn  das  gefrorene  Insekt  bis 
ungefähr  auf  seinen  kritischen  Punkt  Tg  abgekühlt  wird.  Dann  tritt  die 
permanente  Kältestarre  ein,  die  zum  Tode  führt. 

Die  Temperatur  der  permanenten  Kältestarre  ist  sehr  verschieden  und 
liegt  nach  Bachmetjew  bei  Larven  zwischen  —4°  und  —42°,  bei  Puppen 
zwischen  —4°  und  —25°,  und  bei  Imagines  zwischen  —1,5°  und  —35°, 
Wir   können  also  sagen,    daß,  je  höher  das  Entwicklungsstadium  des  Insekts 


Fettkörper,  Leuchtorgane.  85 

ist,  um  so  weniger  tief  die  Temperatur  der  permanenten  Kältestarre  für 
dasselbe  liegt. 

„Die  Anabiose,  die  vor  dem  Eintritt  der  permanenten  Kältestarie  gelegen 
ist,  stellt  einen  Zustand  des  Insektes  dar,  in  welchem  es  keinen  Stoffwechsel 
haben  kann,  denn  seine  Säfte  sind  erstarrt,  wodurch  die  Blutzirkulation 
unmöglich  wird.  Ein  Insekt  ohne  Stoffwechsel  kann  nicht  als  lebend  betrachtet 
werden;  es  ist  aber  auch  nicht  gestorben,  da  es  den  Punkt  Tg  noch  nicht 
erreichte.  Es  befindet  sich  folglich  zwischen  T.,  und  Tg  in  leblosem  (ana- 
biotischem)  Zustande." 

„Dieser  Zustand  ist  nicht  ein  lethargischer;  denn  bei  der  Lethargie  geht 
der  Stoffwechsel,  wenn  auch  sehr  langsam,  dennoch  vor  sich,  bis  das  Insekt 
schließlich  an  Erschöpfung  stirbt.  Dieser  Zustand  kann  vielmehr  mit  einer 
Pendeluhr  verglichen  werden,  bei  welcher  das  Pendel  absichtlich  zum  Still- 
stehen gebracht  wurde.  Die  Uhr  ist  dabei  nicht  verdorben,  geht  aber  nicht. 
Ein  Stoß  auf  das  Pendel  und  die  Uhr  ist  wieder  intakt.  Wie  die  Uhr  mit 
stillstehendem  Pendel  unbegrenzt  lange  Zeit  unverdorben  bleiben  kann,  so 
kann  vermutlich  auch  das  Insekt  im  anabiotischen  Zustande  be- 
liebig lange  Zeit  verbleiben,  ohne  dabei  zu  sterben"  (Bachmetjew), 
vorausgesetzt  natürlich,  daß  keine  Verdunstung  stattfindet. 

Fettkörper  einschl.  Oenocyten,  Pericardialzellen  und  Leuchtorgane. 

Fettkörper  usw. 
Wenn  wir  eine  Larve  (z.  B.  eine  Fliegenmade)  öffnen,  so  tritt  uns 
zuerst  eine  weißliche  Masse  entgegen,  die  den  größten  Teil  der  Leibeshöhle 
ausfüllt  und  alle  Organe  umgibt.  Es  ist  dies  der  sog.  Fettkörper,  der  aus 
zahlreichen  Fettzellen  zusammengesetzt  ist,  und  der  in  den  verschiedensten 
Formen,  als  Schollen,  Lappen,  dünne  Platten  oder  lange  Bänder  auftreten 
kann.  Am  reichlichsten  ist  er  bei  den  Larven  ausgebildet,  bei  denen  er 
gewöhnlich  den  größten  Teil  der  Leibeshöhle  einnimmt.  Während  der 
Puppenzeit  dagegen  erfährt  er  eine  starke  Reduktion,  so  daß  nur  ein  kleiner 
Teil  der  enormen  larvalen  Fettmassen  in  das  Imagostadium  übergeht. 

Die  Fettzellen  sind  meist  ziemlich  große,  mit  einem  ansehnlichen  runden 
Kern  ausgestattete  Zellen,  die  vor  allem  daran  kenntlich  sind,  daß  ihr  Plasma 
mehr  oder  weniger  dicht  mit  Fettkügelchen  von  verschiedenem  Durch- 
messer angefüllt  ist.  Je  zahlreicher  die  Fettkugeln  werden,  desto  mehr  wird 
das  Plasma  verdrängt  und  desto  größer  wird  der  Umfang  der  Zelle. 

Was  die  Funktion  des  Fettkörpers  betrifft,  so  stellt  er  zweifellos 
in  erster  Linie  Reservematerial  für  die  Ernährung  dar.  Alle  jene  Nährstoffe, 
die  bei  der  Versorgung  der  Organe  übergeblieben  sind,  werden  im  Fettkörper 
abgelagert,  um  später,  wenn  die  Nahrungszufuhr  von  außen  geringer  wird  oder 
ganz  unterbleibt,  zur  Ernährung  herangezogen  zu  werden.  (Daraus  erklärt  sich 
auch  die  starke  Abnahme  des  Fettkörpers  während  der  Puppenruhe.) 

Damit  scheint  aber  die  Aufgabe  des  Fettkörpers  nicht  erschöpft  zu  sein. 
Da  in  ihm  bisweilen  harnsaore  Salze  gefunden  werden,  so  hat  man  ihm  auch  eine 
exkretorische  Funktion  zugeschrieben.     Und  manche  Autoren  wollen  in  der  reich- 


86        Kapitel  III.     Der  innere  Bau  der  Insekten  (Anatomie  und  Physiologie). 

liehen  Durchsetzung  des  Fettkörpers  mit  feinsten  Tracheenästen  auch  Anzeichen 
für  eine  respiratorische  Funktion  erblicken. 

In  dem  Fettkörper  liegen  vereinzelte  differente  Zellen  zerstreut,  die  durch 
ihr  gleichmäßiges  Plasma  (Fig.  73,  Oe)  und  vor  allem  durch  ihre  weingelbe 
Färbung  auffallen,  und  daran  ohne  weiteres  von  den  Fettzellen  zu  unter- 
scheiden sind.  Man  bezeichnet  dieselben  ihrer  Färbung  halber  als  Oenocyten. 
Die  weingelbe  Färbung  rührt  von  gelben  Körnchen  her,  die  mit  der  Zeit  im 
Plasma  sich  ansammeln,  und  wahrscheinlich  Abscheidungsprodukte  aus  dem 
Blut  darstellen.  Daher  findet  man  diese  Körnchen  bei  alten  Tieren  meist 
viel  zahlreicher  als  bei  jungen.  So  fehlen  sie  z.  B.  bei  jungen  Bienen,  nach 
Zander,  noch  vollständig;  bei  alten  Königinnen  dagegen  sollen  sie  massen- 
haft vorhanden  sein. 

Über  die  Funktion  der  Oenocyten  ist  man  noch  nicht  ganz  klar. 
Während  die  einen  Autoren  sie  für  ausfuhr  lose  Drüsen  halten  mit  einer 
physiologisch  vielleicht  wichtigen  inneren  Sekretion,  sehen  die  anderen  in 
ihnen  „Harnorgane  ohne  Ausführgang,  deren  Inhalt  erst  nach  dem  Tode  des 
betr.  Insektes  frei  wird"  (Zander). 

Eine  ähnliche  Unklarheit  bezügl.  der  Funktion  herrscht  über  die  zweite 
der  oben  genannten  Zellkategorien,  die  Perikardialzellen,  das  sind  Zellen 
mit  feinkörnigem  Plasma,  die  wesentlich  kleiner  sind  als  die  Oenocyten  und 
die  meist  in  größeren  oder  kleineren  Reihen  den  Flügelmuskeln  anliegen 
(Fig.  73,  Pz).  Nach  C  u  e  n  o  t  besitzen  auch  diese  Zellen  eine  (wenigstens  indirekte) 
exkretorische  Funktion,  insofern  als  sie  gewisse  Stoffe  aus  dem  Blute  nehmen 
und  dieselben  so  verarbeiten  sollen,  daß  sie,  wieder  in  das  Blut  zurück- 
gebracht, nunmehr  durch  die  Malpighischen  Gefäße  ausgeschieden  werden 
können.  Andere  Autoren  jedoch  sind  der  Meinung,  daß  von  den  Perikardial- 
zellen eine  Neubildung  der  Blutkörperchen  ausginge. 

Leuchtorgane. 
Die  Leuchtorgane  sind  am  besten  im  Anschluß  an  den  Fettkörper 
zu  besprechen,  da  die  jene  Organe  aufbauenden  Zellen,  die  Leucht- 
zellen, wohl  zweifellos  Derivate  von  Fettzellen  sind.  Wenn  auch 
der  Bau  der  Leuchtorgane  bei  den  verschiedenen  Insekten  im  einzelnen 
mehrfache  Abweichungen  zeigt,  so  stimmen  sie  doch  wenigstens  in  den 
Grundzügen  mehr  oder  weniger  überein.  Wir  haben  es  in  den  meisten 
Fällen  mit  zwei  Zellschichten  oder  Platten  zu  tun,  die  durch  ihr  Licht- 
brechungsvermögen deutlich  voneinander  verschieden  sind,  indem  die  innere 
Platte  undurchsichtig,  die  äußere  dagegen  durchsichtig  erscheint.  Die  Un- 
durchsichtigkeit  der  inneren  Zellplatte  beruht  auf  der  Anhäufung  zahlreicher 
Kristalle  im  Zellplasma,  die  in  der  Hauptsache  aus  harnsaurem  Ammoniak 
bestehen.  Mit  den  Zellplatten  tritt  ein  dichtes  Tracheennetz  in  Verbindung, 
deren  feinsten  in  verschiedener  Weise  verzweigten  Enden  (die  nach  manchen 
Autoren  mit  Flüssigkeit  gefüllt  sein  sollen)  die  Zellen  (besonders  der  äußeren 
Leuchtplatte)  umspinnen  und  teilweise  wohl  auch  in  dieselben  eintreten. 
Endlich  zeigen  auch  die  über  den  Leuchtorganen  gelegenen  Hautstellen 
eine  Veränderung,  indem  dieselben  unpigmentiert  und  durchsichtig  sind, 
so  daß  das  Licht   durchtreten  kann.     Durch   diese  Hautfenster   sind  natürlich 


Fettkörper,  Lenchtorgane.  87 

auch  die  hellen  Zellschichten  sichtbar,  so  daß  die  Leuchtorgane  auch 
äußerlich  als  weißliche  oder  gelbliche  Flecke  hervortreten. 

Über  die  Physiologie  des  Leuchtens  ist  heute,  trotzdem  viele 
Forscher  sich  mit  dieser  Frage  beschäftigt  haben,  noch  keine  Klarheit  erzielt. 
Die  reichliche  Versorgung  mit  Tracheen  deutet  darauf  hin,  daß  es  sich  um 
einen  Oxydationsprozeß  handelt.  Welche  Stoffe  es  aber  sind,  die  diesem 
Prozeß  unterliegen,  darüber  sind  die  Meinungen  noch  sehr  geteilt. 

Nach  den  einen  ist  der  eigentliche  Leuchtstoff  in  den  harnsauren  Kristallen 
zu  erblicken,  nach  den  anderen  dagegen  in  feinen  Körnchen,  die  in  der  äußeren 
Schichte  sich  finden  (photogenic  granules)  usw.  Daß  es  sich  um  einen  sehr  be- 
ständigen Stoff  handeln  muß,  geht  daraus  hervor,  daß  Leuchtorgane,  die  völlig 
ausgetrocknet  10  Monate  lang  in  einem  Vakuum  aufbewahrt  wurden,  durch  ein- 
faches Anfeuchten  wieder  zum  Leuchten  gebracht  werden  konnten  (B  o  n  g  a  r  d  t). 
Diese  Tatsache  lehrt  zugleich,  daß  ,,das  Leuchten  als  eine  sekundäre  Erscheinung 
scharf  von  den  Lebensvorgängen  zu  trennen  ist",  etwa  wie  die  eiweißlösende 
Eigenschaft  des  Pepsins  unabhängig  vom  Leben  des  Organismus  fortdauert. 

Zweifellos  ist  das  Leuchten  vom  Willen  des  Tieres  abhängig,  indem  es  das 
Insekt  gewissermaßen  in  der  Hand  hat,  das  Licht  abzustellen,  schwächer  oder 
stärker  leuchten  zu  lassen.  Man  braucht,  um  sich  davon  zu  überzeugen,  nur 
einmal  einen  Leuchtkäfer  zu  beunruhigen,  so  wird  man  sofort  eine  Abnahme  der 
Lichtintensität  wahrnehmen  können.  Wahrscheinlich  geschieht  diese  Regulierung 
durch  eine  Veränderung  der  Luftzufuhr,  die  wiederum  durch  Verengerung  oder 
Erweiterung  der  Tracheen  bewirkt  werden  kann.  Für  eine  Beeinflußbarkeit  des 
Leuchtens  spricht  auch  die  reichliche  Versorgung  des  Leuchtorganes  mit  Nerven, 
deren  feinsten  Endäste  mit  den  Tracheenkapillaren  und  mit  den  Leuchtzellen  in 
Zusammenhang  stehen. 

Das  von  den  Leuchtkäfern  ausgehende  Licht  ist  dadurch  besonders  be- 
merkenswert, daß  es  keine  warmen  Strahlen  besitzt  und  also  vollkommen 
kalt  ist;  d.  h.  a  11  e  von  den  betreffenden  Organen  ausgehenden  Strahlen  werden  als 
Licht  empfunden.  Was  das  heißt,  wird  uns  sofort  klar,  wenn  wir  bedenken,  daß 
eine  Gasflamme  nur  3  ^/o,  eine  elektrische  Bogenlampe  nur  10  %  und  selbst  das 
Sonnenlicht  nicht  mehr  als  35  %  Lichtstrahlen  aussendet,  während  alle  übrigen 
(Wärmestrahlen  und  chemisch  wirksamen  Strahlen)  nicht  als  Licht  empfunden 
werden.  Danach  kann  also  das  Licht  der  Leuchtkäfer  geradezu  als  ,, Ideallicht" 
bezeichnet  werden. 

Leuchtorgane  kommen  fast  nur  bei  Käfern  vor,  und  unter  diesen  in 
erster  Linie  in  der  Gruppe  der  Weichkäfer  oder  Malacodermata  (unter 
denen  es  ca.  1000  leuchtende  Arten  geben  dürfte)  und  sodann  auch  bei  einer 
Anzahl  (nur  tropischer)  Schnellkäfer  oder  Elateriden  und  noch  einigen 
anderen  tropischen  Käfern.  Bei  den  Weichkäfern  sitzen  die  Organe 
meistens  am  Abdomen  in  einer  je  nach  der  Spezies  und  dem  Entwicklungs- 
stadium verschiedenen  Anordnung;  bei  den  Elateriden  dagegen  auf  dem 
Halsschild. 

Auf  unsere  Fauna  entfallen  nur  wenige  Arten  von  Leuchtkäfern,  unter 
denen  die  im  Volksmund  als  „Glühwürmchen"  bezeichneten  Lampyris 
splendidula  und  noctihica  die  bekanntesten  sind.  Bei  beiden  Arten  liegen 
die  Leuchtorgane  auf  der  Bauchseite,  und  zwar  an  den  hinteren  Segmenten, 
wenn  auch  in  einer  nach  der  Spezies  und  dem  Geschlecht  etwas  ver- 
schiedenen Anordnung. 

Das  cT  von  L.  splendidula  trägt  sie  am  vor-  und  drittletzten  Abdominal- 
segment.    Das   cT  von  noctiluca  dagegen  nur  am  letzten  Segment  (da  bei  dieser  Art 


Kapitel 


Der  innere  Bau  der  Insekten  (Anatomie  und  Physiologie). 


auch  das  „Hautfenster"  nicht  so  durchsichtig  ist,  so  ist  das  Organ  weit  weniger 
deutlich  als  bei  splendidula).  Das  (flügellose,  larvenähnliche)  $  von  splendidula 
hat  ein  großes  Leuchtorgan  am  6.  Segment  und  einige  kleinere  am  5.  und  3.  Seg- 
ment, und  außerdem  noch  an  jedem  Abdominalsegment  an  den  beiden  Seiten  je 
ein  kleineres  („knollenförmiges").  Das  (ebenfalls  flügellose)  9  von  L.  noctiluca 
besitzt  am  5.  und  6.  Segment  je  ein  großes  Leuchtorgan,  das  fast  die  ganze  Ventral- 
platte einnimmt,  und  ferner  noch  einige  kleinere  Organe  im  7.  und  4.  Segment. 
Auch  die  Larven  haben  Leuchtorgane,  die  an  den  Seiten  der  Abdominalsegmente 
gelegen  sind  (bei    splendidula   zahlreicher  als  bei    noctiluca). 

Wenn  wir  endlich  nach  der  biologischen  Bedeutung  des  Leuchtens 
fragen,  so  dürfte  diese  wohl  in  erster  Linie  in  der  Anlockung  der  Ge- 
schlechter (Liebessignal)  zu  sehen  sein.  Da- 
für spricht  u.  a.  die  Beobachtung  Bongardts, 
daß  die  Weibchen  von  noctiluca  während 
der  Flugzeit  ausschließlich  auf  dem  Rücken 
liegen,  so  daß  die  Leuchtorgane  sichtbar  sind, 
während  sie  nach  der  Flugzeit  stets  in  natür- 
licher Lage,  den  Rücken  nach  oben,  ange- 
troffen werden.  —  Daneben  kann  das  Leuchten 
vielleicht  auch  als  Schreckmittel  dienen  zur 
Abhaltung  von  Feinden.  Allerdings  scheint 
das  Leuchten  keinesfalls  auf  alle  nachstellenden 
Tiere  abschreckend  zu  wirken,  da  verschiedent- 
lich Frösche,  Kröten  und  Fledermäuse  beim 
Wegschnappen  und  Verzehren  der  leuchtenden 
Tiere  beobachtet  werden  (Riedel). 

Nervensystem  und  Sinnesorgane. 

Nervensystem. 
Das  Nervensystem  der  Insekten  ist  nach 
dem  gangliösen  Typus  gebaut,  d.  h.  es  be- 
steht aus  einer  Anzahl  Anschwellungen, 
Nervenknoten  oder  Ganglien  genannt,  die 
durch  Nervenstränge  oder  Kommissuren 
untereinander  verbunden  sind.  Ursprünglich 
kommt  jedem  Segment  ein  Paar  Ganglien 
zu,  die  unter  sich  durch  Querkommissuren  und 
mit  den  vorhergehenden  und  nachfolgenden 
durch  Längskommissuren  in  Verbindung  stehen 
(Fig.  76).  Dieses  ursprüngliche  Verhalten  ist 
jedoch  nur  noch  bei  Embryonen,  Larven  und 
einigen  tiefstehenden  Insekten  zu  beobachten,  wogegen  bei  allen  höheren  Insekten 
mehr  oder  weniger  umfangreiche  Verwachsungen  stattgefunden  haben,  die 
sich  sowohl  auf  die  paarigen  Ganglien  der  gleichen  Segmente  beziehen,  —  die 
zu  einem  unpaaren  Knoten  verwachsen  (wobei  gelegentlich  auch  die  paarigen 
Längskommissuren  zu  einem  unpaaren  Strang  zusammentreten)  —  als  auch  auf 
die  Ganglien  der  verschiedenen  Segmente,  von  denen  eine  ganze  Anzahl 
zu  einem  größeren  oder  kleineren  Ganglienkomplex  verschmelzen  kann. 


Fig.  76.  Scliematische  Darstellung  des 
Zentralnervensystems  ( Strickleiter- 
form) eines  Insekts.  Og  Oberschlund-, 
TJg  Dnterschlundganglien ;  D  Darm; 
Sy  sympathisches  Nervensystem. 
Nach  B erlese. 


Nervensystem  und  Sinnesorgane. 


89 


Der  Grad  der  Verschmelzung  (oder  Konzentration)  kann  sehr  mannig- 
faltig sein,  nicht  nur  bei  den  verschiedenen  Arten,  sondern  auch  bei 
den  verschiedenen  Entwicklungsstadien;  so  nähern  sich  die  Larven  im 
allgemeinen  weit  mehr  dem  ursprünglichen  Typus,  d.  h.  haben  ein  viel 
weniger  konzentriertes  Nervensystem  als  dielmagines,  doch  kommt 
auch  das  umgekehrte  Verhalten  vor.  Es  ist  keineswegs  die  systematische 
Stellung  der  betreffenden  Insekten,  welche  den  Konzentrationsgrad  bestimmt, 
sondern  es  können  in  ein  und  derselben  Ordnung  einerseits  recht  ursprüngliche 
und  andererseits  extrem  konzentrierte  Foimen  vorkommen  (z.  B.  bei  den 
Dipteren  (Fig.  77). 

Da  die  Anordnung  des  Zentralnervensystems  an  eine  Strickleiter  oder 
auch    an    eine  Kette    erinnert,    so    spricht    man    von    einem    „Strickleiter- 


Fig.  77.    Das  Nervensystem  von  4  Dipterenarten  zur  Demonstration  des  verschiedenen  Grades  der 
Konzentration.    A  von  aih-onomus;  B  von  Empis;  C  von  Tahanus  und  D  von  Sareopfiaga.    Nach  Lang. 


nervensystem"  oder  einer  „Ganglienkette."  Da  ferner  diese  Kette  zum 
weitaus  größten  Teil  an  der  Bauchseite,  unter  dem  Darmrohr  gelegen  ist,  so 
bezeichnet  man  diesen  Teil  des  Nervensystems  auch  als  Bauch  mark,  wo- 
durch zugleich  der  Unterschied  gegenüber  den  Wirbeltieren,  bei  denen  das 
Zentralnervensystem  am  Rücken  liegt  (Rückenmark),  betont  wird. 

Die  Variabilität  der  Form  des  Bauchmarkes  bezieht  sich  in  der  Haupt- 
sache auf  den  Rumpfteil  (Brust  und  Hinterleib),  während  die  Anordnung  der 
Ganglien  des  Kopfteiles  eine  relativ  große  Konstanz  aufweist.  Der 
Kopfteil  enthält  sechs  Ganglien,  von  denen  die  ersten  drei  über  dem  Darm 
und  die  folgenden  unter  dem  Darm  gelegen  sind.  Sowohl  die  oberen  als 
auch  die  unteren  sind  stets  zu  einer  einheitlichen  Masse  verschmolzen, 
an  denen  die  Zusammensetzung  aus  drei  Ganglien  meist  noch  deutlich 
erkennbar    ist.     Die    beiden    Ganglienmassen    sind    durch   Kommissuren,    die 


90        Kapitel  III.     Der  innere  Bau  der  Insekten  (Anatomie  und  Physiologie). 

jederseits  des  Darmes  herabziehen,  miteinander  verbunden,  so  daß  also  der 
Darm  (resp.  der  Schlund)  von  einem  förmlichen  Nervenring  umfaßt  wird, 
der  auch  als  „Schlundring"  bezeichnet  wird. 

Der  oberhalb  des  Darms  gelegene  Ganglienkomplex  stellt  in  seiner 
Gesamtheit  das  Oberschlundganglien  oder  Gehirn  dar,  während  die 
dasselbe  zusammensetzenden  Ganglienpaare  als  erster,  zweiter,  dritter 
Gehirnabschnitt  oder  Proto-,  Deuto-  und  Tritocerebrum  unterschieden 
werden.  Das  Gehirn  nimmt  eine  gewisse  Sonderstellung  unter  den  Ganglien, 
resp.  Ganglienkomplexen,  ein  und  zwar  nicht  nur  durch  seine  bedeutende 
Größe,  sondern  auch  durch  seinen  komplizierten  Bau  (Fig.  78). 

Dies  bezieht  sich  vor  allem  auf  das  Protocerebrum,  welches  den  größten 
Teil  des  Gehirnes  bildet  und  durch  denBesitz  der  sog.  „pilzförmigen  Körper" 
ausgezeichnet  ist.  Letztere  bestehen  aus  einer  Anhäufung  von  Ganglien- 
zellen und  Fasermassen,  die  so  angeordnet  sind,  daß  sich  aufschnitten  ungefähr 


Fig.  78.  Gehirn  der  Arbeitsbiene.  Pc Proto-,  DcDeutero-,  T«?  Tritocerebrum ;  P7z  pilzhutförmige  Körper; 
£o  Lobus  opticus  (Augenlappen) ;  ci  innerer  Becher;  ce  äußerer  Becher;  Antw  Antennennerven;  Jl/x  Nerven 
zu  den  Maxillen;  JlW  Nerven  zu  den  Mandibeln;  iP>- Nerven  zur  Oberlippe  und  Stirn.    NachJonescu. 

die  Form  eines  Pilzes  ergibt  (Fig.  79);  äußerlich  treten  dieselben  als  geringere 
oder  stärkere  Anschwellung  oder  Verdickung  der  Protocerebrum-Hälften  hervor. 

Man  unterscheidet  an  ihnen  die  Stiele  und  die  Becher,  die  aus  Faser- 
masse bestehen,  ferner  die  innere  Zellmasse,  welche  in  der  Höhlung  der 
Becher  liegt,  und  die  äußere  Zellmasse,  welche  die  Becher  außen  umgibt. 
Die  pilzförmigen  Körper  sind  besonders  stark  bei  den  sozialen  Insekten 
(Ameisen,  Bienen,  Wespen)  ausgebildet,  und  da  diese  Insekten  in  psychischer  Be- 
ziehung zweifellos  am  höchsten  stehen,  so  hat  man  in  jenen  Körpern  die  Organe 
der  Intelligenz  erblickt  (F  o  r  e  1).  Neuerdings  hat  man  jedoch  diesen  Stand- 
punkt etwas  modifiziert,  und  es  scheint  wenigstens  nach  den  Forschungen  von 
J  o  n  e  s  c  u  (Biene),  Pietschker  (Ameise)  die  Größe  der  pilzförmigen  Körper 
allein  nicht  maßgebend  für  die  Höhe  der  geistigen  Fähigkeiten  zu  sein  (Fig.  79). 

Vom  Protocerebrum  gehen  auch  die  Sehnerven  ab,  von  denen  die 
zu  den  seitlichen  Augen  gehenden  als  breite  Lappen  (Ganglia  optica)  er- 
scheinen, während  die  zu  den  Stirnaugen  ziehenden,  entsprechend  der  Klein- 
heit der  Ocellen,  nur  dünne  Stränge  darstellen. 

Der  zweite  Hirn  ab  schnitt,  dasDeutocerebrum,  ist  wesentlich  kleiner 
und  besteht  in  der  Hauptsache  aus  den  Riechlappen,  von  denen  die  Antennen- 
nerven entspringen.  Außer  dem  Geruchszentrum  enthält  das  Deutocerebrum 
wahrscheinlich    auch    noch    das  Zentrum   für   die  Tast-,  Geschmacks-  und 


Nervensystem  und  Sinnesorgane.  91 

vielleicht  auch  Gehörsempfindungen.  Der  dritte  Abschnitt,  das  Trito- 
cerebrum,  auch  Oesophagusganglion  genannt,  liegt  unter,  resp.  hinter  dem 
Deutocerebrum  und  geht  nach  hinten  in  die  Schlundkommissuren  über.  Es 
entsendet  Nerven  zu  der  Oberlippe  und  der  Schlundwand. 

Das  Tritocerebrum  entspricht  dem  Sclilundganglion  der  Krebse,  die  deren 
zweites  Antennenpaar  mit  Nerven  versorgen.  Bei  gewissen  apterygoten  Insekten 
kommen  auch  noch  kleine  Anhänge  am  Tritocerebrum  vor,  die  als  rudimentäre 
Antennennerven   (für    ein    zweites   Antennenpaar)   zu    betrachten    sind    (F  o  1  s  o  m). 

Der  unter  dem  Darm  gelegene  Ganglienkomplex  der  Kopfregion  wird 
als  Unterschlundganglion  bezeichnet.  Es  ist  viel  einfacher  gebaut  als 
das  Gehirn  und  gleicht  seiner  Struktur  nach  mehr  den  übrigen  Bauchganglien. 
Entsprechend  seiner  Zusammensetzung  aus  drei  Ganglien  gehen  auch  drei 
Nervenpaare  von  ihm  ab,  von  denen  das  erste  zu  den  Mandibeln,  das  zweite 
zu  den  Maxillen  und  das  dritte  zu  der  Unterlippe  zieht. 

Die  Rumpfganglien  versorgen  im  allgemeinen  die  den  zugehörigen 
Segmenten   eigene  Muskulatur   mit  Nerven;    so  gehen  von  den  Brustganglien 


/ 


^ 


Fig.  79.    Schematisierter  Frontalschnitt  durch  das  Gehirn  einer  Ameisenarbeiterin,  zur  Demonstration 
der  pilzhutförmigen  Körper  (Ph);  ci  innerer,  ce  äußerer  Becher.    Nach  Pietschker. 

eine  Anzahl  Nervenpaare  zu  den  Bein-  und  Flügelmuskeln,  während  von  den 
Abdominalganglien  die  Muskulatur  des  Hinterleibes  und  außerdem  auch  die 
Geschlechtsorgane  innerviert  werden. 

Neben  dem  hier  besprochenen  Zentralnervensystem  mit  den  peripheren 
Nerven  kommt  den  Insekten  (wie  den  Wirbeltieren)  auch  ein  sympathisches 
oder  Eingeweidenervensystem  zu,  von  denen  wir  einen  dorsalen,  vom 
Gehirn  entspringenden  und  einen  ventralen,  vom  Bauchmark  ent- 
springenden Teil  unterscheiden  können.  Ersterer  verläuft  auf  der  Dorsal- 
wand des  Vorderdarmes,  teils  als  unpaarer  Strang  in  der  Medianlinie,  teils 
als  paarige  Stränge  zu  beiden  Seiten,  und  ist  mit  verschiedenen  Ganglien 
ausgestattet,  von  denen  das  hinterste  an  der  Grenze  zwischen  Vorderdarm 
und  Mitteldarm  liegt  (siehe  Fig.  76,  Sy).  Von  diesem  dorsalen  Teile  aus 
wird  der  Vorderdarm  und  wohl  zum  Teil  auch  der  Mitteldarm,  ferner  die 
Speicheldrüsen,  die  Tracheen  des  Kopfes  und  das  Rückengefäß  versorgt. 
Der  ventrale  Sympathicus,  der,  von  den  Ganglien  des  Bauchmarkes  ent- 
springend, feine  paarige  Äste  aussendet  (Fig.  80),  versorgt  in  der  Hauptsache 
die  dem  Willen  nicht  unterworfene  Muskulatur  des  Hinterleibes  (Darm, 
Tracheen  usw.)  mit  sympathischen  Nerven. 


92        Kapitel  III.     Der  innere  Bau  der  Insekten  (Anatomie  und  Physiologie). 

Die  Zentralisation  des  Nervensystems  geht  bei  den  Insekten  lange  nicht  so 
weit  als  bei  den  höheren  Tieren.  So  kann  man  einem  Insekt  ruhig  den  Kopf  ab- 
schneiden, ohne  damit  das  Nervensystem  zugleich  völlig  außer  Funktion  zu  setzen. 
Die  einzelnen  Ganglien  sind  auch  getrennt  voneinander  noch  längere  Zeit  (mit- 
unter wochenlang)  für  sich  allein  selbständiger  Tätigkeit  fähig.  Jedoch  reagieren 
sie  dann  nur  auf  direkte  Reize;  hören  diese  auf,  so  hören  auch  die  Bewegungen 
der  von  ihnen  innervierten  Organe  (Beine,  Flügel  usw.)  auf.  Entfernt  man  einem 
Insekt,  z.  B.  einer  Ameise,  das  Gehirn  resp.  die  pilzförmigen  Körper,  so  sucht  sie 
nicht  mehr  nach  Nahrung,  obwohl  sie  die  Nahrung,  die  man  ihr  zwischen  die 
Mundteile  schiebt,  frißt;  sie  sucht  ferner  nicht  mehr  zu  fliehen,  nicht  mehr  an- 
zugreifen, nicht  mehr  in  ihr  Nest  zurückzukehren,  auch  nicht  mehr  vor  Wasser 
oder  Kälte  usw.  sich  zurückzuziehen,  obwohl  sie  ihre  Beine  auf  direkte  Reize  hin 
bewegt;  sie  hat  die  elementarsten  Instinkte  der  Furcht  und  Selbsterhaltung  voll- 
kommen verloren.     Es   geht   daraus   hervor,   daß  im   Gehirn   das   eigentliche  Asso- 


Fig.  80.  Zwei  Ganglienpaare 
des  Bauchmarkes  der  Laubheu- 
schrecke (Locusta  viridissima 
L.)  (nach  Leydig).  6  Gang- 
lien; N  peripherische  Nerven; 
NS  Atmuugsnerv  (Nervus  sym- 
pathicus).  —  (N.) 


Fig.  81.  Tasthaare  {Th)  an  der  Spitze  des  ünter- 

lippentasters  von  Dectims  (Laubheuschrecke). 

Sz  Sinneszellen ;  N  Nerven ;  Cu  Cuticula. 


ziationszentrum  gelegen  ist,  in  dem  die  Sinneseindrücke  aufgespeichert,  fixiert 
und  in  verschiedener  Weise  assoziiert  werden,  und  von  dem  aus  auch  die  Koordi- 
nation (zweckmäßige  Zusammenarbeit)  geleitet  wird. 

Sinnesorgane. 

Die  biologische  Beobachtung  lehrt,  daß  die  Insekten  im  allgemeinen 
derselben  Sinneswahrnehmungen  fähig  sind  wie  der  Mensch,  d.  h,  daß  sie 
einen  Tast-,  Geruchs-,  Geschmacks-,  Gesichts-  und  Gehörsinn  be- 
sitzen. Allerdings  ist  der  Umfang  der  verschiedenen  Sinneseindrücke  nicht 
immer  der  gleiche  wie  bei  uns;  so  können  z.  B.  die  Ameisen  die  unserem 
Auge  unsichtbaren  ultravioletten  Strahlen  wahrnehmen,  w^ährend  sie  dagegen 
unempfindlich  gegen  die  von  unserem  Ohr  als  Töne  empfundenen  Schall- 
schwingungen zu  sein  scheinen. 

Tast,  Geruch  und  Geschmack.  — Wir  können  diese  drei  Arten  von 
Sinnesempfindungen  gemeinsam  behandeln,  da  die  rezipierenden  Endorgane 
der  gleichen  Kategorie  angehören.  Gleichgültig  ob  es  sich  um  eine  Tast-, 
Geruchs-    oder    Geschmacksempfindung    handelt,    stets    sind    es    sog.    Haut- 


Nervensystem  und  Sinnesorgane.  93 

Sinnesorgane,  welche  den  adaequaten  Reiz  aufnelimen  und  nach  innen 
weitergeben.  Dieselben  stellen  Cuticulai-bildungen  dar,  welche  durch  Ver- 
mittlung von  Sinneszellen  (umgewandelte  Hypodermiszellen)  mit  Nerven- 
fasern in  Verbindung  stehen.  Sie  können  überall  auf  der  Körperoberfläche 
vorkommen,  wenn  sie  auch  am  zahlreichsten  an  den  Extremitäten  zu  finden 
sind,  vor  allem  auf  den  Fühlern  und  Tastern,  dann  auch  an  den  Beinen  (be- 
sonders den  Trochanteren  und  Tarsen)  und  den  verschiedenen  Abdominal- 
anhängen (Schwanzfäden  usw.). 

Bezüglich  der  Form  der  Hautsinnesorgane  herrscht  die  größte 
Mannigfaltigkeit,  und  man  kann  fast  bei  jeder  Insektenart,  die  man  genauer  unter- 
sucht, größere  oder  geringere  Abweichungen  finden.  Trotzdem  aber  lassen  sich 
dieselben  in  einige  gut  umschriebene  Kategorien  einordnen,  und  können  wir  etwa 
folgende  Formengruppen  unterscheiden: 

1.  Die  Sinneshaare  (oder  -borsten  oder  -schuppen),  auch  T  a  s  t  - 
haare  oder  Tastborsten  oder  Sensilla  trichodea  genannt  (Fig.  81).  Sie 
ähneln  ganz  den  gewöhnlichen  Haaren  oder  Borsten  oder  Schuppen,  unterscheiden 
sich  aber  hauptsächlich  dadurch  von  diesen,  daß  sie  mit  Sinneszellen  und  Nervenfasern 
in  Verbindung  stehen;  auch  sind  sie  meist  gelenkig  mit  der  Cuticula  verbunden.  Sie 
sind  weitaus  die  verbreitetsten  und  häufigsten  Hautsinnesorgane,  die  außer  auf 
den  Fühlern  und  Tastern,  wo  sie  am  zahlreichsten  stehen,  auf  der  ganzen 
Körperoberfläche  vorkommen.  Zweifellos  haben  wir  in  ihnen  die  eigent- 
lichen Organe  des  Tastsinnes  zu  erblicken. 

2.  Die  Sinneskegel. 

a)  Die  Leydigschen  Kegel,  auch  kurzweg  „S  i  n  n  e  s  k  e  g  e  1"  oder 
Sensilla  basiconica  genannt  (Fig.  82 A).  Diese  stellen  kürzere  oder  längere 
Chitinzapfen  dar,  deren  Wände  äußerst  zart  sind  und  an  der  Spitze  oft  eine  feine 
Öffnung  besitzen,  und  die  entweder  der  Cuticula  direkt  aufsitzt  oder  auf  besonderen 
Stielen  gelegen  sind  (Sensilla  styloconica).  Die  Leydigschen  Kegel  finden  sich 
vor  allem  auf  den  Fühlern  und  Tastern  und  dann  auch  in  der  Mundhöhle, 
und  stellen  zweifellos  sowohl  Geruchs-  als  auch  Geschmacksorgane  dar. 

b)  Grubenkegel,  auch  Sensilla  coeloconica  genannt.  Sie  unter- 
scheiden sich  von  den  vorigen  dadurch,  daß  sie  nicht  frei  auf  der  Oberfläche  hervor- 
ragen, sondern  in  Gruben  liegen,  wodurch  sie  mehr  geschützt  sind  (Fig.  82  B).  Die 
Gruben  können  die  verschiedensten  Formen  aufweisen;  sie  können  seicht  oder  tief, 
offen  oder  mit  einer  feinen  Membran  bedeckt  sein,  und  häufig  sind  ihre  Ränder  auch 
noch  mit  Borstenkränzen  umstellt,  die  zweifellos  eine  Vermehrung  des  Schutzes 
bedeuten.  —  Bei  manchen  Insekten,  z.  B.  bei  den  Ameisen,  kommen  neben  den 
normalen  Grubenkegeln  auch  noch  ganz  eigenartig  gestaltete  Gruben  vor,  die  in 
ihren  Umrissen  an  Champagnerpfropfen  erinnern,  und  daher  von  Forel  auch 
als  „Champagnerpfropfenorgane"  bezeichnet  wurden.  Sie  sind  meist 
tief  in  die  Haut  eingesenkt  und  stehen  nur  noch  durch  eine  kleine  Öffnung  mit  der 
Oberfläche  in  Verbindung  (Fig.  82  C).  Eine  Abart  dieser  „Champagnerpfropfen" 
stellen  die  ,,f  laschen  förmigen  Sinnesorgane"  (Sensilla  ampul- 
lacea,  Forelsche  Flaschenorgane)  dar,  bei  denen  die  Grube  zu  einem 
außerordentlich  langen,  halsförmig  verengten  Kanal  ausgezogen  ist.  —  Die  Gruben- 
kegel kommen  speziell  auf  den  Fühlern  vor  und  sind  wohl  ebenfalls  als  Geruchs- 
organe anzusehen. 

d)  Poren  platten  (Sensilla  placodea).  Sie  stellen  dünne  Chitin- 
plättchen  dar,  die  über  einer  Spalte  gelegen  und  mit  der  benachbarten  Cuticula 
durch  eine  feine  elastische  Haut  verbunden  sind.  An  die  Platte  tritt  von  innen  her 
ein  Nerv  heran.  Erfährt  die  Platte  von  außen  einen  Druck,  so  rückt  sie  infolge  ihrer 
elastischen  Verbindung  nach  innen  und  übt  einen  Reiz  auf  den  darunter  liegen- 
den Nerv  aus.  Nach  Schenk  stellen  die  Porenplatten  Organe  zur  Empfin- 
dung  des   Luftdruckes   dar.     Nähert   sich   z.   B.   eine   fliegende   Biene   einer 


94        Kapitel  III.     Der  innere  Bau  der  Insekten  (Anatomie  und  Physiologie). 

Wand,  so  soll  die  zusammengepreßte  Luft  die  Plättchen  eindrücken  und  so  die 
Biene  vor  dem  Anprallen  bewahren.  Die  Porenplatten  wurden  bis  jetzt  haupt- 
sächlich  an  den   Fühlern  gefunden. 

Als  eine  Abart  der  Porenplatten  können  vielleicht  die  „S  i  n  n  e  s  k  u  p  p  e  1  n" 
betrachtet  werden.  Hier  wird  der  Hauptteil  des  Organes  nicht  durch  eine  ebene 
Platte,  sondern  durch  eine  gleichmäßig  gewölbte  Kuppel  dargestellt.  An  die  Innen- 
wand dieser  nach  außen  völlig  geschlossenen  Chitinkuppel  tritt  die  Sinneszelle 
mit  einem  sehr  charakteristischen  Endapparat  heran;  derselbe  be- 
steht  aus   dem    „Achsenfaden"    (Fig.   82  EAx),   welcher    zunächst   die    „V  a  c  u  o  1  c" 


Fig.  82.    Verschiedene  Hautsinnesorgane.    A  Leydigscher  Kegel ;  B  Grubenkegel;  C Cliampagnerpfropf- 
organ;  D  Porenplatte;    E  Sinneskuppel.     N  Nerv;    Sz  Sinneszelle;    Szk   Sinneszellenkern;  Hzk  Hüll- 
zellenkern;  Kzk   Kappenzellenkern;    Vac  Vacoule;   Ax  Axenfaden;   Stk  Stiftkörperchen;  Cut  Cuticula. 
Nach  Hauser,  Schenk,  Vogel. 


(eine  Erweiterung  des  Endschlauchs  der  Sinneszelle)  und  dann  das  sog.  ,,S  t  i  f  t  - 
körperchen"  durchzieht,  um  endlich  an  die  Kuppelmembran  zu  stoßen.  Zu 
der  eigentlichen  Sinneszelle  treten  stets  noch  zwei  andere  Zellen,  die  Hüll-  und 
die  Kappe  nzelle,  welche  den  Endapparat  umgeben.  —  Die  Sinneskuppeln, 
deren  nervöser  Endapparat  große  Ähnlichkeit  mit  dem  der  Hörzellen  besitzt, 
kommen  auf  den  Flügeln  der  Schmetterlinge  (in  Gruppen  und  einzeln,  längs  der 
Adern)  vor  und  dienen  nach  R.  V  o  g  e  1  als  Flughilfsorgane,  die  es  dem  Schmetter- 
ling ermöglichen,  „seinen  Flug  auf  Reize  hin  zu  regulieren,  kurz  gesagt,  zu 
steuern". 

Die    hier  besprochenen  Hautsinnesorgane    stehen   oft   auf   engem  Raum 
durcheinander  gemengt  beisammen,  ein  Umstand,  der  die  richtige  Erkennung 


Nervensystem  und  Sinnesorgane.  95 

der  Funktion  der  einzelnen  Formen  sehr  erschwert.  Es  ist  auch  recht  gut 
möglich,  ja  sogar  wahrscheinlich,  daß  verschiedene  Formen  ein  und  derselben 
Kategorie  von  Sinnesempfindungen  (z.  B.  dem  Geruch)  dienen.  Wir  können 
allerdings  aus  der  Lage  der  Hautsinnesorgane,  in  Verbindung  mit  der 
Häufigkeit  ihres  Vorkommens,  einen  gewissen  Schluß  auf  ihre  Funktion 
ziehen,  wie  es  z.  B.  nahe  liegt,  den  in  der  Gegend  der  Mundöffnung  ge- 
legenen und  am  zahlreichsten  vertretenen  Hautsinnesorganen  Geschmacks- 
funktion zuzuschreiben. 

Am  besten  unterrichtet  sind  wir  über  die  Geruchsorgane.  Spielt 
doch  auch  dei  Geruch  eine  überaus  wichtige  Rolle  im  Leben  der  Insekten, 
und  werden  doch  die  wichtigsten  Lebensbetätigungen,  wie  die  Nahrungs- 
suche, Aufsuchung  der  Geschlechter  und  geeigneter  ßrutplätze,  bei  den 
sozialen  Insekten  die  Erkennung  von  Freund  und  Feind,  Heimfinden  zum 
Nest  usw.  durch  den  Geruch  geleitet.  Die  Insekten  sind  ausgesprochene 
Geruchstiere;  beraubt  man  sie  des  Geruchsvermögens,  so  sind  sie  verloren. 
Es  steht  heute  zweifelhaft  fest,  daß  die  Geruchsorgane  (wenigstens  in  der 
Hauptsache)  in  den  Fühlern  ihren  Sitz  haben.  Man  hat  dies  mehrfach 
experimentell  nachgewiesen.  Schneidet  man  einem  Aaskäfer  die  Fühler  ab, 
so  findet  er  selbst  naheliegendes  Aas  nicht  mehr,  oder  nimmt  man  einer 
Ameise  die  Fühler,  so  kennt  sie  nicht  mehr  Freund  und  Feind  auseinander 
und  ist  infolgedessen  unbrauchbar  für  das  Gesellschaftsleben,  oder  schneidet 
man  dem  Männchen  eines  Spinners  die  Fühler  weg,  so  findet  es  das 
Weibchen  nicht  mehr,  usw. 

Diese  experimentellen  Beweise  werden  auch  noch  durch  andere  Be- 
funde gestützt:  bekanntlich  bedürfen  nicht  alle  Insekten  in  gleichem  Maße 
des  Geruchssinnes,  und  dem  entspricht  auch  in  jeder  Weise  die  Ausbildung 
der  Fühler,  indem  solche  Insekten,  die  ein  besonders  hohes  Ge- 
ruchsvermögen nötig  haben,  auch  eine  besonders  große  Fühler- 
oberfläche besitzen.  Am  deutlichsten  kann  man  dieses  bei  den  Männchen 
jener  Insekten  sehen,  die  ihre  Weibchen  auf  weite  Entfernung  aufsuchen 
müssen;  so  haben  z.  B.  die  Männchen  der  Spinner  langgefiederte  Fühler,  die 
Weibchen  dagegen  nur  ganz  schwach  gefiederte;  oder  man  denke  an  das 
Männchen  unseres  Maikäfers  mit  seiner  mächtigen  Blätterkeule  im  Gegensatz 
zu  der  viel  kleineren  Keule  des  Weibchens.  Der  Vergrößerung  der  Fühler- 
oberfläche entspricht  auch  die  Vermehrung  der  Einzelsinnesorgane, 
resp.  der  Grubenkegel,  so  sind  deren  (nach  Hesse)  auf  den  weiblichen 
Maikäferfühlern  ca.  8000,  auf  den  männlichen  dagegen  nicht  weniger  als 
ca.  50000. 

Die  Geruchsschärfe  der  Insekten  ist  vielfach  eine  ganz  erstaunliche, 
und  für  uns  beinahe  an  das  Wunderbare  grenzend.  Daß  Aas-  und  Mist- 
käfer den  vom  Aas  und  Mist  ausgehenden  Geruch  auf  weithin  riechen, 
können  wir  noch  verstehen,  daß  aber  eine  Schlupfwespe  (Rhyssa)  eine  tief 
im  Holz  sitzende  Holzwespenlarve  durch  das  dicke  Holz  hindurch  zu  riechen 
vermag,  und  daß  die  Spinnermännchen  ein  Weibchen  mitunter  kilometerweit 
wittern  können,  das  geht  über  unsere  Begriffe,  da  wir  ja  selbst  in  un- 
mittelbarer Nähe   und  bei  der  Anwesenheit   zahlreicher  Weibchen  geruchlich 


96        Kapitel  III.     Der  innere  Bau  der  Insel^ten  (Anatomie  und  Physiologie). 

nicht  das  Geringste  wahrnehmen.  Eine  solche  Geruchsschärfe  können  wir 
mit  Hesse  nur  darauf  zurückführen,  daß  „die  Zahl  der  verschiedenen 
Gerüche,  für  die  das  Riechorgan  dieser  Insekten  zugänglich  ist,  sehr  gering 
ist.  Wir  dürfen  annehmen,  daß  sie  Geruchsspezialisten  sind;  der  Duft, 
durch  den  sie  vorwiegend  erregt  werden,  ist  aufs  engste  mit  ihrer  Lebens- 
weise verknüpft:  ein  Männchen  wird  durch  den  Duft  seines  Weibchens 
gereizt,  und  nur  durch  diesen;  eine  Pflanze,  die  das  eine  Insekt  von  weitem 
anlockt,  läßt  eines  von  einer  anderen  Art  unberührt." 

Weit  weniger  als  über  die  Geruchsorgane  wissen  wir  über  die  Ge- 
schmacks Organe.  Daß  die  Insekten  Geschmacksempfindungen  besitzen,  ist 
nicht  zu  bezweifeln.  Wissen  wir  doch,  daß  viele  Insekten  sehr  wählerisch 
bezüglich  ihrer  Nahrung  sind  und  nur  ganz  bestimmte  Pflanzen  annehmen, 
auch  sind  verschiedentlich  Experimente  in  dieser  Richtung  gemacht,  die  alle 
zu  dem  gleichen  Resultat  geführt  haben,  daß  die  Insekten  recht  wohl 
schmecken  können.  Wo  aber  diese  Geschmacksorgane  lokalisiert  sind, 
darüber  wissen  wir  noch  nicht  allzuviel,  wahrscheinlich  liegen  sie  an  ver- 
schiedenen Stellen  verteilt;  so  dürften  die  zahlreichen  Grubenkegel,  die  man 
vielfach  in  der  Mundhöhle  am  Hypo-  und  Epipharynx  findet,  wohl  sicher 
der  Geschmacksempfindung  dienen;  daneben  mögen  auch  die  Kegel  an  den 
Maxillarloben  und  den  Tastern  als  Geschmacksorgane  funktionieren,  des- 
gleichen die  Hautsinnesorgane,  die  an  der  Spitze  des  Schmetterlings-, 
Wanzen-  und  Fliegenrüssel  und  an  der  Zunge  der  Bienen,  Wespen  usw. 
gelegen  sind. 

Gehör.  —  Daß  den  Insekten  ein  Gehörvermögen  zukommt,  läßt  sich 
schon  daraus  schließen,  daß  viele  Insekten  Töne  hervorbringen,  welche 
zweifellos  dem  Zwecke  dienen,  das  andere  Geschlecht  anzulocken  oder  zu 
erregen.  Zudem  ist  auch  durch  Versuche  nachgewiesen,  daß  manche 
Insekten  prompt  auf  Töne  reagieren:  „Küchenschaben  halten  beim  Anstreichen 
einer  Violinsaite  im  Laufen  inne,  die  Wasserwanzen  Corixa  und  Notonecta 
fahren  wie  wild  durcheinander,  wenn  man  das  d'  einer  Violine  anstreicht"  usw. 
(Hesse). 

Früher  glaubte  man  den  Sitz  des  Gehörorgans  in  die  Fühler  legen  zu 
müssen  (nach  Analogie  mit  den  Ohren  des  Menschen);  doch  heute  weiß  man, 
daß  die  Ohren  der  Insekten  an  den  verschiedensten  Stellen  des  Körpers 
gelegen    sein    können:    in   den   Fühlern,   Beinen,  Flügeln,  im  Abdomen  usw. 

Wie  die  Lage,  so  zeigt  auch  der  Bau  der  Gehörorgane  eine  große 
Mannigfaltigkeit.  Wenn  wir  in  dieser  Beziehung  auch  noch  nicht  überall 
ganz  klar  sehen,  so  können  wir  nach  den  bis  jetzt  vorliegenden  Untersuchungen 
doch  wenigstens  zwei  Haupttypen  aufstellen:  nämlich  die  Saiten-  oder 
Chordotonalorgane    und    die    Trommelfell-    oder   Tympanalorgane. 

Die  Chordotonalorgane  bestehen  aus  einer  oder  mehreren  sehr 
charakteristischen  Sinneszellen,  welche  einerseits  mit  einer  Nervenfaser, 
andererseits  mit  der  Haut  verbunden  sind.  Die  Verbindung  mit  der  Haut 
geschieht  mittels  eines  aus  mehreren  Zellen  bestehenden  Schlauches,  der  als 
Stiftchenträger  oder  Scolopophor  bezeichnet  wird.     In  ihn  tritt  nämlich 


Nervensystem  und  Sinnesorgane. 


97 


von  der  Sinneszelle  her  ein  Fortsatz  der  Nervenfaser  ein,  der  nach  längerem 
Verlauf  in  einem  hohlen  Stifte  mit  kegelförmiger  Spitze  (Hörstift)  endigt. 
Der  gesamte  Apparat  (Sinneszelle  nebst  Stiftchenträger)  wird  als  Endschlauch 
bezeichnet  (Fig.  83,  Edsch). 

Selten  kommt  nur  ein  Endschlauch  allein  vor,  gewöhnlich  ist  eine  größere 
oder  geringere  Zahl  von  solchen  zu  einem  Bündel  vereinigt.  Die  Endschläuche 
verlaufen  entweder  in  der  Richtung  des  Nerven,  so  daß  sie  zwischen  dem 
Nerven  und  Haut  ausgespannt  sind,  oder  aber  sie  sind  rechtwinklig  gegen 
den  Nerven  abgeknickt.  In  diesem  Falle  tritt  an  die  Knickungsstelle  von  der 
anderen  Seite  her  ein  Band  (Fig.  83,  Bd),  welches  die  Endschläuche  mit  der 
Haut  verbindet,  so  daß  sie  also  hier  zwischen 
zwei  Hautstellen  ausgespannt  sind. 

Gerät  nun  die  Haut  in  Schwingung,  so 
überträgt  sich  diese  auch  auf  die  ausgespannte 
Saite  und  damit  auch  auf  die  Hörstifte,  wo- 
durch eine  Schallempfindung  zustande  kommen 
kann.  —  Chordotonalorgane  sind  an  den  ver- 
schiedensten Körperteilen,  doch  meist  in  den 
Anhängen  (Fühlern,  Beinen,  Tastern,  Flügeln) 
gefunden  worden. 

Die  tympanalen  Organe  schließen 
sich  bezüglich  der  nervösen  Endapparate  den 
Chordotonalorganen  an,  insofern  als  auch  hier 
jene  Endschläuche  vorkommen.  Während 
jedoch  hier  die  darüberliegende  Haut  keine 
Änderung  erfahren  hat,  ist  bei  den  Tympanal- 
organen  die  betr.  Hautstelle  stark  verdünnt, 
so  daß  sie  an  ein  Trommelfell  erinnert, 
zumal  die  verdünnte  Stelle  zwischen  einem  ver- 
dickten Rahmen  ausgespannt  sein  kann.  Dieses 
Trommelfell  liegt  entweder  frei,  oder  ist  durch 
eine  Hautfalte,  die  nur  einen  schmalen  Schlitz 

als  Zugang  offen  läßt,  geschützt.  Unter  dem  Trommelfell  befindet  sich  eine 
Trachee,  welche  blasenförmig  erweitert,  oder  in  zwei  dicht  aneinander  gelegene 
Äste  gespalten  ist.  Auf  dieser  Trachee  oder  zwischen  derselben  und  dem 
Trommelfell  liegen  die  Endschläuche  mit  ihren  Hörstiften,  in  einer  Reihe 
nach  ihrer  Größe  angeordnet.  Infolge  der  Verdünnung  der  Haut  und  der 
darunter  liegenden  Tracheenblasen  kommen  die  Schwingungen,  die  die  Haut 
treffen,  weit  mehr  zur  Geltung,  resp.  besitzen  eine  weit  größere  Wirkung 
als  bei  den  Chordotonalorganen,  bei  denen  ja  die  darüberliegende  Haut  ihre 
gewöhnliche  Stärke  besitzt,  und  so  stellen  also  die  Tympanalorgane  viel 
höher  entwickelte  und  feiner  empfindende  Gehörorgane  dar. 

Am  bekanntesten  und  auffälligsten  sind  die  Tympanalorgane  der  Heu- 
schrecken und  Grillen,  und  da  gerade  diese  Insekten  durch  ihre  laute 
Tonerzeugung  sich  auszeichnen,  so  hat  man  schon  seit  langem  in  jenen  Organen 
Gehörorgane  vermutet.     Sie  liegen  bei  den  Feldheuschrecken  (Acridiern)  frei 

Escherich,  Forstinsekten.  7 


Fig.  83.  Chordotonalorgan.  B  Bauch- 
strang; Ggl  Ganglion;  N  Nerv  vom 
Ganglion  abgehend  und  zu  den  Sinnes- 
zellen (Sz)  ziehend ;  Hst  Hörstifte ;  Edsch 
Endschlauch;  Bd  Band,  welches  den 
Endschlauch  in  Spannung  hält. 
Nach  Grab  er. 


98 


Kapitel  III.     Der  innere  Bau  der  Insekten  (Anatomie  und  Physiologie). 


an  den  Seiten  des  ersten  Abdominalsegments  (siehe  S.  25,  Fig.  26,  Ty),  bei 
den  Grillen  und  Laubheuschrecken  (Locustiden)  dagegen  an  den  Schienen  der 
Vorderbeine,  und  zwar  bei  den  ersteren  ebenfalls  frei,  bei  den  letzteren  von 
Hautfalten  bedeckt  (Fig.  84 A).  Neuerdings  hat  man  auch  bei  Schmetter- 
lingen tympanale  Organe  entdeckt,  die  an  den  Seiten  des  Thorax,  resp.  an 
der  Grenze  zwischen  Abdomen  und  Thorax,  oder  abei  in  der  Wurzel  der 
Vorder-   und  Hinterflügel   gelegen   sind   (nach  Deegener,   Eggers,  Vogel). 

Sehorgane.^)  —  Die  Sehorgane  der  Insekten  liegen  stets  am  Kopfe  und 
empfangen  ihre  Nerven  vom  Gehirn,  resp.  dem  Protocerebrum.  Man  unter- 
scheidet zwei  Arten:  die  einfachen  Augen,  auch  Punktaugen  oder  Ocellen 
genannt,  und  die  zusammengesetzten  Augen,  auch  als  Netz-  oder 
Facettenaugen  bezeichnet  (Fig.  85). 

Die  einfachen  Augen  (Ocellen),  die  sich  als  glänzende,  durchsichtige 
Vorwölbungen   der  Cuticula  präsentieren,  liegen  bei  den  Imagines  meistens 


Hst. 


\\ 


Hst   Tr,    Tr^. 


AB  C 

Fig.  84.    Tympanalorgan  einer  Laubheuschrecke.    A  Vorderscliiene  mit  dem  Tympanalorgan  {s  schlitz 
förmiger  Eingang) ;  B  Querschnitt,   C  Längsschnitt  durch   die   Vorderschiene.    H  Trommelfellhöhle : 
Tr  Trachee;  Sz  Sinneszelle;  Ty  Trommelfell;  Hst  Hörstifte.    Nach  J.  Schwabe. 

zwischen  den  seitlichen,  zusammengesetzten  Augen  auf  der  Mitte  der  Stirne 
oder  des  Scheitels  (in  der  Zahl  von  1 — 3),  und  werden  deshalb  auch  Stirn- 
oder Scheitelaugen  genannt.  Nur  bei  den  niederen  Insekten  (Springschwänze, 
Silberfischchen)  und  einigen  parasitisch  lebenden  oder  bezügl.  des  Sehver- 
mögens in  Rückbildung  begriffenen  höheren  Insekten  (Flöhe,  Läuse,  Federlinge, 
einige  Ameisen  usw.)  liegen  sie  an  den  Seiten  des  Kopfes,  wo  sie  die 
Stelle  der  zusammengesetzten  Augen  einnehmen.  Was  bei  den  Imagines 
Ausnahme  ist,  ist  bei  den  (echten)  Larven  Regel,  d.  h.  bei  ihnen  liegen  die 
Ocellen  stets  an  den  Seiten  und  stellen  überhaupt  die  einzigen  Sehorgane 
dar.  Während  die  Zahl  der  scheitelständigen  Ocellen  auf  1^ — 3  fixiert  ist, 
ist  dieselbe  bei  den  seitlichen  Ocellen  großen  Schwankungen  unterworfen; 
so  sind  es  deren  bei  den  Springschwänzen  bis  8,  bei  den  Silberfischchen  12, 
bei    den  Flöhen    und  Läusen    nur   je  1,    bei   den  Käferlarven    1 — 6,    bei  den 

1)  In  der  Darstellung  der  Sehorgane  folge  ich  in  erster  Linie  Hesse,  dem 
wir   die   umfassendsten    Untersuchungen   in    dieser    Beziehung    verdanken. 


Nervensystem  und  Sinnesorgane. 


99 


Afterraupen  der  ßlattwespen  1,  bei  den  echten  Raupen  der  Schmetterlinge 
6 — 7  usw. 

Der  feinere  Bau  der  Ocellen  ist  recht  verschieden,  doch  lassen  sich  stets 
folgende  Teile  daran  unterscheiden:  zu  äußerst  die  biconvexe,  durchsichtige 
Linse,  hinter  dieser  liegt  eine  gleichfalls  durchsichtige,  aus  der  Hypodermis  ent- 
standene Zellenlage,  der  Glaskörper,  und  auf  sie  folgt  nach  innen  die  Sinnes- 
zellenschichte, die  Netzhaut  oder  Retina.  Die  Netzhautzellen  bestehen 
an  ihrem  der  Linse  zugewandten  Ende  aus  Stäbchen  (Rhabdomen),  welche 
die  eigentliche  Lichtwahrnehmung  vermitteln,  und  gehen  an  dem  anderen  in  die 
Fasern  des  Sehnervs  über  (Fig.  86).  Die  Verschiedenheiten  im  Bau,  auf  die  hier 
nicht  näher  eingegangen  werden  kann,  beziehen  sich  auf  die  Dicke  der  Linse,  auf 
die  Form  und  Zusammensetzung  der  unter  der  Linse  liegenden  Zellenschichte  und 
auf  die  Zahl  und  Form  der   Netzhautzellen  usw. 

Die  zusammengesetzten  Augen,  die  stets  an  den  Seiten  des  Kopfes 
liegen  (und  daher  im  Gegensatz  zu  den  Stirnaugen  auch  als  Seitenaugen 
bezeichnet  werden),  kann  man  sich  durch  den  Zusammenschluß  einer  größeren 


Fig.  85.    Kopf  einer  Schlupfwespe.   '/j  n. 

Gr.    a  die  3  Punktaugen ;  66  die  paarigen 

Seitenaugen;  cc  die  Fühler.  —  (N.) 


Fig.  86.    Stiinocelle  einer  Blattlaus  (Medianschnitt).    1  u. 

2  Cuticula;  3  Linse;  4  Corneabildungszellen;  5  Sehzellen 

mit  ihren  Rhabdomen  (si.    Nach  Hesse. 


Zahl  von  Ocellen  entstanden  denken.  Äußerlich  läßt  sich  die  Zusammen- 
setzung daran  erkennen,  daß  die  Oberfläche  in  eine  größere  oder  kleinere 
Anzahl  von  meist  sechseckigen  Feldern  oder  Facetten  zerfällt,  von  denen 
jede  der  Linse  eines  Ocellus  entspricht. 

Die  Größe  der  Netzaugen  ist  sehr  verschieden;  während  sie  bei  den 
meisten  Insekten  nur  einen  Teil  der  Seitenflächen  des  Kopfes  einnehmen 
und  daher  durch  die  Stirn  getrennt  werden,  stoßen  sie  bei  anderen,  z.  B. 
bei  den  Drohnen  der  Honigbiene,  in  der  Mitte  zusammen,  und  bei  den 
Männchen  einer  Mückengattung,  Bibio,  nehmen  sie  die  gesamte  freie  Kopf- 
fläche ein  (Fig.  88). 

Die  Anzahl  der  sie  zusammensetzenden  Facetten  kann  von  einigen  20 
bis  zu  vielen  Tausenden  wechseln.  So  hat  z.  B.  Pse/aphus,  ein  kleiner  Käfer, 
20,  die  Stubenfliege  4000,  der  Weidenbohrer  11000,  eine  Wasserjungfer  12000, 
der  Schwalbenschwanz  17  000  und  ein  anderer  kleiner  Käfer  Mordella, 
25000  Facetten  in  jedem  Auge. 

Die  Form  der  Netzaugen  ist  meist  rund,  wird  aber  häufig  länglich,  und 
bei  vielen  Käfern  vorn  nierenförmig  eingebuchtet.  In  dieser  niei  enförmigen 
Einbuchtung    der   Augen    lenken    sich    häufig    die    Fühler   ein,    und    es   kann 


100      Kapitel  III.     Der  innere  Bau  der  Insekten  (Anatomie  und  Physiologie). 


der  Einschnitt    so    tief   werden,    daß    die    obere    und  untere  Augenhälfte  sich 
nur  in  einem  Punkte  berühren,  z.  B.  bei  gewissen  Borkenkäfern,  PolygraphuSy 


A  B  C  D  E  F  G 

Fig.  87.  Augenformen  von  Käfern.  A  Calosoma:  rundes  Auge;  B  Chrysolothrys:  ovales  Auge; 
C  Prionus:  nlerenförmiges  Auge;  D  Polygraphus :  von  der  Fühlergrube  eingeschnittenes  Auge;  E  Geo- 
trupes:  von  einer  Leiste  des  Kopfschildes  eingeschnittenes  Auge;  F  Tetropium:  Augen  zweigeteilt, 
aber  durch  eine  kleine  Facetten  tragende  Leiste  verbunden;  G  Gyrinus:  Augen  zweigeteilt,  jeder- 
seits  ein  oberes  und  ein  unteres  Auge  bildend.  Die  Größenverhältnisse  der  Köpfe  untereinander 
blieben  unbeachtet.  —  (N.) 


oder  bei  Bockkäfern,  Tetropium;  andererseits  werden  die  Augen  auch  mit- 
unter durch  deij  Rand  des  Kopfes  in  eine  obere  und  untere  Hälfte  geteilt, 
/^— 1^  z.    B.    bei    den    gew^öhnlichen    Grabkäfern 

y  i  11  Geotrupes,  und  den  Taumelkäfern,  Gyrinus, 

^=^y     ir%>^  unserer  stehenden  Gewässer.   Hier  erscheint 

•'  die   Sonderung    der  Augen    in   ein   oberes 

und  unteres  Paar  vollendet  (Fig.  87). 

Der  feinere  Aufbau  der  zusammengesetzten 
Augen  ist  sehr  einförmig,  indem  jedes  Einzel- 
auge (Augenkeil,  Ommatidium)  durch  annähernd 
die  gleiche  Zahl  von  Zellen  gebildet  wird.  Zu 
äußerst  liegt  die  L  i  n  s  e  (C  o  r  n  e  a),  die  meist  einen 
sechseckigen  Umriß  besitzt,  darauf  folgen  nach 
D        •       w       '  innen  vier  Zellen,  welche  den  lichtbrechenden 

Kegel     bilden     und     als     Kegelzellen     be- 
zeichnet werden,  und  auf  diese  folgen  endlich 


Fig.  88.  Köpfe  verschiedener  Insekten,  um 
die  verschiedene  Ausdehnung  und  Vor- 
ragung der  Augen.  A  von  der  Feuerwanze 
(Pyrrhocoris) ;  B  von  der  Arbeitsbiene; 
C  von  der  Drohne ;  D  von  einer  männlichen 
Mücke  {Bibio).  —  (N.) 


Fig.  89.    Augenkeil  A  eines  aconen,  B  eines  pseudoconen, 
C  eines  euconen  Auges.    L  Linse;  Kz  Kegelzelle;  Pi  Pig- 
mentzelle; Sz  Sehzelle  mit  dem  Rhabdom  (R). 


sieben  bis  zehn  langgezogene  S  e  h  z  e  1  1  e  n.  Letztere  treten  zu  einem  keil- 
förmigen Bündel  zusammen,  und  besitzen  auf  ihren  inneren  Längsseiten  (d.  h.  der 
Achse  des  Augenkeiles  zugekehrt)  die  lichtrezipierenden  Teile,  d.  s.  feine  Stäbchen- 
säume, die  zu  einem  einheitlichen  Stab  oder  Rhabdom  verschmelzen  können. 
Am  zentralwärts  gelegenen  schmalen  Ende  treten  die  Sehzellen  mit  den  Fasern  des 


Nervensystem  und  Sinnesorgane.  101 

Sehnervs  in  Verbindung.  Um  jeden  Augenkeil  ist  ein  mehr  oder  weniger  aus- 
gedehnter Pigment  m  ante!  gelegt,  welcher  als  optischer  Isolator  dient.  — 
Je  nach  der  Beschaffenheit  der  Kegelzellen  unterscheidet  man  drei  verschiedene 
Typen  von  Augen:  acone,  pseudocone  und  e  u  c  o  n  e.  Bei  den  aconen  Augen 
haben  die  Kegelzellen  ihre  Zellennatur  unverändert  beibehalten  (Zellkegel); 
bei  den  pseudoconen  haben  die  Kegelzellen  nach  außen  gegen  die  Linse  zu  eine 
durchsichtige  Sekretmasse  abgeschieden  (Sekretkegel),  und  bei  den  euconen 
ist  der  gesamte  Zellinhalt  in  eine  Masse  von  kutikularer  Konsistenz  und  hoher 
Lichtbrechung  umgewandelt,  der  die  Kerne  distal  aufliegen  (Kristallkegel) 
(Fig.  89).  Zell-  und  Sekretkegel  verhalten  sich  bez.  der  Lichtbrechung  anders 
als  die  Kristallkegel,  wovon  unten  noch  die  Rede  sein  wird. 

Nach  dem  hier  geschilderten  Bau  leuchtet  es  ein,  daß  jeder  einzelne 
Augenkeil  für  sich  arbeitet,  d.  h.  nur  einen  einheitlichen  Reiz  in  sich 
aufnehmen  kann;  —  wenigstens  wenn  die  Pigmentscheide  so  angeordnet  ist, 
daß  lediglich  die  in  die  Längsachse  des  Keiles  fallenden  Strahlen  bis  zu  den 
lichtempfindlichen  Elementen  durchdringen  können.  So  gelangt  z.  B.  auf  dem 
beigegebenen  Schema  (Fig.  90)  von  allen  von  der  Spitze  A  des  Pfeiles  AF 
auf  das  Netzauge  fallenden  Strahlen,  also  von  allen  zwischen  al  und  aV  vor- 
handenen, nur  der  durch  die  Linie  a  dargestellte  Strahl  bis  zum  Punkte  AI, 
während  alle  anderen  Strahlen,  z.  B.  aH  bis  alV  von  Pigmentscheiden  aufgefangen 
werden.  Dasselbe  gilt  von  den  von  den  Punkten  B — F  des  Pfeiles  ausgehenden 
Strahlen,  so  daß  also  lediglich  die  Strahlen  a,  b,  c,  d,  e  und  f  bis  zu  den  licht- 
empfindlichen Nervenendigungen  der  Einzelaugen  6 — 11  gelangen  und  hier  ein 
aus  sechs  Einzeleindrücken  zusammengesetztes,  verkleiner- 
tes, gekrümmtes,  aber  aufrecht  stehendes  Bild  (AI  FI)  des  Pfeiles 
erzeugen.  Da  das  Bild  wie  Mosaik  aus  lauter  Teilstückchen  zusammengesetzt  ist,  so 
hat  man  das  Sehen  mittels  Facettenaugen  als  musivisches  Sehen  bezeichnet 
(J  o  h.  Müller).  Und  wie  ein  Mosaik  um  so  genauer  ist,  je  feiner  die  Stückchen 
sind,  aus  denen  es  zusammengesetzt  ist,  so  wird  auch  das  Bild  im  Facetten- 
auge um  so  detaillierter  und  schärfer  sein,  je  zahlreicher 
die  Augenkeile  sind,  die  in  einem  gegebenen  Winkel  Platz  haben.  So 
fassen  z.  B.  die  Schenkel  eines  Winkels  von  40  Grad  im  Auge  des  Windigschwärmer 
(sp,  Sphinx  convnlvuli)  50 — 60  Augenkeile  zwischen  sich,  beim  Gelbrandkäfer  nur  30 
und  beim  Ohrwurm  nur  5 — 6.  Danach  sieht  also  der  Windigschwärmer  10  mal 
schärfer  als  der  Ohrwurm. 

Die  so  erzielte  Erhöhung  der  Sehschärfe  bringt  aber  einen  Nach- 
teil mit  sich,  daß  nämlich  das  Sehfeld  verkleinert  wird.  Denn,  damit  mög- 
lichst viele  Augenkeile  in  einen  gegebenen  Winkel  fallen,  dürfen  diese  möglichst 
wenig  divergieren,  wodurch  aber  natürlich  das  Sehfeld  kleiner  wird.  Um  diesen 
Nachteil  auszugleichen,  ist  bei  vielen  Insekten  eine  Arbeitsteilung  durchgeführt, 
in  der  Weise,  daß  „in  einem  Teil  des  Auges  die  Augenkeile  stark  divergieren,  also 
ein  großes  Sehfeld  bei  geringer  Bildschärfe  beherrschen,  während  in  einem  anderen 
Teil  die  Divergenz  gering  und  daher  die  Bildschärfe  groß,  das  Sehfeld  aber  klein 
ist".  Die  Vergrößerung  des  Sehfeldes  kann  aber  auch  durch  die  Bewegung 
der  Augen  erzielt  werden.  Da  jedoch  die  Augen  der  Insekten  unbeweglich 
mit  der  Kopfkapsel  K  verbunden  sind,  so  bleibt  nichts  anderes  übrig,  als  den 
ganzen  Kopf  zu  bewegen.  Und  so  können  wir  bei  solchen  Insekten,  deren  Lebens- 
weise ein  möglichst  großes  Sehfeld  erheischt,  wie  bei  den  Libellen,  Raubfliegen  usw., 
eine   auffallend   große   Beweglichkeit   des   Kopfes   konstatieren. 

Der  Kleinheit  der  Linsenoberfläche  entspricht  die  geringe  Licht- 
stärke des  Facettenauges.  Dieser  Nachteil  kann  dadurch  gemindert 
werden,  daß  die  Augenkeile  möglichst  lang  werden,  wodurch  die 
Facetten  natürlich  größer  werden.  Äußerlich  macht  sich  diese  Verlängerung  durch 
eine  mächtige  Auftreibung  der  Augen  bemerkbar,  wie  wir  dies  z.  B.  bei  den 
Männchen  vieler  Eintagsfliegen,  die  infolge  ihres  Dämmerungslebens  einer  be- 
sonders hohen  Lichtstärke  bedürfen,  sehen  können  (sog.  „Turbanaugen").  — 
Oder    aber    die    Vermehrung    der    Lichtmenge    geschieht    durch    eine    Ü  b  e  r  e  i  n  - 


102      Kapitel  III.     Der  innere  Bau  der  Insekten  (Anatomie  und  Physiologie). 


anderlagerung  von  Strahlenbündeln  aus  verschiedenen  benach- 
barten Kegeln  in  einem  Rhabdom.  Ein  solcher  Fall  tritt  nur  bei  den  euconen 
Augen  ein,  indem  die  Kristallkegel  das  Licht  so  brechen,  daß  die  Strahlen  zu 
dem  zugeordneten  Rhabdom  nicht  nur  durch  den  zugeordneten  Kegel,  sondern 
auch  durch  dessen  Nachbarkegel  gelangen,  wie  aus  Fig.  91  deutlich  zu  ersehen  ist. 
„Anstatt  des  nur  auf  eine  Oberfläche  fallenden  Lichtes  kommt  daher  die  6  fache 
oder  18  fache  Lichtmenge  mehr  zu  dem  Rhabdom,  je  nachdem  nur  die  zunächst 
oder  auch  die  in  zweiter  Linie  benachbarten  Kristallkegel  für  diese  Strahlen- 
brechung in  Betracht  kommen."  Man  nennt  solche  aus  übereinandergelagerten 
Strahlenbündeln  entstandenen  Bilder  Superpositionsbilder  im  Gegensatz 
zu  den  oben  geschilderten  und  in  Fig.  90  dargestellten  Appositionsbildern. 
Natürlich  muß  bei  den  Superpositionsaugen  die  zwischen  dem  Kristallkegel 
und  dem  Rhabdom  gelegene  Zone  pigmentfrei  sein,  so  daß  die  von  den  Nach- 
barkeilen herkommenden  Strahlen  eintreten  können.     Und  so  finden  wir  auch  bei 


Fig.  90.  Schematische  Darstellung  der  Wirl 
weise  eines  Netzauges.  —  (N.) 


Fig.   91.     Schematische   Darstellung   des   Strahlen- 
gangs im  Superpositionsauge.    Nach  Hesse. 


solchen  Augen  die  Erscheinung  der  Pigmentwanderung:  bei  hellem 
Sonnenlicht  sind  die  Augenkeile  durch  eine  ausgedehnte  Pigmentscheide  vonein- 
ander isoliert,  so  daß  keine  Strahlen  von  den  Nachbarkegeln  eintreten  können  und 
ein  einfaches  Appositionssehen  stattfindet.  „Im  Dämmerlicht  dagegen  wandert  das 
Pigment  gegen  die  Augenoberfläche,  häuft  sich  zwischen  den  Kristallkegeln  an  und 
gibt  die  mittlere  Zone  für  die  durchgehenden  konvergenten  Strahlen  frei.  Super- 
positionsaugen  treffen  wir  hauptsächlich  bei  Dämmerungstieren, 
wie  vor  allem  bei  Nachtschmetterlingen  und  sodann  auch  bei  vielen  Käfern,  wie 
z.  B.  bei  den  Glühwürmchen  usw. 

Während  über  die  Funktion  und  die  Bedeutung  der  zusammengesetzten  Augen 
schon  seit  langem  eine  ziemliche  Übereinstimmung  herrscht,  ist  man  über  die 
Bedeutung  der  Stirnocellen  bis  vor  kurzem  im  Dunkeln  getappt.  An 
Meinungen  hat  es  allerdings  nicht  gefehlt,  doch  keine  konnte  recht  befriedigen. 
Nach  den  einen  sollten  die  Stirnaugen  zur  Regulation  der  Körperhaltung  beim  Fluge 
dienen,  nach  den  anderen  zum  Fernsehen,  und  wieder  nach  anderen  zum  Nacht- 
sehen oder  zum  Dämmerungssehen,  oder  zur  Orientierung  nach  dem  Licht,  oder 
man  brachte  sie  in  Beziehung  zur  schnellen  Fortbewegung  usw.  Endlich  wollten 
eine    Anzahl    Forscher    den    Stirnaugen    eine    besondere    Funktion    überhaupt    ab- 


Nervensystem  und  Sinnesorgane.  103 

sprechen.  —  Nun  ist  in  neuester  Zeit  D  e  m  o  1  1  mit  einer  Anschauung  hervor- 
getreten, die  einer  Lösung  des  Problems  nahe  zu  kommen  scheint.  Nach  D  e  m  o  1 1 
wirken  die  Ocellen  nicht  für  sich  allein,  sondern  nur  in  Verbindung  mit 
den  Seitenaugen,  und  zwar  in  dem  Sinne,  daß  sie  das  Insekt  in  den 
Stand  setzen,  die  Entfernung  der  gesehenen  Gegenstände  zu 
empfinden  (Entfernungslokalisation).  Auf  welche  Weise  durch 
die  Verkettung  der  Impulse  der  beiden  Augenarten  eine  Entfernungslokalisation 
zustande  kommen  kann,  läßt  sich  am  besten  aus  der  beistehenden  Fig.  92  ersehen, 
dieselbe  stellt  einen  Frontalschnitt  durch  den  Kopf  der  Skorpionfliege  {Panorpa 
communis)  dar,  auf  dem  sowohl  der  laterale  Ocellus  sowie  das  Facettenauge  ge- 
troffen sind.  Nehmen  wir  nun  einen  beliebigen  Objektpunkt  (J)  —  die  Ent- 
fernungen der  Objekte  sind  hier  aus  praktischen  Gründen  sehr  kurz  gewählt  —  so 
ist  leicht  zu  verstehen,  daß  dieser  Punkt  in  einer  bestimmten  Entfernung  jeweils 
auf  dieselbe  Sehzelle  im  Facettenauge  (P)  und  auf  dieselben  im  Ocellus  (A)  einen 
Reiz  ausüben  muß.  Verschiebt  sich  das  Objekt  J  in  der  Richtung  gegen  K  zu,  so 
wird  zwar  im  Facettenauge  stets  das  gleiche  Rhabdom  affiziert  werden.  Im 
Ocellus  dagegen  wandert  der  Ort  des  Bildpunktes  von  A  nach  B,  und  zwar  so, 
daß    jedem    Punkt    auf    der    Geraden    K^J    ein    besonderer    Bildpunkt    entspricht. 


Fig.  92.    Funktion  der  Ocellen.    Nach  Dem  oll. 

Verschiebt  sich  andererseits  der  Punkt  J  gegen  L  zu,  so  bleibt  die  Affektions- 
stelle im  Ocellus  dieselbe,  während  die  des  Facettenauges  von  P  nach  Q  wandert. 
Hieraus  ersieht  man,  daß  bei  einer  bestimmten  Lage  des  Objekts  jeweils  in  den 
beiden  Augen  zwei  ganz  bestimmte  Sehzellen  gereizt  werden  oder  umgekehrt; 
werden  in  den  beiden  Augen  zwei  Partien  von  demselben  Objekt  aus  affiziert,  so 
muß  sich  auch  das  Objekt  in  einer  ganz  bestimmten  Entfernung  befinden.  Diese 
Tatsache  gibt  die  Möglichkeit  an  die  Hand,  durch  Verkettung  der  Erregungen 
beider  Augen  eine  Entfernungsempfindung  entstehen  zu  lassen  (D  e  m  o  1 1  und 
S  c  h  e  u  r  i  n  g). 

Eine  ganze  Anzahl  von  Insekten  sind  vollkommen  augenlos.  Es 
handelt  sich  dabei  stets  um  eine  Verkümmerung  der  Augen,  infolge 
Dunkellebens.  Daher  finden  wir  blinde  Formen  hauptsächlich  unter 
solchen  Insekten,  welche  in  Höhlen  leben  oder  unter  Steinen  oder  im  Holz 
usw.  Die  bekanntesten  Beispiele  sind  die  Höhlenlaufkäfer  {Anophthalmtis), 
dann  verschiedene  bei  Ameisen  lebende  Käfer  (Ameisengäste),  ferner  die 
Arbeiter  der  meistenteils  unterirdisch  lebenden  Termiten  usw.  Noch  mehr 
augenlose  Formen  als  unter  den  Imagines  gibt  es  unter  den  Larven,  von 
denen  nur  an  die  Fliegenmaden,  an  die  Larven  der  Bienen,  Ameisen  und 
Wespen,     der    Schlupfwespen,     der    Borken-     und     Bockkäfer    erinnert    sei. 


104      Kapitel  III.     Der  innere  Bau  der  Insekten  (Anatomie  und  Physiologie). 

Übrigens  sind  diese  augenlosen  Insekten  keineswegs  jeder  Lichtempfindung 
bar,  sondern  viele  von  ihnen  reagieren  ganz  deutlich  auf  hell  und 
dunkel.  Besonders  auffallend  ist  dies  bei  den  Fliegenmaden,  die  sogar  die 
Richtung  der  Strahlen  unterscheiden  können.  Man  nimmt  an,  daß  solche 
Empfindungen  durch  die  Haut  (resp.  Hautsinnesorgane)  übermittelt  werden, 
weshalb  man  auch  von  einem  photodermatischen  Sinn  der  Insekten 
spricht  (Grab er).  Damit  soll  aber  nicht  gesagt  sein,  daß  diese  Insekten 
vermittelst  der  Haut  „sehen"  können;  sondern  die  photodermatischen  Ein- 
drücke dürfen  viel  eher  unseren  Empfindungen  von  Wärme  und  Kälte,  oder 
Schmerz  oder  Berührung  usw.  als  unseren  optischen  Empfindungen  verwandt 
sein,  so  daß  also  das  Licht,  resp.  seine  Intensitätsabstufungen  und  die  Länge 
der  Wellen,   wohl  nur  „gefühlt"  wird. 

Fortpflanzungsorgane. 

Die  Insekten  sind  normalerweise  fast  ausschließlich  getrennten  Ge- 
schlechtes.     Nur    in    ganz    seltenen    Fällen    kommt    Hermaphroditismus    als 

normale  Erscheinung  vor,  nämlich  bei 
einigen  in  Termitenbauten  Ostindiens 
lebenden  winzigen  Fliegen  (Termi- 
toxenien),  die  auch  sonst  —  in  An- 
passung an  die  parasitische  Lebens- 
weise —  die  sonderbarsten  Um-  und 
Rückbildungen  zeigen.^)  —  Patholo- 
gische Zwitter,  auf  anormalen  Ent- 
wicklungsvorgängen beruhend,  kom- 
Fig.   93.     Lateraler    HerDiaphroditismus    eines      men  dagegen  durchaus  nicht  SO  selten 

SchmetterlinKS    [Ocnei-ia    dispar).    Links    \»' eiblich,  i  •        j  u'    J 

, /^     ..    ,.  ,  ,       L     ,    .  ,  vor,    und  zwar  m  den  verschiedenen 

rechts  männlich  (aus  Hertwig).  ' 

Insektenordnungen.  Am  eingehendsten 
hat  man  dieselben  bei  den  Schmetterlingen  und  Ameisen  studiert.  Bezüg- 
lich der  Verteilung  der  männlichen  und  weiblichen  Charaktere  herrscht 
(wenigstens  bei  den  Ameisen)  die  größte  Mannigfaltigkeit,  so  daß  man  kaum 
zwei  Formen  findet,  die  nach  genau  dem  gleichen  Schema  gebaut  sind. 

Im   allgemeinen  unterscheidet  man  folgende  Kategorien  von   Zwittern: 

Laterale  Hermaphroditen:  rechts  weiblich,  links  männlich  oder 
umgekehrt  (Fig.  93). 

Transversale  Hermaphroditen:  dorsal  weiblich,  ventral  männ- 
lich oder  umgekehrt. 

Frontale  Hermaphroditen:  vorn  weiblich,  hinten  männlich  oder 
umgekehrt. 

Geinischte  Hermaphroditen:  unregelmäßige  Verteilung  der  zwei 
Geschlechter. 

Die  Zwitter  sind  natürlich  um  so  auffallender,  je  größer  der  sexuelle  Dimor- 
phismus ist,  d.  h.  je  verschiedener  gestaltet  Männchen  und  Weibchen  sind.  Die 
auffälligste  Form  entsteht  da,  wo  das  eine  Geschlecht  geflügelt,  das  andere  unge- 
flügelt ist  (z.  B.  Frostspanner),  indem  hier  beim  lateralen  Hermaphroditismus  ein 
Tier  entsteht,  welches  auf  der  einen  Seite  ausgebildete  Flügel  besitzt,  auf  der 
anderen  Seite  dagegen  vollkommen  flügellos  ist. 

0  Der  Hermaphroditismus  von  Termitoxnia  wird  neuerdings,  wie  oben  schon 
erwähnt,  bestritten. 


Fortpflanzungsorgane.  105 

Im  Bau  der  Fortpflanzungsorgane  läßt  sich  in  den  beiden  Ge- 
schlechtern der  gleiche  Grundplan  erkennen,  und  können  wir  überall 
folgende  Hauptteile  unterscheiden:  (siehe  Fig.  94  u.  99)  ein  Paar  Geschlechts- 
oder Keimdrüsen  (Hoden,  Eierstock),  in  denen  die  Geschlechtsprodukte 
(Samen,  Eier)  gebildet  werden;  ferner  paarige  Ausfuhr kanäle  (Samen- 
leiter oder  Vasa  deferentia,  Eileiter  oder  Ovidukte),  welche  die  Geschlechts- 
produkte von  den  Keimdrüsen  aufnehmen;  und  endlich  ein  unpaarer 
Endkanal  (Samengang  oder  Ductus  ejaculatorius.  Scheide  oder  Vagina), 
in  welche  jene  paarigen  Kanäle  münden,  und  welche  die  Geschlechtsprodukte 
nach  außen  leiten.  Zu  diesen  Hauptteilen  kommen  noch  folgende  Neben- 
resp.  Anhangsteile:  Schleim-  oder  Kittdrüsen,  welche  Sekrete  für 
verschiedene  Zwecke  liefern,  und  welche  in  verschiedener  Zahl  und  an  ver- 
schiedenen Stellen  (entweder  an  den  paarigen  Kanälen  und  dem  unpaaren 
Kanal)  auftreten  können;  ferner  Erweiterungen  oder  Ausstülpungen 
der  ausführenden  Kanäle,  welche  zur  Aufbewahrung  der  Geschlechts- 
produkte oder  Aufnahme  der  Begattungsorgane  dienen. 

Ihrer  Entstehung  nach  setzen  sich  die  Geschlechtsorgane  aus  zwei 
differenten  Teilen  zusammen:  der  unpaare  Endkanal  entsteht  nämlich  als 
Hauteinstülpung,  ist  also  ektodermal  und  daher  meist  mit  einer  Chitin- 
cuticula  ausgekleidet,  während  die  paarigen  Abschnitte  (Keimdrüsen 
nebst  Ausführgängen)  aus  dem  Mesoderm  hervorgehen  und  daher  stets  ohne 
Cuticula  sind.  Die  beiden  so  (unabhängig  voneinander)  entstandenen  Abschnitte 
wachsen   einander   entgegen,   um    sich   schließlich   miteinander   zu    verbinden. 

Nur  bei  wenigen  Insekten  (Eintagsfliegen,  Termitenweibchen,  manchen 
Ohrwürmern,  Proturenmännchen  usw.)  fehlt  der  unpaare  Endkanal,  so  daß  die 
paarigen  Ausfuhrgänge  direkt  nach  außen  münden,  und  demnach  auch  paarige 
Geschlechtsöffnungen  vorhanden  sind. 

Die  gesamten  Fortpflanzungsorgane  liegen  stets  im  Hinterleib,  dessen 
Lumen  sie,  wenigstens  im  weiblichen  Geschlechte,  im  reifen  Zustand,  oft 
zum  größten  Teil  einnehmen.  Die  Geschlechtsöffnung  liegt  beim  Männchen 
zwischen  dem  9.  und  10.,  beim  Weibchen  zwischen  dem  8.  und  9.  Hinter- 
leibssegment. 

Die  weiblichen  Fortpflanzungsorgane. 

Die  weiblichen  Keimdrüsen,  die  Eierstöcke  oder  Ovarien,  bestehen 
aus  einer  größeren  oder  geringeren  Anzahl  von  Eir obren.  Diese  sind  kurz 
vor  der  Stelle,  wo  sie  dem  Eileiter,  resp.  dem  erweiterten  Endteil  desselben, 
dem  sog.  Eikelch,  aufsitzen,  am  breitesten,  um  sich  nach  vorne,  nach  der  Spitze 
zu,  allmählich  zu  verjüngen.  Hier  gehen  sie  in  einen  feinen  Faden,  den  sog. 
End faden,  über,  durch  den  sie  an  der  Rückenwand  in  der  Nähe  des  Herzens 
befestigt  werden.  In  diesen  Eiröhren  entstehen  die  Eier  in  linearer  Aneinander- 
reihung, so  daß  das  dem  Eikelch  zunächst  gelegene  das  reifste  und  größte, 
das  am  weitesten  nach  der  Spitze  zu  gelegene  das  jüngste  und  kleinste  ist. 
Da  die  Wandungen  der  Eiröhren  sich  (teils  durch  Muskeln)  dicht  den  Eiern 
anschmiegen,  so  nehmen  die  Röhren  perlschnurartige  Gestalt  an  (Fig.  96). 

Jede  Eiröhre  besteht  aus  einer  bindegewebigen,  häufig  mit  Muskelfäden 
bekleideten  Membran,  welche  einen  aus  Zellen  bestehenden  Inhalt  umschließt. 
Dieselben  sind  zweierlei  Natur,  indem  die  einen  einfache  Epithelzellen 
darstellen,    welche    zur  Auskleidung   der  Eiröhren,    resp.   zur  Umhüllung   der 


106      Kapitef 


Der  innere  Bau  der  Insekten  (Anatomie  und  Physiologie). 


Eier  dienen  (Hüll-  oder  Follikelzellen),  während  in  den  anderen  die 
eigentlichen  Keimzellen  zu  erblicken  sind.  Von  den  letzteren  wird  aber 
gewöhnlich  nur  ein  Teil  zu  wirklichen  Eiern,  während  die  übrigen  zur  Er- 
nährung der  Eier  als  sog.  Nährzellen  verwendet  werden.  Nur  bei  niederen 
Insekten  (ganz  ausnahmsweise  auch  bei  höheren  [Floh])  kommt  es  vor, 
daß  sämtliche  in  den  Eiröhren  vorhandenen  Keimzellen  zu  Eiern 
heranwachsen.  In  diesem  Falle  spricht  man  von  panoistischen,  in  jenem 
von  meroistischen  Eiröhren.  Letztere  lassen  wiederum  zwei  verschiedene 
Typen  unterscheiden,  je  nachdem  alle  Nährzellen  im  vorderen  Ende  der 
Eiröhren,  in  einer  besonderen,  oft  kolbig  angeschwollenen  Nährkammer 
liegen  (Eiröhren  mit  endständiger  Nährkammer  oder  telol  rophe  Eiröhren), 
oder   aber   die  Nährzellen    über  die  ganze  Eiröhre  verteilt  und  zwischen  den 


■Edf. 


£d/: 


A  B 

Fig.  94.    Schematische  Darstellung:  der  weiblichen  Geschlechtsorgane.    A  mit  büschelförmigen,  B  mit 
kammförmigen  Ovarien.    JBfZf  Endfaden ;  £»•  Eiröhren;  Et  Eikelch;  Ei  Eileiter;   Sc?t  Scheide  (Vagina); 
ST  Begattungstasche  (Bursa  copulatrix);  ST  Samentasche  (Recept.  seminis);  Anh  Anhangsdrüse  der- 
selben; KB  Kittdrüse. 


Eizellen  gelagert  sind,  so  daß  also  Ei-  und  Nährkammern  miteinander  ab- 
wechseln (Eiröhren  mit  wechselständigen  Nährkammern,  oder  polytrophe 
Eiröhren).  Die  Ernährung  der  Eier  in  den  telotrophen  Eiröhren  geschieht 
in  der  Weise,  daß  von  der  endständigen  Nährkammer  Nähr-  oder  Dotterstränge 
zu  den  einzelnen  Eiern  ziehen,  durch  welche  den  letzteren  die  Nährsubstanzen 
zugeführt  werden  (Fig.  95  C,  ds). 

Ursprünglich,  d.  h.  im  unreifen  Ovarium  erscheinen  die  Zellen  der 
Eiröhren  noch  annähernd  gleichartig;  erst  allmählich  tritt  eine  deutliche 
Sonderung  ein,  die  sich  in  der  Größe  und  dem  Aussehen  kund  tut.  Dadurch 
entstehen  drei  Arten  von  Zellen:  1.  die  kleinen  Epithel-  oder  Follikel- 
zellen; 2.  die  größeren,  rundlichen  Nährzellen  und  3.  die  ganz  großen 
vereinzelten  Eizellen.  Sie  gruppieren  sich  in  bestimmten  Abständen  hinter- 
einander und  zwar  in  der  Weise,  daß  eine  Eizelle  und  eine  bestimmte  Anzahl 


Fortpflanzungsorgane. 


107 


von  Nährzellen  (z.  B.  bei  den  Bienen  48,  bei  den  Schmettertlingen  meist  5, 
bei  Chironoimis  nur  eine)  durch  einen  Mantel  von  Hüllzellen  zu  einem  Eiherd 
oder  Ei  fach  vereinigt  werden.  Die  Eizelle  schiebt  einen  Fortsatz  zwischen 
die  ihr  zunächst  liegenden  Nährzellen, 
um  die  ihr  bereiteten  Dotterstoffe  auf- 
zunehmen und  wächst  dabei  rasch  heran, 
ohne  daß  die  Nährzellen  merklich  kleiner 
werden.  Sobald  die  Eizelle  ihre  volle 
Größe  erlangt  hat,  resorbiei  t  sie  die  Nähr- 
zellen. Die  Hüllzellen  ziehen  sich  um 
das  Ei  zu  einer  einheitlichen  Schicht  zu- 
sammen und  sondern  eine  Cuticula  ab, 
welche  die  Eischale  bildet,  während 
unter  dieser,  von  der  Eizelle  aus,  noch 
eine  zweite,  sehr  feine  Haut,  die  sog. 
Dotterhaut,  entsteht  (Zander). 

Die  reifen  Eier  werden  durch 
Platzen  des  Hüllmantels  (Follikels)  aus 
der  Eiröhre  ausgestoßen  und  gelangen 
in  den  Eikelch,  Eileiter  usw.  Die  zurück- 
gebliebenen Follikelzellen  sammeln  sich 
an  der  Basis  des  Eifaches  an,  degenerieren 
fettig  und  erzeugen  gelbliche  Anhäu- 
fungen, die  sog.  „gelben  Körper"  oder 
„Corpora  lutea"  (Fig.  98  III,  L).  Diese 
stellen  demnach  ein  Kriterium  des  voll- 
zogenen Eidurchganges,  resp.  der  ge- 
schehenen Eiablage  dar  (Nüßlin). 

Die  Gestalt  des 
Eierstockes  hängt  ab 
einmal  von  der  Zahl  und 
Länge  der  Eiröhren  und 
sodann  von  der  Art  und 
Weise,  wie  die  Eiröhren 
dem  Eikelch  sich  anfügen. 
Man  hat  nach  diesen  Merk- 
malen eine  ganze  Anzahl 
von  Typen  aufgestellt,  die 
sich  aber  alle  mehr  oder 
weniger    leicht    auf    zwei 

Grundformen  zurück- 
führen lassen,  deren  Bau 
aus  der  beigegebenen 
schematischen  Figur  96 
ohne  weiteres  hervorgeht: 
trichterförmigem  Eikelch,    der   alle  Eiröhren   zu  einem  Büschel  vereinigt 


Fig.  95.  Verschiedene  Typen  von  Eiröhren. 
A  panolstiseh,  B  meroistisch  (polytroph),  C 
meroistisch  (telotroph).  €/■  Endfaden;  ek  End- 
kammer; efa  Eifächer;  fe  Follikelepithel;  df 
Nährkammer;  äs  Verbindungsstränge  zwischen 
End-  und  Etkammer  (aus  Lang). 


Flg.  96.  "Weibliche  Fortpflanzungsorgane  des  großen  Kiefern- 
spinners (Bombyx pini  L.)  (nach  Suc k o  w).  ER  die  vier  Eiröhren 
des  einen  Eierstockes,  der  andere  Eierstock  ist  abgeschnitten; 
pEL  paarige  Eileiter;  ST  Samentasche  mit  Anhangsdrüse;  KD 
Kittdrüsen;  Seh  Scheide;  sr Begattungstasche;  FG  Verbindungs- 
gang zwischen  Begattungstasche  und  Scheide.  —  (N.) 

nämlich  1.  die  büschelförmigen  mit  kurzem, 


108      Kapitel  III.     Der  innere  Bau  der  Insekten  (Anatomie  und  Physiologie). 


trägt;    2.  die  kammförmigen  mit  langgestrecktem,  schlauchförmigem 
Eikelch,  der  in  seiner  ganzen  Länge  mit  Eiröhren  besetzt  ist. 

Büschelförmige  Ovarien  finden  sich  bei  den  Orthopteren  (zahl- 
reiche panoistische  Eiröhren),  dem  größten  Teil  der  Coleopteren,  den  Lepidopteren 
(meist  4  lange  polytrophe  Eiröhren),  den  Hymenopteren  [2  [Andrena)  bis  180  (Honig- 
biene) polytrophe  Eiröhren],  den  brachyceren  und  pupiparen  Dipteren  (2 — 100 
polytrophe  Eiröhren),  den  Siphonapteren  (5  panoistische  Eiröhren)  u.  a.  — 
K  a  m  m  f  ö  r  m  i  g  e  Ovarien  kommen  vor  bei  den  Libellen,  den  Panorpaten, 
einem  Teil  der  Coleopteren  (Lampyriden,  Canthariden  usw.),  den  nematoceren 
Dipteren  u.  a. 

Die  Formen  der  Eierstöcke  resp.  die  Zahl  der  Eiröhren  steht  in  innigem 
Zusammenhang  mit  der  Eiproduktion  der  betreffenden  Art.  Je  zahlreicher 
und  je  länger  die  Eiröhren  sind,  desto  mehr  Eier  können  produziert  werden; 
und  andererseits  in  je  geringerer  Zahl  und  zugleich  je  kürzer  die  Eiröhren 
sind,  desto  geringer  ist  auch  die  Produktivität.  Ferner  können  wir  aus  der 
^o  Zahl  der  Eiröhren  auch  annähernd 

schließen,  wieviel  Eier  gleich- 
zeitig abgelegt  werden  können, 
insofern  als  nur  soviel  Eier  gleich- 
zeitig reifen  können,  als  Eiröhren 
vorhanden  sind. 

Bei  langlebigen  Insekten, 
welche  ihre  Eier  in  größeren 
Zwischenräumen  ablegen,  werden 
wir  demnach  in  den  meisten  Fällen 
nui  wenige,  aber  entsprechend 
lange  Eiröhren  mit  vielen  Eianlagen 
finden  (Borkenkäfer,  Rüsselkäfer 
usw.);  kurzlebige  Insekten  dagegen, 
welche  ihre  gesamte  Eiproduktion 
in  kurzer  Zeit  erledigen  müssen, 
werden  zahlreiche,  dafür  aber  kurze  Eiröhren  besitzen.  Die  Schmetterlinge 
machen  darin  allerdings  eine  Ausnahme;  sie  haben  im  allgemeinen  nur  ein 
kurzes  Imagoleben,  und  trotzdem  nur  wenig  Eiröhren  (in  der  Regel  nur  4, 
selten  mehr).  Dieser  scheinbare  Widerspruch  erklärt  sich  aber  daraus,  daß 
die  Eiröhren  der  Schmetterlinge  sehr  lang  sind,  und  daß  die  Eier  schon 
während  der  Puppenruhe  völlig  ausgebildet  werden,  so  daß  bereits 
bei  den  frischgeschlüpften  Schmetterlingen  eine  große  Zahl  fertiger  Eier  in 
den  Eiröhren  enthalten  sind. 

Die  Gestalt  der  Ovarien  kann  aber  auch  noch  durch  andere  Faktoren 
als  die  obengenannten  beeinflußt  werden,  so  vor  allem  durch  den  Grad  der 
Reife.  Keineswegs  alle  Insekten  treten  nämlich  mit  völlig  reifen  Geschlechts- 
organen in  das  Imagostadium  ein,  sondern  bei  einer  ganzen  Anzahl  findet 
die  Reifung  vielmehr  erst  während  des  Imagolebens  statt,  wie  z.  B.  bei 
den  Rüssel-  und  Borkenkäfern.  Untersuchen  wir  nun  ein  junges  Weibchen 
eines  solchen  Käfers,  so  treffen  wir  die  Ovarien  noch  ganz  klein  und  die 
einzelnen   Eiröhren    noch    kaum    angedeutet    (Fig.   98 1).     Anders    bei    einem 


Fig.  97.  Weibliche  Geschlechtsorgane  eines  Schwimm- 
käfers {Dißiscus)  (nach  Stein).  ER  Eiröhren;  ST 
Samentasche  ;-S2'D  Samentaschendrüse  ;ß3'Begattungs- 
tasche ;  EL  Eileiter  mit  drüsigen  Wandungen ;  KD  Kitt- 
drüsen; Seh  Scheide.  —  (N.) 


Fortpflanzungsorgane. 


109 


älteren,  ausgereiften  Weibchen  (Fig.  98 II):  Hier  sind  die  Eiröhren  mächtig 
entwickelt  und  durch  Einschnürungen  in  Eifächer  getrennt,  welche  von  der 
Nährkammer  bis  zum  Eikelch  allmählich  an  Größe  zunehmen  (Nüßlin). 


£  a  " 
a  <^  a   . 


M  -S   1^ 

I  2  fc, 


W)  ja         ^ 

O    a   .-   :3 

S  "St  «  .ä 
'S  «  '^  .p 

a  'i 


«    (-,  . 


ä  M 


Die  Eiröhren  münden  in  die  Eikelche,  die  sich  nach  hinten  in  die 
Eileiter  oder  Ovidukte  fortsetzen.  Diese  stellen  einfache  dünne  Schläuche 
dar  und  münden  in  den  unpaaren  Endkanal,  die  Scheide  (Vagina),  die 


110      Kapitel  III.     Der  innere  Bau  der  Insekten  (Anatomie  und  Pliysiologie). 

wie  oben  bereits  bemerkt,  als  eine  Hauteinstülpung  entstanden  ist  und  infolge- 
dessen mit  einer  Chitincuticula  ausgekleidet  ist. 

Bei  einigen  Insekten  machen  die  Eier,  bei  anderen  (Pupiparen)  sogar  die 
Larven  ihre  ganze  Entwicklung  in  der  Scheide  durch,  so  daß  sie  als  Puppen  ge- 
boren werden.  In  allen  diesen  Fällen  bezeichnet  man  die  Scheide,  die  auch  deutlich 
erweitert  ist,  als  Fruchthälter  oder  Uterus. 

An  der  Scheide  sitzen  gewöhnlich  eine  Anzahl  Anhangsgebilde, 
welche  sämtlich  durch  Ausstülpung  der  Scheidenwand  entstanden  sind  und 
daher  ebenfalls  eine  Chitinauskleidung  besitzen. 

Am  regelmäßigsten  kommt  die  Samentasche  (Receptaculum 
seminis)  vor,  welche  die  Funktion  hat,  den  Samen  aufzunehmen  und  auf- 
zubewahren. Da  viele,  ja  die  meisten  Insekten  nur  einmal  begattet  werden, 
so  muß  der  Samen  oft  lange  Zeit,  bis  zu  mehreren  Jahren  (Bienen  und 
Ameisen)  bewahrt  werden.  In  die  Samentasche  münden  häufig  noch  Drüsen, 
deren  Sekret  wohl  mit  der  Lebendigerhaltung  der  Samenfäden  in  Zusammen- 
hang steht.  Die  innere  Wand  der  Samentasche,  resp.  die  Chitinauskleidung, 
zeigt  oft  sehr  charakteristische  Bildungen,  wie  Wülste,  Borsten,  Haare  usw. 
Die  Samentasche  hängt  meist  durch  einen  kürzeren  oder  längeren  Gang  mit 
der  Scheide  direkt  zusammen;  oder  aber  sie  kann  auch  in  die  von  der 
Scheide  ausgestülpte  Begattungstasche  münden.  Bei  manchen  Insekten 
kommen  auch  mehrere  Sam entaschen  vor,  wie  z.  B.  bei  den  Tachinen, 
wo  sie  mitunter  in  der  Dreizahl  auftreten. 

Von  der  Samentasche  aus  geschieht  die  eigentliche  Be- 
fruchtung, indem  das  Weibchen  während  des  Durchgleitens  der  reifen  Eier 
durch  die  Scheide  Samenfädchen  aus  jener  austreten  läßt,  die  auf  die  Eier 
resp.  in  die  Micropylen  gelangen.  Manchmal  ist  der  Samentaschengang  mit 
kompliziertem  Pump-  und  Verschlußapparaten  versehen,  durch  welche  der 
Samen  gewissermaßen  aus  der  Tasche  herausgepumpt,  und  der  Durchtritt 
des  Samens  reguliert  wird.  Dies  ist  der  Fall  bei  der  Bienenkönigin,  die  es 
ja  bekanntlich  „in  der  Hand"  hat,  die  Eier  zu  befruchten  oder  unbefruchtet 
zu  lassen,  und  so  das  Geschlecht  zu  bestimmen  (unbefruchtete  Eier  ergeben 
die  Männchen). 

Neben  der  Samentasche  kommt  gelegentlich  an  der  Scheide  noch  ein 
zweiter  größerer  taschenförmiger  Anhang  vor,  die  sog.  Begattungstasche 
(Bursa  copulatrix)  die  dazu  dient,  das  männliche  Glied  bei  der  Begattung 
aufzunehmen.  Bei  den  Schmetterlingen  münden  Begattungstasche  und  Scheide 
völlig  getrennt  voneinander  nach  außen,  während  sie  innen  durch  einen 
engen  Kanal  miteinander  verbunden  sind  (Fig.  96). 

Außerdem  besitzt  die  Scheide  auch  noch  Anhangsdrüsen  (Kitt- 
oder Schmierdrüsen),  die  in  verschiedener  Zahl  auftreten  und  ver- 
schiedene Formen  aufweisen  können  (einfach  schlauchförmig  oder  mehrfach 
verzweigt  oder  sackförmig  usw.).  Ihre  Sekrete  dienen  dazu,  die  Eier  an  der 
Unterlage  festzukleben,  oder  aber  sie  mit  besonderen  Kokons  zu  umgeben, 
oder  die  in  Wasser  abzulegenden  Eier  in  Gallerte  (Laich)  einzubetten,  und 
noch  zu  vielen  anderen  Zwecken. 

Wie  aus  der  oben  gegebenen  Darstellung  hervorgeht,  kann  die  Unter- 
suchung  der  weiblichen  Geschlechtsorgane   wertvolle  biologische 


Fortpflanzungsorgane. 


111 


Aufschlüsse  liefern;  und  es  wurden  auch  in  der  Tat  manche  interessante 
und  für  die  Praxis  wichtige  Entdeckungen  (Generationsverhältnisse  der  Rüssel- 
und  Borkenkäfer)  nur  durch  eingehende  Berücksichtigung  der  weiblichen 
Geschlechtsorgane  ermöglicht.  Nach  Nüßlin  sind  es  hauptsächlich  folgende 
Punkte,  die  dabei  zu  beachten  sind: 

1.  Winzige,  nicht  in  Eifächer  gesonderte  Eiröhren  sind  ein  sicheres 
Kriterium  für  geschlechtlich  Unreife; 

2.  Perlschnurai  tig  gegliederte  lange  Eiröhren  zeigen  die  mehr  oder 
weniger  entwickelte  Reife  an; 

3.  Corpora  lutea   sind    ein  Kriterium    des    vollzogenen  Eidurchganges; 

4.  Gefüllte  Begattungs-  oder  Sa- 
mentaschen beweisen  die  voll- 
zogene Begattung; 

5.  Leere  Begattungs- oder  Samen- 
taschen beweisen  (wenigstens  in 
den  meisten  Fällen)  jungfräulichen 
Zustand. 

Auch  in  s^^stematischer  Beziehung 
liefern  die  weiblichen  Geschlechtsorgane 
mitunter  recht  brauchbare  Merkmale, 
wovon  im  speziellen  Teil  noch  mehrfach 
die  Rede  sein  wird. 

Die  männlichen  Fortpflanzungs- 
organe. 
Die  männlichen  Keimdrüsen,  die 
Hoden,  setzen  sich  meistens  aus  einer 
größeren  Anzahl  von  Blindschläuchen 
zusammen,  welche  in  der  Anlage  den 
Eiröhren  entsprechen,  aber  gemäß  dem 
geringeren  Volumen  der  produzierten  Samenmasse  wesendich  kleiner  bleiben 
als  jene.  In  einigen  Fällen  (Laufkäfer  u.  a.)  besteht  jeder  Hoden  nur  aus 
einem  einzigen  Blindschlauch,  der  dafür  aber  sehr  lang  und  zu  einem  dichten 
Knäuel  aufgewunden  sein  kann  (Fig.  100). 

Jeder  Hodenschlauch  besteht  aus  einer  äußeren  Hülle  und  einem 
zelligen  Inhalt.  Letzterer  enthält  —  wie  die  Eiröhi-en  —  zweierlei  Zellen: 
die  Epithel-  oder  Hüllzellen,  und  die  Keimzellen,  die  als  Ursamen- 
zellen  oder  Spermatogonien  bezeichnet  werden.  Sie  sind  ähnlich  an- 
geordnet wie  in  den  Eiröhren,  indem  eine  Anzahl  Ursamenzeilen  durch 
einige  Hüllzellen  zu  einem  Samenherd  (Spermatoc3'ste)  zusammengefaßt 
werden.  Aus  jeder  Ursamenzeile  entstehen  durch  Teilung  sog.  Samen- 
mutterzellen,  und  aus  diesen  die  Samenfäden.  Es  wird  also  im 
männlichen  Geschlecht  jede  Keimzelle  zur  Bildung  von  Geschlechtsprodukten 
verwendet,  während  im  weiblichen  Geschlecht,  wie  wir  gehört  haben,  nur 
ein  Teil  derselben  zu  wirklichen  Eiern  werden  und  die  anderen  zu  deren 
Ernährung   dienen.      Ein    weiterer    Unterschied    zwischen    Ei-    und    Samen- 


Fig.  99.  Schematische  Darstellung  der  mänu- 
lichen  Geschlechtsorgane.  Die  dicken  Linien 
stellen  die  ektodermalen,  die  dünnen  die  meso- 
dermalen  Abschniite  dar.  i?  Hoden ;  SL  Samen- 
leiter (Vas  deferens);  SB  Samenblase;  SG  (e)) 
Samengang  {DucUts  ejaeidatorius);  Dr^  u.  Ih:^ 
Kittdi'üsen  (Mesadenien  und  Ektadenien). 


112      Kapitel 


Der  innere  Bau  der  Insekten  (Anatomie  und  Physiologie). 


bildung    besteht    darin,    daß    dort    aus    einer    Keimzelle    stets    nur    ein    Ei, 
hier    aber   aus    einer  Keimzelle  mehrere  (vier)  Samenfäden  hervorgehen. 

Bezüglich  der  Gestalt  der  Hoden  herrscht 
eine  schier  unerschöpfliche  Mannigfaltigkeit.  Wo 
die  Schläuche  durch  eine  Hülle  zusammengefaßt 
und  bedeckt  sind,  stellen  die  Hoden  meist  runde 
oder   ovale    oder   nierenförmige   Körper   mit  glatter 


Oberfläche  dar  (Fig.  103). 


Fig.  100.  Der  eine  Hoden  eines 
Schwimmkäfers  (Di/^iscMs)  (nach 
Burmeister).  XblindesEnde 
des  einfachen  Hodenschlauches 
H;  SL  Samenleiter;  SL^  auf- 
geknäulter  Teil  desselben,  der 
sog.  Nebenhoden.  —  (N.) 


Fig.  101.  Männliche  Geschlechts- 
organe vom  großen  braunen  Rüssel- 
käfer (Hylobins  abietis  L.).  H Hoden  ; 
SL  paarige  Samenleiter ;  -D  Schleim- 
drüsen; SB  Samenblase  und  SG 
unpaarer  Samengang.  —  (N.) 


samen   Samenleiter   vereinigen   (Fig.    102).     Meistens 


Wo  aber  die  Schläuche 
frei  liegen,  da  nehmen 
die  Hoden  büschel-, 
trauben-  oder  beeren- 
förmige  Gestalt  an.  Oft 
ist  auch  jeder  Hoden 
in  mehrere  kleine  (2  bis 
12)  sekundäre  Hoden 
(Testiculi)  zerlegt,  von 
denen  ebenso  viele  feine 
Ausfuhrkanäle  abgehen, 
die  sich  nach  kurzem 
Verlauf  zu  dem  gemein- 
sind  die   beiderseitigen 


Hoden  mehr  oder  weniger  weit  voneinander  getrennt,  doch  sind  auch  solche 


Fig.  102.    Männliche   Geschlechtsorgane   von   Lucanus   cervus. 
JVff  Nebenhoden ;  H  Hoden  in  eine  größere  Anzahl  Testiculi 
zerlegt.     Die   übrigen   Bezeichnungen    wie   in   den  vorher- 
gehenden Figuren.    Nach  Escheric'h. 


Fig.  103.  Männliche  Geschlechtsorgane 
einer  Wespe.  Die  beiden  Hoden  ver- 
wachsen; beim  linken  Hoden  ist  die 
Hülle  entfernt.  Nach  Bor  das  aus 
Berlese. 


Fälle  nicht  selten,  in  denen  die  Hoden  dicht  beisammen  liegen,  und  sogar 
durch  eine  gemeinsame  Hülle  vereinigt  sind,  so  daß  sie  den  Eindi-uck  eines 
einzigen  unpaaren  Hodens  machen  (Schmetterlinge,  Wespen,  gewisse  Käfer  usw.) 
(Fig.  103). 


Fortpflanzungsorgane. 


113 


Die  von  den  Hoden  ausgehenden  Samenleiter  (Vasa  deferentia) 
stellen  längere  oder  kürzere  einfache  Schläuche  dar,  deren  Wände  nur  eine 
schwache  Muskulatur  besitzen.  Sie  sind  stets  paarig,  auch  da,  wo  die  Hoden 
zu  einem  scheinbar  unpaaren  Organ  verschmolzen  sind.  Fast  stets  stehen 
mit  ihnen  Drüsen  in  Verbindung,  deren  Sekret  dem  Samen  beigemischt  wird. 
Außerdem  finden  sich  an  ihrem  hinteren  Ende  oft  blasenförmige  Er- 
weiterungen (Samentaschen  oder  Vesiculae  seminales),  die  zur  Auf- 
sammlung des  Samens  dienen.  Wo  die  Samenleiter  sehr  lang  sind,  können  sie 
in  ihrem  Verlaufe  an  einer  Stelle  knäu eiförmig  zu  einer  Art  Nebenhoden 
(Fig.  102)  aufgewunden  sein  (Laufkäfer,  Schwimmkäfer,  Hirschkäfer  usw.). 

Die  paarigen  Samenleiter  münden  in  den  als  Hauteinstülpung  ent- 
standenen unpaaren  Endkanal  oder  Ductus  ejaculatorius.  Nur  in  seltenen 
Fällen   fehlt   dieser   und   dann   münden   die   Samenleiter    paarig    nach    außen 

(Eintagsfliegen,  Protura).  Der  Ductus 
ejaculatorius  unterscheidet  sich  in 
seinem  feineren  Aufbau  wesentlich 
von  den  paarigen  Samenleitern,  indem 
er  einmal  eine  sehr  starke  Muskulatur 
besitzt  (durch  deren  Kontraktion  der 
Samen  ausgespritzt  ward),  und  sodann 


/Schleimdrüse  ^ 


-Xoiieri/ 


iSa.fnenZeiierfvds.deferinsj 
so^iTi.  iSamenilase 


-unpaarer^ameTwana 
\  fdziclus  ejaculccriasj 


fSumerUiiterfzms.  liei'ärensj 
•soacn,.  iSamenblcise 
■unpaarir^am  en^a  ny 
fdaciics  ejaculiZlarzus) 

Fig.  104.    Reife  und  unreife  männliche  GescLlechtsorgane  vom  Buchdrucker  (I^s  typographns). 

Aus  Nüßlin. 


seine  Innenseite  mit  einer  Chitincuticula,  die  eine  verschiedene  Struktur  auf- 
weisen kann,  ausgekleidet  ist.  Auch  ihm  kommen  Anhangsdrüsen  zu,  die  an 
Zahl  und  Form  sehr  verschieden  sein  können,  und  deren  Sekret  mehrfachen 
Zwecken  dient  (z.  B.  die  Samenfäden  zu  Paketen  oder  Patronen  zu  vereinigen 
oder  bei  der  Copula  die  Überführung  des  Samens  in  den  weiblichen  Körper 
zu  erleichtern  und  zu  sichern,  usw.). 

Da  die  Drüsen  der  paarigen  Samenleiter  dem  Mesoderm  entstammen,  und 
die  des  ektodermalen  Endkanals  natürlich  dem  Ektoderm,  so  hat  man  die  beiden 
Kategorien  von  Drüsen  auch  namentlich  als  Mesadenien  und  Ektadenien 
unterschieden. 

Wie  bei  den  weiblichen  Geschlechtsorganen  vollzieht  sich  auch  bei  den 
männlichen  die  Reifung  nicht  überall  in  der  gleichen  Lebensperiode  und  in 
dem  gleichen  Tempo,  sondern  bei  den  einen  Insekten  früher,  bei  den 
anderen  später.  Bei  den  kurzlebigen  Arten  gewöhnlich  schon  während  der 
Puppenzeit,  bei  den  langlebigen  vielfach  erst  während  des  Imagolebens.  Im 
letzteren  Fall  (wie  z.  B.  bei  den  Borkenkäfern)  kann  uns  also  auch  die 
Untersuchung  der  männlichen  Geschlechtsorgane  Aufschluß  geben,  ob  ein 
Escherich,  Forstinsekten.  8 


114      Kapitel  III.     Der  innere  Bau  der  Insekten  (Anatomie  und  Physiologie). 

Jungkäfer  oder  Altkäfer  vorliegt.  Im  unreifen  Zustand  sind  die  Spermatozoen 
noch  nicht  in  die  Samenleiter  oder  Samenblasen  eingetreten,  und  die  ver- 
schiedenen Anhangsdrüsen  noch  wenig  entwickelt;  im  reifen  Zustand  da- 
gegen finden  sich  zahlreiche  Samenfäden  in  den  Ausfuhrwegen,  die  Drüsen 
sind  bedeutend  verlängert  und  dicker  und  prall  mit  Sekreten  gefüllt,  und 
auch  die  Samenblasen  erscheinen  stark  erweitert  (Nüßlin).     (Fig.  104.) 

Auch  in  s 3^ stem atischer  Beziehung  lassen  sich  die  (inneren)  männ- 
lichen Geschlechtsorgane  teilweise  recht  gut  verwenden,  wenn  auch  nicht  in 
dem  weitgehenden  Maße  wie  äußere  Genitalanhänge  oder  Kopulationsorgane. 

Literatur. 

Die  Lehr-  und  Handbücher  wie  oben  S.  48.  In  erster  Linie  ist  wieder  auf 
B  erlese  hinzuweisen  und  sodann  auf  Hesse,  welch  beide  Autoren  bei  der 
Bearbeitung  am  meisten  benutzt  wurden. 

Außerdem   ist   auf   folgende   Einzelarbeiten  namentlich    Bezug   genommen: 

Muskulatur. 
Bauer,  Albert,  Die  Muskulatur  von  Dytiscus  marginalis.   Zeitschr.  f.  wissensch. 

Zoologie,  XCV.  Bd.,  1910. 
Voß,  Friedrich,  Über  den  Thorax  von  Gryllus  domesticus.     Die  Muskulatur. 

Zeitschr.  f.  wissensch.  Zoologie,  LXXVIII.  Bd.,  1905. 

Lautäußerungen. 

Landois,  H.,  Tierstimmen.     Freiburg  1874. 

Prochnow,   Oskar,   Die   Lautapparate   der    Insekten.      Berlin  1908. 

Verhoeff,  K.  W.,  Die  zusammengesetzten  Zirpvorrichtungen  von  Geotrupes. 
Sitzber.  Ges.  Naturf.  Freunde  (Berlin  1902),  Nr.  7/8. 

Petrunkewitsch  und  Guaita,  Über  den  geschlechtlichen  Dimorphismus 
bei  den  Tonapparaten  der  Orthopteren.  Zool.  Jahrb.,  Abt.  f.  Syst.,  Bd.  14, 
Heft  4. 

Darmkanal. 

Biedermann,  W.,  Beiträge  zur  vergleichenden  Physiologie  der  Verdauung. 
Die  Verdauung  der  Larve  von  Tenebrio  molitor.  Archiv  f.  d.  gesamte  Physio- 
logie. Bd.  72,  1898. 

Deegener,  Beiträge  zur  Kenntnis  der  Darmsekretion.  I  und  II.  Archiv  f. 
Naturgeschichte,  76.  Jahrgang,  1909  und  10. 

Gorka  Sandor,  Beiträge  zur  Morphologie  und  Physiologie  des  Verdauungs- 
apparates der  Coleopteren.     Allg.  Zeitschr.  f.  Entomologie  1901. 

Jordan,  Hermann,  Über  extraintestinale  Verdauung  im  allgemeinen  und  bei 
Carabus  auratus   im  besonderen.     Biolog.  Zentr.-Bl.  1910  (XXX),  S.  85 — 96. 

Nüßlin,  Otto,  Phylogenie  und  Systematik  der  Borkenkäfer.  Zeitschr.  f. 
wissensch.   Insektenbiologie,  VII.  und  VIII.   Bd. 

Rungius,  Heinrich,  Der  Darmkanal  von  Dytiscus  marginalis.  Zeitschr.  f. 
wissensch.  Zoologie,  Bd.  98,  1911. 

Sedlaczek,  W.,  Über  den  Darmkanal  der  Scolytiden.  Zentralblatt  f.  d.  gesamte 
Forstwesen  1902. 

Kreislauforgane. 

Janet,  Charles,  Anatomie  du  Gaster  de  la  Myrmica  rubra.    Paris  1902. 

Steche,  O.,  Beobachtungen  über  Geschlechtsunterschiede  der  Haemolymphe  von 
Insektenlarven.     Verh.  Deutsch.  Zool.  Ges.  1912. 

Temperatur  der  Insekten. 
Bachmetjew,    P.,    Experimentell-entomologische    Studien.      I.    Temperaturver- 
hältnisse   bei    Insekten.      II.    Einfluß    der    äußeren    Faktoren    auf    Insekten. 
Leipzig  1901  und  Sophia  1907. 

Dieses  grundlegende  Werk,  in  dem  neben  den  eigenen  Untersuchungen 
die  gesamte  Literatur  verarbeitet  ist,  ist  bis  jetzt  von  selten  der  Entomologen 
viel  zu  wenig  berücksichtigt  worden. 


Literatur.  115 

Leuchtorgane. 

Bongardt,  Beiträge  zur  Kenntnis  der  Leuchtorgane  einheimischer  Lampyriden. 
Zeitschr.  f.  wissensch.  Zoologie,  LXXV.  Bd. 

RiedeL  Max,  Aus  der  Welt  der  Kleintiere.  Serie  I  Nr.  2  Leuchtkäfer.  Dresden 
1911. 

Gehirn. 

Forel,  A.,  Das  Sinnesleben  der  Insekten.     München  1910. 

H  e  y  m  o  n  s,  R.,  Die  Entwicklungsgeschichte  der  Scolopender.  Zoologica,  Heft  33. 
Stuttgart  1901. 

Jonescu,  C.  N.,  Vergleichende  Untersuchungen  über  das  Gehirn  der  Honig- 
biene.    Jenaische  Zeitschr.,  45.  Bd.,  1909. 

Pietschker,  Heinrich,  Das  Gehirn  der  Ameise.     Ebenda  1910. 

Tastorgane  usw. 
Hochreuter,    Rudolf,    Die    Hautsinnesorgane    von    Dytiscus   marginalis   L. 

Zeitschr.  f.  wissensch.  Zoologie  Bd.  C  IH,  1912. 
Vogel,  R.,  Über  die  Innervierung  der  Schmetterlingsflügel  und  über  den  Bau  und 

die    Verbreitung    der    Sinnesorgane    auf    denselben.      Zeitschr.    f.    wissensch. 

Zoologie,  Bd.  XCVIII,  1911. 

Sehorgane. 

Dem  oll,  R.,  Die  Physiologie  des  Facettenauges.  Ergebnisse  und  Fortschritte 
der  Zoologie,  2.  Bd.,  1910. 

Dem  oll  und  Scheuring,  Die  Bedeutung  der  Ocellen  der  Insekten.  Zoolog. 
Jahrb.,  Abt.  f.  Allgemeine  Zoologie  und  Physiologie,  31.  Bd.,  1912. 

Hesse,  Richard,  Untersuchungen  über  die  Organe  der  Lichtempfindung  bei 
niederen  Tieren.  VII.  Von  den  Arthropodenaugen.  Zeitschr.  f.  wissensch. 
Zoologie,  LXX.  Bd.,  1901. 

J  o  h  n  a  s,  W.,  Das  Facettenauge  der  Lepidopteren.  Zeitschr.  f.  wissensch.  Zoologie, 
XCVII.  Bd.,  1911. 

Gehörorgane. 

Eggers,  Fritz,  Über  das  thorakale  Tympanalorgan  der  Noctuiden.  Sitzungs- 
bericht Nat.  Ges.  Dorpat,  XX.,  1911. 

Schwabe,  J.,  Beiträge  zur  Morphologie  und  Histologie  der  tympanalen  Sinnes- 
organe  der   Orthopteren.     Zoologica.     Stuttgart   1906. 

Vogel,  R.,  Über  die  Chordotonalorgane  in  der  Wurzel  der  Schmetterlingsflügel. 
Zeitschr.  f.  wissensch.  Zoologie,  C.  Bd.,  1912. 

Fortpflanzungsorgane. 
Demandt,  Carl,  Der  Geschlechtsapparat  von   Dytiscus  marginalis.     Zeitschr. 

f.  wissensch.  Zoologie,  CHI.  Bd.,  1912. 
Escherich,    K. ,    Anatomische    Studien    über    das    männliche    Genitalsystem    der 

Coleopteren.     Zeitschr.  f.  wissensch.  Zoologie,  Bd.  LVII,  1899. 
Knoche,  E.,  Beiträge  zur  Generationsfrage  der  Borkenkäfer.     Forstw.  Zentralbl. 

1909. 
Nüßlin,  Otto,  Leitfaden  der  Forstinsektenkunde,  2.  Aufl.,  1912. 


Kapitel  IV. 

Fortpflanzung. 


Das  Fortpflanzungsgeschäft  ist  es,  welches  den  Hauptinhalt  der  Lebens- 
tätigkeit des  erwachsenen  Insektes  ausmacht.  Ist  die  Fortpflanzungsfähigkeit 
zu  Ende,  so  sterben  Weibchen  wie  Männchen  ab.  Bei  den  meisten  Weibchen 
ist  das  ganze  Fortpflanzungsgeschäft  mit  einer  einmaligen  Eiablage  erledigt, 
so  daß  ihre  Lebensdauer  nur  von  sehr  kurzer  Dauer  ist  (wenige  Tage  oder 
gar  nur  Stunden);  andererseits  sind  doch  auch  viele  Fälle  von  langlebigen 
Insekten  bekannt,  bei  denen  sich  die  Fortpflanzung  über  mehrere  Jahre  hin- 
zieht, indem  die  Weibchen  nach  kürzeren  oder  längeren  Pausen  immer  wieder 
zu  erneuten  Eiablagen  schreiten  (z.  B.  Laufkäfer,  Rüssel-  und  Borkenkäfer, 
die  2 — 3  Jahre,  Ameisen-  und  Termitenweibchen,  die  bis  zu  15  Jahre  alt 
werden  können). 

Alle  Fortpflanzungsvorgänge  bezwecken  die  Erhaltung  der  Art.  Man 
kann  im  Tierreich  eine  geschlechtliche  und  ungeschlechtliche  Fort- 
pflanzung unterscheiden.  Bei  der  ungeschlechtlichen  wachsen  beliebige  Zellen 
des  Körpers  zu  einem  neuen  Individuum  aus,  das  sich  dann  später  vom 
Muttertier  trennt  (Knospung  usw.);  bei  der  geschlechtlichen  sind  es  schon 
frühzeitig  gesonderte  ganz  bestimmte  Zellen,  die  sog.  Keimzellen  (Eier  und 
Samenfäden),  denen  die  Vermehrung  obliegt.  Bei  den  Insekten  kommt  nur 
der  letztere  Fortpflanzungsmodus  vor;  alle  Insekten  entwickeln  sich  aus 
Eiern.  Jedes  Insekt  hat  also  einmal  den  Eizustand  durchlaufen,  und  dies 
gilt  auch  für  diejenigen,  welche  bereits  als  Larve  geboren  werden.  Diese 
durchlaufen  den  Eizustand  eben  im  Leibe  des  Muttertieres. 

Der  alte  Aberglaube,  daß  Insekten  direkt  aus  anderen  organischen  Substanzen 
sich  bilden  können,  die  Fliegenmade  aus  faulendem  Fleische,  der  Floh  aus  mit  Harn 
befeuchteten  Sägespänen,  ist  längst  widerlegt.  Nicht  aus  diesen  Substanzen,  sondern 
aus  Eiern,  welche  die  Fliegenmutter  auf  das  faulende  Fleisch,  oder  der  weibliche 
Floh  in  die  Sägespäne  legte,  sind  diese  Geschöpfe  entstanden. 

In  den  meisten  Fällen  hat  das  Ei  aber  nicht  ohne  weiteres  die  Fähigkeit, 
ein  neues  Tier  aus  sich  hervorgehen  zu  lassen.  Die  Eizelle  bedarf,  um  sich 
zu  einem  Embryo  zu  entwickeln,  vielmehr  meistens  der  Befruchtung  durch 
den  männlichen  Samen.  Die  Fortpflanzung  durch  befruchtete  Eier,  bei 
welcher  also  beide  Geschlechter  mitwirken,  wird  eine  gamogenetische 
oder  Gamogenese  genannt  (abgeleitet  von  yä/iwg,  die  Ehe,  ysveüig,  die  Er- 
zeugung), im  Gegensatz  zu  den  selteneren  Fällen,  in  welchen  eine  Fortpflanzung 
durch  unbefruchtete  Eier  stattfindet  und  welche  man  als  parthenogenetische 


Die  Keimzellen  (Ei  und  Samen). 


117 


Fortpflanzung   oder  Parthenogenese   bezeichnet   (abgeleitet   von  nagd^hog, 
die  Jungfrau). 

Die  Keimzellen  (Ei  und  Samen). 

Das  Ei. 

Das  Insektenei  besteht  aus  Eizelle  und  Eischale  oder  Chorion. 
Die  Eizelle  ist  eine  stark  gewachsene  und  gereifte  Keimzelle  und  besteht,  wie 
jede  Zelle,  aus  Protoplasma  und  Kern,  welch 
letzterer  auch  Keimbläschen  genannt  wird. 
Dem  Protoplasma  ist  eine  größere  oder  kleinere 
Menge  von  Reservestoffen  (Deutoplasma  oder 
Dotter)  beigemischt,  welche  zur  Ernährung  des 
im  Ei  sich  entwickelnden  Embryos  dient,  und 
deren  Bildung  unter  Mitwirkung  der  Nährzellen 
(siehe  oben)  vor  sich  geht.  Die  äußerste  Schichte 
des  Protoplasmas,  resp.  Dotters,  ist  zu  einer 
äußerst  feinen  Haut,  der  Dotterhaut,  erhärtet 
(Fig.  105). 

Die  so  gestaltete  Eizelle  wird  umgeben  von 
einer  mehr  oder  weniger  starken  Schale,  die  als 
Schalenhaut  oder  Eischale  oder  Chorion 
bezeichnet  wird.  Sie  wird  nicht  von  der  Eizelle 
aus  gebildet,  sondern  stellt  vielmehr  ein  Ab- 
scheidungsprodukt  der  Follikelzellen  (siehe  oben) 
dar  und  besteht  „aus  einer  Substanz,  welche  eine 
oberflächliche  Ähnlichkeit  mit  Chitin  hat,  sich  aber 
von  ihm  durch  Gehalt  an  Schwefel  und  einige 
andere  chemische  Eigenschaften  unterscheidet" 
(Groß).  Sie  ist  außer  von  mehr  oder  w^eniger 
zahlreichen  feinsten  Poren,  die  vielleicht  der 
Atmung  des  Eies  dienen,  stets  noch  von  einem  oder 
mehreren  dicht  beisammenstehenden  größeren 
Kanälen  durchsetzt,  die  Mikrop3den  genannt 
werden,  und  welche  den  Zweck  haben,  den 
Samenfäden  den  Durchtritt  zu  gestatten  (Fig.  106). 
Sie  setzen  sich  nach  innen  zu  durch  die  Dotter- 
haut fort,  so  daß  der  Samen  ohne  Hindernis  zum 
Protoplasma  der  Eizelle  gelangen  kann.  Meist  ist  die 
Umgebung  der  Mikropyle  durch  eine  besondere 
Struktur  der  Schale  ausgezeichnet,  ja  oft  kommen 
sehr  komplizierte  und  höchst  auffallende  Mikrop5denapparate  vor,  die  aus 
Anhängen  aller  Art,  schlotförmigen  Aufsätzen  usw.  bestehen. 

Die  Gestalt  der  Eier  ist  ungeheuer  mannigfaltig;  wir  können  von 
den  langgestreckten,  schlauchartigen  Eiern  der  Gallwespen  bis  zu  den  flachen, 
Scheiben-  oder  deckeiförmigen  Eiern  mancher  Kleinschmetterlinge  alle  möglichen 


Fig.  105.  Längsschnitt  durch  ein 
Fliegenei.  K  Kern;  D  Dotter; 
Dh   Dotterhaut;    Seh    Schalenhaut 

(Cliorion),  Mp  Mikropyle. 
NachHenkingundBlochmann. 


Fig.  106.  Oberer  Teil  eines  Eies  des 
Hornissenschwäi'mers  (Trochilium 
apiforme  C.)  (nach  Leuckart)  mit 
dem  Mikropylapparat.  m  einer  der 
5  Mikropylkanäle,  welche  von  den 
äußeren  MiKropylgrübchen  diver- 
gierend nach  innen  laufen.  —  (N.) 


118 


Kapitel  IV.     Fortpflanzung 


Übergänge  beobachten,  wie  aus  Fig.  107  zu  ersehen  ist.  Dazu  kommen  die 
verschiedensten  Fortsätze,  Anhänge,  Rippen,  Warzen  usw.,  welche  den  Eiern 
mitunter  die  zierlichsten  an  Seesterne,  Seeigel,  Pflanzensamen,  Blüten  usw. 
erinnernde  Formen  verleihen  können;  manche  Eier  gleichen  Krügen  mit 
Deckeln,  andere  sitzen  auf  langen,  dünnen  Stielen  usw.  Und  auch  da,  wo 
die  Struktur   der  Schale   bei   oberflächlicher  Betrachtung   glatt  erscheint,  läßt 


Fig.  107.  Verschiedene  Eiformen.  i  Tortrix  sp;  2  Lyda  stellata;  3  Nonne;  4  Thecla  (Tagfalter);  5  Oenei« 
aelto  (Tagfalter);  6  Pieride  (Weißling);  7  Pentatoma  (ScMldwanze) ;  8\  Melolontha  (Maikäfer);  9  Honig- 
biene; 10  Laubheuschrecke ;  ii  Nepa  (Wasserskoi-pion) ;  12  Phasmide  (Stabheuschrecke);  i3  Menopon 
biseriatimi  (Federling  vom  Pfau);  14  Chrysopa  (Florfliege);  15  PhyUwm  (Wandelndes  Blatt);  16  Oestromyia 
Satyrus  (Hantbremse);  17  Cynipide  (Gallwespe).    Teils  Originale,  teils  aus  Sharp,  Packard,  Spuler, 

Brauer. 


die  mikroskopische  Untersuchung  meist  noch  sehr  feine,  charakteristische 
Strukturen  (netzförmige  Felderung  usw.)  erkennen.  Auch  bezüglich  der  Härte, 
Dicke  und  Zähigkeit  usw.  der  Eischale  gibt  es  große  Unterschiede:  wir  haben 
auf  der  einen  Seite  so  dünn  beschalte  Eier,  daß  sie  ihre  Form  verändern 
können,  andererseits  aber  Schalen,  die  an  Härte  und  Sprödigkeit  dem  Glas 
nicht  viel  nachstehen.  Den  erstgenannten  Zustand  treffen  wir  hauptsächhch 
bei  solchen  Eiern,  welche  in  pflanzliche  und  tierische  Gewebe  abgelegt  werden. 


Die  Keimzellen  (Ei  und  Samen). 


119 


den   letzteren   dagegen   bei  solchen,  welche  völlig  frei  abgelegt  sind  und  des 
Schutzes  bedürfen. 

Die  Funktionen  der  verschiedenartigen  Bildungen  an  den  Eiern  ist 
noch  keineswegs  überall  klar;  doch  dürften  die  meisten  Anhänge  usw.  als 
Haftapparate  (zum  Haften  an  der  Unterlage  oder  zur  gegenseitigen  Ver- 
bindung mehrerer  Eier)  dienen;  oft  stehen  sie  auch,  wie  schon  erwähnt,  mit 
der  Mikropyle  in  Verbindung;  bei  gewissen  Wanzen  werden  die  am  Deckel- 
rand stehenden  Fortsätze  als  Einrichtungen  zum  Gasaustausch  (Atmung) 
angesehen  (Heymons,  Groß)  usw. 

Der  Samen. 
Der    Samen    besteht    aus    Samenfäden,     welche    in    einer    Flüssigkeit 
schwimmen.     Die    Flüssigkeit    stammt    aus    den  Anhangsdrüsen    der   Samen- 
leiter,   die  Samenfäden   aus   den  Hoden   (siehe  oben).     Im  Gegensatz   zu  den 
Eiern  sind  die  Samenfäden  mikroskopisch  klein;   sie  bestehen  aus  zwei  deut- 


Flg.  108.    A  Einfache  Samenfäden  von  Blaps  mortisaga  L.;  ß  Samenfäden  mit  ankerförmigen  Köpfchen 
von  einer  Heuschrecke  {Deeiicns  vemicivonis  L.);   C  Vereinigung  von  Samenfäden  einer  anderen  Heu- 
schrecke  {Locusta  viridissima  L.)   zu   federförmigen   Gebilden;   D  Spermatophoren  von  Decticus.    B—D 
nach  V.  Siebold.  —  (X.) 


lieh  voneinander  unterscheidbaren  Abschnitten,  dem  starren  unbeweglichen 
Kopf,  und  dem  beweglichen,  sich  lebhaft  hin  und  her  schlängelnden  Schwanz 
(Fig.  108).  Trotz  der  Kleinheit  und  der  ungewöhnlichen  Form  entspricht 
jeder  Samenfaden  morphologisch  einer  Zelle,  deren  Kern  im  Kopf  gelegen 
ist,  während  der  Schwanz  das  Protoplasma  enthält 

Wenn  die  Samenfäden  auch  in  ihrer  Grundform  bei  den  meisten 
Insekten  übereinstimmen,  so  weisen  sie  doch  in  den  Einzelheiten  große  Ver- 
schiedenheiten auf.  So  ist  der  Kopf  in  Form,  Zusammensetzung  und  Größe 
sehr  variabel:  bei  den  einen  Insekten  endet  er  in  einer  feinen  Spitze,  bei 
den  anderen  in  einem  feinen  Knöpfchen,  bei  wieder  anderen  liegen  mehrere 
Knöpfchen  übereinander  oder  es  ist  der  Kopf  ankerförmig  gebaut  usw.  Auch 
der  Schwanz  ist,  wäe  Ballowitz  gezeigt  hat,  in  seinem  feineren  Aufbau 
recht  mannigfaltig,  und  besteht  bei  den  einen  aus  mehr,  bei  den  anderen 
aus  weniger  nebeneinander  liegenden  und  verschieden  strukturierten  Fasern. 
Häufig  sind  mehrere  Samenfäden  (zwei  bis  zahlreiche)  mit  ihren  Köpfen 
entweder  direkt  miteinander  verbunden  oder  um  einen  axialen  Körper  be- 
festigt,   während  die  Schwänze    frei  bleiben  (Spermatozeugma);    bei   manchen 


120  Kapitel  IV.     Fortpflanzung. 

Heuschrecken  reihen  sich  die  Köpfe  in  linearer  Anordnung  derart  anein- 
ander, daß  die  frei  abstehenden  Schwänze  seitlich  ansitzen  wie  die  Feder- 
fahnen dem  Schaft. 

Der  Samen,  möge  er  isoliert  oder  zu  Gruppen  vereinigte  Samenfäden 
enthalten,  ist  in  den  meisten  Fällen  eingehüllt  in  eine  feste,  von  den  An- 
hangsdrüsen abgesonderte  Hülle,  w^elche  als  Samenpatrone  oder  Sper- 
matophor  bezeichnet  wird,  so  daß  also  der  Samen  bei  der  Begattung  nicht 
lose,  sondern  in  fester  Verpackung  in  den  weiblichen  Körper  über- 
tragen wird. 

Die  Begattung. 

Die  Übertragung  des  Samens  in  den  Geschlechtsapparat  des  Weibchens 
geschieht   durch    den  Vorgang   der   Begattung   oder  Kopulation.     Die   Haupt- 


Fig.  109.    Kopulationsstellung  des  Gelbrandkäfers  (Dytiscus  marginalis).    Das  Männchen  sitzt  auf  dem 

Weibchen,  wobei  es  sich  mit  den  Haftscheiben  der  Vorderbeine  auf  dem  Halsschild  des  Weibchens 

festsaugt.    Nach  Blunk. 


rolle  dabei  spielt  der  Penis,  der  in  die  weibliche  Begattungstasche  ein- 
geführt wird,  und  durch  den  die  Samenmasse,  resp.  die  Samenpatrone,  in 
den  weiblichen  Körper  übergeleitet  wird.  Damit  nun  dieser  Vorgang,  der 
doch  stets  einige  Zeit  beansprucht,  sich  richtig  abspielen  kann,  ist  es  not- 
wendig, daß  die  beiden  Tiere  fest  miteinander  verankert  werden.  Dies  ge- 
schieht vielfach  durch  besondere  Zangen  (Parameren),  die  zu  beiden 
Seiten  des  Penis  liegen  und  mit  den  verschiedenartigsten  Zähnen,  Haken 
usw.  besetzt  sind.  Außerdem  finden  sich  bei  vielen  Insekten  auch  noch  an 
anderen  Organen  Vorrichtungen,  die  dem  Zwecke  des  Festhaltens  während 
der  Kopula  dienen.  So  haben  z.  B.  die  Männchen  vieler  Laufkäfer  stark 
erweiterte  Vordertarsen,  mit  denen  sie  sich  auf  dem  Rücken  des  Weibchens 
anklammern,  oder  die  Männchen  der  Schwimmkäfer  {Dytiscus)  besitzen 
richtige  Haftscheiben  an  den  Vorderbeinen,  um  sich  auf  dem  Halsschild  der 
Weibchen  festzusaugen,  usw. 


Die  Begattung 


121 


Die  Art  und  Weise,  wie  die  Kopula  ausgefühirt  wird,  ist  ungemein  ver- 
schieden; manche  Insekten  begatten  sich  im  Fluge  (z.  B,  Fliegen,  Bienen, 
Ameisen,  Eintagsfliegen  usw.),  manche  im  Laufen  oder  Schwimmen,  manche 
im  Sitzen  (Schmetterlinge),  manche  im  Sonnenschein,  manche  im  Schatten 
oder  in  der  Nacht,  oder  in  unterirdischen  oder  in  Holz  gegrabenen  Gängen 
usw.  Auch  die  Stellung,  die  sie  einnehmen,  ist  verschieden:  Entweder  sitzen 
die  beiden  Geschlechter  aufeinander  (meist  das  Männchen  auf  dem  Weibchen, 
selten  [z.  B.  beim  Floh]  umgekehrt),  so  daß  sie  also  in  die  gleiche  Rich- 
tung sehen  (Fig.  109);  oder  sie  sitzen  hintereinander,  Hinterende  gegen 
Hinterende     gekehrt,     wobei     sie    meistens    in    die    direkt    entgegengesetzte 


A  B  C 

Fig.  110.    A  u.  B  Schmetterlinge  in  Kopula.     A  Hornissenschwämier  {TroehiUum  apifomte);  B  Mondvogel 

{PhcOera  lucephala).    Oben  das  Weibchen.    Phot.  Fr.  Scheidter.  —  C Maikäfer  in  Kopula,  das  Weibchen 

hält  sich  an  einem  Zweig  fest,  während  das  Männcheu  frei  herabhängt.    Nach  Götte. 


Richtung  sehen  (Fig.  110).  Doch  kommt  es  auch  vor,  daß  diese  verbundenen 
Tiere  sich  gegeneinander  abbiegen,  so  daß  die  Längsachse  ihrer  Körper  nicht 
mehr  in  einer  Linie  liegen,  sondern  einen  Winkel  bilden.  Dieses  Abbiegen 
kann  entweder  nach  der  Seite  hin  geschehen  (Fig.  111),  so  daß  die  linke 
und  rechte  Seite  der  beiden  Tiere  sich  einander  nähern  und  die  Tiere  ge- 
wissermaßen nebeneinander  sitzen;  oder  ventralwärts,  so  daß  die  Bauchseiten 
einander  näher  kommen.  Bei  Chloeon  sind  die  beiden  Geschlechter  (nach 
C.  Bernhard)  während  der  im  Fluge  stattfindenden  Kopula  Bauch  gegen 
Bauch  gewandt,  wobei  das  Männchen  den  Thorax  des  über  ihm  befindlichen 
Weibchens  mit  den  langen  Vorderbeinen  umklammert.  . 


122 


Kapitel  IV.     Fortpflanzung 


Eine  ganz  abweichende  Kopulationsstellung  nehmen  die  Libellen  ein. 
Bei  den  Männchen  dieser  Tiere  liegt  das  Kopulationsorgan  weit  getrennt  von 
der  am  Hinterende  befindlichen  Geschlechtsöffnung,  nämlich  an  der  Bauch- 
seite an  dem  zweiten  Hinterleibsring,  Wenn  nun  das  Männchen  zur  Be- 
gattung schreiten  will,  so  biegt  es  seinen  Hinterleib  ventralwärts  und  nach 
vorne,  um  das  Kopulationsorgan  mit  Samen  zu  füllen;  dann  ergreift  es  mit 
den  am  Ende  seines  Hinterleibes  befindlichen  Zangen  das  Weibchen  am 
Nacken,  und  zieht  es  so  mit  sich  auf  den  Hochzeitsflug.  Während  desselben 
biegt  das  Weibchen   seinen  Hinterleib   so  um,    daß  'es  mit  seinem  Ende  dem 

Kopulationsorgan  des  Männchens 
sich  nähert,  und  nun  die  Be- 
gattung vollzogen  werden  kann 
(Fig.  112). 


Fig.  111.    Schwammspinner  in  Kopula.    Oben  das 

Weibchen.  Das  kleinere  dunkelgefärbte  Männchen 

befindet   sich  in   seitlich   abgebogener  Stelhing. 

Phot.  Fr.  Scheidter. 


Fig.  112.  Libellen  in  Kopula.  Das  Männchen 
(M)  ergreift  mit  seinen  Hinterleibszangen  das 
Weibchen  am  Nacken,  während  dieses  seinen 
Hinterleib  nach  vorn  biegt,  um  zu  dem  am 
2.  Hinterleibssegment  des  Männchens  befind- 
lichen Kopulationsorgan  zu  gelangen.  Aus 
Henneguey. 


Die  Dauer  der  Kopula  kann  sehr  verschieden  lang  sein:  bei  manchen 
Insekten  nur  wenige  Minuten,  bei  anderen  mehrere  Stunden,  ja  sogar  Tage. 
Bei  den  meisten  Insekten  ist  es  mit  einer  einmaligen  Begattung  getan;  ja 
in  einigen  Fällen  (bei  der  die  Bienenkönigin  befruchtenden  Drohne)  hat  die 
Begattung  den  sofortigen  Tod  des  Männchens  zur  Folge.  Andererseits  gibt 
es  auch  gar  nicht  so  selten  Fälle,  in  denen  die  Männchen  eine  öftere  Be- 
gattung mit  demselben  Weibchen  ausführen  oder  auch  von  einem  Weibchen 
zum  anderen  gehen.  So  sind  z.  B.  bei  Spinnern  und  auch  bei  anderen 
Schmetterlingen  (Saturniden,  Psychiden  usw.)  Männchen  bei  wiederholter 
Begattung  mit  verschiedenen  Weibchen  beobachtet  worden ;  ferner  ist  die 
Polygamie  bei  den  Borkenkäfern  eine  ganz  verbreitete  Erscheinung;  auch 
bei  den  Schwimmkäfern  und  Blattkäfern  ist  sie  festgestellt  worden  usw. 
Öftere  Begattung  eines  Weibchens  durch  verschiedene  Männchen  (Potyandrie) 


Die  Begattung.  123 

ist  bis  jetzt  nur  selten  beobachtet  und  dürfte  wohl  als  abnormer  Zustand 
zu  betrachten  sein.  Dagegen  kommt  wiederholte  Begattung  durch  ein  und 
dasselbe  Männchen  gar  nicht  so  selten  vor;  so  wurden  z.  B.  2  Dytisciis- 
Weibchen  von  1  Männchen  innerhalb  ö^/.,  Monaten  14 mal,  und  2  Lucamis 
c^rz;ws-Weibchen  von  1  Männchen  in  12  Tagen  5  mal  begattet.  Bei  manchen 
Insekten  bildet  die  öftere  Begattung  des  Weibchens  geradezu  die  Regel, 
so  bei  gewissen  Borkenkäfern,  die,  nachdem  sie  einige  Eier  abgelegt, 
immer  wieder  von  neuem  befruchtet  werden,  und  sodann  vor  allem  bei 
den  Termiten,  bei  denen  das  Männchen  viele  (bis  zu  15)  Jahre  mit  einem 
Weibchen  in  der  Königskammer  zusammengesperrt  ist,  um  das  letztere 
von  Zeit  zu  Zeit  (alle  4 — 6  Wochen)  zu  begatten  und  mit  neuem  Samen- 
vorrat zu  versorgen. 

Nicht  immer,  wenn  zwei  Insekten  in  Kopulationsstellung  sich  be- 
finden, wird  auch  eine  wirkliche  erfolgreiche  Begattung  ausgeführt;  kann 
man  doch  oft  zwei  Tiere,  die  noch  gar  nicht  reif  sind,  aufeinander  sitzen 
sehen.  Um  also  ganz  sicher  zu  gehen,  ob  eine  erfolgreiche  Begattung 
stattgefunden  hat,  muß  man  die  Samentasche  des  Weibchens  auf  die  An- 
wesenheit von  Samenfäden  untersuchen.  Nur  bei  einigen  wenigen  Insekten 
gibt  es  auch  äußere  Kennzeichen  (sog.  „Begattungszeichen"),  an  denen 
man  die  erfolgte  Begattung  untrüglich  erkennen  kann.  So  weiß  der  Imker 
ganz  genau,  daß  eine  Königin  befruchtet  ist,  wenn  er  in  dessen  Scheide 
abgerissene  Teile  des  Penis  findet;  ferner  kann  man  beim  Weibchen 
des  Schwimmkäfers  die  erfolgte  Begattung  an  einer  weißen  Platte  er- 
kennen, welche  die  letzten  Abdominalsegmente  bedeckt,  und  welche 
von  einem  die  Überführung  des  Samens  sichernden  Drüsensekret  her- 
stammt, usw. 

Die  Regel  ist,  daß  nur  die  zu  einer  Art  gehörigen  Individuen  mit- 
einander kopulieren.  Doch  kommen  auch  Ausnahmen  vor,  und  man  kann 
garnicht  so  selten  verschiedene  Insektenarten  (besonders  Käfer)  mit- 
einander kopulieren  sehen.  Ob  freilich  solche  Paarungen  von  Erfolg 
begleitet  sind,  darüber  ist  wenig  bekannt.  Bei  Schmetterlingen  (vor  allem 
bei  Schwärmern  und  Spinnern)  kennen  wir  allerdings  eine  ganze  Reihe  von 
Bastarden,  doch  sind  die  meisten  davon  künstlich  gezüchtet.  —  Wenn  wir  die 
große  Zahl  der  existierenden  Insekten  berücksichtigen,  und  ferner  die  ge- 
ringen Unterschiede,  durch  welche  die  Arten  vielfach  voneinander  getrennt 
sind,  so  muß  die  kleine  Zahl  von  Bastarden  auffallen.  Worauf  die  geringe 
Neigung  zur  Bastardierung  beruht,  darüber  sind  wir  noch  wenig  genau 
orientiert.  In  manchen  Fällen  scheint  eine  Kreuzung  aus  mechanischen 
Gründen,  durch  den  oft  gerade  bei  nahe  verwandten  Arten  sehr  ver- 
schiedenen Bau  der  Kopulationsorgane  unmöglich  gemacht  zu  sein.  Sicherlich 
dürften  aber  auch  psj^chische  Momente  (Erregung  durch  ganz  bestimmte  Ge- 
rüche oder  Geräusche)  für  das  seltene  Vorkommen  von  Kreuzungen  ver- 
antwortlich zu  machen  sein. 


124  Kapitel  IV.     Fortpflanzung. 

Parthenogenese  und  verwandte  Erscheinungen. 

Parthenogenesis  und  Heterogonie. 

Wenn  es  auch,  wie  schon  gesagt,  die  Regel  ist,  daß  die  Eier  dei 
Insekten  wie  die  der  anderen  Tiere  zur  Entwicklung  der  Befruchtung  be- 
dürfen, so  gibt  es  doch  gerade  unter  den  Insekten  eine  verhältnismäßig  große 
Zahl  von  Ausnahmen,  in  denen  sich  die  Eier  auch  ohne  vorhergegangene 
Befruchtung  zu  normalen  Imagines  entwickeln.  Diese  eingeschlechtliche  Art 
der  Fortpflanzung  bezeichnet  man  als  „Jungfernzeugung"  oder  Partheno- 
genese. 

Das  Vorkommen  von  Parthenogenese  wurde  zwar  schon  seit  langem 
(18.  Jahrhundert)  behauptet,  doch  man  war  im  allgemeinen  so  sehr  von  der 
Notwendigkeit  der  Befruchtung  überzeugt,  daß  man  den  von  einigen  wenigen 
Forschern  aufgestellten  Angaben  keinen  Glauben  schenkte.  Erst  um  die 
Mitte  des  19.  Jahrhunderts  gelang  es  dem  schlesischen  Imker  Dzierzon  (bei 
der  Biene)  und  dem  Zoologen  Siebold  (bei  einem  Schmetterling,  Psyche) 
die  Jungfernzeugung  einwandfrei  nachzuweisen,  so  daß  der  Widerspruch 
aufgegeben  wurde. 

Die  Parthenogenese  tritt  entweder  als  anormale  Erscheinung  auf,  oder 
aber  stellt  den  normalen  Fortpflanzungsmodus  dar. 

Eine  anormale  oder  exzeptionelle  Parthenogenese  liegt  da  vor, 
w^o  für  gewöhnlich  die  zweigeschlechtliche  (amphigone)  Fortpflanzung  statt- 
findet und  wo  nur  ausnahmsweise  auch  unbefruchtete  Eier  zur  Entwicklung 
gelangen.  Solche  Fälle  sind  bis  jetzt  hauptsächlich  bei  Schmetterlingen  beob- 
achtet worden  {Liparis  dispar,  similis,  Lasiocampa  pini),  seltener  bei  anderen 
Insekten,  wie  Hemipteren,  Blattwespen,  Stabheuschrecken  usw.  Die  aus  den 
unbefruchteten  Eiern  hervorgehenden  Tiere  sind  in  diesen  Fällen  meist 
weiblichen  Geschlechtes  (Thelytokie). 

Die  normale  Parthenogenese  tritt  sowohl  gemischt  mit  Amphi- 
gonie  auf,  als  auch,  wenn  auch  viel  seltener,  rein,  d.  h.  als  einziger  Fort- 
pflanzungsmodus. Im  ersteren  Fall  kommt  die  Jungfernzeugung  ent- 
weder direkt  neben  der  zweigeschlechtlichen  Fortpflanzung  vor, 
so  daß  die  Kinder  einer  Mutter,  also  die  Geschwister,  teils  aus  befruchteten, 
teils  aus  unbefruchteten  Eiern  entstanden  sein  können;  oder  aber  die  zwei- 
geschlechtliche und  die  eingeschlechtliche  Fortpflanzung  wechseln 
in  den  verschiedenen  Generationen  miteinander  ab,  so  daß  also 
sämtliche  Kinder  einer  Mutter  entweder  nur  aus  befruchteten  oder  aber  nur 
aus    unbefruchteten  Eiern   hervorgehen   (alternierende  Parthenogenese). 

Für  das  erste  Vorkommnis  liefert  uns  die  Biene  das  bekannteste 
Beispiel.  Hat  es  doch,  wie  oben  schon  gesagt,  die  Bienenkönigin  gewisser- 
maßen „in  der  Hand",  die  Eier  zu  befruchten  oder  nicht,  je  nachdem  sie  auf 
die  in  der  Scheide  herabgleitenden  Eier  Samenfäden  aus  der  Samentasche 
austreten  läßt  oder  nicht.  Auch  hier  hat  die  Befruchtung  oder  Nicht- 
befruchtung  einen  Einfluß  auf  die  Bestimmung  des  Geschlechtes;  doch  ergeben 
hier  die  unbefruchteten  Eier,  im  Gegensatz  zu  den  obigen  Fällen,  nur 
Männchen  (Drohnen),  während  aus  den  befruchteten  die  Weibchen  und  die 


Parthenogenese  und  verwandte  Erscheinungen. 


125 


Arbeiter  (die  ja  nichts  anderes  als  rückgebildete  Weibchen  sind)  hei  vorgehen 
(Arrhenotokie).  Ist  nun  der  Samenvorrat  der  Bienenkönigin  ausgegangen, 
so  kann  letztere  natürlich  nur  noch  unbefruchtete  Eier  ablegen  und  also  nur 
noch  Männchen  erzeugen.  So  erklärt  sich,  vi^arum  alte  Königinnen  häufig 
„drohnenbrütig"  werden.  Diese  von  Dzierzon  aufgestellte  und  inzwischen 
noch  vielfach  (auch  durch  mikroskopische  Untersuchungen)  bestätigte  Lehre 
gilt  auch  für  die  anderen  sozialen  Hautflügler,  die  Wespen,  Hummeln, 
Ameisen  und  ferner  auch  für  einige  solitär  lebende  Bienenarten. 

Die  alternierende  Parthenogenese  kann  unregelmäßig  oder 
regelmäßig  sein.  Bei  der  unregelmäßigen  Form  folgt  eine  unbestimmte 
(mitunter  sehr  große)  Zahl  parthenogenetischer  Generationen  eine  ganz 
unbestimmte  Zeit  lang 
aufeinander,  ehe  wüeder 
Männchen  auftreten  und 
Gamogenie  stattfindet. 
Hierher  möchte  ich 
jene  Arten  rechnen,  bei 
denen  die  Männchen 
sehr  selten  sind  oder 
oft  viel  Jahre  ganz 
verschwunden  zu  sein 
scheinen  (manche  Aphi- 
den  u.  a.). 

Bei  der  regel- 
mäßigen alternie- 
renden Partheno- 
genese wechseln  ein- 
und  zweigeschlechtliche 
Fortpflanzung  in  einem 
einigermaßen  be- 
stimmten, regelmä- 
ßigen Zyklus  miteinander  ab.  Man  bezeichnet  einen  solchen  in 
Weise  zusammengesetzten  Fortpflanzungsmodus  als  Heterogonie. 

Die  einfachste  Form  der  Heterogonie  ist  die,  bei  welcher  je  eine  gamo- 
genetische  und  eine  parthenogenetische  Generation  miteinander  abwechseln. 
Eine  solche  Heterogonie  finden  wir  nach  der  schönen  Entdeckung  von  Adler 
bei  vielen  Gallwespen,  die  hier  noch  dadurch  besonders  auffällig  ist,  daß 
nicht  nur  die  Tiere  selbst,  sondern  auch  die  von  ihnen  erzeugten  Gallen 
der  beiden  Generationen  wesendich  voneinander  sich  unterscheiden.  Als 
bekanntestes  Beispiel  hierfür  sei  Biorhiza  terminaiis  genannt:  Aus  den  großen, 
fleischig  schwammigen,  an  den  Triebenden  unserer  Eichen  so  häufig  vor- 
kommenden sog.  Kartoffelgallen  schlüpfen  ungeflügelte  weibliche  und 
geflügelte  männliche  Gallwespen  aus,  welche  früher  mit  dem  Namen  Tereas 
terminaiis  belegt  wurden  (Fig.  113).  Nachdem  sich  diese  begattet,  steigt  das 
Weibchen  an  die  Wurzeln  der  Eiche  hinab,  um  an  dieselben  mit  Hilfe  seines 
Legestachels  seine  Eier  abzusetzen.     Als  Folge  davon  entwickelt  sich  während 


Fig.  113.  Die  Gallenformen  der  beiden  Generationen  von  Biorhiza 
tenninalis  Hfg.  A  die  Wurzelgalle,  aus  der  die  Biorhiza  aptera  Fabr. 
schlüpft,  a  Galle  mit  dem  Loche,  durch  welches  die  Wespe  auskam. 
B  Terminalgalle  mit  schwammigem  Gefüge,  aus  der  die  Tereas 
terminaiis  genannte,  aus  Männchen  und  Weibchen  bestehende  Gene- 
ration schlüpft.  -  (N.) 

dieser 


126  Kapitel  IV.     Fortpflanzung. 

des  Hochsommers  und  Herbstes  an  den  Wurzeln  eine  kleine  rötliche  Galle, 
welche  im  Winter  reift,  und  aus  ihr  schlüpfen  nun  ausschließlich  un ge- 
flügelte Weibchen  heraus,  die  unter  dem  Namen  ^/orÄ/s«  aptera  bekannt 
sind.  Diese  pflanzen  sich  alsbald  parthenoge netisch  fort,  indem  sie  sofort 
nach  ihrem  Ausschlüpfen  den  Baum  erklettern  und  die  Terminalknospen  der 
Zweige  anstechen  und  mit  Eiern  belegen.  Darauf  kommt  hier  wieder  die 
erstgenannte  Kartoffelgalle  zur  Entwicklung,  aus  der  im  Sommer  Männchen 
und  Weibchen  auskriechen.  Es  entstehen  also  hier  aus  den  befruchteten 
Eiern  ausschließlich  Weibchen,  während  aus  den  von  diesen  abgelegten 
unbefruchteten  Eiern  die  beiden  Geschlechter  hervorgehen. 

Wesentlich  komplizierter  wird  die  Heterogonie,  wenn  zwischen 
je  zwei  gamogenetischen  Generationen  eine  größere  Anzahl  von  partheno- 
genetischen  Generationen,  die  auch  wieder  in  verschiedener  Gestalt  auftreten, 
eingeschoben  werden.  Dies  ist  bei  den  meisten  Pflanzenläusen  der  Fall; 
so  wird  z.  B.  bei  den  Chermiden  der  Entwicklungszyklus  aus  einer  ganzen 
Reihe  verschiedener  Generationen  zusammengesetzt  (Fig.  114).  Da  haben 
wir  1.  die  zweigeschlechtliche  Generation,  die  aus  zwerghaft  kleinen 
flügellosen  Männchen  und  Weibchen  (Sexuales)  besteht;  dieselbe  tritt  nur 
einmal  im  Jahre  (Herbst)  auf  der  Fichte  auf,  um  ein  sog.  Winter  ei  zu  er- 
zeugen. 2.  Aus  diesem  kommt  im  folgenden  Jahr  ein  Weibchen  hervor, 
das  ebenfalls  flügellos  ist  und  auf  der  Fichte  eine  Galle  erzeugt;  sie  wird 
Stammutter  oder  Fundatrix  genannt.  3.  Die  Fundatrix  bringt  (partheno- 
genetisch  natürlich)  eine  Anzahl  Kinder  hervor,  und  zwar  nur  Weibchen, 
die  geflügelt  sind  und  von  der  Gallenpflanze  auf  eine  Nichtgallenpflanze 
(Lärche,  Kiefer,  Weißtanne)  überwandern;  sie  werden  Fundatrigeniae  oder 
Migrantes  alatae  oder  Cellares  genannt.  4.  Diese  erzeugen  (wiederum 
parthenogenetisch)  die  sog.  Virginogeniae  oder  Emigranten,  das  sind 
ebenfalls  (wenigstens  meistens)  flügellose  Weibchen,  die  auf  der  Nichtgallen- 
pflanze verbleiben.  5.  Diese  können  nun  im  Sommer  und  Winter  in 
mehreren  gleichartigen  Generationen  auftreten,  bis  aus  der  Frühjahrsgeneration 
andere  Formen  (die  sog.  Sexuparae)  sich  entfalten,  die  Flügel  besitzen  und 
die  von  der  Nichtgallenpflanze  zu  der  Gallenpflanze  zurückwandert,  um  dort 
Eier  zweierlei  Geschlechts  zu  legen,  aus  denen  die  kleinen,  flügellosen 
Männchen  und  Weibchen  hervorgehen,  von  denen  wir  ausgegangen  sind. 

Dieser  fünfteilige  Entwicklungsz3'klus  kann  sogar  noch  komplizierter 
werden,  indem  die  Emigranten  sich  in  mehrere  Formen  gliedern  können, 
die  als  Hie  mal  es  und  Aestivales  unterschieden  werden.  Die  Hiemahs 
erzeugen  meist  wieder  ihresgleichen  und  auch  Aestivales ;  und  ebenso  erzeugen 
die  Aestivales  sowohl  ihresgleichen,  als  auch  Hiemalis.  Nur  aus  den  Aestivales 
gehen  aber  Sexuparae  hervor,  während  die  Hiemalis  die  Sexuparapotenz 
verloren  haben.  So  kann  also  neben  dem  fünfteiligen  Hauptkreis  noch  ein 
besonderer  parthenogenetischer,  nur  aus  Hiemalis  bestehender  Kreis  neben- 
herlaufen, wie  aus  dem  beigegebenen  Schema  (Fig.  114)  zu  ersehen  ist. 

Reine  Parthenogenese.  Nehmen  wir  nun  an,  daß  in  jenem  Ent- 
wicklungszyklus die  Sexuales,  Sexuparae  usw.  in  Wegfall  kommen,  so  bleibt 
nur  der  auf  der  Nichtgallenpflanze  sich  abspielende  parthenogenetische  Kreis 


Parthenogenese  und  verwandte  Erscheinungen. 


127 


über  und  wir  haben  nunmehr  eine  reine  Parthenogenese,  bei  der  die  Fort- 
pflanzung der  betreffenden  Art  ausschließlich  auf  parthenogenetischem  Wege 
stattfindet.  Dies  ist  bei  einigen  Chermes-Arten  auch  wirklich  der  Fall,  wie 
z.  B.  bei  Chermes  piceae,  strobi  und  nüßlini.  Man  hat  früher  angenommen, 
daß  rein  parthenogenetische  Fortpflanzung  nicht  gut  möglich  sei,  da  sie  all- 
mählich eine  Schwäche  oder  Degeneration  zur  Folge  haben  iiiüsse.  Dies  trifft 
aber  nach  den  neueren  Forschungen  Börners,  Nüßlins  usw.  durchaus  nicht 
zu;  danach  steht  es  vielmehr  fest,  daß  die  parthenogenetische  Fortpflanzung 
sich  unbegrenzte  Zeit  zu  erhalten  imstande  ist,  ohne  daß  wir  auch  nur  irgend 
ein  Zeichen  pathologischer  Veränderung  daran  wahrnehmen  können. 

Bei  manchen  Insekten  scheint  die  Parthenogenese  geographisch 
begrenzt  zu  sein,  so  pflanzt  sich  ein  Sackträgerschmetterling  [Psyche  helix), 
in  manchen  Gegenden  nur  parthenogenetisch  fort,  während  an  anderen 
Orten  auch  Männchen,  wenngleich 
nur  selten,  vorkommen.  Man  muß 
übrigens  in  dieser  Beziehung  sehr 
vorsichtig  sein,  und  es  ist  jeden- 
falls nicht  gerechtfertigt,  allein  aus 
dem  Umstand,  daß  von  einer  Art 
bis  jetzt  noch  kein  Männchen  ge- 
funden ist,  ohne  weiteres  auf  das 
Vorhandensein  einer  reinen  Par- 
thenogenese zu  schließen,  denn 
das  Nichtauffinden  der  Männchen 
kann  ja  auch  auf  deren  großen 
Seltenheit  oder  auf  ihrer  versteckten 
Lebensweise,  oder  noch  auf  ver- 
schiedenen anderen  Momenten  be- 
ruhen. 


Fig.  114.    Entwicklungszyklus  von  Chermes. 
Nach  Börner. 


Paedogenesis. 

Die  Paedogenesis  —  abgeleitet  von  nalg  Genitiv,  naidög  das  Kind,  und 
yersaig  die  Erzeugung —  stellt  eine  besondere  Art  der  Parthenogenese 
dar,  bei  welcher  das  betr.  Weibchen  sich  bereits  im  Larvenstadium  fort- 
pflanzt. Dieser  auffallende  Fortpflanzungsmodus  wurde  1861  von  dem 
russischen  Zoologen  N.  Wagner  bei  den  unter  alter  Baumrinde  allenthalben 
nicht  selten  vorkommenden  Larven  einer  Gallmückenart  [Miastor  metroloas 
Meinert)  entdeckt. 

Hier  entwickeln  sich  die  Anlagen  der  Eiröhren,  ohne  daß  es  zu  der 
Bildung  von  Ausführungsgängen  kommt;  sie  zerfallen  vielmehr  in  einzelne 
Abschnitte,  die  aus  je  einem  Eifach  mit  Eizelle  und  Epithel  und  einem  Dotter- 
fache bestehen.  Diese  Abschnitte  liegen  frei  in  der  Leibeshöhle  der  Mutter- 
larve; jede  Eizelle  entwickelt  sich  nun  auf  Kosten  der  anliegenden  Zellen  zu 
einem  Embryo,  der  bald  die  EihüUe  durchbricht,  sich  von  dem  Fettkörper 
und  den  übrigen,  zerfallenden  Organen  des  Muttertieres  ernährt  und  so 
heranwächst,  so  daß  schließlich  nur  die  Chitinhülle  des  letzteren  übrig  bleibt 


128 


Kapitel  I\^     Fortpflanzung 


(Fig.  115),  die  endlich  von  den  Tochterlarven  gesprengt  wird.  Letztere 
können  nun  entweder  selbst  wieder  paedogenctisch  Junge  erzeugen,  oder 
nach  vorhergehender  Verpuppung  sich  in  die  Imagines  verwandeln,  die 
sowohl  männlichen  wie  weiblichen  Geschlechts  sind.  Es  findet  eine 
Befruchtung  statt,  das  Weibchen  legt  die  befruchteten  Eier  unter  die  Borke 
ab  und  es  entwickelt  sich  daraus  wieder  eine  Larvengeneration,  die  den 
Anfang  einer  Reihe  paedogenetischer  Generationen  bildet.  Nach  Kahle, 
dem  wir  die  neuesten  eingehenden  Untersuchungen  darüber  verdanken, 
können  mehrere  Jahre  hintereinander  nur  Larvengenerationen  existieren, 
ehe  die  Metamorphose   eintritt  und   die  Imagines   erscheinen.  —  Es  wechseln 

also  eine  Anzahl  paedo- 
genetischer resp.  partheno- 
genetischer  Generationen 
mit  je  einer  gamogene- 
tischen  ab,  so  daß  wir 
also  auch  hier  von  einer 
Heterogonie  zu  sprechen 
berechtigt  sind. 

Polyembryonie  oder 
Germinogonie. 
Im  Jahre  1904  hat  der 
französische     Entomologe 
Paul  Marchai  an  einigen 
parasitisch    lebenden    Hy- 
menopteren,    nämlich    bei 
dem       in       Hyponomeuta 
schmarotzenden    Encyrtus 
fuscicollis  und  dem  in  der 
Hessenfliege  schmarotzen- 
den   Polygnotus    ininntus, 
die     überraschende     Ent- 
deckung gemacht,  daß  aus 
einem  einzigen  Ei  eine 
ganze  Anzahl  Embryonen   hervorgehen,    die   sich   alle  zu  richtigen 
Imagines    entwickeln.     Er    nannte    diesen    Vorgang   Polyembryonie    oder 
Germinogonie. 

Bei  Encyrtus  spielt  sich  derselbe  ungefähr  folgendermaßen  ab:  Das  be- 
fruchtete Weibchen  legt  in  die  Larve  von  Hyponomeuta  ein  Ei.  Dieses 
teilt  sich  zunächst  in  5  Furchungskerne,  einen  sehr  großen  exzentrisch  ge- 
legenen und  4  kleine.  Ersterer,  der  sog.  Paranucleus,  wächst  zu  einer  Art 
Nährgewebe  (Trophamnion)  heran,  w^elches  die  Übertragung  der  vom  Wirt 
stammenden  Nährstoffe  zu  den  heranwachsenden  Embryonen  vermittelt.  Die 
anderen  4  Kerne  dagegen  stellen  den  Ausgangspunkt  für  die  Vermehrung 
der  Embryonen  dar.  Wenn  die  Kerne  sich  auf  8 — 10  vermehrt  haben, 
bildet  sich  aus  dem  Gewebe  des  Wirtes  um  das  Ei  eine  Cyste,  welche  später 


Fig.  115.  Paedogenetisch  sich 
fortpflanzende  Fliegenlarve 
aus  verdorbenen  Zuckerrüben- 
rückständen  nach  Pagen - 
Stecher,  a  Augenfleck  der 
mütterlichen  Larve.  Sie  ent- 
hält fünf  junge  Larven,  deren 
Kopfenden  durch  den  gleichen 
Augenfleck  a'  angezeichnet 
sind.  —  (N.) 


Fig.  116.  Polyembryonie  von 
Encyrtus  fuscicollis.  Ei  mit  17 
Morulae  (Embryonen).  E  Em- 
bryonen; TTrophamnion  (Nähr 
gewebe);  C  Cystenhülle.  Nach 
Silvestri. 


Eiablage.  129 

mit  dem  riesigen  Wachstum  des  letzteren  stets  Schritt  hält  (Fig.  116). 
Während  des  Winters,  wo  die  gegen  Ende  September  ausgeschlüpften 
Raupen  der  Hyponomeufa  nicht  wachsen,  gelangt  auch  das  Ei  des  Parasiten 
nur  bis  zu  20  Furchungskernen;  aber  im  nächsten  Frühjahr  wächst  es  rasch 
auf  über  1  mm  heran  und  wird  bereits  im  Mai  zu  einem  3 — 4  mm  langen 
Schlauche,  der  oft  Seitensprossen  treibt,  und  dann  etwa  100  Morulae  enthält. 
Aus  jeder  Morula  entsteht  eine  Larve  resp.  Imago,  so  daß  also  aus  einem 
Ei  ca.  100  Imagines  hervorgehen.  Manchmal  findet  man  auch  mehr, 
ca.  180  Larven  in  einer  Hypouomeula-Raupe,  was  aber  darauf  beruhen  dürfte, 
daß  zwei  Eier  in  eine  Raupe  gelegt  wurden.  Alle  aus  einem  Ei  hervor- 
gehenden Imagines  besitzen  das  gleiche  Geschlecht,  und  wenn  daher  aus 
einer  Raupe  männliche  und  weibliche  Encyrtiis  auskommen,  so  ist  dies  ein 
Zeichen,  daß  mehrere,  mindestens  zwei  Eier  in  die  betr.  Raupe  abgelegt 
worden  waren. 

Die  Polyembryonie  wurde  einige  Jahre  nach  Marchals  Entdeckung 
von  Silvestri  auch  noch  bei  einem  anderen  Encyrtiden,  nämlich  dem  in  ver- 
schiedenen Schmetterlingen  {Phtsia  gamma  und  anderen  Eulen)  schmarotzenden 
Encyrtus  {Litomastix)  truncatellns  festgestellt,  wobei  sich  aber  aus  einem  Ei 
nicht  weniger  als  1000  Larven  entwickeln.  Wahrscheinlich  werden  bei 
eingehenden  Nachforschungen  noch  weit  mehr  derartige  Fälle  bekannt  werden, 
—  im  Hinblick  darauf,  daß  die  polyembryonal  sich  fortpflanzenden  Parasiten 
gegenüber  den  anderen  monoembryonal  sich  fortpflanzenden  Arten  einen 
großen  Vorsprung  bezügl.  der  Vermehrung  und  Sicherung  der  Arterhaltung 
haben. 

Eiablage. 

Die  Zahl  der  Eier,  die  ein  W^eibchen  ablegen  kann,  ist  sehr  ver- 
schieden, und  kann  von  einigen  wenigen  bis  zu  vielen  Millionen  betragen; 
so  legt  z.  B,  das  Weibchen  vom  Floh  ca.  ein  Dutzend  Eier,  vom  Totengräber 
{Necrophorus)  ca.  30,  von  der  Seidenraupe  {Bombyx  mosi)  ca.  500,  vom 
großen  Bären  {Arctia  caja)  ca.  1600  usw.  Dann  kommen  die  ganz  starken 
Eierleger:  die  Kolumbatschermücke,  die  ca.  5 — 10000  Eier  legt,  die  sozialen 
Wespen,  die  während  ihres  Lebens  ca.  20 — 30000,  die  Honigbiene,  die  bis 
60000  Eier  legt,  und  endlich  die  Termiten,  die  mit  mehreren  Millionen  Eiern 
(deren  Ablage  sich  allerdings  über  viele  Jahre  erstreckt)  den  Rekord  halten. 

Was  speziell  die  Forstinsekten  betrifft,  so  ist  bei  ihnen  die  Eizahl  ge- 
wöhnlich nicht  allzu  hoch;  so  legen  z.  B.  die  Borkenkäfer  nicht  mehr  als 
30—100  Eier,  Lyda  hypotrophica  nur  25,  Lyda  stellata  ca.  80,  die  Nematiden 
60—150,  die  Kieferneule  200—300,  die  Nonne  bis  350  (ausnahmsweise  auch 
bis  400).  Bei  einigen  kommen  allerdings  auch  noch  höhere  Zahlen  vor,  so 
zählte  Scheidter  beim  Schwammspinner  600 — 800  Eier,  bei  Agelasiica  alni 
800,  und  bei  Melasoma  popidi  sogar  1000  Eier;  auch  die  Cossiden  und 
Sesiiden  sind  sehr  produktiv,  und  dürfte  ihre  Eizahl  wohl  ebenfalls  an  1000 
heranreichen. 

Über  die  Dauer  der  Eiablage  ist  oben  schon  einiges  gesagt.  Bei 
vielen  Insekten  werden  die  Eier  alle  auf  einmal  resp.  in  kürzester  Zeit  ab- 
Esche rieh,  Forstinsekten.  9 


2^30  Kapitel  IV.     Foi-tpflanzung. 

gelegt  (wie  z.  B.  bei  vielen  Spinnern);  bei  anderen  dagegen  zieht  sich  die 
Eiproduktion  und  Ablage  über  Wochen,  Monate  und  Jahre  hin,  indem  jedes- 
mal entweder  nur  ein  kleineres,  aus  einem  Bruchteil  der  Gesamtzahl  be- 
stehendes Häufchen  oder  gar  nur  ein  Ei  abgelegt  wird  (z.  B.  Borkenkäfer, 
Bockkäfer,  Pissodes  usw.). 

Bezüglich  des  Ortes  der  Eiablage  läßt  sich  als  allgemeine  Regel  auf- 
stellen, daß  die  Eier  gewöhnlich  da  abgelegt  werden,  wo  die  aus- 
kommenden Larven  die  ihnen  zusagenden  Lebensbedingungen, 
vor  allem  die  nötige  Nahrung  finden.  Der  Instinkt,  der  die  Weibchen 
dabei  leitet,  arbeitet  ungemein  sicher,  so  daß  Irrungen  nur  relativ  selten  vor- 
kommen.^) Wenn  natürlich  die  Weibchen  abgehalten  werden,  die  normalen 
Ablagestellen  aufzusuchen,  so  läßt  sie  ihr  starker  Legedrang  die  Eier  auch 
an  anderen  Orten  ablegen;  so  weiß  jeder  Schmetterlingszüchter,  daß  die 
Schmetterlingsweibchen  in  Gefangenschaft  überall,  selbst  in  den  kleinsten 
Zündholzschachteln,  ihre  Eier  absetzen. 

Um  für  die  oben  ausgesprochene  Regel  einige  Beispiele  anzuführen,  so 
sehen  wir,  daß  die  Schmetterlinge  in  der  Freiheit  ihre  Eier  gewöhnlich  an 
der  Pflanze  ablegen,  welche  der  Raupe  als  Nahrung  zusagt;  dabei  wird  oft 
auch  auf  die  verschiedenen  Teile  der  Pflanze  Rücksicht  genommen,  so  legt 
z.  B.  die  Kieferneule  ihre  Eier  an  die  Nadeln,  der  Kieferntriebwickler  da- 
gegen an  die  Spitze  der  Triebe,  da  eben  die  Raupen  der  ersteren  sich  von 
den  Nadeln  nähren,  während  die  Raupen  der  letzteren  sich  in  die  Triebe 
einbohren.  Diejenigen  Insekten,  deren  Larven  von  Wurzeln  leben,  ver- 
senken ihre  Eier  mehr  oder  weniger  tief  in  die  Erde.  Mist-  und  Aaskäfer 
legen  ihre  Eier  an  tierische  Exkremente  oder  Tierleichen.  Insekten,  deren 
Larven  sich  von  Blattläusen  nähren,  z.  B.  die  Florfliege  {Chrysopa),  legen 
ihre  gestielten  Eier  auf  mit  Blattläusen  besetzte  Blätter.  Wo  die  Larven  an 
das  Wasser  gebunden  sind,  wie  die  der  Eintagsfliegen,  Libellen  usw.,  da 
sorgen  die  Weibchen  dafür,  daß  die  Eier  in  das  Wasser  abgelegt  werden. 
Die  Borken-,  Bock-,  Prachtkäfer  und  verschiedene  Rüsselkäfer,  deren 
Larven  unter  Rinde  oder  in  Holz  leben,  legen  auch  ihre  Eier  in  oder  unter 
die  Rinde  (teils  in  besondere  dafür  ausgenagte  Gänge),  und  zwar  geht  dabei 
jede  Spezies  nur  an  eine  ganz  bestimmte  Baumart,  und  nicht  nur  das, 
sondern  die  Weibchen  wissen  auch  jeweils  den  für  die  Larve  zusagenden 
Gesundheitszustand  der  betreffenden  Bäume  auszuwählen,  indem  die  einen 
völlig  gesunde  Bäume  aufsuchen,  andere  dagegen  nur  kränkelndes,  wieder 
andere  nur  abgestorbenes  Material  belegen.  Der  Aspenbock  {Saperda 
populnea)  nagt  sogar  um  die  Stelle,  wo  das  Ei  abgelegt  ist,  die  Rinde  in 
Form  eines  Hufeisens  durch,  um  den  Saftstrom  hier  zu  unterbrechen 
(Fig.  117).  Die  Blattwickler  (Rhynchites)  versetzen  die  Gewebe  der  Blätter, 
in  welche  die  Eier  eingewickelt  werden,  durch  Anstechen  der  Blattstiele 
oder   Mittelrippen,    in   den   der  Larve   zusagenden   Zustand    (Fig.    118).     Die 


^)  Als  eine  Instinktsirrung  darf  es  wohl  betrachtet  werden,  wenn  Weibchen 
der  Nonnentachine,  trotz  der  Anwesenheit  zahlreicher  untachinierter  Raupen  an  ein 
und  dieselbe  Raupe  ein  halbes  Dutzend  Eier  ablegt,  da  doch  nur  eine  oder  höchstens 
2  Larven  in  einer  Raupe  sich  entwickeln  können. 


Eiablage. 


131 


parasitischen  Insekten  legen  ihre  Eier  in  oder  außen  auf  den  Körper  ganz 
bestimmter  Raupen  usw.,  von  deren  Geweben  und  Säften  die  Larven  sich 
nähren.  Mit  welch  fabelhaftem  Spürsinn  dabei  manche  Insekten  begabt  sind, 
zeigt  das  Beispiel  der  großen  Ichneumonen  {Rhyssa,  Thalessa  usw.),  welche 
mit  Hilfe  ihres  langen  Legebohrers  die  Eier  den  tief  im  Holz  sitzenden 
Holzwespenlarven  zuführen  (Fig.  119). 

Es  gibt  auch  eine  ganze  Reihe  von  Insekten,  welche  zu  den  Eiern 
die  für  die  auskommenden  Larven  nötige  Nahrung  besonders  zu- 
fügen,  wie   z.  B,   die   Grabwespen    und   viele   andere   solitäre  Wespen   und 


Fig.  118.    Blattrolle  von  dem  Blatte  eiuer  echten  Kastanie, 
gefertigt  von  Attelabus  curculioiwides  L. 


Fig.  117.    Aspenzweig  mit  zwei 

von  Saperda  popiihiea-W eihchen 

genagten     „Hufeisen"     (Brut- 

pflegeX    Nach  Boas. 


Fig.  119.  Ein  Ichneumonide  (Tlialessa  lunator)  bei  der  Ablage 
der  Eier  in  einen  von  Holzwespen  bewohnten  Stamm.  Die 
nach  hinten  und  oben  umgebogenen  beiden  Spangen  sind  die 
Scheidenklappen;  der  eigentliche  Legebohrer  geht  von  der 
Hinterleibsspitze  direekt  in  das  Holz.    Nach  Riley. 


Bienen.  Die  Grabwespen  tragen  die  verschiedensten  Insekten  und  Spinnen 
(jede  Grabwespenart  hat  ihre  bestimmten  Beutetiere),  nachdem  sie  sie  mit 
einem  Stich  in  einen  Nervenknoten  gelähmt,  in  das  Nest,  so  daß  die  aus  den 
Eiern  auskommenden  Wespenlar\"en  genügend  frische  Nahrung  vorfinden. 
Bei  den  sozialen  Insekten  wird  die  auskommende  Brut  in  täglicher  Brut- 
pflege gefüttert,  was  natürlich  den  sichersten  Modus  für  die  Larven- 
ernährung darstellt. 

Auch  die  Form  der  Eigelege  ist  ungemein  verschieden,  und  oft  sehr 
charakteristisch  für  die  einzelnen  Arten;  die  einen  legen  ihre  Eier  in 
unregelmäßiger  Anordnung  ab,  wie  z.  B.  der  Kiefernspinner  (Fig.  120), 
die  Schmeißfliege   usw.;   auf  der  anderen  Seite  aber  finden  wir  Eigelege  von 

9* 


132 


Kapitel  IV.     Fortpflanzung. 


großer    Regelmäßigkeit,    wie    z.    B.    die    Eiringel    des    Ringelspinners 
(Fig.  122),  oder  die  Eizellen  des  Kiefernspanners  (Fig.  126)  oder  der  Kiefern- 


^:ii■^'. 


^M 


^^' 


A  B 

Fig.  120.    Eiablage   des  Kiefernspinners  {Bombyx  pini).    Beispiel  für  unregelmäßige  Eiablage.    A  an 

Zweigen;   S  am  Stamm   (der  weiße  Fleck  am  unteren  Ende  rührt  von  der  Harnausscheidung   des 

frischgeschlüpften  Weibchens  her).    Phot.  Fr.  Scheidter. 

eule,oderdieEiplatten  des  Eichen- 
prozessionsspinners und  anderer 
Schmetterlinge  (Fig.  123).  Auch 
viele  Blattkäfer  und  Wanzen  legen 
ihre  Eier  in  Form  einer  einschich- 
tigen Platte  ab  (Fig.  124  u.  125),  wenn 
auch  nicht  immer  so  regelmäßig 
wie  beim  Eichenprozessionsspinner 
usw.  Bei  den  Stechmücken  sind  die 
aus  dünnen  zylindrischen  Eiern  zu- 
sammengesetzten Eiplatten  mulden- 
förmig vertieft,  so  daß  sie  wie  ein 
Kahn  auf  dem  Wasser  schwimmen. 
Die  Eier  von  Chironomus  sind  in 
Gallertschnüren  in  mehr  oder 
weniger  regelmäßiger  zeilen-  oder 
hufeisenförmiger  Anordnung  ein- 
gebettet. Die  langen  Eier  der 
Küchenschaben  liegen  in  ihrer 
wie     Zigaretten     in     einem     Etui 


Fig.  121.  Unregelmäßige  Eiablage  von  Haltica  zwischen 

den  klebrigen  Haaren   eines  Haselstrauches.    Phot. 

Fr.  Scheidter. 


Kapsel     so     regelmäßig 
(Fig.  127). 


nebeneinander, 


Eiablage. 


133 


Wo  die  Eier,   wie  im  letztgenannten  Fall,  in  besonderen  Kapseln  oder 
in  Rinde  oder  Holz  abgelegt  sind,  bedürfen  sie  keiner  besonderen  Anheftung. 
Wo   sie   aber  äußerlich 
an   den  Pflanzen   abge- 
setzt werden,  sind  sie  mit 
einem  aus  den  Anhangs- 
drüsen stammenden, 
klebenden  Sekret  an  der 
Unterlage  befestigt;  des- 
gleichen sind  mit  dem- 
selben Sekret   oft   auch 

die  nebeneinander- 
liegenden Eier  zusam- 
mengeklebt. Manchmal 
sitzen  die  Eier  so  fest 
auf  der  Unterlage,  daß 
sie  nur  schwer  davon 
zu  entfernen  sind,  wie 
z.  B.  beim  Ringelspinner. 
Oft  besitzen,  wie  oben 
bereits     erwähnt,      die 

Eier  selbst  besondere  Haftapparate,  mit  denen  sie  sich  mit  der  Umgebung 
verankern.  Manchmal  werden  die  Eier  zwischen  die  klebrigen  Haare  der 
Futterpflanze  abgelegt,  wo  sie  ohne  weiteres  haften  bleiben  (Fig.  121). 


Fig.    122. 


A  ß 

„Eiringel".     A  vom   Ringelspinner   (Bomlyx  mustria  L.) 
vom  Bomhyx  castrensis  L..    Phot.  Fr.  Scheidter. 


Fig.  123.    „Eiplatten".    A  vom  Bnchenspinner  (Das.  imäibimda);  B  vom  Eichenprozessionsspinner  (C«ef;i. 
lirocessioma);  C  vom  Mondvogel  (Phalera  bitcephala).    Phot.  Fr.  Scheidter. 


Es  liegt  im  Interesse  der  Erhaltung  der  Art,   daß  die  Eier  vor  schäd- 
lichen  äußeren  Einflüssen,   vor   allem   vor   Feinden,    möglichst  ge- 


134 


Kapitel  IV.     Fortpflanzung. 


schützt  sind;  und  so  sehen  wir  auch  den  Instinkt  des  Weibchens  vielfach 
in  dieser  Richtung  tätig,  indem  er  das  Weibchen  leitet,  seine  Eier  entweder 
versteckt   (in   Ritzen,    unter    Kindenschuppen,    auf   die   Unterseite    der  Blätter 

usw.)  abzulegen,  oder  aber  be- 
sondere Schutzvorrichtungen 
zu  treffen.  Wir  haben  oben 
schon  von  den  Laich- 
schnüren von  Chironomus 
und  den  Eikapseln  der 
Küchenschaben  gesprochen. 
Ähnliche  Bildungen  kommen 
noch  bei  vielen  anderen  In- 
sekten vor,  z.  B.  bei  Hydro- 
philiis,  Mantis  usw.  (Fig.  127). 
Die  Feldheuschrecken  ver- 
fertigen mit  Hilfe  von  Hinter- 
leibssekreten Schutzgehäuse 
aus  Sand  um  die  Eier  (Fig.  128). 
Des  weiteren  führe  ich  als 
hierher  gehörige  Beispiele 
an:  die  Blattwespen,  welche  in  das  Pflanzengewebe  Taschen  (Fig.  129) 
zur  Unterbringung  der  Eier  sägen,  oder  den  Gelbrandkäfer  oder  gewisse 
Wasserwanzen   oder  Zikaden,    die  es  ganz  ähnlich  machen.     Vielfach  besteht 


Fig.  124. 


„Eiplatten"  einer  Schildwanze  (Pentatoma). 
Phot.  Fr.  Scheidter. 


A  B 

Fig.  125.    „Eiplatten"   von  Blattkäfern.    A  Mdasoma  tremulae;  B  Agelastica  dlni.    Phot.  Fr.  Scheidter. 


auch  die  Gewohnheit,  die  Eier  mit  Haaren,  Schuppen  oder  erstarrten 
Sekreten  zu  bedecken.  Hierher  gehören  die  „Eischwämme"  des  Schwamm- 
spinners und  Goldafters  (Fig.  131),  ferner  die  „Schuppenkolben"  des 
Kiefernprozessionsspinners  (Fig.  133),   die  „Wollringel"  des  Birkenspinners 


Eiablage. 


135 


Fig.  126.    „Eizellen"   des  Kiefern- 
spanners (Bupalus  piniarius).    Phot. 
Fr.  Scheidter. 


Fig.  127.    „Eikapseln".    A  von  der  Küchenschabe  (Blatta);  B  von 

Mantis  (mit  ausschlüpfenden  Jungen) ;   C  von  Hyärophilus.    Nach 

Henneguey  und  Brongniart. 


Fig.  128.  Eiablage  eines  Acridiers  (Wanderheuschrecke).  Das 
Männchen  sitzt  noch  von  der  Kopula  her  auf  dem  Weibchen. 
Letzteres  legt  die  Eier  in  die  Erde,  in  besondere,  mit  Hilfe  von 
Sekreten  aus  Sand  hergestellte  Eikapseln.  Nach  Kunckel 
d'Herculais. 


Fig.  129.  jEitaschen"  einer  Weiden- 
blattwespe  {Nematus  miliaris). 


136 


Kapitel  IV.     Fortpflanzung. 


(Fig.  132)  und  der  „Schaumfleck"  des  Weidenspinners  (Fig.  134),  die 
Wachswolle  der  Pflanzenläuse  usw.  Bei  den  Schildläusen  deckt  sich  der 
Körper  der  Mutter  als  schützendes  Schild  über  die  Eier. 

Manche  Weibchen  schleppen  ihre  Eier 
längere  Zeit  mit  sich  herum,  wie  z.  B.  die 
Küchenschaben,  bei  denen  die  mit  Eiern  ge- 
füllte Eikapsel  in  die  Geschlechtsöffnung  ein- 
gezwängt wird,  oder  die  Ephemeriden  und 
Perliden,  bei  denen  die  Eierklumpen  an  der 
Bauchseite  hängen.  Zweifellos  dürfen  wir  auch 
darin  eine  Schutzhandlung  erblicken. 

Manche  Insekten  bauen  auch  besondere 
Wohnungen  für  die  Eier  resp.  Brut,  und 
manche  üben  endlich  auch  einen  direkten 
Schutz  aus.  Unter  den  einzellebenden  Insekten 
gibt  es  allerdings  nur  wenige,  welche  die  ab- 
gelegten Eier  direkt  beschützen,  wie  die  Ohrwürmer,  deren  Weibchen  neben 
den  abgelegten  Eiern  (unter  Steinen  usw.)  verbleiben,  um  sie  gegen  Angriffe 
zu  verteidigen,  ferner  Gryllotalpa  und  gewisse  Wanzen  [Elastnostethus).  So- 
dann  hat  Mc.  Attee    neuerdings    eine   nordamerikanische  Tabanide  [Goniops 


Fig.  130.  Ei  (stark  vergrößert)  von 
Clytra  laeviiiscula  (Blattkäfer).  A  be- 
deckt mit  einer  größtenteils  aus  dem 
eigenen  Kot  gefertigten  Schutzhülle; 
B  Schuppen  der  Schutzhülle  entfernt. 
Nach  Lecaillon. 


Sc/? 


Fig.  131.    „Eischwämme".    A  vom   Goldafter  (lÄpaHs  chrysorrhoea);   B  vom  Schwammspinner  (Liparis 

dispar). 


chrysocomä)  beobachtet,  wie  sie,  mitunter  mehr  als  eine  Woche  lang,  die  auf 
einem  Blatt  abgelegten  Eier  bewacht  und  die  nahenden  Feinde  durch  ein 
lautes  summendes  Geräusch  abzuschrecken  sucht.  —  Bei  den  sozialen  Insekten 
dagegen  (Ameisen,    Wespen,    Termiten  usw.)  finden  wir  den  direkten  Schutz 


Eiablage. 


137 


ganz  allgemein,  indem  hier  die  Eier  von  Tausenden  von  mutigen  und  wehr- 
haften Arbeitern  und  Soldaten  bewacht  und  beschützt  und  außerdem  auch 
noch  gepflegt  (beleckt,  in  die  jeweils  zusagend  temperierten  Räume  ge- 
schleppt usw.)  werden.  Die  hohe  Ausbildung  der  Brutpflege  wird  auch 
von  manchen  nicht  sozialen  Insekten  ausgenützt,  indem  diese  ihre  Eier  z.  B. 
in  Ameisennestern  ablegen, 
wo  sie  dann  von  den 
Ameisen  gleich  der  eignen 
Brut  gepflegt  werden  (Brut- 
parasitismus). 


Fig.   133.     „Schuppenkolben"   vom  Pinieniirozessionsspinne 
{Cnefh.  pithyocampa). 


Fig.    132.    „WoUringel"   vom   Birken- 

spinner  {Bonibyx  lanestris).  Fig.  134.    „Schaumfleck"   vom  Weidenspinner  (Liparis  Salicis). 


Als  Beispiele  für  direkten  Eischutz  (allerdings  im  weiteren  Sinne) 
können  auch  noch  diejenigen  Fälle  angesehen  werden,  wo  die  Eier  sich  im 
Mutterleibe  entwickeln,  wobei  entweder  noch  die  Eier  eben  vor  dem  Ab- 
schluß der  Embryonalentwicklung  abgelegt,  oder  sogar  schon  weiter  ent- 
wickelte Stadien  (Larven  und  Puppen)  geboren  werden,  was  vor  allem  bei 
den  Zweiflüglern  (Tachinen,  Schmeißfliege,  Rachendasselfliege,  Lausfliege 
usw.)  vorkommt,  sodann  aber  auch  bei  einigen  Käfern  (Staphylinen)  und 
anderen  Insekten. 


138 


Kapitel  I\'.     Fortpflanzung. 


Embryonalentwicklung. 

Die  Entwicklung  im  Ei  umfaßt  eine  Reihe  von  Formbildungsvorgängen, 
die  darauf  hinauslaufen,  die  gesamte  Masse  der  Eizelle  innerhalb  der  Eischale 
in  ein  vielzelliges  Tier,  den  Embryo,  überzuführen.  Eingeleitet  wird  die 
Entwicklung  durch  die  Teilung  des  Eikernes  in  eine  Anzahl  Tochterkerne, 
die  sich  mit  Bildungsplasma  umgeben  und  unter  fortwährender  Vermehrung 
durch  den  Dotter  hindurch  nach  der  Oberfläche  zu  wandern,  bis  sie  unter 
die  Dotterhaut  zu  liegen  kommen.  Hier  geht  die  Vermehrung  weiter,  bis 
die  Kerne  —  die  mit  ihrem  kleinen  Plasmahof  als  „Furchungszellen" 
bezeichnet  werden  —  so  zahlreich  geworden  sind,  daß  sie  einander  be- 
rühren und  eine  zusammenhängende  Schicht  um  das  ganze  Ei,  resp.  den 
Dotter  bilden.  Diese  Hüllschicht  nennt  man  das  Blastode rm.  Zunächst  ist 
dasselbe  vollkommen  gleichmäßig  ausgebildet,  d.  h.  allenthalben  aus  gleich 
hohen  Zellen  zusammengesetzt.     Bald  jedoch  differenzieren  sich  die  Zellen, 


Fig.  135.    Furchung  und  Keimstreifenbildung.    A  Teile  des  Eikerns;  Bn.  C  die  Furchungskerne  rücken 
unter  fortwährender  Vermehrung  nach  der  Oberfläche,  bis  sie  in  D  eine  zusammenhängende  Schiebte, 
das  Blastoderm  (Bl),  bilden;  E  auf  der  Ventralseite  werden  die  Zellen  höher  und  bilden  den  Keim- 
streifen (Kst). 

indem  sie  in  einem  gewissen  Umkreis  höher  werden.  Diese  so  entstandene 
verdickte  Region  des  Blastoderms,  die  meist  von  länglich -ovaler  Form  ist, 
stellt  den  sog.  Keim  streif  dar,  der  das  Fundament  des  künftigen  Insekten- 
körpers bildet  (Fig.  135). 

Der  nächste  Vorgang  ist  der,  daß  der  Keimstreif,  der  der  Bauchseite 
des  Embryos  entspricht,  in  der  Mitte  sich  einsenkt  und  so  eine  Längsrinne 
bildet,  welche  als  „Primitivrinne"  den  Keimstreif  von  vorne  nach  hinten 
durchzieht.  Indem  diese  Furche  sich  dann  abschnürt,  entstehen  im  Keim- 
streifenbezirk zwei  Zellschichten,  von  denen  die  äußere  das  äußere  Keim- 
blatt oder  das  Ektoderm,  und  die  innere  zum  größten  Teil  das  mittlere 
Keimblatt  oder  das  Mesoderm  repräsentiert.  Gleichzeitig  mit  der  Primitiv- 
rinnenbildung,  oder  auch  etwas  früher,  treten  am  Vorder-  und  Hinterende 
des  Keimstreifes  je  eine  Gruppe  differenzierter  Zellen  auf,  welche  das  dritte 
Keimblatt  des  Entoderm  darstellen  (Fig.  136).  Dasselbe  ist  also  bei  den 
Insekten  keine  zusammenhängende  Schicht  (wie  bei  den  übrigen  Tieren), 
sondern  wird  vielmehr  durch  zwei  isolierte,  w^eit  voneinander  getrennte  Zell- 


Embrvonalentwicklune;. 


139 


Fig.  136.  Schematische  Darstellung  der  Keimblätterbildung.  A  Total- 
ansicht des  Keimstreifs.  Die  Entodermkeime  treten  nur  an  den 
beiden  Enden  auf.  B  n.  C  zwei  Querschnitte  durch  das  Vorderende 
des  Keimstreifs  mit  Entodermkeim  (B)  und  diu-ch  die  Mitte  ohne 
Entoderm  (C).  En  Entodermkeim;  Ek  Ektoderm;  Ms  Mesoderm. 
Nach  Escherich  aus  Berlese. 


häufen,  den  sog.  Entodermkeimen,  gebildet.  Aus  diesen  Keimen,  die  mit  der 
ektodermalen  Vorder-  und  Hinterdarmeinstülpung  eng  verbunden  sind,  sprossen 
Zellstränge  hervor,  die 
sich  allmählich  verbrei- 
tern    und     gleichzeitig 

einander  entgegen- 
wachsen (Fig.  140),  um 
schließlich  ein  jene 
beiden  Einstülpungen 
verbindendes  Rohr  (den 
Mitteldarm)    zu    bilden. 

Nach  Heymons 
und  vielen  anderen  soll 
bei  den  meisten  hisekten 
ein  eigentlicher  Entoderm 
an  dem  Aufbau  des  In- 
sektenkörpers nicht  be- 
teiligt sein,  sondern  der 
Mitteldarm  sich  direkt  aus 
dem  Ektoderm  der  Vor- 
der- und  Hinterdarm- 
einstülpung entwickeln,  so 
daß  also  die  Insekten  (im 
Gegensatz  zu  allen  an- 
deren höher  organisierten 
Tieren)  nur  aus  2  Keim- 
blättern bestünden.  Dem  wird  aber  neuerdings  allgemein  widersprochen  (siehe 
Korscheit  und  Heider). 

Während  der  Keimblätterbildung  hat  der  Keimstreif  auch  an  Aus- 
dehnung ganz  beträchtlich  zugenommen,  vor  allem  in  die  Breite,  indem  seine 
Seitenränder,  unter  den  dünn  gebliebenen 
Partien  des  Blastoderms  sich  hinschiebend, 
den  Dotter  allmählich  umwachsen,  bis  sie 
am  Rücken  zusammenstoßen. 

Dadurch,  daß  der  Keimstreif  sich 
unter  die  dünngebliebene  Hüllschicht  schiebt, 
bilden  sich  Falten,  welche  sich  immer 
mehr  über  den  Keimstreifen  ausbreiten 
und,  miteinander  verwachsend,  ihn  schließ- 
lich vollkommen  bedecken,  so  daß  jetzt 
über  dem  Embryo  zwei  Hüllen  liegen, 
die  als  äußere  und  innere  Eihaut 
oder  als  Serosa  und  Amnion  bezeichnet 
werden  (Fig.  137).  Bei  manchen  Insekten 
(z.  B.  Libellen)  wandert  der  Keimstreif 
tiefer  in  den  Dotter  ein,  so  daß  er  schließ- 
lich allseits  von  der  Oberfläche  abgerückt  ist  und  zwischen  Serosa  und 
Amnion  noch  eine  Schichte  Dotter  gelegen  ist  (Fig.  138). 

Als   weiterer  Vorgang   folgt   die  Segmentierung   des   Keimstreifs, 
d.  h.  letzterer  wird  durch  Querfurchen  in  eine  Anzahl  hintereinander  gelegene 


Isi. 


Jjn. 


^Ser. 


Fig.  137.  Bildung  der  Embryonalhüllen 
(Amnion  und  Serota)  durch  Überwachsung 
der  Blastodermränder.  Am  Amnion;  Ser 
Serosa;  iTs«  Keimstreif.  Nach  Kor  seh  elt 
und  Heider. 


140 


Kapitel  IV.     Fortpflanzuni 


Abschnitte  (Segmente)  zerlegt,  von  denen  die  vorderen  (die  sog.  Kopflappenj 
durch  ihre  starke  Verbreiterung  besonders  auffallen.  Zugleich  treten  an  jedem 
Segment  paarige,  sackförmige  Ausstülpungen  auf, 
welche  die  Anlagen  für  die  Gliedmaßen  darstellen, 
von  denen  allerdings  nur  die  dem  Kopf-  und  Brust- 
abschnitt angehörigen  zur  vollen  Ausbildung  gelangen, 
während  die  übrigen  (an  den  Hinterleibssegtnenten) 
wieder  rückgebildet  werden.  Zwischen  den  Gliedmaßen- 
anlagen bilden  sich  in  jedem  Segment  Verdickungen, 
aus  denen  das  Nervensystem  hervorgeht  (Fig.  139). 
Weiter  entsteht  an  dem  Vorder-  und  Hinterende  des 
Keimstreifes  je  eine  Einstülpung,  die  zur  Bildung  des 
Vorder-  und  Hinterdarmes  führt  (Fig.  140). 

Auf  weitere  Einzelheiten  der  Organbildung  kann 
hier  nicht  eingegangen  werden;  es  sei  nur  erwähnt, 
wie  die  Keimblätter  zu  den  einzelnen  Organen  sich 
verhalten.     Aus  dem  äußeren  Keimblatt  geht  hervor: 


:-tI^: 


Emb. 


-Am. 


-^- 


Ser. 


Ser. 


Ser. 


Fig.  1.39.  Totalansicht  eines 
Fig.  138.  Bildung  der  EmbryonalhüUen  dm-ch  Einstülpung  des  Keim-  Käferembryos  auf  dem 
Streifs  (Libellen-Ei).    Bezeichnungen  wie  in   Fig.   137.    Nach   Brandt  Dotter  des  Eies, 

aus  Korscheit  und  Heider.  Nach  Korscheit. 


Prost. 


die  Haut  mit  ihren  Anhängen 
und  Drüsen,  Vorder-  und 
Enddarm,  die  Tracheen,  das 
Nervensystem  und  die  Sinnes- 
organe und  endlich  ein  Teil 
der  Geschlechtsorgane  (der  un- 
paare  Ausführgang  mit  seinen 
Drüsen  und  sonstigen  Aus- 
stülpungen); aus  dem  mitt- 
leren Keimblatt:  das  Mus- 
kelsystem, der  Herzschlauch, 
die  Blut-  und  die  Fettzellen 
und  ebenfalls  ein  Teil  der  Geschlechtsorgane  (Keimdrüsen  und  paarige  Aus- 
führgänge); und  aus  dem  inneren  Keimblatt  (Entoderm):  der  Mitteldarm. 


Mcs.  M. 


Fig.  140.  Einstülpung  des  Vorder-  (Stom)  und  Hinterdarms 
{Trost);  Am  Amnion;  Ser  Serosa;  Mes  Mesoderm;  Ek  Ektoderm; 
HEnt  hinterer  Entodermkeim;  VEni  vorderer  Entodermkeim. 


Embryonalentwicklung.  141 

Hat  der  Embryo  die  ihm  zukommende  höchste  Entwicklungsstufe  er- 
reicht, so  öffnet  er  die  Eierschale  und  schlüpft  aus,  entweder  indem  er  durch 
seine  Bewegungen  die  allmählich  morsch  gewordene  Hülle  sprengt,  oder, 
wenn  er  mit  beißenden  Mundwerkzeugen  versehen  ist,  die  Schale  durchnagt. 
Bei  solchen  Insekten,  bei  welchen  die  Eischale  gegen  das  Ende  der  Ent- 
wicklung nicht  spröde  und  brüchig  wird,  sondern  ihre  Zähigkeit  bis  zuletzt 
behält,  kommen  nicht  selten  besondere  Apparate  zur  Sprengung  der 
Eischale  vor,  und  zwar  gewöhnlich  in  Form  eines  unpaaren  medianen 
Stachels  oder  einer  Leiste  oder  eines  Kammes,  der  im  Stirnteil  des  Kopfes 
sitzt.  Wir  kennen  solche  „Eisprenger"  bei  einer  ganzen  Reihe  von  Insekten 
aus  den  verschiedenen  Ordnungen,  wie  z.  B.  beim  Floh,  bei  verschiedenen 
Libellen,  Phryganiden,  Grillen  (Voß),  Ohrwürmern,  bei  Lepisma  saccharina, 
ferner  bei  verschiedenen  Blattläusen  und  Schildwanzen.  Bei  den  letzteren 
ist  der  Eisprenger  besonders  auffallend  und  daher  schon  mehrfach  be- 
schrieben, am  ausführlichsten  von  Heymons,  der  auch  eine  allgemeine  Über- 
sicht über  die  Eisprenger  gibt.  „Diese  Öffnungsapparate  haben  bei  den 
Insekten  immer  nur  eine  provisorische  Bedeutung,  sie  sind  lediglich  beim 
Embryo  oder  bei  der  ganz  jungen  Larve  vorhanden,  werden  aber  nach  Er- 
füllung ihres  Zweckes  meist  schon  sehr  bald,  und  zwar  in  der  Regel  sogar 
unmittelbar  beim  Verlassen  des  Eies,  jedenfalls  aber  bei  der  ersten  Häutung 
wieder  beseitigt  und  sind  demnach  im  späteren  Leben  des  Insekts  nicht 
mehr  vorhanden"  (Heymons). 

Was  die  Dauer  des  Eistadiums  betrifft,  so  ist  dieselbe  je  nach  den 
Insektenarten  sehr  verschieden,  und  kann  zwischen  wenigen  Stunden  und 
vielen  Wochen  und  Monaten  schwanken.  So  währt  sie  z.  B.  bei  der  Schmeiß- 
fliege kaum  24  Stunden,  bei  Calosoma  sycophanta  3 — 10  Tage,  bei  den  Blatt- 
wespen 10 — 12  Tage,  bei  den  Leuchtkäfern  5 — 6  Wochen  und  bei  der  Nonne 
ca.  9  Monate.  Doch  ist  im  letzteren  Fall  die  Dauer  des  Eistadiums  nicht  gleich- 
bedeutend mit  der  Dauer  der  Embryonalentwicklung.  Diese  ist  bei  der  Nonne 
vielmehr  in  wenigen  Wochen  schon  ziemlich  abgeschlossen,  so  daß  bereits  im 
September  —  das  Ei  wird  Ende  Juli  oder  Anfangs  August  abgelegt  —  das 
fertige  Räupchen  in  der  Eischale  liegt.  Wenn  es  nach  der  Entwicklung  nicht 
gleich  auskriecht,  sondern  den  ganzen  Winter  in  der  Schale  verbleibt,  so  ist 
hierin  zweifellos  eine  Schutzanpassung  zu  erblicken,  da  das  kleine  Räupchen 
in  der  Eischale  vortrefflich  gegen  die  Unbilden  des  Winters  geschützt  ist. 

Die  Dauer  des  Eistadiums  hängt  übrigens  deutlich  von  der 
Temperatur  ab;  so  braucht  z.  B.  das  Ei  von  Calosoma  sycophanta  (nach 
Burgeß)  in  den  kälteren  Frühjahrsmonaten  7 — 10  Tage  und  in  den  heißen 
Sommermonaten  nur  3 — 5  Tage.  So  kann  man  ferner  das  im  Nonnenei 
liegende  Räupchen  schon  im  November  oder  Dezember  (anstatt  April)  zum 
Auskriechen  bringen,  wenn  man  das  Ei  in  den  Wärmschrank  stellt;  oder 
andererseits  auch  das  Auskriechen  auf  W^ochen  und  Monate  hinausschieben, 
wenn  man  die  Eier  auf  Eis  oder  in  Kühlräume  stellt. 

Man  hat  auch  die  Ansicht  ausgesprochen,  daß  solche  Eier,  die  normalerweise 
überwintern,  nicht  ohne  weiteres  durch  Wärmeeinwirkung  zur  beschleunigten  Ent- 
wicklung gebracht  werden  können,  sondern  daß  sie  zuerst  eine  gewisse  Kälte  ge- 
nossen haben  müssen,   bevor  die  Wärme  ihre  entwicklungsfördernde  Wirkung  aus- 


142  Kapitel  IV.     Fortpflanzung. 

zuüben  vermag  (Escherich).  Und  so  senden  auch  in  dieser  Annahme  verschiedene 
italienische  Seidenzüchtereien  die  Eier  des  Seidenspinners  in  die  Berge,  damit 
ihnen  eine  andauernde  Kälteperiode  zuteil  werde.  Doch  scheint  es  nach  den 
neueren  Untersuchungen  Knoches  an  Nonneneiern,  daß  der  Kälte  eine  solche 
Rolle  nicht  in  dem  Maße  zukommt,  indem  zwischen  kältebehandelten  und  nicht 
behandelten  Eiern  kein  Unterschied   bezügl.  ihres  Auskommen   zu  beobachten  war. 

Nachembryonale  Entwicklung. 

Die  aus  dem  Ei  schlüpfenden  jungen  Insekten  stimmen  darin  alle  über- 
ein, daß  sie  kleiner  als  die  Imago,  flügellos  und  nicht  geschlechtsreif  sind. 
Im  übrigen  aber  verhalten  sie  sich  je  nach  den  Ordnungen,  denen  sie  an- 
gehören, recht  verschieden:  die  einen  gleichen  in  ihrer  Form  vollkommen 
den  Eltern,  die  anderen  dagegen  zeigen  einen  mehr  oder  weniger  davon  ver- 
schiedenen Bau,  so  daß  man  oft  gar  keinen  Anhaltspunkt  dafür  hat,  was  für 
eine  Imago  daraus  entstehen  wird. 

Die  ersteren  brauchen  nur  auszuwachsen  und  event,  Flügel  hervor- 
sprossen zu  lassen,  um  zur  fertigen  Imago  zu  werden;  die  letzteren  dagegen 
bedürfen  dazu  außer  des  Wachstums  noch  einer  mehr  oder  weniger  starken 
Verwandlung.  Erstere  gleichen,  wenn  wir  an  höhere  Tiere  denken  wollen, 
in  ihrer  nachembrj^onalen  Entwicklung  dem  Menschen  oder  den  übrigen 
Säugetieren  oder  den  Vögeln,  letztere  etwa  den  Fröschen,  die  ja  bekanntlich 
das  Ei  als  sog.  Kaulquappe  verlassen. 

Wie  wir  nun  die  jungen  Vögel  oder  Menschen  nicht  als  Larven  be- 
zeichnen, so  sollten  wir  diesen  Namen  eigentlich  auch  nicht  für  die  imago- 
ähnlichen  jungen  Insekten  anwenden.  Jedenfalls  machen  wir  uns  damit  einer 
nomenklatorischen  Inkonsequenz  schuldig;  und  es  würde  logischerweise 
viel  richtiger  sein,  derartig  gebildete  junge  Insekten  als  Jugen^d-  oder 
Juvenalformen  zu  bezeichnen.  Doch  hat  sich  der  Name  „Larve"  für  die 
Jugendstadien  aller  Insekten  bereits  so  allgemein  und  in  allen  Sprachen 
eingebürgert,  daß  kaum  noch  etwas  dagegen  auszurichten  sein  dürfte 
(Heymons),  und  daß  auch  wir  ihn  hier  in  dieser  weiten  Fassung  bei- 
behalten wollen.  Immerhin  ist  es  zweckmäßig,  die  verschiedenen  Kategorien 
von  Larven  auch  namentlich  zu  unterscheiden,  und  so  wollen  wir  mit 
Deegener  diejenigen  Jugendformen,  welche  keinerlei  provisorischen  Organe 
(die  der  Imago  nicht  zukommen)  besitzen,  sondern  sich  lediglich  durch  eine 
unvollkommenere  Organisation  (geringere  Größe,  Fehlen  oder  unvollständige 
Ausbildung  bestimmter  Körperanhänge,  wie  Genitalanhänge,  Flügel,  Fühler) 
von  dem  ausgewachsenen  Tier  unterscheiden,  als  „primäre  Larven"  be- 
zeichnen. Diejenigen  Jugendformen  dagegen,  welche  durch  den  Besitz  von 
provisorischen  Organen,  die  der  Imago  fehlen,  ausgezeichnet  sind,  als 
„sekundäre"  und  „tertiäre  Larven".  Die  provisorischen  Organe  stellen 
Anpassungen  an  speziell  der  Larve  zukommende  Funktionen  dar,  und  so 
werden  wir  eine  um  so  reichere  provisorische  Organisation  finden,  je  ver- 
schiedener die  Lebensweise  von  Larven  und  Imago  ist. 

Dieser  letzte  Moment,  d.  h.  die  Abänderung  der  Lebensweise  von 
Seiten  des  jungen  Insektes,  ist  als  der  erste  Anstoß  für  die  Entstehung  der 
sekundären  und  tertiären  Larven  zu  betrachten.     Wenn  die  Jugendform  eines 


Nachembryonale  Entwicklung.  143 

frei  auf  der  Pflanze  lebenden  Insektes  zur  unterirdischen  Lebensweise  über- 
geht, so  bedarf  sie  besonderer  grabender  Organe  (z.  B.  die  Grabbeine  der 
Zikadenlarven);  oder  w^enn  die  Larven  luftlebender  Insekten  ins  Wasser 
gehen,  so  bedürfen  sie  besonderer  für  die  Wasseratmung  geeigneter  Vor- 
richtungen; oder  wenn  die  Larven  von  saugenden  Insekten  dazu  übergehen, 
von  fester  Blattsubstanz  sich  zu  nähren,  so  bedürfen  sie  kauender  Mund- 
werkzeuge usw\  Da  nun  die  Imagines  ph3dogenetisch  älter  sind  als  die 
Larven,  so  sind  die  larvalen  Organe  als  sekundär  erworbene,  auf  die  Ver- 
änderung der  Lebensweise  zurückzuführende  Eigenschaften  aufzufassen.  Je 
mehr  provisorische  Organe  also  vorhanden  sind,  desto  weiter  hat  sich  die 
Larve  von  der  Imago  entfernt,  desto  imagounähnlicher  wird  sie. 

Danach  lassen  sich  die  sekundären  und  tertiären  Larven  folgender- 
maßen voneinander  unterscheiden:  Bei  den  einen  besitzen  die  Larven  neben 
den  provisorischen  Organen  noch  zahlreiche  imaginale  Charaktere,  so  daß 
der  Habitus  der  Imago  mehr  oder  weniger  gewahrt  bleibt:  „sekundäre 
Larven";  bei  den  anderen  sind  die  imaginale  Charaktere  so  zurückgedrängt 
gegenüber  den  larvalen,  daß  ein  völlig  fremder,  imagounähnlicher  Habitus 
entsteht:  „tertiäre  Larven." 

Wir     können     also     im     ganzen     folgende    drei    Gruppen     von    nach- 
embryonalen Jugendformen  aufstellen: 
L  imagoähnliche  ohne  provisorische  Organe:  primäre  Larven; 

2.  imagoähnliche  mit  provisorischen  Organen:  sekundäre  Larven; 

3.  imagounähnliche   mit   vorwiegend   provisorischer  Organisation:    tertiäre 
Larven. 

Es  versteht  sich  von  selbst,  daß  der  Weg,  den  die  zur  Imago  führende 
nachembryonale  Entwicklung  zurückzulegen  hat,  um  so  länger  und  kom- 
plizierter ist,  je  imagounähnlicher  das  junge  Insekt  dem  Ei  entschlüpft,  und 
umgekehrt,  um  so  kürzer,  je  imagoähnlicher  das  junge  Insekt  ist.  Wir 
werden  also  die  einfachste  Form  der  nachembryonalen  Entwicklung  bei  den 
Insekten  mit  primären  Larven,  die  komplizierteste  dagegen  bei  den  Insekten 
mit  tertiären  Larven  finden. 

Wo  primäre  Larven  vorhanden  sind,  da  besteht  die  ganze  nachembr3^onale 
Entwicklung  in  einem  einfachen  Auswachsen  und  einer  event.  Umformung 
einiger  Teile;  die  Entwicklung  geht  geradewegs  von  dem  Ei  auf  das  End- 
stadium, die  Imago,  los.     Wir  bezeichnen  diesen  Vorgang  als  Epimorphose. 

Wo  es  sich  aber  um  sekundäre  und  tertiäre  Larven  handelt,  da  kann 
die  Entwicklung  nur  auf  Umwegen,  unter  Rückbildung  der  provisorischen 
und  Ausbildung  der  imaginalen  Organe  zur  Imago  führen,  ein  Vorgang,  den 
man  als  Metamorphose  bezeichnet. 

Der  Umweg  ist,  wie  schon  gesagt,  um  so  größer,  je  zahlreicher  die 
provisorischen  Organe  sind  und  umgekehrt.  So  schlägt  die  Entwicklung  bei 
den  Insekten  und  mit  sekundären  Larven  (z.  B.  Libellen)  schon  bald  den 
Weg  zur  Imago  ein,  während  die  tertiären  Larven  (z.  B.  die  Schmetterlings- 
raupen) bis  zu  ihrer  Vollwüchsigkeit  in  ihrer  weit  von  der  Imago  abweichenden 
Richtung  verharren,  um  dann  plötzlich,  gewissermaßen  mit  einem  Sprung 
zur  Imago,  sich  zu  verwandeln. 


144  Kapitel  1\'.     Fortpflanzung. 

Diese  plötzliche  Verwandlung  bedingt  eine  mächtige  Revolution  im 
Innern,  welche  ihrerseits  natürlich  möglichst  viel  Ruhe  nach  außen  verlangt. 
Und  so  sehen  wir  bei  allen  Insekten  mit  tertiären  Larven  auf  das  letzte 
Larvenstadium  w^enigstens  ein  Ruhestadium  folgen,  welches  wir  als  „Puppe" 
bezeichnen. 

Die  Metamorphose  verläuft  also  verschieden,  je  nachdem  sie  Insekten 
mit  sekundären  oder  tertiären  Larven  betrifft.  Im  ersten  Fall  haben  wir  meist 
nur:  Ei  —  Larve  —  Imago,  im  zweiten  Fall  dagegen  stets  wenigstzns:  Ei  — 
Larve  —  Puppe  —  Imago.  Wir  bezeichnen  die  erste  Form  der  Metamorphose 
als  „Hemimetabolie",  die  letzte  als  „Holometabolie". 

Während  alle  diese  Verwandkmgsformen :  Epimorphose,  Hemi-  und  Holo- 
metabolie das  eine  gemeinsam  haben,  daß  die  Segmentzahl  konstant  bleibt,  resp. 
nicht  vermehrt  wird  (^Holomerie),  gibt  es  noch  eine  zweite  Entwicklungsform,  bei 
der  eine  Vermehrung  der  Segmente  stattfindet  (Anamerie).  Die  letztere  ist 
bei  den  niederen  Arthropodengruppen  weit  verbreitet,  während  sie  unter  den 
Insekten  nur  auf  die  Proturen  beschränkt  ist. 

Wir  werden  unten  noch  einige  weitere  Formen  von  Metamorphose 
kennen  lernen;  bevor  wir  aber  auf  diese  Einzelheiten  näher  eingehen,  seien 
einige  Punkte,  die  zum  Verständnis  der  nachembryonalen  Entwicklung  not- 
wendig sind,  erörtert. 

Die  Häutung. 

Das  Larvenstadium  ist  das  Stadium  der  Ernährung.  In  ihm  sammelt 
das  aus  dem  Ei  entstandene  Tier  durch  eigene  Nahrungsaufnahme  diejenige 
Körpermasse,  aus  welcher  der  verhältnismäßig  große  Leib  des  erwachsenen 
Insektes  aufgebaut  wird.  Nach  Lyonet  ist  die  reife  Weidenbohrerraupe 
ungefähr  72000  mal  schwerer,  als  das  neu  ausgeschlüpfte  Räupchen,  und  die 
Schmeißfliegenlarve  kann  in  24  Stunden  um  das  200  fache  ihres  Anfangs- 
gewichtes zunehmen. 

Es  fällt  daher  auch  das  gesamte  Körperwachstum  des  Einzelinsektes  in 
diese  Zeit  hinein.  Da  aber  die  fertige  Chitincuticula  nur  wenig  oder  gar 
nicht  ausdehnungsfähig  ist,  so  tritt  jedesmal,  wenn  die  Körpermasse  der 
Larve  so  weit  zugenommen  hat,  daß  die  ursprüngliche  Cuticula  dieselbe  nicht 
mehr  zu  fassen  vermag,  eine  Häutung  ein.  Die  alte  Chitincuticula  hebt 
sich  zunächst  von  ihrer  Matrix,  der  Hypodermis,  ab,  und  die  Hypodermis- 
zellen  bilden  neue  Cuticularsubstanz  auf  ihrer  Oberfläche.  Zu  gleicher  Zeit 
scheiden  besondere  Drüsen,  sog.  Häutungsdrüsen,  die  bei  verschiedenen 
Insekten  in  verschiedener  Zahl  und  Anordnung  vorhanden  sind,  reichliche 
Mengen  eines  flüssigen  Sekretes  ab  (Exuvialflüssigkeit),  die  zwischen  die 
alte  losgelöste  und  die  neu  sich  bildende  Haut  tritt,  und  so  der  letzteren  die 
Möglichkeit  einer  freieren  Entfaltung  ihrer  Anhänge  usw.  verschafft.  Nach- 
dem die  neue  Haut  fertig  gebildet  ist,  zerreißt  die  alte  Cuticula  (meist  in  der 
Kopfregion)  und  die  Larve  tritt  aus  ihrer  alten  Haut  heraus  (Fig.  141). 

Die  Häutung  erstreckt  sich  nicht  nur  auf  die  Haut  der  Körperober- 
fläche, sondern  auch  auf  die  chitinöse  Auskleidung  der  Tracheen,  des  Vorder- 
und  Enddarms,  verschiedener  Drüsen  usw.  Daneben  spielen  sich  auch  sonst 
noch    gewisse    Degenerations-    und    Erneuerungsprozesse    an    verschiedenen 


Nachembrj'onale  Entwicklung.  145 

Organen,  z.  B.  Darm  und  Fettkörper  ab,  so  daß  die  Häutung  also  einen  in 
das  Leben  der  Insekten  tief  einschneidenden  Vorgang  darstellt.  Daher 
kommt  es,  daß  die  Insekten  während  der  Häutungsperiode  in  ihrer 
Lebensenergie  stark  herabgedrückt  sind,  und  träge  und  freßunlustig 
werden.  Oft  suchen  die  Larven  in  dieser  Zeit  besondere  geschützte  Plätze 
auf,  um  dort  so  lange  zu  bleiben,  bis  die  Häutung  überstanden  ist.  In 
extremen  Fällen  sinken  die  Larven  sogar  bei  jeder  Häutung  in  einen  völlig 
apathischen,  an  die  Puppenruhe  erinnernden  Zustand;  dies  kommt  z.  B.  bei 
den  Termiten  vor,  bei  denen  die  Larven  schon  einige  Tage  vor  der  Häutung 
in  einen  starren  und  völlig  unbeweglichen  Zustand  verfallen,  und  in  denselben 
bis  mehrere  Tage  nach  dem  Abwerfen  der  alten  Haut  verbleiben. 

Entwicklungsstadien. 
Als  „Entwicklungsstadium"  bezeichnen  wir  den  Zustand  der  Larve, 
der  zwischen  zwei  Häutungen  gelegen  ist.      Mit  dem  Abwerfen  oder 
der  völligen  Ablösung  der  alten  Chitinhaut  beginnt  also  jedesmal  ein  neues 


Fig.  141.  Häutimg  einer  Schmetterlingsraupe.  Die  Eaupe  ist  zur  Hälfte  aus  der  alten  Haut  (AH) 
herausgekrochen.  Die  alte  Kopf  kapsei  (AK),  die  von  der  Rumpf  haut  abgerissen  ist,  hängt  noch  an  der 
neuen  Kopf  kapsel  (NK).  Ferner  sieht  man  die  alte  Tracheenintima  (ATr),  die  bei  der  Häutung  aus  dem 
neuen  Stigma  (St)  herausgezogen  wird.    Nach  der  Wandtafel  von  P  für  tscheller,  etwas  verändert. 

Stadium,  das  dann  wieder  mit  der  nächsten  Häutung  sein  Ende  findet. 
Durch  die  Häutung  werden  somit  die  Stadien  begrenzt,  während  das  erste 
Larvenstadium  mit  der  Entfernung  der  embryonalen  Cuticula  seinen  Anfang 
nimmt.  Die  Zahl  der  Häutungen  ist  bei  den  verschiedenen  Insekten  sehr 
ungleich;  sie  beträgt  z.  B.  bei  der  Stubenfliege  3,  bei  den  Schmetterlingen 
durchschnittlich  5,  bei  den  Wespen  und  Bienen  wenigstens  8,  bei  den  Küchen- 
schaben 7,  bei  den  Feldheuschrecken  im  allgemeinen  5,  bei  der  Eintags- 
fhege  22  und  bei  der  17  jährigen  Zikade  gar  bis  30;  bei  den  niederen 
Insekten  ist  vielfach  die  Zahl  der  Häutungen  überhaupt  nicht  streng  fixiert. 
Die  einzelnen  Stadien  unterscheiden  sich  nicht  immer  nur  durch  die 
Größe,  sondern  sehr  häufig  auch  noch  durch  eine  verschiedene  Färbung, 
verschiedene  Struktur,  Auftreten  neuer  Organe,  andere  Form  usw.,  und 
zwar  nicht  nur  bei  den  primären  und  sekundären,  sondern  auch  bei 
den  tertiären  Larven.  So  z.  B.  besitzt  das  erste  Raupenstadium  bei  der 
Nonne  das  sog.  Spiegelräupchen,  eigentümliche,  mit  blasenförmigen  Er- 
weiterungen versehene  Haare  (Toxophore),  die  dem  zweiten  Stadium  fehlen. 
Ja,  es  gibt  sogar  Fälle  (gewisse  Ichneumoniden  usw.),  in  denen  zwei 
aufeinanderfolgende    Stadien    habituell    so    verschieden    sind,    daß    der    Un- 

Escherich,  Forstinsekten.  10 


146 


Kapitel  IV.     Fortpflanzung. 


Larve     (speziell     der     ertiären) 

Dabei    besteht    eine    sehr    deut- 

insofern,    als    die    Larven,    die 

unter    Rinde     oder     im     Holz 


eingeweihte  ihre  Zusammengehörigkeit  nicht  erkennen  kann  (interlarvaler 
Dimorphismus). 

Provisorische  (larvale)  Organisation. 
Als  provisorische  Organe  werden  solche  Organe  bezeichnet,  welche  nur 
der  Larve  zukommen,  und  der  Imago  fehlen.  Es  würde  hier  zu  weit  führen, 
sämtliche  vorkommenden  lar^-alen  Organe  zu  besprechen,  und  so  sollen  nur 
einige  besonders  augenfällige  Unterschiede  zwischen  larvaler  und  imaginaler 
Organisation  genannt  werden. 

Im  allgemeinen  ist  die  Haut  der 
dünner  und  weicher  als  bei  der  Imago. 
liehe  Abhängigkeit  von  der  Lebensweise, 
ein  verborgenes  Leben  führen  (wie  die 
lebenden  Larven  der  Borken-,  Rüssel-  oder  Bockkäfer,  oder  die  in  Bauten 
geschützten  Larven  der  Ameisen,  Wespen  und  Bienen,  oder  die  im 
Körper   anderer   Insekten   parasitierenden   Larven   der  Schlupfwespen   usw.), 

viel  weichhäutiger  sind, 
als  die  ein  freies  Leben 
führenden  Larven,    wie 
die  vom   offenen  Raub 
lebenden     Larven     der 
Laufkäfer  oder  die  von 
Blättern  lebenden  Rau- 
pen der  Schmetterlinge 
oder    Afterraupen    der 
Blattwespen.     Bei   Lar- 
ven, welche  in  Gehäusen 
leben,   wie  z.  B.  die  Köcherfliegen  (Fig.  147),  sind  die  stets  im  Gehäuse  ver- 
bleibenden Teile  viel  weichhäutiger  als  die  daraus  hervorragenden  vordersten 
und  hintersten  Abschnitte. 

Ungefähr  das  gleiche  gilt  von  der  Färbung,  indem  dieselbe  ebenfalls 
von  dem  Aufenthalt  der  Larve  wesentlich  beeinflußt  wird;  bei  denverborgen 
lebenden  Larven  ist  die  Haut  meist  pigmentlos,  so  daß  sie  infolge  des 
durchschimmernden  Fettkörpers  weiß  erscheinen,  bei  den  frei  lebenden 
Larven  dagegen  finden  wir  die  verschiedensten  Färbungen  und  Zeichnungen, 
die  oft  mit  der  Umgebung  mehr  oder  weniger  übereinstimmen  und  dadurch 
den  betreffenden  Tieren  einigen  Schutz  verleihen. 

So  können  wir  also  aus  der  Beschaffenheit  der  Haut 
Färbung  schon  einen  einigermaßen  sicheren  Schluß 
Lebensweise  der  Larve  ziehen,  insofern  als  wir  weichen 
gefärbten  Formen  eine  verborgene,  und  härter  chitinisierten  oder 
lebhaft  gefärbten  Formen  eine  offene  freie  Lebensweise  zuschreiben 
können. 

Die  Larvenhaut  ist  gewöhnlich  auch  mit  Anhängen  der  verschiedensten 
Art  besetzt,  die  der  Imago  fehlen  (Fig.  142).  So  hat  Leisewitz  eine  Menge 
larvaler  Haare,  Borsten  und  Dornen  beschrieben,  welche  den  Larven  zur  Fort- 


Fig.  142.    Haut  einer  Mschgeschlüpften  Larve  von  Hylecoefus  dermes- 

toides  L.,   mit   zahlreichen   zur   Fortbewegung   dienenden  Dornen. 

Nach  Leisewitz. 


und 

der 

auf 

die 

und 

un- 

Nachembryonale  Entwicklung. 


147 


bewegung  dienen.  Man  denke  ferner  an  das  dichte  Haarkleid  der  Bären- 
raupen, von  dem  bei  der  Imago  nichts  mehr  vorhanden  ist  usw. 

Groß  ist  auch  die  Zahl  der  provisorischen  Drüsen.  Es  sei  nur  an 
die  langen,  hornartig  ausstülpbaren  Drüsen  in  der  Nackengegend  der 
Papilioraupen,  die  sog.  Nackengabeln  erinnert,  oder  an  die  am  Rücken  des 
9.  und  10.  Segmentes  gelegenen  Trichterwarzen  der  Nonnenraupen,  oder  an 
die  Drüsen  gewisser  Chrysomelidenlarven  {Lina  popuH),  deren  Sekret  den 
charakteristischen,  „schützenden"  Geruch  verbreitet. 

Wie  verschieden  von  der  Imago  ist  ferner  meist  die  ganze  Körper- 
form und  die  Segmentierung  der  tertiären  Larven.  Im  allgemeinen  sind 
die  Larven  länger  und  schmäler  als  die  Imagines,  und  auch  ursprüngHcher 
segmentiert,  sowohl  bezügl.  der  Zahl  der  Segmente  als  auch  der  Gleich- 
artigkeit ihres  Baues.     Vor  allem  sind  die  Brustsegmente,   mangels  funktions- 


Fig.   143.    Mundgliedmaßen   einer  Raupe.    Cl  Clj^peus;    Ol  Oberlippe;   Md  Mandibeln;   Mx  MaxiUe;   Mxt 
Maxillartaster;  Ul  Unterlippe;  TJlt  Unterlippentaster;  Ant  Fühler.    Nach  der  zoolog.  Wandtafel  Nr.  23 

von  Pfurtscheller. 


fähiger  Flügel,  in  ihrem  Umfang  und  ihrer  Konfiguration  oft  nur  wenig  oder 
gar  nicht  von  den  Hinterleibssegmenten  verschieden,  so  daß  die  Trennung 
des  Rumpfes  in  Brust  und  Abdomen  mitunter  undeutlich  wird  oder  auch 
ganz  verschwindet. 

Nicht  weniger  unterschiedlich  resp.  provisorisch  verhalten  sich  die 
Extremitäten.  So  sind  die  Fühler  der  Larven  im  allgemeinen  viel  kürzer 
und  auch  ganz  anders  gebaut  als  die  Fühler  der  dazu  gehörigen  Imagines. 
Ja,  nicht  selten  sind  sie  auch  ganz  rückgebildet,  wie  bei  den  Rüsselkäfer- 
larven, Fliegenmaden  usw.  Beim  großen  Eichenbock  besitzt  die  Larve  nur 
winzige,  kaum  bemerkbare  Fühler,  während  sie  bei  der  Imago  bekanndich 
mächtig  entwickelt  sind.  Auch  die  Mundgliedmaßen  der  Larven  weichen 
vielfach  stark  von  den  imaginalen  ab.  Die  Raupen  der  Schmetterlinge  haben 
kauende  Mundwerkzeuge  (Fig.  143),  die  Imagines  dagegen  einen  Saug- 
rüssel;   bei   der  Larve    vom    Gelbrandkäfer   sind   die  Mandibeln   zum  Saugen 

10* 


148 


Kapitel  IV.     Fortpflanzung. 


eingerichtet,  während  sie  bei  den  erwachsenen  Tieren  als  einfache  Greif- 
zangen dienen.  Oder  man  denke  an  die  aus  wenigen  Stücken  bestehenden 
Schlundhaken  der  Fliegenmaden  und  dem  komplizierten  Rüssel  der  aus- 
gewachsenen Fliegen.  Aber  selbst  da,  wo  Larve  und  Imago  kauende  Mund- 
werkzeuge besitzen,  sind  dieselben  bei  der  Larve  meist  ganz  anders  gebaut, 
als  bei  der  Imago. 

Die  lokomotorischen  Extremitäten  (Beine)  sind  bei  den  Larven 
gewöhnlich  viel  schwächer  entwickelt  und  in  ihrer  Gliederung  viel  einfacher 
als  bei  der  Imago.  Wir  brauchen  nur  die  Beine  einer  Raupe  mit  den 
Beinen  eines  Schmetterlinges  zu  vergleichen,  um  uns  davon  zu  überzeugen. 
Bei  vielen  Larven  sind  die  Brustbeine  rudimentär  und  nur  noch  als  kleine 
Stummel  vorhanden  (z.  B.  Bockkäfer),  oder  sie  fehlen  auch  ganz  (Borken- 
käfer, Fliegenmaden  usw.).  Bei  einer  Anzahl  von  Larven  (Raupen  und 
Afterraupen)  treten  auch  am  Hinterleib  noch  mehrere  Beinpaare  auf,  die  sich 
in  ihrem  Bau  wesentlich  von  den  Brustbeinen  unterscheiden  und  die  als 
Pedes  spurii  oder  Bauch-  oder  Afterfüße  bezeichnet  werden.     Sie  stellen 

eigentlich  nur  ausgestülpte 
Hautzapfen  dar,  die  auf 
der  Endfläche  mit  einem 
Kranz  kurzer  Dörnchen 
ausgerüstet  sind.  Ihre 
Zahl  ist  verschieden;  bei 
den  Schmetterlingsraupen 
treten  sie  gewöhnlich  in 
5  Paaren  (bei  den  Spannern 
nur  2)  auf,  bei  den  Larven 
der  Blattwespen,  den  sog. 
Afterraupen,  in  6—8  Paaren. 
Bei  manchen  Larven  kommen  noch  andere  Fortbewegungsorgane 
vor:  wir  haben  oben  schon  von  den  Dornen  und  Borsten  gehört,  die  der 
Fortbewegung  dienen;  oft  finden  sich  außerdem  auch  noch  Warzen  und 
Wülste  (und  zwar  sowohl  am  Bauch,  als  auch  am  Rücken),  die  beim  Vor- 
wärtsbewegen in  engen  Gängen,  Röhren  usw.  in  Funktion  treten.  Auch 
das  ausstülpbare  Ende  des  Enddarmes,  welches  mitunter  noch  mit  be- 
waffneten Schläuchen  versehen  ist,  dient  bei  gewissen  Larven  (Elateriden, 
Staphyliniden,  Carabiciden,  Lampyriden  und  vielen  anderen),  wie  G.  W. 
Müller  neuerdings  beschrieben  hat,  als  Fortbewegungsorgan  (Fig.  144). 

Gehen  wir  nun  zur  inneren  Organisation  über,  so  treten  uns  auch 
da  eine  Menge  echt  larvaler  Bildungen  entgegen.  So  ist  der  Darmkanal 
der  Larven  meist  sehr  verschieden  vom  imaginalen  Darm,  namentlich  dann, 
wenn  die  Nahrung  der  Larve  von  der  der  Imago  wesentlich  abweicht.  Am 
deutlichsten  prägt  sich  dieses  bei  den  Schmetterlingen  aus.  Während 
nämlich  die  auf  flüssige  Nahrung  (auf  Blumensäfte)  angewiesenen  Imagines 
einen  verhältnismäßig  wenig  umfangreichen,  dünnen,  nur  mit  einem  seitlich 
angesetzten  großen  Kropf,  dem  „Saugmagen",  versehenen  Darm  haben,  ist 
der  Darm   der  Raupe   ein  in  gerader  Linie  von  Mund  zu  After  verlaufender, 


Fig.   144.     Ausgestülptes    Ende    des    Enddarmes   (D)    als   Fort- 
bewegungsorgan bei  einer  Elateridenlarve.    Nach  G.  W.  Müller. 


Nachembryonale  Entwicklung 


149 


dicker    Schlauch,    bei   welchem   besonders    der   Mitteldarm    zu    einem    weiten 
massigen  Behälter  für  die  reichliche  Pflanzennahrung  ausgebildet  ist  (Fig.  145). 


Fig.  145.    Darmkanal  nebst  Anhängen  der  Raupe  von  Bombyx pini  L.  (nach  Suckow).    a  Speicheldrüse; 

a'  Spinndrüse;  b  Schlund;  c  Mitteldarm;  h  Dünndarm;  fc  Mastdarm;  i  Harngefäße,  von  denen  2  Paar 

der  rechten  Seite  und  alle  Linksseitigen  abgeschnitten  erscheinen.  —  (N.) 

Im    übrigen    sei    auf    das    oben    (S.    65)    über    den    Darmkanal    gesagte    ver- 
wiesen,   und    besonders    auf    die    dort    gegebenen   Abbildungen,    welche    die 


>K  I 


Fig.  146.    Unterschiede  des  Nervensystems  von  Larve  und  Imago.    In  A  {Bibio  hortulanus,  Diptere)  ist 

die  Gauglienkette  bei  der  Larve  weniger  konzentriert  als  bei  der  Imago;  in  B  (Volucella,  Diptere)  ist 

das  Umgekehrte  der  Fall.    Nach  Künckel  d'Herculais  aus  Henneguey. 

großen     Unterschiede     zwischen     larvalem     und     imaginalem     Darm     ohne 
weiteres    erkennen  lassen.     Viele  Larven  besitzen  ferner  mächtig  entwickelte 
Spinndrüsen,    welche    den   Ima- 
gines  fehlen. 

Große  Unterschiede  zwischen 
Larve  und  Imago  bestehen  ferner 
im  Bau  des  Tracheensystems. 
Ist  doch  bei  manchen  Larven  die 
Zahl  der  Stigmen  auf  2  oder  gar 
nur    1    Paar    reduziert    (Dipteren), 

während  die  Imagines  die  volle  Zahl  besitzen.    Besonders  auffallend  werden  die 
Differenzen   da,    wo    die   Larven   dem    Wasserleben   angepaßt  sind,   während 


Fig.  147.    Phryganidenlarve  im  Gehäuse. 


150  Kapitel  IV.     Fortpflanzung. 

die  Imagines  ein  Luftleben  führen,  indem  hier  die  Stigmen  geschlossen  sind 
und  funktionell  an  ihre  Stelle  verschieden  geformte,  dünne  Anhänge  (sog. 
Tracheenkiemen)  treten,  die  einen  Gasaustausch  unter  Wasser  ermöglichen 
(siehe  S.  76). 

Endlich  sei  noch  auf  die  Verschiedenheiten  des  Nervensystems  bei 
Larve  und  Imago  hingewiesen  (Fig.  146),  die  meist  darin  bestehen,  daß 
die  Ganglienkette  bei  der  Larve  meist  weniger  konzentriert  ist,  als  bei 
der  Imago  (selten  umgekehrt),  was  ebenfalls  oben  schon  des  Näheren 
erörtert  ist. 

Die  Imaginalanlagen  der  Larven. 

Die  tertiäre  Larve  (siehe  S.  143)  hat  in  ihrer  Organisation  kaum  noch 
irgend  welche  imaginalen  Züge,  alles  an  ihr  ist  spezifisch  larval,  sie  ist  zu  einem 
ganz  anderen  Tier  geworden  als  die  Imago,  weil  sie  eine  andere  Lebensweise 
angenommen  und  sich  an  diese  in  sehr  vollkommener  Weise  angepaßt  hat. 
Die  Anpassung  an  die  veränderte  Lebensweise  konnte  nur  dann  eine  voll- 
kommene werden,  wenn  die  Larve  nicht  durch  den  Ballast  imaginaler 
Organisation  beschwert  war.  „Denn  über  eine  gewisse  Grenze  des  Zugleich- 
existierens  larvaler  und  imaginaler  Organe  hinaus  konnte  das  Tier  nicht  zur 
selben  Zeit  provisorisch  und  imaginal  organisiert  sein,  ohne  daß  ein 
Monstrum  zustande  kam,  eine  Mischform  zwischen  Larve  und  Imago,  welche 
an  keine  mögliche  Lebensweise  mehr  erhaltungsfähig  angepaßt  sein  könnte. 
Wie  weit  die  Vereinigung  einer  larvalen  und  unvollkommenen  imaginalen 
Organisation  höchstens  gehen  kann,  lehren  uns  die  sekundären  Larven. 
Darüber  hinaus  ist  eine  Steigerung  der  provisorischen  Organisation  nur  noch 
möglich  unter  gleichzeitiger  Unterdrückung  der  imaginalen  Organisation,  das 
heißt:  je  mehr  die  fortschreitende  Entwicklung  zur  Imago  zurückgehalten 
wurde,  und  je  länger  dies  geschah,  um  so  längere  Zeit  konnte  die  Larve  in 
unveränderter,  also  in  für  sie  zweckmäßigster  Gestalt  leben  und  ihre  Aufgabe 
erfüllen."     (Deegener.) 

Wie  ist  es  nun  möglich,  daß  die  tertiäre  Lar^-e  nach  der  letzten 
Häutung  auf  einmal  ein  ganz  anderes  Wesen  wird?  Dieser  überraschende 
Vorgang,  der  ehedem  als  das  größte  Wunder  angestaunt  wurde,  wird  uns 
verständlicher,  wenn  wir  die  Gewebe  der  Larven  genauer  untersuchen.  Wir 
werden  dann  überall  im  Larvenkörper  Keime  finden,  welche  die  Anlagen  der 
verschiedenen  imaginalen  Organe  darstellen,  und  deshalb  auch  als  Imaginal- 
anlagen bezeichnet  werden. 

Sehen  wir  uns  z.  B.  die  Flügelbildung  an.  Während  bei  der  primären 
und  sekundären  Larve  die  Flügel  allmählich  hervorsprossen,  und  in  jedem 
Stadium  länger  werden,  findet  sich  selbst  an  der  vollwüchsigen  tertiären  Larve 
keine  Spur  von  Flügelanlagen,  äußerlich  wenigstens.  Untersuchen  wir  aber 
die  Segmente,  an  denen  später  die  Flügel  sitzen,  etwas  näher,  so  werden  wir 
innerlich  sehr  wohl  Flügelanlagen  entdecken,  und  zwar  in  Form  von  Haut- 
einstülpungen. Bei  der  letzten  Larvenhäutung  stülpen  sich  dieselben  nach 
außen  vor,  so  daß  sie  also  bei  der  Puppe  äußerlich  als  Flügel  in  Er- 
scheinung treten. 


Nachembryonale  Entwicklung. 


151 


Was  hier  für  die  Flügel  gesagt  ist,  trifft  für  alle  imaginalen  Organe  zu, 
d.  h.  dieselben  sind  in  der  tertiären  Larve  meistens  bereits  vorhanden  als 
sog.  Keime  oder  Anlagen,  die  aber  während  der  Larvenperiode  mehr  oder 
weniger  latent  bleiben,  um  sich  erst  nach  Auflösung  der  larvalen  Organe 
in  die  imaginalen  zu  entfalten.  So  finden  wir  in  den  bein-  und  kopflosen 
Fliegenmaden  bereits  ganz  deutlich  die  Bein-  und  Kopfanlagen  in  Form  von 
Einstülpungen  (Fig.  148);  so  finden  wir  als  Ausgangspunkt  für  den  imaginalen 
Hautpanzer  allenthalben  in  der  larvalen  Hypodermis  größere  oder  kleinere 
Zellgruppen  eingelagert,  die  sog.  Imaginalscheiben ;  so  finden  wir  ferner  im 
larvalen  Darm  bereits  die  Anlagen  für  den  imaginalen  Darm  ebenfalls  in 
Form  einzelner  Zellgruppen  usw. 

Die  Puppe. 
Wenn  wir   die  Larve   und  die  Puppe   eines  Schmetterlings  miteinander 
vergleichen,    so   fällt   ohne   weiteres   ein  großer  Unterschied  zwischen  beiden 


A  B 

Fig.  148.    Imaginalscheiben:   A  in  der  Larve  (eingestülpt),   B  in  der  Puppe  (auseestülpt)  der  Stuben- 
fliege {Musca).    JSj_3  Beinanlagen;  Ant  Fühleranlagen;  Aug  Augenanlagen ;   R  Rüsselanlage;  -D  Darm; 
G  Gehirn;  N  Bauchmark.    Nach  van  Rees  aus  Korschelt  und  Heider. 


auf:  die  Larve  ist  völlig  imagounähnlich,  die  Puppe  dagegen  erscheint  der 
Imago  sehr  ähnlich,  indem  sie  mit  allen  imaginalen  Organen  ausgestattet 
ist,  während  ihr  die  larvalen  Organe  samt  und  sonders  fehlen.  Wir  rechnen 
daher  die  Puppe  auch  dem  Imagostadium  zu,  d.  h.  fassen  sie  als  eine 
unvollkommene  oder  noch  unfertige  Vorstufe  der  Liiago  auf.  Und  so  haben 
wir  also  gewissermaßen  nicht  nur  ein,  sondern  mehrere  Imagostadien 
zu  unterscheiden. 

Diese  Auffassung,  die  hauptsächlich  von  Heymons,  Deegener  und 
Boas  vertreten  wird,  erhält  dadurch  eine  kräftige  Stütze,  daß  bei  niederen 
Insekten  die  Zahl  der  Häutungen  (und  Stadien)  oft  gar  nicht  fest  fixiert  ist, 
und  bei  einigen  Urinsekten  {Machilis,  Collembolen)  selbst  im  ausgewachsenen 
Zustand    und    nach    erlangter    Geschlechtsreife     nochmals    Häutungen    statt- 


152 


Kapitel  IV.     Fortpflanzung 


finden  können.  Es  scheint,  daß  erst  die  Entstehung  der  Flugwerkzeuge 
eine  Änderung  hierin  herbeigeführt  hat  und  bewirkt  hat,  daß  die  Häutungen 
bei  den  Insekten  fortan  im  Imagozustand  unterblieben.  Denn  durch  den 
Häutungsprozeß  wird  die  Brauchbarkeit  der  Flügel  zweifellos  stark  herab- 
gedrückt. 

Es  gibt  allerdings  noch  einige  wenige  Insekten,  die  im  geflügelten  Zu- 
stande, d.  h.  mit  funktionsfähigen  Flügeln,  sich  nochmals  häuten;  es  sind  dies 
die  Eintagsfliegen  oder  Ephemeriden.  Das  letzte,  vor  der  Imago  gelegene 
Stadium  dieser  Insekten,  die  sog.  Subimago,  gleicht  vollkommen  der  Imago, 
und  unterscheidet  sich  von  ihr  hauptsächlich  durch  mangelnde  Geschlechts- 
reife. Es  stellt  also  eine  unfertige  Imago  dar,  und  ist  in  dieser  Beziehung 
der  Puppe  der  höheren  Insekten  gleichzustellen. 

Die  Fähigkeit  der  Ortsbewegung,  die  der  Subimago  der  Ephemeriden 
zukommt,    spricht    keineswegs    gegen    diese    Auffassung,    da    es   ja    auch   be- 


Fig.  149.  Entwicklung  von  Mantispa  (Neuroptere)  mit  larvalem  Dimorphismus  und  frei  beweglicher, 
herumwandelnder  Puppe.    L^L^  Larve;  P  Puppe;  J Imago.    Nach  Brauer  und  Packard  aus  Heymons. 

wegungsfähige  Puppen  gibt.  Abgesehen  von  den  allgemein  bekannten 
beweglichen  Puppen  gewisser  Dipteren  oder  Lepidopteren,  bei  denen  die 
Beweglichkeit  eine  sekundär  erworbene  Eigenschaft  darstellt,  kommen  bei 
gewissen  Neuropteren  und  Trichopteren  noch  Puppen  vor,  die  mit  Hilfe 
ihrer  Extremitäten  munter  einherwandern  oder  sich  schwimmend  vorwärts 
bewegen  können. 

Als  Beispiel  sei  hier  die  Entwicklungsgeschichte  von  Mantispa  styriaca 
angeführt  (Fig.  149).  Aus  dem  Ei  dieser  Neuroptere  schlüpft  eine  1.  frei- 
bewegliche mit  kräftigen  Beinen  versehene  Larve  (Z-i),  die  sich  in  einem 
Spinnenkokon  einbohrt,  um  sich  von  den  in  diesen  enthaltenen  Eiern  zu 
ernähren.  Sie  wandelt  sich  dort  in  eine  2.  abweichend  gestaltete  kurzbeinige 
Larve  [L^  um,  die  im  Innern  des  Kokons  eingeschlossen  liegt  und  dann  3.  in 
das  Puppenstadium  übergeht.  Beim  Puppenstadium  von  Mantispa  sind  aber 
zwei  verschiedene  Phasen  zu  unterscheiden,  nämlich  eine  Phase,  in  der 
die  Puppe  unbeweglich  in  einem  Gespinst  im  Innern  des  Spinnenkokons 
ruht,  und  eine  weitere  Phase,  in  der  die  Puppe  Beweglichkeit  erhält.  In 
diesem   letzteren   Zustande   verläßt   sie   den   Spinnenkokon    und   lebt  frei  als 


Die  verschiedenen  Formen  der  Entwickluns 


153 


subimagoartige  Form  (P),  bis  4.  die  Umwandlung  zur  geflügelten  geschlechts- 
reifen  Imago  sich  vollzieht. 

Auch  bei  anderen  Neuropteren  kommen  nach  anfänglicher  Ruheperiode 
beweglich  werdende  Puppen  vor.  Ja,  nach  den  Untersuchungen  von 
Thienemann  kann  bei  Trichopteren  von  einer  eigentlichen  Puppenruhe  über- 
haupt keine  Rede  sein,  denn  die  Trichopterenpuppe  führt  im  Innern  des 
Köchers  mit  dem  Hinterleib  fortwährende  Bewegungen  aus,  um  das  Atem- 
wasser zu  erneuern,  sie  bedient  sich  besonderer  Putzapparate  zur  Entfernung 
von  Fremdkörpern,  und  wenn  sie  schließlich  ihr  Gehäuse  verläßt,  so 
schwimmt  sie  frei  im  Wasser,  bis  sie  das  Land  erreicht  hat,  um  sich  dort 
zur  Imago  umzuwandeln. 


Die  verschiedenen  Formen  der  Entwicklung. 

Nachdem  nun  die  Begriffe  Larve,  Puppe  usw.  erläuteit  sind,  können 
wir  dazu  übergehen,  die  verschiedenen  Formen  der  nachembryonalen  Ent- 
wicklung, die  der  beigegebenen  Tabelle  (im  Anschluß  an  Heymons)  über- 
sichtlich dargestellt  sind,  zu  besprechen,  i) 


Anamera. 

Holomera. 

Anamorpha. 

Epimorpha. 

Metamorpha. 

Insekten  mit 

(s.  lat.) 

Insekten  mit 

Verwandlung. 

Segment- 

Insekten 

Hemi- 

Prome- 

Holometabola. 

vermehrung 
(vgl.  S    144). 

mit  Um- 
wandlung. 

metabola. 
(Ei,  sekun- 

tabola. 
(Ei,  sekun- 

Holome- 
tabola  typica. 

Hyper-  resp. 
Polyme- 

däre    Larve, 

däre    Larve, 

(Ei,    tertiäre 

tabola. 

Imago.) 

Subimago, 

Larve, 

(Ei,dimorphe 

Imago.) 

Puppe, 

tertiäre 

Imago.) 

Larve, 

Schein- 

puppe   [oder 

2  Puppen], 

Imago.) 

1 

Protura. 

1 
Thysanura, 

Zikaden, 

Eph 

eme- 

Neuropteren 

1 
Meloiden, 

Orthoptera, 

Libellen, 

riden. 

(part.), 

Lebia  u.  a. 

Isoptera, 

Perliden. 

Coleopteren 

Rhynchota 

(part.), 

(part.)  usw. 

Dipteren, 
Lepido- 

pte 

ren. 

Epimorphose. 

Bei  allen  denjenigen  Insekten,  die  beim  Ausschlüpfen  aus  dem  Ei 
schon  mit  der  Imago  in  den  Grundzügen  übereinstimmen,  und  sich  nur  durch 
eine    unvollkommene    Organisation    von    ihr    unterscheiden,    stellt    die    nach- 


^)  Die  hier  aufgestellten  Kategorien  stehen  sich  keineswegs  völlig  unvermittelt 
gegenüber,  sondern  es  kommen  auch  mancherlei  Übergangsformen  vor,  deren  Ein- 
reihung in  diese  oder  jene  Kategorie  dem  Empfinden  des  einzelnen  überlassen  bleibt. 


154 


Kapitel  IV.     Fortpflanzung. 


embryonale  Entwicklung  eine  Epimorphose  dar,  d.  h.  ein  einfaches  Aus- 
wachsen, unter  gleichzeitigen  verschiedentlichen  Umformungen,  aber  ohne 
Verwandlung.  Der  Grad  der  Unvollkommenheit,  durch  den  sich  die  junge 
Larve  von  der  geschlechtsreifen  Imago  unterscheidet,  unterhegt  allerdings  sehr 
weiten  Schwankungen.  Die  Unterschiede  können  einerseits  sehr  bedeutend 
sein,  sie  können  aber  auch  andererseits  so  geringfügig  werden,  daß  sie  sich 
kaum  nachweisen  lassen.     Hier  zwischen  gibt  es  alle  Übergänge  (Heymons). 

Zu  den  Epimorpha  gehören  die  sog.  niederen  Insekten,  die  Apterygoten, 
die  Orthopteren,  Dermapteren,  Corrodentia,  Isoptera,  dann  auch  die 
Rhynchoten,  die  Pediculiden  usw. 

Als  einfaches  Beispiel  einer  solchen  Verwandlung  wählen  wir  die  einer 
Feldheuschrecke  (Fig.  150).  Die  dem  Ei  A  entschlüpfende  Larve  B  ist  dem 
Muttertiere    bereits    in    seinen    wesentlichen    Zügen    ähnlich,    hat   aber  einen 


Fig.  150.    Epimorphose  einer  Feldheuschrecke  nach  Em  er  ton.    A  Ei; -B—J"  fünf  Larvenstadien;  (?  das 

erwachsene  Tier;    a,  J»,  c  die  3  Ringe    der  Brust;    h'  Vorderflügel;   C  Hinterflügel.    Die   den   Fühlern 

beigedruckten  Zahlen  bezeichnen  die  Anzahl  der  Fühlerglieder.  —  (N.) 


sehr  großen  Kopf,  und  nur  12  Fühlerglieder.  Meso-  und  Metathorax  tragen 
keine  Spur  von  Flügeln  und  sind  zusammen  ungefähr  so  lang,  als  der 
Prothorax.  Mit  der  ersten  Häutung  tritt  die  Larve  in  das  zweite  Stadium  C; 
es  dehnt  sich  nun  das  Abdomen  etwas  aus,  so  daß  der  Kopf  im  Verhältnis 
kleiner  erscheint.  Der  Hinterrand  des  Prothorax  schiebt  sich  faltenartig 
über  den  vorderen  Teil  des  Mesothorax,  und  die  Antennen  haben  16  GHeder, 
Bei  der  nun  eintretenden  zweiten  Häutung  tritt  die  Larve  in  das  dritte 
Stadium  D.  Die  Antennen  bleiben  in  demselben  16gliedrig,  dagegen  ziehen 
sich  die  hinteren  und  unteren  Ecken  des  Meso-  und  Metanotum  in  kleine 
lappenartige  Vorsprünge  aus,  die  ersten  Anlagen  der  Flügel.  Die  dritte 
Häutung  läßt  die  Larve  in  das  vierte  Stadium  E  übertreten.  In  diesem  hat 
die  Larve  20  Fühlerglieder,  und  die  nun  bereits  stärker  gewachsenen  Flügel- 
stummel sind  nach  oben  umgeschlagen,  so  daß  die  Anlage  der  Hinterflügel 
einen  Teil   der  Vorderflügelanlage   deckt.     In   dem   mit   der  vierten  Häutung 


Die  verschiedenen  Formen  der  Entwicklung. 


155 


beginnenden  fünften  und  letzten  Stadium  F  erhält  die  Larv-e  ein  weit  nach 
hinten  vorspringendes  Halsschild,  die  Flügelstummel  sind  gewachsen,  aber 
noch  in  ihrer  alten  Lage,  die  Fühler  haben  22  Glieder.  Bei  der  letzten  oder 
fünften  Häutung  erscheint  nun  die  vollkommene  Imago  G  anfänglich  weich, 
mit  noch  dicht  zusammengefalteten  Flügeln,  welche  sich  aber  bald  ausdehnen 
und  nach  geschehener  Erhärtung  zurecht  legen,  so  daß  die  Vorderflügel  als 
pergamentartige  Flügeldecken  nun  die  Hinterflügel  vollkommen  decken. 
Die  Imago  hat  26  Fühlerglieder. 

Metamorphose. 

Eine  Metamorphose  findet  überall  da  statt,  wo  die  Larven  provisorische 
Organe  besitzen,  die  der  Imago  fehlen.  Wir  haben  aber  oben  gesehen, 
daß  hierin  große  Verschiedenheiten 
existieren;  bei  den  einen  sind  neben 
den  provisorischen  Organen  die 
imaginalen  noch  in  der  Überzahl  vor- 
handen, bei  den  anderen  dagegen 
sind  die  imaginalen  Charaktere  gänz- 
lich zurückgedrängt,  so  daß  die 
Larven  einen  völlig  fremden  Habitus 
besitzen. 

Bei  den  ersteren  strebt  die  Ent- 
wicklung allmählich  der  Imago  zu; 
die  Larven  werden  mit  jeder  Häutung 
imagoähnlicher,  um  dann  mit  der 
letzten  Häutung,  bei  der  die  pro- 
visorischen Organe  mit  einem  Male 
abgeworfen  werden,  in  die  Imago 
überzugehen:  Hemimetabolie.  Bei 
den  letzteren  dagegen  behält  die 
Larve  während  ihres  ganzen  Lebens 
bis  zur  V^ollwüchsigkeit  ihre  ab- 
weichende provisorische  Organisation 
bei,  um  dann  plötzlich  mit  Hilfe 
eines  Puppenstadiums  in  die  Imago 
sich  zu  verwandeln:  Holometabolie. 
Zwischen  diesen  beiden  liegt  der 
Entwicklungsmodus  der  Ephemeriden, 
bei  denen  die  Larvenentwicklung  im 
allgemeinen  nach  dem  hemimetabolen 
Typus  verläuft,  aber  zwischen  die 
letzte  Larv^e   und  die  Imago  noch  ein 


Fig.   151.     Beispiel   einer   Hemimetabolie.     Ent- 
wicMung  einer  Libelle.     Unten  Larve  mit  aus- 
gestreckter, in  der  Mitte  Larve  mit  eingezogener 
„Maske",  oben  die  Imago.    Nach  Sc  hm  eil. 


besonderes  Stadium,  die  Subimago,  eingeschoben  ist:  Prometabolie. 

Hemimetabolie. 
Die   Hemimetabolie   kommt   in   der   typischen  Form   bei   den  Odonaten 
(Libellen)  und  den  Plecopteren  (Perliden)  vor,  deren  Larv-en  durch  Ausbildung 


156 


Kapitel  IV.     Fortpflanzung 


von  Tracheenkiemen  an  das  Wasserleben  angepaßt  sind;  ferner  bei  gewissen 
Zikaden,  deren  Larven  zu  unterirdischer  Lebensweise  übergegangen  sind  und 
in  Anpassung  daran  ihre  Vorderbeine  zu  Graborganen  umgebildet  haben. 

Als  Beispiel  einer  Hemimetabolie  sei  die  Entwicklung  einer  Libelle 
angeführt:  Die  dem  Ei  entschlüpfte  Larve  unterscheidet  sich  durch  mehrere 
Merkmale  von  der  Imago:  ihr  Auge  ist  wesentlich  kleiner,  die  Fühler  sind 
kürzer,  die  Flügel  fehlen  noch.  Dazu  kommen  als  provisorische  Organe  (die 
die  Libellenlarve  erst  zur  sekundären  Larve  stempeln)  die  Tracheenkiemen 
am  Hinterende  des  Abdomens. 

Die  Entwicklung  schreitet  allmählich  der  Imago  zu;  es  sprossen  Flügel- 
stummel hervor,  die  immer  länger  wer- 
den, der  Thorax  wird  immer  kräftiger, 
die  Zahl  der  Fühlerglieder  vermehrt 
sich  usw.,  so  daß  die  ausgewachsene 
Larve  der  Imago  schon  ganz  nahe 
steht.  Nur  die  Tracheenkiemen  stellen 
noch  ein  fremdes  Element  dar.  Mit 
der  letzten  Häutung  werden  auch 
diese  abgeworfen  und  nun  ist  die 
Imago  fertig. 

Nicht  immer  nähert  sich  die 
Larve  so  schrittweise,  wäe  in  diesen 
Beispielen  der  Imago.  Bei  den  Zikaden 
ist  die  Flügelentwicklung  auf  die 
letzten  Stadien  verschoben,  während 
die  zahlreichen  früheren  Stadien 
keine  Spur  von  Flügelanlagen  zeigen. 
Dies  erklärt  sich  ohne  weiteres 
daraus,  daß  bei  der  unterirdischen  Lebensweise  den  Larven  die  Flügelanlage 
nur  hinderlich  sein  würde. 

Als  besondere  Form  der  Hemimetabolie  wird  von  Born  er  die  Entwicklung 
der  männlichen  Cocciden  aufgefaßt,  während  andere  Autoren  sie  bald  als  epimorph 
(Heymons),  bald  holometabol  (Reh)  betrachten.  Im  speziellen  Teil  wird  genauer 
darauf  zurückzukommen  sein. 

Prometabolie. 
Bei  dieser  nur  den  Ephemeriden  zukommenden  Entwicklungsform 
können  wir  uns  kurz  fassen  (Fig.  152).  Die  Entwicklung  verläuft  (unter 
zahlreichen,  bis  22  Häutungen)  zunächst  nach  dem  eben  beschriebenen, 
hemimetabolen  Typus.  Erst  nach  der  letzten  Häutung  tritt  ein  Unterschied 
gegenüber  diesem  auf,  indem  hier  nicht  gleich  die  fertige  Imago,  sondern 
erst  die  „Subimago"  folgt,  ein  mit  der  Imago  fast  völlig  übereinstimmender 
und  auch  flugfähiger  Zustand,  aus  dem  aber  erst  durch  eine  nochmalige 
Häutung  die  fertige  geschlechtsreife  Imago  hervorgeht. 

Holometabolie. 
Wesentlich  verschieden  von  den  bisherigen  Entwicklungsformen  ist  die 
Holometabolie,    indem  die  gänzlich   imagofremden,    tertiären  Larven  sich  der 


Fig.  152.  Beispiel  von  Prometabolie.  A  Larve  der 
gemeinen  Eintagsfliege  {Ephemera  vulgata  L.)  mit 
Tracheenkiemen  nach  Westwood;-ß  deren  männ- 
liche Imago  aus  der  Subimago  schlüpfend;  Clmago 
yonPalingenia  virgo  Oliv.,  dem  gemeinen  üferaas.  (N.) 


Die  verschiedenen  Formen  der  Entwiclclung. 


157 


Imago  nicht  nähern,  sondern  in  ihrer  abweichenden  Richtung  bis  zum  Schluß 
verbleiben,  um  dann  sich  plötzlich  in  die  Imago  zu  verwandeln.  Diese 
plötzliche  Verwandlung  erheischt  ein  Ruhestadium,  die  Puppe,  deren  Vor- 
handensein (neben  der  vollkommen  provisorischen  Organisation  der  Larve) 
als  Hauptcharakteristikum  für  die  Holometabolie  zu  gelten  hat. 

Wir  wählen  als  Beispiel  einer  solchen  die  Entwicklung  des  männlichen 
Kiefernspinners  (Fig.  153).  Das  aus  dem  im  Hochsommer  gelegten  Ei  A 
geschlüpfte  16  füßige  Räupchen  B  macht  nacheinander  vier  Häutungen  durch, 
von  denen  zwei  noch  in  den  Herbst  des  Geburtsjahres  fallen,  die  beiden 
anderen  dagegen  in  den  folgenden  Frühling.  Hierbei  wächst  die  Larve  von 
ca.    6    mm    bis    auf    80   mm    Länge    heran.     Bei    seiner    Geburt    durch    die 

C  B  A 


m&^ 


Fig.  153.  Beispiel  einer  Holometabolie.  Die  Metamorphose  eines  Kiefernspinners.  A  Ei;  -B—J' die  fünf 
Kaupenstadien;  G  die  Puppe  von  der  Seite,  G'  dieselbe  von  unten  gesehen ;  ff  der  eben  ausgeschlüpfte 
Falter,   vor   Entfaltung   der  Flügel.    Die   Zahlen   bezeichnen   die    Gliedmaßenpaare.    F"  Vorderflügel; 

F"  Hinterüügel.  —  (X.) 


Zeichnung  von  der  erwachsenen  Raupe  noch  deutlich  unterschieden,  nimmt 
sie  bereits  bei  der  ersten  Häutung  alle  Auszeichnungen  der  letzteren  an,  so 
daß  sich  die  vier  Stadien  C  bis  F  in  Fig.  153  lediglich  durch  die  Größe 
unterscheiden  und  einander  viel  ähnlicher  sind,  als  die  entsprechenden  Jung- 
stadien C  bis  F  bei  der  Feldheuschrecke  (Fig.  150).  Die  fünfte  Häutung  ist 
es,  welche  den  definitiven  Wendepunkt  der  Entwicklung  bringt.  Nach  Ab- 
streifung der  alten  Haut  erscheint  nun  die  bekannte  Puppe  G,  aus  welcher 
nach  einer  dreiwöchentlichen  Ruhe  der  Schmetterling  H  ausschlüpft,  an- 
fänglich noch  mit  zusammengeschrumpften,  kleinen,  weichen  Flügeln,  welche 
aber  bald,  durch  Eintreibung  von  Luft  in  die  innerhalb  ihres  Geäders  ver- 
laufenden Tracheen  ausgebreitet,  erhärten  und  nun  dem  Schmetterling  das 
bekannte  Aussehen  verleihen. 


158 


Kapitel  IV.     Fortpflanzung. 


Ganz  ähnlich  verläuft  die  Entwicklung  des  Maikäfers:  der  aus  dem 
Ei  geschlüpfte  junge  Engerling  verwandelt  sich,  allmählich  wachsend,  durch 
eine  Reihe  von  Häutungen  zu  dem  im  wesentlichen  der  neugebornen  Larve 
bis  auf  die  bedeutendere  Größe  völlig  gleichen  erwachsenen  Engerling,  der 
durch  die  nun  folgende  Häutung  plötzlich  in  die  Puppe  übergeht.  Die  Puppe 
verwandelt  sich  durch  eine  weitere  Häutung  in  die  bekannte  Imago  des 
Maikäfers. 

Hypermetabolie  (Poh^metabolie). 
Mit  der  typischen  Holometabolie  ist  der  Gipfelpunkt  der  Insekten- 
metamorphose noch  nicht  erreicht.  Denn  es  gibt  noch  eine  kompliziertere 
Form  der  nachembryonalen  Entwicklung,  die  als 
„Hypermetamorphose"  oder  „Hypermeta- 
bolie" bezeichnet  wird.  Der  Begriff  der  Hyper- 
metamorphose wurde  von  dem  Altmeister  der 
Insektenbiologie,  J.  H.  Fahre,  aufgestellt,  und 
zwar  für  die  Entwicklung  der  Meloiden,  die  sich 
folgendermaßen  abspielt: 

Aus  dem  Ei  schlüpft  1.  der  „Triungulinus", 
eine  bewegliche  Larve  mit  gut  entwickelten 
Beinen,  Fühlern  und  Augen,  der  zu  seiner  Fort- 
entwicklung auf  eine  Biene  gelangen  muß.  Im 
Haarpelz  der  letzteren  hält  sich  der  Triungulinus 
mit  seinen  scharfen  dreizinkigen  Klauen  fest  und 
läßt  sich  so  in  das  Nest  der  Biene  transportieren. 
Ist  dies  geschehen,  so  wandelt  sich  der  Triun- 
gulinus in  2.  eine  madenförmige,  fußlose 
und  augenlose  Larve  um,  die  sich  von  dem 
Bienenhonig  ernährt.  Letztere  geht  nach  reich- 
licher Nahrungsaufnahme  in  3.  ein  Ruhestadium 
über,  das  Stadium  der  Scheinpuppe  oder 
Pseudochrysalis,  welches  eine  äußere  Ähnlich- 
keit mit  einer  wirklichen  Puppe  besitzen  kann. 
Nach  längerer  oder  kürzerer  Dauer  dieses  Pseudo- 
chrysaliszustandes  folgt  4.  wieder  eine  Larven- 
form, die  madenförmig  ist,  und  dem  zweiten 
Entwicklungsstadium  gleicht,  aber  schon  nach 
relativ  kurzer  Zeit  sich  in  das  5.  Stadium,  die 
Puppe  oder  Chrysalis  verwandelt,  das  bald  darauf  6.  die  Imago  liefert 
(Heymons)  (Fig.  154). 

Die  biologische  Bedeutung  dieser  verschiedenen  Entwicklungsstadien  ist, 
wie  Heymons  ausführt,  leicht  verständlich:  Die  Differenz  zwischen  der 
ersten  und  zweiten  Larvenform  erklärt  sich  durch  den  verschiedenartigen 
Zweck  der  letzteren.  Der  Triungulinus  hat  die  Aufgabe,  die  Futterquelle 
aufzusuchen,  die  zweite  Larve  soll  dieselbe  möglichst  intensiv  ausnützen.  Ist 
dies    geschehen,    so    ist    die    Ernährung    überhaupt    beendet,    es    sind    genug 


Fig.  154.  Hypermetabolie  von 
Sitaris  nach  Fahre.  A  erstes 
sechsheiniges,  aktives  Larven- 
stadium (Triungulinus);  B  die 
zweite  mit  Stummelbeinen  ver- 
sehene, madenartige  Larve;  C  die 
folgende  Scheinpuppe  (Pseudo- 
chrysalis); D  letztes  madenartiges 
Larvenstadium;  E  die  eigentliche 
freie  Puppe.  —  (N.) 


Die  verschiedenen  Formen  der  Entwicklung. 


159 


Reservestoffe  aufgespeichert;  aber  da  inzwischen  die  ungünstige  Jahreszeit 
hereinbricht,  so  kann  die  Entwicklung  nicht  mehr  ohne  Unterbrechung  weiter- 
geführt werden  und  die  Larve  geht  bei  der  nächsten  Häutung  in  ein  Ruhe- 
stadium (Pseudochrysalis)  über,  welches  dadurch  besonders  geschützt  ist,  daß 
es  in  der  tonnenförmig  erstarrten  abgehobenen  Chitinhaut  des  zweiten  Larven- 
stadiums regungslos  verbleibt.  Es  finden  während  des  Pseudochrysalis- 
stadiums  keinerlei  innere  Umwandlungen  statt,  so  daß  es  sich  also 
lediglich  um  eine  schlaf  ähnliche  Periode  handelt  (weshalb  Künckel 
d'Herculais  vorgeschlagen  hat,  den  Namen  Hypermetamorphose  durch 
Hypnodie  und  den  Ausdruck  Pseudochrysalis  durch  Hypnotheke  zu  ersetzen, 
was  jedoch  keinen  Anklang  fand). 

Es    sind    zwei    Momente,    welche    die    Meloiden-Entwicklung    von    der 
typischen   Holometabolie    unterscheiden:    1.  der  Dimorphismus   zwischen 


Flg.  155.    Entwicklung  von  Lebia  scapularis  (Carabicide)  mit  larvalem  Dimorphismus  (ij  u.  L^)  und 
zwei  Puppenstadien:  P,  Präpupa,  P.,  Pupa.    Nach  Silvestri  aus  Heymons. 


dem  ersten  und  zweiten  Larvenstadium,  und  2.  das  Auftreten  der 
Scheinpuppe.  Diese  beiden  Eigentümlichkeiten  kommen  aber  keineswegs 
nur  den  Meloiden  zu,  sondern  finden  sich  mehr  oder  weniger  ähnlich  auch 
noch  bei  einer  ganzen  Reihe  anderer  Insekten. 

So  ist  der  larvale  Dimorphismus  eine  ziemlich  häufige  Er- 
scheinung: Am  bekanntesten  sind  die  dimorphen  Larven  der  Ichneu- 
moniden,  Bruchiden,  Lymexyloniden,  Stylopiden  usw.  Neuerdings  hat 
Silvestri  auch  eine  Laufkäferlarve  mit  starkem  Dimorphismus  beschrieben, 
nämlich  die  Larve  von  Lebia  scapularis  (Fig.  155).  Da  der  ziemlich  kom- 
plizierte Entwicklungsgang  dieses  Käfers  auch  noch  in  anderer  Beziehung 
unser  Interesse  beansprucht,  so  sei  dieselbe  hier  kurz  mitgeteilt:  Die  aus 
dem  Ei  ausschlüpfende  erste  Larve  ist  langgestreckt  und  mit  gut  ent- 
wickelten Extremitäten  versehen  (Lj);  sie  lebt  in  diesem  Zustand  räuberisch 
von    den    Larven    und    Puppen    eines     Chrysomeliden    [Galeriica    luteold). 


\Q0  Kapitel  IV.     Fortpflanzung. 

Da  es  an  Futter  nicht  mangelt,  so  bekommt  sie  bald  eine  unförmige 
Gestalt,  wird  schwerfällig  und  umgibt  sich  mit  einem  Kokon.  Darauf 
verwandelt  sie  sich  in  ein  zweites,  gänzlich  verschiedenes  Stadium, 
das  durch  seine  spindelförmige  Gestalt,  durch  kurze  Fühler  und  Mundteile, 
sowie  durch  die  sehr  kurzen  Beine  ausgezeichnet  ist  (Z,.,).  Danach  folgt  eine 
Präpupa,  bei  der  der  Thorax  schon  deutliche  Flügelansätze  zeigt  und  auch 
die  Facettenaugen  schon  erkennbar  werden.  Erst  hierauf  kommt  es  zur 
Puppe,  die  sich  durch  eine  etwas  andere  Gliederung  des  Abdomens  und 
längere  Flügelansätze  von  der  Präpupa  unterscheidet.  Die  genannte  Lebia 
hat  also  nicht  nur  zwei  verschiedene  Larvenformen,  sondern  auch  zwei 
Puppenstadien. 

Der  larvale  Dimorphismus  wird  sich  wahrscheinlich  als  weit  allgemeiner 
herausstellen,  als  man  heute  annimmt,  wenn  man  erst  spezielle  Untersuchungen 
daraufhin  anstellt.  Denn  geringfügige  Unterschiede  in  Färbung,  Struktur, 
Behaarung  usw.  werden  sich  wohl  in  den  meisten  Fällen  bei  den  verschiedenen 
Stadien  nachweisen  lassen.  Es  ist  daher  jedenfalls  schwierig,  eine  Grenze 
zu  ziehen,  wo  der  larvale  Dimorphismus  anfängt,  weshalb  auch  eine  lediglich 
auf  diesem  begründete  Einteilung  (resp.  weitere  Zerlegung  der  Holometabolie) 
stets  mehr  oder  weniger  willkürlich  sein  wird. 

Auch  die  Scheinpuppe  der  Meloiden  hat  ihre  Analoga  bei  anderen 
Insekten.     So    ist   ihr   z.   B.   das   letzte   Larvenstadium   gewisser   Blattwespen 

(z.  B.  Lophyrus)  ohne  Zweifel  an 
die  Seite  zu  stellen;  denn  hier  wie 
dort  handelt  es  sich  um  ein  durch 
zwei  Häutungen  begrenztes  Larven- 
stadium, das  sich  in  einem  schlaf- 
Fig.  156.  Kokon  einer  Blattwespe.  A  mit  der  noch  ähnlichenZustandbefindet(Fig.  156). 
nicht  verpnppten  Larve;  B  mit  der  Puppe.    ^/,.  ^^^^^    man  also   die   Scheinpuppe 

als  das  Hauptkriterium  der  Hyper- 
metabolie  nehmen,  wie  Heymons  will,  so  müßte  man  auch  die  Lophyrus- 
Entwicklung  als  solche  auffassen. 

Aus  dem  Gesagten  geht  hervor,  daß  der  Begriff  Hypermetabolie  heute 
lange  nicht  mehr  so  präzise  zu  definieren  ist  als  zur  Zeit  seiner  Begründung; 
und  es  fragt  sich,  ob  es  nicht  besser  wäre,  den  Begriff  zu  erweitern  und 
ihn  auf  alle  jene  Entwicklungsformen  auszudehnen,  die  überhaupt  eine 
Komplikation  der  Holometabolie  darstellen.  Stößt  man  sich  aber 
daran,  daß  der  Name  Hypermetabolie  speziell  für  die  den  Meloiden  eigen- 
tümliche Entwicklungsform  aufgestellt  ist,  so  möge  man  zu  der  von  Born  er 
vorgeschlagenen  Bezeichnung  „Polymetabolie"  greifen. 

Unter  diesen  Begriff  würde  dann  auch  die  Entwicklung  der  bienen- 
und  wespenartigen  Insekten  fallen,  bei  denen  zwischen  die  Puppe  und  das 
letzte  Larvenstadium  noch  ein  Zwischenzustand  eingeschoben  ist,  an  welchem 
zwar  bereits  die  Leibesanhänge  der  Imago  angelegt  sind,  aber  in  viel 
rudimentärerer  Form  als  bei  der  eigendichen  Puppe,  ein  Zustand,  der  als 
Semipupa  (oder  Pseudonymphe)  bezeichnet  wird  (Fig.  157). 


Die  verschiedenen  Larvenformen.  1Q1. 

Die  verschiedenen  Larvenformen. 

Die  Mannigfaltigkeit  der  Larvenformen  ist  schier  unerschöpflich,  so  daß 
eine  einigermaßen  umfassende  Darstellung  derselben  einen  dicken  Band 
füllen  würde.  Wir  müssen  es  uns  daher  hier  mit  einer  kurzen  Übersicht 
über  die  Haupttypen  genügen  lassen,  was  wir  um  so  eher  tun  können,  als 
im  speziellen  Teil  bei  den  einzelnen  Insektenordnungen  die  verschiedenen 
Larven  noch  eingehender  besprochen  werden. 

Wir  können  die  Larven  der  Insekten  nach  ihrer  Form,  Gliederung 
usw.  in  eine  Anzahl  Kategorien  einteilen;  doch  sei  gleich  ausdrücklich  be- 
tont, daß  diese  Einteilung  lediglich  praktischen  Rücksichten  entspringt,  und 
daß  ihr  keineswegs  etwa  eine  phylogenetische  Bedeutung  beizumessen  ist. 
Denn  da  die  Larven  Anpassungsformen  par  excellence  darstellen,  so  haben 
wir  natürlich  mit  zahlreichen  Konvergenzerscheinungen  zu  rechnen.  Des 
weiteren  ist  auch  darauf  aufmerksam  zu  machen,  daß  die  einzelnen  Kategorien 


Fig.  157.    Die  Verwandlung  der  Hummel  nachPackard.    "j^.    A  ausgewachsene,  fußlose  Larve;  B  die 

Halbpuppe  (Semipupa)  mit  stummeiförmigen  Leibesanhängen;  C  die  eigentliche,  freie  Puppe  mit  den 

deutlich  ausgebildeten  Gliedmaßen  der  Imago.  —  (N.) 

nicht     immer     scharf    abgegrenzt     sind,     sondern     daß     vielfache    Übergänge 
zwischen  ihnen  vorkommen. 

Es  lassen  sich  etwa  folgende  Gruppen  von  Larvenformen  unterscheiden: 

Primäre  Larven. 

1.  Die  Larve  ist  in  allen  wesentlichen  Zügen  der  Imago  ähnlich  und 
unterscheidet  sich  von  ihr  nur  durch  geringere  Größe  und  mangelnde  Ge- 
schlechtsreife. Beispiele  hierfür  bieten  die  sog.  „Silberfischchen"  {Lepisma) 
oder  die  ungeflügelten  Tierläuse  (Pediculiden)  oder  die  Haarlinge  oder  Feder- 
linge  (Mallophagen)  usw. 

2.  Die  Larve  ähnelt  der  geflügelten  Imago  ebenfalls  noch  so  sehr,  daß 
auch  der  unbefangene  Beobachter  sie  ohne  weiteres  als  deren  Jugendform 
erkennt,  unterscheidet  sich  aber  von  ihr  durch  Flügellosigkeit,  durch  kleine 
Details  in  der  Ausbildung  der  Gliedmaßen  und  mitunter  auch  durch  ein  ver- 
schiedenes Verhältnis  in  der  Größe  der  einzelnen  Leibesabschnitte.  Dies  ist 
z.  B,  bei  den  typischen  Geradflüglern  der  Fall.  So  ist  die  auf  Fig.  150B 
(S.  154)  abgebildete  erste  Larve  einer  Feldheuschrecke  nicht  nur  kleiner  als 
die  Imago  und  flügellos,  sondern  es  ist  auch  der  Hinterleib  im  Verhältnis  zu 
Kopf  und  Brust  weniger  entwickelt  als  bei  der  Imago,  und  die  Fühler,  welche 
bei  jener  26  Glieder  zeigen,  haben  deren  vorläufig  nur  12. 

Sekundäre  Larven. 

3.  Die  Larve  zeigt  ebenfalls  noch  eine  unverkennbare  Ähnlichkeit  mit 
der    geflügelten    Imago,    unterscheidet    sich    aber    von    ihr,    außer    durch    die 

Escherich,  Forstinsekten.  11 


162 


Kapitel  IV.     Fortpflanzung. 


Flügellosigkeit  und  die  verschiedenen  kleineren  Details,  noch  durch  den 
Besitz  besonderer  larvaler  oder  provisorischer  Organe  (Tracheenkiemen, 
Grabbeine).  Hierher  gehören  die  Larven  der  Libellen,  Plecopteren  (Perliden), 
gewisser  Cicaden  usw. 

Tertiäre  Larven. 
4.  Die  Larve   weicht  in   ihrem   gesamten  Habitus    vollkommen   von  der 
Imago  ab. 
A.  Larven  ohne  Bauchfüße. 

a)  Larven  mit  gut  ausgebildeten  Brustbeinen. 

a)  Larven  mehr  oder  weniger  kräftig  chitinisiert;  Brust- 
abschnitt oder  wenigstens  das  erste  Brustsegment  von  den  übrigen 
Rumpfsegmenten  meistens  deutlich  verschieden  (größer  oder  stärker 


-^ 


Fig.  158.    Larven  von  Neuropteren.    A  Ameisenlöwe  {Myrmeleo  formicarius).    Nach  RöselvonRosen- 
liof.   B  Kamelhalsfliege  {Bhaphiäia).    Nach  Sharp. 

chitinisiert   oder   anders    skulpturiert   usw.);    Kopf   gewöhnlich   mit 
seitenständigen  Punktaugen  ausgerüstet. 

Die  hierher  gehörigen  Larven  zeigen  bezügl.  der  Form  des 
Körpers  und  seiner  einzelnen  Abschnitte,  der  Ausbildung  der 
Extremitäten  usw.  die  allergrößte  Mannigfaltigkeit.  Als  Beispiele 
seien  erwähnt:  die  Larven  der  Kamelhalsfliege  und  des  Ameisen- 
löwens  (Fig.  158),  ferner  die  Larven  zahlreicher  Käfer,  wie  der 
Carabiciden,  Dytisciden,  Silphiden,  Coccinelliden,  Elateriden  usw. 
(Fig.  159). 
ß)  Larven  schwach  chitinisiert,  weichhäutig  und  meist  weiß- 
lich, mit  Ausnahme  des  kräftig  chitinisierten  und  daher  auch 
dunkler  gefärbten  Kopfes ;  Brustsegmente  nur  wenig  von  den  übrigen 
Segmenten  verschieden;  Punktaugen  in  der  Regel  fehlend.  Hier- 
her die  Engerlinge  (Larven  der  Maikäfer,  Hirschkäfer,  Dungkäfer  usw.) 
(Fig.  160),  die  Larven  der  Anobien  usw. 


Die  verschiedenen  Larvenformen. 


163 


b)  Larven  mit  nur  schwach  ausgebildeten,  resp.  rudimentären 
Brustfüßen,  die  kaum  mehr  als  alleinige  Fortbewegungsorgane 
geeignet  sind.  Hierher  die  Larven  mancher  Bockkäfer  und  der  Holz- 
wespen (Fig.  161). 


Fig.  159.    Verschiedene  Käferlarven  mit  gut  ausgebildeten  BrustfUßen.    ACalosotna;  BDytiscus;  C Fyro- 
chroa;  B  Elateriäe;  E  Silpha;  F  Chrysomelide.    Nach  Ratzeburg,  Boas,  Miall  und  Schrödter. 


i"ig.  160.    Engerling  des  Maikäfers. 


Fig.   161.     A   Larve   des   großen   Eichenbockes   (Cerambyx 
cerdo)  nach  Ratzeburg;  £  Larve  einer  Holzwespe  (Sirex). 


c)  Brustbeine  gänzlich  rückgebildet. 

a)  Larven  mit  Kopfkapsel  und  typisch  ausgebildeten  (kauen- 
den) Mundgliedmaßen  (Fig.   162).     Ein  großer  Teil   der  hierher 

11* 


164 


Kapitel  IV.     Fortpflanzung. 


gehörenden  Larven  sind  weichhäutig  und  weißlich  und  führen  ein 
verborgenes  Leben:  wie  die  Larven  der  Borken-  und  Rüsselkäfer, 
der  Bienen,  Wespen,  Ameisen  und  der  Schlupfwespen.  Andere 
Larven  jedoch,  wie  die  eucephalen  Dipterenlarven,  die  ebenfalls, 
wenn  auch  etwas  gezwungen,  in  diese  Gruppe  einzureihen  sind, 
führen  vielfach  ein  freies  Leben  und  sind  deshalb  meist  auch 
stärker  chitinisiert. 

ß)  Larven  ohne  Kopfkapsel  und  stark  rückgebildeten,  resp. 
umgebildeten  Mundgliedmaßen;  im  übrigen  meistens  weich- 
häutig und  weißlich.  Hierher  die  Larven  der  Fliegen  (Stubenfliege, 
Tachinen  usw.)  (Fig.  163),  die  auch  als  „Maden"  bezeichnet  werden. 


r 


Fig.  162.    Beispiele  für  Larven  mit  völlig  rückgebildeten  Brustfüßen.    A  Rüsselkäfer;  B  Buprestide|; 

V  Ameise;     D   Ichneumonide    (Anomalon) ;   E  Tanypus    (CMronomide) ;    F  Bibio   (Haarmücke).      Nach 

Boas,  Meinert,  Ratzeburg  und  Sharp. 


B.  Larven  mit  Bauchfüßen  (Raupen  und  Afterraupen).  Die  hierher 
gehörigen  Larven  sind  langgestreckt,  mehr  oder  weniger  gleichmäßig 
segmentiert,  mit  ausgeprägtem  Kopf  und  gut  ausgebildeten  kauenden 
Mundgliedmaßen,  ferner  3  Paar  Brustfüßen  und  außerdem  noch  mit  einer 
Reihe  von  Afterfüßen  an  den  Hinterleibssegmenten.  Dieser  Kategorie 
gehören  in  der  Hauptsache  die  Larven  der  Schmetterlinge  an,  die  als 
Raupen,  und  die  Larven  der  Blattwespen,  die  als  Afterraupen  be- 
zeichnet werden  (Fig.  164). 

Der  Unterschied  der  beiden  besteht  einmal  in  der  Zahl  und  der 
Stellung  resp.  dem  Sitz  der  Afterfüße:  Die  Zahl  derselben  beträgt  bei 
den  echten  Raupen  5  oder  2  Paare,  bei  den  Aftenaupen  dagegen  meist 
mehr  (seltener  weniger).  Ferner  ist  darauf  zu  achten,  ob  nur  das  erste 
oder  die  beiden  ersten  Hinterleibssegmente  ohne  Afterbeine  sind;  ist 
nur  das  erste  Segment  frei,  so  handelt  es  sich  meist  um  eine  Afterraupe 


Die  verschiedenen  Formen  der  Puppe. 


165 


(Ausnahme:    Lyda,    deren   Larve   überhaupt   nur   1    Paar  Afterbeine    am 
letzten  Hinterleibssegment  besitzt).     Sind  dagegen  die  ersten  zvi^ei  (oder 
auch  mehr:   bei  Spannern)   Segmente  frei,   so  haben  wir  es  in  den  aller- 
meisten Fällen  mit  einer  Schmetterlingsraupe  zu  tun. 
Auch  bezüglich  der  Augen  unterscheiden  sich  die  beiden 
deutlich  voneinander :  Die  Afterraupen  haben  nur  ein 
Punktauge  jederseits,  die  echten  Raupen  dagegen  5 — 6. 


Die  verschiedenen  Formen  der  Puppe. 

Als  Puppe  bezeichnen  wir  das  dem  Imago  vorher- 
gehende, keine  Nahrung  aufnehmende  Stadium  der  holo- 
metabolen  Insekten.  Die  Puppe  ist,  wie  wir  oben  sahen, 
der  Imago  viel  ähnlicher  als  dem  letzten  Larvenstadium 
und  zeigt  bereits  dieselbe  Körpereinteilung  und  dieselbe 
Anzahl  von  Gliedmaßen  und  Flügeln  wie  die  Imago. 

Man  unterscheidet  zwei  Hauptformen  von  Puppen: 

1.  Die  freie  oder  gemeißelte  Puppe  (pupa  libera) 
maßen  frei  dem  Körper  anliegen  (Fig.  165). 

2.  Die  bedeckte  Puppe  oder  Mumienpuppe  (pupa  obtecta),  bei  der 
die  Gliedmaßen  durch  eine  zähe  erhärtende  Ausscheidung  fest  an  den 
Körper  angebacken  werden  und  infolgedessen  auch  in  ihren  Konturen 
meist  nicht  so  deutlich  hervortreten  wie  bei  der  freien  Puppe  (Fig.  166). 


Fig.   163.     Made    einer 
Tachine. 


bei  der  die  Glied- 


Fig.  164.    Eaupen  {A  u.  B)  und  Afterraupen  (C  u.  D).    A  Sphingide;  B  Cossus;  C  Cimbex;  D  Lyda 


Daß  die  bedeckte  Puppe  wirklich  bereits  dieselben  Anhänge  usw.  wie 
die  Imago  besitzt,  kann  man  deutlich  sehen,  wenn  es  glückt,  die  Schmetter- 
lingspuppe  in  dem  Moment   zu   überraschen,    in  dem  sie  die  Larvenhaut  ab- 


166 


Kapitel  IV.     Fortpfk 


streift;  sie  ist  dann  gewissermaßen  noch  eine  pupa  libera  und  zeigt  auch 
in  diesem  Zustand  eine  viel  größere  Übereinstimmung  mit  dem  Schmetter- 
ling als  in  dem  fertigen  Puppenzustand.  Auf  Fig.  167  A  ist  eine  solche, 
eben  der  Raupenhaut  entschlüpfte  Puppe  des  Kiefernspinners  abgebildet, 
bei  welcher   Fühler,    Mundwerkzeuge,   Beine   und   Flügel   noch   deutlich  vom 


Fig.  165.    Beispiele  von  „freien  Puppen"   {Piipae 

liherae),      A    Bockkäfer    {Cerambyx);    B    Hornisse. 

Nach  Ratzeburg. 


Fig.  166.    Beispiele  von  bedeckten  Puppen.    A  Gall- 
mücke (n.  Kief f  er); -B Schmetterling  (Sphingide). 


Leibe  abstehen  und  die  Hinterleibsringe  noch  nicht  so  weit  in  der 
Längsrichtung  zusammengezogen  sind,  wie  dies  bei  der  fertigen  Puppe  der 
Fall  ist,  bei  welcher  auch  z.  B.  das  dritte  Beinpaar  und  das  zweite  Flügel- 
paar fast  völlig  von  dem  ersten  Flügelpaar  verdeckt  wird  (Fig.  167  B). 

Aus  dieser  Tatsache,  daß  die  Teile  der  Puppe  sich  bereits  unter  der  Haut  des 
letzten  Larvenstadium  anlegen  und  die  Puppe  eben  alle  Teile  des  Schmetterlings 
bereits   besitzt,    erklärt    sich    auch    die    hübsche,   früher    als    höchstes    Wunder    an- 


Mg.  167.    Entstehung  der  bedeckten  Puppe  des  Kiefernspinners.    A  eben  der  Raupenhaut  entschlüpfte 
Puppe,  von  der  Seite,  A'  dieselbe  von  unten;  B  fertige  Puppe,  von  der  Seite,  B'  dieselbe  von  unten; 
C  eben  ausgeschlüpfter  Schmetterling;  1  Fühler,  3  Mittelkiefer  (Saugrüssel),  5—7  die  Brustfüße,  -P  Vorder- 
flügel, F"  Hinterflügel.  —  (N.) 


gestaunte  Geschichte,  wie  es  dem  berühmten  Johann  Swammerdamm  zu 
Amsterdam  gelang,  im  Jahre  1668  dem  Großherzog  von  Toskana  zu  zeigen,  wie 
„ein  Zwiefalter  mit  seinen  zusammengerollten  und  verwickelten  Teilen  in  einer 
Raupe  steckt". 

Die  Pupa  libera  kommt  allen  Coleopteren,  Hymenopteren,  Neuropteren 
und  einem  Teil  der  Dipteren  zu,  während  der  andere  Teil  der  Dipteren  (die 
Brachyceren)  und  die  meisten  Schmetterlinge  eine  Pupa  obtecta  besitzen. 


Die  verschiedenen  Formen  der  Puppe. 


167 


Da  die  Puppe  einer  aktiven  Abwehr  oder  Flucht  nicht  fähig  ist,  so  sorgt 
meistens  schon  die  Larve  für  einen  möglichst  ausgiebigen  Schutz  der  Puppe, 
und  zwar  in  verschiedener  Weise:  Viele  Larven  verpuppen  sich  an  verborgenen 
Orten  in  der  Erde,  unter  Rinde,  im  Holz  oder  unter  Steinen  usw.,  wobei  oft 
noch  besondere  mit  Speichel  geglättete  Höhlungen 
oder  mit  Nagespänen  gepolsterte  „Puppenwiegen" 
gefertigt  werden  (z.  B.  Pissodes).  Andere  verpuppen 
sich  in  den  ausgebauten  Larvengehäusen,  wodurch 
diese  ihren  Schutz  auch  auf  die  Puppe  übertragen. 
Wir  führen  als  hierhergehörige  Beispiele  an:  die 
wasserbewohnenden  Larven  der  Köcherfliegen  (Phry- 
ganiden),  die  Larven  mancher  Blattkäfer,  z.  B.  die 
in  Ameisenhaufen  lebenden  Clytra  quadripunctata, 
welche  das  aus  ihren  Exkrementen  verfertigte  Ge- 
häuse alsdann  mit  einem  Deckel  verschließt,  ferner 
viele  sacktragende  Raupen,  wie  die  Gattung  Psyche 
und  Verwandte,  und  endlich  unter  den  forstschäd- 
lichen Kleinschmetterlingen  die  Lärchenminiermotte 
[Coleophora  laricella).  Wieder  andere  Insekten  end- 
lich verfertigen  besondere  Schutzhüllen,  sog.  Kokons, 
um  die  Puppe  (Fig.  168). 

Diese  Kokons  zeigen  bezüglich  der  Art  der 
Verfertigung  und  des  Materials  eine  groi3e  Mannigfaltigkeit;  entweder  werden 
sie  lediglich  aus  Seidenfäden  hergestellt,  oder  es  sind  auch  noch  Holz-  oder 
Sandteilchen  mit  eingesponnen,  oder  der  Kokon  besteht  hauptsächlich  aus 
fremdem  Material  (Holz,  Erde),  welches  durch  Speichelsekrete  zusammen- 
gekittet wird,  oder  endlich  der  Kokon  wird  gar  nicht  erst  gefertigt,  sondern 
wird  einfach  durch  die  letzte  Larvenhaut  gebildet. 


Fig.  168.  Kokon  von  Satumia 
pyri  geöffnet,  mit  der  darin- 
liegenden Puppe.  Am  oberen 
Ende  des  Kokons  ist  der  Eeu- 
senapparat  zu  erkennen. 


st 


Flg.  169.    A  Tönnchen  der  gemeinen  Stubenüiege,  an  dem  man  deutlich  die  Segmente  der  Larven- 
haut, sowie  die  vorderen  und  hinteren  Stigmen  (st  u.  st')  erkennt;  B  die  in  diesem  Tönnchen  ein- 
geschlossene freie  Puppe.    Nach  Packard. 


Bezüglich  der  rein  gesponnenen  Seidenkokons  kann  man  bei  den 
Schmetterlingen  alle  möglichen  Übergänge  von  einem  einfachen  die  Puppe 
an  der  Unterlage  befestigenden  Gürtelfaden  an  (wie  beim  Kohlweißhng)  zu 
lockeren  aus  wenig  Fäden  bestehenden  (Schwammspinner)  und  zu  völlig 
dichten  Gespinsten  (Seidenspinner)  finden.  Außer  Schmetterlingen  ver- 
puppen sich  auch  sehr  viele  Hymenopteren  in  seidenen  Gespinsten:  Am 
bekanntesten  sind  die  seidenen  Kokons  der  Ameisen,  vom  Volksmund 
fälschlich  Ameiseneier   genannt;    forstlich  am  häufigsten  genannt  werden  die 


168 


Kapitel  IV.     Fortpflanzung. 


Kokons   der  parasitisch  in  der  Kiefernspinnerraupe   und  anderen  Forstschäd- 
lingen lebenden  Schlupfwespen. 

Für  die  größtenteils  aus  fremdem  Material  bestehenden  Kokons  seien 
als  bekannte  Beispiele  die  aus  kleinen  Holzstückchen  und  Erde  hergestellten 
Kokons  der  Rosenkäfer  [Cetoniä)  erwähnt. 

Was  endlich  die  Verpuppung  in  der  letzten  Larvenhaut  betrifft,  so  ist 
diese  den  Fliegen  eigen,  von  denen  in  forstlicher  Beziehung  die  Tachinen 
am  meisten  interessieren.  —  Man  hat  die  in  der  letzten  Larvenhaut  ein- 
geschlossene Puppe  als  eine  besondere  Art  von  Puppe  aufgefaßt  und  als 
„Tönnchenpuppe"  oder  pupa  coarctata  der  pupa  libera  und  obtecta 
gegenübergestellt.     Hierin  liegt  aber  eine  gewisse  Inkonsequenz,   insofern  als 

die  eigentliche  Dipterenpuppe 
^  eine   freie   Puppe   ist,    genau 

wie  z.  B.  die  Puppe  der  Käfer 
(Fig.  169),  und  das  Tönnchen 
also  nichts  anderes  darstellt 
als  eine  Schutzhülle,  ent- 
sprechend den  aus  Seide  usw. 
gefertigten  Kokons. 

Als      charakteristisches 
Merkmal    des    Dipterentönn- 
chens  ist  die  Segmentierung 
zu   beachten,  die   bei   genau- 
erem   Zusehen    stets    zu    er- 
kennen ist.     Daran  sind  z.  B. 
die    Tachinentönnchen    ohne 
weiteres  von  den   ihnen   in  Größe,   Form   und  Farbe  nahestehenden  Kokons 
gewisser    Ichneumoniden    (kleiner    Banchus-hrien    usw.)    zu     unterscheiden 
(Fig.  170). 

Der  Vorgang  des  Ausschlüpfens. 

Nachdem  die  Puppe  eine  Zeitlang  geruht  —  die  Dauer  der  Puppenruhe 
ist  sehr  verschieden,  je  nach  der  Spezies  und  den  äußeren  Einflüssen  — 
springt  die  Puppenhülle  an  einer  für  jede  Art  fest  bestimmten  Stelle  auf 
(Fig.  171),  und  das  fertige  Insekt  arbeitet  sich  durch  eigene  Tätigkeit  heraus. 
Anfänglich  weich  und  mit  noch  zusammengefalteten  Flügeln,  erhärtet  es  bald, 
nachdem  es  die  Flügel  durch  Einpumpen  von  Luft  in  die  sie  durchziehenden 
Tracheen  ausgedehnt  hat.  Insekten,  deren  Färbung  nicht,  wie  das  bei  den 
Schmetterlingen  der  Fall  ist,  durch  Schuppen  und  Haare  bedingt  wird,  sind 
im  Anfang  matter  und  heller  gefärbt  als  die  bereits  völlig  ausgebildeten;  so 
sind  z.  B.  die  frisch  geschlüpften  Borkenkäfer  anfänglich  noch  gelblich,  wäh- 
rend die  Altkäfer  dunkelbraun  oder  schwarz  gefärbt  sind.  Kurz  nach  dem 
Ausschlüpfen  erfolgt  eine  Ausleerung  der  während  der  Puppenzeit  erzeugten 
Harnsubstanzen,  wie  man  am  besten  an  den  Schmetterlingen  sehen  kann, 
die  bald,  nachdem  sie  die  Puppeuhülle  verlassen,  einen  großen  Tropfen  gelben 
oder  rötlichen  Harnes  fallen  lassen. 


Fig.  170.    A  Tönnchen  einer  Tachine;  B  Kokon  eines  Ichneu- 
moniden (Banchus).    Ersteres   unterscheidet  sich  durch   die 
Segmentierung  und  den  stärkeren  Glanz  deutlich  von  dem 
letzteren. 


Der  Vorgang  des  Ausschlüpfens. 


169 


Bei  den  offen  liegenden  Puppen  gelangt  die  Imago  unmittelbar  nach 
dem  Ausschlüpfen  aus  der  Puppenhaut  in  die  Freiheit.  Nicht  so  einfach  ist 
„der  Sprung  in  die  Welt"  bei  solchen  Insekten,  deren  Puppen  verborgen  in 
der  Erde,  unter  Rinde,  im  Holz  usw.  liegen,  oder  von  einem  Kokon  um- 
schlossen sind.  Alles,  was  durch  diese  verborgene  Lage  bisher  der  Puppe 
zum  Schutz  gereichte,  stellt  sich  nunmehr  dem  neugeborenen  Insekt  als  ein 
Hindernis  dar,  das  erst  noch  überwunden  werden  muß,  wenn  das  junge  Tier 
die  volle  Freiheit  erlangen  will. 

Wo    es   sich   um  Insekten    mit   kauenden  Mundwerkzeugen    handelt,    da 
bedient   sich  das  betreffende  Tier   einfach   seiner  Kiefer,   um   sich   den  Weg 
ins  Freie  zu  bahnen:   es  gräbt  sich  damit  aus  der  Erde  heraus,   es  nagt  sich 
damit    einen    Gang    durch    das 
Holz   oder  die   Rinde,    es   beißt 
damit  den  Kokon  durch  usw. 

Wo  die  Imagines  jedoch 
dieser  ausgezeichneten  Werk- 
zeuge entbehren,  sind  verschie- 
dene andere  Einrichtungen  ge- 
troffen, durch  welche  die  Be- 
freiung bewerkstelligt  werden 
kann.  Vielfach  treffen  noch  die 
Raupen  Vorkehrungen,  das  Her- 
auskommen der  Imagines  zu  er- 
möglichen; so  nagen  die  im 
Pflanzengewebe  lebenden  Rau- 
pen meist  einen  Gang  von  der 
Verpuppungsstelle  bis  zur  Ober- 
fläche der  Pflanze,  resp.  lassen 
da  nur  noch  eine  ganz  dünne 
Haut  (das  sog.  Fenster)  stehen, 
so  daß  die  Imago  ohne  Schwierig- 
keit   ins    Freie    gelangen    kann. 

Bei  den  Cossiden,  Sesien  usw.  schiebt  sich  die  Puppe,  die  mit  besonderen 
zur  Fortbewegung  dienenden  Dornkränzen  versehen  ist,  so  weit  nach  außen 
hervor,  daß  der  Schmetterling  beim  Ausschlüpfen  gleich  ins  Freie  kommt. 
Auch  beim  Verfertigen  des  Kokons  sorgen  manche  Raupen  schon  dafür,  daß 
sie  später  als  Imagines  leicht  herauskommen,  entweder  dadurch,  daß  sie  am 
Kopfende  eine  Öffnung  frei  lassen,  welche  durch  Borsten  derartig  verschlossen 
ist,  daß  der  ausschlüpfende  Schmetterling  ohne  weiteres  hinaus-,  aber  kein 
Fremdling  durch  sie  hereindringen  kann  (Fig.  168);  oder  aber  dadurch,  daß 
ein  besonderer  nur  durch  wenige  Spinnfäden  angefügter  Deckel  vorge- 
bildet wird. 

Wo  keine  besondere  Vorsorge  von  Seiten  der  Raupen  getroffen  ist, 
geschieht  die  Befreiung  aus  dem  Kokon  bei  Schmetterlingen  meist  dadurch, 
daß  eine  Flüssigkeit  abgesondert  wird,  welche  das  Kokongewebe  so  weit 
aufweicht  oder  auflöst,  daß  der  Schmetterling  sich  durch  dasselbe  leicht  hin- 


Fig.  171.  Vorgang  des  Ausschlüpfens  (A)  eines  Schmetter- 
lings unter  Sprengung  der  Fliigelnähte.  nach  P furt- 
schelle rs  Wandtafel  Xr.  23;  B  bei  der  Tachine  unter 
Sprengung  des  Vorderteiles  des  Tönnchens  längs  einer 
kreisförmigen  Naht. 


170  Kapitel  IV.     Fortpflanzung. 

durchschieben  kann.  Bei  anderen  Schmetterlingen  finden  sich  in  der  Stirn- 
region besondere  „Kokonbrecher",  das  sind  spitze  Dornen  oder  Zähne,  mit 
denen  die  Wand  des  Kokons  so  lange  bearbeitet  wird,  bis  eine  Öffnung  ent- 
steht. Auch  manche  parasitischen  Dipteren  befreien  sich  auf  ähnliche 
Weise  aus  den  Kokons  ihrer  Wirtstiere.  So  perforiert  die  in  Tachinen  oder 
Schlupfwespen  schmarotzende  Fliege  Anthrax  inorio  („Trauerschweber"), 
durch  fortwährende  kräftige  Stöße  mit  den  auf  der  Stirne  befindlichen  Dornen 
den  Kokon  und  schneidet  so  einen  kreisförmigen  Deckel  heraus.  —  Bei  den 
Dipteren  mit  Tönnchenpuppen  geschieht  die  Sprengung  des  Tönnchens  mit 
Hilfe  der  sog.  Kopfblase,  das  ist  eine  starke  Auftreibung  oder  Vorwölbung 
des  Kopfes,  die  durch  Pressen  der  Blutflüssigkeit  in  die  Kopfregion  hervor- 
gerufen wird. 

Das  Ausreifen. 

Wenn  die  Imago  äußerlich  fertig  erscheint,  so  ist  damit  noch  nicht 
gesagt,  daß  sie  auch  innerlich  fertig  ist.  Bei  vielen  Insekten  ist 
letzteres  wohl  der  Fall,  so  sind  z.  B.  die  Schmetterlinge  nach  Verlassen 
der  Puppe  und  Erhärtung  der  Haut  auch  innerlich  völlig  ausgereift,  so  daß 
sie  unverzüglich  zur  Fortpflanzung  schreiten  können.  Doch  gibt  es  auch  eine 
ganze  Anzahl  von  Insekten,  die  beim  Antritt  des  Imagostadiums  geschlechtlich 
noch  gänzlich  unreif  sind,  und  noch  längerer  Zeit  (mitunter  ^/g  Jahr  und 
mehr)  bedürfen,  bis  sie  ihre  geschlechtliche  Reife  erlangen  und  fortpflanzungs- 
fähig werden.  Hierher  gehören  z.  B.  die  Pissoäes-Arten,  viele  Borkenkäfer, 
die  Tachinen  und  viele  andere.  Es  ist  dies  ein  sehr  wichtiges  Moment,  durch 
deren  Entdeckung  (Nüßlin,  Knoche  und  andere)  unsere  früheren  An- 
schauungen über  die  Zahl  der  Generationen  usw.  verschiedentlich  umgestaltet 
wurden  (siehe  unten).  Wir  dürfen  danach  nicht  mehr  ohne  weiteres  den 
Abschluß  der  Entwicklung  mit  der  Erhärtung  und  event.  Ausfärbung  der 
Imago  zusammenfallen  lassen;  die  Entwicklung  ist  vielmehr  erst  dann  als 
beendet  anzusehen,  wenn  die  Imago  ihre  völlige  Geschlechtsreife  erlangt  hat 
(was    meist  nur  durch  Untersuchung  der  Geschlechtsorgane  festzustellen  ist). 

Die  Zeitdauer  der  Ausreifung  ist  sehr  verschieden,  je  nach  der  Spezies 
und  auch  den  verschiedenen  äußeren  Einflüssen.  Wie  wesentlich  die  letzteren 
sich  geltend  machen  können,  geht  aus  den  Versuchen  von  Hennings  hervor, 
wonach  das  „Jungkäferstadium"  (d.  i.  die  Zeit  des  Ausreifens)  von  Ips 
typographus  bei  24°  C.  und  55  *^/o  Luftfeuchtigkeit  9^/2  Tage  währte,  während  es 
bei  140  c.  und  95  "/q  Luftfeuchtigkeit  nicht  weniger  als  28  Tage  in  Anspruch 
nahm.  Fällt  die  Jungkäferzeit  in  den  Winter,  so  bleiben  die  Geschlechts- 
organe bis  nach  der  Überwinterung  auf  nahezu  der  gleichen  (unreifen)  Stufe 
beharren,  eine  Erscheinung,  die  Nüßlin  als  „Latenz"  bezeichnet  hat. 

Zeitlicher  Ablauf  der  Entwicklung. 

Dauer  der  Gesamtentwicklung. 
Wir  haben  oben  mehrfach  betont,  wie  ungemein  verschieden  die  Dauer 
der  einzelnen  Hauptentwicklungsstadien  (Ei,  Larve,  Puppe,  Reifungszeit)  bei  den 
verschiedenen    Arten    ist.      Betrachten    wir    aber    die  Dauer    der  Gesamt- 
entwicklung  vom  Ei   bis   zur   geschlechtsreifen   Imago,    so  stellt  sich 


Das  Ausreifen.  —  Zeitlicher  Ablauf  der  Entwicklung.  171 

heraus,  daß  hierin  die  Abweichungen  weit  geringe:  sind.  Dieses  rührt 
daher,  daß  eine  etwaige  besonders  lange  Dauer  des  einen  Entwicklungs- 
stadiums (z.  B.  des  Eies)  meist  durch  eine  um  so  kürzere  Dauer  der 
anderen  Stadien  wieder  ausgeglichen  wird,  so  daß  trotz  der  größeren 
Differenzen,  die  bezüglich  der  einzelnen  Stadien  bei  den  verschiedenen  Arten 
herrschen,  bei  dem  größten  Teil  der  Insekten  als  Gesamtentwick- 
lungsdauer  12  Monate  resultieren.  Einige  konkrete  Beispiele  werden 
dies  am  besten  klar  machen: 

.  das  die  die       die  Zeit  der 

Eistadium     Larvenzeit     Puppe     Ausreifung 
bei  der  Nonne       ...     9  2^/2  ^/.,  —  =12  Monate, 

beim  Kiefernspinner      .1  10  1  —  =12,, 

bei  der  Kieferneule  .     .     1  2^-2  S"-/.,  —  =12         „ 

bei  Pissodes      ....    ^/.,  3  ^/.^  8  =12         „ 

Doch  gibt  es  auch  eine  Anzahl  Insekten,  die  wesentlich  länger  zu  ihrer 
Entwicklung  brauchen,  was  in  den  meisten  Fällen  auf  das  langsame  Wachs- 
tum der  Larven  zurückzuführen  ist.  So  bedürfen  viele  Insekten,  deren 
Larven  im  nährstoffarmen  Holz  leben,  2  Jahre  zu  ihrer  Entwicklung;  der 
Maikäfer  braucht  3 — 4  Jahre  und  eine  nordamerikanische  Zikade  gar  ]  7  Jahre. 
Andererseits  gibt  es  aber  auch  eine  Reihe  von  Insekten,  die  weit  weniger 
als  12  Monate  bedürfen,  so  daß  in  einem  Jahre  mehrere  Generationen  auf- 
einander folgen  können. 

Die  Entwicklungsdauer  wird  aber  nicht  von  inneren  Faktoren  allein 
bestimmt,  sondern  hängt  auch  wesentlich  von  äußeren  Einflüssen  ab,  so 
daß  durch  Änderung  der  letzteren  bei  den  meisten  Insekten  die  Entwicklungs- 
dauer verlängert  oder  verkürzt  werden  kann. 

Es  hängt  dies  damit  zusammen,  daß  die  Insekten  kaltblütige  resp. 
wechselwarme  (poikylotherme)  Tiere  sind,  deren  Eigenwärme  sich  nach  der 
Temperatur  des  umgebenden  Mediums  richtet.  Da  nun  für  die  Entwicklung 
im  allgemeinen  eine  gewisse  Wärmesumme  notwendig  ist,  so  erklärt  sich 
ohne  weiteres,  daß  bei  wechselwarmen  Tieren  die  Entwicklung  bei  niederen 
Temperaturen  längere  Zeit  beansprucht  als  bei  höheren  (im  Gegensatz  zu 
den  warmblütigen  Tieren,  bei  denen  die  Entwicklungsdauer  vollkommen 
unabhängig  von  diesen  äußeren  Faktoren  ist).  Die  bekanntesten  Beispiele 
hierfür  liefern  die  Fische,  deren  Entwicklungsdauer  sich  genau  nach  der 
Wasserwärme  richtet;  so  beträgt  die  „Inkubationsdauer"  beim  Lachs  bei  4°  R. 
106  Tage  und  bei  8^  R.  53  Tage,  beim  Bachsaibling  bei  5,5^  73  und  bei  8<* 
50  Tage.  Dies  hat  dazu  geführt,  daß  man  direkt  mit  einem  konstanten 
Faktor  der  Wärmemenge  rechnet,  die  im  ersten  Falle  424°  (4  X  106  oder 
8  X  53),  im  zweiten  Fall  400°  (5,5  X  73  oder  8  X  50)  beträgt.  Umgekehrt  kann 
man  —  wie  dies  praktisch  bei  der  künstlichen  Fischzucht  durchgeführt  wird  — 
die  Inkubationsdauer  beliebig  regulieren,  indem  man  dem  Wasser  eine  ent- 
sprechende Temperatur  gibt. 

Man  hat  nun  versucht,  die  Verhältnisse,  wie  sie  bei  den  Fischen  herrschen, 
ohne    weiteres    auch    auf   die  Insekten   zu  übertragen,    d.  h.  auch  für  sie  eine 


J^72  Kapitel  IV.     Fortpflanzung. 

ganz  bestimmte  konstante  Wärmesumme,  die  die  verschiedenen  Arten  zu 
ihrer  Entwicklung  notwendig  haben,  anzunehmen.  Man  glaubte  dazu  um  so 
mehr  berechtigt  zu  sein,  als  man  von  vielen  Insekten  schon  seit  langem  wußte, 
daß  sie  in  wärmeren  Gegenden  sich  rascher  entwickeln  als  in  kälteren,  so 
z.  B.  vom  Maikäfer,  der  in  Norddeutschland  4  Jahre  zu  seiner  Entwicklung 
braucht,  in  Südwestdeutschland  und  in  der  Schweiz  dagegen  nur  3  Jahre. 
Daher  meinte  auch  Ratzeburg,  im  Hinblick  auf  diesen  Käfer:  „Schließlich 
kommt  hier  alles,  wie  bei  den  Pflanzen,  auf  die  „Wärmesumme"  in  Boden 
und  Luft   an,    welche   eine  Gattung   oder  Art  zu  ihrer  Entwicklung  braucht." 

Auch  viele  Borkenkäferarten  verhalten  sich  je  nach  dem  Ort  ihres  Vor- 
kommens verschieden,  indem  sie  in  wärmeren  Gegenden  eine  doppelte,  ja 
event.  3  fache  Generation  haben  können,  während  sie  es  in  kälteren  Gegenden 
nur  auf  eine  bringen.  Ja,  selbst  an  ein  und  demselben  Ort  können  sich  die 
Generationsverhältnisse  wesentlich  ändern,  wenn  die  Temperaturen  der  ver- 
schiedenen Jahre  stark  abweichen.  Interessant  sind  in  dieser  Beziehung  die 
Angaben,  die  Hennings  über  das  verschiedene  Verhalten  vom  Ips  typographus 
in  den  Jahren  1903,  1905  und  1907  (in  Herrenwies,  bad.  Schwarzwald)  macht: 

„1903:  Der  Anflug  war  Ende  Mai  erfolgt,  am  5.  August  zeigte  sich  der 
Beginn  des  Jungkäferstadiums,  welches  durch  die  ungünstige  Witte- 
rung derartig  in  die  Länge  gezogen  wurde,  daß  am  30.  September 
die  Mehrzahl  der  Jungkäfer  noch  unausgefärbt  unter  der  Rinde  in 
der  Nähe  der  Puppenwiegen  zu  finden  war;  eine  zweite  Gene- 
ration war  demnach  nicht  mehr  zu  erwarten  und  die  einzige 
Generation  1903  dauerte  also  ca.  12  Monate. 

1905:  Nachdem  der  Anflug  am  12.  Mai  erfolgt  war,  gelangte  die  junge 
Brut  in  ungefähr  einem  Monat  bis  zur  Verpuppung;  nach  weiteren 
11  Tagen  war  das  Puppenstadium  beendet  und  der  Ausflug  der 
Jungkäfer  geschah  im  Juli;  diese  Jungkäfer  gingen  sofort  an  die 
Begründung  der  zweiten  Generation.  1905  hatten  wir  also  zwei 
Generationen,  von  denen  die  erste  nur  2  Monate  9  Tage, 
bezw.  sogar  nur  1  Monat  25  Tage  brauchte. 

1907:  Der  Anflug  war  am  12.  bezw.  21.  Mai  erfolgt;  am  14.  Juli  waren 
Puppen  noch  nicht  zu  finden;  die  am  weitesten  vorgeschrittenen 
Larven  waren  voll  erwachsen,  zu  einer  Zeit  also,  zu  welcher  1905 
bereits  der  Ausflug  der  Jungkäfer  erfolgte.  Es  ist  nicht  anzunehmen, 
daß  die  diesjährige  Brut  noch  im  Laufe  des  so  ungünstigen  Sommers 
zum  Ausflug  kommen  konnte,  so  daß  wir  also  1907  wieder  eine 
Beschränkung  auf  eine  Generation  hatten." 

Allbekannt  war  ferner  schon  längst,  daß  bei  Insekten  mit  doppelter 
Generation  die  Sommergeneration  wesentlich  kürzer  ist  als  die  Winter- 
generation. Endlich  weiß  jeder  Schmetterlingszüchter,  daß  man  die  Ent- 
wicklung vieler  Schmetterlinge  durch  „Treiben"  wesentlich  verkürzen  kann, 
d.  h.  dadurch,  daß  man  sie  erhöhten  Temperaturen  aussetzt,  —  eine  Methode, 
die  vor  allem  bei  überwinternden  Raupen  und  Puppen  angewandt  wird. 


Zeitlicher  Ablauf  der  Entwicklung. 


173 


Es  wurden  auch  vereinzelte  Versuche  angestellt,  die  für  die  Entwicklung 
notwendige  Wärmesumme ^)  zu  berechnen.  So  fand  Förster  Uhl ig  in  Tharandt 
bei  täglich  3  maliger  Temperaturbeobachtung  während  einer  Generation  des 
Fichtenborkenkäfers  vom  30.  Mai  bis  21.  Juli  eine  Wärmesumme  von  1145*'  C. 
oder  täglich  im  Durchschnitt  22,02°,  während  der  2.  Generation  vom  4.  August 
bis  3.  Oktober  eine  Summe  von  1228,5°  oder  täglich  im  Durchschnitt  20,48°. 
Nach  Knoche  hat  derselbe  Käfer  im  Botanischen  Garten  zu  Halle  die 
Wärmesumme  von  1371,70°  (Tagesdurchschnitt  15°)  aufgebraucht,  wobei  auf 
das  Eistadium  424,4°  (Tagesdurchschnitt  12,5°),  auf  die  Larvenzeit  445,30° 
(Tagesdurchschnitt  15,5°)  und  endlich  auf  die  Puppen-  und  die  Reifungszeit 
502,0°  (Tagesdurchschnitt  18,6°)  entfallen. 

Doch  hat  dieser  Autor  bereits  darauf  hingewiesen,  daß  außer  der  Tem- 
peratur auch  noch  andere  Momente,  wie  z.  B.  die  Feuchtigkeit,  mit  zu  berück- 
sichtigen sind.  Auch  Versuche  mit  Nonneneiern,  die  darauf  hinzielten,  ein 
früheres  Aufkommen  zu  bewirken,  lehrten,  daß  neben  der  Temperatur  dem 
Feuchtigkeitsgehalt  der  Luft  ein  großer  Einfluß  zukommt,  indem 
bei  trocken  gehaltenen  Eiern,  selbst  stark  erhöhten  Temperaturen  das  Aus- 
kriechen der  jungen  Räupchen  nur  unwesentlich  beschleunigt  werden  konnte, 
während  bei  feucht  gehaltenen  die  Differenz  viele  Monate  betrug  (Knoche, 
Escherich). 

Wie  verfehlt  es  in  der  Tat  war,  zur  Erklärung  der  Verschiebungen  in 
den  Entwicklungsvorgängen  der  Insekten  lediglich  die  einfachen  (auf  der  Luft- 
temperatur basierten)  Wärmesummen  heranziehen  zu  wollen,  zeigen  am  deut- 
lichsten die  Versuche,  die  von  Hennings  an  Ips  typographus  vorgenommen 
wurden.  Es  wurde  der  genannte  Käfer  unter  8  verschiedenen  Bedingungen 
gezogen,  nämlich  bei  24°,  20°,  17°  und  14°,  und  für  jede  dieser  Temperaturen 
wieder  sowohl  bei  ca.  55°/o  (im  folgenden  als  „trocken"  bezeichnet)  wie  bei 
ca.  96°/o  Luftfeuchtigkeit  („feucht"),  wobei  sich  folgendes  ergab: 

Die  Entwicklung  beanspruchte  (an  Tagen)  für  das 


Jungkäfer- 

Eistadium 

Larvenstadium 

Puppenstadium 

stadium 
(Ausreifung) 

trocken 

feucht 

trocken 

feucht 

trocken 

feucht 

trocken 

feucht 

Bei  240  c.    .     . 

5V2 

6^/. 

5^2 

7 

5V. 

6 

9V2 

12V. 

„     20«    „      .     . 

8V2 

8V.2 

7V. 

12 

11 

I2V2 

14 

15 

.     170    „      .     . 

11^/. 

12>/, 

13 

17»/. 

14'/. 

15'/2 

26V. 

27 

„     l-l**    „      .     . 

16 

18 

^0'/. 

50 

16V. 

17 

27 

28 

Die  Gesamtentwicklung  vom  Ei  bis  zum  Freikäfer  währte: 


bei  24°  trocken  .     . 

.       26     Tage, 

bei  24°  feucht  .     . 

.       32  Tage, 

„    20°        „         .     . 

•       41 

„     20°       „        .     . 

•       48       „ 

„     17°         „         .     . 

.       65V.     . 

„     17°       „        .     . 

72 

.     14«        „         .     . 

.     100 

„     14°       „        .     . 

.     113       „ 

1)  Dem  allgemeinen  praktischen  Gebrauch  entsprechend  ist  hier  die  Wärme- 
summe in  Graden  angegeben,  wiewohl  sie  natürlich  richtiger  in  Kalorien  um- 
gerechnet werden  sollte. 


£74  Kapitel  lY.     Fortpflanzung. 

Daraus  geht  einmal  hervor,  wie  stark  durch  äußere  Faktoren  die  Ent- 
wicklung beeinflußt  werden  kann  (konnte  doch  die  Entwicklungsdauer  um 
mehr  als  das  Vierfache,  von  26  bis  auf  113  Tage,  verlängert  werden!)  und  sodann 
auch,  daß  nicht  die  Temperatur  allein  für  die  Differenzen  verantwortlich  zu 
machen  ist.  Wenn  auch,  wie  Knoche  dargetan  hat,  Hennings  vielleicht 
den  direkten  Einfluß  der  Feuchtigkeit  in  seinen  Experimenten  etwas 
überschätzt  hat,  und  es  vielleicht  mehr  die  durch  die  Feuchtigkeit  hervor- 
gerufene Veränderung  der  Nahrung  war,  welche  die  großen  Unterschiede  in 
der  Entwicklungsdauer  der  trocken  und  feucht  gehaltenen  Tiere  bewirkt  hat, 
so  zeigen  die  Hennings  sehen  Versuche  doch  drastisch,  wie  sehr  neben  der 
Temperatur  noch  andere  äußere  Faktoren  (Bachmetjew  nennt  außer  der 
Temperatur  noch  die  Feuchtigkeit,  die  Nahrung,  Licht  und  Elektrizität)  die 
Entwicklung  beeinflussen  können. 

Wir  erfahren  aus  den  Hennings  sehen  Versuchen  ferner,  daß  die 
einzelnen  Stadien  in  ungleichem  Maße  beeinflußbar  sind;  betrug 
doch  die  Differenz  bei  der  Eizeit  ca.  13  Tage,  bei  der  Larvenzeit  ca.  45  Tage 
und  bei  der  Puppenzeit  ca.  12  Tage;  also  weitaus  am  meisten  wurde  die 
Larvenzeit  von  der  Veränderung  der  äußeren  Faktoren  getroffen. 

Aber  nicht  nur  die  verschiedenen  Stadien,  sondern  auch  die  einzelnen 
Arten  zeigen  große  Verschiedenheiten  bezügl.  der  Beeinflußbar- 
keit, wie  den  Schmetterlingszüchtern  wohl  bekannt  ist  (siehe  darüber  Stand- 
fuß und  Bachmetjew)  und  wie  auch  in  der  letzten  Zeit  durch  zahlreiche 
Versuche  wiederum  an  Borkenkäfern  (von  Fuchs,  Hennings,  Knoche  u.  a.) 
gezeigt  wurde.  Unterscheidet  doch  Hennings  bei  den  Borkenkäfern  geradezu 
zwei  biologische  Gruppen,  die  er  als  die  „Beeinflußbaren"  und  die  „Nicht- 
beeinflußbaren" bezeichnet.  Zu  den  letzteren  gehört  z.B.  Eccopfogasfer  {Scoly- 
üts)  Ratzeburgi,  der  bei  einer  konstanten  Temperatur  von  22*'C.  und  60*^/0  Luft- 
feuchtigkeit keine  Beschleunigung  gegenüber  der  zur  Vollendung  einer 
Generation  im  Freien  nötigen  Zeit  aufwies,  während  die  übrigen  Eccoptogaster- 
Arten,  ferner  Ips,  Polygraphtis  und  viele  andere  zu  den  „Beeinflußbaren" 
gehören.  Allerdings  kommen  auch  unter  diesen  große  Schwankungen  vor, 
indem  die  einen  mehr  und  die  anderen  weniger  zu  beeinflussen  sind,  so  daß 
eine  scharfe  Grenze  zwischen  den  obigen  Gruppen  überhaupt  wohl  kaum 
gezogen  werden  kann. 

Bei  manchen  Insekten  kommt  die  merkwürdige  Erscheinung  vor,  daß 
ohne  jeden  erkennbaren  Grund  die  Entwicklung  bei  einer  Anzahl  von  Individuen 
sich  weit  über  die  Normaldauer  hinaus  erstreckt  und  das  Doppelte,  ja  3-,  4- 
bis  8 fache  der  letzteren  beträgt.  Man  bezeichnet  diese  Erscheinung,  die  sich 
meist  auf  das  Puppenstadium  bezieht,  als  „Überliegen",  „Überjährigkeit" 
oder  „Latenz"  (Nüßlin).  Lyda  stellata  z.  B.  hat  gewöhnlich  eine  einjährige 
Generation;  dagegen  findet  man  häufig,  daß  aus  der  im  Anfang  Mai  ent- 
standenen Puppe  nicht  Ende  Mai  oder  im  Juni  die  Wespe  ausfliegt,  wie 
eigentlich  die  Regel  wäre,  sondern  daß  der  Puppenzustand  bis  zum  nächsten 
Mai  dauert  und  dann  erst  das  vollendete  Insekt  fliegt.  Relativ  häufig  ist  die 
Erscheinung  des  Überliegens  bei  den  Schmetterlingen,  was  den  meisten 
Züchtern  bekannt  ist.     So  erscheint  nach  Standfuß  der  Falter  von  Saiurnia 


Zeitlicher  Ablauf  der  Entwicklung.  175 

spini  nur  zum  Teil  nach  dem  ersten  Winter,  zum  größten  Prozentsatz  (70  bis 
75  *^/o)  erst  nach  mehrmaliger  Überwinterung,  und  Bombyx  var.  arbusculae  am 
häufigsten  erst  nach  4 maliger  Überwinterung  der  Puppe,  doch  auch  nach 
5  oder  6  maliger,  in  dem  äußersten  bis  jetzt  bekannten  Falle  sogar  erst  nach 
8 maliger  Überwinterung.  Siebenmal  überwintert  auch  Biston  alpinus]  es 
können  daher  diese  schmucken  Tiere  Geduld  und  Sorgfalt  des  Züchters  auf 
eine  genügende  Probe  stellen.^)  „Zweimalige  Überwinterung  (einmaliges  Über- 
liegen) der  Puppen  ist  ganz  und  gar  keine  Seltenheit  und  man  werfe  daher 
die  Puppen  nach  einmaliger  Überwinterung  ja  nicht  ohne  weiteres  weg." 
Standfuß  führt  eine  große  Reihe  von  Schmetterlingen  an,  bei  denen  er  ein 
Überliegen  der  Puppen  beobachtet  hat. 

Welche  Faktoren  die  Erscheinung  des  Überliegens  hervorrufen,  ob 
wirklich,  wie  es  den  Anschein  hat,  lediglich  innere  Ursachen  dabei  wirksam 
sind,  darüber  wissen  wir  heute  noch  gar  nichts  zu  sagen.  Die  biologische 
Bedeutung  des  Überliegens  ist  nach  Stand  fuß  vielleicht  darin  zu  suchen, 
daß  die  Inzucht  verhindert  wird,  indem  durch  das  Überliegen  die  Nach- 
kommenschaft desselben  Elternpaares  auseinandergezogen  und  so  die  beiden 
Geschlechter  der  gleichen  Brut  um  Jahre  voneinander  getrennt  werden. 

Eine  gewisse  Parallele  zu  dem  Überliegen  der  Puppe  bildet  die  ver- 
schieden lange  und  mit  einer  Vermehrung  der  Häutungen  verbundene  Ent- 
wicklungsdauer der  aus  ein  und  demselben  Eigelege  stammenden  und  unter 
den  gleichen  Bedingungen  aufwachsenden  Raupen  gewisser  Schmetterlinge, 
insofern  als  auch  hier  (ebenso  wie  bei  den  überliegenden  Puppen)  äußere 
Gründe  für  die  Verlängerung  der  Entwicklung  eines  Teiles  der  Nachkommen- 
schaft nicht  erkennbar  sind.  Ein  solcher  Fall  liegt  z.  B.  bei  der  Nonne  vor, 
bei  der  nach  Metzgers  Versuchen  ein  Teil  der  Raupen  unter  4 maliger 
Häutung  46  Tage  zur  Beendigung  braucht  („Vierhäuter"),  während  die  anderen 
unter  5  maliger  Häutung  56  Tage  brauchen  („Fünfhäuter").  Hier  kommt  nun 
außerdem  noch  dazu,  daß,  was  bei  vielen  Insekten  der  Fall  ist,  die  männliche 
Puppe  etwas  länger  liegt  (ca.  19  Tage)  als  die  weibliche  (ca.  16^/o  Tage),  so 
daß  also  die  Falter  aus  ein  und  demselben  Gelege  zu  vier  verschiedenen 
Terminen  herauskommen:  Die  ersten  (Weibchen)  nach  62^/0  =  46  -+-  16^/o  Tagen, 
die  zweiten  (Männchen)  nach  65  =  46  +  19  Tagen,  die  dritten  (Weibchen)  nach 


1)  Daß  dies  physiologisch  möglich  ist,  beruht  nach  Gräfin  von  Linden 
darauf,  daß  Schmetterlingspuppe  imstande  ist,  wie  die  Pflanze  zu  assimilieren, 
d.  h.  Kohlensäure  aus  der  Luft  zu  absorbieren,  sie  zu  spalten  und  den  Kohlenstoff 
als  organische  Substanz  sich  einzuverleiben;  daß  sie  ferner  aus  der  Luft  den  Stick- 
stoff „sich  nutzbar  machen,  und  zwar  in  einem  Grade,  wie  es  bis  jetzt  nur  für  die 
Pflanze  unter  Beihilfe  von  Bakterien  erwiesen  ist"  (wie  von  den  Pflanzen,  so  wird 
auch  von  den  Puppen  vorwiegend  bei  Tage  assimiliert  und  bei  Nacht  geatmet). 
Sie  vermögen  dadurch  bei  langer  Puppenruhe  wenigstens  einen  Teil  der  zerfallenden 
Körpersubstanz  wieder  zu  ersetzen.  „Nur  bei  einer  derartigen  Ökonomie  des  Stoffes 
und  der  Kraft  ist  es  auch  zu  begreifen,  daß  Puppen  in  einem,  um  ein  Mehrfaches 
verlängerten  Winterschlaf  nicht  ihren  ganzen  Vorrat  an  Brennmaterial,  der  auf  eine 
viel  kürzere  Zeit  berechnet  war,  verbrauchen  und  auch  dem  Schmetterling  noch 
Stoff  und  Energie  zur  Entwicklung  einer  reichen  Nachkommenschaft  mitgeben 
können."  —  Die  hier  wiedergegebenen  Anschaui 
haben  übrigens  mehrfachen  Widerspruch  erfahren. 


176  Kapitel  IV.     Fortpflanzung. 

72^/2  =  56  +  16^/.,  Tagen  und  die  vierten  (Männchen)  nach  75  =  56  +  19  Tagen. 
Auch  hier  dürfte  die  biologische  Bedeutung  die  gleiche  sein,  wie  wir  sie  für 
das  Überliegen  angenommen  haben,  nämlich  die  Inzucht  möglichst  zu  ver- 
hindern. 

Aus  dem  Wenigen,  was  wir  hier  über  die  Entwicklungsdauer,  deren 
große  Verschiedenheit  bei  den  einzelnen  Stadien,  deren  große  Abhängigkeit 
von  äußeren  Faktoren  usw.,  sagen  konnten,  geht  schon  zur  Genüge  hervor, 
welch  weites  und  interessantes  Gebiet  hier  vorliegt.  Es  würde  jedenfalls 
eine  überaus  dankbare  Aufgabe  für  phj^siologisch  geschulte  Entomologen  sein, 
diesem  Probleme  sich  mehr  zu  widmen;  die  Ergebnisse  werden  nicht  nur 
vom  allgemeinsten  biologischen  Interesse,  sondern  auch  zweifellos  von  großem 
Wert  für  die  Praxis  sein. 

Generation. 

Die  Zeit,  welche  eine  Insektenart  braucht,  um  einen  einfachen  Ent- 
wicklungszyklus zu  vollenden,  nennt  man  (mit  einem  Anklänge  an  den  Ge- 
brauch, z.  B.  Großvater,  Vater  und  Sohn  als  drei  „Generationen"  ein  und 
derselben  Familie  zu  bezeichnen)  die  „Generation"  des  betreffenden  Insektes. 
Diese  Zeit  reicht  also  von  dem  Augenblicke  der  Ablage  eines  Eies  bis  zum 
Eintritt  der  Geschlechtsreife  und  zum  Beginn  der  Fortpflanzungstätigkeit  bei 
dem  aus  diesem  Ei  entstandenen  Tiere:  kurz  gesagt,  von  Ei  zu  Ei. 

Bedarf  ein  Insekt,  was  am  häufigsten  der  Fall  ist,  zu  seiner  Entwicklung 
12  Monate,  so  sprechen  wir  von  einer  einjährigen  Generation.  Die 
Raupe,  welche  aus  dem  vom  Kiefernspannerweibchen  im  Mai  abgelegten  Ei 
schlüpft,  verwandelt  sich  im  nächsten  Mai  wieder  in  den  fortpflanzungs- 
fähigen Falter. 

Ein  Insekt,  welches  zu  seinem  Entwicklungszyklus  dagegen  24,  36, 
48  Monate  u.  s.  f.  braucht,  hat  eine  zwei-,  drei-  oder  vierjährige  Gene- 
ration. Ein  Beispiel  der  letzteren  ist  im  nördlichen  Deutschland  der  Mai- 
käfer, dessen  „Flugjahre"  an  einem  bestimmten  Orte  stets  nur  jedes  vierte 
Jahr,  z.  B.  alle  Schaltjahre  wiederkehren.  Die  längste  bekannte  Generation 
hat  eine  nordamerikanische  Zirpe,  welche  17  Jahre  zu  ihrer  Entwicklung 
braucht  und  eben  nach  dieser  Eigentümlichkeit  von  Linne  Cicada  septemdecim 
getauft  wurde. 

Es  fällt  aber  auch  jede  einjährige  Generation  stets  in  zwei  verschiedene 
Kalenderjahre  und  jede  xjährige  Generation  verteilt  sich  also,  wenn  x  eine 
ganze  Zahl  darstellt,  auf  x  +  1  Kalenderjahre.  Vergleiche  hierzu  die  unten 
folgenden  Tabellen. 

Andererseits  gibt  es,  wie  eben  bereits  erwähnt,  Insekten,  welche  ihren 
Entwicklungszyklus  zwei-  oder  mehreremale  innerhalb  von  12  Monaten 
vollenden,  und  man  sagt  alsdann,  daß  das  betreffende  Insekt  eine  doppelte, 
dreifache  bezw.  mehrfache  Generation  hat.  Ein  Beispiel  für  doppelte 
Generation  bietet  die  kleine  Kiefernblattwespe  {Lophyrus  pini  Z,.),  während 
einige  Blattläuse  unter  normalen  Verhältnissen  sogar  eine  9 — 14  fache  Gene- 
ration haben  können. 

Bei  der  Beurteilung  der  doppelten  usw.  Generation  ist  darauf  zu  achten, 
daß  die  Generation  wirklich  in  dem  genetischen  Verhältnis  der  direkten  Nach- 


Generation.  177 

folge  (wie  Mutter-Tochter-Enkelgeneration)  zueinander  stehen;  sonst  kann  man 
zu  einer  ganz  irrtümlichen  Auffassung  gelangen.  Denn  doppelte  und  mehr- 
fache Generationen  können  leicht  vorgetäuscht  werden,  entweder  dadurch, 
daß  die  Legezeit  sich  sehr  lang  hinzieht,  oder  dadurch,  daß  das  Weibchen 
nach  längeren  oder  kürzeren  Pausen  (Regeneration  der  abgebrunfteten  Ge- 
schlechtsorgane!) wiederholt  zur  Eiablage  schreitet.  In  beiden  Fällen  kann 
es,  zumal  bei  einem  raschen  Verlauf  der  Ei-,  Larven-  und  Puppenentwicklung, 
vorkommen,  daß  man  frisch  geschlüpfte  Imagines  und  Eier  zur  gleichen  Zeit 
findet.  Früher  nahm  man  dann  gewöhnlich  ohne  weiteres  an,  daß  die  Eier 
von  den  jungen  Imagines  stammten  und  daß  demnach  eine  doppelte  Generation 
vorliege.  Heute  dagegen  ist  man,  auf  Grund  der  Entdeckungen  Nüßlins 
und  Knoches,  von  der  Langlebigkeit  der  Mutterkäfer  einerseits  und  der 
mitunter  sich  über  Monate  hinziehenden  langsamen  Ausreifung  der  Imagines 
andererseits,  weit  vorsichtiger  und  kritischer  geworden,  und  hat  auch  in 
vielen  Fällen,  da  man  bisher  an  einer  doppelten  Generation  festhielt,  nur 
eine  einjährige  Generation  feststellen  können.  So  haben  z.  B.  die  Pissodes- 
Arten,  wie  Nüßlin  gezeigt  hat,  in  der  Regel  nur  eine  einjährige  Generation, 
obgleich  die  zuerst  abgelegten  Eier  schon  im  Juli,  und  die  im  Juli  abgelegten 
Eier  schon  wieder  im  November  Jungkäfer  liefei  n,  und  zwar  aus  dem  Grunde, 
weil  alle  Eier  nur  von  überwinterten  Weibchen  stammen,  die  Jungkäfer 
dagegen  im  Jahre  der  Geburt  überhaupt  nicht  mehr  zur  Geschlechtsreife 
kommen  (siehe  auch  oben  S.   170). 

Wir  werden  unten  bei  den  wichtigeren  Forstschädlingen  die  Ver- 
hältnisse ihrer  Generation  graphisch  darstellen. 

Die  hierbei  von  uns  für  die  einzelnen  Entwicklungsstadien  der  In- 
sekten gewählten  Zeichen  sind  derartig  beschaffen,  daß  sie  einigermaßen  an 
das  durchschnittliche  Aussehen  der  entsprechenden  wirklichen  Stadien 
erinnern  und  daher  verhältnismäßig  leichter  im  Gedächtnis  behalten 
werden  können,  als  die  sonst  zu  diesem  Zwecke  beliebten  Buchstaben  oder 
Farben. 

Es  wird  also  das  Ei  durch  einen  Punkt  (.),  die  Larve  durch  einen 
Strich  ( — ),  die  unverpuppt  im  Kokon  liegende  Larve  durch  einen  von  einer 
liegenden  Null  umschlossenen  Strich  (©),  die  Puppe  durch  eine  liegende  aus- 
gefüllte Null  (•)  und  die  Imago,  also  das  fliegende  Tier,  durch  ein  Kreuz  (-I-), 
die  Zeit,  in  welcher  das  betreffende  Insekt  frißt,  durch  einen  starken 
dicken  Strich  (■§)  bezeichnet.  Letzterer  wird  bei  Larven  fraß  unter,  bei 
Imagofraß  über  den  Zeichen  für  das  betreffende  Stadium  angebracht  sein. 
In  den  Fällen,  wo  die  Imago  noch  einige  Zeit  zur  Ausreifung  der  Geschlechts- 
organe bedarf,  ist  die  Zeit  der  Unreife  daran  kenntlich,  daß  unter  dem  Kreuz 
das  Eizeichen  fehlt. 

Es  sind  die  Tabellen  ferner  so  eingerichtet,  daß  sie  auf  zirka  zehn 
Tage,  d.  h.  ein  Drittel  Monat,  genau  die  Lebensgeschichte  eines  Insektes 
darzustellen  gestatten. 

Folgende  Beispiele  mögen  dieses  erläutern: 

Escherich,  Forstinsekten.  12 


]^78  Kapitel  IV.     Fortpflanzung. 

Liparis  monacha  L.,  mit  einjähriger  Generation. 


Jahr 

Jan. 

Febr. 

März 

April 

Mai 

Juni 

Juli 

Aug. 

Sept. 

Okt. 

Nov. 

Dez. 

1880 

+ 

+  + 

1881 

•  •  + 

+  + 

^^^ 

^^ 

Nonnentachine  {Parasetigena  segregatä)  mit 

sinjäh 

riger 

Generation. 

Jahr 

Jan. 

Febr. 

März 

April 

Mai 

Juni 

Juli 

Aug. 

Sept. 

Okt. 

Nov. 

Dez. 

1910 

+ 

+  +  + 

+ 

H 

1911 

^  ^  •!• 

+  +  + 

+ 

Cnethocatnpa 

pinivora,  mit  zwe 

jährig 

^er  Generation. 

Jahr 

Jan. 

Febr. 

März 

April 

Mai      Juni 

1 

Juli 

Aug. 

Sept.    Okt. 

1 

Nov. 

Dez. 

1 

+ 

+  + 

1910 

1911 

■ 

■ 

^^J 

+ 

+  + 

1912 

Melolontha  vulgaris 

L..  m 

it  vierjähri 

ger  Generation. 

Jahr 

Jan. 

Febr. 

März 

April 

Mai      Juni 

Juli 

Aug. 

Sept. 

1 
Okt.    Nov.    Dez. 

1880 

+TT 

m- 

1 

1881 



.^^ 

._^ 

^ 

1882 

l^iHi 

^^ 

^__ 

^^ 

^ 

1883 

+  +  + 

+  +  + 



^^ 

+  +  + 

1 
+  +  +  +  +  + 

+  +  + 

'  '^^^^^^^^ 

1884 

+  +  + 

■  * 

+  + 

Überwinterunsfsstadium. 


179 


Lophyrus  Pini  L.,  mit  doppelter  Generation. 


Jahr 

Jan. 

Febr. 

März     April 

Mai 

Juni 

Juli 

Aug.    Sept. 

Okt. 

Nov.  1  Dez. 

i 

1880 

+  + 

•  •  + 

+ 



—  ©  © 

o©  © 

^__. 

„.^^ 

©©© 

1881 

©©© 

©o© 

©©• 

•  +  + 

Wenn  man  mit  dieser  graphischen  Darstellung  einigermaßen  vertraut 
geworden  ist,  kann  man  sich  mit  einem  Blick  über  die  Generationsverhältnisse 
orientieren.  Allerdings  lassen  sich  diese  Schemata  nicht  überall  anwenden. 
„Im  Falle  langer  Lebensdauer  der  Imagines,  langhingezogener  Eiablage,  Inein- 
andergreifen der  geschwisterlichen  Generationen  (wie  bei  den  Borkenkäfern, 
Pissodes  usw.)  sind  solche  graphische  Darstellungen  unmöglich;  ihre  An- 
wendung würde  höchstens  die  Wahrheit  entstellen  und  verwirrend  wirken" 
(Nüßlin).  Die  Entwicklung  des  einzelnen  Individuums  läßt  sich  natürlich 
auch  in  solchen  Fällen  ohne  weiteres  in  das  Schema  bringen,  nicht  aber 
lassen   sich  die  Entwicklungsverhältnisse  der  Art  in  dieser  Weise  darstellen. 

Überwinterungsstadium. 

Bei  den  meisten  forstschädlichen  Insekten  ist  der  Winter  die  beste 
Zeit,  in  der  man  die  Prognose  für  die  kommende  Saison  stellt;  so  kann  man 
sich  durch  Untersuchung  der  Zahl  und  des  Gesundheitszustandes  der  Nonnen- 
eier ein  ungefähres  Bild  davon  machen,  welcher  Grad  von  Fraß  im  nächsten 
Sommer  zu  erwarten  ist,  ebenso  kann  man  sich  durch  Feststellung  der  Zahl  der 
in  der  Bodendecke  überwinternden  Kiefernspinnerraupen  oder  Spanner-  oder 
Eulenpuppen  darüber  orientieren,  was  uns  die  kommende  Saison  bescheren 
wird  usw.,  wodurch  man  in  den  Stand  versetzt  wird,  in  Ruhe  Vor- 
bereitungen für  die  eventuelle  Bekämpfung  zu  treffen. 

Es  ist  daher  von  großer  Wichtigkeit,  zu  wissen,  in  welchem  Stadium 
die  einzelnen  Insekten  überwintern.  Allgemeine  Regeln  lassen  sich  darüber 
nicht  aufstellen,  da  in  dieser  Beziehung  die  größte  Mannigfaltigkeit  herrscht, 
so  daß  nichts  anderes  übrig  bleibt,  als  für  jeden  Schädling  das  Überwinterungs- 
stadium  sich  besonders  zu  merken.  Wie  regellos  die  Insekten  sich  darin 
verhalten,  zeigt  eine  Zusammenstellung  Werneburgs,  wonach  von  unseren 
einheimischen  Großschmetterlingen,  im  ganzen  betrachtet,  3,4 ^/^  als  Ei,  66,9  °/o 
als  Raupe,  28,2  "'o  als  Puppe  und  1,5  °/o  als  Falter  überwintern,  während  bei 
Betrachtung  einzelner  Familien  die  Resultate  sich  ganz  anders  stellen.  So 
überwintern  alle  Zygaeniden  als  Raupen,  die  meisten  Sphingiden  als  Puppe 
und  von  den  Tagfaltern  9  "/o  als  Ei,  540/o  als  Raupe,  28  "/o  als  Puppe  und 
9  °/o  als  Falter.  Ja  es  kommt  sogar  vor,  daß  Insekten,  welche  man  bei  nicht 
allzu  enger  Begrenzung  der  Genera  zu  einem  und  demselben  Genus  rechnen 
kann,  in  ganz  verschiedenen  Stadien  überwintern.  Dies  geht  deutlich  aus 
der  folgenden  Darstellung  der  Generation  dreier  unserer  gemeinsten 
Spinner  hervor. 

12* 


180 


Kapitel  IV.     Fortpflanzung. 
Generation  von  Bombyx  netistria  L. 


Jahr 

Jan. 

Febr. 

März 

April 

Mai 

Juni 

Juli 

Aug.  I  Sept. 

Okt. 

Nov. 

Dez. 

1880 

+  +  + 

1 

.    .    . 

1881 

1 

.    .    .1  .    . 

j 

... 

m 

Generation  von  Bombyx 

Pini  L 

Jahr 

Jan. 

Febr. 

März 

April 

Mai 

Juni 

Juli 

Aug. 

1 
Sept.    Okt. 

1 

Nov. 

Dez. 

1880 

1 
1 

+  + 

■ 

^^ 

^^ 

^^^ 

^H 

1881 

•  +  + 

1 

^_ 

Generati 

on  von  Bombyx  lanestris 

L. 

Jahr 

Jan. 

Febr. 

März 

April     Mai 

Juni 

Juli 

Aug.    Sept. 

1 

Okt. 

Nov. 

Dez. 

1880 

+  +  + 

^^_ 

.^^ 

^^ 

••• 

+  +  + 

1 

1881 

Bei  manchen  Insektenarten  überwintern  ferner  nur  die  Weibchen  nach 
vorhergehender  Begattung  im  Herbste,  z.  B.  bei  manchen  Mückenarten  und 
unseren  gewöhnlichen  Faltenwespen  {Vespa)\  und  die  Tatsache,  daß  die  Honig- 
bienen über  Winter  in  ihren  Stöcken  keine  Drohnen  dulden,  dieselben  viel- 
mehr vorher  in  der  „Drohnenschlacht"  töten,  so  daß  nur  die  Königin  nebst 
den  Arbeitern  den  Winter  überdauert,  ist  jedem  Bienenfreunde  bekannt. 

Abnorme  Witterungsverhältnisse  können  es  aber  auch  veranlassen,  daß 
eine  Insektenart  ausnahmsweise  einmal  in  einem  anderen  Lebensstadium  als 
gewöhnlich  überwintert.  Allerdings  sind  Fälle,  daß  ein  Tier  in  einem  anderen 
der  vier  Hauptentwicklungszustände  als  gewöhnlich  den  Winter  verbringt, 
doch  selten.  Dagegen  ist  es  häufig,  daß  z.  B.  Raupen,  welche  gewöhnlich 
halbwüchsig  das  Winterquartier  beziehen,  dies  als  ganz  junge  Tiere  zu  tun 
gezwungen  werden,  so  die  Kiefernspinnerraupe  nach  der  ersten  Häutung, 
statt  wie  gewöhnlich  nach  der  zweiten. 

Insekten,  welche  eine  mehrjährige  Generation  haben,  müssen  natürlich 
auch  mehrere  Male  überwintern.  Es  kann  dies  in  den  gleichen  oder  in  ver- 
schiedenen Hauptlebensstadien  geschehen;  so  überwintern  z.  B.  die  eine  zwei- 


Flugzeit.  181 

bis  dreijährige  Generation  aufweisenden  Eintagsfliegen  stets  als  Larven  im 
Wasser,  während  der  Maikäfer  drei  Winter  als  Larve,  den  vierten  dagegen 
meist  als  Imago  überdauert. 

Vielfach  suchen  die  Insekten  zur  Überwinterung  besondere  Winter- 
quartiere auf,  so  bohren  sich  manche  Borkenkäfer  speziell  zum  Zweck  des 
Überwinterns  oft  massenhaft  an  der  Basis  von  Stämmen  ein,  manchmal  sogar 
in  anderen  Hölzern  als  den  normalen;  so  suchen  die  Laufkäfer  alte  morsche 
Baumstümpfe  auf,  in  denen  man  sie  im  Winter  mitunter  in  großer  Zahl 
finden  kann,  so  geht  der  Engerling  den  Winter  über  tiefer  in  die  Erde,  um 
aus  der  Frostregion  zu  kommen,  und  so  wandert  die  Kiefernspinnerraupe 
vor  Eintritt  des  Winters  herab,  um  die  kalte  Zeit  in  der  Bodendecke  zu 
verbringen,  usw. 

Für  die  Vermehrung  resp.  für  die  Schädlichkeit  eines  Insektes  kommt 
es  wesentlich  darauf  an,  in  welchem  Stadium  die  Überwinterung  stattfindet, 
da  die  einzelnen  Stadien  sich  sehr  verschieden  gegen  die  Unbilden  des 
Winters  verhalten.  So  ist  das  Ei  meist  überaus  widerstandsfähig  gegen  Kälte 
und  Nässe,  während  die  Raupe  diesen  Einflüssen  eher  unterliegt.  Die 
Kiefernspinnerraupe  z.  B.  geht  während  der  Winterruhe  im  Boden  oft 
massenhaft  an  Pilzinfektionen  {Cordiceps  militaris)  zugrunde.  Abgesehen 
davon  ist  der  Fall,  daß  die  Raupe  zur  Überwinterung  in  den  Boden  geht, 
noch  insofern  besonders  günstig  für  uns,  als  sie  dadurch  vollkommen  in 
unsere  Hände  gegeben  sind,  indem  wir  sie  ja  durch  Leimringe  vom  Aufsteigen 
in  die  Krone  verhindern  können. 

Flugzeit. 

Unter  Flugzeit  versteht  man  im  entomologischen,  besonders  im  forst- 
entomologischen  Sinne  die  Zeit,  in  welcher  die  Imago  zur  Fortpflanzung 
schreitet.  Der  Ausdruck  findet  seine  Rechtfertigung  darin,  daß  die  Zeit  der 
Fortpflanzung  gewöhnlich  die  gesamte  Lebenszeit  der  Imago,  des  einzigen 
geflügelten  Zustandes  umfaßt,  oder  daß,  wo  dies  nicht  stimmt,  die  Imago 
doch  meist  nur  während  der  Fortpflanzungszeit  von  ihrem  Flugvermögen 
ausgiebigeren  Gebrauch  macht. 

Neuere  Untersuchungen  haben  uns  allerdings  eine  ganze  Reihe  von  In- 
sekten kennen  gelehrt,  bei  denen  die  Dauer  des  Imagolebens  durchaus  nicht 
mit  der  Zeit  der  Fortpflanzung  zusammenfällt,  sondern  sich  wesendich  länger 
ausdehnt.  Außerdem  gibt  es  doch  auch  Insekten,  welche  in  ihrer  Fort- 
pflanzungszeit nicht  oder  nur  wenig  fliegen  {Hylobius),  sowie  endlich 
auch  zahlreiche  ungeflügelte  Insekten.  Nüßlin  hat  daher  an  und  für  sich 
gewiß  recht,  wenn  er  an  Stelle  des  Ausdruckes  Flugzeit  den  Ausdruck  Fort- 
pflanzungsbereitschaft gesetzt  wissen  will;  doch  hat  sich  der  Ausdruck 
Flugzeit  bereits  so  sehr  in  der  Praxis  eingebürgert,  daß  es  uns  am  zweck- 
mäßigsten- erscheint,  denselben  beizubehalten,  wenn  er  auch  dem  eigentlichen 
Sinne  des  Wortes  nach  nicht  überall  völlig  zutreffend  ist. 

Die  Flugzeit  der  einzelnen  Insektenarten  ist  eine  sehr  verschiedene: 
Während  sie  z.  B.  bei  der  Kieferneule  bereits  in  das  zeitige  Frühjahr,  Ende 
März   oder  Anfang  April,    fällt,    tritt   sie   beim  Kiefernspinner   erst   im  Hoch- 


jy2  Kapitel  IV.     Fortpflanzung. 

Sommer  ein,  und  der  Frostspanner  fliegt  gar  erst  im  Spätherbst,  von  Mitte 
Oktober  bis  in  den  Dezember  hinein.  Die  Kiefernblattwespe  {Lophyrus  pini) 
fliegt  sowohl  im  April  als  auch  im  Juli  und  August. 

Im  allgemeinen  ist  die  Flugzeit  der  einzelnen  Insekten,  speziell  der 
praktisch  beachtenswerten,  genau  bekannt.  Doch  ist  nicht  zu  übersehen,  daß 
der  Beginn  der  Flugzeit  durch  klimatische  Verhältnisse  wesentlich 
verschoben  werden  kann,  insofern  als  er  durch  ungünstige  Witterung 
verzögert,  durch  günstige  beschleunigt  wird.  Besonders  macht  sich  dies 
bei  solchen  Insekten  bemerkbar,  deren  Flugzeit  in  das  erste  Frühjahr  fällt. 
Dabei  lassen  sich  oft  unverkennbare  Beziehungen  zur  Pflanzenwelt  feststellen, 
indem  die  Beschleunigung  oder  die  Verzögerung  des  Eintrittes  der  Flugzeit 
gleichen  Schritt  hält  mit  dem  vorzeitigen  oder  verspäteten  Erwachen  der 
Pflanzenwelt.  Die  phänologischen  Aufzeichnungen,  die  wir  in  den  meisten 
modernen  Jahresberichten  der  landwirtschafdichen  Versuchsstationen  resp. 
Sammelstellen  finden,  bringen  hierfür  zahlreiche  Beispiele. 

Auch  die  Dauer  der  Flugzeit  ist  ungemein  verschieden  je  nach  der 
Insektenart:  Bei  den  Eintagsfliegen  währt  sie  nur  wenige  Stunden,  bei  den 
meisten  Schmetterlingen,  Käfern,  Fliegen  usw.  mehrere  Tage  bis  ca.  zwei 
Wochen,  während  sie  bei  anderen  über  die  ganze  Saison  sich  hinziehen 
kann.  Letzteres  trifft  hauptsächlich  für  Insekten  mit  langsamer  Geschlechts- 
reife und  langer  Lebensdauer  zu,  wie  für  Pissodes,  gewisse  Borkenkäfer  usw\ 

Wie  auf  den  Beginn,  so  üben  klimatische  Einflüsse  auch  auf  die 
Dauer  der  Flugzeit  eine  deutliche  Wirkung  aus,  und  zwar  sowohl  auf 
die  Flugzeit  des  Individuums  als  die  der  Art.  Schöne  warme  Februar-  oder 
Märztage  bewirken  bei  vielen  Insekten  einen  frühzeitigen  Beginn  der  Flug- 
zeit; folgt  nun  darauf  ein  Temperatur-Rückschlag,  so  wird  das  Fortpflanzungs- 
geschäft, das  soeben  eingesetzt  hatte,  sogleich  wieder  unterbrochen  und  zwar 
so  lange,  bis  wieder  wärmere  Tage  (mit  einer  für  die  Fortpflanzung  nötigen 
Temperatur)  eintreten.  Diese  Unterbrechung  kann  Wochen  dauern,  und 
so  kann  die  Fortpflanzungszeit  weit  über  das  normale  Maß  hinaus  ver- 
längert werden.  Als  Beispiel  hierfür  sei  eine  Beobachtung  Knoches  an 
Hylesinus  piniperda  angeführt:  Am  26.  Februar  1900,  der  eine  abnorm  hohe 
Temperatur  hatte,  und  dem  eine  Reihe  ebenfalls  sehr  warmer  Tage  voraus- 
gegangen waren,  wurden  die  ersten  piniperda  beim  Einbohren  und  der  Her- 
stellung der  Muttergänge  beobachtet;  es  trat  darauf  ein  Temperatur-Rückschlag 
ein,  der  beinahe  den  ganzen  März  und  auch  noch  die  ersten  Tage  des  April 
anhielt.  Als  am  20.  März  einige  der  am  26.  Februar  in  Angriff  genommenen 
und  damals  sofort  markierten  Muttergänge  geöffnet  wurden,  befanden  sich 
im  fortgeschrittensten  nicht  mehr  als  7  Eier,  eine  Zahl,  die  unter  Umständen 
in  einem  Tage  abgelegt  wird.  Die  Eiablage  war  also  durch  die  kalte 
Temperatur  unterbrochen.  Diese  Unterbrechung  hielt  bis  in  den  April  hinein 
an,  und  so  kam  es,  daß  bei  einer  Untersuchung  vom  16.  April  ein  erheblicher 
Unterschied  in  der  Förderung  zwischen  den  Muttergängen  vom  26.  Februar 
und  denen,  die  erst  am  11.  und  12.  April  in  Angriff  genommen  worden 
waren,  nicht  zu  finden  war. 


Lebensdauer.  183 

Es  ist  daher  also  nicht  angängig,  vom  Eintritt  der  Flugzeit  ohne  weiteres 
auf  das  Erscheinen  der  nächsten  Imagines  (durch  einfaches  Hinzurechnen  der 
normalen  Entwicklungsdauer)  zu  schließen,  da  wir  stets  mit  Unterbrechungen 
und  Verzögerungen  durch  klimatische  Einflüsse  rechnen  müssen. 

In  dem  eben  erwähnten  Beispiel  betraf  die  Flugzeitverlängerung  in 
gleicher  Weise  das  Individuum  wie  die  Art.  Es  können  aber  auch  Fälle 
eintreten,  in  denen  die  Flugzeit  des  Individuums  die  normale  bleibt,  wogegen 
die  Gesamtflugzeit  der  Art  wesentlich  verlängert  wird.  Nehmen  wir  als  Bei- 
spiel hierfür  die  Nonne:  ihre  Flugzeit  zieht  sich  gewöhnlich  über  4  Wochen, 
von  Mitte  Juli  bis  Mitte  August,  hin ;  hatten  wir  nun  einen  Sommer  mit  stark 
wechselnden  klimatischen  Verhältnissen  (abwechselnd  Hitze  und  Kälte,  Nässe 
und  Trockenheit  usw.),  so  ergibt  sich  daraus  oft  eine  Ungleichheit  in  der 
Entwicklung  der  Raupen,  so  daß  wir  neben  ganz  kleinen  mittelgroße  und 
beinahe  vollentwickelte  Raupen  finden  können;  und  daraus  resultiert  natürlich 
eine  weitere  Ausdehnung  der  Flugzeit,  die  sich  bis  Mitte,  ja  bis  Ende 
September  hinziehen  kann.  Was  hier  für  die  Nonne  gesagt  ist,  gilt  in 
gleicher  Weise  auch  noch  für  viele  andere  Insekten. 

Alle  hier  angeführten  Punkte  über  die  Flugzeit  können  für  die  Praxis 
die  größte  Bedeutung  erlangen,  es  muß  daher  der  Praktiker  völlig  vertraut 
damit  sein.  Er  muß  nicht  nur  die  normalen  Flugzeiten  der  wichtigeren  Schäd- 
linge kennen,  sondern  auch  wissen  und  berücksichtigen,  wie  sehr  und  in 
welcher  Weise  dieselben  durch  Witteiungseinflüsse  verschoben  und  ver- 
ändert werden  können. 

Lebensdauer. 

Wenn  ein  Insekt  den  Imagozustand  einmal  erreicht  hat,  so  wächst 
dasselbe,  wie  wir  oben  kennen  gelernt  haben,  nicht  mehr.  Die  Funktionen 
der  Imago  beschränken  sich  denn  auch  im  wesentlichen  auf  die  Ernährung 
und  Fortpflanzung,  und  in  sehr  vielen  Fällen  tritt  erstere  derartig  zurück,  daß 
die  ganze  Lebenstätigkeit  lediglich  mit  dem  Fortpflanzungsgeschäft  erfüllt  ist. 
Das  klarste  Beispiel  hierfür  ist  die  Eintagsfliege,  welche  nach  Erreichung  des 
Imagozustandes  nur  wenige  Stunden  lebt,  um  Begattung  und  Eiablage  aus- 
führen zu  können.  Ähnlich  verhalten  sich  die  Psychiden,  deren  Männchen, 
kaum  entwickelt,  in  rasendem  oder  tanzendem  Flug  das  Weibchen  aufsuchen 
und  sogleich  nach  der  Kopulation  absterben  (nach  Standfuß  betrug  das  ge- 
samte Imagoleben  zweier  Psyche  apt/orm is-Mä.nnchen  vom  Moment  des  Aus- 
schlüpfens  bis  zum  Tode  nur  32  bezw.  58  Minuten!).  In  den  meisten  anderen 
Fällen  beträgt  das  Imagoleben  mehrere  Tage  bis  mehrere  (2 — 3)  Wochen; 
so  lebt  z.  B.  der  Kiefernspinner  ca.  16  Tage  als  Imago,  die  Nonne 
wohl  noch  etwas  weniger,  Lyäa  stellata  ca.  4  Wochen  usw.  Bei  denjenigen 
Arten,  die  als  Imago  überwintern,  wie  z.  B.  die  Tagfalter  und  viele  Eulen, 
zieht  sich  das  Imagoleben  über  viele  Monate  hin,  am  längsten  wohl  bei  den 
Caplocampa- Arien  (Eulen),  die  Ende  August,  Anfang  September  schlüpfen 
und  bis  zum  Mai,  Juni  des  nächsten  Jahres  am  Leben  bleiben,  um  dann  erst 
die  Eier  abzulegen. 

In  allen  diesen  Fällen  und  sogar  auch  dann,  wenn  zwar  das  Imago- 
stadium  überwintert,    aber  im  Frühjahr  bald  nach  ausgeübter  Fortpflanzungs- 


184  Kapitel  IV.     Fortpflanzung. 

tätigkeit    eingeht,    deckt   sich   die    Dauer   der   einzelnen    Generation    ungefähr 
mit  der  Lebensdauer  des  Insektenindividuums  (Ei  —  Imago). 

Es  kommen  allerdings  in  dieser  Beziehung  auch  Ausnahmen  vor;  so 
gibt  es  unter  den  Käfern  eine  Anzahl  von  Arten,  welche  mehrere  Jahre  als 
Imago  leben  und  in  dieser  Zeit  mehrmals  zur  Fortpflanzung  schreiten,  vi^ie 
z.  B.  die  Pissodes-Arten,  Hy/obius,  einzelne  Borkenkäfer,  ferner  Calosoma  und 
andere  Laufkäfer.  Das  längste  Imagoleben  führen  zweifellos  die  Weibchen  der 
sozialen  Insekten;  so  kann  eine  Bienenkönigin  bis  5  Jahre  alt  werden,  eine 
Ameisenkönigin  bis  12  und  eine  Termitenkönigin  wohl  gar  bis  15  Jahre, 
wobei  sie  fast  ununterbrochen  dem  Fortpflanzungsgeschäft  obliegt. 

Auch  auf  die  Dauer  des  Imagolebens  können  äußere  Einflüsse  wirksam 
sein,  indem  das  Fortpflanzungsgeschäft  bei  niederer  Temperatur  sich  wesentlich 
langsamer  vollzieht  als  bei  hoher,  was  wenigstens  bei  solchen  Arten,  die 
nach  Erledigung  der  Fortpflanzung  absterben,  gleichbedeutend  mit  einer  Ver- 
längerung des  Imagolebens  ist. 

Literatur. 

(Lehr-  und  Handbücher  siehe  oben  S.  48.) 

Keimzellen  —  Eiablage. 

ßallowitz,  E.,  Untersuchungen  über  die  Struktur  der  Spermatozoen.     Die  Sperma- 

tozoen  der  Insekten.     Zeitschr.  f.  wlssensch.  Zoologie,  50.  Bd.,  1890. 
Bernhard,  C,  Über  die  vivipare  Ephemeride  Chloeon  dipterum.     Biolog.  Centr.-Bl. 

1907,  S.  468  ff. 
Blunck,  Hans,  Das  Geschlechtsleben  von  Dytiscus  marginalis  L.,  I.  Teil:  Die  Be- 
gattung.    Zeitschr.  f.  wissensch.  Zoologie,  CIL  Bd.,  1912. 
Börner,    C,   Untersuchungen   über   die   Chermiden.     Mitteil.   Kais.   Biol.   Anstalt  f. 

Land-  und  Forstwirtschaft,  Heft  8,  Februar  1909,  S.  50—60. 
Groß,  J.,  Untersuchungen  über  die  Histologie  des  Insektenovariums.     Zoolog.  Jahrb., 

Abt.  Anat.,  Bd.  18,  1903,  S.  71—186. 
Kahle,  W.,  Die  Paedogenesis  der  Cecidomyiden.     Zoologica,  Heft  55,  Stuttgart  1908. 
Korscheit   und   Heider,    Lehrbuch   der  Entwicklungsgeschichte    der  wirbellosen 

Tiere.     I.  und  II.  Auflage. 
Mc.   Attee,    Facts    in   the   Life    History    of   Goniops   chrysocoma,   Proc.    Ent.    Soc, 

Washington,  Vol.  XIII,  1911,  S    21-30,  3  Taf. 
Marchai,  Paul,  Recherches  sur  la  biologie  et  le  d^veloppement  des  Hymenopteres 

parasites.     1.  La  polyembryonie  specifique  ou  germinogonie.     Arch.  de.  Zoolog. 

Experim.  (4),  Tome  2,  1904,  S.  257—335. 
Scheidter,    Fr.,    Über    Begattung   und   Eiablage   von   Lymantria  dispar.   L.     Nat. 

Zeitschr.  f.  Land-  und  Forstwirtschaft,  1909. 
Silvestri,  Eil.,   Contribuzioni   alla   conoscenza   biologica  degli  Imenotteri  parassiti. 

1.   Biologia    del    Listomastix    truncatellus    (Dalm).     Ann.    Scuol.   Agric.   Portici, 

Vol.  VI,  1906,  51  Seit.,  13  Fig.,  5  Taf. 

Embryonalentwicklung. 
Escherich,   K.,   Über  die  Bildung   der  Keimblätter   bei   den  Museiden.     Nova  acta 

Leopold.     Bd.  LXXVII,  1900. 
Heymons,  R.,  Die  Embryonalentwicklung  von  Dermapteren  und  Orthopteren  unter 

besonderer  Berücksichtigung  der  Keimblätterbildung,  Jena  1895. 
—  Über   einen  Apparat   zum  Öffnen   der  Eischale  bei  den  Pentatomiden.     Zeitschr. 

f.  wissensch.  Ins.  Biol.,  1906. 
Korscheit   und   Heider,    Lehrbuch   der  vergleichenden    Entwicklungsgeschichte 

der  wirbellosen  Tiere.     Allgemeiner  Teil   (2.  Aufl.),   4.  Lief.,   Jena    1910  (Keim- 
blätterbildung). 

Hierin    findet    sich    die    gesamte    Literatur    über    die    Keimblätterfrage 

verarbeitet. 
Knoche,    E. ,    Nonnenstudien.      Naturwissensch.    Zeitschr.    für    Forst-    und    Land- 

wirtsch.,  1912. 


Literatur.  185 

Nachembryonale  Entwicklung. 

Börne r,   C,   Die  Verwandlungen   der  Insekten.     Sitzbericht,   Ges.   f.  Nat.  Freunde, 

Nr.  5,  1909,  S.  290-Bll. 
Deegener,  P.,  Die  Metamorphose  der  Insekten.     Leipzig  1909. 

—  Wesen  und  Bedeutung  der  Metamorphose  bei  den  Insekten  (Populäre  Darstellung). 

Leipzig  1910. 
Fabre,  J.,  Memoire   sur  Hvpermetamorphose   et  les  moeurs  des  Meloides.     Annal. 

Sc.  nat.  (4)  Zoolog.,  Vol.  VII,  1857. 
Heymons,  R.,  Die  verschiedenen  Formen  der  Insektenmetamorphose.     Ergebn.  und 

Fortschr.  der  Zoologie,  I.  Bd.,  1909,  S.  137  —  188. 
Knoche,   E.,   Behräge   zur   Generationsfrage   der  Borkenkäfer.     Forstwissenschaftl. 

Zentr.-Bl.  1904... 
Leisewitz,    W.,    Über    chitinöse    Fortbewegungsapparate    einiger    Insektenlarven. 

München  1906. 
Müller,  G.  W.,  Der  Enddarm  einiger  Insektenlarven  als  Bewegungsorgane.     Zoolog. 

Jahrb.,  Supplement,  XV,  3.  Bd.,  1912,  S.  219-240,  Tal.  7. 
Nüßlin,  Otto,  Über  Generation  und  Fortpflanzung  der  Pissodes-Arten.     Forst.-nat. 

Zeitschr.  VI,  1H97. 
Silvestri,    Fil.,    Contribuzione    alla    conoscenza   della   metamorfosi   e   dei  costumi 

della   Lebia    scapularis   Foucr    con    descrizione    dell'    apparato    sericiparo     della 

larva.     Redia,  Bd.  II,  1905. 

Zeitlicher  Ablauf  der   Entwicklung. 

Bachmetjew,  P.,  Experimentell  -  entomologische  Studien  vom  physik.  -  ehem. 
Standpunkt  aus.     II  Bd.,  Einfluß  der  äußeren  Faktoren  auf  Insekten.    Sophia  1907. 

Escherich,   K.,   Tote  Nonneneier.     Nat.  Zeitschr.   f.  Forst-  und  Landwirtsch.,  1911. 

Fuchs,  Gilbert,  Über  die  Fortpflanzungsverhältnisse  der  rindenbrütenden  Borken- 
käfer, München  1907. 

Hennings,  Gurt,  Experimentell-biologische  Studien  an  Borkenkäfern.  I— IV. 
Nat.  Zeitschr.  f.  Land-  und  Forstwirtsch  ,  1907—1908. 

—  Beiträge    zur   Kenntnis   der  die   Insektenentwicklung   beeinflussenden   Faktoren. 

Biol.  Zentr.-Bl.,  XXVII.  Bd.,  1907. 
Linden,  M.  von.  Die  Assimilationstätigkeit  bei  Schmetterlingspuppen.     Leipzig  1912. 
Knoche,     E. ,    Beiträge    zur    Generationsfrage    der    Borkenkäfer.     Forstwissensch. 

Zentr.-Bl.  1904. 

—  Fortpflanzungsverhältnisse  bei  Borkenkäfern.     Ebenda  1907. 

—  Über  Borkenkäferbiologie  und  Borkenkäfervertilgung.     Ebenda  1908. 

—  Über  Methodik   der  Borkenkäferforschung.     Nat.    Zeitschr.    f.    Forst-   und   Land- 

wirtsch. 1907. 
Nüßlin,  Otto,  Leitfaden  der  Forstinsektenkunde.     II.  Aufl.,  1913. 
Ratzeburg,  J.  T.  C.,   Die  Waldverderber   und   ihre  Feinde.     7.  Aufl.,   Berlin  1876. 
Standfuß,  M'.,  Handbuch  der  paläarktischen  Groß-Schmetterlinge.     Jena  1896. 
Uhlig,  Zur  Borkenkäferfrage.     Tharandter  Jahrb.,  25.  Bd.,  1875. 


Kapitel  V. 

Die  Insekten  als  natürliche  und  wirtschaftliche 
Macht  im  allgemeinen  und  besonders  in  forstlicher 

Beziehung. 


Die  Bedeutung  der  Insekten  im  allgemeinen  Naturhaushalt. 

Trotz  der  durchschnittlich  geringen  Größe  der  Einzeltiere  spielen  die 
Insekten  im  allgemeinen  Haushalt  der  Natur  doch  eine  ganz  hervorragende 
Rolle,  was  hauptsächlich  durch  die  ungeheuere  Anzahl  der  Arten  und 
Individuen  bedingt  ist. 

Über  die  geringe  Durchschnittsgröße  der  heimischen  Insekten  belehrt 
uns  am  besten  ein  Blick  in  eine  Sammlung.  Ein  Käfer  oder  eine  Heuschrecke,  welche 
an  Körpergröße  dem  kleinsten  Säugetiere  unserer  Fauna,  der  Zwergspitzmaus,  oder 
dem  kleinsten  einheimischen  Vogel,  dem  Goldhähnchen,  Regulus  cristatus  Koch, 
gleichkommen,  gehören  schon  zu  den  größten  Erscheinungen,  und  die  scheinbar 
ziemlich  bedeutenden  Dimensionen  der  Großschmetterlinge  kommen  fast  ausschließ- 
lich auf  Rechnung  der  nur  sehr  wenig  feste  Körpermasse  enthaltenden  Flügel. 
Hirschkäfer,  Lucanus  cervus  Z,.,  Wanderheuschrecke,  Pachytylus  migratorius  L., 
einige  Wasserjungfern  aus  den  Gattungen  Anax  und  Aeschna,  das  große  Nacht- 
pfauenauge, Saturnia  Pyri  Schiß.,  sowie  die  Hornisse,  Vespa  Crabro  L.,  dürften  die 
größten  Insektenformen  unserer  Fauna  darstellen.  Dagegen  sind  ganze  Gruppen 
sehr  verbreiteter  und  wichtiger  Insekten  von  durchschnittlich  zwerghafter  Gestalt. 
Wir  erwähnen  hier  beispielsweise  nur  die  Borkenkäfer,  die  Gallwespen  und  unter 
den  Schlupfwespen  im  weiteren  Sinne  die  Chalcididae  und  Proctotrypidae . 

Um  so  bedeutender  ist  die  A  n  z  a  h  1  d  e  r  G  a  t  t  u  n  g  e  n  u  n  d  A  r  t  e  n.  Wir 
brauchen  ja  nur  die  dickleibigen  und  vielbändigen  Kataloge,  die  von  den  ver- 
schiedenen Insektenordnungen  erschienen  sind  und  die  nur  die  Namen  der  be- 
schriebenen Formen  enthalten,  anzusehen,  um  einen  Begriff  von  der  ungeheuren 
Zahl  der  Insekten  zu  bekommen.  Packard  schätzt  die  Zahl  der  bis  jetzt  be- 
schriebenen Arten  auf  250000,  wovon  der  größte  Teil  auf  die  Käfer  und  Hymenopteren 
entfällt.  Die  Zahl  der  tatsächlich  existierenden  Insektenarten  beträgt  aber  sicherlich 
ein  mehrfaches  davon.  Wenn  wir  bedenken,  wie  wenig  die  Tropen  noch  durch- 
forscht sind,  speziell  auf  die  kleineren  Formen  —  gelang  es  mir  doch  z.  B.  in  Ceylon 
innerhalb  des  soviel  durchsuchten  botanischen  Gartens  von  Peradenia  und  seiner 
unmittelbaren  Umgebung  in  der  kurzen  Zeit  von  8  Wochen  annähernd  40  für  die 
Wissenschaft  neuen  Formen  zu  entdecken  — ,  so  dürfen  wir  ruhig  behaupten,  daß 
heute  erst  ein  kleiner  Bruchteil  der  dort  lebenden  Kerfe  bekannt  ist. 

Daß  auch  die  Menge  der  Individuen  häufig  eine  sehr  bedeutende  ist, 
lehrt  schon  der  Umstand,  daß  die  Insekten  trotz  ihrer  geringen  Durchschnittsgröße 
einen  sehr  wesentlichen  Zug  des  sommerlichen  Naturbildes  auch  in  unseren  Gegenden 
abgeben.  In  einzelnen  Fällen  steigert  sich  bei  der  Einzelart  die  Individuenzahl  aber 
in    das    Unglaubliche.      Wir    erinnern    an    die    schon    bei    uns    mitunter    so    lästig 


Die  Bedeutung  der  Insekten  im  allgemeinen  Naturhaushalt.  187 

werdenden  Mückenschwärme,  die  in  tropischen  Ländern  und  auf  nordischen  Hoch- 
mooren sich  zu  sonnenverfinsternden  Wolken  vermehren  können.  Die  riesigen 
Wanderheuschreckenzüge  und  die  von  ihnen  verursachten  Verheerungen  sind  be- 
kannt; die  Züge  der  Libellula  quadrimaculata  L.  können  bei  uns  mitunter  ununter- 
brochen 1 — 2  Tage  dauern,  und  wandernde  Raupenmassen  haben  schon  ganze  Eisen- 
bahnzüge zum  Stehen  gebracht.  Zu  welch  ungeheuren  Mengen  verschiedene  forst- 
liche Schmetterlinge  sich  vermehren  können,  hat  der  Forstmann  leider  nur  zu  oft 
zu  erfahren.  Wenn  der  Kot  ununterbrochen  von  den  Bäumen  herabrieselt,  den 
Boden  zentimeterhoch  bedeckend,  oder  wenn  der  ganze  Wald  so  dicht  mit  Raupen- 
schleiern durchwebt  ist,  daß  man  kaum  durchdringen  kann  oder  wenn,  wie  das  im 
Jahre  1856  der  Fall  war,  die  kurländische  Küste  von  Libau  bis  Windau  auf  eine 
Strecke  von  70  km  15  cm  dick  und  2  m  breit  von  angespülten  Leichen  der  durch 
einen  Sturm  ins  Meer  hinausgetriebenen  Nonnenfaltern  bedeckt  war,  so  ist  die  Zahl 
der  Individuen  sicherlich  nach  vielen  Milliarden  zu  berechnen. 

Die  räumliche  Verbreitung  dieses  unzählbaren  Insektenheeres  ist 
fast  ausschließlich  auf  das  feste  Land  und  die  Binnengewässer  beschränkt.  Im 
Meere  wird  es  durch  das  dort  nicht  minder  zahlreiche  Heer  der  krebsartigen  Tiere 
ersetzt.  Allerdings  gibt  es  auch  einige  im  Salzwasser  lebende  Insekten  —  besonders 
ist  Halobates,  eine  nach  Art  unserer  einheimischen  Hydrometra  auf  der  Meeres- 
oberfläche herumlaufende  Wasserwanze,  zu  erwähnen  —  indessen  sind  sie  höchstens 
nach  Dutzenden  zu  zählen  und  verschwinden  gegen  die  Hauptmenge  der  übrigen 
Insekten  völlig. 

Ja  sogar  so  weit  scheint  sich  der  Antagonismus  zwischen  Meer  und  Insekten- 
organismus zu  erstrecken,  daß  die  Insekten  im  allgemeinen  die  Kontinente  den 
Inseln  vorziehen,  und  daß  bei  den  auf  kleineren,  heftigen  Winden  ausgesetzten  Inseln 
lebenden  Insektenformen  häufig  die  Flugfähigkeit,  also  eines  der  typischsten  Merk- 
male der  Insektenorganisation,  verloren  geht,  M'ie  die  Käferfauna  von  Madeira  und 
die  gesamte  Insektenfauna  der  Kerguelen  beweist. 

Auch  die  Süßwasserinsekten  können  nur  als  ein  zwar  großer,  aber  doch 
immerhin  nicht  völlig  typischer  Zweig  der  Kerfwelt  angesehen  werden,  da 
viele  von  ihnen  nur  die  Entwicklungszeit  im  Wasser  zubringen,  und  diejenigen, 
welche  das  Süßwasser  als  dauerndes  Lebenselement  wählen,  dasselbe  doch  auch 
stets  wenigstens  zeitweilig  verlassen  können  und  ihre  Atmungsorgane  immer  zur 
direkten  Atmung  atmosphärischer  Luft  eingerichtet  sind. 

Dagegen  hat  sich,  soweit  der  Mensch  auch  auf  der  festen  Erdoberfläche  vor- 
gedrungen ist,  überall  Insektenleben  vorgefunden,  wenngleich  nicht  zu  verkennen  ist, 
daß  vom  Äquator  nach  den  Polen  und  von  dem  Meeresspiegel  nach  den  Berggipfeln 
zu  eine  Abnahme  der  Arten-  und  in  vielen  Fällen  auch  der  Individuenzahl,  welche 
mit  dem  sich  vermindernden  Pflanzenwuchs  Hand  in  Hand  geht,  zu  verzeichnen  ist. 

E.S  sind  verschiedene  Richtungen,  in  denen  die  Tätigkeit  der  Insekten 
besonders  wichtig  ist: 

1.  Sie  beschleunigen  den  Zerfall  abgestorbener  Organismen; 

2.  sie   vernichten   zahlreiche   lebende    Organismen    und    tragen    so    zur   Er- 
haltung des  organischen  Gleichgewichts  bei; 

3.  sie  bilden  die  notwendige  Nahrungsquelle  für  viele  andere  Tiere; 

4.  „     vermitteln  die  Kreuzbefruchtung  vieler  Pflanzen; 

5.  „     tragen  zur  Verbreitung  der  Pflanzenwelt  bei,  und 

6.  „     nehmen  an  der  Bodenbearbeitung  teil. 

Die  Insekten  als  Zerstörer  abgestorbener  Organismen. 
— •  Eine  große  Anzahl  von  Insekten  leben  von  toten  Tieren  und  Pflanzen  und  be- 
wirken dadurch,  daß  deren  Substanzen  eher  wieder  in  den  Kreislauf  des  organischen 
Lebens   zurückgeführt  werden,   als  es  durch   den  einfachen  Verwesungsprozeß  ge- 


188      Kapitel  V.     Die  Insekten  als  natürliche  und  wirtschaftliche  Macht  usw. 

schehen  würde.  Es  ist  ein  häufig  wiederholter  Ausspruch  L  i  n  n  e  s,  daß  Fliegen 
einen  Pferdekadaver  ebenso  schnell  aufzufressen  vermögen,  als  ein  Löwe,  ein 
Paradoxon,  welches  allerdings  durch  die  Schnelligkeit,  mit  der  die  Schmeißfliegen 
sich  vermehren  und  mit  der  ihre  Larven  wachsen,  eine  gewisse  Berechtigung  erhält. 
Besonders  aber  die  gegen  Witterungseinflüsse  widerstandsfähigeren  abgestorbenen 
Pflanzenteile,  Stengel,  Stämme,  Wurzeln  usw.  werden  durch  die  Tätigkeit  der 
Insekten  rascher  in  Humus  verwandelt,  als  es  sonst  der  Fall  wäre.  Ein  Baum- 
stumpf, in  den  eine  Ameisenkolonie  sich  einnistet,  zerfällt  z.  B.  viel  schneller  als 
ein  anderer,  insektenfreier.  Am  auffallendsten  tritt  einem  diese  Tätigkeit  der 
Insekten  in  den  Tropen  entgegen,  wo  die  gestürzten  Baumriesen  in  kurzer  Zeit  von 
den  Termiten  aufgearbeitet  werden. 

Die  Insekten  als  Erhalter  des  organischen  Gleichge- 
wichts. —  Nicht  minder  groß  ist  die  Anzahl  solcher  Insekten,  die  sich  von 
lebenden  Organismen  nähren,  teils,  indem  sie  dieselben  nach  Art  der  Raubtiere  ein- 
fach verzehren,  teils,  indem  sie  parasitisch  auf  oder  in  ihnen  leben.  Dadurch  wird 
die  übermäßige  Vermehrung  der  als  Nahrung  oder  als  Wirte  dienenden  Organismen 
wesentlich  beschränkt.  Wie  wichtig  dieser  Faktor  für  die  Erhaltung  des  organischen 
Gleichgewichtes  sein  kann,  zeigen  uns  solche  Fälle,  in  denen  an  und  für  sich  wenig 
schädliche  Insekten,  in  ein  fremdes  Land  verschleppt,  dort  zu  einer  furchtbaren 
Plage  wurden,  indem  sie  sich  eben  in  der  neuen  Heimat,  in  der  die  Parasiten  und 
Raubinsekten  fehlten,  uneingeschränkt  vermehren  konnten.  Amerika  liefert  uns 
eine  ganze  Reihe  drastischer  Beispiele  hierfür,  worüber  unten  noch  näheres 
berichtet  wird. 

Die  Insekten  als  Nahrungsquelle  für  andere  Tiere.  —  Daß 
viele  Tiere  ausschließlich  von  Insekten  leben,  und  andere,  z.  B.  viele  körnerfressende 
Vögel,  wenigstens  zu  Zeiten  einen  großen  Teil  ihres  Lebensunterhaltes  dem  Insekten- 
reiche entnehmen,  ist  allgemein  bekannt.  Namentlich  liefern  die  Gliederfüßler  und 
Wirbeltiere  ein  großes  Kontingent  an  Insektenfressern.  Die  hauptsächlichsten 
Formen  der  einheimischen  Insektenfresser  sind  im  nächsten  Kapitel  übersichtlich 
zusammengestellt,  ebenso  wie  die  parasitisch  von  Insekten  lebenden  Formen. 

Die  Insekten  als  Befruchter.  —  Die  Anschauungen  über  die  Art 
der  Bestäubung  der  Pflanzen  hat  im  Laufe  der  Zeit  mehrfache  Wandlungen  durch- 
gemacht, wie  Kirchner  in  seinem  schönen  Werke  ,, Blumen  und  Insekten"  so 
übersichtlich  ausführt.  Ursprünglich  war  man  der  Meinung,  daß  in  Zwitterblüten 
regelmäßig  die  Narbe  durch  solchen  Pollen  bestäubt  werde,  der  aus  Staubblättern 
derselben  Blüte  herstammte,  eine  Bestäubungsform,  die  später  als  Selbst- 
bestäubung oder  Autogamie  bezeichnet  worden  ist.  Als  nun  im  Jahre  1793 
Christian  Conrad  Sprengel  mit  seinem  berühmten  Buche:  „Das  ent- 
deckte Geheimnis  der  Natur  im  Bau  und  in  der  Befruchtung 
der  Blumen"  hervortrat,  verfiel  man  bald  in  das  gegenteilige  Extrem. 
Sprengel  selbst  sprach  den  Satz  aus  „die  Natur  scheine  es  nicht  haben  zu 
wollen,  daß  irgendeine  Blume  durch  ihren  eigenen  Staub  befruchtet  werden  solle." 
Je  eingehender  man  aber  die  Verhältnisse  studierte,  und  je  mehr  Beobachtungen 
und  Erfahrungen  man  sammelte,  desto  mehr  kam  man  zu  der  Einsicht,  daß  die 
Wahrheit  in  der  Mitte  liegt,  d.  h.  daß  die  verschiedenen  Arten  der  Blütenpflanzen 
in  der  Ausbildung  und  Verwendung  jener  beiden  Bestäubungsformen,  der  Autogamie 
und  der  Allogamie  (Fremdbestäubung),  höchst  mannigfaltig  sich  verhalten.  Sie 
stellen  eine  fortlaufende  Reihe  dar,  an  deren  Anfang  die  eine  und  an  deren  Ende 
die  andere  Bestäubungsform  herrscht,  während  beide  im  mittleren  Teil  der  Reihe 
einander  mehr  oder  weniger  das  Gleichgewicht  halten.  Allerdings  stellt  die  aus- 
schließliche und  andauernde  Autogamie  einen  seltenen  Weg  zur  Hervor- 
bringung von  Samen  dar,  der  von  den  Blütenpflanzen  nur  in  äußerster  Notwehr 
gegen  ungünstige  Lebensbedingungen  betreten  wird. 

Die  Kreuzbefruchtung  bedeutet  einen  großen  Vorteil  für  die 
Nachkommenschaft,  insofern,  als  die  aus  gekreuzten  Blüten  entstandenen 
Nachkommen  den  aus  nichtgekreuzten  hervorgegangenen  in  verschiedenem  Grade 


Die  Bedeutung  der  Insekten  im  allgemeinen  Naturhaushalt.  189 

und  in  mannigfaltigen  Beziehungen  überlegen  sind,  nämlich  an  Größe  und  an  Ge- 
wicht, an  Fruchtbarkeit  und  an  vermehrter  Widerstandsfähigkeit  gegen  ungünstige 
Witterung  usw.  So  ist  es  wohl  verständlich,  daß  die  Natur  Einrichtungen  getroffen 
hat,  die  Kreuzbefruchtung  in  möglichst  ausgedehntem  Maße  zu  gewährleisten.  Die 
Mittel,  die  dazu  angewandt  werden,  sind  der  mannigfaltigsten  und  oft  „raffinier- 
testen" Art.  Naturgemäß  setzt  die  Kreuzbefruchtung  eine  außerhalb  der  Blüte 
liegende  Instanz  voraus,  welche  den  Transport  des  Blütenstaubes  aus  den  ge- 
öffneten Staubbeuteln  auf  die  zu  seiner  Aufnahme  bereite  Narbe  übernimmt.  Bleibt 
eine  solche  Hilfe  aus,  so  kann  die  Blüte  vergeblich  blühen  und  der  Unfruchtbarkeit 
anheimfallen.  —  Als  Vermittler  der  Bestäubung  kommen  drei  Faktoren  in  Betracht, 
nämlich  der  Wind,  das  Wasser  und  die  Tiere. 

Bei  der  Bestäubung  durch  den  Wind  (Anemogamie)  wird  der  Blütenstaub 
den  Luftströmungen  anvertraut,  die  ihn  zufällig  an  den  Ort  seiner  Bestimmung 
übertragen.  Solcher  Windblütler  gibt  es  eine  beträchtliche  Anzahl,  indem  sie  in 
Mitteleuropa  etwa  19  "/o  aller  Blütenpflanzen  ausmachen.  Es  gehören  hierher  die 
Nadelhölzer  und  diejenigen  Mono-  und  Dikotyledonen,  welche  wenig  auffallende 
Blüten  haben,  also  beiläufig  gesagt,  die  meisten  unserer  forstlich  wichtigen 
Holzarten. 

Die  Bestäubung  durch  Wasser  (Hydrogamie)  gehört  zu  den  selteneren 
Fällen;  es  gelangt  hier  der  Pollen  in  das  Wasser,  welches  die  Blüten  umspült,  und 
wird  von  dessen  Strömung  zu  den  Narben  gefördert. 

Die  häufigste  Form  der  Kreuzbefruchtung  ist  die  Zoogamie,  d.  h.  die 
Übertragung  des  Pollens  durch  Tiere.  Und  zwar  spielen  hierbei 
—  wenigstens  im  Bereich  unserer  einheimischen  Pflanzenwelt  —  die  hauptsäch- 
lichste, ja  nahezu  die  ausschließliche  Rolle  die  Insekten.  Sind  doch  annähernd 
80%  der  europäischen  Blütenpflanzen  Insektenblütler. 

Es  ist  im  allgemeinen  nicht  schwer,  vom  Bau  der  Blüten  auf  die  Art  der 
Bestäubung  zu  schließen,  insofern,  als  die  Windblütler  unscheinbare  und  duftlose 
Blüten  besitzen,  während  die  Insektenblütler  durch  Augenfälligkeit  der  Blüten  und 
mehr  oder  weniger  stark  ausgeprägte  Düfte  sich  auszeichnen.  All  die  Eigen- 
schaften, die  die  Blumen  den  Menschen  so  lieb  machen,  stellen  nichts  anderes  dar 
als  Anlockungsmittel  für  die  Insekten,  welche  den  Pollen  von  einer  Blüte  zur 
anderen  tragen  sollen.  ,, Augenfälligkeit  und  Duft  sind  es,  welche  die  Reklame  für 
die  Blumen  besorgen,  welche  die  vorüberfliegenden  Insekten  auf  das  Vorhandensein 
der  Blumen  aufmerksam  machen,  ähnlich  wie  ein  den  Gästen  winkendes  Wirtshaus- 
schild." Doch  genügen  diese  beiden  Eigenschaften  noch  nicht,  die  Insekten  zu 
regelmäßigem  und  stetem  Blumenbesuch,  wie  er  für  die  Sicherheit  der  Kreuz- 
befruchtung notwendig  ist,  zu  veranlassen  und  zu  gewöhnen.  Dazu  gehört  noch, 
daß  die  Insekten  auch  zusagende  Nahrung  im  ,, Wirtshaus"  finden;  erst  wenn  das 
der  Fall  ist,  werden  sie  immer  wieder  einkehren.  Daher  finden  wir  denn  auch  als 
weiteres,  ja  als  das  wesentlichste  Merkmal  der  typischen  Insektenblütler  Ab- 
sonderung und  Darbietungvon  Honig  oder  Nektar.  „Der  Nektar 
ist  sozusagen  der  Angelpunkt,  um  den  sich  die  ganze  Blüteneinrichtung  dreht,  er 
ist,  wie  Sprengel  sich  ausdrückte,  in  den  Blumen  das,  was  in  der  Uhr  die  Feder 
ist."  Meist  findet  seine  Ausscheidung  am  Grunde  der  Blüte  statt;  jedenfalls  stets 
an  solchen  Stellen,  daß  das  Insekt,  das  zu  ihm  gelangen  will,  die  Staubbeutel  be- 
rühren muß  und  sich  so  mit  Pollenkörnern  belädt. 

Es  sind  vornehmlich  Insekten  mit  leckenden  und  saugenden  Mundgliedmaßen, 
welche  die  Kreuzbefruchtung  besorgen.  Obenan  stehen  die  Hymenopteren,  die  etwa 
die  Hälfte  aller  als  Blumenbesucher  beobachteten  Insekten  liefern;  und  unter  ihnen 
spielen  die  Bienen  und  Hummeln  weitaus  die  größte  Rolle,  einmal 
wegen  ihrer  großen  Individuenzahl  und  sodann  auch  deshalb,  weil  sie  für  ihre  Brut 
den  ganzen  Sommer  über  Pollen  und  Nektar  bedürfen  und  daher  immer  wieder  die 
Blumen  besuchen  müssen.  Kein  anderes  Insekt  übertrifft  bezügl.  Häufigkeit  und 
Eifer  des  Blumenbesuches  unsere  Honigbiene.  —  Eine  besondere  Berühmtheit  unter 
den  Hymenopteren  hat  auch  die  Feigengallwespe  {Blastophaga  grossorum),   die  in 


X90      Kapitel  V.     Die  Insekten  als  natürliche  und  wirtschaftliche  Macht  usw. 

inniger  Symbiose  mit  dem  Feigenbaum  lebt,  und  von  deren  Anwesenheit  die  Bildung 
fruchtbarer  Feigen  abhängig  ist.  —  Auf  die  Hymenopteren  folgen  an  Wichtigkeit  für 
die  Befruchtung  der  Blumen  die  Schmetterlinge.  Bezügl.  des  Grades  der 
Anpassung  an  die  Blumen  nehmen  dieselben  aber  unter  allen  Insekten  die  höchste 
Stufe  ein,  denn  sowohl  nach  ihrem  Körperbau  als  ganz  besonders  nach  der  Aus- 
bildung ihrer  Mundteile  sind  sie  durchaus  auf  die  Gewinnung  von  Blumennektar 
eingerichtet.  Auch  die  Zweiflügler,  Dipteren,  enthalten  eine  ganze  Anzahl 
von  Blumenbesuchern,  von  denen  hier  vor  allem  die  Syrphiden,  Empiden,  Bombili- 
iden  und  Conopiden  genannt  seien.  Die  Käfer  treten  gegenüber  den  bisher  ge- 
nannten Ordnungen  ganz  in  den  Hintergrund,  wenn  auch  einige  Gattungen  sich 
an  ausschließliche  Blumenernährung  gewöhnt  haben  und  gelegentlich  auch  Be- 
stäubungen vollziehen,  wie  Clytus,  Leptura  und  andere  Bockkäfer,  ferner  manche 
Canthariden,  Oedemeriden,  Mordelliden^  Cisteliden  usw 

Die  Insekten  als  Verbreiter  der  Pflanzen.  —  Die  Rolle,  welche 
die  Insekten  für  die  Verbreitung  der  Pflanzen  spielen,  ist  erst  in  der  letzten  Zeit 
richtig  erkannt  und  gewürdigt  worden,  und  zwar  vor  allem  durch  die  eingehenden 
Studien  des  schwedischen   Botanikers   S  e  r  n  a  n  d  e  r. 


Anemoclioren 


Anemochoren 
Myrmekochoren 


-z;^ 


Fig. 


172.     Schnitt   durch    einen   Wald    zur   Veranschaulichung   der   häutigsten   Typen   der  Pflanzen- 
verbreitung.   Nach  R.  Sern  and  er. 


In  erster  Linie  sind  es  die  Ameisen,  welche  an  der  Verbreitung  der 
Pflanzen  beteiligt  sind.  —  Daß  gewisse  Ameisen  Samen  sammeln  und  eintragen, 
ist  schon  seit  alters  her  bekannt;  doch  über  den  Umfang  und  die  große  Bedeutung, 
welche  diese  Gewohnheit  für  die  Verbreitung  der  Pflanzen  besitzt,  sind  wir  erst 
von  Sernander  aufgeklärt  worden.  Dieser  Forscher  hat  durch  zahlreiche  Ver- 
suche dargetan,  daß  eine  Menge  Phanerogamen  ausschließlich  auf  die  Ver- 
breitung durch  Ameisen  angewiesen  sind.  Zu  diesen  gehören  vor  allem  die  Schatten- 
formen, also  die  der  untersten  Vegetationsschichte  unserer  Wälder  angehörigen 
Pflanzen.  Es  ist  unschwer  einzusehen,  warum  gerade  diese  einer  solchen  Ver- 
breitungsart am  meisten  bedürfen.  Kommen  doch  für  sie  die  anderen  Verbreitungs- 
gelegenheiten, die  den  oberen  Vegetationsschichten  so  ausgiebig  zur  Verfügung 
stehen,  gar  nicht  oder  nur  in  ungleich  geringerem  Maße  in  Betracht.     (Fig.  172.) 

Die  oberste  Schicht,  die  sog.  „H  o  c  h  w  a  1  d  s  c  h  i  c  h  t"  (a),  ist  in  hohem 
Maße  windexponiert;  außerdem  erreicht  der  Wind  zwischen  den  Baumstämmen 
und  Strauchgruppen  eines  fertig  gebildeten  Waldvereins  auch  noch  in  der 
„höchsten  und  mittleren  Feldschicht"  (d  und  e)  eine  größere  Kraft. 
Daher  finden  sich  in  diesen  Schichten  hauptsächlich  Anemochoren,  d.  h.  Pflanzen, 
deren  Samen  durch  den  Wind  verbreitet   werden.     In  der  zwischen  diesen  beiden 


Die  Bedeutung  der  Insekten  im  allgemeinen  Naturhaushalt.  191 

gelegenen  Schichte,  der  untersten  „W  ald-und  Gebüschschicht"  (b  und  c) 
kann  der  Wind  weniger  ausrichten,  wofür  hier  eine  andere  Verbreitungsart  in  den 
Vordergrund  tritt,  nämlich  die  endozoische.  Denn  im  Buschwerk  verleben  eine 
Menge  kleiner  beerenfressender  Vögel  einen  guten  Teil  ihres  Daseins.  —  In  den 
beiden  untersten  Schichten  endlich  tritt  nun  einerseits  sowohl  die  Kraft  des  Windes 
stark  zurück  und  kommt  andererseits  auch  die  endozoische  Verbreitung  durch 
Vögel  kaum  in  Betracht,  so  daß  also  die  hierher  gehörigen  Pflanzen  anderer  Ver- 
fahren sich  bedienen  müssen,  unter  denen  die  Myrmekochorie,  d.  h.  die  Verbreitung 
durch  Ameisen,  einen  hervorragenden  Platz  einnimmt. 

In  Anbetracht  der  auf  dem  Boden  überall  zahlreich  herumwimmelnden 
Ameisen,  und  in  Anbetracht  ferner  der  diesen  eigenen  Gewohnheit,  Nahrungs-  und 
Nestobjekte  in  ihren  Kiefern  oft  weite  Strecken  nach  Hause  zu  tragen,  war  es  nahe- 
liegend genug,  daß  die  Bodenpflanzen,  die  ja  die  Hauptverbreitungsfaktoren  kaum 
ausnützen  können,  sich  dieser  beweglichen  und  flüchtigen  Transporteure  zu  bedienen 
versuchten.  Dem  stand  jedoch  im  Wege,  daß  die  Verbreitungseinheiten  (Samen  usw.) 
der  Pflanzen  im  allgemeinen  von  Haus  aus  wenig  Anziehungskraft  auf  die  Ameisen 
ausüben.  Es  mußten  daher  die  Samen,  wenn  wirklich  deren  ausgiebige  Verbreitung 
durch  Ameisen  bewirkt  werden  sollte,  erst  noch  mit  besonderen  Anlockungsmitteln 
versehen  werden.  Und  solche  finden  sich  denn  auch  bei  einer  ganzen  Anzahl  von 
Phanerogamen:  sie  bestehen  in  Anhängseln,  Wülsten  usw.  der  Samen,  welche  stark 
ölhaltig  und  gewöhnlich  noch  mit  einem  feinen  Haarfilz  besetzt  sind.  Sern  ander 
bezeichnet  sie  als  ,.E  1  a  i  o  s  o  m  e"  und  die  damit  begabten  Samen  als  „m  y  r  m  e  - 
k  o  c  h  o  r". 

Genaue  und  oft  wiederholte  Beobachtungen  führten  Sernander  zu  dem 
Schluß,  daß  die  Menge  der  Samen,  die  in  der  Natur  von  den  Ameisen  transportiert 
werden,  ganz  enorm  sein  muß.  Ergab  doch  die  Berechnung  als  Minimumzahl  für 
die  durch  eine  einzige  Formica  rw/a- Kolonie  verbreiteten  Samen  während  einer 
Vegetationsperiode  nicht  weniger  als  36480! 

Was  die  Verbreitung  der  Myrmekochoren  in  unseren  Wäldern  betrifft,  so 
sei  kurz  erwähnt,  daß  die  Eichenmischwälder  mit  80  Arten  und  die  Buchenwälder 
mit  etwa  45  Arten  die  reichste  Myrmekochorenflora  aufweisen.  Besonders  die  an 
und  für  sich  nicht  gerade  zahlreiche  Kräuter-  und  Gräservegetation  des  reinen 
Buchenhochwaldes  besteht  zu  einem  erstaunlich  hohen  Prozentsatz  aus  Myrme- 
kochoren. Viel  ärmer  ist  dagegen  die  Myrmekochorenflora  der  Birkenwälder  (mit 
16  Arten)  und  ebenso  der  Fichten-  und  Kiefernwälder,  in  denen  gar  nur  9  bezw. 
4  Arten  nachgewiesen  sind. 

Um  noch  ein  weiteres  Beispiel  für  die  pflanzenverbreitende  Tätigkeit  der 
Insekten  zu  nennen,  sei  nur  noch  auf  die  Verschleppung  der  Pilze  durch  die  ver- 
schiedenen pilzzüchtenden  Arten  der  Ameisen,  Termiten,  Borkenkäfer,  Gallmücken 
usw.  hingewiesen,  über  die  uns  in  neuerer  Zeit  die  Arbeiten  von  Huber,  Neger, 
Schneider-Orelli  u.  a.  Aufklärung  brachten. 

Die  Insekten  als  Boden  bearbeite  r.  —  Wenn  auch  die  Bedeutung 
der  Insekten  für  die  Bodenbearbeitung  bei  weitem  nicht  an  die  der  Regenwürmer 
heranreicht,  so  darf  doch  die  bodenbearbeitende  Tätigkeit  der  Insekten  auch  nicht 
unterschätzt  werden.  Gibt  es  doch  eine  große  Anzahl  von  Insekten,  welche  zeit- 
weise oder  dauernd  im  Boden  leben,  entweder  um  da  ihre  Nahrung  zu  holen,  oder 
aber  um  ihre  Wohnung  dort  einzurichten.  Ich  erinnere  nur  an  die  Drahtwürmer, 
Engerlinge,  Cicindelenlarven,  ferner  die  Grillen,  Mistkäfer,  Sandwespen  usw.  und 
vor  allem  an  die  Ameisen  und  Termiten.  In  welch  hervorragender  Weise  die 
Termiten  den  Boden  durchwühlen,  zeigen  die  mächtigen  bis  haushohen  Bauten,  die 
zum  größten  Teil  aus  Erde,  die  aus  der  Tiefe  geholt,  errichtet  werden.  Es  kann 
daher  recht  wohl  zutreffend  sein,  daß,  wie  ein  Naturforscher  behauptete,  3/4  der 
ganzen  Insel  Ceylon  von  den  Termiten  unterminiert  ist.  Doch  auch  unsere  Ameisen 
leisten  großes  bezügl.  der  Bodenbearbeitung;  kann  man  doch  in  geeigneten  Gegenden 
auf  manchen  Wiesen  einen  Erdhaufen  neben  dem  andern  finden,  herrührend  von 
Lastus  ßavus  oder  anderen  Las/MS- Arten. 


192      Kapitel  V.     Die  Insekten  als  natürliche  und  wirtschaftliche  Macht  usw. 

Nutzen  und  Schaden  der  Insekten  im  allgemeinen. 

Für  die  allgemeine  Würdigung  der  Beziehungen  zwischen  Insekten  und 
Gesamtheit  der  organischen  Natur  gibt  es  die  Begriffe  „nützlich"  und 
„schädlich"  nicht.  Ihr  erscheint  jedes  Insekt  als  ein  jedem  anderen  Ge- 
schöpfe gleichberechtigtes,  notwendiges  Glied  der  organischen  Welt.  Erst 
in  dem  Augenblicke,  in  welchem  der  Mensch  den  Anspruch  erhebt,  „Herr 
der  Natur"  zu  sein  und  als  wirtschaftliche  Macht  in  die  Natur  eintritt, 
schafft  er  diese  Begriffe. 

Als  nützlich  bezeichnet  er  nun  alles,  was  seine  Existenz  zu  sichern 
und  seine  wirtschafdichen  Maßregeln  zu  fördern  geeignet  scheint,  als  schädlich 
alles,  was  seine  Existens  oder  den  Erfolg  seiner  wirtschaftlichen  Maßregeln 
bedroht. 

Es  darf  aber  hierbei  nicht  übersehen  werden,  daß  eine  absolute  Ent- 
scheidung der  Frage,  ob  ein  Tier  nützlich  oder  schädlich  ist,  in  vielen  Fällen  gar 
nicht  beigebracht  werden  kann.  Diese  Entscheidung  wird  verschieden  ausfallen 
je  nach  den  speziellen  Interessen  des  jeweiligen  Beurteilers,  und  sogar  ein  und 
dieselbe  Person  wird  von  verschiedenen  Gesichtspunkten  aus  ein  und  dasselbe  Tier 
bald  als  nützlich,  bald  als  schädlich  zu  bezeichnen  haben.  Hase  und  Fuchs  sind 
deutliche  Beispiele  hierfür.  Dem  die  Jagdfreuden  schätzenden  und  das  Wildpret 
verwertenden  Jäger  erscheint  derselbe  Hase  als  nützlich,  welchen  der  Gärtner,  dem 
er  die  Baumschule  ruiniert  und  den  Kohl  abgefressen  hat,  als  sehr  schädlich  be- 
zeichnet, und  derselbe  Forstmann,  der  als  Waidmann  und  Pfleger  der  Niederjagd 
den  Fuchs  als  überaus  schädlich  verfolgt,  beginnt  an  Schonung  Reinekes  jedesmal 
dann  zu  denken,  wenn  ein  Mäusefraß  seine  Kulturen  bedroht  und  er  seinen  früheren 
Feind  nun  als  nützlichen  Bundesgenossen  im  Kampfe  gegen  die  verderblichen  Nager 
begrüßt.  Auf  diese  Weise  erklärt  sich  auch  die  Schwierigkeit  der  Aufstellung  eines 
Verzeichnisses  der  nützlichen  Vögel. 

Wenden  wir  nun  die  obigen  Begriffe  auf  die  Insekten  an,  so  können  wir  im 
allgemeinen  als  nützliche  Insekten  solche  bezeichnen,  welche  entweder 
für  den  Menschen  selbst  unmittelbar  verwertbar  sind,  bezw.  verwertbare 
Produkte  liefern,  oder  aber  durch  ihre  Tätigkeit  die  Erträge  der  Kulturpflanzen 
fördern,  sei  es  dadurch,  daß  sie  die  Bestäubung  besorgen,  oder  dadurch,  daß 
sie  der  Vermehrung  von  Schädlingen  entgegenarbeiten.  In  den  ersten  Fällen 
sprechen  wir  von  „direkt  nützlicher!",  in  den  letzteren  von  „indirekt 
nützlichen  Insekten". 

Als  Beispiele  für  direkt  nützliche  Insekten  seien  erwähnt:  die 
verschiedenen  Seidenspinnerarten,  die  dem  Menschen  die  Seide  liefern,  die  Cochenill- 
laus, aus  welcher  der  Karminfarbstoff  gewonnen  wird,  gewisse  Gallwespen,  in  deren 
Gallen  große  Mengen  von  Gerbstoff  enthalten  sind,  und  vor  allem  die  Honigbiene, 
der  wir  Honig  und  Wachs  verdanken.  Welche  großen  Erträge  der  Mensch  aus  dem 
Fleiß  dieser  Tiere  zieht,  zeigt  die  Statistik,  die  den  jährlichen  Erlös  aus  Honig  und 
Wachs  für  Deutschland  auf  20 — 30  Millionen  Mark,  für  die  Vereinigten  Staaten  von 
Nord-Amerika  auf  80 — 90  Millionen  Mark  berechnet.  —  Die  Honigbiene  erweist  sich 
aber  zugleich  auch  als  indirekt  nützlich,  indem  sie  durch  Bestäubung  der 
Obstblüten  wesentlichen  Einfluß  auf  den  Ausfall  der  Obsternte  ausübt.  Ja,  dieser 
indirekte  Nutzen  wird  von  einsichtigen  Forschern  weit  höher  veranschlagt  als  der 
direkte  aus  der  Honig-  und  Wachserzeugung  resultierende  Nutzen.  Schätzt  doch 
C.  F.  Phillips  den  Wert,  den  die  Biene  durch  ihre  Bestäubungstätigkeit  schafft, 
5  mal  so  groß  als  den  jährlichen  Honig-  und  Wachsertrag,  was  für  die  Vereinigten 
Staaten  einer  Summe  von  über  400  Millionen  Mark  pro  Jahr  entsprechen  würde.  — 
Auch  die  meisten  der  übrigen  Blumenbesucher  sind,  sofern  sie  sich  an  der  Be- 
stäubung von   Nutzgewächsen   beteiligen,   zu    den   indirekt  nützlichen   Insekten   zu 


Nutzen  und  Schaden  der  Insekten  im  allgemeinen.  193 

stellen.  Weitaus  das  größte  Kontingent  der  indirekt  nützlichen  Insekten  liefern 
aber  die  Raubinsekten  und  Parasiten,  welche  durch  ihre  fortwährende 
Vertilgung  der  zahlreichen,  unsere  Nutzgewächse  bedrohenden  Schädlinge  dem 
Menschen  unschätzbare  Dienste  erweisen.  Welche  enormen  Werte  durch  sie  dem 
Menschen  erhalten  werden  können,  lehrt  das  Beispiel  des  Coccinelliden  Novius 
cardirialis,  der  es  in  kurzer  Zeit  fertig  brachte,  die  Wollschildlaus  Icerya  Purchasi, 
welche  die  ganzen  Orangen-  und  Zitronen-Kulturen  Kaliforniens  zu  vernichten 
drohte,  unschädlich  zu  machen,  und  so  ungezählte  Millionen  Dollar  rettete. 

Als  schädliche  Insekten  haben  solche  zu  gelten,  welche  entweder 
das  Leben  und  die  Existenz  des  Menschen  selbst  bedrohen,  oder  die  Objekte, 
lebende  (Haustiere,  Nutzpflanzen)  wie  tote,  welche  der  Mensch  wirtschaftlich 
nützt,  gefährden  oder  beschädigen.  Dabei  können  wir  wiederum  wie  oben 
direkt  und  indirekt  schädliche  Insekten  untei scheiden. 

In  früher  ungeahnter  Weise  haben  sich  im  letzten  Dezennium  die  Insekten 
als  direkte  Schädiger  des  Menschen  erwiesen,  indem  eine  ganze  Reihe  von 
Arten  (meist  blutsaugende  Dipteren)  als  Überträger  von  Krankheits- 
keimen erkannt  wurden.  So  wird  die  Malaria  von  verschiedenen  Anopheles- 
Arten,  das  gelbe  Fieber  von  einer  anderen  Stechmücke,  Stegomyia  fasciata  auf  den 
Menschen  übertragen.  Auch  die  Schlafkrankheit,  die  große  Strecken  Landes  in 
Afrika  der  Kultur  unzugänglich  macht,  wird  von  einem  Insekt,  der  Tsetsefliege 
Qlossina  palpalis,  dem  Menschen  eingeimpft.  Selbst  unsere  gemeine  Stubenfliege 
ist  durchaus  nicht  so  harmlos,  als  gewöhnlich  angenommen  wird,  nachdem  durch 
die  neueren  Forschungen  festgestellt  ist,  daß  verschiedene  bazilläre  Krankheiten, 
wie  Typhus,  Tuberkulose  usw.,  durch  sie  verschleppt  werden  können.  In  einem 
vor  kurzem  erschienenen  Buch  von  A.  G  ö  1  d  i  findet  sich  eine  übersichtliche 
Zusammenstellung  aller  hierhergehörigen,  bis  jetzt  bekannten  Fälle.  Durch  die 
Erkenntnis  des  Zusammenhanges  zwischen  gewissen  Krankheiten  und  Insekten  ist 
ein  ganz  neuer  Zweig  der  praktischen  Entomologie  entstanden,  der  heute  bereits 
zahlreiche  Forscher  beschäftigt  und  der  noch  viel  interessante  Entdeckungen  und 
Überraschungen  verspricht.  —  Neben  diesen  krankheitsübertragenden  Insekten  gibt 
es  viele  andere,  welche  den  Menschen  als  Parasiten  heimsuchen 
und  ihm  vielerlei  Beschwerden  verursachen,  wie  die  Flöhe,  Wanzen,  Läuse  usw. 
Wenn  diese  auch  im  allgemeinen  weit  harmloser  sind,  als  die  eben  besprochenen, 
so  gibt  es  unter  ihnen  doch  auch  einige  recht  bösartige  Formen,  wie  z.  B.  die  im 
tropischen  Amerika  und  Afrika  heimischen  Sandflöhe,  die  schwere,  mit  Substanz- 
verlusten verbundene  Entzündungen  verursachen  können. 

Weit  zahlreicher  und  mannigfaltiger  sind  die  indirekt  schädlichen 
Insekten.  Da  haben  wir  zunächst  jene  Insekten,  welche  die  Haus-  und  Jagd- 
tiere belästigen  und  ihre  Gesundheit  mitunter  schwer  ge- 
fährden. Wir  nennen  hier  nur  die  Dasselfliegen  oder  Oestriden,  die  unter  der 
Haut  oder  in  der  Nasenhöhle  oder  im  Magen  von  verschiedenen  Wiederkäuern 
(Rind,  Hirsch,  Reh  usw.)  und  Pferden  leben  und  schwere  Störungen,  oft  mit  töd- 
lichem Ausgang,  verursachen;  ferner  die  Bremsen,  die  eine  arge  Plage  für  die 
Pferde,  Rinder  usw.  darstellen  und  in  manchen  Ländern  wahrscheinlich  auch  Krank- 
heitskeime übertragen  (die  „Surra"  der  Pferde  in  Asien);  weiter  die  in  Ungarn  vor- 
kommende Kolumbatscher  Mücke,  Simulia  cohtmbatschensis,  die  ganze  Viehherden 
zu  Schaden  bringen  kann,  und  endlich  verschiedene  Tsetsefliegen,  welche  die  „Tsetse- 
seuche"  oder  ,, Nagana"  übertragen,  eine  Krankheit,  welche  der  Viehzucht  in  Afrika 
große  Verluste  bringt.  —  Sodann  sei  an  die  Haus-  und  Magazininsekten 
erinnert,  welche  die  Küchenvorräte,  Kleider,  Möbel  in  unseren  Wohnungen,  die 
Getreide-  und  Mehlvorräte  in  den  Magazinen,  die  Bücher  der  Bibliotheken,  die 
Insektensammlungen  und  Herbarien  in  den  Museen  usw.  usw.  beschädigen  oder  auch 
völlig  vernichten  und  wertlos  machen  können,  wobei  nur  an  die  Anobien,  die  Kleider- 
motten, die  Ameisen  und  Termiten  zu  erinnern  ist.  —  Und  endlich  gehört  den  indirekt 
Esche  lieh,  Forstinsekten.  13 


194      Kapitel  V.     Die  Insekten  als  natürliche  und  wirtschaftliche  Macht  usw. 

schädlichen  Insekten  das  Riesenheer  der  Pflanzenschädlinge  an,  die 
an  Zahl  alle  übrigen  Schädlinge  überragen.  Wir  brauchen  nur  den  von  Reh  be- 
arbeiteten Insektenband  des  S  o  r  a  u  e  r  sehen  Handbuches  für  Pflanzenkrankheiten 
einzusehen,  um  einen  Begriff  von  dem  Umfang  dieses  Zweiges  der  angewandten 
Entomologie  zu  erhalten.  Es  gibt  kaum  eine  Kultur  oder  Nutzpflanze,  die  nicht 
von  einer  oder  mehreren  Insektenarten  heimgesucht  wäre;  ja  den  meisten  steht  ein 
ganzes  Heer  von  feindlichen  Insekten  gegenüber  und  oft  genug  muß  lediglich  wegen 
Überhandnähme  der  Schadinsekten  von  der  Kultivierung  dieser  oder  jener  Pflanzen- 
art Abstand  genommen  werden.  Im  allgemeinen  macht  man  sich  keinen  richtigen 
Begriff  von  der  Höhe  des  Schadens,  der  der  Landwirtschaft  durch  die  Insekten 
zugefügt  wird,  es  seien  deshalb  einige  Zahlen  angeführt.  Den  jährlichen  Schaden 
des  Maikäfers  schätzt  man  in  Frankreich  auf  250  Millionen  Francs,  in  Hauptflug- 
jahren sogar  auf  eine  Milliarde!  Der  Heu-  und  Sauerwurm  soll  1897  an  der  Mosel 
und  Saar  für  40 — 50  Millionen  Verlust  gebracht  haben;  im  Jahre  1910  in  der  Pfalz 
allein  20  Millionen.  Der  Baumwollkapselkäfer  (ein  Rüsselkäfer,  Antlionomus 
grandis)  verursacht  in  Texas  jährlich  ca.  100  Millionen  Mark  Ausfall;  der  Schaden, 
der  die  unter  dem  Namen  Hessenfliege  bekannte  Gallmücke  dem  Getreide- 
bau der  Vereinigten  Staaten  zufügt,  wird  auf  ca.  80  Millionen  Mark  pro  Jahr  ge- 
schätzt; die  Tschintschwanze  soll  den  Erlös  des  Weizen-  und  Maisbaues  der  Ver- 
einigten Staaten  um  140  Millionen  Mark  jährlich  schmälern;  der  auch  bei  uns  schäd- 
liche Apfelwickler  verursacht  in  Amerika  jährlich  40 — 50  Millionen  Mark  Schaden 
usw.  usw.  Der  Gesamtverlust,  den  die  Land-  und  Forstwirtschaft  in  den  Ver- 
einigten Staaten  durch  die  schädlichen  Insekten  erleidet,  wird  auf  nicht  weniger 
als  SMilliarden  Mark  jährlich  veranschlagt!  Diese  enormen  Zahlen  reden 
eine  deutliche  Sprache  und  zeigen  uns  aufs  drastischste,  wie  tief  die  Insekten  ins 
menschliche  Kulturleben  eingreifen;  sie  lehren  uns  zugleich,  welche  wichtige  Rolle 
der  angewandten  Entomologie  zufällt  und  welche  großen  Aufgaben  diese  Wissen- 
schaft noch  zu  erfüllen  hat. 

Nutzen  und  Schaden  der  Insekten  für  die  Forstwirtschaft. 
Die  Forstinsekten. 

Als  Forstinsekten  werden  alle  diejenigen  Insekten  be- 
zeichnet, welche  für  den  Forstmann  eine  praktische  Bedeutung 
haben,  sei  es,  daß  sie  ihm  in  seiner  Wirtschaft  nützen  oder 
aber  schaden. 

Die  nützlichen  Forstinsekten. 

Direkt  nützliche  Forstinsekten  kommen  in  unserem  rationell  be- 
wirtschafteten Walde  nur  in  äußerst  spärlichem  Maße  vor,  und  wir  können 
für  Mitteleuropa  nur  zwei  Arten  nennen,  die  in  diese  Kategorie  zu  stellen 
sind:  nämlich  die  spanische  Fliege  {Lytta  vesicatoria)^  die  ihres  Kantaridin- 
gehaltes wegen  in  der  Medizin  Verwendung  findet  und  daher  (in  ge- 
trocknetem Zustand)  einen  Handelsartikel  bildet,  und  sodann  die  Knoppern- 
gallwespe  [Cynips  calycis),  deren  gerbsto  ff  haltige  Gallen  eine  nicht 
unbedeutende  Nebennutzung  der  Eichenwälder  in  Ungarn  bilden. 

Früher  konnte  man  auch  noch  die  wilden  Bienen  dazuzählen,  deren  Zucht 
noch  Ende  des  18.  Jahrhunderts  eine  sehr  bedeutende  Einnahmequelle  in  Staats- 
und Privatforsten,  speziell  in  Westpreußen,  bildete.  Es  wurden  Beuten,  d.  h.  Bienen- 
stöcke, dadurch  hergestellt,  daß  in  die  stärksten  Kiefernstämme  Löcher  von  4  bis 
5  Fuß  Länge,  1 — IV2  Fuß  Tiefe  und  nur  8  Zoll  breiter  Öffnung,  oft  mehrere  über- 
einander, eingehauen  und  bis  auf  ein  Flugloch  durch  eine  breite,  platte,  mit  Weiden- 
ruten vorgebundene  Holzklobe  wieder  verschlossen  wurden.  Diese,  von  einer  be- 
sonderen Innung  der  Waldbewohner,  den  „Beutnern",  hergestellten  Stöcke  wurden 
ihnen  gegen  Zins  oder  Naturalhoniglieferung  überlassen,  und  es  brachte  noch  im 


Nutzen  und  Schaden  der  Insekten  für  die  Forstwirtschaft.  195 

Jahre  1773  im  Schlochauer  Beritt  die  Beutenpacht  fast  ebensoviel  ein,  nämlicli 
507  Taler,  wie  die  Holznutzung  mit  523  Taler  25  Sgr.  Im  Jahre  1785  waren  in  eben 
diesem  Beritt  noch  821  beflogene  und  3060  unbeflogene  Beutenstämme  vorhanden, 
und  es  dürften  bei  der  preußischen  Besitznahme  im  Jahre  1772  leicht  20  000  Beuten 
in  den  westpreußischen  königlichen  Forsten  vorhanden  gewesen  sein  (von  Panne- 
witz, Das  Forstwesen  Westpreußens  1829). 

Eine  um  so  größere  Bedeutung  besitzen  die  indirekt  nützlichen 
Forstinsekten,  die  einer  ungezügelten  Vermehrung  der  Schädhnge  entgegen- 
arbeiten und  dadurch  als  die  treuesten  Bundesgenossen  des  Forstmanns  sich 
erweisen.  Zweifellos  sind  sie  es  in  erster  Linie,  welche  dafür  sorgen,  daß 
die  schädlichen  Insekten  in  erträglichen  Grenzen  gehalten  werden.  Wenn 
man  diesen  nützlichen  Tieren  auch  schon  seit  langem  aufmerksame  Beachtung 
schenkt,  so  beginnt  man  doch  erst  in  der  neuesten  Zeit  ihre  hohe  Bedeutung 
und  Wichtigkeit  voll  zu  würdigen. 

Die  Zahl  der  indirekt  nützlichen  Insekten  ist  eine  sehr  große  und 
dürfte  der  Zahl  der  Schädlinge  kaum  nachstehen,  ja  wahrscheinlich  noch  über- 
treffen. Sie  lassen  sich  in  zwei  Kategorien  zusammenfassen:  die  Raub- 
insekten  und  die  Parasiten.  Die  ersteren  töten  ihr  Opfer  sofort  beim 
Angriff,  indem  sie  es  entweder  stückweise  verzehren  oder  aussaugen; 
die  letzteren  machen  ihre  ganze  Entwicklung  auf  Kosten  ihres  Opfers  durch, 
d.  h.  sie  nähren  sich  als  Larven  von  den  Säften  des  lebenden  Tieres,  welches 
erst  allmählich  zugrunde  geht,  gewöhnlich  dann,  wenn  der  Parasit  zur  Ver- 
puppung reif  ist  und  keiner  Nahrung  mehr  bedarf.  In  beiden  Fällen  be- 
deutet das  Endresultat  dasselbe,  nämlich  den  Tod  des  angegriffenen  Insektes. 
In  welchem  Grade  die  Tätigkeit  der  Raubinsekten  und  Parasiten  für  die  Er- 
haltung des  organischen  Gleichgewichtes  in  Betracht  kommt,  wird  im  nächsten 
Kapitel  noch  im  einzelnen  besprochen  werden.  Hier  sollen  nur  einige  all- 
gemein orientierende  Angaben  gemacht  werden. 

Die  Raubinsekten  befinden  sich  gegenüber  den  Parasiten  weit  in  der 
Minderheit;  sie  rekrutieren  sich  größtenteils  aus  der  Ordnung  der  Käfer, 
von  denen  die  Laufkäfer  [Calosonia,  Carabus),  die  Aaskäfer  {Silphiden), 
ferner  Clerus  formicariuSy  und  die  Coccinelliden  die  wichtigsten  und  be- 
kanntesten sind,  wenngleich  auch  die  zahlreichen  anderen  Raubkäfer  aus  den 
Familien  der  Staphyliniden,  Nitiduliden,  Cucujiden,  Colydiden  usw.  ebenfalls 
recht  beachtenswerte  Dienste  leisten.  Aus  den  übrigen  Insektenordnungen 
seien  als  die  wichtigsten  Räuber  genannt  die  Ameisen,  die  enorme  Mengen  In- 
sekten aller  Art  in  ihre  Bauten  einschleppen,  ferner  die  verschiedenen  Wespen, 
die  Raubfliegen,  die  Libellen,  die  nach  Falkenart  die  Insekten  im  Fluge 
fangen,  verschiedene  Wanzen,  welche  ihre  Opfer  (meist  Raupen)  anstechen 
und  aussaugen,  ferner  die  Larve  des  Ameisenlöwen,  die  alles  verzehrt, 
was  in  ihre  Mördergrube  fällt,  sodann  die  überaus  bewegliche  Larve  der 
Kamelhalsfliege,  welche  in  den  feinsten  Rindenritzen  nach  den  Eiern 
der  Nonne  und  kleinen  Insekten  sucht,  die  Larven  der  Florfliegen, 
welche  es  speziell  auf  die  Blattläuse  abgesehen  haben,  und  endlich  die  Ohr- 
würmer, Maulwurfsgrillen  u.  a.  m. 

Unter  den  Parasiten  spielen  die  Hauptrolle  die  Raupenfliegen  und 
die  Schlupfwespen  im  weitesten  Sinne.     Die  Zahl  der  letzteren  ist  Legion, 

13* 


196      Kapitel  V.     Die  Insekten  als  natürliche  und  wirtschaftliche  Macht  usw. 

und  wir  sind  heute  noch  unendlich  weit  von  einer  einigermaßen  be- 
friedigenden Kenntnis  dieser  so  überaus  wichtigen  Insektengruppe  entfernt. 
Wenn  Sharp  die  Zahl  der  tatsächlich  existierenden  Hymenopteren  auf 
250000  Arten  veranschlagt,  trotzdem  bis  heute  erst  ca.  30000  beschrieben 
sind,  so  basiert  er  diese  Schätzung  in  erster  Linie  auf  die  zahlreichen  noch 
unbeschriebenen  kleinen  und  kleinsten  Schlupfwespen.  Gegenüber  den 
Raupenfliegen  und  den  Schlupfwespen  spielen  die  wenigen  Parasiten  aus 
anderen  Insektenordnungen  nur  eine  sehr  untergeordnete  Rolle.  Wir  werden, 
wie   gesagt,   unten   noch  ausführlich  auf  dieses  Thema  zu  sprechen  kommen. 

Die  schädlichen  Forstinsekten. 

Wie  bei  den  nützlichen,  so  treten  auch  bei  den  schädlichen  Forst- 
insekten die  direkt  den  Menschen  angehenden  Arten  gänzlich  in  den  Hinter- 
grund, und  können  wir  als  hierher  gehörig  nur  gewisse  Raupen  (Prozessions - 
Spinner,  Goldafter  und  Verwandte)  nennen,  deren  Haare,  auf  weiche 
Hautstellen,  vor  allem  Schleimhäute  des  Menschen  gebracht,  unangenehme 
und  nicht  selten  gefährliche  Entzündungen  hervorrufen..  Welch  empfindliche 
Störungen  auch  des  Allgemeinbefindens  daraus  entstehen  können,  darüber 
haben  manche  amerikanische  Entomologen,  die  sich  mit  dem  dort  als  schwerer 
Schädling  auftretenden  Goldafter  eingehend  beschäftigen  mußten,  recht 
traurige  Erfahrungen  gemacht. 

Die  Hauptrolle  unter  den  schädlichen  Forstinsekten  spielen  die  indirekt 
schädlichen  Arten,  welche  durch  Zerstörung  der  Forstprodukte  schaden. 
Sie  sind  es,  die  dem  Forstmann  auf  Schritt  und  Tritt  begegnen  und  die 
fortwährend  seinen  Bestrebungen  entgegenarbeiten  und  seine  Pläne  durch- 
kreuzen, und  sie  sind  es  auch,  welche  im  Mittelpunkt  der  Forstinsekten- 
kunde stehen.  Ist  es  doch  die  Hauptaufgabe  der  forstentomologischen 
Wissenschaft,  die  indirekt  schädlichen  Forstinsekten  zu  er- 
forschen, und  Mittel  und  Wege  ausfindig  zu  machen,  wie  ihrem 
schädlichen  Treiben  am  besten  entgegengetreten  werden  kann. 

Das  große  Heer  der  hierher  gehörigen  Insekten  setzt  sich  aus  Ver- 
tretern aller  Insektenordnungen  zusammen;  dementsprechend  läßt  sich  schon 
von  vornherein  mit  einer  großen  Mannigfaltigkeit  bezüglich  ihrer  Angriffe  und 
der  Art  und  der  Höhe  ihres  Schadens  usw.   für  die  Forstwirtschaft  erwarten. 

Wir  gruppieren  je  nach  dem  Gesichtspunkt,  von  dem  aus  wir  die 
Schädlichkeit  betrachten,  die  indirekt  schädlichen  Insekten  in  verschiedene 
Kategorien,  auf  die  wir  gleich  jetzt  mit  einigen  Worten  eingehen  wollen, 
um  wenigstens   eine  gewisse  Ordnung   in    die  bunte  Gesellschaft   zu  bringen. 

1.  Ph3^siologisch  und  technisch  schädliche  Insekten. 

Wir   bezeichnen  Insekten    als    physiologisch   schädlich,    wenn   sie 

durch  ihre  Angriffe  die   Gesundheit  der  Pflanzen  gefährden  oder 

wenigstens    die    Lebenskraft    der    Pflanzen    herabsetzen,    und    als 

technisch  schädlich,  wenn  durch  ihre  Zerstörungen  die  technische 


Nutzen  und  Schaden  der  Insekten  für  die  Forstwirtschaft.  197 

Verwertbarkeit   der  Forstprodukte   und   damit   auch  ihr  Marktwert 
vermindert  wird. 

Als  typische  Beispiele  von  physiologischen  Schädlingen  erwähnen  wir 
den  Engerling,  welcher  die  Wurzeln  der  Pflanzen  vernichtet,  ferner  den  großen 
braunen  Rüsselkäfer,  die  verschiedenen  Pissodesarten  und  Borkenkäfer,  welche  die 
saftleitenden  Rindenschichten  mehr  oder  weniger  beschädigen,  und  dadurch  den 
Saftstrom  unterbrechen,  ferner  die  Raupen  der  meisten  Schmetterlinge  und  After- 
raupen der  Blattwespen,  welche  die  Pflanze  ihrer  Assimilationsorgane  berauben 
und  dadurch  die  Bäume  in  ihrer  Lebenskraft  schwächen  und  bei  stärkerer  Aus- 
dehnung des  Fraßes  auch  zum  Absterben  bringen  können. 

Als  Beispiele  für  rein  technische  Schädlinge  sind  vor  allem  solche 
Insekten  anzuführen,  welche  bereits  totes,  gefälltes  Holz  angehen,  wie  z.  B.  der  Werft- 
käfer Lymexylon  navale  Z,.,  welcher  die  für  Schiffsbau  bestimmten  Eichenhölzer 
noch  auf  der  Werft  zu  schädigen  imstande  ist,  viele  der  in  abgestorbenen 
Hölzern  lebenden  Bockkäfer,  Hylotrupes  bajulus  L.,  Callidium  violaceum  L.  und 
variabile  L.,  welche  Balken  in  den  Häusern,  Hausgeräte  und  Holzsammlungen  oder 
Vorräte  beschädigen,  ebenso  viele  Arten  der  Anobiiden  aus  den  Gattungen  Anobium, 
Ptilinus,  Lyctus.  Auch  die  Holzwespen,  Sirex,  und  die  Nutzholzborkenkäfer  können 
rein  technisch  schädlich  sein;  sie  können  aber  auch  physiologisch  schädlich  werden, 
wenn  sie  lebende,  kränkelnde  Bäume  angehen  und  deren  Tod  beschleunigen. 

Gleichzeitig  technisch  und  physiologisch  schaden  alle  jene  In- 
sekten, welche  in  den  Holzkörper  lebender  Pflanzen  eindringen,  wie  z.  B. 
Cerambyx  cerdo  L  ,  dessen  Larve  ganz  gesunde  Eichen  mit  daumenstarken  Fraß- 
gängen durchsetzt,  Tetropmm  luridum  Z,.,  dessen  Gänge  in  Fichten-  und  Lärchen- 
holz gefunden  werden,  Saperda  carcharias  L.  in  Pappeln  und  Aspen;  ferner  die 
Co55M5-Arten,  namentlich  Cossus  ligniperda  Fabr.^  dessen  Raupe  in  vei'schiedenen 
Laubhölzern  starke  Gänge  frißt,  einige  Sesien,  namentlich  Sesia  apiformis  Cl.  in 
Aspen  und  Pappeln  und  viele  andere.  Sodann  auch  solche  Insekten,  welche  neben 
der  von  ihnen  verursachten  Beeinträchtigung  des  Baumlebens  zugleich  Ver- 
krüppelungen der  nutzbaren  Teile  hervorrufen.  Beispiele  hierzu  sind  die  Kiefern- 
triebwickler,  welche  junge  Kiefern  nicht  bloß  physiologisch  schädigen,  sondern 
auch  durch  die  bekannten  posthornartigen  Verkrüppelungen  entwerten.  Die 
Weidenrutengallmücke,  Cecidomyia  Salicis  Schrk.,  stört  nicht  bloß  das  Wachstum 
der  einjährigen  Ruten  von  Salix  purpurea,  sondern  vernichtet  durch  die  von  ihr 
verursachte  Gallbildung  auch  die  \^erwendbarkeit  der  Ruten  zu  Korbarbeiten 
vollständig. 

2.  Primär  und  sekundär  schädliche  Insekten. 

W' enn  wir  von  primären  und  sekundären  Schädigungen  reden,  so  legen 
wir  dieser  Einteilung  den  jeweiligen  Gesundheitszustand  der  Pflanzen  zu- 
grunde, indem  wir  als  primär  solche  schädlichen  Insekten  bezeichnen, 
welche  völlig  gesunde  Pflanzen  angehen,  und  als  sekundär  solche, 
welche  für  gewöhnlich  nur  kränkelndes  Pflanzenmaterial  mit 
schwachem  oder  stockendem  Saftstrom  befallen.  Eine  scharfe 
Grenze  lässt  sich  aber  auch  hier  nicht  ziehen,  indem  zwischen  den  aus- 
gesprochen primären  und  den  ausgesprochen  sekundären  Insekten  eine  ganze 
Reihe  von  Zwischenstufen  liegen,  von  denen  man  mitunter  im  Zweifel  sein 
kann,  ob  sie  in  die  erste  oder  zweite  Kategorie  zu  stellen  sind.  Ferner 
kann  es  auch  vorkommen,  dass  ausgesprochen  sekundäre  Schädlinge 
primär  werden,  wenn  nämlich  nach  eingetretener  Übervermehrung  ein 
Mangel  an  geeignetem  kränklichen  Material  eintritt.  Dann  treibt  der  über- 
mächtige Fortpflanzungstrieb  die  Tiere  dazu,  auch  völlig  gesunde  Pflanzen 
anzugehen,  was  allerdings  oft  vielen  der  betr.  Insekten  das  Leben  kostet. 


198      Kapitel  V.     Die  Insekten  als  natürliche  und  wirtschaftliche  Macht  usw. 

Ausgesprochen  primäre  Schädlinge  haben  wir  z.  ß.  in  den  Raupen  der 
meisten  Großschmetterlinge,  wie  der  Nonne,  des  Kiefernspinners  und  Spanners, 
der  Kieferneule,  des  Schwammspinners,  Goldafters  usw.,  ferner  in  dem  großen 
braunen  Rüsselkäfer,  dem  Maikäfer  (Larve  und  Imago),  den  Elateridenlarven  (Draht- 
würmern), den  Imagines  der  beiden  Waldgärtner  usw. 

Zu  den  sekundären  Forstinsekten  gehören  z.  B.  die  Larven  der  meisten 
Borkenkäfer  (übrigens  in  sehr  verschiedenem  Grade),  ferner  Pissodes  harzyniae,  der 
ein  charakteristischer  Begleiter  rauchbeschädigter  Fichtenbestände  ist,  und  wohl  auch 
die  meisten  der  übrigen  Pissodes- Arten,  sodann  der  Fichtenbock  (Tetroptutn  luridum) 
und  viele  andere  Bockkäfer,  der  Erlenrüsselkäfer  {Cryptorhynchus  lapathi),  der  sich 
besonders  an  solchen  Erlen  einfindet,  die  an  zu  trockenem  Stand  stehen  und  andere. 

Die  primären  Insekten  stellen  im  allgemeinen  die  größere  Gefahr  für  den 
Forstmann  dar,  indem  sie  seine  völlig  gesunden  Bestände  gefährden  und 
binnen  kurzer  Zeit  vernichten  können,  während  die  sekundären  oft  nur  eine 
Beschleunigung  des  Absterbens  ohnehin  kranker  und  dem  Tode  geweihter 
Bäume  bewirken.  Doch  können  auch  die  sekundären  Insekten  eine  schwere 
Gefahr  bedeuten,  wenn  sie  z.  B.  im  Gefolge  einer  primären  Kalamität  auf- 
treten und  dadurch  die  Rekonvaleszens  der  durch  dieselbe  geschwächten 
Bäume  verhindern.  So  fallen  manche  Bestände,  die  aus  einer  schweren 
Nonnenkalamität  in  noch  einigermaßen  hoffnungsvollem  Zustand  hervor- 
gegangen sind,  oft  noch  den  darnach  folgenden  sekundären  Schädlingen 
(Borkenkäfern,  Rüsselkäfern  usw.)  zum  Opfer. 

3.  Kultur-  und  Bestandsverderber. 
Vom  forstwirtschafdichen  Standpunkt  aus  teilt  man  die  schädlichen 
Insekten  auch  in  Kultur-  und  Bestandsverderber  ein.  Unter  den 
ersteren  versteht  man  im  allgemeinen  jene  Insekten,  welche  die 
Gründung  eines  Bestandes  erschweren  oder  verhindern,  unter 
den  letzteren  dagegen  jene,  welche  das  Absterben  oder  Kränkeln 
älterer  Bäume  oder  ganzer  Bestände  verursachen.  Wie  jedoch  der 
Unterschied  zwischen  technischen  und  physiologischen,  primären  und 
sekundären  Insekten  durch  zahlreiche  Übergänge  verwischt  wird,  so  ist  dies 
auch  hier  der  Fall,  und  zwar  um  so  mehr,  als  nicht  einmal  forsdich  eine 
scharfe  Grenze  zwischen  Kultur  und  Bestand  gezogen  werden  kann. 

Zu  den  Kulturverderbern  gehören  einmal  alle  den  ausgesäeten  Samen 
zerstörenden  Insekten,  z.  B.  die  Larven  einiger  Elateriden,  und  sodann  alle  jene, 
welche  vorzugsweise  die  jungen  Pflanzen  an  ihren  oberirdischen  oder  unterirdischen 
Teilen  beschädigen.  Unter  den  Wurzelbeschädigern  (am  Laub-  und  Nadelholz)  ist 
in  erster  Linie  der  Engerling  zu  nennen;  speziell  für  Nadelhölzer  die  Kiefernsaat- 
eule,  Agrotis  vestigialis  H/n.  und  die  Larven  verschiedener  Otiorhynchus- Arten. 
Noch  weit  zahlreicher  sind  die  Beschädiger  der  oberirdischen  Teile  der  Pflanzen. 
Einer  der  schädlichsten  oberirdischen  Kulturverderber  ist  der  große  braune  Rüssel- 
käfer, Hylobius  abietis  L.,  in  etwas  älteren  Kiefernkulturen  oft  auch  Pissodes 
notatus  Fabr.  Eine  große  Anzahl  anderer  Rüsselkäfer,  die  sog.  grünen  und  grauen 
Laub-  und  Nadelholzrüsselkäfer,  sowie  einige  Borkenkäfer  (vor  allem  die  wurzel- 
brütenden Hylesinen),  zahlreiche  Mikrolepidopteren,  einige  Blattwespen,  Schild-  und 
Rindenläuse  usw.  können  als  Beispiele  gleichfalls  hier  genannt  werden. 

Als  Beispiele  von  Bestandsverderbern  sind  zu  nennen  in  erster  Linie 
die  Raupen  vieler  Großschmetterlinge  (Nonne,  Kiefernspinner,  -spanner,  -eule, 
Schwammspinner,    Prozessionsspinner,   Rotschwanz   usw.),   sodann   die   Afterraupen 


Die  verschiedenen  Arten  der  Pflanzenbeschädigungen  durch  Forstinsekten.     199 

mancher  Blattwespen   [Nemattis,   Lyda,  Lophyrus   usw ),    ferner   viele   Borkenkäfer 
(vor  allem  Ips  typographus),  Rüsselkäfer  {Pissodes  harsyniae)  usw. 

Sehr  viele  Insekten  sind  gleichzeitig  Kultur-  und  Bestandsverderber; 
sei  es,  daß  sie  dies  in  demselben  Stadium  der  Entwicklung  sind,  sei  es,  daß  sie 
in  dem  einen  Stadium  nur  Kulturen,  in  dem  anderen  nur  Bestände  beschädigen. 
So  schädigt  z.  B.  Tortrix  buoliana  S.  V.  als  Larve  sowohl  Kulturen  als  Bestände, 
der  Maikäfer  dagegen  als  Engerling  durch  Wurzelfraß  hauptsächlich  die  jungen 
Pflanzen,  als  Imago  durch  Entblätterung  auch  ältere  Bäume.  Hylesimis  piniperda  L. 
tötet  als  Larve  durch  seine  Fraßgänge  alte  Bäume,  schädigt  hingegen  als  Imago 
durch  das  Aushöhlen  der  Triebe  nicht  bloß  diese,  sondern  auch  junge  Kiefern. 

Die  verschiedenen  Arten  der  Pflanzenbeschädigungen  durch 
Forstinsekten. 

Die  Angriffe  der  Forstinsekten  auf  Holzpflanzen  bestehen: 
\.  in    Verletzungen,    die    mit    Zerstörungen    fester    Pflanzensubstanz 
verbunden  sind; 

2.  in  Verletzungen,  die  nur  Saftverlust  zur  Folge  haben,  und 

3.  in   dauernden   Reizwirkungen,   welche   die  Pflanze   zur  Erzeugung  krank- 
hafter Neubildungen,  sog.  Gallen,  veranlassen. 

1.  Verletzungen  durch  Zerstörung  fester  Pflanzensubstanz. 

Diese  sind  bei  weitem  die  häufigsten  und  wichtigsten;  sie  können 
natürlich  nur  durch  solche  Insekten  (Imagines  oder  Larven)  erzeugt  werden, 
die  kauende  Mundwerkzeuge  besitzen.  Je  nach  der  Insektenart,  nach  dem 
Entwicklungsstadium  (Larve  oder  Imago)  und  je  nach  dem  Pflanzenteil,  der 
befallen  wird,  sind  die  Verletzungen  ungemein  verschieden. 

Fraß  an  Blattorganen. 
Handelt  es  sich  um  einen  Blatt-  oder  Nadelfraß,  so  können  die  Blätter 
oder  Nadeln  entweder  mit  Stumpf  und  Stiel  abgefressen  werden  (Beispiel: 
Kiefernspinnerraupe)  oder  aber  es  bleiben  Teile  davon  verschont.  Manche 
Insekten  (wie  z.  ß.  die  jungen  Noniienraupen  oder  die  Raupen  der  Frost- 
spanner) begnügen  sich  meistens  damit,  Löcher  aus  den  Blättern  heraus- 
zufressen („Löcherfraß")  (Fig.  173);  andere  fressen  von  den  Seitenrändern 
her  Scharten  in  die  Blätter  oder  Nadeln  („Schartenfraß"),  was  besonders 
deutlich  bei  verschiedenen  Nadelinsekten  in  Erscheinung  tritt  (z.  B.  beim 
Kiefernspanner  oder  bei  verschiedenen  Rüßelkäfern)  (Fig.  174).  Der  Fraß 
von  den  Seitenrändern  kann  so  weit  gehen,  daß  nur  die  Mittelrippe 
der  Blätter  oder  Nadeln  stehen  bleibt,  was  z.  B.  sehr  charakteristisch 
für  gewisse  Blattwespen  {Lophyrus)  ist.  Manche  Raupen,  wie  die  älteren 
Raupen  der  Nonne,  des  Schwammspinners,  Goldafters  usw.,  lassen  außer 
der  Mittelrippe  auch  noch  die  Spitzenteile  der  Blätter  stehen,  so  daß  die 
Form  eines  Ankers  entsteht,  weshalb  man  in  solchen  Fällen  auch  von 
„Ankerfraß"  spricht  (Fig.  173  B).  Da  die  betreffenden  Raupen  nach 
vollendetem  Fraß  gewöhnlich  die  Mittelrippen  an  der  Basis  abbeißen,  so 
fallen  die  „Blattanker"  zu  Boden,  wodurch  der  Kundige  auf  die  Anwesen- 
heit jener  Schädlinge  aufmerksam  gemacht  wird.  —  Wieder  andere  In- 
sekten skelettieren  die  Blätter,  indem  sie  entweder  das  Blattgewebe  bis 
auf  die  Rippen  herausfressen,   oder  aber  indem  sie  außer  den  letzteren  auch 


200      Kapitel  V.     Die  Insekten  als  natürliche  und  wirtschaftliche  Macht  usw. 

noch  die  Epidermis  der  einen  Seite  verschonen,  so  daß  die  Rippen  durch 
eine  feine  durchsichtige  Haut  miteinander  verbunden  sind  (in  dieser  Weise 
fressen  z.  B.  viele  Blatt-  und  Rüsselkäfer)  (Fig.  175).  —  Und  ferner  gibt  es 
eine  ganze  Reihe  von  Insekten,  welche  in  die  Blätter  eindringen  und 
das    ßlattparench}^!!    herausfressen,    dabei    die    Epidermis    der   beiden   Seiten 


Fig.  173.     Beispiele  für  Löcher-  und  Ankerfraß.     A  Löcherfraß   der  jungen  Nonnenraupe  an  Buche 
B  typischer  Ankerfraß   der  älteren  Raupe  an  Buche ;   C  zu  Boden  gefallenes  Buchenblatt  mit  Anker- 
fraß und  oben  durchgebissener  Mittelrippe;  D  Buchenzweig  mit  stehengebliebenen  Rippen  und  Blatt- 
resten, die  Ergänzungsstücke  zu  C  darstellen ;  E  Ankerfraß  an  Eiche.  —  (N.) 


verschonend;  dadurch  entstehen  Hohlräume  in  den  Blättern,  die  als  Blatt- 
minen bezeichnet  werden,  und  welche  die  verschiedensten  und  für  manche 
Spezies  ganz  charakteristischen  Formen  aufweisen.  Ich  erwähne  hier  nur  die 
an  der  Mittelrippe  schmal  beginnende  und  sich  nach  außen  zu  immer  mehr 
verbreiternde  Blattmine  der  Larve  von  Orchestes  fagi  (Springrüßler)  (Fig.  176), 
an  die  mehr  rundlichen  und  blasenförmig  aufgetriebenen  Minen  der  Eichen- 
miniermotte  [Gracilaria  complanellä)  oder  an  die  mehrfach  geschlängelten, 
schmalen   und   gewundenen  Miniergänge  verschiedener   anderer  Motten    usw. 


Die  verschiedenen  Arten  der  Pflanzenbeschädigungen  durch  Forstinsekten.      201 


Endlich  können  wir  noch  an  die  eigenartigen  Beschädigungen  der  Blätter 
durch  die  sog.  Blattwickler  {Rhynchites  usw.)  erinnern,  bei  denen  aber  die 
direkten  Verletzungen,  die  nur  in  einigen  kurzen  Schnitten  bestehen,  gering- 
fügig sind  gegenüber  den  Veränderungen,  die  das  Blatt  durch  das  Aufrollen 
erleidet  (manche  Arten  wickeln  die  Blätter 
auch  ohne  vorher  Einschnitte  gemacht  zu 
haben). 

Fraß  an  Stamm  und  Zweigen. 

Wir  beginnen  mit  den  Beschädigungen 
der  Rinde,  die  besonders  nach  zwei  Rich- 
tungen in  Erscheinung  treten:  entweder  machen 
die  Insekten  ihre  Angriffe  nur  von  außen  her, 
indem  sie  die  Rinde  entfernen  und  so  den 
Holzkörper  völlig  frei  legen,  oder  aber  sie 
dringen  in  die  Rinde  ein,  um  in  derselben 
oder  in  dem  darunter  befindlichen  Weichbast 
Gänge  zu  fressen. 

Die  Verletzungen  der  ersteren  Art,  die 
wir  unter  dem  Namen  „Rinden platzfraß" 
zusammenfassen,  können  von  sehr  verschie- 
dener Form  und  Ausdehnung  sein:  so  frißt 
der  große  braune  Rüsselkäfer  meist  runde 
pockennarbenähnliche  Löcher  in  die 
Rinde,  während  die  wurzelbrütenden  Hylesinen 
gewöhnlich  längere  Gänge  oder  Furchen  ein- 
graben; die  Hornissen  schälen  die  Rinde  in 
unregelmäßiger  Weise  und  oft  in  sehr  aus- 
gedehntem Maße,  während  gewisse  Blattwespen 
{Cimbex)  sich  mit  schmalen  Ringelungen  be- 
gnügen usw.  (Fig.  177).  —  Weit  mannigfaltiger 
und  zahlreicher  als  die  Verletzungen  durch  die 
platzenden  Insekten  sind  die  Beschädigungen 
durch  die  Rindenminierer.  Nur  wenige 
von  ihnen  (z.  B.  Anobhim  emarginaium  oder 
die  Blattwespe  Strongylogaster)  bleiben  in  der 
toten  Borke,  wo  der  Fraß  natürlich  ohne  jede 

Folgen  ist.  Die  meisten  dringen  tiefer  ein  in  die  saftleitenden  Schichten,  in 
den  Bast  oder  auch  in  den  Splint.  Die  Gänge  werden  entweder  nur  von  den 
Larven  genagt  (Bockkäfer,  Buprestiden,  Pissodes,  verschiedene  Klein- 
schmetterlinge usw.),  in  welchen  Fällen  die  Fraßbilder  mehr  oder  weniger 
unregelmäßig  sind;  oder  aber  es  beteiligt  sich  auch  die  Imago  daran,  indem 
die  Mutter  selbst  einen  Gang  gräbt,  um  darin  die  Eier,  meist  einzeln  und  in 
regelmäßiger  Anordnung,  unterzubringen  (Borkenkäfer).  Dann  haben  wir 
es  gewöhnlich  mit  mehr  oder  weniger  regelmäßigen  und  für  jede  Spezies 
sehr  charakteristischen  Fraßbildern  (aus  Mutter-  und  Larvengängen  zusammen- 


Fig.    174.      Schartenfraß    an   Klefern- 
nadeln ,    ausgeführt    von     Cneorhinus 
geminatus   (Rüsselkäfer).      (Stax'k   ver- 
größert.)    Ai;s  Eckstein. 


202     Kapitel  V.     Die  Insekten  als  natürliche  und  wirtschaftliche  Macht  usw. 


gesetzt)  zu  tun,  so  daß  meist  schon  allein  nach  ihnen  die  sichere  Bestimmung 
der  Spezies  möglich  ist  (Fig.  178).  Wir  werden  unten  im  zweiten  Teil  des 
Werkes,  bei  Besprechung  der  Borkenkäfer,  noch  näher  auf  diese  Fraßbilder 
einzugehen  haben. 

Schon  unter  den  Rindenminieren  gibt  es  viele,  welche  sich  nicht  auf 
den  Bast  und  die  oberflächlichen  Splintschichten  beschränken,  sondern,  wenig- 
stens zur  Verpuppung,  tiefer  in  den  Holzkörper  eindringen;  so  verpuppen 
sich  die  meisten  Bock-  und  Prachtkäferlarven  in  einem  mehr  oder  weniger 
tief    in    den    Holzkörper    greifenden    sog.    „Hackengang".      Diese    führen    zu 

jenen  Insekten  über,  welche 
ihre  Entwicklung  ganz 
oder  wenigstens  zum 
größten  Teil  im  Holz- 
körper durchmachen, 
oder  welche  sogar  ihren 
ständigen  Wohnsitz  da 
aufschlagen.  Wir  brauchen 


Fig.  175.    Beispiele  von  Blattskelettierungen.    a  durch  eine  Blatt- 
wespe; 5  durch  einen  Blattkäfer.     Bei  h  ist  die  gesamte  Blatt- 
substanz bis  auf  die  Adern  herausgefressen;  bei  a  ist  die  Ober- 
haut stehen  geblieben. 


Fig.  176.  Blattminen  (a)  gefressen 
von  der  Larve  des  Buchenspring- 
riißlers  (Orehestes  fagi);  b  Löcher- 
fraß durch  die  Image  des  genannten 
Eüßlers.  —  (N.) 


in  dieser  Hinsicht  nur  an  die  Larven  gewisser  Bockkäfer  (C^rrt;w(5)vx,  Lamia, 
Saperda  usw.)  oder  an  die  Raupen  des  Weidenbohrers,  des  Blausiebs, 
der  Sesien  usw.  zu  erinnern,  welche  nur  in  ihrer  ersten  Lebenszeit  unter 
der  Rinde  fressen,  um  dann  die  ganze  übrige  Entwicklung  im  Holze  durch- 
zumachen, wo  sie  unregelmäßig  gewundene  oder  auch  einfache  längsver- 
laufende Gänge  nagen;  -^  oder  an  die  holzbrütenden  Borkenkäfer,  deren 
von  Mutter  und  Larven  oder  auch  nur  von  der  ersteren  genagten  mehr  oder 
weniger  regelmäßigen  Fraßgänge  tief  in  den  Holzkörper  eindringen;  ■ —  oder 
an  die  Holzwespen,  deren  Eier  vermittelst  langer  Legebohrer  in  das 
Holz  eingeführt  werden,  so  daß  bereits  der  Beginn  der  Fraßgänge  in  den  Holz- 
körper verlegt  ist;    —   oder   endlich  an  die  Holzameisen,  die  gleich  ganze 


Die  verschiedenen  Arten  der  Pflanzenbeschädigungen  durch  Forstinsekten.      203 


Jahresringe  so  ausfressen,  daß  nur  dünne  aus  hartem  Herbstholz  bestehende 
Ringwände  erhalten  bleiben  und  der  Stamm  in  seinem  Innern  mehr  oder 
weniger  vollständig  in  konzentrisch  ineinandersteckende  Hohlzylinder  zer- 
legt wird,  die  der  Ameisenkolonie  als  Nest  dienen.  —  Auch  der  „Mark- 
röhrenfraß",  wie  er  in  den  Kieferntrieben  von  den  Imagines  der  Wald- 
gärtner und  den  Larven  von  Anobiiim  nigrinum,  in  Weidenruten  von 
Oberea  oculata  und  Nematiis  angitstus,  in  Fichtentrieben  von  Phycis  abietella 
geübt  wird,  und  welcher  gewöhnlich  mit  dem  Absterben  der  befallenen 
Teile    begleitet    ist,    muß    hier    erwähnt   werden;    ebenso    wie   der   Fraß    der 

Kieferntrieb  Wickler 
und  anderer  Klein- 
schmetterlinge, welche  die 
ganz  jungen,  noch 
weichen  Triebe  oder 
auch  die  Knospen  be- 
fressen  resp.  aushöhlen. 
Und  endlich  haben  wir 
noch  einige  Forstinsekten 
zu  nennen,  welche  — 
wenigstens  bei  jungen 
Pflanzen  —  die  Stämm- 
chen  völlig  durch- 
beißen (Beispiel:  die 
Kiefernsaateulen). 


Fraß  an  den  Wurzeln. 
Der  Wurzelfraß  be- 
steht entweder  in  einem 
Benagen  der  Rinde 
oder  in  einem  Abbeißen 
und  Abfressen  ganzer 
Wurzelpartien.  Welche 
der  beiden  Arten  vor- 
kommt, hängt  sowohl  von 
der  Insektenart  ab  als 
auch  ganz  besonders  von 
der  Stärke  der  Wurzeln. 


A  B  C 

Fig.  177.     Verschiedene  Rindenverletzungen.     A  Pockennarben- 
Plätzfraß  durch  SyloUiis;  B Ringelungen  durch  Cimhex\  C Schälung 
durch  eine  Hornisse. 


Der  schlimmste  Wurzelschädling  ist  zweifellos  der 
Engerling,  der  alle  Wurzeln,  die  seine  Mundwerkzeuge  bewältigen  können, 
radikal  abfrißt,  so  daß  bei  jüngeren  Pflanzen  nur  noch  die  einzige  Pfahlwurzel 
übrig  ist;  auch  von  dieser  wird  überdies  meist  auch  noch  die  Rinde  ab- 
genagt, so  daß  sie  „nackt  und  kahl  wie  eine  Rübe"  ist,  und  man  in  solchen 
Fällen  auch  von  einem  „Rübenfraß"  spricht.  Wo  es  sich  um  stärkere 
Wurzeln  handelt,  da  beschränkt  sich  der  Engerlingfraß  auf  platzweises  Be- 
nagen der  Rinde.  Die  anderen  Wurzelfresser  verfahren  meist  nicht  so  radikal 
wie  der  Engerling,  wenn  auch  manche  von  ihnen  demselben  nicht  viel  nach- 
stehen:   ich   erinnere    nur   an   die   Raupen   der   Kiefernsaateulen,   welche 


204     Kapitel  V.     Die  Insekten  als  natürliche  und  wirtschaftliche  Macht  usw. 


ebenfalls  arge  Beschädigungen  durch  Abbeißen  ganzer  Wurzelteile  verur- 
sachen können;  ferner  an  die  Drahtwürmer,  die  Larven  gewisser  Rüssel- 
käfer [Otiorhynchus,  Brachyderes  usw.),  die  Tipulidenlarven  und  andere 
mehr ,  deren  Beschädigungen  gewöhnlich  im  Benagen  der  Wurzelrinde 
bestehen;  und  endlich  an  die  Maulwurfsgrille,  die  alle  Wurzeln,  die 
ihr  bei  ihren  unterirdischen  Jagdausflügen  in  den  Weg  kommen,  kurzweg 
abbeißt  (oder  auch  mit  ihren  scharfen  Grabklauen  abreißt).  —  Nur  in 
sehr  seltenen  Fällen  kommt  ein  dem  obigen  Mark  röhrenfraß  entsprechender 
Fraß  an  den  Wurzeln  vor;  uns  ist  bisher  nur  ein  einziger  derartiger  Fall  an 
Forstgewächsen  bekannt  geworden,  der  den  Hopfenspinner  betraf,  welcher 

das    schwammige    Mark    von 
Hickorywurzeln  aushöhlte. 

Fraß  an  Samen. 
Es  gibt  eine  ganze  Reihe 
von  Insekten,  deren  Larven 
im  Samen  von  Forstgewächsen 
ihre  Entwicklung  durch- 
machen und  dabei  denselben 


6'ig.  178.    Riudenstück  mit  den  Fraßgängen  von  /ps  amitinus. 
-(N.) 


Fig.  179.     Fraßgänge  im  Holz,  verur- 
sacht dm'cll  Xyleborus  dispar.  —  (N.) 


vernichten.  So  leben  z.  B.  in  den  Fichtenzapfen  die  Larven  von  Anobium 
abietis,  die  Raupen  von  Grapholifa  (Tortrix)  strobilella  und  Diorictria  abietella ; 
in  Kiefernzapfen  ebenfalls  die  letztere  und  außerdem  Pissodes  validirostris,  in 
Buchein  Grapholita  grossana,  in  Eicheln  Grapholita  splendana,  Balaninus 
turbatus,  glandium  und  elephas  usw. 


2.  Verletzungen,  die  nur  Saftverlust  zur  Folge  haben. 

Solche  werden  nur  von  Insekten  mit  saugenden  Mundwerkzeugen 
bewirkt.  Die  durch  die  feinen  Saugrüssel  angerichteten  direkten  Verletzungen 
sind  meist  sehr  unbedeutend  gegenüber  den  Nachteilen,  die  der  Pflanze  durch 
den  Saftverlust  treffen.  Die  Zahl  der  auf  diese  Weise  wirkenden  Forstschädlinge 
ist  weit  geringer  als  die  Zahl  der  in  die  vorige  Kategorie  gehörenden;  auch 
tritt   ihre    forstliche   Bedeutung   gegenüber   den   letzteren   sehr   zurück.     Alle 


Die  verschiedenen  Arten  der  Ptlanzenbeschädigungen  durcli  Forstinsekten.      205 

Stellen  der  Pflanze  können  den  kleinen  Saugern  zum  Angriff  dienen,  sowohl 
die  Blattorgane  als  der  Stamm  als  auch  die  Wurzeln.  In  der  Hauptsache 
sind  es  Blatt-  und  Schildläuse,  welche  in  dieser  Weise  den  Pflanzen 
Schaden  zufügen. 

3.  Verletzungen,  welche  Gallbildungen  zur  Folge  haben. 

Bei  dieser  Art  von  Schädigung  liegt  das  wesentliche  weder  in  dem 
Verlust  an  Pflanzensubstanz,  noch  im  Verlust  an  Saft,  sondern  in  der  Ent- 
stehung krankhafter  Neubildungen,  der  sog.  „Gallen"  oder  „Cecidien". 

Eine  präzise,  allgemeingültige  Definition  des  Begriffes  „Galle" 
oder  „Cecidium"  (von  cecis,  das  Hervorquellende)  wird  durch  die  außer- 
ordentliche Mannigfaltigkeit  cheser  Bildungen  sehr  schwer,  ja  beinahe  un- 
möglich gemacht.  Nach  Thomas,  dem  wir  die  erste  wissenschaftliche 
Begriffserklärung  verdanken,  hat  man  unter  Galle  jede  durch  einen 
Parasiten  veranlaßte  aktive  Bildungsabweichung  zu  verstehen, 
welche  Definition  Küster  noch  dahin  ergänzt  wessen  will,  daß  die  Bildungs- 
abweichung der  Entwicklung  des  Parasiten  Vorschub  leistet  und 
insofern  für  diese  „zweckmäßig",  für  die  Entwicklung  der  gallen- 
tragenden Pflanze  jedoch  schädlich  ist.  —  Die  Bildungsabweichungen 
beruhen  entweder  auf  einem  außergew^öhnlichen  Wachstum  einzelner  Zellen, 
größerer  Gewebepaitien,  ganzer  Organe  oder  Organkomplexe,  oder  aber  auf 
Neubildungen  von  oft  komplizierter  Beschaffenheit,  Vielfach  tritt  gleich- 
zeitig vermindertes  Wachstum  bestimmter  Organe,  Gewebe  oder  Zellen  ein, 
so  daß  Verkürzungen  der  verschiedensten  Art  (Hemmungsbildungen)  mit  der 
Neubildung  Hand  in  Hand  gehen  (Roß). 

Als  gallenerzeugende  Organismen  kommen  sowohl  Pflanzen  als 
auch  Tiere  in  Betracht,  unter  welch  letzteren  die  Milben  und  Insekten  weit- 
aus die  größte  Rolle  spielen.  Das  Hauptkontingent  der  Insekten  stellen  die 
Dipteren,  von  welchen  nach  Houard  für  Europa  und  das  außereuropäische 
Mittelmeergebiet  420  Cecidomyiden  und  66  Museiden  als  gallenbildend  be- 
kannt sind.  Ihnen  folgen  die  Hymenopteren  mit  290  Gallenbildnern  (26 
Tenthrediniden,  244  Cynipiden,  20  Chalcididen),  die  Hemipteren  oder 
Rhynchoten  mit  243  Arten  (darunter  169  Aphididen,  45  Psylliden,  16  Cocciden), 
die  Coleopteren  mit  113  Arten  (darunter  104  Curculioniden)  und  die 
Lepidopten  mit  61  Arten  (darunter  24  Tortriciden).  Von  Orthopteren  kommt 
nur  eine  Locustide  {Meconema  varium  auf  Quercus)  und  von  den  Neuropteren 
nur  eine  Agrionide    {Lestes    viridis  auf  Pinus  strobus)  in  Betracht   (Küster). 

Über  die  Ätiologie  (Entstehungsursache)  der  Gallen  sind  wir  noch 
recht  schlecht  unterrichtet;  es  sind  zwar  schon  eine  Reihe  Untersuchungen  in 
dieser  Richtung  unternommen  worden,  doch  sind  die  erzielten  Resultate  bis 
jetzt  noch  in  mancher  Beziehung  lückenhaft  geblieben.  Grundbedingung  für 
die  Entstehung  einer  Galle  ist,  daß  der  Parasit  auf  möglichst  junge,  in  der 
Entwicklung  begriffene,  bezw.  noch  im  Wachstum  befindliche  Pflanzenteile, 
oder  auf  Gewebe  einwirkt,  welche  sich  im  teilungsfähigen  Zustand  be- 
finden oder  doch  in  diesen  Zustand  zurückkehren  können.  Die  Galle  wächst 
in    der    Regel    mit    dem    sich    entwickelnden    Organe    der    Pflanze.      Völlig 


206      Kapitel  V.     Die  Insekten  als  natürliche  und  wirtschaftliche  Macht  usw. 

ausgebildete  oder  nur  aus  Dauergewebe  bestehende  Pflanzenteile  vermögen 
daher  keine  Cecidien  hervorzubringen.  Ferner  scheint  so  viel  festzustehen, 
daß  eigenartige,  nicht  näher  bekannte  Stoffe,  die  von  dem  Parasiten  ab- 
geschieden werden  und  einen  chemischen  Reiz  auf  das  umgebende  Gewebe 
ausüben,  eine  große  Rolle  bei  der  Erzeugung  der  Gallen  spielen.  Bei 
gewissen  Arten  {Potonia  proxima  —  Nematiis  Vallisneri)  genügt  nachBeijerinck 
das  gleichzeitig  mit  dem  Ei  in  das  Pflanzengewebe  beförderte  cecidogene 
Gift  allein,  die  Galle  hervorzurufen,  ohne  daß  ein  weiterer  von  dem  Ei  oder 
der  Larve  ausgehender  Reiz  notwendig  wäre.  Beijerinck  konnte  in  diesem 
Falle  zeigen,  daß  die  Bildung  der  Galle  auch  dann  ihren  Fortgang  nimmt, 
wenn  man  das  Ei  bald  nach  der  Ablage  tötet.  Daß  allerdings  ein  gewisser 
Einfluß  durch  die  Gegenwart  des  Eies  resp.  der  Larve  auf  die  Regel- 
mäßigkeit der  Entwicklung  des  Cecidiums,  z.  B.  auf  die  Entstehung  des 
Innenraumes  ausgeübt  wird,  kann  uns  nicht  Wunder  nehmen,  wenn  wir 
überlegen,  wie  außerordentlich  verschieden  die  Ernährungsbedingungen  in 
dem  Gallengewebe  sein  müssen,  wenn  sich  das  an  sich  gewiß  einer 
spezifischen  Eiweißnahrung  bedürftige  Ei  darin  fortentwickelt  oder  nicht 
(Küster).  —  In  anderen  Fällen  scheint  aber  auch  dem  Ei  und  der  Larve 
ein  wesendicher  Anteil  bei  der  Gallbildung  zuzukommen,  so  daß  letztere 
unterbleibt,  sowie  das  Ei  abstirbt  oder  künstlich  vernichtet  wird.  Erst  mit 
der  fortschreitenden  Ausbildung  des  Embryos  im  Ei  oder  mit  dem  Aus- 
schlüpfen der  Larve  beginnen  die  Veränderungen  in  den  umgebenden  Ge- 
weben. Geht  die  Larve  zugrunde  oder  wird  sie  entfernt  oder  getötet,  so 
hört  die  Weiterentwicklung  der  Galle  ebenfalls  auf.  Es  genügt  hier  also 
nicht  ein  einmaliger  Reiz  für  diesen  Entwicklungsvorgang,  sondern  die  Larve 
scheint  die  betreffenden  Stoffe,  welche  wahrscheinlich  den  Speicheldrüsen 
entstammen,  fortgesetzt  auszuscheiden.  Bezüglich  der  Herkunft  des  Sekretes 
ist  auch  die  Ansicht  ausgesprochen  worden,  daß  bei  den  Gallwespen  die 
gallenerzeugenden  Stoffe  zum  Teil  den  Malpighischen  Gefäßen  entstammen 
(Rössig  nach  Roß). 

Das  den  Reiz  ausübende  Tier  kann  seinen  Sitz  entweder  an  der 
Außenseite  oder  im  Innern  des  betreffenden  Pflanzenteiles  haben.  Als  Bei- 
spiel eines  durch  äußerliche  Angriffe  Gallen  erzeugenden  Tieres  führen  wir 
die  eine  Art  des  Buchenkrebses  hervorbringende  Blattlaus  Lachnus  exsiccator 
Alt.  auf.  Alle  Blattlausgallen  entstehen  überhaupt  ursprünglich  durch  äußere 
Angriffe;  die  dieselben  erzeugenden  Tiere  werden  aber  mitunter  allmählich 
von  der  wuchernden  Galle  umschlossen,  so  z.  B.  die  die  taschenartigen  Beutel- 
gallen an  den  Ulmenblättern  verursachenden  Formen.  In  diesen  Fällen 
ist  der  Gallerzeuger  meist  eine  Imago,  indessen  können,  wenngleich 
seltener,  auch  gleichzeitig  Larven  durch  äußere  Angriffe  gallbildend  wirken, 
z.  B.  die  Larven  von  Chermes.  Gallerzeuger,  die  im  Innern  des  Pflanzen- 
teiles ihren  Sitz  haben,  sind  stets  Larven,  bezw.  noch  in  der  Eischale  ein- 
geschlossene Embryonen,  die  in  der  Galle  ihre  Verwandlung  durchmachen. 
Solche  Larven  können  entweder  durch  eigene  Tätigkeit  in  die  Pflanzen- 
substanz eindringen,  wie  z.  B.  die  aus  einem  äußerlich  an  die  Rinde 
abgelegten  Ei  schlüpfende  Larve  von  Saperda  populnea  Z,.,  welche  an  Aspen 


Die  verschiedenen  Arten  der  Pflanzenbeschädigungen  durch  Forstinsekten.     207 

knotige  Anschwellungen  der  Äste  hervorruft;  —  oder  aber  bereits  innerhalb 
derselben  aus  einem  von  dem  Muttertiere  mit  Hilfe  des  Legbohrers  in  den 
Pflanzenteil  versenkten  Ei  ausschlüpfen,  was  z.  B.  bei  den  eigentlichen  Gall- 
wespen {Cynipidae)  der  Fall  ist. 

Der  Ort  der  Gallbildung  ist  sehr  wechselnd,  und  man  kann  wohl 
sagen,  daß  kein  zur  Erzeugung  von  Neubildung  fähiger  Pflanzenteil  von  den 
Angriffen  der  Gallentiere  verschont  bleibt.  Wurzeln  und  Stamm,  Blätter 
und  Knospen,  Blüten  und  Früchte  können  Gallen  tragen,  bezw.  sich  in 
solche  verwandeln. 

Auch  die  Form  und  der  Aufbau  der  Gallen  ist  ungemein  mannig- 
faltig, und  es  ist  durchaus  nicht  leicht,  eine  einigermaßen  befriedigende 
Einteilung  der  Gallen  zu  geben.  Es  sind  schon  mehrere  Versuche  in 
dieser  Richtung  unternommen  worden,  wobei  die  verschiedensten  Gesichts- 
punkte zugrunde  gelegt  wurden.  So  teilt  Thomas  die  Gallen  ein  in 
„Akro-  undPleurocecidien",  je  nachdem  die  Gallenbi'dung  am  Vegetations- 
kegel eines  Sprosses  oder  aber  an  den  übrigen  Teilen  der  Pflanze  statt- 
findet. Beijerinck  unterscheidet  „Gallen  mit  unbegrenztem  und  be- 
grenztem Wachstum"  (unbegrenzt:  „mehrere  Generationen  der  Bewohner 
bilden  während  einiger  Zeit  die  Form  der  Galle  um;  der  Galle  erste  Anlage 
geht  jedoch  von  einem  erwachsenen  Individuum  aus.  Fortpflanzung  und 
Ernährung  findet  im  Innern  der  Galle  statt",  —  begrenzt:  „der  einzige  oder 
mehrere  Bewohner  verbleiben  nur  während  der  Nährzeit  ihres  Larven- 
stadiums in  den  Gallen.  Diese  reifen  schnell  und  sind  sehr  viel  eher  als 
die  Larven  erwachsen").  Kerner  teilt  die  Zoocecidien  ein  in  „einfache 
und  zusammengesetzte  Gallen",  je  nachdem  die  Galle  auf  ein  einzelnes 
Pflanzenglied  beschränkt  bleibt,  oder  aber  mehrere  Pflanzenglieder  in  An- 
spruch nimmt.  Und  Küster  endlich  spricht  von  „organoiden  und 
histioiden  Gallen",  je  nachdem  es  sich  um  abnormale  Umgestaltungen 
von  Organen,  bezw.  um  Neubildung  von  solchen  handelt,  oder  um  Bildung 
von  abnormalen  Geweben.  Organoide  Gallen  liegen  vor,  wenn  z.  B.  Laub- 
blätter statt  Nebenblätter  gebildet  werden,  oder  Niederblätter  anstatt  der 
Laubblätter  entstehen,  oder  wenn  Adventivwurzeln  oder  Adventivsprossen 
an  dem  infizierten  Organ  sich  bilden.  Histioide  Gallen  repräsentieren  sich 
als  Schwellungen  von  Blättern,  Achsen  und  anderen  Organen,  als  lokale 
Wucherungen  von  irgend  welchen  Formen,  als  Haarbildungen  usw." 

Die  Küstersche  Einteilung  verdient  in  wissenschaftlicher  Beziehung 
zweifellos  den  Vorzug  vor  den  übrigen;  trotzdem  wollen  wir  hier,  wo  wir 
zu  den  Praktikern  reden,  uns  mehr  an  die  Kernersche  Einteilung  halten, 
da  diese  auf  für  den  Nichtbotaniker  leichter  erkennbare  Merkmale  ge- 
gründet ist. 

Wir  unterscheiden : 
1.  Einfache    Gallen:    die    Galle    ist    auf    ein    einziges    Pflanzenglied    be- 
schränkt. 

a)  Filzgallen:     scharf    umschriebene,     mit     dichtem    Haarfilz     bedeckte 
Stellen  an  Blättern  (Erzeuger:  Gallmilben); 


208      Kapitel  V.     Die  Insekten  als  natürliche  und  wirtschaftliche  Macht  usw. 

b)  Mantelgallen;  bei  ihnen  leben  die  Gallenerzeuger  oberflächlich 
und  regen  das  Pflanzengewebe  zu  Wachstumsvorgängen  an,  deren 
Produkte  die  Parasiten  wie  mit  einem  Mantel  einhüllen.  Hierher  ge- 
hören die  mannigfaltigsten  Bildungen,  wie  Krümmungen,  Rollungen, 
Faltungen  und  Umrißveränderungen  an  Blättern,  Blatt- 
stielen und  Stengeln,  ferner  die  sog.  Beuteltaschen  und  Nagel- 
gallen usw.  an  Blättern  (Fig.  180); 

c)  Markgallen(die  „eigentlichen Gallen"  Nitsches):  Gewebswucherungen, 
welche  sich  um  einen  im  Gewebe  befindlichen  Parasiten  (Larve) 
bilden.  Hierher  gehören  die  Gallen  der  Gallwespen  (Cynipiden),  so- 
dann auch  von  Blattwespen  (z.  B.  Nematus  Vallisneri),  Gallmücken 
(z.  B.  Cecidomyia  saliciperda),  Kleinschmetterlingen  (z.  B.  Graph, 
zebeanä)  und  Käfern  (z.  B.  Saperda  poptilnea). 

2.  Zusammengesetzte    Gallen:    Es    handelt    sich    dabei    um    Gallen,    zu 
deren   Aufbau    mehrere   unmittelbar   aneinandergrenzende    Glieder    einer 


Fig.    180.    Verschiedene    Blattgallen    an    Ulme.     A    Blattrandgalle    von    Schizoneura   uhni;    B   drei 
Beil  teigallen  von  Schiz.  lanuginosa;  CTaschengallen  von  Pemphigus  uhni.  —  (N.) 


Pflanze  einbezogen  wurden.  Es  sind  dies  meist  Knospenan- 
schwellungen und  Triebspitzendeformationen,  oft  verbunden  mit 
kurzbleibender  Achse  und  überhäufter .  Blätterbildung.  Sie  werden  teils 
als  Knopperngallen,  teils  als  Kuckucks-  oder  Ananasgallen,  teils 
als  Klunkern,  Wirrzöpfe,  Weidenrosen  usw.  bezeichnet.  Als  Er- 
zeuger kommen  meist  Hemipteren  (z.  B.  Chermes  als  Erzeuger  der 
Ananasgallen)  (Fig.  181)  oder  Gallmücken  (z.  B.  Cecidomyia  rosaria  als 
Erzeuger  der  Weidenrosen)  in  Betracht. 

Krebsbildungen:  d.  s.  bösartige,  zu  Gewebszerstörungen  führende 
äußere  Anschwellungen  an  Zweigen  und  Wurzeln.  Hierher  sind  z.  B. 
die  von  der  Blutlaus  {Schizoneura  lanigera)  an  Apfelbäumen  oder  die 
von  Lachnus  exsiccator  an  der  Buche  erzeugten  Wucherungen  und  Zer- 
störungen zu  stellen. 


Foken  der  Ansiriffe  auf  die  Pflanzen. 


209 


Folgen  der  Angriffe  auf  die  Pflanzen. 

Es  sind  hauptsächlich  zwei  Richtungen,  in  denen  sich  die  Wirkung  der 
Insektenangriffe  bemerkbar  mächen:    einmal  in  Deformationen,  d.  h.   Ver- 
änderungen der  normalen  Form  der  Pflanze  und  sodann  in  einer  all- 
gemeinen Schwächung  der  Lebens- 
kraft. 

Was  die  Form  Veränderungen 
betrifft,  so  können  diese  auf  Wachstums- 
beeinflussungen beruhen,  oder  aber 
darauf,  daß  bereits  ausgebildete  Teile 
der  Pflanze  abgetötet  werden  und  ab- 
fallen. Als  bekanntestes  Beispiel  für 
den  ersten  Modus  seien  die  Kiefern- 
triebwickler  erwähnt,  auf  deren  Trieb- 
fraß die  als  „Posthorn"  bezeichneten 
Verkrümmungen  an  der  Kiefer  zurück- 
zuführen sind,  oder  die  Fichtenblattwespe 
(Neiiia/iis  abietiDii),    deren    wiederholtes 


■y  / 


/ 


181.    Ananasgallen  von  Ckermes  strobüobius. 
an  Fichte.  —  (N.) 


Fig.  182.     Schopfbildung  an  einer  Fichte  infolge 
wiederholten  Nematus-Fvaßes.     Nach  W.  Baer. 


ßefressen  der  Maitriebe  ausgedehnte  Schopfbildungen  am  Wipfel  verursachen 
können  (Fig.  182).  Bezüglich  der  zweiten  Art  von  Formveränderung  sei  in 
erster  Linie  auf  den  Markröhrenfraß  der  Waldgärtner  hingewiesen,  der  das 
Abfallen  der  Triebenden  veranlaßt.  Wo  der  Waldgärtner  sich  stärker  ver- 
mehren kann,  da  verlieren  ältere  Kiefern  so  viele  Triebe  an  dem  Mantel  der 
Krone,  daß  diese  wie  zerzaußt  aussieht  und  ihre  gewölbte  Form  gänzlich 
Escherich,  Forstinsekten.  14 


210      Kapitel  V.     Die  Insekten  als  natürliche  und  wirtschaftliche  Macht  usw. 

einbüßt,  um  dafür  die  Gestalt  einer  Fichte  oder  Cypresse  zu  erhalten. 
Andere  Insekten  bringen  ganze  Äste  zum  Absterben,  was  ebenfalls  zu  einer 
Lichtung  der  Krone  führt,  wie  z,  B.  der  Prachtkäfer  Agrilus  bifasciatus,  der 
die  Gewohnheit  hat,  Äste  älterer  Eichen  tief  zu  ringeln  und  so  von  der  Saft- 
zufuhr abzuschneiden,  was  natürlich  das  Absterben  zur  Folge  hat.  Auch  der 
Lindenprachtkäfer,  Buprestis  rntilaits,  ferner  das  Kiefernböckchen,  Pogono- 
chaerus  bifasciatus,  kann  in  ähnlicher  Weise  zur  Lichtung  der  Krone 
beitragen. 

Die  häufigste  Folge  von  Insektenangriffen  ist  eine  allgemeine 
Schwächung  der  Gesundheit  der  Pflanze,  die  je  nach  der  Dauer  und 
Ausdehnung  des  Angriffes  von  verschiedenem  Grad  sein  und  bis  zum  Ab- 
sterben führen  kann.  Mag  es  sich  um  einen  Blattfraß  handeln,  der  die 
Pflanzen  der  assimilatorischen  Organe  beraubt,  oder  um  einen  Rindenfraß, 
der  die  Saftleitung  unterbricht,  oder  um  einen  Wurzelfraß,  durch  den  die 
Wasser-  und  Nährstoffaufnahme  gehindert  wird,  oder  um  ein  bloßes  Ab- 
zapfen der  Säfte  durch  saugende  Insekten,  stets  tritt  eine  Schwächung  der 
Gesundheit,  resp.  ein  Kränkeln  ein.  Nehmen  die  Angriffe  keinen  allzu  großen 
Umfang  an,  und  dauern  sie  nicht  allzu  lange,  so  kann  die  Pflanze  in  kürzerer 
oder  längerer  Zeit  die  Folgen  dieser  Angriffe  überwinden  und  die  erlittenen 
Beschädigungen  wieder  ausgleichen;  so  tritt  nach  Beschädigung  der  Wurzeln 
oder  Triebe  eine  neue  Bildung  von  solchen  ein,  so  wird  der  Verlust  der 
Laubblätter  durch  Neubildung  blättertragender  Zweige,  durch  das  sog.  Wieder- 
grünen, ausgeglichen  und  so  werden  die  Rinden-  und  Holzbeschädigungen 
durch  allmähliche  Überwallung  der  Wunden  wieder  verheilt  usw. 

Erreichen  jedoch  die  Zerstörungen  eine  größere  Ausdehnung,  werden 
z.  B.  die  meisten  Nadeln  vernichtet  oder  kommt  es  gar  zu  einem  völligen 
Kahlfraß,  oder  werden  die  safdeitenden  Schichten  von  massenhaften  Borken- 
käfern oder  anderen  Minierinsekten  so  zerstört,  daß  überhaupt  kein  Saft 
mehr  aufsteigen  kann,  oder  werden  die  Wurzeln  derart  zerfressen,  daß  die 
Wasseraufnahme  kaum  mehr  stattfinden  kann,  so  tritt  meist  der  Tod  der 
betreffenden  Pflanze  ein. 

Übrigens  spielt  beim  Absterben  nach  Kahlfraß  noch  ein  anderes  Moment  als 
die  Vernichtung  der  Assimilationsorgane  mit  herein,  nämlich  die  Überhitzung  des 
Kambiums,  worauf  R.  H  a  r  t  i  g  hingewiesen  hat.  Wenn  die  Nadeln  entfernt  sind, 
hört  natürlich  die  Verdunstung,  die  ja  wesentlich  durch  die  Nadeloberfläche  ge- 
schieht, auf,  und  damit  hat  natürlich  auch  das  Aufsteigen  des  Wasserstroms  ein 
Ende.  Dieser  aber,  der  aus  dem  kühleren  Boden  kommt,  ist  es,  der  normalerweise 
die  Temperatur  der  vegetierenden  Kambium-  und  äußeren  Splindschichten  soweit 
herabsetzt,  daß  eine  zu  hohe  Erwärmung  derselben  infolge  der  Besonnung  während 
der  heißen  Tagesstunden  vermieden  wird.  Die  Kambialtemperatur  einer  entnadelten 
Fichte  ist  nach  R.  H  artig  im  Sommer  durchschnittlich  um  8 "  C.  höher,  als  die 
einer  benadelten  unter  gleichen  Verhältnissen.  In  kahlgefressenen,  schattenlosen 
Fichtenbeständen  steigerte  sich  nach  Hart  ig  bei  direkter  Besonnung  die  Tempe- 
ratur des  Kambiums  bei  26 "  C.  Lufttemperatur  bis  auf  44«.  So  wird  auf  der 
Sonnenseite  der  Bäume  das  Kambium  bis  über  die  Grenze  der  Lebensfähigkeit  der 
Zellen  erwärmt  oder  doch  wenigstens  seine  Temperatur  soweit  erhöht,  daß  im 
Folgejahr  das  nahrungslose  Kambium  abstirbt. 

In  denjenigen  Fällen,  in  denen  die  Pflanze  die  Krankheit  übersteht, 
machen    sich    häufig    verschiedene    Folgeerscheinungen    bemerkbar,    teils 


Folgen  der  Angriffe  auf  die  Pflanzen. 


211 


vorübergehender,  teils  dauernder  Natur,  die  mehr  oder  weniger  deutlich  er- 
kennen lassen,  daß  die  betreffende  Pflanze  einen  Angriff  durchzumachen 
hatte.  Sie  bestehen  entweder  in  Kümmerungserscheinungen  oder  aber 
in  Bildung  von  Ersatzteilen. 

Zu  den  Kümmerungserscheinungen  gehört  z.  B.  das  Klein- 
bleiben der  Blätter  und  Nadeln  im  Jahre  nach  der  Beschädigung.  Bei 
den    Nadelhölzern     entstehen    dann    jene     kurznadeligen  \ 

Triebe,    die    als    „Bürstentriebe"     bezeichnet    werden 
(Fig.    183).      Als    Kümmerung    ist    ferner    die    Vermin- 
derung des  Blühens  und  Samentragens  aufzufassen, 
die  so  häufig  nach  stärkerem  Raupenfraß,  wie  z.  B.  nach 
dem   der  Nonne,    des  Goldafters,    Rotschwanzes   usw.    zu 
beobachten   ist,   und   die   in    forstlicher  Beziehung  (durch 
Verminderung    oder    gänzlichen    Ausfall    der    Mast)    weit 
wichtiger  ist  als  die  oben  erwähnte 
direkte     Zerstörung     der     Samen 
durch    die    verschiedenen    Samen- 
insekten.    Und   endlich  ist  als  die 
wichtigste  Kümmerungserscheinung 
der  Zuwachsverlust  zu  nennen, 
der   sich   sowohl   auf  das  Längen- 
ais   auf    das    Dickenwachstum    be- 
ziehen kann. 

Die  Verminderung  des 
Längenzuwachses  zeigt  sich 
darin,  daß  in  den  auf  die  Be- 
schädigung folgenden  Jahren  die 
Endtriebe  der  Zweige  und  be- 
sonders die  Gipfeltriebe  der  Nadel- 
hölzer kürzer  bleiben.  Erst  später 
erhalten  sie  wieder  ihre  normale 
Länge,  wie  aus  dem  in  Fig.  184 
abgebildeten  Wipfel  einer  Fichte 
zu  ersehen  ist,  die  nach  einer  im 
Jahre  1857  erlittenen  Schädigung 
zunächst  bis  1859    nur  ganz  kurze 

Gipfeltriebe  gebildet  und  erst  im  Jahre  1861  wieder  einen  kräftigen  Trieb 
erzeugte.  Solche  Verkürzungen  finden  wir  sehr  häufig  als  Folge  des  Fraßes 
von  Raupen,  Blattwespen  usw. 

Die  Minderung  des  Stärkenzuwachses  tritt  mitunter  schon  im 
Fraßjahr,  häufiger  aber  erst  im  Nachjahr  ein.  Er  prägt  sich  am  deutlichsten 
an  den  Jahresringen  aus,  die  nach  einem  größeren  Fraß  stets  schmäler  und 
schwächer  werden,  und  zwar  mitunter  auf  viele  Jahre  hinaus  (Fig.  185).  Bei 
allen  größeren  Raupenkalamitäten,  sofern  sie  nicht  zum  Absterben  der  Be- 
stände führen,  stellt  der  Zuwachsvei-lust  das  wichtigste  Moment  bei  der  Be- 
urteilung des  Schadens  dar. 

14* 


Fig.  183.  Seitenzweig  einer 
im  Jahrel856  durch  Nonnen- 
fraß geschädigten  Fichte, 
welche  im  Jahre  1858  nur 
Bürstennadeln  produzierte. 
-(N.) 


Fig.  184.  Entasteter 
Wipfel  einer  im  Jahi-e 
1857  von  der  Nonne 
kahlgefressenen  Fichte, 
die  verschiedene  Länge 
der  Jahrestriebe 
zeigend.  —  (N.) 


212     Kapitel  V.     Die  Insekten  als  natürliche  und  wirtschaftliche  Macht  usw. 


Was  die  Bildung  von  Ersatzteilen  betrifft,  so  kann  diese  recht 
verschiedener  Art  sein;  wir  erinnern  z.  B.  an  die  „Rosetten triebe" 
(Fig.  186),  die  bei  der  Kiefer  nach  Kahlfraß  proleptisch  aus  Seitenknospen 
entstehen,  und  die  ganz  kurz  bleibende  Triebe  darstellen,  die  dichtstehende, 
verkürzte,  breite  und  gesägte  einfache  Nadeln  tragen;  ferner  an  die  sog. 
„Scheidentriebe",  die  aus  den  am  Vegetationspunkt  der  Kurztriebe 
zwischen  je  zwei  Kiefernnadeln  befindlichen,  ge- 
wöhnlich ruhenden  Scheidenknospen  sich  entwickeln, 
und  welche  zwar  in  der  Regel  kein  hohes  Alter 
erreichen,  jedoch  provisorisch  für  das  Leben  des 
Baumes  von  hoher  Bedeutung  sein  können;  ferner 
an  die  Knospen  Wucherungen,  die  nach  völliger 
Entnadelung  und  Zerstörung  der  Maitriebe  der 
Fichte  am  Grund  der  vorjährigen  oder  älteren 
Triebe  oft  in  überreicher  Fülle  auftreten  (Fig.  187); 
—  ferner  an  den  Ersatz  des  Wipfeltriebes 
durch  einen  Seitentrieb  des  obersten  Quirls, 
wie  er  nach  Zerstörung  des  ersteren  durch  Retiiiia 
hitoliana  usw.    oft    eintritt.     Endlich    sind   hier  auch 


••■■■■■■■■  fa»;  :iis:i:  i>*i ;; 


>.'_>:!-.':!.'  :!• 


iiiiiiiiir 


iillifffüliül 


59 


Fig.  185.  Die  letzten  7  Holz- 
ringe  einer  im  Jahre  1858  fast 
ganz  kahl  gefressenen  Kiefern- 
stange.      Nach     Ratzeburg. 

-(N.) 


Fig.    186.      Rossetten- 

triebe  an  Kiefer.   Nach 

Ratzeburg.  -   (N.) 


Fig.  187.  Ersatztriebbil- 
dung der  Fichte  nach  völli- 
ger Entnadelung  und  Zer- 
störung der  neuen  Mai- 
triebe (4).  Die  an  deren 
Grunde  stehenden  Knos- 
penanlRgen  haben  sich  zu 
kräftigen  Knospen  (9,  io,  il) 
oder  zu  kurzen  Ersatztrie- 
ben {12,  13,  14,  15)  ent- 
wickelt.   Aus  Hart  ig. 


noch  die  Fälle  zu  erwähnen,  in  denen  nach  ausgedehnten  Knospenzerstörungen 
die  aus  dem  übrig  bleibenden  Rest  sich  bildenden  Organe,  z.  B.  Nadeln 
oder  Blätter  ungewöhnlich  groß  werden,  indem  ihnen  eben  nunmehr 
der  gesamte  Saftzufluß  zugute  kommt. 

Solche  Verhältnisse  wurden  von  K  r  a  s  a  n  (Englers  Botanische  Jahr- 
bücher Bd.  V,  S.  350)  nach  Blattverletzungen  durch  Orchestes  quercus  an  Stiel- 
eichen beobachtet.  Während  nämlich  häufig  der  erste  Trieb  durch  die  direkten, 
vom  Weibchen  dieses  Springrüßlers  beim  Unterbringen  seiner  Eier  verübten  An- 


Grad  der  Schädlichkeit  der  Forstinsekten.  213 

griffe  geradezu  sistiert  erscheint  und  die  verletzten  Blätter  verkrümmt  sind,  werden 
die  am  Johannistrieb  direkt  über  den  verletzten  stehenden  Blätter  ungewöhnlich 
groß  und  abnorm  geformt,  während  die  am  Gipfel  stehenden  wieder  ihre  normale 
Form  annehmen. 

Grad  der  Schädlichkeit  der  Forstinsekten. 

Vom  rein  theoretischen  Standpunkte  aus  betrachtet,  ist  jedes 
Insekt  forstschädlich,  welches  auf  einem  verwertbaren  Forstgewächs  Wohnung 
und  Nahrung  findet,  ebenso  wie  in  der  Theorie  schon  das  Abbrechen  eines 
Blattes  den  Baum  schädigt,  indem  dadurch  die  respiratorische  Oberfläche 
desselben  verringert  wird.  Aber  der  hierdurch  angerichtete  Schaden  ist  in 
der  Praxis  nicht  nachweisbar,  und  auch  die  durch  manche  auf  Forstgewächsen 
lebende  Insekten  bewirkte  Schädigung  derselben  ist  so  gering,  daß  wir  sie 
in  praktischer  Hinsicht  durchaus  vernachlässigen  können.  So  verzeichnet 
z.  B.  Kaltenbach  nicht  weniger  als  537  auf  und  von  der  Eiche  lebende 
Insekten,  von  denen  wir  aber  noch  nicht  einmal  dem  zehnten  Teil  eine  wirt- 
schaftliche Bedeutung  beimessen  können. 

Doch  auch  unter  den  wirtschaftlich  in  Betracht  kommenden  Insekten 
herrschen  große  Unterschiede  bezügl.  des  Grades  ihrer  Schädlichkeit; 
wir  teilen  daher  nach  altem  Brauche  die  Forstinsekten  ein  in  „unmerklich 
schädliche",  „merklich  schädliche"  und  „sehr  schädliche". 

Als  „unmerklich  schädlich"  bezeichnen  wir  solche  Insekten,  welche 
infolge  ihres  selteneren  Vorkommens  oder  der  Art  ihrer  Angriffe  nur  ganz 
unbedeutende  Zerstörungen  anrichten,  so  daß  der  Wuchs  und  die  Brauch- 
barkeit des  Holzes  kaum  darunter  zu  leiden  haben.  Hierher  gehört  eine 
große  Anzahl  von  Insekten,  deren  Vorkommen  und  Tätigkeit  zwar  die  Auf- 
merksamkeit des  Forstmannes  erregen,  die  ihm  jedoch  niemals  ernste  Sorge 
bereiten,  und  ihn  auch  nur  ganz  selten  zur  Ergreifung  von  Gegenmaßregeln 
veranlassen  werden.  Als  Beispiele  erwähnen  wir  die  Blattwickler  [Rhynchites 
usw.),  die  meisten  der  gallbildenden  Insekten,  ferner  viele  Blattminierer  usw. 

„Merklich  schädlich"  nennt  man  solche  Insekten,  die  durch  zahl- 
reicheres Auftreten  oder  durch  die  Zerstörung  wichtiger  Pflanzenteile  das 
Wachstum  merklich  beeinflussen  und  einzelne  Bäume  auch  zum  Absterben 
bringen  können.  Ihr  Vorkommen  kann  wohl  auch  über  größere  Bestände 
sich  erstrecken,  ohne  jedoch  in  diesen  Fällen  ein  größeres  oder  allgemeines 
Sterben  zu  verursachen.  In  diese  Kategorie  gehört  die  Mehrzahl  der  Forst- 
insekten; immer  und  überall  treten  sie  dem  Forstmann  entgegen,  ihm  stets 
kleinere  oder  größere  Unannehmlichkeiten,  Arbeit,  Ausgaben  (für  die  Be- 
kämpfung) und  Verluste  bereitend.  Als  Beispiele  seien  genannt  die  Bock- 
käfer, die  meisten  Borkenkäfer,  Pracht-  und  Blattkäfer,  die  meisten  Klein- 
schmetterlinge, viele  Schild-  und  Blattläuse  usw. 

Unter  den  „sehr  schädlichen"  sind  je  nach  ihrem  biologischen  Ver- 
halten und  der  Art  ihrer  Wirkung  zweierlei  Kategorien  von  Insekten  zu 
unterscheiden:  Die  einen  wirken,  kurz  gesagt,  chronisch,  die  anderen 
akut.     Die    ersteren    schließen    sich    biologisch    den     „merklich    schädlichen" 


214      Kapitel  V.     Die  Insekten  als  natürliche  und  wirtschaftliche  Macht  usw. 

Insekten  an,  insofern,  als  sie  sich  durch  eine  gewisse  Ständigkeit  ihres 
Vorkommens  auszeichnen,  unterscheiden  sich  aber  von  ihnen  durch  die 
größere  Ausdehnung  des  Schadens,  indem  ihnen  zahlreiche  Pflanzen, 
ja  ganze  Kulturen  oder  auch  Bestände  zum  Opfer  fallen  können.  Als  die 
wichtigsten  Vertreter  dieser  Gruppe  seien  genannt  Hylobius  und  der  Enger- 
ling. —  Die  akut  wirkenden  Insekten  treten  dagegen  für  gewöhnlich  nur  sehr 
selten  auf,  viel  seltener  als  die  „merklich  schädHchen",  so  daf3  sie  dem  Forst- 
mann mitunter  jahrzehntelang  nicht  begegnen.  Dann  auf  einmal  aber  setzt 
explosionsartig  eine  enorme  Massenvermehrung  ein,  wodurch  jene 
gefürchteten  Kalamitäten  oder  Katastrophen  verursacht  werden,  durch 
welche  in  kurzer  Zeit  die  schönsten  Wälder  vernichtet  werden  können.  Die 
Zahl  dieser  „katastrophalen  Insekten"  ist  verhältnismäßig  gering;  es  ge- 
nügen aber  die  wenigen  vollkommen,  die  forstliche  Welt  fortwährend  in 
Atem  zu  halten  und  aufs  schwerste  zu  beunruhigen.  Die  wichtigsten  Forst- 
schädlinge dieser  Art  sind  die  Nonne,  die  neuerdings  geradezu  in 
erschreckendem  Maße  überhand  nimmt,  ferner  der  Kiefernspinner,  die 
Kieferneule,  der  Kiefernspanner,  der  Fichtenborkenkäfer,  verschiedene  Blatt- 
wespen usw.  — 

Natürlich  sind  die  hier  aufgestellten  Begriffe  keine  absolut  feststehenden 
und  die  Gruppen  keine  scharf  abgrenzbaren,  da  es  einmal  manche  Insekten 
gibt,  deren  Beschädigung  es  zweifelhaft  erscheinen  läßt,  ob  man  sie  zu  der 
einen  oder  der  anderen  Gruppe  stellen  soll,  und  andererseits  es  auch  vor- 
kommen kann,  daß  für  gewöhnlich  „unmerklich  schädliche"  Insekten  „merk- 
lich schädlich"  oder  „merklich  schädliche"  „sehr  schädlich"  werden.  In  den 
meisten  Fällen  jedoch  bietet  die  Einordnung  der  Schädlinge  in  jene  drei 
Gruppen  keine  Schwierigkeit,  so  daß  es  sich  im  Interesse  der  einfachen  Ver- 
ständigung wohl  empfiehlt,  die  angegebenen  Bezeichnungen  im  obigen  Sinne 
beizubehalten. 

Die  Forstinsektenkunde  beschäftigt  sich  in  erster  Linie  und  am  ein- 
gehendsten mit  den  sehr  schädlichen  und  den  merklich  schädlichen  Insekten, 
während  die  unmerklich  schädlichen  dagegen  wesentlich  zurücktreten. 
Völlig  gleichgültige  oder  indifferente  Insekten  haben  überhaupt  nur  dann 
Interesse  für  sie,  wenn  deren  Aussehen  oder  Tätigkeit  eine  Verwechslung 
mit  Schädlingen  als  möglich  erscheinen  lassen  und  den  Forstmann 
dazu  verleiten  können,  Maßregeln  gänzlich  ohne  Not  zu  ergieifen;  also 
wenn  es  sich,  wie  Ratzeburg  sagt,  um  „täuschende  Forstinsekten" 
handelt. 

Der  Grad  der  Schädlichkeit  ist  nicht  etwa  für  jedes  Forstinsekt 
ein  für  allemal  feststehend,  sondern  hängt  von  einer  ganzen  Reihe  ver- 
schiedener Faktoren  ab. 

In  erster  Linie  kommt  natürlich  die  Biologie  des  betreffenden  Insekts 
in  Betracht,  d.  h.  die  Art  und  Weise  seines  Angriffes,  ob  kauend,  ob 
saugend,  ob  an  Wurzeln,  Blättern,  Knospen,  Zweigen,  alten  oder  jungen 
Trieben,  Haupt-  oder  Nebentrieben,  oder  am  Stamm  fressend,  ob  es  ver- 
schwenderisch,  ob  sein  Nahrungsbedürfnis  ein  großes  ist;  sodann  seine  Ver- 


Grad  der  Schädlichkeit  der  Forstinsekten.  215 

mehrungsfähigkeit,  die  wiederum  einerseits  von  der  Zahl  der  Eier,  anderer- 
seits von  der  Zahl  der  Parasiten  und  anderer  Feinde,  sowie  von  der  Wider- 
standsfähigkeit der  vei  schiedenen  Entwicklungsstufen  gegen  Witterungsunbilden 
usw.  abhängig  ist;  des  weiteren  seine  Beweglichkeit  resp.  sein  Wander- 
vermögen usw. 

Doch  ist  es  nicht  allein  der  angreifende  Teil,  der  die  Größe  des 
Schadens  bestimmt,  sondern  eine  sehr  wesentliche  Rolle  spielt  dabei  auch 
die  Empfindlichkeit  der  Pflanze  selbst,  und  zwar  insofern,  als  nicht 
nur  jede  einzelne  Pflanzenart  auf  die  gleichen  Angriffe  verschieden  reagiert, 
sondern  auch  ein  und  dieselbe  Pflanzenart  je  nach  ihrem  Alter,  Gesundheits- 
zustand und  je  nach  der  Jahreszeit,  in  welcher  der  Angriff  erfolgt,  sich  sehr 
ungleich  verhalten  kann.  Außerdem  kommen  auch  noch  andere  Momente, 
wie  Witterung,  die  waldbaulichen  Verhältnisse,  die  Höhenlage  des 
Forstortes  in  Betracht,  so  daß  man  also  viele  Punkte  berücksichtigen  muß, 
wenn  man  sich  ein  richtiges  Bild  von  der  Schädlichkeit  eines  Insektes  in 
einem  bestimmten  Fall  machen  will. 

Was  das  verschiedene  Verhalten  der  einzelnen  Holzarten  gegenüber 
Insektenangriffen  betrifft,  so  lehrt  die  Erfahrung,  daß  das  weit  weniger 
reproduktionsfähige  Nadelholz  viel  mehr  Schaden  leidet  als  das  Laub- 
holz. Die  für  Mitteleuropa  forstlich  wichtigen  Laubhölzer  treiben  alljährlich 
vollständig  neue  Blattorgane,  die  meisten  Nadelhölzer  erzeugen  solche  nur  in 
den  neuen  Trieben;  kein  Wunder,  daß  eine  ausgedehnte  Entnadelung  die 
Kiefer,  Fichte  oder  Tanne  viel  mehr  benachteiligen  muß,  als  die  Entlaubung 
eine  Buche  oder  Eiche  schädigt.  Eine  vollständige  Entnadelung  bringt 
unseren  Nadelhölzern  (mit  Ausnahme  der  Lärche)  gewöhnlich  den  Tod, 
während  die  meisten  Laubhölzer  selbst  einen  wiederholten  Kahlfraß  relativ 
gut  ertragen;  die  sommergrüne  Lärche  verhält  sich  in  dieser  Beziehung 
ähnlich  wie  die  Laubhölzer;  so  wird  sie  z.  B.  durch  den  Jahr  für  Jahr  wieder- 
kehrenden Fraß  der  Miniermotte  nur  selten  völlig  getötet.  Dieser  Unter- 
schied zwischen  Laub-  und  Nadelholz  wird  ph^^siologisch  dadurch  bedingt, 
daß  die  Laubhölzer  in  Holz,  Rinde  und  Markgewebe  durchschnittlich  weit 
mehr  Reservestoffe  und  auch  einen  weit  größeren  Vorrat  an  schlafenden 
Knospen  besitzen  als  die  Nadelhölzer.  Ferner  ist  zu  bedenken,  daß  die  Nadeln 
eines  Nadelbaumes  in  einer  längeren  Reihe  von  Jahren  erworben  sind,  so 
daß  ein  kahlgefressener  Nadelbaum,  um  wieder  zu  seiner  vollen  Belaubung 
zu  kommen,  in  kurzer  Zeit  das  neubilden  müßte,  zu  dessen  Erzeugung  er 
mehrere  Jahre  gebraucht  hat,  während  die  Blätter  des  Laubbaumes  stets  ein- 
jährig sind. 

Auch  gegen  andere  Schädigungen,  z.  B.  Borkenkäferfraß,  verhalten  sich 
die  Laubhölzer  im  allgemeinen  widerstandsfähiger  als  die  Nadelhölzer,  so 
können  z.  B.  Birken  jahrelang  von  Eccoptogaster  Ratzebiirgi^  oder  alte  Ulmen 
jahrelang  von  E.  scolytus,  oder  Eschen  jahrelang  von  Hylesinus  fraxini  be- 
wohnt werden,  ehe  sie  völlig  absterben,  während  den  Nadelhölzern  ein  stärkerer 
oder  länger  dauernder  Borkenkäferfraß  gewöhnlich  schon  bald  den  Tod  bringt. 
Die  verschiedensten  Arten  Bockkäfer,  die  Larven  der  Gattungen  Sesia  und 
Cosstis  hausen  in  alten  Laubbäumen  jahrelang,  während  Fichten  oder  Lärchen, 


216      Kapitel  V.     Die  Insekten  als  natürliche  und  wirtschaftliche  Macht  usw. 

die  von  Tetropiiim  luridiim  befallen  sind,  in  kurzer  Zeit  absterben.  Hierher- 
gehöriger Beispiele  ließen  sich  noch  viele  bringen.  Jedenfalls  ist  Tatsache, 
daß  ein  so  ausgedehnter  Schaden,  wie  ihn  der  Borkenkäfer  oder 
die  Nonne  in  Fichten  Waldungen,  oder  der  Kiefernspinner  oder 
-Spanner  in  Kiefernwaldungen  hervorrufen,  dem  Laubwald  voll- 
ständig fremd  ist.  —  Am  empfindlichsten  unter  unseren  Nadelhölzern  ist 
im  allgemeinen  die  Fichte,  dann  folgt  die  Kiefer  und  die  Tanne,  und 
endlich  die  Lärche,  welch  letztere  ja,  wie  schon  erwähnt,  in  dieser  Be- 
ziehung dem  Laubholz  nahe  kommt.  Natürlich  unterliegen  auch  die  wider- 
standsfähigeren Hölzer  den  Insektenangriffen,  wenn  diese  intensiv  genug 
sind;  so  wird  z.  B.  die  Weißtanne,  die  erfahrungsgemäß  viele  Mißhandlungen 
verträgt,  garnicht  selten  durch  Borken-  und  Rüsselkäferfraß  {Ips  curvidens  und 
Ptssodes  piceae)  getötet,  und  die  Lärche  wird  in  ihrer  Heimat  leider  nur  zu 
häufig  ein  Opfer  des  grauen  Lärchenwicklers,  so  daß  sie  aus  manchen 
Gegenden  sogar  bereits  gänzlich  verdrängt  wurde. 

Nicht  weniger  als  die  Holzart  ist  das  Alter  der  befallenen  Pflanzen  bei 
der  Abschätzung  der  Schädlichkeit  eines  Forstinsektes  zu  berücksichtigen. 
Im  allgemeinen  erweisen  sich  gegen  die  meisten  Insektenangriffe  —  mögen 
diese  in  Blatt-  oder  Knospen-,  Rinden-  oder  Wurzelfraß  bestehen  ■ —  die 
jungen  Pflanzen  empfindlicher  als  die  alten.  Eine  ein-  oder  zwei- 
jährige Kiefer  oder  Fichte  wird  viel  leichter  von  dem  großen  braunen  Rüssel- 
käfer getötet  als  eine  schon  etwas  kräftigere,  fünf-  bis  sechsjährige  Pflanze; 
die  einjährigen  Kiefernpflänzchen  werden  durch  die  Saateule  sicher  getötet, 
zweijährige  und  ältere  dagegen  meist  nur  mehr  oder  weniger  beschädigt. 
Es  gibt  jedoch  auch  Fälle,  in  denen  umgekehrt  die  jüngeren  Pflanzen  einen 
Fraß  besser  überstehen  als  die  älteren.  So  berichtet  Hartig,  daß  kleine 
Fichtenpflanzen  von  einigen  Dezimeter  Höhe  nach  Nonnenkahlfraß  sich  sofort 
wieder  begrünen  und  so  sich  völlig  gesund  erhalten  können,  während  ältere 
Pflanzen  von  1  m  an  aufwärts,  selbst  wenn  sie  sich  wieder  begrünt  haben, 
meist  schon  im  Herbst  des  Fraßjahres  zum  Absterben  kommen. 

Von  nicht  zu  unterschätzender  Bedeutung  für  die  Höhe  des  Schadens 
ist  ferner  der  Gesundheitszustand  der  Pflanzen.  Eine  geschwächte  Kon- 
stitution der  Pflanze  —  mag  sie  eine  Folge  von  ungünstigen  Standorts- 
verhältnissen sein  oder  von  Rauchschäden  oder  von  vorhergegangener 
großer  Trockenheit  usw.  —  bedeutet  stets  eine  Erhöhung  des  Insekten- 
schadens. So  kann  man  z.  B.  bei  einem  gewissen  Grad  von  Lichtfraß 
einem  Kiefern-  oder  Fichtenbestand  auf  besseren  Standortsklassen  eine  weit 
günstigere  Prognose  stellen  als  einem  Bestand  auf  schlechteren  Standorts- 
klassen. Ferner  ist  es  eine  bekannte  Erscheinung,  daß  Laub-  und  Nadel- 
hölzer, welche  bald  nach  der  Verpflanzung,  also  ehe  sie  sich  vollständig 
erholt  haben,  von  Insekten  angegangen  werden,  viel  leichter  ein  Opfer  dieser 
Angriffe  werden  als  ein  oder  zwei  Jahre  später.  Außerdem  ist  für  viele 
Insekten  eine  geschwächte  Konstitution  der  Pflanze  geradezu  Bedingung  für 
eine  stärkere  Vermehrung,  so  daß  das  gelegentliche  Vorkommen  solcher 
(sekundärer)  Insekten  in  völlig  gesunden  Wäldern  uns  weit  weniger  zu 
beunruhigen   braucht    als  in  schlecht  wüchsisen  und  kümmernden  Beständen. 


Grad  der  Schädlichkeit  der  Forstinsekten.  217 

So  werden  z.  B.  Erlen,  deren  Standort  zeitweiser  Trockenheit  ausgesetzt  ist, 
gewöhnlich  so  stark  von  Cryptorhynchus  lapathi  und  anderen  Erleninsekten 
befallen,  daß  sie  verkrüppeln  und  mit  der  Zeit  auch  eingehen,  während  in 
gut  stehenden  Erlen  der  Rüsselkäfer  und  die  anderen  stammbewohnenden 
Schädlinge  nur  selten  in  größerer  Zahl  angetroffen  werden. 

Auch  die  Bodenbeschaffenheit  an  und  für  sich  kann  einen  wesent- 
lichen Einfluss  auf  die  Schädlichkeit  eines  Insektes  haben,  insofern,  als 
trockene,  durchlässige  Böden  für  solche  Forstinsekten,  die  im  Boden  über- 
wintern (wie  z.  B.  Kiefernspinner  und  -spanner,  Kieferneule  usw.)  weit 
günstiger  sind  als  feuchte  Böden,  die  vor  allem  der  Vermehrung  der  ver- 
schiedenen insektentötenden  Pilze  Vorschub  leisten. 

Des  weiteren  kommen  in  Betracht  die  Witteriingsverhältnisse,  die  in 
zweierlei  Richtungen  wirken  können:  einmal  dadurch,  daß  sie  die  Ent- 
wicklung und  Vermehrjung  der  Insekten  begünstigen  oder  benachteiligen,  und  so- 
dann dadurch,  daß  sie  auch  die  Widerstandskraft  der  beschädigten  Pflanzen 
erhöhen  oder  vermindern  können.  Es  ist  bereits  oben  erwähnt,  welch  be- 
deutenden Einfluß  die  Temperatur  auf  die  Dauer  der  Entwicklung  haben 
kann,  so  daß  in  sehr  warmen  Jahren  sogar  die  Zahl  der  Generationen  ver- 
mehrt werden  kann,  wie  das  auf  S.  172  erwähnte  Beispiel  von  Ips  typographus 
deutlich  lehrte.  Daß  dadurch  natürlich  die  Schädlichkeit  eines  Insektes 
wesentlich  gesteigert  wird,  ist  ohne  weiteres  klar.  Andererseits  kann  durch 
Witterungseinflüsse  die  Vermehrungsenergie  der  Insekten  auch  herabgesetzt 
werden.  Man  hat  in  dieser  Beziehung  früher  allerdings  etwas  zu  optimistisch 
gedacht,  indem  man  z.  B.  dem  Frost  eine  weit  schädlichere  Wirkung  auf  das 
Insektenleben  zuschrieb,  als  ihm  nach  den  neueren  Untersuchungen,  nach 
denen  manche  Insekten  erstaunliche  Kältegrade  ohne  Schaden  ertragen  können, 
zukommt.  Immerhin  kann  plötzlich  eintretende  starke  Kälte,  und  vor 
allem  öfterer  jäher  Wechsel  von  hohen  und  niederen  Temperaturen 
sehr  ungünstig  auf  die  Vermehrung  der  Insekten  einwirken,  und  dadurch 
also  die  Gefahren  für  den  Forstmann  herabmindern.  —  Der  Einfluß  der 
Witterung  auf  die  Pflanzen  ist  nicht  minder  groß:  so  gehen  manche  durch 
Insekten  beschädigte  Pflanzen,  die  bei  normaler  Witterung  sich  leicht  wieder 
erholt  haben  wüi'den,  in  sehr  kalten  Wintern  (durch  Erfrieren  der  mangel- 
haften verholzten  Triebe)  oder  auch  in  sehr  heißen  Sommern  (durch  Ver- 
trocknen oder  Überhitzung)  zugrunde.  Sehr  heiße  trockene  Sommer  sind 
oft  auch  die  erste  Veranlassung  für  eine  starke  Vermehrung  der  Schädlinge; 
so  hat  das  außergewöhnlich  trockene  Jahr  1911  vielerorts  zu  einer  be- 
ängstigenden Vermehrung  der  Borkenkäfer  geführt,  indem  eben  durch  die 
anhaltende  Trockenheit  der  Saftzuständ  der  Bäume  auf  ein  den  Borkenkäfern 
zusagendes  Maß  gebracht  wurde. 

Ferner  ist  auch  die  Jahreszeit,  in  welcher  die  Schädigung  erfolgt, 
in  Rechnung  zu  ziehen.  Denn  die  Wirkung  eines  Insektenangriffes  kann 
sehr  verschieden  sein,  je  nachdem  derselbe  schon  zeitig  im  Frühjahr 
oder  Vorsommer,  oder  aber  erst  im  Herbst  einsetzt,  wobei  außerdem 
auch  die  einzelnen  Holzarten  sich  ungleich  verhalten.  Bezüglich  des 
Nadel-    oder   Blattfraßes    kann    man   im    allgemeinen    sagen,    daß    für   Nadel- 


218     Kapitel  V.     Die  Insekten  als  natürliche  und  wirtschaftliche  Macht  usw. 

Hölzer  ein  im  Frühjahr  oder  im  ersten  Sommer  erfolgender 
Fraß  schädlicher  ist  als  ein  später  Herbstfraß.  Dies  hängt  wohl 
damit  zusammen,  daß  die  Nadelhölzer  nur  relativ  wenig  Reservestoffe  be- 
sitzen, so  wenig,  daß  sie  allein  nicht  einmal  zur  vollständigen  Ausbildung  der 
neuen  Jahrestriebe  und  Nadeln  ausreichen,  sondern  daß  auch  die  assimi- 
latorische Tätigkeit  der  alten  Nadeln  dazu  notwendig  ist,  um  die  noch  er- 
forderlichen Bildungsstoffe  zu  produzieren.  Ein  Frühjahrs-  oder  früher 
Sommerfraß  trifft  demnach  den  Nadelbaum  meist  zu  einer  Zeit,  in  der  die  Re- 
servevorräte in  den  Zweigen  durch  die  Ausbildung  der  Maitriebe  größten- 
teils erschöpft  sind.  Aus  diesem  Grunde  ist  z.  B.  der  Nonnenfraß,  der  ja  in 
die  Monate  Mai  und  Juni  fällt,  so  sehr  verderblich;  und  daher  entscheidet 
auch  beim  Kiefernspinner  nicht  der  Herbst-,  sondern  der  Frühjahrsfraß, 
zumal  bei  dem  letzteren  häufig  auch  die  Knospen  und  jungen  Triebe  mit 
zerstört  werden.  Beim  Kiefernspannerfraß  werden  solche  Kiefern,  die  noch 
bis  Ende  September  gut  benadelt  waren,  und  erst  im  Oktober  kahl  gefressen 
werden,  im  nächsten  Jahr  wieder  ergrünen  und  sich  erholen,  da  die  Triebe 
und  Knospen  nicht  nur  völlig  ausgebildet  waren,  sondern  auch  schon  einen 
größeren  Vorrat  an  Reservestoffen  abgelagert  enthielten,  vermöge  dessen  im 
nächsten  Frühjahr  neue,  wenn  auch  nur  relativ  kurze  Triebe  entstehen  (Hartig). 
—  Den  Laubhölzern  schadet  ein  Frühjahrsfraß  weit  weniger,  da 
sie  infolge  der  reichlich  vorhandenen  Reservestoffe  auch  nach  völligem  Kahl- 
fraß sich  im  gleichen  Jahre  wieder  begrünen  können.  So  sehen  wir  die 
Wiederbegrünung  der  vom  Eichenwickler  kahl  gefressenen  Eichen  sehr  rasch, 
sogar  unter  Verfrühung  der  Johannistriebe,  erfolgen.^)  Darin  kann  allerdings 
auch  eine  gewisse  Gefahr  liegen,  insofern  als  die  neugebildeten  Blätter  oft 
viel  später  abfallen,  und  dann  zeitig  kommender  Schnee  großen  Schaden  an- 
richten kann.  —  Auch  die  Angriffe  der  Borkenkäfer  und  anderer  rinden- 
minierenden  Insekten  ergeben  ein  verschiedenes  Bild,  je  nach  der  Jahres- 
zeit, in  der  sie  erfolgen.  „Wenn  die  erste  Generation  der  Borkenkäfer  im 
Frühjahr  den  Baum  zur  Zeit  des  aufsteigenden  Saftes  befällt  und  dadurch 
Saftausfluß  und  Hemmung  des  Saftstroms  zur  Krone  verursacht,  so  ist  die 
Wirkung  des  Fraßes,  insbesondere  bei  warmem  Wetter,  rasch  an  der  jungen 
Krone  zu  bemerken,  welche  vergilbt  und  den  Tod  des  Baumes  beim  Nadel- 
holz ankündigt,  während  die  Rinde  fest  bleibt.  Ganz  anders  ist  die  Wirkung 
der  späteren  Generationen  im  Nachsommer:  ihr  Angriff  trifft  den  Baum  in 
der  Periode  des  absteigenden  Saftes,  weshalb  zunächst  keine  Reaktion  von 
Seiten  der  Krone  erfolgt,  die  grün  und  unversehrt  bleibt.  Dagegen  strömt 
der  nahrungsreiche  Saft  aus  den  Bohrlöchern  der  Rinde,  und  es  wird  nun 
die  kambiale  Schichte,  welche  jetzt  im  Zuwachs  und  der  Neubildung  steht, 
nodeiden,  was  den  Abfall  der  Rinde  zur  Folge  haben  kann.  Der  Tod  erfolgt 
in  diesem  Fall  natürlich  viel  langsamer."     (Nüßlin.) 

Von  großer  Bedeutung  für  die  Schädlichkeit  eines  Insekts  sind  ferner 
auch  die  waldbaiilichen  Verhältnisse,    insofern,    als    reine,    gleichalterige 

^)  Prof.  B  o  r  g  m  a  n  n  beobachtete  (nach  persönlicher  Mitteilung)  in  Ebers- 
walde, daß  ein  von  der  Nonne  völlig  kahlgefressener  Buchenunterstand  (unter 
Kiefern)  im  September  wieder  völlig  grün  war,  gleich  als  ob  nichts  passiert  wäre. 


Wirkung  der  Insektenschäden  auf  den  forstlichen  Wirtschaftsbetrieb.        219 

Bestände  im  allgemeinen  einer  Massenvermehrung  von  Schädlingen 
weit  günstiger  sind  und  demgemäß  eine  höhere  Gefahr  bedeuten 
als  die  gemischten  Bestände.  „Solche  Bestände  stellen  gleichsam  künst- 
liche Brutstätten  für  die  Schädlinge  dar".  Mit  vollem  Recht  betont  daher 
Nüßlin,  daß  „in  der  Waldwirtschaft  die  Einführung  der  künsthchen  Ver- 
jüngung und  die  Erziehung  reiner  Bestände  von  gleichem  Alter  im  Sinne  der 
praktischen  Forstinsektenkunde  überall  da  ein  Mißgriff  ist,  wo  die  Natur 
eine  andere  gleichrentable  waldbauliche  Behandlung  gestattet". 

Auch  andere  wirtschaftliche  Maßregeln  können  von  wesendichem 
Einfluß  auf  die  Größe  des  Schadens  sein.  In  welchem  Maße  dies  der  Fall 
sein  kann,  können  wir  z.  B.  daraus  ersehen,  daß  die  Borkenkäfer  in  unseren 
sauber  gehaltenen  Wäldern  unter  normalen  Witterungsverhältnissen  usw. 
kaum  eine  nennenswerte  Gefahr  bedeuten,  während  sie  in  Nordamerika,  wo 
man  noch  kaum  eine  Forstwirtschaft  in  unserem  Sinne,  geschweige  denn  eine 
saubere  Forstwirtschaft  kennt,  die  größten  Verwüstungen  in  den  Wäldern  an- 
richten und  in  manchen  Gegenden  sogar  die  Fortexistenz  der  Wälder  über- 
haupt in  Frage  stellen. 

Endlich  sei  noch  auf  die  geographische  Lage  als  wichtigen  Faktor  bei 
der  Bestimmung  des  Schädlichkeitsgrades  hingewiesen.  Viele  Insekten,  die 
in  gewissen  Lagen  zu  Besorgnissen  Anlaß  geben,  sind  in  anderen  Gegenden 
völlig  harmlos.  So  sind  z.  B.  in  Norwegen  ein  großer  Teil  der  Schädlinge, 
die  bei  uns  sehr  beachtenswert  sind,  ohne  jede  praktische  Bedeutung,  weil 
eben  ihre  Vermehrung  (wohl  infolge  der  klimatischen  Verhältnisse)  in  engeren 
Grenzen  bleibt.  Auch  in  der  vertikalen  Verbreitung  machen  sich  solche 
Unterschiede  deutlich  bemerkbar;  so  braucht  man  z.  B.  in  6 — 700  m  Meeres- 
höhe die  Nonne  wenig  zu  fürchten,  während  sie  vielleicht  nicht  weit  davon 
entfernt,  in  tieferen  Lagen,  arge  Verwüstungen  anrichtet. 

Wirkung  der  Insektenschäden  auf  den  forstlichen 
Wirtschaftsbetrieb. 

Jedes  schädliche  Auftreten  von  Forstinsekten  ist  mit  einer  Störung 
oder  Beeinträchtigung  des  forstlichen  Wirtschaftsbetriebes  verbunden,  einmal 
weil  die  Vorbeugungs-  und  Vertilgungsmaßregeln  Zeitverlust  und 
Kosten  verursachen,  und  sodann,  weil  unter  Umständen  das  ganze  Ein- 
richtungswerk (der  Betriebsplan)  umgestoßen  werden  kann.  Beides 
bedeutet  natürlich  eine  Verminderung  des  Waldertrages,  und  zwar  das 
letztere  Moment  noch  in  weit  höherem  Maße  wie  das  erstere,  besonders 
wenn  die  Notwendigkeit  entsteht,  noch  hiebsunreife  Bestände  einzuschlagen. 
Dagegen  kommt  das,  was  man  in  früheren  Zeiten  als  unangenehme  Folge 
von  ausgedehnten  Insektenkatastrophen  fürchtete,  nämlich  das  Sinken  der 
Holzpreise  durch  Überfüllung  des  Marktes,  heute  kaum  mehr  in  Betracht,  da 
einmal  die  Verkehrsverhältnisse  viel  besser  gestaltet  sind,  und  da  sodann 
auch  der  Holzbedarf  Deutschlands  so  enorm  ist,  daß  er  nicht  annähernd  aus 
unseren  Wäldern  gedeckt  werden  kann.  Hat  man  doch  für  die  vielen 
Spanner-,  Nonnen-  und  Windbruchhölzer,    die  in  den  letzten  Jahren  auf  den 


220      Kapitel  V.     Die  Insekten  als  natürliche  und  wirtschaftliche  Macht  usw. 

Markt  gekommen  sind,  überraschend  gute  Preise  erzielt.  Immerhin  können 
ausgedehnte  Insektenschäden  auch  bezügl.  der  Holzverwertung  erhebliche 
Schwierigkeiten  zur  Folge  haben,  die  hauptsächlich  darin  begründet  sind, 
daß  das  Holz  rechtzeitig  und  rasch  eingeschlagen  werden  muß  und  die  hier- 
zu nötigen  Arbeitskräfte  nicht  immer  so  schnell  zu  beschaffen  sind.  In 
solchen  Fällen  kann  dann  allerdings  eine  Entwertung  des  Holzes  eintreten, 
abgesehen  davon,  daß  dadurch  der  Vermehrung  sekundärer  Insekten  Vor- 
schub geleistet  wird. 

Wo  die  Bestände  nicht  getötet,  sondern  nur  licht  gefressen  werden, 
besteht  der  Schaden  hauptsächlich  darin,  daß  der  Zuwachs  einzelner  Bäume 
oder  ganzer  Bestände  herabgedrückt  wird.  Die  Verminderung  des  Bestand- 
zuwachses kann  durch  Beschädigung  sämtlicher  oder  wenigstens  der  meisten 
der  den  Bestand  bildenden  Bäume  erfolgen,  wie  z.  B.  durch  Nonnenfraß  in 
Kiefernwäldern.  In  solchen  Fällen  ist  der  Schaden  nicht  so  groß,  weil  nach 
wenigen  Jahren  der  volle  Zuwachs  wieder  eintritt.  Die  Bestandszuwachs- 
verminderung kann  aber  auch  dadurch  erfolgen,  daß  eine  größere  oder 
kleinere  Anzahl  von  Einzelbäumen  getötet  wird  (z.  B.  durch  den  Harzrüssel- 
käfer), während  die  anderen  unversehrt  bleiben.  Dann  ist  der  Schaden  weit 
beträchtlicher,  weil  die  Verminderung  der  den  Bestand  bildenden  Bäume  eine 
starke  Verlichtung  zur  Folge  haben  kann,  die  ihrerseits  mit  einer  schädlichen 
Rückwirkung  auf  den  Bodenzustand  verbunden  ist  (Verangerung,  Graswuchs 
usw.);  und  dies  bedeutet  wiederum  eine  Verringerung  des  Gesamtzuwachses 
und  meist  auch  ein  Hindernis  für  die  spätere  Kultur. 

Sehr  störend  im  Wirtschaftsbetrieb  machen  sich  auch  die  Kultur- 
verderber,  vor  allem  der  Rüsselkäfer  und  Engerling  bemerkbar.  Denn  die 
durch  deren  Zerstörungen  fortwährend  notwendig  werdenden  Ausbesserungen 
zum  Ersatz  der  getöteten  Pflanzen  beanspruchen  einen  großen  Aufwand  an 
Zeit,  Arbeitskräften  und  Kosten. 

Endlich  ist  noch  die  Entwertung  des  Holzes  durch  die  technischen 
Schädlinge  in  Betracht  zu  ziehen,  die  natürlich  ebenfalls  an  der  Ver- 
minderung des  Waldertrages  einen  größeren  oder  geringeren  Anteil  haben 
können.  Doch  tritt  dieses  Moment  insofern  sehr  zurück  gegenüber  den  vor- 
hergenannten Störungen  des  Wirtschaftsbetriebes,  als  Gegenmaßnahmen,  wie 
z.  B.  rechtzeitiges  Schälen  der  Hölzer  (bei  X.  Uneatus),  vielfach  unschwer 
durchführbar  sind. 

Literatur. 

Insekten   im   allgemeinen   Naturhaushalt  usw.   (S.   187 — 194). 

Escherich,  K.,  Ameisen  und  Pflanzen,  eine  kritische  Skizze  mit  besonderer 
Berücksichtigung  der  forstlichen  Seite.  Thar.  forstl.  Jahrb.,  Bd.  60,  1909, 
S.  66-96. 

—  Die  angevviindte  Entomologie  in  den  Vereinigten  Staaten.     Berlin  1913. 

Göldi,  E.  A.,  Die  sanitarisch-patholog.  Bedeutung  der  Insekten  usw.     Berlin  1913. 

Kirchner,  O.  von,  Blumen  und  Insekten.     Leipzig  1911. 

Pillips,  C.  F.,  The  Status  of  apiculture  in  the  United  Staates.  Bur.  of  Entern., 
Bull.  Nr.  75,  Fat.  VI.    1909. 

R  a  m  a  n  n,  Bodenkunde.     III.  Aufl.,  Berlin  1912. 

Schneider-Orelli,  O.,  Untersuchungen  über  den  pilzzüchtenden  Obstbaum- 
borkenkäfer Xyhhorus  dispar.    Zentralbl.  f.  Bakt.,  Parasitenkunde  usw.,  Bd.  38 


Literatur.  221 

(1913).     Hierin  findet  sich  die  übrige  Literatur  über  pilzzüchtende  resp.   pilz- 
verbreitende Insekten. 
Sernander,   Rutger,   Entwurf   einer  Monographie   der   europäischen  Myrme- 
cochoren.     Upsala    1906   (Kungl.    Svenska    Vetenskapsakademiens    Handlingar, 
Bd.  41,  Nr.  7). 

Nützliche  und  schädliche    Forstinsekten  usw.  (S.  194 — 220). 

AI  tum,  B.,  Forstzoologie,  IIL  Bd.     Berlin  1875. 

Eckstein,  K.,  Forstliche  Zoologie.     Berlin  1897. 

Hart  ig,  R.,  Lehrbuch  der  Pflanzenkrankheiten,  3.  Aufl.,   1900. 

H  e  s  s,  Der  Forstschutz,  3.  Aufl.    1898. 

Kaltenbach,  J.  H.,  Die  Pflanzenfeinde  aus  der  Klasse  der  Insekten.  Stutt- 
gart 1874. 

K  e  r  n  e  r  von  M  a  r  i  I  a  u  n,   Pflanzenleben,   2.  Aufl.     Leipzig  und   Wien  1896. 

Küster,  Ernst,  Die  Gallen  der  Pflanzen.  Ein  Lehrbuch  für  Botaniker  und 
Entomologen.     Leipzig  1911. 

Nüßlin,  O.,  Leitfaden  der  Forstinsektenkunde,  2.  Aufl.     Berlin  1912. 

R  a  t  z  e  b  u  r  g,  J.  T.  H.,  Die  Forstinsekten.     Berlin  1839—44. 

—  Die  Waldverderbnis  usw.     Berlin  1866 — 68. 

Ross,  H.,  Die  Pflanzengallen  Mittel-  und  Nordeuropas,  ihre  Erreger  und  Biologie. 
Jena  1911. 

Rübsaamen,  Ew.   H.,  Die  Zoocecidien.     I.   Liefer.,  Stuttgart   1911. 


Kapitel  VI. 

Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 


Der  Wald  stellt  eine  Lebensgemeinschaft  dar,  welche  außer  den  ihn 
bildenden  Bäumen  auch  noch  zahlreiche  andere  pflanzliche  und  tierische 
Organismen  umfaßt,  deren  Artenzahl  je  nach  der  Art  des  Waldes  (Laub-, 
Nadelwald,  rein  oder  gemischt)  und  je  nach  seinem  Zustand  und  seiner  geo- 
graphischen Lage  usw.  recht  verschieden  ist.  So  kommen  z.  B.  in  einem 
gemischten  Wald  weit  mehr  Insektenarten  vor,  als  in  einem  reinen  Fichten- 
wald. Doch  können  wir  für  jeden  Wald  mit  bestimmten  Eigenschaften  und 
in  einer  bestimmten  geographischen  Lage  eine  annähernd  bestimmte  Fauna 
oder  Floi-a  voraussetzen,  und  zwar  nicht  nur  bezügl.  der  artlichen  Zusammen- 
setzung, sondern  auch  der  Individuenzahl ;  d.  h.  unter  normalen  Verhältnissen 
wird  in  einem  gegebenen  Wald  auf  die  Flächeneinheit  eine  annähernd  be- 
stimmte Zahl  von  Individuen  der  verschiedenen  Tier-  und  Pflanzenarten  ent- 
fallen („Normalzahl"  oder  „eiserner  Bestand").  Diese  Zahl  ist  je  nach 
den  Lebensbedürfnissen  und  der  Vermehrung  der  einzelnen  Arten,  sowie 
nach  der  Zahl  ihrer  Feinde  usw.  sehr  verschieden,  so  daß  die  einen  Arten 
häufiger,  die  anderen  seltener  vertreten  sind.  So  herrscht  also  zwischen  den 
Mitgliedern  der  Lebensgemeinschaft  ein  gewisses  Zahlen  Verhältnis, 
welches  unter  normalen  Umständen   annähernd  konstant  bleibt. 

Diese  Beständigkeit  der  Fauna  und  Flora  ist  uns  eine  so  alltägliche  und 
gewohnte  Erscheinung,  daß  sie  uns  ganz  selbstverständlich  dünkt.  Sie  ist  aber 
in  Wirklichkeit  keineswegs  so  einfach  zu  erklären.  Wenn  wir  die  vielen  Fak- 
toren (die  zum  Teil  reine  Zufälligkeiten  darzustellen  scheinen)  berücksichtigen, 
durch  deren  Zusammenwirken  die  Beständigkeit  gewährleistet  wird,  so  müssen 
wir  uns  vielmehr  darüber  wundern,  daß  das  Floren-  und  Faunenbild  eine 
verhältnismäßig  so  große  Konstanz  aufweist. 

Schon  die  Art  der  Vermehrung  der  Organismen  scheint  in  einem 
direkten  Gegensatz  zu  jener  Beständigkeit  zu  stehen;  denn  sämtliche  Orga- 
nismen vermehren  sich  in  geometrischer  Progression,  d.  h.  die  In- 
dividuenzahl jeder  folgenden  Generation  stellt  ein  mehrlaches  der  Individuen- 
zahl der  vorhergegangenen  Generation  dar.  Demnach  müßte  die  Zahl  der 
Nachkommen  von  Generation  zu  Generation  eine  Steigerung  erfahren. 
Nehmen  wir  z.  B.  einen  Schmetterling,  der  150  Eier  legt,  so  kann  unter 
günstigen  Umständen  wohl  ein  Drittel  dieser  Eier  im  nächsten  Jahr  Weibchen 
liefern,  die  begattet  werden  und  selbst  wieder  je  150  Eier,  also  im  ganzen 
7500  Eier  legen.    Nehmen  wir  nun  wieder  an,  daß  nur  ein  Drittel  dieser  Eier  (also 


Insektenvertilgung  durch  Witterungseinflüsse.  223 

2500  Stück)  im  darauffolgenden  Jahr  sich  zu  fortpflanzungsfähigen  Weibchen 
entwickeln,  so  beträgt  die  Zahl  der  von  den  Nachkommen  eines  einzigen 
Weibchens  produzierten  Eier  schon  im  zweiten  Jahre  375000  Stück.  Aber 
auch  bei  einer  weit  geringeren  Fortpflanzungsziffer  erreicht  die  Zahl  der 
Nachkommen  bereits  in  relativ  kurzer  Zeit  eine  schwindelnde  Höhe.  „Eine 
Vogelart,  die  5  Jahre  lebt  und  die  in  diesem  Leben  4  mal  je  4  Junge  erbrütet, 
würde  sich  in  bereits  15  Jahren  auf  =  2  Milliarden  vermehren"  (Weismann). 

Da  nun  aber,  wie  oben  betont,  unter  normalen  Bedingungen  keine 
merkliche  Steigerung  der  Individuenzahl  eintritt,  so  muß  also  stets  ein 
großer  Teil  der  Nachkommen  zugrunde  gehen,  resp.  vernichtet 
werden,  und  zwar,  bevor  sie  zur  Fortpflanzung  gelangen.  Es  sind  eine 
ganze  Reihe  von  Faktoren,  welche  sich  in  dieses  Vernichtungswerk  teilen, 
und  so  bewirken,  daß  die  den  Organismen  innewohnende  gewaltige  Ver- 
mehrungsenergie eingedämmt  und  das  „organische  Gleichgewicht"  er- 
halten bleibt. 

Es  kommen  dabei  hauptsächlich  folgende  Momente  in  Betracht: 

1.  Vernichtung  durch  Witterungseinflüsse, 

2.  Vernichtung  durch  die  organische  Umwelt, 

a)  durch  Tiere, 

b)  durch  Pilze, 

c)  durch  Mikroorganismen. 

1.  Insektenvertilgung  durch  Witterungseinflüsse. 

Bezüglich  der  Temperatur  lehren  uns  die  oben  mitgeteilten  Versuche 
Bachmet  jews,  daß  die  Insekten  sehr  große  Schwankungen  ertragen 
und  selbst  hohe  Kältegrade  überstehen  können,  wenn  der  Übergang 
langsam  vor  sich  geht.  Wenn  dagegen  der  Temperaturfall  plötzlich  eintritt, 
dann  können  allerdings  schon  weniger  tiefe  Temperaturen  tödlich  wirken, 
vor  allem  dann,  wenn  die  Insekten  noch  nicht  ihre  Winterquartiere  auf- 
gesucht haben.  Von  solchen  Frostkatastrophen  werden  hauptsächlich  die- 
jenigen Insekten  betroffen,  welche  bis  spät  in  den  Herbst  hinein  ihren  Fraß 
auf  den  Bäumen  ausüben,  wie  die  Raupen  des  Kiefernspinners  und  -Spanners, 
bei  welchen  denn  auch  schon  mehrmals  ein  massenhaftes  Erfrieren  nach  früh 
eintretenden  Frösten  beobachtet  wurde.    (Ratzeburg,  Waldverderber  I,  S.  64.) 

Befinden  sich  die  Insekten  bereits  in  ihren  Winterquartieren  oder  in 
ihren  normalen  Überwinterungsstadien,  so  sind  sie  der  Gefahr  des  Erfrierens 
weit  weniger  ausgesetzt;  ich  erinnere  an  das  Nonnenei,  welches  selbst  bei 
Temperaturen  von  —  SO*'  C.  nicht  zugrunde  geht  oder  an  die  im  Boden  über- 
winternden Tachinentönnchen,  welche  bei  —  20^  noch  lebensfähig  bleiben  usw. 

Eine  sehr  schädliche  Wirkung  können  Temperatureinflüsse  aber  wieder 
erlangen,  wenn  die  überwinternden  Insekten  durch  einige  abnorm  warme  Tage 
vorzeitig  aus  ihrer  Winterruhe  geweckt  oder  zu  früh  zum  Auskriechen  ver- 
anlaßt werden,  indem  dann  bei  Temperaturrückschlägen  viele  derselben  durch 
Erfrieren  zugrunde  gehen. 

Auch  große  Hitze  und  Trockenheit  können  zur  Beschränkung  der 
Insektenvermehrung    beitragen,     worauf    Knoche     hingewiesen    hat.       Nach 


224  Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 

diesem  Autor  vermögen  Temperaturen  von  30 — 40^  C,  wie  sie  in  kahl  oder 
stark  lichtgefressenen  Beständen  in  heißen  Sommertagen  vorkommen  können, 
das  frisch  gelegte  Nonnenei  dermaßen  zu  schädigen,  daß  der  sich  ent- 
wickelnde Embryo  abstirbt,  oder  wenigstens  so  geschwächt  wird,  daß  das 
auskommende  Räupchen  den  geringsten  Unbilden  zum  Opfer  fällt. 

Die  Feuchtigkeit  (Regen)  kann  ebenfalls  als  insektenvernichtender 
Faktor  wirken.  So  können  starke  Platzregen  zur  Flugzeit  der  Schmetterlinge 
eine  große  Menge  derselben  vertilgen  oder  wenigstens  das  Fortpflanzungs- 
geschäft empfindlich  stören;  auch  Raupen  und  Larven  können  dadurch 
massenweise  zugrunde  gehen,  entweder  direkt  (durch  Ertrinken),  oder  auch 
indirekt  (durch  Veränderung  des  Futters  und  darnach  folgende  Krankheiten). 
Auch  starke  Durchfeuchtung  des  Bodens  im  Winter  kann  den  über- 
winternden Larven  und  Puppen  recht  gefährlich  werden,  und  zwar  ebenfalls 
sowohl  direkt  als  auch  indirekt,  durch  Begünstigung  der  Pilzvegetation. 

Endlich  können  auch  noch  starke  Winde  dem  Insektenleben  Verluste 
beibringen,  besonders,  wenn  es  sich  um  Gegenden  handelt,  die  nicht  weit 
von  der  Küste  entfernt  liegen.  Daß  große  Schwärme  von  Insekten  weit  im 
Meer  angetroffen  werden,  ist  garnicht  so  selten;  auch  findet  man  häufig  die 
Küste  bedeckt  mit  angeschwemmten  Insekten,  welche  durch  den  Sturm  aufs 
Meer  verschlagen  wurden  und  dort  den  Tod  fanden.  So  sind  schon  mehr- 
fach große  Flüge  der  Nonne  durch  heftige  Stürme  auf  die  Ostsee  getrieben 
worden  und  daselbst  umgekommen. 

Wir  haben  ja  oben  schon  der  im  Jahre  1856  von  den  Wellen  angespülten 
enormen  Mengen  von  Nonnenfaltern  Erwähnung  getan,  die  die  Kurländische  Küste 
auf  eine  Strecke^  von  70  km  bedeckten.  Auch  an  den  preußischen  Küsten  sind 
1854,  55  und  56  Nonnenfalter  in  unzählbaren  Mengen  vom  Wasser,  mitunter  noch 
lebend,  angetrieben,  bis  fast  nach  Danzig  hinauf,  bei  Labiau  am  kurischen  Haff, 
beim  Seebad  Kranz,  bei  Pillau  und  längs  der  Nehrung.  Ebenso  berichteten  zu 
jener  Zeit  Seefischer,  daß  sie  größere  Schwärme  dieser  Falter  3 — 5  Meilen  vom 
Strande  auf  der  Ostsee  angetroffen  haben,  wobei  Boot  und  Segelzeug  mit  Faltern 
stark  beflogen  waren. 

Als  indirekten  Beweis  dafür,  wie  verderblich  der  Wind  für  fliegende 
Insekten  werden  kann,  können  wir  auch  die  oben  schon  berührte  Er- 
scheinung auffassen,  daß  auf  Inseln  die  Mehrzahl  der  Insekten  die  Flügel 
rückgebildet  haben,  was  zweifellos  eine  Anpassungserscheinung  bedeutet, 
duich  welche  die  Gefahr,  ins  Meer  verweht  zu  werden,  wesentlich 
reduziert  wird. 

2.  Insektenvertilgende  Tiere. 

Diese  spielen  eine  weit  größere  Rolle  für  die  Niederhaltung  der  Forst- 
insekten als  die  Witterungseinflüsse;  ja,  auf  ihre  Tätigkeit  ist  in  erster 
Linie  die  Erhaltung  des  organischen  Gleichgewichtes  zurück- 
zuführen. Es  kommen  dafür  hauptsächlich  in  Betracht  die  Säugetiere, 
Vögel,  Insekten  und  andere  Arthropoden.  Der  Anteil,  welcher  den 
einzelnen  Tieren  bei  der  Eindämmung  der  Schädlingsvermehrung  zukommt, 
ist  sehr  verschieden  je  nach  der  Art  des  Schädlings;  so  spielen  bei  dem 
einen  die  Säugetiere  oder  Vögel,  bei  dem  anderen  die  Raubinsekten  oder 
Parasiten   die  Hauptrolle.     Es  muß  dies  jedenfalls  von  Art  zu  Art  besonders 


Insektenvertilgende  Tiere.  225 

festgestellt  werden,  und  es  ist  durchaus  unstatthaft,  in  diesem  Punkte  ver- 
allgemeinern zu  wollen,  und  z.  B.  etwa  anzunehmen,  daß,  wenn  wir  nur  eine 
genügende  Anzahl  Vögel  in  unseren  Wäldern  hätten,  sämtliche  Forstinsekten 
aus  den  letzteren  verschwinden  würden. 

Leider  sind  wir  heute  noch  recht  ungenügend  über  die  Rolle  der  ver- 
schiedenen insektenvertilgenden  Tiere  (vor  allem  der  Insekten)  im  einzelnen 
unterrichtet,  und  es  wird  eine  der  dringendsten  Aufgaben  der  zukünftigen 
Forschung  sein,  darüber  möglichste  Klarheit  zu  schaffen.  Denn  damit  wird 
sicherlich  in  vielen  Fällen  auch  das  Dunkel,  das  über  die  Entstehung  der 
Insektenkalamitäten  meistenteils  noch  herrscht,  erhellt  werden. 

Im  folgenden  sei  nur  eine  allgemeine  Übersicht  über  die  insekten- 
tötenden Tiere  gegeben,  während  im  speziellen  Teil  bei  der  Besprechung 
der  verschiedenen  Forstschädlinge  noch  näher  im  einzelnen  darauf  ein- 
gegangen wird,  indem  bei  allen  wichtigeren  Schädlingen  die  hauptsächlichsten 
Feinde  genannt  werden. 

a)  Säugetiere. 

Wenn  auch  die  Säugetiere  infolge  ihrer  relativ  geringen  Arten-  und 
Individuenzahl  den  anderen  insektentötenden  Tieren  wesenilich  nachstehen, 
so  bedeuten  sie  doch  im  Kampfe  gegen  gewisse  Schädlinge  eine  nicht  zu 
unterschätzende  Hilfe  für  den  Forstmann. 

Beginnen  wir  mit  den  Fledermäusen  {Chiroptera\  so  stellen  diese  ein 
stattliches  insektenvertilgendes  Heer  dar.  Leben  doch  die  meisten  der 
deutschen  Arten  ausschließlich  von  Insekten,  und  ist  auch  ihr  Nahrungs- 
bedürfnis ein  sehr  großes,  so  daß  z.  B.  durch  ein  Dutzend  Maikäfer  oder 
hundert  Fliegen,  während  einer  Mahlzeit  genossen,  der  Hunger  einer  größeren 
Art  bei  weitem  nicht  gestillt  wird.  Sie  liegen  denn  auch  während  der 
ganzen  Nacht  mit  nur  wenigen,  kurzen  Ruhepausen  der  Jagd  auf  fliegende 
Insekten  ob,  die  sie  in  großer  Zahl  erbeuten.  Diese  Art  der  Jagdausübung 
schließt  auch  fast  vollkommen  aus,  daß  etwa  nützliche  Tiere,  wie  Parasiten- 
larven oder  auch  die  Imagines  von  Parasiten  und  Raubinsekten  vernichtet 
werden,  da  ja  fast  keine  der  letzteren  eine  nächtliche  fliegende  Lebensweise 
besitzen.  So  ist  also  die  Insektenvertilgung  der  Fledermäuse  ziemlich  ein- 
wandfrei, indem  neben  den  völlig  gleichgültigen  fast  nur  schädliche  Insekten 
ihr  zum  Opfer  fallen,  und  wir  können  daher  mit  Recht  „die  Waldfledermäuse 
im  engeren  wie  im  weiteren  Sinne  als  des  Forstmanns  beste  Freunde  und 
Gehilfen"  (AI tum)  bezeichnen.  Wie  sehr  die  Fledermäuse  auch  zur  Er- 
haltung des  organischen  Gleichgewichtes  beitragen  können,  zeigt  ein  von 
AI  tum  berichteter  Fall,  in  dem  nach  Vertreibung  der  Fledermäuse  durch 
Fällen  alter,  zahlreiche  Verstecke  bietender  Eichen  die  Prozessionsspinner- 
gefahr wesentlich  erhöht  wurde.  Die  forstlich  wichtigste  Fledermaus  ist 
zweifellos  unsere  größte  Art,  die  sog.  frühfliegende  Fledermaus 
iVesperugo  noctulä)^  indem  diese  einmal  t3'pische  Waldbewohnerin  ist  und 
sodann  auch  sehr  häufig  vorkommt.  Sie  ist  unersättlich  bei  der  Vertilgung 
der  Maikäfer  und  größerer  und  kleinerer  Nachtschmetterlinge,  z.  B.  der 
Prozessionsspinner,  Eichenwickler  usw.  Ihr  gegenüber  treten  die  anderen 
Escherich,  Forstinsekten.  15 


226  Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 

den  Wald  bewohnenden  oder  wenigstens  besuchenden  Arten,  wie  V.  discolor, 
ptpistrellus,  serotinus,  Leisleri^  murimts  usw.  an  Bedeutung  für  den  Forst- 
mann mehr  oder  weniger  zurück,  wenn  natürlich  auch  durch  sie  fortwährend 
eine  Anzahl  Forstinsekten  vernichtet  wird. 

Aus  der  Ordnung  der  Insektenfresser  (Jtisectivora)  seien  zunächst  die 
Spitzmäuse  genannt,  welche  ebenfalls  einen  nicht  geringen  Anteil  an  der 
Vernichtung  der  Insekten  haben.  Forstlich  am  wichtigsten  ist  die  Wald- 
spitzmaus {Sorex  vulgaris)^  welche  als  Waldbewohnerin  zahlreiche  Larven 
und  Puppen  von  Forstinsekten  verzehrt.  Tauber  fand  im  Magen  einer 
Waldspitzmaus  17  Tipulalarven,  in  anderen  verschiedene  Eulenraupen,  Bibio- 
larven,  Rüsselkäfer  usw.,  und  Borries  berichtet,  daß  er  eine  Menge 
Lophyrus-Kokons  gefunden  habe,  welche  in  ganz  charakteristischer  Weise 
von  Spitzmäusen  geöffnet  und  ausgefressen  waren.  Überaus  wertvoll  als 
Insektenvertilger  ist  ferner  der  Maulwurf  {Talpa  europaeä).  Wenn  auch  für 
gewöhnlich  seine  Hauptnahrung  in  Regenwürmern  besteht,  i)  so  stiftet  er 
doch  in  engerlingi-eichen  Gegenden  großen  Nutzen  durch  massenhaftes  Ver- 
nichten dieser  so  überaus  schädlichen  Larven.  Wie  sehr  der  Maulwurf 
durch  Engerlinge  angezogen  wird,  konnte  ich  deutlich  im  Kammerforst  bei 
Bruchsal  in  Baden  sehen,  wo  in  solchen  Gebieten,  die  vom  Engerling  besetzt 
waren,  eine  Unmenge  Maulwurfshaufen,  einer  dicht  neben  dem  anderen,  vor- 
handen waren,  während  in  benachbarten  engerlingfreien  Gebieten  die  Haufen 
fast  völlig  fehlten.  Daß  auch  der  Igel  (Erinaceus  europaeus)  sich  an  der 
Insektenvertilgung  beteiligt,  ist  ja  allbekannt.  Magenuntersuchungen  ergaben 
die  Reste  von  großen  und  kleinen  Laufkäfern,  Rüsselkäfern,  Blattflöhen, 
Ameisen,  Ohrwürmern  usw. 

Auch  Mitglieder  der  Ordnung  der  Raubtiere  {Carnivora)  nehmen  ge- 
legentlich oder  auch  als  Hauptnahrung  Insekten  zu  sich.  Dem  Waidmann 
am  bekanntesten  ist  dieses  vom  Fuchs,  in  dessen  Losung  sich  sehr  häufig 
die  unverdauten  Reste  aller  möglichen  Insekten  finden.  Forstlich  bemerkens- 
wert in  dieser  Beziehung  ist  eine  Notiz  aus  Lieberose  in  der  Lausitz,  nach 
welcher  in  den  dortigen  Kiefernwäldern  gelegentlich  eines  Spinnerfraßes  die 
Losung  des  Fuchses  voll  von  Eiern  der  Schmetteilinge  gefunden  wurde, 
welche  er  verzehrt  hatte  (Wagner,  Tharandter  Jahrb.,  23.  Band);  dasselbe 
berichtet  AI  tum  aus  Ebers  walde,  und  die  Tharandter  Sammlung  besitzt  eine 
Fuchslosung  aus  einem  bayerischen  Nonnenrevier,  die  mit  Resten  von 
Nonnenfaltern  und  -eiern  durchsetzt  ist.  Ähnliches  gilt  vom  Dachs,  dessen 
Exkremente  nach  AI  tum  stets  eine  Menge  Käferfragmente,  besonders  der 
großen  Geotrup es- Arten  enthalten;  nach  Boas  wird  der  Dachsmagen  häufig 
auch  mit  Engerlingen  angefüllt  gefunden. 

Von  den  Nagern  (i?0(^^«//«)  kommen  als  Insektenfresser  das  Eichhorn, 
der  Gartenschläfer   und   verschiedene    Mäuse    in   Betracht.     Nach  AI  tum 

1)  C  r  i  s  p  fand  (nach  Tauber)  in  mehr  als  1000  Mägen  des  Maulwurfs  fast 
ausschließlich  Regenwürmer  und  Boas  berichtet  von  einem  Wintervorrat  in  einer 
Maulwurfswohnung,  der  neben  1280  Regenwürmern  (41/4  Pfund!)  nur  18  Enger- 
linge enthielt.  Tauber  untersuchte  50  Mägen  und  fand  in  allen  Regenwürmer, 
nur  11  enthielten  außerdem  noch  Schmetterlingspuppen,  Käferlarven  (Elateriden, 
Phyllopertha,  Carabiden,  Staphyliniden),  Ohrwürmer,  Eulenraupen,  Tipula-  und 
5/6/o-Larven. 


Insektenvertilgende  Tiere.  227 

findet  man  bisweilen  im  Frühjahr  den  Magen  des  Eichhörnchens  mit  den 
Resten  des  Maikäfers  angefüllt,  und  E.  Jordan  fand  bei. mehreren  im  Erz- 
gebirge zur  Fraßzeit  von  Lyda  hypotrophica  erlegten  Exemplaren  den  Magen 
bis  zum  Bersten  mit  den  Larven  dieser  Blattwespe  vollgestopft  (Deutsche 
Jäger-Zeitung,  44.  Bd.,  1904,  S.  26);  derselbe  beobachtete  ferner,  wie  die 
Eichhörnchen  bei  Eichenwicklerkalamitäten  die  Raupen  des  Eichenwicklers 
systematisch  aus  ihren  Gespinsten  herausholten  und  verzehrten.  Von  den 
Mäusen  werden  vor  allem  Mus  silvaticus  und  Arvicola  arvalis  als  Vertilger 
von  Forstinsekten,  spez.  von  Lophyrus-K.okor\?,  genannt. 

Als  ein  wichtiges  Gegengewicht  gegen  die  in  der  Erde  lebenden  oder 
überwinternden  Insekten  ist  schließlich  noch  ein  Tier  aus  der  Ordnung  der 
Paarzeher  {Artiodactyla)  zu  nennen,  nämlich  das  sonst  so  schädliche  Wild- 
schwein. Drei  der  wichtigsten  Forstinsekten,  Engerling,  Kiefernspanner 
und  -Eule  werden  vom  Schwarzwald  wesentlich  in  ihrer  Vermehrung  be- 
schränkt. Auch  die  halbwüchsig  überwinternden  Raupen  des  Kiefernspinners 
werden  von  ihm  verzehrt,  oder  jedenfalls  durch  das  Brechen  der  Sauen 
empfindlich  gestört,  herausgewühlt,  verschüttet  und  zertreten.  Wagner  be- 
richtet aus  Lieberose,  daß  die  Wildschweine  auch  die  Schmetterlinge  des 
Spinners  verzehrten ;  es  wurden  Sauen  beobachtet,  die  sogar  mit  den  Vorder- 
läufen sich  an  den  Bäumen  aufrichteten,  um  der  Schmetterlinge  habhaft 
zu  werden. 

b)  Vögel. 

Viel  allgemeiner  bekannt  als  die  insektenvertilgende  Rolle  der  Säuge- 
tiere ist  der  Nutzen,  welche  die  Vögel  der  Garten-,  Land-  und  Forstwirt- 
schaft durch  Vernichtung  schädlicher  Insekten  bringen.  Bei  der  großen 
Arten-  und  Individuenzahl  der  Vögel  und  bei  ihrer  offenen  Lebensweise,  die 
dem  Gärtner,  Land-  und  Forstwirt  die  Insektenvertilgung  täglich  gewisser- 
maßen ad  oculos  demonstriert,  ist  dies  ohne  weiteres  verständlich.  Dazu 
kommt,  daß  die  Vögel  infolge  ihres  Gesanges,  ihrer  Brutpflege  usw.  dem 
Empfinden  des  Menschen  besonders  nahestehen  und  daher  von  jeher  auch 
seine  besondere  Aufmerksamkeit  erregt  haben. 

Daß  die  Vögel  einen  gewaltigen  Faktor  in  der  Dezimierung  der  über- 
schüssigen Nachkommen  der  Insekten  spielen  müssen,  läßt  sich  einmal  schon 
aus  der  großen  Zahl  der  insektenfressenden  Vögel  ableiten  und  so- 
dann auch  aus  ihrem  starken  Nahrungsbedürfnis.  Wie  groß  letzteres 
ist,  darüber  geben  uns  die  Versuche,  die  Rörig  in  den  Flugkäfigen  der 
Biologischen  Reichsanstalt  in  Dahlem  vorgenommen  hat,  einigen  Aufschluß: 
2  Kohlmeisen  verzehrten  zusammen  von  6  Uhr  morgens  bis  7  Uhr  abends 
187  Puppen  des  Weiden-  und  Ringelspinners;  3  Blau-  und  3  Tannenmeisen 
zusammen  täglich  eine  zeitlang  9500 — 10000  Eier  des  Kiefern-  und  Prozessions- 
spinners; 3  Sumpfmeisen,  1  Tannenmeise,  1  Schwanzmeise  und  3  Gold- 
hähnchen brauchten  zur  Verzehrung  von  600  Kiefernspannerraupen  etwas 
mehr  als  1^/2  Stunde;  dieselben  Vögel  verzehrten  von  „vormittags  ^/.jll  Uhr 
bis  zum  Abend  1096  und  an  einem  ganzen  Tag  1876  Raupen.  Außer  diesen 
Ergebnissen   liefern    auch    die   oft   überraschend  großen  Zahlen,    die    bei    den 

15* 


228  Kapitel  \^.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 

Magenuntersuchungen  zutage  gefördert  werden,   deutliche  Beweise  dafür,  wie 
groß  das  Nahrungsbedürfnis  der  Vögel  im  allgemeinen  ist. 

Es  steht  also  fest,  daß  enorme  Mengen  von  Insekten  durch  die  Vögel 
vernichtet  werden.  Doch  diese  Erkenntnis  allein  kann  dem  Forstentomologen 
nicht  genügen;  er  muß  vielmehr  auch  wissen,  welcher  Art  die  Insekten, 
die  den  Vögeln  zum  Opfer  fallen,  sind:  handelt  es  sich  in  der  Haupt- 
sache um  forstlich  völlig  gleichgültige  Insekten,  so  hat  die  Tätigkeit  der 
Vögel  für  den  Forstentomologen  nur  wenig  Wert;  oder  werden  gar  nützliche 
Insekten  von  den  Vögeln  getötet,  so  muß  ihre  Tätigkeit  geradezu  als  schädlich 
bezeichnet  werden.  Nur  wenn  wirklich  forstlich  schädliche  Insekten  in  merk- 
licher Anzahl  von  den  Vögeln  verzehrt  werden,  bedeuten  letztere  eine  Hilfe 
für  den  Forstmann.  Diese  Frage  stellt  geradezu  die  Grundlage  des  ganzen 
Vogelproblems  dar,  und  es  ist  daher  notwendig,  daß  die  wissenschaftliche 
Erforschung  hier  einsetzt. 

Es  ist  in  dieser  Beziehung  auch  schon  viel  geschehen,  wie  vor  allem 
aus  der  großen  Menge  der  vorgenommenen  Magenuntersuchungen,  die 
uns  ja  am  besten  Auskunft  über  die  verzehrten  Insekten  geben,  hervorgeht. 
Da  diese  Untersuchungen  außerdem  vielfach  auch  noch  Ergänzungen  durch 
direkte  Beobachtungen  erfahren  haben,  so  sind  wir  heute  über  die  Er- 
nährungsart, resp.  den  Speisezettel  der  wichtigsten  der  unsere  Wälder  be- 
völkernden Vögel  recht  gut  unterrichtet.^) 

Wir  wollen  mit  dem  Kuckuck  beginnen,  der  in  bezug  auf  die  forsdiche 
Bedeutung  ohne  Zweifel  in  die  erste  Reihe  zu  stellen  ist.  Es  sind  haupt- 
sächlich zwei  Eigenschaften,  welche  dem  Kuckuck  diesen  Ehrenplatz  sichern: 
einmal  die  aus  dem  Brutparasitismus  sich  ergebende  örtliche  Ungebundenheit, 
die  es  ihm  ermöglicht,  stets  dahin  zu  ziehen,  wo  große  Raupenansammlungen 
usw.  vorhanden  sind,  und  sodann  seine  eigenartige  Geschmacksrichtung,  die 
ihn  neben  anderen  vor  allem  solche  Insekten  fressen  läßt,  welche  von  den 
meisten  anderen  Vögeln  nur  ungern  genommen  oder  gänzlich  gemieden 
werden,  nämlich  besonders  die  haarigen  Raupen  (wie  die  Prozessions- 
spinner-, Nonnen-,  Kiefernspinner-,  Goldafter-,  Schwammspinnerraupen  usw.), 
ferner  die  Blattwespenlarven  {Cimbex,  Lophyrus,  Lyda)  und  die  Larven  ge- 
wisser Blattkäfer  usw.,  —  Insekten,  die  teilweise  zu  den  schlimmsten  Forst- 
schädlingen gehören. 

Um  über  die  Qualität  und  die  Quantität  der  Kuckucksnahrung  einen  Begriff 
zu  geben,  seien  hier  einige  Magenbefunde  mitgeteilt.  In  je  1  Kuckucksmagen  be- 
fanden sich: 

88  halbwüchsige  Raupen  des  Eichenprozessionsspinners, 

97  zweidrittelwüchsige  Raupen  des  Eichenprozessionsspinners, 
43  erwachsene  Raupen  des  Eichenprozessionsspinners, 

98  Raupen  des  Eichengoldafters  {Euproctis  chrysorrhoea), 
60  Raupen  des  Eichengoldafters,  zusammen  mit  Maikäfern, 
50  Raupen  des  hellen  Goldafters  [Porthesia  similis), 

49  Raupen  des  Schwammspinners, 
17  Raupen  und  1  Puppe  der  Nonne, 

^)  Vergl.  hierzu'  Baer,  W.,  Die  Bedeutung  der  insektenfressenden  Vögel  für 
die  Forstwirtschaft  („Aus  der  Natur"  1913),  worauf  in  den  folgenden  Ausführungen 
mehrfach  Bezug  genommen  ist. 


Insektenvertilgende  Tiere.  229 

0  Raupen  und  10  Puppen  der  Nonne, 
J73  junge  Raupen  des  Ringelspinners, 
63  flügellose  Weibchen   des   Schlehenspinners  iOrgyia  antiqua),    darunter   5  mit 

den  noch  anhängenden  begattenden  Männchen, 
110  Raupen  des  Eichenwicklers,  zusammen  mit  10  Maikäfern, 
52  erwachsene  Larven  von  Lyda  hypotrophica, 
18  fast  erwachsene  Raupen  des  Kiefernspinners, 
20 — 30  erwachsene  Raupen  des  Wollafters  {Bomb,  lanestris). 

Außerdem  wurden  durch  die  Magenuntersuchungen  zutage  gefördert:  Raupen 
des  Kiefernschwärmers  in  allen  Größen,  des  Trauermantels,  Eichenspinners 
(Z,.  quercus),  von  Agrotis  Arten  (bis  16  Stück  in  einem  Magen),  ferner  von  Cossus, 
Hybernia  defoliaria,  des  weiteren  Larven  von  Hemichroa  alm\  Junikäfer  {Rhisotrogus 
solstitialis),  Walker  (Polyphylla  fullo),  Saperda  carcharias,  Drahtwürmer,  und  sehr 
häufig  endlich  die  Maulwurfsgrille. 

Geht  schon  aus  diesen  Magenuntersuchungen  hervor,  daß  der  Kuckuck  in 
der  Hauptsache  schädliche  Forstinsekten,  und  zwar  in  großer  Menge,  frißt,  und 
sich  daher  forstlich  sehr  nützlich  macht,  so  zeigen  uns  auch  noch  eine  Anzahl 
direkter  Beobachtungen,  wie  sehr  der  Kuckuck  zur  Verminderung  der 
Raupenplagen  usw.  beitragen  kann.  Ein  drastisches  Beispiel  hierfür  berichtet 
AI  tum:  In  einem  isolierten  Kiefernstangenholz  in  Pommern  hatte  sich  die  Nonne 
mehrere  Jahre  hindurch  immer  bedrohlicher  vermehrt,  so  daß  hier  ein  schlimmer 
Ansteckungsherd  für  die  Umgebung  zu  entstehen  drohte.  Als  die  Raupen  ziemlich 
erwachsen  waren,  sammelten  sich  in  kurzer  Zeit  etwa  100  Kuckucke  an,  deren  Zahl 
trotz  Abschuß  von  57  Stück  (zum  Zweck  von  Magenuntersuchungen)  infolge  neuen 
Zuzuges  nicht  abnahm.  Nach  ca.  zwei  Wochen  verschwanden  sie  wiederum,  und 
—  der  Nonnenherd  war,  wie  die  Folge  lehrte,  vollständig  gesäubert.  —  Eine  ähn- 
liche Erfahrung  machte  AI  tum  mit  dem  Schwammspinner:  Einst  wandte 
sich  ein  Weidenzüchter  an  AI  tum  mit  der  Bitte  um  Abhilfe  gegen  den  genannten 
Schädling,  der  seine  Heger  bereits  teilweise  kahlgefressen  hatte.  Noch  bevor  der 
Notschrei  beantwortet  war,  hatte  sich  eine  Menge  Kuckucke  eingefunden,  die  in 
kurzer  Zeit  der  Plage  ein  Ende  machten.  Auch  den  Schwammspinnerkalamitäten 
in  Ungarn  erwies  sich  der  Kuckuck  meist  als  der  weitaus  wichtigste  Gegner. 
Ebenso  wurde  manche  beginnende  Massenvermehrung  des  Eichenprozes- 
sion sspinners  und  des  Kiefernspinners  nach  A  1 1  u  m  durch  die  zahl- 
reich zuwandernden  Kuckucke  im  Keime  erstickt.  Ähnliche  Berichte  liegen  über 
die  eindämmende  Wirkung  des  Kuckucks  bei  Massenvermehrungen  der  verschie- 
denen Blattwespen,  vor  allem  Lyda  und  Lophyrus  vor,  —  so  daß  wir  also  dem 
Kuckuck  jedenfalls  eine  sehr  bedeutende  Rolle  bei  der  Niederhaltung  der  Ver- 
mehrung unserer  wichtigsten  Forstschädlinge  zuschreiben  müssen.  — 

Dem  Kuckuck  am  nächsten  bezügl.  der  Nahrung  kommt  der  Pirol 
{Orioliis  galbuld),  indem  derselbe  ebenfalls  ein  ausgesprochener  Liebhaber 
von  behaarten  Raupen  ist;  vor  allem  scheint  er  Ringel-  und  Kiefernspinner- 
raupen  zu  lieben,  doch  auch  in  Nonnenrevieren  hat  man  schon  größere 
Ansammlungen  des  schönen  Vogels  gesehen.  Er  macht  sich  außerdem  auch 
als  ständiger  Bekämpfer  des  Maikäfers  und  des  Eichenwicklers  dem  Forst- 
nianne  nützlich. 

Eine  hervorragende  Stellung  unter  den  insektenfressenden  Vögeln 
nimmt  der  Star  {Sturniis  vulgaris)  ein;  denn  einmal  hat  er  einen  sehr 
großen  reichhaltigen  Speisezettel,  der  auch  behaarte  Raupen  und  übel 
schmeckende  Blattwespenlarven  mit  einschließt,  und  sodann  ist  er  sehr  häufig 
und  tritt  meist  in  großen  Schwärmen  auf.  Dazu  kommt,  daß  ihn  der  Wirt- 
schafter sozusagen  in  der  Hand  hat,  indem  er  ihn  durch  Anbringen  einer 
entsprechenden  Zahl   von  Nistkästen  beinahe  überallhin  ziehen  kann,   wo  er 


230  Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 

ihn  braucht.  Mit  wenigen  Ausnahmen,  die  reine  Spezialitäten  des  Kuckucks 
sind  (wie  z.  B.  Goldafterraupen),  nimmt  der  Star  so  ziemlich  alle  Forst- 
schädlinge, die  ihm  vor  den  Schnabel  kommen,  zu  sich,  seien  es  im  Boden 
lebende  Engerlinge,  Drahtwürmer,  Schnakenlarven  oder  Eidraupen,  oder 
seien  es  Maikäfer,  Rüsselkäfer,  Nonnenraupen,  oder  andere  Spinner,  oder 
Eichenwickler  usw.  Bei  großen  Nonnenkalamitäten  sammelt  er  sich  oft  in 
ungeheuren  Schwärmen  in  den  befallenen  Revieren  an,  und  räumt  dann  ge- 
hörig unter  den  Raupen,  Puppen  oder  Faltern  auf. 

Unter  den  rabenartigen  Vögeln  {Corvidae)  besitzen  die  Krähen 
CNebel-,  Saat-  und  Rabenkrähen)  bezügl.  der  Insektenvertilgung  eine  gewisse 
Ähnlichkeit  mit  dem  Star.  Gleich  diesem  sind  sie  wenig  wählerisch  in  der 
Nahrung  und  gleich  ihm  treten  sie  auch  in  größeren  Gesellschaften  oder 
Scharen  auf.  Wie  der  Star  bilden  die  Krähen  ein  ständiges  Gegengewicht 
gegen  die  Engerlinge,  Drahtwürmer  und  die  anderen  in  der  Erde  lebenden 
Larven,  und  ebenso  erscheinen  sie  auch  bei  Nonnen-,  Kiefernspinner-,  Eichen- 
wickler- und  Maikäferkalamitäten  usw.  auf  dem  Schauplatz,  um  tatkräftig  an 
der  Vertilgung  dieser  Schädlinge  teilzunehmen. 

Nach  Alt  um  haben  Saatkrähen  dur(!h  Vertilgung  großer  Mengen  Kiefern- 
spinnerkokons  in  zwei  Fällen  dem  preußischen  Staat  namhafte  Summen  erspart,  in 
dem  einen  mindestens  5000  M.  —  Magenuntersuchungen,  die  hauptsächlich  an  Raben 
und  Nebelkrähen  durch  Rörig  und  andere  vorgenommen  wurden,  förderten  den 
verschiedensten  Inhalt  zutage;  so  fand  sich  z.  B.  in  je  einem  Magen  294  Zangen 
des  Ohrwurms,  50  Nonnenraupen,  30  Nonnenpuppen,  19  Maikäfer,  ferner  wurde 
häufig  in  den  Mägen  angetroffen  Rhisotrogits,  Phyllopertha,  Schnell-  und  Rüssel- 
käfer {Hylobius,  Otiorhynchus),  ferner  Puppen  des  Kiefernspinners  und  eierstrotzende 
Nonnen-  und  Schwammspinnerweibchen. 

Der  ebenfalls  zu  den  Corviden  gehörende  Eichelhäher  steht  in 
einem  gewissen  Gegensatz  zu  den  Krähen,  insofern,  als  er  den  Sommer  über 
ein  stilles  und  einsames  Leben  führt  und  durch  sein  ständiges  Vertilgen  der 
einzelnen  auf  den  Bäumen  lebenden  Insekten  mehr  vorbeugend  als  kalamitäten- 
lindernd wirkt.  Wie  mannigfaltig  seine  Nahrung  ist,  lehren  wiederum  die 
Magenuntersuchungen^  welche  die  bunteste  Insektensammlung  lieferten. 

„Da  stößt  man  auf  die  beerenartigen  Weibchen  der  Fichtenschildlaus  (Lee. 
hemicryphum),  Buchen-  und  Eichenblattgallen  (Hornomyia  fagi  und  Neuroterus 
ttumismalis),  ausgehöhlte  Fichtennadeln  mit  den  darin  befindlichen  Räupchen  von 
Graph,  tedella,  Raupen,  Puppen  und  eierstrotzende  Weibchen  des  Kiefern- 
schwärmers, die  Raupen  des  Mondvogels,  von  Agrotis  und  anderen  Eulen, 
Ameisen,  Lophyrus-Kokons,  Schnell-  und  Rüsselkäfer,  besonders  Hylobius.  Ein 
Magen  fand  sich  bis  zum  Bersten  gefüllt  mit  den  geflügelten  Weibchen  der  Holz- 
ameise iCamponotus),  ein  anderer  enthielt  40  Stück  der  Eichenblätter  abfressenden 
Raupen  von  Brachionycha  sphinx^  weitere  Puppen  von  Tortrix  murinana  und  be- 
sonders Raupen  des  Kiefernspanners,  von  letzterem  bis  zu  47  Stück.  Eine  be- 
sondere Eigenheit  des  Eichelhähers  ist,  im  Winter  die  Eierringel  des  Ringelspinners 
samt  dem  Zweigstück,  an  dem  sie  sitzen,  auszubrechen  und  im  ganzen  zu  ver- 
schlingen. Nicht  nur  aus  wiederholten  Funden  ist  dies  zu  schließen,  sondern  es  ist 
auch  direkt  beobachtet  worden.  Daß  es  sich  dabei  um  ein  wirkUches  planmäßiges 
Absammeln  handelt,  geht  daraus  hervor,  daß  ein  Kropf  bis  zum  Bersten  mit  solchen 
Bruchstücken  angefüllt  war."     (W.  Baer.) 

Unter  den  Kleinvögeln  nehmen  die  Meisen  {Paridae)  im  weiteren  Sinne 
(also  inklusive  Goldhähnchen,    Spechtmeise   und  Baumläufer)  die  erste  Stelle 


Insekten  vertilgende  Tiere.  231 

ein,  ja  sie  gehören  neben  dem  Kuckuck  und  Star  entschieden  zu  den  forstlich 
nützlichsten  Vögeln  überhaupt.  Verschiedene  Momente  begründen  diese 
hervorragende  Nützlichkeit:  Die  Meisen  sind  immer  in  großer  Anzahl  im 
Wald  vorhanden,  indem  ihre  bedeutende  Fruchtbarkeit  stets  reichlich  die 
Lücken  ergänzt,  die  ein  ungünstiger  Winter  in  ihre  Reihen  gebracht  hat. 
Besonders  wichtig  ist  ferner,  daß  sie  nicht  fortziehen,  sondern  im  Sommer 
und  Winter  ununterbrochen  ihre  nützliche  Arbeit  verrichten.  Ihre  geringe 
Größe,  dabei  ihre  außerordentliche  Geschicklichkeit  im  Klettern  gestatten 
ihnen,  auch  die  kleinsten  Ästchen  nach  Eiern,  Puppen  und  Larven  ab- 
zusuchen; was  sie  an  dem  einen  Tage  nicht  finden,  das  verzehren  sie  an 
dem  anderen,  denn  in  größeren  und  kleineren  Gesellschaften  bejagen  sie 
regelmäßig  wiederkehrend  ihre  Reviere.  Dabei  verteilen  sie  sich  auf  die 
verschiedensten  Insekten,  indem  die  einzelnen  Arten  auf  verschiedene  Holz- 
gruppen und  Höhen  besonders  angewiesen  sind.  Sie  stellen  also  gewisser- 
maßen eine  über  den  ganzen  Wald  ausgebreitete  Polizei  dar,  welche  mit 
großer  Beständigkeit  an  der  Entfernung  überschüssigen  Insektenlebens 
arbeitet  und  so  in  eminentem  Maße  als  vermehrungsbeschränkender  und 
kalamitätenvorbeugender  Faktor  wirkt.  In  deutlicher  Weise  können  wir  dies 
in  den  Eichenwaldungen  der  Umgebung  der  berühmten  Vogelschutzstation 
des  Freiherrn  von  Berlepsch  ersehen,  die  infolge  der  zahlreichen  dort  an- 
gesiedelten Meisen  unter  dem  Eichenwickler  garnicht  zu  leiden  haben, 
während  die  unweit  davon  gelegenen  Wälder,  in  denen  nichts  für  die  Ver- 
mehrung der  Meisen  geschehen  ist,  von  dem  genannten  Schmetterling  bereits 
wiederholt  kahl  gefressen  wurden.  Auch  da,  wo  eine  Massenvermehrung 
stattgefunden  hat,  helfen  sie  an  deren  Bekämpfung  mit;  so  berichtet  Rörig, 
daß  in  einem  Nonnenrevier  große  Meisenschwärme  erschienen  sind,  welche 
die  Stämme  nach  den  unter  den  Rindenschuppen  abgelegten  Nonneneiern 
absuchten,  wobei  es  so  lebhaft  zuging,  daß  ein  eigenartiges  Geräusch  den 
Wald  erfüllte.  Und  bei  einer  vor  kurzem  in  Oberbayern  eingetretenen 
Kiefernblattwespenkalamität  scheinen  die  Meisen  im  Verein  mit  Spechten 
und  Staren  das  Ende  des  Fraßes  herbeigeführt  zu  haben.  Man  sah  die 
Meisen  in  auffallender  Zahl  den  ganzen  Winter  über  den  in  den  Rindenritzen 
befindlichen  Kokons  der  genannten  Wespe  nachstellen,  so  daß  die  Stämme 
infolge  der  Säuberung  bald  „wie  gerötet"  erschienen,  und  es  fand  dann  auch 
im  folgenden  Sommer  kein  weiterer  Fraß  statt  (Deutsche  Forstzeitung  1906, 
S.  422).  Die  Nahrung  der  Meisen  ist  eine  sehr  vielseitige:  außer  den  ge- 
nannten Insekten  werden  von  ihnen  gefressen  die  Eier  des  Schwamm-  und 
Ringelspinners,  die  Puppen  der  Nonne,  des  Kiefernspinners,  Prozessions- 
spinners und  vieler  anderer  Spinner,  ferner  die  ungeflügelten  Weibchen  des 
Frostspanners,  die  Räupchen  der  verschiedenen  Kleinschmetterlinge,  wie  der 
Lärchenminiermotte,  des  Kieferntriebwicklers,  der  Fichtennadelminierer,  der 
Tannenwickler  (es  wurden  einmal  122  Räupchen  von  Tortrix  rufimitrana  im 
Magen  einer  Tannenmeise  gefunden),  des  Eichenwicklers  usw.,  ferner  Blatt- 
läuse, Schildläuse,  Erdflöhe,  Rüsselkäfer,  Borkenkäfer  usw. 

Auch  die  Würger    {Laniidae)^    die    in  Deutschland    durch  4  Arten   ver- 
treten sind,  gehören  zu  den  Vertilgern  schädliche]  Insekten.     Sie  durchsuchen 


232  Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 

nicht  das  Gezweige  wie  die  eben  besprochenen  Vögel,  sondern  machen, 
gleich  Raubvögeln  von  Spähsitzen  aus,  ihre  Jagd  auf  Insekten.  Es  sind  da- 
her auch  meist  andere  Tiere,  als  die  eben  genannten,  die  ihnen  zur  Beute 
fallen,  wie  Laufkäfer,  Mai-  und  Junikäfer,  Schnell-  und  Rüsselkäfer,  Laub- 
und Feldheuschrecken,  und  mitunter  auch  Hummeln  und  Wespen.  Bei 
Lantus  collurio  fanden  sich  im  Magen  auch  Saperda  popiihtea^  ausnahms- 
weise auch  Engerlinge  und  Cossws-Raupen. 

Die  Drosseln  {Turdidae)  und  ihre  Verwandten  (Nachtigall,  Rotkehlchen, 
Rotschwänzchen)  machen  sich  hauptsächlich  durch  das  Verzehren  der  unter 
der  Laub-  und  Moosdecke  des  Waldes  lebenden  Insekten  wie  der  Spanner- 
und Eulenpuppen,  Weichkäfer-  und  Schneckenlarven,  Drahtwürmer  usw. 
forstlich  nützlich. 

Die  Grasmücken  {Syliidae)  und  ihre  Verwandten  (Laubvögel),  sind 
ebenfalls  eifrige  Insektenvertilger,  halten  sich  aber  im  Gegensatz  zu  den 
vorigen  mehr  an  die  im  Dickicht  oder  auf  Bäumen  lebenden  Insekten,  wie 
vor  allem  Spanner  und  Kleinschmetterlingsraupen.  Ein  besonderes  Lob 
unter  ihnen  verdient  nach  AI  tum  der  Weidenlaubsänger  {Phylloscopits  rnfus), 
der  allen  Wicklern  und  Spannerraupen  bis  in  die  Gipfel  der  Eichen  und 
Kiefern  so  emsig  nachstellt,  wie  wohl  keiner  seiner  Verwandten. 

Auch  die  Bachstelzen  {Motacillidae)  beteiligen  sich,  wenn  sie  auch  keine 
eigentlichen  Waldbewohner  sind,  an  der  Vernichtung  von  Forstschädlingen. 
So  vertilgen  sie  auf  den  Schlägen  und  an  den  Waldrändern  eine  Menge  In- 
sekten, sie  suchen  ferner  emsig  die  Meterstöße  ab,  namentlich  im  warmen 
Sonnenschein,  wenn  Borkenkäfer  usw.  gern  fliegen. 

Unter  den  Piepern  {Anthus)  und  den  Lerchen  {Alauda)  erlangen  nur 
der  Baumpieper  und  die  Heidelerche  einige  forstliche  Bedeutung;  sie  ver- 
tilgen alle  möglichen  Insekten,  wie  Grashüpfer,  kleine  Rüssel-  und  Schnell- 
käfer, Eulenraupen  usw. 

Die  Finkenvögel  {FringUlidae)  machen  sich,  wenngleich  sie  in  erster 
Linie  Körnerfresser  sind,  ebenfalls  forstlich  nützlich.  Einmal  nehmen  sie  ja 
in  ihrer  Jugend  fast  ausschließlich  Insektennahrung  zu  sich,  und  sodann 
lassen  sich  auch  die  alten  Vögel  durch  überreich  sich  darbietende  Insekten- 
nahrung dazu  veranlassen,  zeitweilig  wieder  ganz  den  Insekten  sich  zuzu- 
wenden. Ihre  Bedeutung  besteht  daher  weniger  darin,  daß  sie,  wie  das  von 
den  Meisen  in  so  hervorragendem  Maße  gilt,  ein  beständiges  Gegengewicht 
gegen  die  Übervermehrung  der  Insekten  bilden,  als  vielmehr  darin,  daß  sie 
bei  ausgebrochenen  Kalamitäten  an  deren  Bekämpfung  sich  beteiligen.  Es 
ist  vor  allem  der  Buchfink,  der  infolge  seiner  Häufigkeit  und  seiner  Eigen- 
schaft als  Waldvogel  forsdich  in  Betracht  kommt,  worüber  eine  Reihe  von 
Berichten  vorliegen:  So  sah  Rörig  große  Finkenschwärme  in  Nonnen- 
revieren einfallen,  wo  sie,  wie  die  Magenuntersuchungen  zeigten,  große 
Mengen  von  Puppen  und  auch  Raupen  der  Nonne  verzehrten;  Wachtl  be- 
obachtete sie  bei  Kalamitäten  des  Tannenwicklers;  v.  Chernel  stellte  ihr 
kräftiges  Eingreifen  bei  Schwammspinnerfraß  fest,  und  Prof.  Vater  berichtete 
mir  von  einem  Masseneinfall  von  Finken  in  einigen  von  Brachyderes  stark 
bedrohten    Kiefernkulturen.      Auch     bei     starkem    Auftreten     der    Lärchen- 


Insektenvertilgende  Tiere.  233 

miniermotte  nimmt  der  Buchfink  eifrig  an  der  Vertilgung  teil.  Letztere 
Motte  zieht  übrigens  auch  noch  andere  Finkenvögel  an,  wie  den  Erlen- 
zeisig und  Goldammer  und  sogar  „die  zuweilen  aus  dem  hohen  Norden 
kommenden  Schaaren  des  Birkenzeisigs  [Acanthis  Intaria)  suchen  den 
Winter  hindurch  die  erst  halbwüchsigen  Säckchen  ab."  Auch  die  so  ein- 
seitig angepaßten  Körnerfresser,  wie  Kreuzschnabel  und  Kernbeißer  wurden 
gelegentlich  bei  der  Vertilgung  von  Insekten  (Eichenwickler,  Nonne) 
bemerkt. 

Die  Schwalben  (Hiniiido)  und  Mauersegler  {Aptis)  kommen  forstlich 
kaum  in  Betracht,  da  sie  ja  für  gewöhnlich  den  Wald  meiden.  Natürlich 
fallen  auch  ihnen  bei  ihren  unermüdlichen  Jagden  mitunter  forstliche  In- 
sekten, die  weiter  ausschwärmen,  zur  Beute,  doch  treten  diese  gegenüber 
den  forsdich  indifferenten  Insekten,  die  die  Hauptnahrung  bilden,  sehr 
zurück. 

Die  Fliegenschnäpper  {Muscicapa)  sind  zwar  vorzugsweise  Wald- 
bewohner, doch  die  Art  ihrer  Insektenjagd  —  sie  fangen  meist  von  Späh- 
sitzen aus  vorbeifliegende  Insekten  —  bringt  es  mit  sich,  daß  sie  mehr 
indifferente  Insekten  oder  gar  nützliche,  wie  Tachinen,  vertilgen.  Doch 
wurde  Muscicapa  atricapilla  auch  schon  bei  der  Bekämpfung  von  Kalamitäten 
beobachtet,  wie  z.  B.  von  der  Lärchenminiermotte  und  Muscicapa  grisola 
verschlingt,  wenigstens  in  der  Gefangenschaft,  Nonnenraupen  jeder  Größe. 

Eine  größere  forstliche  Bedeutung  als  den  eben  genannten  Vögeln 
kommt  der  Nachtschwalbe  [Caprimulgus)  zu,  die  auf  ihren  nächtlichen  Jagd- 
flügen mit  ihrem  weiten  Rachen  alle,  selbst  die  größten  Insekten,  die  ihr  in 
den  Weg  kommen,  wegfängt;  in  ihren  Mägen  findet  man  denn  auch  häufig 
große  Schwärmer  und  Spinner  (Kiefernschwärmer,  Nonne,  Prozessionsspinner 
usw.)  neben  Maikäfern,  Eulen,  Tipuliden  usw. 

Der  Wiedehopf  (Upupa)  ist  forstlich  dadurch  beachtenswert,  daß  er  die 
im  Boden  lebenden  schädlichen  Insekten  vertilgt;  es' fallen  ihm  regelmäßig 
zur  Beute  Schnackenlarven,  Drahtwürmer,  Raupen  und  Puppen  von  Eulen 
und  Spannern,  ferner  Feldheuschrecken,  und  vor  allem  Engerlinge  und  Maul- 
wurfsgrillen. 

Die  Blaurake  {Coracias)  teilt  sich  mit  dem  vorigen  hauptsächlich  in 
die  Vertilgung  der  Maulwurfsgrille  und  des  Maikäfers;  sonst  wurden  in 
ihrem  Magen  vielerlei  Käfer  (Schnellkäfer,  Prachtkäfer,  Bockkäfer,  Laufkäfer, 
Walker,  Junikäfer)  gefunden,  und  ferner  verschiedene  Raupen  von  Eulen, 
Cossus  usw.  Auch  bei  Nonnenfraß  findet  sie  sich  zuweilen  in  großen  Flügen 
ein,  wobei  sie  allerdings  neben  Nonnen  auch  den  nützlichen  Puppen- 
räuber frißt. 

Eine  ganz  besondere  Stellung  unter  den  insektenfressenden  Vögeln 
nehmen  die  Spechte  (Piciis)  ein;  ihr  Körperbau  ist  darauf  eingerichtet,  daß 
sie  sich  von  den  unter  der  Rinde  oder  im  Holz  usw.  lebenden  Insekten  er- 
nähren. Dadurch  bilden  sie  ein  Gegengewicht  gegen  die  zahlreichen,  teils 
sehr  schädlichen  rinden-  und  holzbrütenden  Insekten.  Es  ist  dies  um  so 
höher  anzuschlagen,  als  gerade  diese  Insekten  sonst  relativ  wenig  unter  den 
Nachstellungen    von    Feinden    —    seien    es    Vögel    oder    Raubinsekten    oder 


234  Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 

Parasiten  —  zu  leiden  haben.  Die  Spechte  stellen  gewissermaßen  einen 
Ausgleich  für  dieses  Manko  an  Parasiten  usw.  dar,  und  es  würde  zweifellos 
die  Vermehrung  der  Borken-,  Bock-  und  Rüsselkäfer  einen  weit  größeren 
und  für  den  Forstmann  recht  unangenehmen  Umfang  erreichen,  wenn  die 
Tätigkeit  der  Spechte  in  Wegfall  käme.  Es  ist  zw^ar  des  öfteren  der  Ein- 
wand erhoben  worden,  daß  durch  die  Spechte  doch  meist  nur  ein  kleinerer 
oder  größerer  Prozentsatz  der  betreffenden  Schädlinge  vertilgt  wird.  Jedoch 
abgesehen  davon,  daß  mehrfache  Beobachtungen  vorliegen,  wonach  die 
Spechte  die  Stämme  vollständig  säuberten,  bedeutet  jener  Einwand  nicht 
mehr,  als  wenn  man  den  Parasiten  zum  Vorwurf  machen  wollte,  daß  sie  nur 
einen  Teil  der  ihnen  zukommenden  Insekten  töten.  Die  Spechte  stellen  ja 
nicht  —  ebensowenig  wie  eine  bestimmte  Parasitenart  —  das  alleinige  Gegen- 
gewicht dar,  sondern  bilden  nur  ein  Glied  in  der  Kette  der  vernichtenden 
Faktoren,  allerdings  ein  sehr  wesendiches.  Immerhin  darf  bei  der  Be- 
urteilung der  forstlichen  Bedeutung  der  Spechte  auch  nicht  außer  acht  ge- 
lassen werden,  daß  die  meisten  der  von  den  Spechten  kontrollierten  Insekten 
durch  die  moderne  Forstwirtschaft,  die  auf  möglichste  Sauberkeit  im  Walde 
dringt,  an  und  für  sich  ihre  Schrecken  verloren  haben,  indem  ihre  Ver- 
mehrung schon  durch  den  Entzug  geeigneten  Brutmaterials  gewöhnlich  hin- 
reichend eingedämmt  wird.  Es  ist  jedoch  selbst  bei  der  saubersten 
Wirtschaft  nicht  zu  vermeiden,  daß  stets  da  und  dort  sich  kleinere  Ver- 
mehrungsherde von  Borkenkäfer  und  Pissodes  usw.  bilden;  —  und  hier  greift 
nun  der  Specht  ein,  indem  er  einmal  der  Übervermehrung  direkt  steuert, 
und  sodann  indem  er,  was  beinahe  noch  höher  zu  schätzen  ist,  den  Forst- 
mann auf  die  entstehenden  Herde,  die  äußerlich  anfangs  kaum  zu  erkennen 
sind,  aufmerksam  macht.  So  möchten  wir  also  auch  in  unseren  modernen 
Wäldern  den  Specht  auf  keinen  Fall  missen. 

Weitaus  der  vielseitigste  und  dadurch  der  nützlichste  von  unseren  Spechten 
ist  der  große  Buntspecht:  „Er  bildet  das  Hauptgegengewicht  gegen  Pissodes, 
Saperda  populnea  und  carcharias^  den  Fichtenbock,  und  teilweise  auch  gegen  die 
Borkenkäfer,  vor  allem  den  großen  Dendroctonus  micans.  Im  einzelnen  sind  Ein- 
schläge von  ihm  bereits  auf  fast  allen  Borkenkäferarten  nachgewiesen,  in  besonders 
großem  Umfang  auf  Ips  sexdendatus,  typographus,  amitinus  und  curvidms,  P.  poly- 
graphw^,  Hylesinus  fraxini,  Eccoptogasier  Ratseburgi,  scolytus  und  mnltistriatus. 
Ferner  finden  sich  an  den  Fraßstellen  der  Holzwespen,  Sesien,  Cossus, 
des  Moschusbockes,  Erlenrüßlers  {Chryptorhyttchus  lapathi),  des  Agrilus  bi- 
guttatus  (26  Larven  in  einem  Magen!)  und  namentlich  in  den  ange- 
schwollenen Weidenästen  mit  der  Brut  von  Cecidomyia  Salicis  meistens 
die  Spuren  seiner  Tätigkeit.  Auch  dem  Hylobius  kommt  er  am  Stockholz 
bei.  Als  eine  besondere  Wohltat  erweist  er  sich  in  Gegenden,  in  denen,  z.  B.  wie 
im  südlichen  Rußland,  das  Blausieb,  Zeuzera,  eine  Plage  ist,  da  schon  eine  einzelne 
Raupe  ein  gesundes  Laubholzstämmchen  zu  töten  vermag.  Auch  freilebende 
Schädlinge,  zumal  solche,  die  sich  an  Stämmen  und  in  Rindenritzen  befinden,  fallen 
ihm  zahlreicher,  als  man  im  allgemeinen  annimmt,  zur  Beute;  so  beobachtete  man 
ihn  bei  der  Vertilgung  von  Lop hyrus -Kokons,  Puppen  der  Nonne,  des  Kiefern-  und 
Weidenspinners,  der  Maikäfer,  der  Raupen  der  Kieferneule  und  des  Kiefernspanners, 
die  massenhaft  in  den  Mägen  vorkamen,  und  endlich  des  Eichenwicklers,  von  denen 
in  einem  Magen  über  30  Raupen  und  17  Puppen  gefunden  wurden"  (B  a  e  r).  Der 
mittlere  und  kleine  Buntspecht  schließen  sich  in  ihrer  Ernährung 
dem    vorigen    an,    bleiben    aber    infolge    ihres    beschränkteren    Vorkommens     an 


Insektenvertilgende  Tiere.  235 

forstlicher  Bedeutung  wesentlich  hinter  diesem  zurück.  Der  Schwarzspecht 
hat  es  in  erster  Linie  auf  die  großen  Holzameisen  (Camponotus)  abgesehen,  gegen 
die  er  wohl  das  Hauptgegengewicht  bildet;  doch  stellt  er  auch  anderen  Holz-  und 
Rindenbrütern  nach,  wie  Holzwespen,  Pissodes,  Bockkäfer  und  Borkenkäfer,  von 
denen  einmal  650  Eccopt.  Ratzeburgi  in  einem  Magen  gefunden  wurden  (S  o  b  o  1  e  w, 
Z.  f.  F.  u.  Jagdw.  1899  Seite  444).  Bisweilen,  wenn  auch  seltener,  sah  man  ihn 
in  die  Bodendecke  einschlagen,  wo  sich  zahlreiche  Puppen  vom  Kiefernschwärmer, 
von  der  Kieferneule  und  dem  Kiefernspanner  befanden. 

Der  Grünspecht  wie  der  Grauspecht  sucht  seine  Nahrung  vornehm- 
lich im  Boden,  weshalb  die  beiden  auch  als  Erdspechte  bezeichnet  werden.  In 
erster  Linie  plündern  sie  die  Haufen  der  roten  Waldameisen,  in  die  sie  tiefe  Löcher 
einschlagen,  dann  auch  die  Nester  der  übrigen  im  Boden  wohnenden  Ameisen. 
Ferner  verzehren  sie  natürlich  auch  sonstige  im  Boden  lebende  Insekten,  wie 
Engerlinge,  Maulwurfsgrillen,  Lophyrus-  Kokons,  die  Puppen  der  verschiedenen 
Kiefernschmetterlinge  usw.  Endlich  beteiligen  sie  sich  auch,  wenn  auch  nur  in 
sehr  geringem  Maße,  an  der  Vertilgung  von  Rindeninsekten.  Der  Wenden  hals 
schließt  sich  im  großen  und  ganzen  dem  Grünspecht  und  Grauspecht  an. 

Weit  mehr,  als  man  bis  vor  kurzem  annahm,  haben  die  Raubvögel 
{Raptafores)  an  der  Vertilgung  forstschädlicher  Insekten  teil,  wie  durch  die 
zahlreichen  Magenuntersuchungen,  die  gerade  von  diesen  Vögeln  mit  be- 
sonderem Eifer  vorgenommen  wurden,  nachgewiesen  wurde.  Als  die  fleißigsten 
Insektenvertilger  sind  der  Turmfalk,  Mäusebussard,  Wespenbussard 
und  Baumfalk  zu  nennen,  dann  auch  die  verschiedenen  Eulen  und  einige 
Adler.  Letztere  kommen  allerdings  wegen  ihrer  Seltenheit  praktisch  kaum 
in  Betracht,  dagegen  sind  die  anderen,  vor  allem  die  beiden  erstgenannten  in 
forstlicher  Beziehung  durchaus  nicht  zu  unterschätzen.  Einige  Magenbefunde 
mögen  dieses  erhärten: 

Beim  Turmfalk  wurden  häufig  Maulwurfsgrillen  (bis  zu  8  Stück  in  einem 
Kropf),  Maikäfer  und  Eulenraupen  zutage  gefördert.  In  je  einem  Magen  des  Mäuse- 
bussards fanden  sich:  bis  zu  28  Stück  Kiefernschwärmerraupen,  bis  zu  80  Stück 
Eulenraupen,  bis  zu  200  Stück  Spannerraupen  und  bis  zu  39  erwachsene  Engerlinge. 
In  einem  Magen  des  Wespenbussards  wurden  nicht  weniger  als  1400  Spannerraupen 
gezählt  (Leisewitz);  und  ein  Magen  des  Waldkauzes  enthielt  nicht  weniger  als 
675  Raupen  des  Kiefernspanners. 

Bei  den  Hühnervögeln  (Rasores)  spielt  die  Insektennahrung  nur  eine 
untergeordnete  Rolle ;  immerhin  verdienen  einige  von  ihnen  die  Beachtung  des 
Forstentomologen,  vor  allem  der  Fasan,  der  schon  mehrmals  beim  Vertilgen 
von  Kieferspinnerraupen  beobachtet  wurde,  und  in  dessen  Magen  ver- 
schiedentlich Erdraupen-  und  Blattwespenkokons  in  großen  Mengen  gefunden 
wurden. 

Auch  die  Tauben  {Gyrantes)  müssen  hier  erwähnt  werden ;  diese,  galten 
zwar  bisher  als  ausgesprochene  Vegetarianer,  doch  lehrten  die  Magenunter- 
suchungen, daß  wenigstens  die  Ringeltaube  (C.  paliimbtis)  zuweilen  auch 
zur  Insektennahrung  übergeht,  wenn  diese  in  besonders  reichlichem  Maße 
sich  darbietet.  So  fand  man  in  ihren  Kröpfen  wiederholt  zahlreiche  Eichen- 
wicklerraupen und  -puppen.  Spannerraupen,  Puppen  und  Raupen  der  Tannen- 
wickler (nach  Wachtl  in  einem  Kropf  gegen  1000  Puppen  von  Tortrix 
murinana)  und  Blattwespenlarven  (über  500  Larven  von  Nematus  abietuni  in 
einem  Kropf,  vergl.  Sinz,  Tharandter  Jahrb.  1909,  S.  318). 

Die  Wasser-  und  Sumpfvögel  {GraUatores  und  Nafaiores)  vertilgen 
zwar   viele  Insekten,    doch    halten    sie   sich   im  allgemeinen  vom  W^alde    fern, 


236  Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 

so  daß  sie  forstlich  kaum  in  Betracht  kommen.  Wir  können  höchstens  die 
Lachmöve  {Lariis  ridibundus)  hier  anführen,  die  als  eifrige  Vertilgerin  des 
Engerlings  bekannt  ist. 

Wir  haben  hier  eine  stattliche  Reihe  von  Vögeln  kennen  gelernt, 
welche  die  Vertilgung  forstschädlicher  Insekten  betreiben,  und  andererseits 
haben  wir  erfahren,  daß  es  wohl  kaum  ein  wichtigeres  Forstinsekt  gibt, 
welches  nicht  von  einem  oder  mehreren  Vögeln  verfolgt  und  deren  Ver- 
mehrung nicht  durch  ihre  Tätigkeit  eingeschränkt  würde,  so  daß  wir  also  in 
den  insektenfressenden  Vögeln  einen  ständig  wirkenden  vermehrungs- 
eindämmenden  Faktor  zu  erblicken  haben.  Derselbe  ist  allerdings  je  nach 
der  Insektenart  verschieden  groß  (im  allgemeinen  wohl  für  die  im  Boden, 
unter  der  Rinde  oder  im  Holz  lebenden  Insekten  relativ,  d.  h.  im  Verhältnis 
zu  den  anderen  Faktoren,  besonders  Parasiten,  größer  als  bei  den  freilebenden), 
dürfte  jedoch  für  jede  Insektenart  unter  normalen  äußeren  Bedingungen  an- 
nähernd konstant  bleiben.  Jedenfalls  stellen  die  Vögel  ein  durchaus  not- 
wendiges Glied  in  der  Kette  der  die  Erhaltung  des  organischen  Gleich- 
gewichtes gewährleistenden  Organismen  dar. 

Diese  hier  geschilderte,  dem  Forstmann  so  nützliche  Tätigkeit  der 
Vögel  erfährt  aber  eine  gewisse  Einschränkung  durch  den  Umstand,  daß  die 
Vögel  in  ihrem  Vertilgungswerk  sich  nicht  nur  auf  die  schäd- 
lichen Insekten  beschränken,  sondern  auch  nützliche  Insekten, 
d.  h.  Parasiten  und  Raubinsekten  verzehren.  Wenn  ein  Kuckuck 
100  Nonnenraupen  frißt,  wovon  50  oder  75  mit  erwachsenen  Tachinenlarven 
besetzt  sind,  so  wird  dadurch  das  Ende  der  Nonnenkalamität  nur  hinaus- 
geschoben; denn  jedes  Tachinenweibchen  kann  den  Tod  von  2 — 300  Nonnen- 
raupen bedeuten.  Solche  Fälle  kommen  in  Wirklichkeit  ohne  Zweifel  vor; 
denn  einmal  ist  eine  Tachinose  von  75  "/q  bei  der  Nonne  gar  keine  Selten- 
heit, und  sodann  machen  die  Vögel  nachgewiesenermaßen  keinen  Unterschied, 
ob  die  Raupen  mit  Parasiten  besetzt  oder  parasitenfrei  sind.  Es  geht 
dies  vor  allem  aus  Magenuntersuchungen  hervor,  bei  denen  nicht  selten 
Tachinen  und  andere  Parasiten  gefunden  wurden.  —  Außerdem  hat  man  ver- 
schiedentlich Vögel  auch  direkt  bei  der  Jagd  auf  Parasiten  und  Raubinsekten 
beobachtet.  So  konnte  ich  selbst  mehrfach  den  Trauerfliegenfänger  in 
Nonnenrevieren  von  seinem  Spähsitz  Tachinen  wegfangen  sehen;  ferner 
wurde  mir  berichtet,  daß  eines  Tages  große  Schwärme  von  Schwalben  im 
Glastener  Revier,  wo  eine  starke  Nonnenkalamität  herrschte,  einfielen,  um 
die  dort  massenweise  fliegenden  Tachinen  wegzuschnappen;  auch  Amseln 
wurden  beim  Suchen  von  Tachinentönnchen  beobachtet  (Oberförster  Weiske 
im  Leipziger  Universitätswald).  Oben  wurde  schon  darauf  hingewiesen,  daß 
die  Blaurake  neben  den  Nonnenraupen  auch  deren  Feinde,  vor  allem  den 
Puppenräuber  vertilgt;  die  Spechte  fressen  neben  den  Borkenkäferlarven  auch 
die  Larvendes  hauptsächlichsten  Borkenkäferfeindes,  des  Clerus  formicarius; 
der  Grünspecht  dezimiert  die  forstlich  so  nützliche  rote  Waldameise  usw. 

Nach  diesen  Beispielen  kann  also  nicht  geleugnet  werden,  daß  die 
Vögel  unter  Umständen  dem  Forstmann  einen  gewissen  Schaden  bringen 
können.     Dies  darf  uns  aber  nicht  etwa  dazu  bestimmen,  die  Nützlichkeit  der 


Insektenvertilgende  Tiere.  237 

Vögel  überhaupt  in  Abrede  zu  stellen,  wie  es  z.  B.  von  Seiten  einiger 
amerikanischer  Entomologen  geschieht.  Wir  tun  vielmehr  wohl  am  richtigsten, 
uns  auf  folgenden  Standpunkt  zu  stellen:  Die  nützliche  Tätigkeit  der 
Vögel  (durch  Vertilgen  forstschädlicher  Insekten)  überwiegt 
wesentlich  die  schädliche  Tätigkeit  der  Vögel  (durch  Vertilgen 
forstnützlicher  Insekten).  Der  Wert  der  Vögel  besteht  aber 
weniger  darin,  einmal  ausgebrochene  Kalamitäten  zu  bekämpfen 
und  zum  Stillstand  zu  bringen  (dazu  besitzen  die  Vögel  eine  viel  zu  ge- 
ringe Vermehrungsziffer  im  Verhältnis  zu  den  Insekten),  als  vielmehr 
darin,  einer  Übervermehrung  der  Insekten  überhaupt  vorzu- 
beugen. In  normalen  Zeiten  sind  ja  auch  die  Parasiten  in  weit  geringerer 
Anzahl  (auch  relativ!)  vorhanden  als  in  Zeiten  der  Massenvermehrung,  so 
daß  das  Verhältnis  der  von  den  Vögeln  vertilgten  Parasiten  zu  den  ver- 
tilgten Schädlingen  ein  weit  günstigeres  sein  wird  als  in  den  oben  gewählten 
Beispielen.  Ferner  ist  zu  bedenken,  daß  es  doch  auch  eine  ganze  Anzahl 
schlimmer  Forstschädlinge  gibt,  welche  überhaupt  nur  sehr  wenig  Parasiten 
haben,  wie  z.  B.  der  Engerling,  die  Maulwurfsgrille  und  viele  andere  im 
Boden  lebende  Insekten,  ebenso  die  rinden-  und  holzbrütenden  Insekten; 
und  bei  anderen  Schädlingen  sind  wenigstens  gewisse  Stadien  parasitenfrei, 
wie  z.  B.  bei  der  Nonne  das  Ei-  und  Imagostadium.  In  allen  diesen  Fällen 
können  die  Vögel  doch  nur  Nutzen  stiften.  Dasselbe  gilt  auch  für  diejenigen 
Vögel,  die  nur  des  Nachts  auf  fliegende  Insekten  jagen,  da  sie  hierbei  weder 
freiliegende  Parasiten,  noch  auch  parasitenhaltige  Stadien  von  Schädlingen 
vor  ihren  Schnabel  bekommen.  Endlich  ist  auch  noch  darauf  hinzuweisen, 
daß  auch  Hyperparasiten,  die  durch  starke  Überhandnähme  mitunter  sehr 
schädlich  werden  können,  durch  die  Vögel  vernichtet  werden.  Ein 
drastisches  Beispiel  von  Hyperparasitismus  erlebte  ich  im  Glastener  Revier, 
wo  der  in  den  Tachinen  parasitierende  Trauerschweber  {Anthrax)  so 
sehr  überhand  nahm,  daß  die  Tachinose  der  Nonnenraupen  von  Jahr  zu 
Jahr  zurückging  und  dadurch  das  Ende  der  Kalamität  wesentlich  verzögert 
wurde.  Wenn  in  diesem  Falle  durch  Vögel  Tachinentönnchen,  die  mit 
Hyperparasiten  besetzt  sind,  oder  schwärmende  Anthrax  vertilgt  werden,  so 
kann  dadurch  ein  großer  Nutzen  gestiftet  werden,  indem  der  Hyperparasitis- 
mus eingeschränkt  und  infolge  davon  die  Tachinose  gefördert  werden  kann. 
Die  hier  angeschnittene  Parasitenfrage  bringt  in  das  Vogelproblem 
zweifellos  eine  ziemliche  Komphkation,  deren  endgültige  Lösung  mit  großen 
Schwierigkeiten  verbunden  sein  wird.  Immerhin  aber  dürfen  wir  wohl  heute 
schon  als  sicher  annehmen,  daß  durch  sie  unsere  oben  vertretene  Ansicht 
von  der  Bedeutung  der  insektenfressenden  Vögel  für  die  Erhaltung  des 
organischen  Gleichgewichtes  resp.  für  die  Niederhaltung  der  verschiedenen 
Schädlinge  kaum  wesentllich  verändert  werden  wird. 

c)  Schmarotzer  und  Raubinsekten,  und  andere  insektentötende 
Arthropoden. 

Die   wichtigste  Rolle   bei   der  Beschränkung   der  Schädlingsvermehrung 
spielen    in    den    meisten    Fällen    die    parasitischen    und    räuberischen 


238  Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 

Insekten,  und  es  ist  zweifellos,  daß  ein  großer  Teil  der  Vermehrungs- 
katastrophen durch  ein  Mißverhältnis  zwischen  der  Zahl  dieser 
stets  der  Übervermehrung  entgegenwirkenden  Tiere  und  den 
Schädlingen  herbeigeführt  wird.  Wir  kennen  eine  Reihe  von  Bei- 
spielen, die  das  eklatant  beweisen.  Ich  brauche  nur  an  die  Geschichte  der 
Einführung  des  Schwammspinners  in  Amerika  zu  erinnern.  Im  Jahre  1868 
gelangten  durch  Unvorsichtigkeit  eines  im  Staate  Massachusets  wohnenden 
Züchters  einige  aus  Europa  bezogene  Schwammspinnerraupen  ins  Freie. 
Diese  gaben  den  Anlaß  zu  einer  der  größten  Insektenkalamitäten,  die 
wir  überhaupt  kennen  und  zu  deren  Bekämpfung  jährlich  Unsummen 
(4  Millionen  Mark)  aufgewandt  werden,  ohne  indes  bis  jetzt  der  Plage  Ein- 
halt bieten  zu  können.  Der  Grund  für  diese  schwere  Kalamität  ist  darin  zu 
erblicken,  daß  der  Schädling  ohne  seine  Parasiten  und  Räuber  eingeführt 
wurde  und  daß  auch  von  den  amerikanischen  Parasiten  nur  ganz  wenige  an 
dem  Fremdling  Gefallen  fanden,  so  daß  der  Schmetterling  seine  ganze  Ver- 
mehrungsenergie beinahe  ungezügelt  betätigen  konnte,  —  während  in  seinem 
Heimatland  ihm  so  viele  Parasiten  und  Raubinsekten  gegenüberstehen,  daß 
er  nur  selten  zu  einer  und  dann  meist  nur  kurz  währenden  Übervermehrung 
gelangt.  Ahnlich  ist  es  mit  dem  Ulmenblattkäfer  [Galeruca  xanthomelaend)^ 
der  bei  uns  wohl  manchmal  explosionsartig  in  großen  Mengen  auftritt,  und 
auch  mitunter  die  Ulmen  einer  Allee  kahlfressen  kann,  aber  meist  im 
folgenden  Jahr  wieder  verschwindet,  während  er  in  Amerika  zu  einer 
dauernden  schlimmen  Plage  wurde,  da  ihm  eben  drüben  keine  Parasiten 
gegenüber  stehen,  die  ihn  in  seiner  Übervermehrung  einholen  und  wieder 
hinunterdrücken.  Und  noch  viele  andere  derartige  Beispiele  ließen  sich  aus 
Amerika  berichten;  sind  doch  mehr  als  50  ^/^  der  schlimmsten  amerikanischen 
Schädlinge  dorthin  eingeschleppt  (vergl.  K.  Esche  rieh,  Die  angewandte 
Entomologie  in  den  Vei-einigten  Staaten). 

Das  Mißverhältnis  zwischen  Parasiten  und  Schädling  kann  aber  auch 
noch  auf  eine  andere  Weise  als  durch  Verschleppung  herbeigeführt 
werden,  wie  durch  plötzlich  eintretende  ungewöhnlich  günstige  Bedingungen 
(klimatische,  trophische  usw.)  für  die  Vermehrung  des  Schädlings,  wodurch 
letzterem  ein  Vorsprung  den  Parasiten  gegenüber  gegeben  wird,  oder  durch 
ungünstige  Bedingungen  für  die  Parasiten,  oder  durch  beide  Momente  zu- 
gleich. Nehmen  wir  z.  B.  an,  daß  mehrere  Jahre  hindurch  während  der 
Schwärmzeit  der  Nonnentachine  (Mai  bis  Juni)  stürmisches  und  regnerisches 
Wetter  ist,  so  daß  die  Tachinen  an  der  Eiablage  gehindert  werden,  so  kann 
dadurch  sehr  wohl  ein  Mißverhältnis  zwischen  der  Zahl  der  Nonnen  und 
Tachinen  entstehen,  welches  event.  auch  zu  einer  Kalamität  Anlaß  geben 
kann,  zumal  wenn  vielleicht  gleichzeitig  die  Entwicklungsbedingungen  für  die 
Nonne  besonders  günstige  sind. 

In  solchen  Fällen  wird  aber  der  Parasit  den  Vorsprung  in  einiger  Zeit 
wieder  einholen,  und  die  Vermehrung  bald  wieder  in  normale  Grenzen 
bringen,  vorausgesetzt,  daß  die  ungünstigen  Bedingungen  für  die  Parasiten 
nur  vorübergehender  Natur  waren.  Ist  letzteres  nicht  der  Fall,  und  wird  die 
Parasitenvermehrung   dauernd  zurückgehalten    (etwa   infolge  gewisser  Kultur- 


Insektenvertilgende  Tiere.  239 

methoden  oder  dergl.),  so  wird  auch  die  Kalamität  einen  dauernden 
Charakter  annehmen,  gleichwie  bei  den  obengenannten  verschleppten 
Schädlingen. 

Es  ist  nicht  notwendig,  daß  der  Parasit  eine  besonders  hohe  Ver- 
mehrungsziffer besitzt,  um  den  Vorsprung  des  Schädlings  einholen  zu 
können;  er  wird  es  vielmehr  auch  dann  tun  können,  wenn  er  die  gleiche 
(oder   selbst   eine   geringere)  Vermehrungsziffer   aufweist   wie   der  Schädling. 

Nehmen  wir  z.  B.  einen  Schmetterling  und  eine  Tachine,  welche  beide 
die  gleiche  Vermehrungsziffer  100  haben  und  beginnen  wir  damit,  daß  von 
300  Raupen  100  tachiniert  sind,  das  gibt  200  Schmetterlinge  (100  9  9)  und 
100  Parasiten  (50  9  9).  Im  nächsten  Jahr  haben  wir  100X100  =  10000 
Raupen,  von  denen  50  X  100  =  5000  tachiniert  sind,  das  macht  5000  Schmetter- 
linge und  5000  Parasiten  (mit  je  2500  9  9).  So  müßten  also  (theoretisch) 
bereits  im  dritten  Jahr  sämtliche  Raupen  mit  Parasiten  besetzt  sein.  Daß 
ähnliche  Vorgänge  in  der  Natur  sich  tatsächlich  abspielen,  davon  kennt  jeder 
praktisch  tätige  Entomologe  genügend  Beispiele.  So  haben  wir  selbst  bei 
der  großen  Nonnenkalamität  in  Sachsen  des  öfteren  Gelegenheit  gehabt,  das 
rasche  sprungweise  Fortschreiten  der  Tachinose  zu  beobachten,  wobei  die 
Zunahme  ca.  20 — 25  ^Jq  pro  Jahr  betrug,  so  daß  bereits  im  4.  oder  5.  Jahr 
90 — 100<*/o  der  Raupen  tachinös  waren  (besonders  deudich  war  dies  in 
Okrilla,  Bezirk  Dresden,  zu  sehen.  Auch  bei  Anomalon  circnmflexnm,  einem 
der  bekanntesten  Parasiten  des  Kiefernspinners,  läßt  sich  das  stetige  An- 
wachsen von  Jahr  zu  Jahr  deutlich  beobachten. 

Es  wird  übrigens  meistens  jeder  Schädling  nicht  nur  von  einer, 
sondern  von  einer  ganzen  Anzahl  von  Parasitenarten  und  Raub- 
insekten heimgesucht,  und  zwar  vielfach  in  der  Weise,  daß  jedes  Ent- 
wicklungsstadium ihre  besonderen  Arten  (je  eine  oder  mehrere) 
besitzt.  So  wird  z.  B.  der  Kiefernspinner  im  Eistadium,  ferner  in  den 
jüngeren  und  dann  wieder  in  den  älteren  Raupenstadien  von  anderen  Arten 
befallen,  und  erst  durch  das  Zusammenwirken  der  ganzen  „Parasiten- 
folge" („sequence  of  parasites",  wie  die  Amerikaner  sagen)  wird  die 
normale  Vermehrungsbeschränkung  des  Schädlings  gewährleistet. 
Fehlt  nur  ein  Glied  in  der  Kette,  so  kann  dies  unter  Umständen  schon  zu 
einem  Anwachsen  des  Schädlings  führen. 

Es  ist  das  Verdienst  der  amerikanischen  Entomologen,  vor  allem  von 
L.  O.  Howard  und  Fiske,  diese  wichtige  Erscheinung  eingehend  studiert 
zu  haben.  Sie  haben  dafür  auch  eine  sehr  übersichtliche  graphische  Dar- 
stellung eingeführt,  aus  der,  wie  die  beistehenden  beiden  Tabellen  über  die 
Parasitenfolge  des  Schwammspinners  in  Japan  und  in  Europa  lehren,  mit 
einem  Blick  zu  ersehen  ist,  in  welcher  Weise  die  Parasiten  und  Raubinsekten 
auf  den  Schädling  einwirken. 

(Siehe  Tabelle  S.  240.) 

Eine  nähere  Erklärung  dieser  Tabellen  ist  kaum  nötig;  nur  bezügl.  der 
feinen  punktierten  Linien  sei  bemerkt,  daß  diese  die  Zeitdauer  anzeigen, 
während     welcher     die     einzelnen    Stadien     dem     Angriff    des     betreffenden 


240 


Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrunj 


Parasiten  ausgesetzt  sind,  während  die  dicken  Linien  die  Stadien  angeben, 
in  welchen  der  Parasit  überhaupt  im  Körper  des  Wirtes  anzutreffen  ist.  So 
erstreckt   sich    z.   B.   in   den   beiden   obigen   Beispielen   die   Angriffszeit    von 


Tabelle  1.    Parasitenfolge  des  Schwammspinners  in  Japan. 


Eier 

Raupenstadien 

Puppenstadien 

Namen  des  Parasiten 

S 

1 

C/3 

s 

1 

1 

1 

1* 

i 

s 

ii 

II 

Anastatus  bifasciatus . 

E 

Schedius  Kuvanae  .     . 

j 

'Ste  Generation 

Apanteles  fulvipes    .     . 

,„.j      1      , 

Zweite  Generation 

Crossocomia  spez.   .     . 
Tachina  japonica     .     . 

1 

1 

1 

Chalcis  obscurata    .     . 

j 

Tabelle  2.    Parasitenfolge  des  Schwammspinners  in  Europa. 

Eier 

Raupenstadien 

Puppenstadien 

Namen  des  Parasiten 

S 

1 

C/3 

B 
.3 

a 

.a 

CA) 

CO 

a 

1 

a 

■'S 
tn 

a 

1 

a 
.a 

''S 

1 

Ph 

SS 

Anastat  US  bifasciatus . 

Apanteles  solitarius     . 

\ 

Erste  Geneiation 

—  fulvipes 

Zw 

eite  Generation 

Blepharipa  scutellata  . 
Compsilura  concinnata 
Zygobothria  gilva  .     . 
Carcelia  gnava    .     .     . 
Tricholyga  grandis 
Tachina  larvarum  .     . 
Parasetigena  segregata 
Ichneumon  disparis 
Theronia  atalantae .     . 
Chalcis  flavipes  .     .     . 
Monodontomerus  aereus 
Calosoma  sycophanta . 

i 1 

1         1         1 

1 i 

1 ' 

1            i 

1            1 

I 

1 

1 t 

1 

1 

Insektenvertilgende  Tiere.  241 

Anastatus  bifasciatits  nur  auf  die  ersten  10  Tage  des  Eistadiums,  die  von 
Schedius  Knvanae  dagegen  auf  die  ganze  Eizeit,  die  nicht  weniger  als 
ca.  280  Tage  währt;  oder,  so  zeigt  uns  die  Tabelle  2,  daß  die  beiden 
Tachinen  Blepharipa  und  Compsilura  zwar  in  ihrer  Angriffszeit  völlig  über- 
einstimmen, daß  aber  die  erstere  noch  während  des  ganzen  Puppenstadiums 
im  Wirte  bleibt,  während  die  letztere  bereits  vor  der  Verpuppung  den  Wirt 
verläßt. 

Ein  Moment  ist  in  den  Fi sk eschen  Tabellen  noch  zu  wenig  berück- 
sichtigt, nämlich  der  Grad  der  Wichtigkeit  der  einzelnen  Parasiten 
für  die  Beschränkung  des  Schädlings.  Es  sind  nämlich  keineswegs  alle 
Arten  einer  Parasitenfolge  von  der  gleichen  Bedeutung  für  den 
betr.  Schädling,  sondern  manche  davon  können  vielmehr  ganz  unwichtig 
sein,  während  anderen  eine  hohe,  ja  ausschlaggebende  Bedeutung  zukommt. 
So  ist  z.  B.  bei  der  Nonne  der  Hauptwert  der  Tachine  zuzuschreiben, 
während  die  verschiedenen  Ichneumonen  eine  mehr  untergeordnete  Rolle 
spielen;  beim  Kiefernspinner  dagegen  kommt  es  weit  mehr  auf  die 
Ichneumonen  an,  während  die  Tachinen  zurücktreten  usw.  Diese  Ver- 
schiedenwertigkeit der  einzelnen  Parasitenarten  eines  Schädlings  ist  eine 
hundertfach  beobachtete  Tatsache;  worin  sie  begründet  ist,  muß  im  einzelnen 
erst  noch  erforscht  w^erden.  In  der  graphischen  Darstellung  ließe  sich  die 
Verschiedenwertigkeit  leicht  daduixh  kennzeichnen,  daß  man  für  die  Haupt- 
parasiten dickere  Linien  oder  vielleicht  noch  besser  fetten  Druck  der  Namen 
anwendet. 

Ein  Vergleich  der  beiden  Tabellen  lehrt  uns,  daß  die  Parasitenfolge 
für  einen  und  denselben  Schädling  in  den  verschiedenen  Gegenden 
seines  Verbreitungsgebietes  sehr  verschieden  sein  kann;  besonders 
dann,  wenn  das  letztere  genügend  groß  ist,  wie  dies  ja  für  den  Schwamm- 
spinner in  hohem  Maße  zutrifft,  der  über  ganz  Europa  bis  nach  Japan  hin 
verbreitet  ist.  Wir  würden  noch  eine  größere  Reihe  voneinander  ab- 
weichender Parasitenfolgen  des  Schwammspinners  erhalten,  wenn  wir  die 
verschiedenen  Teile  Europas,  wie  Süd-,  Nord-,  West-  und  Osteuropa  be- 
sonders behandeln  würden.  Ja  selbst  in  ganz  nahe  beieinanderliegenden, 
direkt  benachbarten  Gebieten  kann  die  Parasitenfolge  ein  anderes  Bild 
zeigen,  indem  hier  eine  Parasitenart  fehlt,  die  dort  sehr  häufig  ist  usw.  So 
enthielten  z.  B.  von  5  Paketen  von  Eischwämmen  des  Schwammspinners,  die 
aus  verschiedenen  Gegenden  Ungarns  stammten  und  zum  Zwecke  der  Para- 
sitenzüchtung nach  Amerika  versandt  wurden,  das  eine  Paket  Nr.  1  keinen 
einzigen  der  gesuchten  Eiparasiten  {Anastatus  bifasciatus),  die  Pakete  Nr.  2 
und  3  ergaben  nur  ganz  wenige  davon,  während  aus  den  restlichen  Paketen 
Nr.  4  und  5  nicht  weniger  als  80000  Individuen  auskamen.  Ähnliches  hat 
auch  schon  Ratzeburg  für  die  Parasiten  des  Kiefernspinners  beschrieben: 
er  hatte  die  Beobachtung  gemacht,  daß  die  Schmarotzer  häufig  in  kleinen 
Horsten  zusammen  auftreten,  während  sie  anderwärts  fehlen. 

Außerdem  verhalten  sich  auch  die  verschiedenen  Arten  der  Schäd- 
linge recht  ungleich  bezüglich  der  Vollkommenheit  der  Parasiten- 

Escherich,  Forstinsekten.  16 


242 


Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 


folge,  indem  manche  Arten  überhaupt  nur  eine  mehr  oder  weniger  lückenhafte 
Parasitenfolge  aufzuweisen  haben;  so  fehlt  z.  B.  der  Nonne  ein  Eiparasit. 

Es  ist  klar,  daß  alle  diese  Verhältnisse  für  die  Praxis  von  der  größten 
Bedeutung  sind;  können  wir  doch  in  solchen  Gegenden  oder  bei  solchen 
Arten,  bei  denen  eine  wirksamere  und  lückenlosere  Parasitenfolge  vorhanden 
ist,  event.  eine  günstigere  Prognose  für  den  Verlauf  der  Kalamität  stellen 
als  in  solchen  Gegenden,  wo  die  Parasitenfolge  unvollkommen  ist  und 
größere  und  kleinere  Lücken  aufweist.  Daher  ist  es  unbedingt  notwendig, 
daß  das  Parasitenvorkommen  eingehend  beachtet  und  studiert  wird,  und  es 
dürfte    eine    der   nächstliegenden    und   vornehmsten   Aufgaben   der 


4*    #    «     f     * 

«  4  #  f  «  # 


n  p:-. 


■r  r 
1 1    ) 


.*  4  4  4  il  ,^  i 

.«  #  4,  §  4^  #  4  I 

"^      fl  4  t  4  4  fi 


t      -f 


n 


h:^ 


Fig. 


Parasitenwirkung:   Durchsclinittliches  Ergebnis   einer   Aufzucht   von  100  Kiefereulenraupen 
(36  Falter,  46  Tachinen  und  18  Ichneumonen). 


forstentomologischen  Wissenschaft  sein,  für  unsere  wichtigsten 
Schädlinge  die  Parasitenfolge  festzustellen,  in  ebenso  gründ- 
licher Weise,  wie  es  die  Amerikaner  für  Schwammspinner  und 
Goldafter  getan  haben.  Und  es  wird  hoffentlich  die  Zeit  nicht  mehr 
fern  sein,  wo  bei  jedem  wichtigeren  Schädling  eine  Tabelle  der  Parasiten- 
folge beigefügt  ist.  Dann  werden  wir  vielleicht  auch  verstehen  lernen, 
warum  die  Kalamitätsintensität  und  -dauer  bei  den  einzelnen  Schädlingen  so 
verschieden  sein  kann. 

Für   einige    unserer   Schädlinge   können   wir   heute   schon,    wenn    auch 
vorläufig  nur  umrißweise,  den  Zusammenhang  zwischen  Zahl  und  Ver- 
mehrungsziffer der  Parasitenarten  einerseits  und  Dauer  der  Kala 
mität  andererseits  erkennen,  wie  z.  B.  aus  einem  Vergleich  des  Kalamitäten- 
verlaufes der  Kieferneule,  des  Kiefernspinners  und  der  Nonne  hervorgeht. 


Insektenvertilgende  Tiere.  243 

Alle  dl  ei  stimmen  darin  überein,  daß  die  Übervermehrung  gewöhnlich 
explosionsartig  auftritt,  d.  h.  daß  auf  ein  plötzliches  Aufsteigen  der  Ver- 
mehrungskurve nach  einiger  Zeit  gleichsam  automatisch  ein  Zurückgehen  auf 
die  normale  Höhe  folgt.  In  einem  Punkte  jedoch  verhalten  sie  sich  wesent- 
lich verschieden,  nämlich  bezüglich  des  zeitlichen  Ablaufes  jenes  Vorganges: 
Am  kürzesten  währt  die  Kieferneulenplage  (2 — 3  Jahre),  etwas  länger  die 
Kiefernspinnerplage  (3 — 5  Jahre)  und  am  längsten  die  Nonnenkalamität  (5  bis 
7  Jahre  und  auch  noch  mehr).  Dieser  Unterschied  entspricht  ungefähr  der 
Zahl  resp.  der  Vermehrungsziffer  der  Parasiten  usw.,  welche  dem  betr.  Schäd- 
ling gegenüberstehen.  So  tritt  gegen  die  Kieferneule  gleich  von  Anfang  an 
ein  ganzes  Heer  von  Feinden  auf;  wir  haben  vor  einiger  Zeit,  als  in  der  Nähe 
von  Dresden  (in  Okrilla)  eine  Eulenvermehrung  stattfand,  im  ersten  Jahre 
der  Kalamität  (d.  h.  in  dem  Jahre,  in  welchem  sie  zum  erstenmal  die  Auf- 
merksamkeit der  Forstbeamten  erregte)  das  Parasitenverhältnis  festgestellt, 
und  sind  dabei  zu  dem  überraschenden  Ergebnis  gelangt,  daß  aus  100  Raupen 
sich  nur  36  Schmetterlinge  entwickelten,  während  die  übrigen  64  Parasiten 
ergaben  (Fig.  188).  Diese  hohe  Parasitenzahl  im  Anfangsstadium  einer  Über- 
Vermehrung  ist  in  erster  Linie  in  der  hohen  Vermehrungsziffer  der  Eulen- 
tachine  begründet,  und  sodann  darin,  daß  an  die  Eule  viele  auch  an  anderen 
Schmetterlingen  usw.  schmarotzende  Parasiten  gehen.  —  Anders  beim 
Kiefernspinner;  dieser  besitzt  zwar  ebenfalls  eine  ganz  ansehnliche 
Parasitenreihe,  doch  dauert  es  gewöhnlich  mehrere  Jahre,  bis  die  Parasiten 
zu  einer  stärkeren  Vermehrung  gelangen.  So  konnten  wir  z.  B.  beim  Beginn 
einer  Spinnerkalamität  in  den  schlesischen  Heiden  in  den  ersten  zwei  Jahren 
nur  einen  sehr  geringen  Parasitenbefall  nachweisen,  indem  die  Raupen  aus 
dem  Winterlager  nur  zu  je  1  ^Jq  mit  Apatiteles  fulvipes  und  Anomalon 
circumflexum,  und  mit  etwa  je  5  "/q  mit  dem  Braconiden  Meteorits  versicolor 
und  der  Tachine  Argyrophylax  bimaculata  besetzt  waren.  Erst  nach 
weiteren  zwei  Jahren  konnte  man  von  einem  wirksamen  Parasitenbefall 
reden,  indem  50  <*/()  der  Raupen  (und  teilweise  auch  mehr)  angegangen  waren. 
—  Noch  ungünstiger  liegen  die  Verhältnisse  bei  der  Nonne;  denn  bei  ihr  ist 
die  Parasitenreihe  weit  geringer  und  unvollkommener  als  bei  den  vor- 
genannten Schädlingen,  und  außerdem  erreichen  auch  nur  wenige  von  den 
Parasiten  eine  größere  Bedeutung.  Es  ist  wohl  in  der  Hauptsache  die 
Tachine  (hier  in  Sachsen  war  es  Parasefigena  segregata),  welche  der  Nonnen- 
vermehrung in  wirksamer  Weise  entgegentritt;  die  genannte  Art  ist  aber  für 
gewöhnlich  so  selten,  daß  die  Fliegensammler  Mühe  haben,  sie  für  ihre 
Sammlung  zu  erlangen.  Wenn  also  die  Nonnenvermehrung  plötzlich  durch 
irgendwelche  besonders  günstige  Bedingungen  größere  Dimensionen  annimmt, 
so  wird  es  immer  einer  längeren  Zeit  bedürfen,  bis  die  Tachine  den  Vor- 
sprung eingeholt  haben  wird,  zumal  sie  (nach  unseren  neuesten  Versuchen) 
eine  weit  geringere  Fortpflanzungsziffer  als  die  Eulentachine  besitzt  und 
außerdem  auch  noch  ziemlich  stark  unter  Hyperparasiten  und  Raubinsekten 
zu  leiden  hat.  So  findet  also  der  oben  erwähnte  Unterschied  in  der  Zeit- 
dauer der  verschiedenen  Kalamitäten  eine  ganz  ungezwungene  Erklärung  in 
dem  Verhältnis   der  Parasiten  zu  den  betr.  Schädlingen. 

16* 


244  Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 

Den  explosionsartigen  Vermehrungskatastrophen  stehen  die  chronischen 
hartnäckigen  Kalamitäten  gegenüber,  die  stets  wiederkehren  und  meist 
in  annähernd  der  gleichen  Höhe  verharren;  ich  erinnere  nur  an  den  Mai- 
käfer, den  Eichenwickler,  die  Fichtenblattwespe,  die  Lärchenminiermotte  u.  a. 
In  allen  diesen  Fällen  finden  wir  gewöhnlich,  daß  den  betr.  Schädlingen  nur 
wenige  oder  nur  wenig  wirksame  Parasiten  und  Räuber  gegenüberstehen, 
und  daß  der  Parasitenbefall,  wenn  überhaupt  von  einem  solchen  die  Rede 
sein  kann,  stets  auf  einer  sehr  geringen  Höhe  stehen  bleibt  (aus  uns  bis 
jetzt  noch  unbekannten  Ursachen). 

In  diesen  hier  mitgeteilten  Tatsachen,  die  unschwer  noch  vermehrt 
werden  könnten,  dürfte  wohl  die  eingangs  aufgestellte  Behauptung,  daß  für 
die  Niederhaltung  der  Schädlinge  zumeist  in  erster  Linie  die  Parasiten  und 
Raubinsekten  in  Betracht  kommen,  eine  kräftige  Stütze  erhalten. 

Ein  Moment  darf  dabei  allerdings  nicht  außer  acht  gelassen  werden, 
nämlich,  daß  die  Parasiten  und  Raubinsekten  selbst  wieder  ihre 
Feinde  haben,  durch  welche  event.  ihre  Vermehrung  stark  beschränkt  werden 
kann,  so  stark  sogar,  daß  sie  den  Vorsprung,  den  der  Schädling  genommen 
hat,  nur  sehr  langsam  oder  überhaupt  garnicht  mehr  einzuholen  vermögen. 
Eine  sehr  drastische  Erfahrung  dieser  Art  habe  ich,  wie  oben  schon  bemerkt, 
in  dem  von  der  Nonne  so  schwer  heimgesuchten  Staatsforstrevier  Glasten  ge- 
macht: Dort  konnte  im  Jahre  1910  eine  Tachinose  von  ca.  50  "/^  festgestellt 
werden,  die  eine  gute  Prognose  zu  rechtfertigen  schien;  doch  im  folgenden 
Jahre  machte  der  Tachinenbefall  nicht  nur  keine  Fortschritte,  sondern  ging  viel- 
mehr wesentlich  zurück,  und  zwar  auf  25  ^/q,  um  im  Jahre  1912  noch  weiter 
auf  10  *^/q  herabzusinken.  Der  Grund  für  diese  überraschende  Erscheinung 
ließ  sich  unschwer  ermitteln:  die  verschiedenen  Feinde  der  Tachine,  vor 
allem  die  Hyperparasiten,  wie  der  Trauerschweber  [Anthrax]  und  kleine 
Schlupfwespen  {Chalcidier),  dann  auch  eine  räuberische  Elateridenlarve,  zu 
denen  sich  auch  noch  Pilze  hinzugesellten,  hatten  inzwischen  so  in  ihrer 
Zahl  zugenommen,  daß  ein  hoher  Prozentsatz  der  Tachinennachkommen 
ihnen  zum  Opfer  fielen.  Solche  Fälle  gehören  glücklicherweise  zu  den 
Ausnahmen;  immerhin  ergibt  sich  daraus  für  die  Praxis,  daß  es,  um  zu 
einer  richtigen  Kalkulation  zu  gelangen,  nicht  genügt,  einfach  das  Vor- 
handensein von  Parasiten  festzustellen,  sondern  daß  auch  auf  das  Vor- 
kommen der  Hyperparasiten  und  anderer  Feinde  der  Parasiten 
zu  achten  und  deren  Zahl  in  die  Rechnung  mit  einzustellen  ist. 


Auf  die  einzelnen  Parasiten  und  Raubinsekten  soll  hier  nicht  näher 
eingegangen  werden,  da  dieselben  im  speziellen  Teil  noch  eine  ausführliche 
Besprechung  finden;  dagegen  halten  wir  es  für  zweckmäßig,  den  obigen 
Ausführungen  wenigstens  eine  kurze  allgemeine  Übersicht  über  Lebensweise 
jener  nützlichen  Tiere  anzufügen. 

Parasiten. 
Unter  den  Parasiten  spielen  weitaus  die  wichtigste  Rolle  die  Schlupf- 
wespen  und  die  Raupenfliegen.     Ihnen  gegenüber  kommen   die  wenigen 


Insektenvertilgende  Tiere. 


245 


Schmarotzer  aus  anderen  Familien  und  Ordnungen,  wie  z.  B.  der  Käfer 
Anthribus  varitis,  der  in  der  Fichtenquirlschildlaus  parasitiert,  oder  die 
zoologisch  so  merkwürdigen  Stylopiden,  die  in  Wespen  schmarotzen,  in  forst- 
licher Beziehung  nur  wenig  oder  gar  nicht  in  Betracht,  i) 

Die  Schlupfwespen  gehören  den  Hymenopteren  (Hautflüglern)  an  und 
stellen  ein  ungemein  zahlreiches  Heer  dar,  welches  sich  auf  5  Familien  ver- 
teilt: die  Ichneumoniden  (im  engeren  Sinne),  die  Braconiden,  die 
Evaniiden,  die  Chalcididen  und  Proctotrupiden. 

Die  Ichneumoniden  (im  engeren  Sinne)  bilden  infolge  der  Menge 
der  Arten  und  ihrer  Größe  (es  sind  meist  große  oder  mittelgroße  Arten)  die 
auffallendste  Familie  der  Schlupfwespen.  Sie  schmarotzenf'hauptsächlich  in 
Raupen  und  Puppen  von  Schmetterlingen,  in  Larven  von  Blatt-  und  Holz- 
wespen, in  holzbewohnenden  Käferlarven  usw.  (Fig.  189). 


Fig.    1S9.     Verschiedene   Typen  von    Schlupfwespen,     a  Ichneumonide  {Anomalon)   i/,;    6   Braconide 
(Microgaster  =  Apanteles)  ^j^;  c  Proctotrupide   (Teleas)  ^^j,;    d  Chalcidide  (Pteromaliis)  ^/j.    Aus  Eckstein. 


Einige  artenreiche  Gattungen  (Mezochorus,  Hemiteles  und  Pezomachus) 
sind  durchweg  Schmarotzer  2.  Grades  oder  Hyperparasiten,  die  bei  anderen 
Ichneumoniden  oder  bei  Braconiden  schmarotzen  und  dadurch  deren  wohl- 
tätige Wirkung  event.  stark  beeinträchtigen  können  (siehe  oben). 

Die  Braconiden  sind  eine  viel  kleinere  Familie  als  die  Ichneumoniden, 
die  meist  kleine  und  nur  relativ  wenige  mittelgroße  Arten  enthält.  Sie  sind 
als  Schmarotzer  bei  fast  allen  Insektenordnungen  (mit  Ausnahme  der 
Orthopteren  und  Neuropteren)  gefunden  worden.  H3'perparasitismus  scheint 
bei  ihnen  nicht  vorzukommen. 


^)  Dasselbe    gilt,    soviel    bis   jetzt    bekannt    ist,    auch    für   die    verschiedenen 
Parasiten  aus  anderen  Tierklassen,  wie  die  Würmer  {Mermis,  Gordius,  Nematoden), 

die  gelegentlich  in  Forstschädlingen  gefunden  werden. 


246  Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 

Die  Evaniiden  stellen  eine  noch  kleinere  Familie  dar,  enthalten  aber 
größere  Formen,  die  bei  Blattiden,  Bienen  und  Grabwespen,  sowie  holz- 
bewohnenden Käfern  und  Holzwespen  usw.  schmarotzen. 

Die  ungeheuer  artenreichen  Familien  der  Chalcididen  (in  Mittel- 
europa ca.  350  Gattungen,  von  denen  die  Gattung  Pteromaltis  allein  über 
300  Arten  umfaßt)  und  Proctotrupiden  enthalten  meist  nur  sehr  kleine 
Formen.  Ihr  Parasitismus  bezieht  sich  dementsprechend  großenteils  auf 
kleine  Insekten,  wie  Blattläuse,  Gallwespen,  Gallmücken,  Rüssel-,  Borkenkäfer 
usw.  oder  aber  auf  die  Eier  von  größeren  Insekten.  Allerdings  kommen  sie 
nicht  selten  auch  in  den  Larven  und  Puppen  der  letzteren  vor,  dann  aber 
gewöhnlich  in  großer  Menge  in  einem  Individuum  {Pteromalus  in  vielen 
Tagfalterpuppen,  Eulophus  in  der  Puppe  des  Kiefernspinners  usw.)  Ihre 
wirtschaftliche  Bedeutung  wird  dadurch  etwas  herabgedrückt,  daß  unter  ihnen 
zahlreiche  Parasiten  2.  Grades  sich  befinden,  was  aber  vielleicht  durch  das 
Vorkommen  von  Parasiten  3.  Grades,  welche  in  den  Hyperparasiten 
schmarotzen  und  dadurch  deren  schädliche  Wirkung  abschwächen,  wieder 
etwas  ausgeglichen  wird. 

Fast  alle  Schlupfwespen  leben  als  Larven  parasitisch  in  oder  an 
anderen  Insekten,  nur  einige  wenige  Chalcidier  machen  davon  eine  Aus- 
nahme, wie  die  /sosowa-Arten,  welche  in  Getreidestengeln  leben,  ferner  die 
Megasü'gni US- Arten,  die  größtenteils  zur  Samennahrung  übergegangen  sind, 
dann  Blastophaga,  die  durch  Gallbildung  die  Befruchtung  der  Feige  besorgt, 
u.  a.  m. 

Bezüglich  der  Art  des  Parasitismus  der  Schlupfwespen  herrschen  die 
größten  Unterschiede,  und  zwar  nicht  nur  je  nach  den  verschiedenen 
Familien,  sondern  auch  in  ein  und  derselben  Familie  und  sogar  bei  nah- 
verwandten Arten. 

Schon  bei  der  Eiablage  tritt  dies  in  Erscheinung,  indem  die  Eier 
entweder  in  den  Wirt  hinein,  oder  aber  außen  auf  dem  Wirt  abgelegt 
werden.  Im  letzteren  Falle  bohrt  sich  dann  das  ausschlüpfende  Lärvchen 
durch  die  Haut  des  Wirtes  in  die  Leibeshöhle  ein,  oder  sie  kann  auch  außen 
bleiben,  um  nach  Art  der  Ektoparasiten  von  außen  her  dem  Wirte  die  Säfte 
zu  entziehen.  Bei  den  tiefer  im  Holze  lebenden  Wirten  (Bockkäfer-,  Holz- 
wespenlarven usw.)  begnügen  sich  die  Ichneumonen  damit,  das  Ei  in  die 
Nähe  des  Wirtes  in  den  Fraßkanal  zu  bringen,  so  daß  die  ausschlüpfende 
Larve  selbständig  den  Wirt  aufsuchen  muß.  Die  langgestielten  oder  lang- 
gezogenen Eier,  die  vielen  Schlupfwespen  eigen  sind  (siehe  oben  S.  118, 
Fig.  107,  17),  werden  in  der  Weise  auf  dem  Wirt  angebracht,  daß  das  dicke 
Ende  außen  bleibt,  während  der  dünne  Stiel  durch  die  Haut  hindurch  nach 
innen  ragt,  so  daß  der  Eiinhalt  von  dem  äußeren  Teil  nach  innen  fließen  kann. 

Die  Ablage  der  Eier  geschieht  mit  Hilfe  des  Legebohrers,  der  übrigens 
auch  als  Waffe  zur  Abwehr  dienen  kann,  wie  die  empfindlichen  Stiche,  die 
die  größeren  Arten  den  Menschen  beibringen  können,  beweisen.  Die  Länge 
des  Bohrers  ist  sehr  verschieden,  je  nach  der  Lage  und  dem  Sitz  des 
Wirtes:  „er  muß  lang  sein,  wenn  er  die  Brut  an  sehr  versteckte  Stellen,  wie 
in   die   Tiefe   des   Holzes,    an  Bockkäfer   oder   Holzwespenlarven   hinbringen 


Insektenvertilgende  Tiere. 


247 


Fig.  190.    Blattlaus  (Lysiphlehiis),  eine  Blattlaus 
anstechend.  Nach  "Web  st  er  aus  Escherich. 


soll,  er  kann  dagegen  kürzer  sein,  wenn  freilebende  Larven  oder  Puppen, 
wie  z.  B.  die  des  Spinners,  der  Eule,  oder  Blatdäuse  usw.  mit  Eiern  belegt 
werden  sollen"  (Ratzeburg). 

Beim  Angriff  wird  der  Bohrer  senkrecht  gegen  den  Hinterleib  ab- 
gebogen oder  aber  der  Hinterleib  selbst  stark  nach  unten  oder  sogar  nach 
vorn  gekrümmt,  daß  dann  der  Stachel  in  derselben  Richtung  wie  der  Hinter- 
leib geführt  wird  (Fig.  190  u.  191).  Die  angegriffenen  Opfer  suchen  sich  meist 
nach  Kräften  zu  wehren,  was  aber  den  Para- 
siten nicht  abhält,  seine  Anstrengungen  so 
lange  fortzusetzen,  bis  er  seinen  Zweck 
erreicht  hat,  allerdings  sind  auch  Fälle 
beobachtet,  daß  die  Raupen  sich  gänzlich 
ruhig  verhielten,  ja  nicht  einmal  zuckten, 
wenn  der  Parasit  seinen  todbringenden 
Stich  ausführte. 

Der  Vorgang  der  Eiablage  voll- 
zieht sich  meistens  sehr  rasch,  blitz- 
schnell, wie  z.  B.  bei  den  bekannten  Kiefernspinnerparasiten  Anomalon 
circiimflexuni]  andere  dagegen  brauchen  längere  Zeit,  besonders  wenn  der 
Bohrer,  um  zum  Wirt  zu  gelangen,  hartes  Material  durchdringen  muß. 
Dieses  trifft  vor  allem  für  die  bei  holzbewohnenden  Larven  parasitierenden 
Arten  zu,  wie  z.  B.  für  Rhyssa  und  Ephialtes.  Letzterer  bohrt  die 
Stöcke  von  oben  her  an,  wobei  der  drehrunde  Bohrer  erstaunlich  schnell 
in  die  Tiefe  rückt,  während 
Rhyssa  ihren  flachen  bandartigen 
Bohrer  von  der  Seite  her  radial 
in  den  stehenden  Stamm  hinein- 
zwängt. 

Ein  Teil  der  Schlupfwes- 
pen ist  monophag,  d.  h.  ist 
ganz  speziell  auf  einen  bestimm- 
ten Wirt  angewiesen,  während 
andere  dagegen  polyphag  sind 
und  also  an  verschiedene  Wirte 
gehen.  Früher  hielt  man  den 
größeren  Teil  der  Schlupfwespen 
für   streng  monophag,   während 

sich  bei  Häufung  der  Zuchten  immer  mehr  herausstellt,  daß  viele  der  früher 
als  monophag  gehaltenen  Tiere  bei  mehreren  Wirten  vorkommen.  Die  Poly- 
phagie kann  verschiedene  Grade  aufweisen,  je  nachdem  sie  sich  nur  auf  nah- 
verwandte Wirte  erstreckt  oder  aber  ganz  verschiedene  Insekten  betrifft.  So 
gehen  manche  Arten,  z.  B.  Ichneumon  disparis  nur  an  einige  nahestehende 
Spinnerarten,  während  dagegen  andere,  wie  z.  B.  gewisse  Pimpla-Anen  gleich- 
zeitig bei  Schmetterlingen,  Käfern,  Blattwespen  und  Fliegen  parasitieren. 

Besonders  bemerkenswert  sind  jene  Fälle  von  Polyphagie,  in  denen  ein  und 
dieselbe  Art    sowohl  als  Parasit  als  auch  als  Hyperparasit  auftritt;  bis  jetzt  sind 


Fig.  191 


Eine  Schlupfwespe  {Panisms  ocellaHs),  eine  Raupe 
anstechend.    Nach  Chewyreux. 


248  Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 

zwei  derartige  Fälle  bekannt,  die  durch  Howard  und  Fiske  beschrieben  sind: 
der  erste  Fall  betrifft  den  Chalcididen  Pteromalus  egregius,  der  die  ruhenden  kleinen 
Raupen  des  Goldafters  belegt;  wenn  er  dann  im  Frühjahr  ausschlüpft,  greift  er 
sofort  die  um  dieselbe  Zeit  aus  den  Goldaftcrräupchen  sich  ausbohrenden  Larven 
einer  anderen  Schlupfwespenart  an,  und  belegt  sie  mit  seinen  Eiern.  Der  zweite 
Fall  handelt  von  Monodontomerus  aereus,  der  in  den  Puppen  vom  Schwammspinner 
und  Goldafter  lebt,  zugleich  aber  auch  in  anderen  Schlupfwespen  und  in 
Tachinentönnchen    schmarotzt. 

Bei  den  polyphagen  Arten  kommen  mitunter  auffallende  Größenunterschiede 
vor,  die  mit  den  Größenunterschieden  der  Wirte  ungefähr  Hand  in  Hand  gehen. 
So  schwankt  z.  B.  die  ungemein  polyphage  Pimpla  instigator  in  ihrer  Größe 
zwischen  7  und  30  mm;  so  ergeben  ferner,  wie  wir  selbst  beobachten  konnten,  die 
Raupen  der  Kieferneule  weit  kleinere  Exemplare  von  Anomalon  circumßexum, 
als  die  Raupen  des  weit  größeren  Kiefernspinners. 

Wie  wir  oben  bei  der  Besprechung  der  Parasitenfolge  bereits  ange- 
deutet haben,  verhalten  sich  die  Parasiten  auch  bezügl.  des  Entwicklungs- 
stadiums des  Wirtes  recht  verschieden,  indem  die  einen  das  Ei,  die 
andern  die  jungen,  wieder  andere  die  älteren  Raupen,  noch  andere  die 
Puppen  und  die  Imagines  befallen.  Am  meisten  haben  die  Larven  und 
Puppen  unter  Schlupfwespenangriffen  zu  leiden,  dann  die  Eier  und  am 
wenigsten  die  Imagines.  Auch  bezügl.  des  Alters  der  einzelnen  Stadien 
werden  vielfach  Unterschiede  gemacht;  so  belegt  z.  B.  Anastatus  bifasciatus 
das  Ei  des  Schwammspinners  nur  in  den  ersten  10  Tagen  des  Eistadiums, 
während  Schedius  Kuwanae  das  Ei  erst  von  da  ab,  dann  aber  die  ganze 
übrige  Zeit  des  Eistadiums  (das  ca.  280  Tage  dauert)  befällt. 

Sehr  verschieden  ist  auch  die  Zeit,  die  der  Parasit  in  dem  Wirt  ver- 
bleibt und  demnach  auch  das  Stadium  des  Wirtes,  in  welchem  derselbe  von 
seinem  Parasiten  verlassen  wird.  Die  Eiparasiten  sind  meist  auf  das  Ei- 
stadium  beschränkt,  während  die  Larvenparasiten  oft  noch  in  die  Puppe,  ja 
mitunter  sogar  in  die  Imago  übergehen. 

Viele  Schlupfwespen  machen  die  ganze  Entwicklung  im  Wirtstier  durch 
und  verpuppen  sich  dann  meist  ohne  Kokons  in  der  Puppe  des  Wirtes; 
andere  verlassen  ihren  Wirt  bereits  als  ausgewachsene  Larve,  in  welchem 
Falle  sie  sich  also  außerhalb  des  Wirtes,  entweder  direkt  auf  seiner  äußeren 
Oberfläche  oder  in  dessen  unmittelbarer  Nähe  oder  aber  ganz  unabhängig 
von  ihm  im  Boden  oder  sonstwo  verpuppen  (meist  in  Kokons). 

Die  Ausbohr-  oder  Schlupföffnungen,  die  von  den  Parasiten  in  den 
Eiern  oder  Puppen  der  Wirte  gemacht  werden,  unterscheiden  sich  vielfach 
deutlich  von  den  Schlupföffnungen  der  rechtmäßigen  Eigentümer,  so  daß 
man  daran  gut  erkennen  kann,  ob  eine  Raupe  oder  Schmetterling  ausge- 
krochen ist  oder  ein  Parasit,  was  natürlich  für  die  Praxis  (Feststellung  der 
Höhe  des  Parasitenbefalls)  von  großer  Bedeutung  ist.  Es  wird  z.  B.  bei  den 
Kiefernspinnereiern  niemand  im  Zweifel  sein,  ob  das  Räupchen  heraus- 
gekommen ist  oder  aber  Schlupfwespen,  da  im  letzteren  Fall  nur  eine  kleine 
runde  Öffnung  vorhanden  ist,  während  im  ersteren  der  größte  Teil  der  Ei- 
schale abgenagt  ist  (Fig.  192). 

Über  die  Generationsverhältnisse  der  Schlupfwespen  sind  wir 
noch    sehr    schlecht    unterrichtet;    das    meiste,    was    wir   darüber  wissen,    ver- 


Insektenvertilgende  Tiere. 


249 


danken  wir  den  Arbeiten  der  Amerikaner.  Ein  großer  Teil  der  Schlupf- 
wespen hat  zweifellos  eine  einfache  Generation.  Bei  Arten,  die  im  Spät- 
sommer auskommen,  findet  meist  eine  Überwinterung  der  befruchteten 
Weibchen  statt  (während  die  Männchen  gleich  nach  der  Befruchtung  ab- 
sterben). Der  Eiparasit  Anastatus  bifasciatus  belegt  das  frisch  gelegte  Ei 
des  Schwammspinners,  seine  Larve  ist  bereits  nach  drei  Wochen  erwachsen, 
sie  ruht  aber  dann  zehn  Monate  innerhalb  des  abgestorbenen  Wirtseies,  so 
daß  seine  Imagoflugzeit  erst  dann  eintritt,  wenn  wieder  neue  Schwammspinner- 
eier vorhanden  sind. 

Andererseits   ist   auch    eine   doppelte   Generation    nicht   selten.     So 
hat    Apanteles   glomeratiis    zwei    Generationen,    entsprechend    der    doppelten 


Figf.  192.     Schmetterllngseier,  von  kleinen  Schlupfwespen  verlassen  (mit  kleinen  Löchern  versehen), 
daneben  Schalenreste  ausgeschlüpfter  Eier,    a  und  6  Kiefernspinner;  c  Brombeerspinner. 


Generation  seines  Wirtes,  des  Kohlweißlings.  So  hat  ferner  nach  Fiske 
Apanteles  fulvipes  wenigstens  zwei  Generationen,  von  denen  die  erste  in 
den  kleinen,  die  zweite  in  den  erwachsenen  Raupen  des  Schwammspinners 
lebt,  —  also  zwei  Generationen  während  einer  Raupensaison;  wahrscheinlich 
sind  derartige  Fälle  ziemlich  häufig.  Bei  den  letztgenannten  Apanteles,  dessen 
Entwicklungsdauer  nur  wenige  Wochen  beansprucht,  ist  es  recht  wohl  mög- 
lich, daß  er  im  Herbst  noch  auf  einen  anderen  Wirt  übergeht,  um  eine 
dritte  Generation  zu  machen. 

Wirts  Wechsel    spielt    zweifellos    eine    große   Rolle    bei   den   Schlupf- 
w^espen:   Teleas   ovulormn   hat   eine   ganze  Reihe  von  Wirten,  darunter   auch 


250  Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 

die  Eier  des  Ringel-  und  des  Kiefernspinners;  er  kann  also,  wenn  er  im 
August  aus  den  Eiern  des  letzteren  herauskommt,  immer  noch  mehrmals 
einen  Zwischenwirt  benutzen.  Ebenso  hat  der  in  jungen  Nonnenräupchen 
schmarotzende  Apanteles  solitarins  mehrere  als  Zwischenwirte  benutzbare 
Wirte,  wie  z.  B.  die  zweite  Generation  von  Orgyia  antiqua,  so  daß  er, 
wenn  er  die  jungen  Nonnenräupchen  verlassen  hat,  sofort  neues  passendes 
Brutmaterial  zu  einer  zweiten  Generation  vorfindet.  —  Die  Frage  des 
Wirtswechsels  kann  für  die  Praxis  von  der  größten  Wichtigkeit  sein,  be- 
sonders, wenn  man  die  Parasiten  zur  Bekämpfung  künstlich  heranziehen 
will,  da  es  bei  Parasiten  mit  regelmäßigem  Wirtswechsel  notwendig  ist, 
daß  auch  der  Zwischenwirt  vorhanden  ist.  Manche  Fälle  von  gänzlichem 
Versagen  der  Parasiteneinfuhr,  z.  B.  Apanteles  fulvipes  in  Amerika,  ist  viel- 
leicht auf  den  Mangel  geeigneter  Zwischenwirte  zurückzuführen. 

Die  Anzahl  der  in  einem  Wirte  lebenden  Schlupfwespenlarven 
wechselt  sehr,  von  einer  einzigen  bis  zu  mehreren  Hundert,  ja  Tausend; 
selbst  in  den  Eiern  können  bis  zu  zwanzig  Larven  und  mehr  vorkommen, 
dagegen  bewohnt  Anastaius  bifasciatus  das  Schwammspinnerei  immer  nur  in 
1  Stück.  Die  größte  Zahl  ist  wohl  von  Howard  beobachtet  worden,  der  in 
einer  Schmetterlingsraupe  2 — 3000  Stück  eines  winzigen  Chalciders  feststellte. 
Von  Apanteles  fulvipes  sind  in  kleineren  Schwammspinnerraupen  oft  nur  2 
bis  3  Larven,  in  großen  100  und  mehr.  Und  von  Pteromalus  piiparum 
werden  mitunter  6- — 700  Stück  in  einer  Puppe  gefunden.  Im  allgemeinen 
hängt  die  Zahl  der  Larven  von  der  Größe  der  Schlupfwespen  ab,  indem 
um  so  weniger  vorhanden  sind,  je  größer  die  betr.  Schlupfwespe  ist  und 
umgekehrt.  Doch  ist  dies  keine  feststehende  Regel,  indem  z.  B.  der  kleine 
Chalcis  flavipes  stets  nur  in  1  Stück  in  der  großen  Puppe  des  Schwamm- 
spinners vorkommt.  Selten  gehen  an  eine  Raupe  zwei  verschiedene 
Schlupfwespenarten;  doch  sind  auch  schon  solche  Fälle  beobachtet 
worden,  z.  B.  Anomalon  und  Apanteles  in  einer  Spinnerraupe. 

Die  Zahl  der  Larven  entspricht  nicht  immer  der  Zahl  der  abgelegten 
Eier,  da,  wie  wir  oben  gehört  haben,  durch  Polyembryonie  aus  1  Ei  eine 
ganze  Menge  Larven  sich  bilden  können. 

Die  alte  Ratzebu rgsche  Hypothese,  daß  die  Schlupfwespen  nur 
kranke  Wirte  befallen,  ist  heute  völlig  aufgegeben.  Hundertfältige  Er- 
fahrungen haben  das  Gegenteil  gezeigt.  Liegt  es  doch  auch  im  Interesse  des 
Parasiten,  möglichst  gesundes  Material  zu  belegen,  da  in  solchem  seine  Ent- 
wicklung viel  sicherer  sich  vollziehen  kann,  als  in  kränklichen,  absterbenden 
Wirten. 

Die  zweite  wichtige  Gruppe  von  Schmarotzerinsekten,  die  Raupen- 
fliegen oder  die  „Tachinen"  (sens.  lat.)  gehören  der  Dipterenfamilie  der 
Tachiniden  an,  wo  sie  sich  auf  3  Unterfamilien  die  Tachininae,  Dexiinae  und 
Sarcophaginae  verteilen.^) 


1)  Die  Tachininae  enthalten  98  (mitteleuropäische)  Gattungen  mit  zusammen 
ca.  375  Arten,  die  Dexiinae  60  Gattungen  mit  120  Arten,  die  Sarcophaginae 
ca.  20  parasitische  Gattungen  mit  über  50  Arten  (exkl.  der  Gattung  Sarcophaga). 


Insektenvertilgende  Tiere. 


251 


Sie  bilden  im  Gegensatz  zu  den  Schlupfwespen  eine  ziemlich  einförmige 
Gruppe,  und  die  Arten  stehen  sich  vielfach  so  nahe,  daß  die  Bestimmung 
meist  mit  großen  Schwierigkeiten  verbunden  ist.  Trotzdem  zeigen  sie  in 
biologischer  Hinsicht  eine  erstaunliche  Vielseitigkeit,  und  stehen 
darin  den  Schlupfwespen  kaum  nach.  Bis  vor  kurzem  waren  unsere 
biologischen  Kenntnisse  dieser  wirtschaftlich  so  bedeutsamen  und  wissen- 
schaftlich   so    interessanten    Tiere    beinahe    gleich    Null;     erst    im    letzten 


Fig.  193.    Tachinen.    A  Blepharipa  scutellata;  B  deren  kleine  schwarze  Eier  auf  einem  Blatt  befestigt, 

wo  sie  von  den  Raupen  zugleich  mit  dem  Blatt  gefressen  werden;  C Larve  \oq  Eupeleteriamagnicoryiis, 

die  mit  ihrem  Hinterende  an  einem  Blatt  befestigt  ist,  um  mit  ihrem  freien  Vorderende  sich  an  eine 

vorüberkriechende  Larve  festzuheften.    Nach  Howard  und  Fiske  aus  Escherich. 


Jahrzehnt  ist  darin  etwas  Wandel  geschaffen  worden,  vor  allem  durch  die 
Arbeiten  von  Townsend,  Fiske,  Pantel,  Nielsen  und  Prell,  so  daß  wir 
heute  wenigstens  von  einigen  wenigen  Arten  die  Lebensgeschichte  einiger- 
maßen kennen. 

Die  Verschiedenartigkeit  in  der  Biologie  dokumentiert  sich  wie  bei  den 
Schlupfwespen  auch  bei  den  Tachinen  schon  bei  der  Eiablage:  die  einen 
Arten  (wohl  die  Mehrzahl)  legen  ihre  Eier  außen  auf  die  Haut  des  Wirtes 
ab,  so  daß  also  die  auskommenden  Lar\^en  sich  durch  die  Haut  durch- 
bohren müssen  (z.  B.  Tachma  larvarum,  Parasetigena  segregata)]  die 
anderen   legen   gleich  die  Larven   auf  den  Wirt  ab  (z.  B.  E.xorista);  wieder 


252  Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 

andere  bringen  die  Larven  gleich  in  den  Körper  des  Wirtes,  indem 
sie  mit  Hilfe  eines  besonderen  Legeapparates  die  dünne  Haut  zwischen  den 
Segmentplatten  durchbohren  {Compsilura  concinnata)]  wieder  andere  setzen 
ihre  Larven  auf  Blättern  ab,  von  wo  aus  sie  auf  vorüberlaufende  Raupen 
zu  gelangen  suchen  {Eupeleteria,  Panzeria),  und  noch  andere  endlich  legen 
ihre  Eier  (die  in  diesem  Falle  winzig  klein  und  hartschalig  sind)  auf  Blätter 
ab,  wo  sie  von  den  Raupen  gefressen  und  so  in  den  Körper  des  Wirtstieres 
gelangen  {Blepharipa  \Sturmia\  scutellatä). 

Auch  die  Zahl  der  Eier,  die  ein  Tachinenweibchen  produzieren  kann, 
ist  sehr  unterschiedlich  und  schwankt  zwischen  wenigen  Hundert  und 
mehreren  Tausend,  je  nach  der  Größe  der  Eier.  Da  meist  nur  je  1  Ei  an 
einem  Wirtsindividuum  gefunden  wird,  so  kann  die  Zahl  der  produ- 
zierten Eier  event.  die  Zahl  der  einem  Tachinen-9  zum  Opfer  fallenden 
Raupen  usw.  bedeuten.  In  Wirklichkeit  dürfte  dieser  Fall  jedoch  nur  selten 
eintreten;  denn  einmal  finden  wir  auch  Ausnahmen  von  obiger  Regel,  indem 
mitunter  eine  ganze  Anzahl  Eier  an  1  Wirtsindividuum  gelegt  werden, 
und  sodann  werden  viele  Eier  bei  der  Häutung  des  Wirtes  wieder  ab- 
gestreift, so  daß  sie  also  nicht  alle  zur  Entwicklung  gelangen  können.  Im 
Hinblick  auf  letzteren  Punkt  unterscheiden  wir  zwischen  Tachinierung  und 
Tachinose,  indem  wir  als  „tachiniert"  überhaupt  alle  mit  Eiern  besetzten 
Raupen  bezeichnen,  als  „tachinös"  jedoch  nur  solche,  die  wirklich  infiziert, 
d.  h.  bei  denen  die  Larven  bereits  in  den  Körper  eingedrungen  sind.  Die 
Zahl  der  tachinierten  Raupen  allein  kann  also  nicht  ohne  weiteres  als  ge- 
nauer Maßstab  für  die  Höhe  der  Tachinose  verwandt  werden,  wenn  sie 
auch  in  den  meisten  Fällen  ein  annähernd  richtiges  Bild  davon  geben 
dürfte. 

Gewöhnlich  kann  sich  in  einem  Wirtsindividuum  nur  eine  oder 
höchstens  zwei  Tachinenlarven  gut  entwickeln.  Wo  mehr  eindringen,  sterben 
die  überzähligen  meistens,  wohl  aus  Raum-  oder  Nahrungsmangel,  ab.  Es 
sind  jedoch  bei  kleinen  Tachinenarten  auch  Fälle  beobachtet  worden,  in  denen 
5  oder  7  oder  sogar  noch  mehr  Tachinenlarven  sich  in  einer  Schmetterlings- 
raupe voll  entwickelt  haben;  ja  Präparator  Herpig  hat  aus  einer  Puppe  von 
Sphinx  pinastri  nicht  weniger  als  18  entwickelte  Tachinenlarven  auskommen 
sehen.  Immerhin  ist  der  erstere  Vorgang  (Absterben  der  überzähligen  Larven) 
wohl  als  die  Regel  anzusehen;  es  ist  daher  keineswegs  immer,  wie  vielfach 
in  der  Praxis  angenommen  wird,  ein  besonders  erfreuliches  Zeichen,  wenn 
auf  einer  einzigen  Raupe  eine  große  Anzahl  Tachineneier  gefunden  werden, 
sondern  es  bedeutet  dies  meistens  eine  (wohl  auf  Instinktsirrtum  resp.  -mangel 
beruhende)  Vergeudung  der  Vernichtungskraft  der  Tachine. 

Wie  bei  den  Schlupfwespen  gibt  es  auch  bei  den  Tachinen  sowohl 
monophage  als  auch  polyphage  Arten,  doch  überwiegen  hier  zweifellos 
die  letzteren. 

Meistens  bohrt  sich  die  Tachinenlarve,  wenn  sie  ausgewachsen  ist,  aus 
dem  Wirte  aus,  um  sich  entweder  in  der  Nähe  des  Wirtes  oder  aber  im 
Boden   in   den    charakteristischen   Tönnchen    (siehe   S.    168,   Fig.   170,  A)   zu 


Insektenvertilgende  Tiere.  253 

verpuppen.  Nur  ganz  wenige  Formen  verpuppen  sich  in  dem  Wirtstier,  wie 
z.  B.  die  Viviana  cinerea  im  Abdomen  von  Carabus,  oder  Carcelia  comata 
in  der  Puppe  von  Malacosonia  castrensis. 

Die  Tachinen  haben  sowohl  einfache  als  doppelte  Generation.  Als 
Beispiel  für  die  erstere  nenne  ich  die  Nonnentachine  Parasetigena  segregata, 
die  im  Juli  sich  verpuppt  und  als  Puppe  überwintert,  um  erst  im  nächsten 
Mai,  wenn  wieder  Nonnenraupen  vorhanden  sind,  auszuschlüpfen.  Eine 
doppelte  Generation  hat  z.  B.  Tachina  larvaruni,  Actia  pilipennis  oder 
Phryxe  vulgaris;  meist  ist  dieselbe  mit  einem  Wirtswechsel,  wie  wir  ihn  be- 
reits oben  bei  den  Schlupfwespen  kennen  gelernt  haben,  verbunden.  So 
wurde  z.  B.  von  der  sehr  potyphagen  Tachina  larvarum  eine  Sommer-  und 
eine  Winter-Herbstgeneration  beobachtet,  die  erstere  in  Malacosoma  castrensiSy 
die  letztere  in  Spilosoma  lubricipeda.  Ebenso  hat  Actia  pilipennis  wenigstens 
zwei  Generationen:  die  erste  schmarotzt  in  der  Larve  des  Harzgallenwicklers 
{Evetria  resinella),  aus  der  im  Mai  die  Imagines  auskommen.  Diese  belegen 
alsdann  die  um  diese  Zeit  bereits  ziemlich  erwachsenen  Raupen  des  Kiefern- 
triebwicklers  {Ev.  buoliana),  woraus  im  Juli  bis  August  die  Fliege  zum 
zweitenmal  im  Jahre  erscheint. 

Über  die  Wirksamkeit  (Vernichtungsgröße)  der  Tachinen  haben  wir 
oben  schon  einiges  gesagt.  Bei  manchen  Schädlingen  spielen  die  Tachinen 
die  Hauptrolle,  wie  z.  B.  bei  der  Kieferneule  (siehe  oben  Fig.  188,  S.  242) 
und  der  Nonne.  Hängt  doch  bei  der  letzteren  das  Ende  der  Kalamität 
vielfach  (d.  h.  neben  der  Wipfelkrankheit,  deren  Rolle  noch  nicht  genügend 
aufgeklärt  ist)  von  der  Zahl,  resp.  von  den  Entwicklungsbedingungen  der 
Tachine  ab,  wie  wir  bei  der  gegenwärtigen  Nonnenkalamität  in  Sachsen 
mehrfach  beobachten  konnten.  Auch  Nielsen  teilt  einen  Fall  mit,  der  die 
Beendigung  einer  Kalamität  durch  die  Tätigkeit  der  Tachinen  zeigt:  1905 
wurde  eine  Weidenhecke  vom  Weiden-  und  Ringelspinner  belegt,  1906  und 
1907  vermehrten  sich  die  Raupen  so  sehr,  daß  die  Hecke  völlig  kahl  ge- 
fressen wurde,  1907  ward  zum  erstenmal  die  Tachinose  festgestellt  {Carcelia 
gnava),  1908  zeigte  sich  bereits  ein  Rückgang  der  Raupen  bei  gleichzeitiger 
Zunahme  der  Tachinose,  1909  waren  schon  50  *^/^)  der  Raupen  tachinös  und 
1910  waren  nur  noch  wenig  Raupen  vorhanden,  die  fast  alle  von  Tachinen 
befallen  waren. 

Raubinsekten. 

Wirtschafdich  stehen  die  Raubinsekten  den  Parasiten  im  allgemeinen 
zweifellos  nach.  Schon  die  Zahl  der  Arten  ist  eine  ungleich  geringere,  und 
auch  die  Vermehrungsgröße  reicht  gewöhnlich  nicht  an  die  der  Parasiten 
heran.  Dennoch  gibt  es  auch  Fälle,  in  denen  die  Wirkung  der  Raubinsekten 
derjenigen  der  Parasiten  gleichkommt  und  sie  sogar  noch  übertrifft.  So  können 
wir  z.  B.  der  raschen  und  radikalen  Vernichtung  der  nach  Amerika  ver- 
schleppten Wollschildlaus  Icerya  Purchasi  durch  den  Coccinelliden 
Noviits  cardinalis  kaum  ein  ebenbürtiges  Beispiel  aus  der  Reihe  der  Para- 
siten an  die  Seiten  stellen.  Auch  viele  andere  Coccinelliden  (aller 
Weltteile)  sind  als  überaus  wirksame  Bekämpfer  von  Schädlingen,  vor  allem 


254  Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 

der  Blatt-  und  Schildläuse,  beobachtet  worden.  Vor  kurzem  hatten  wir 
Gelegenheit,  uns  von  der  Wirksamkeit  der  Coccinelliden  im  Walde  zu  über- 
zeugen. Vor  einigen  Jahren  trat  im  Reudnitzer  Revier  (Sachsen)  eine  Schildlaus, 
Palaeococcus  fuscipetinis,  in  ungeheueren  Mengen  an  Kiefern  auf,  so  daß  an 
einzelnen  Stämmen  faustgroße  Ballen  der  weißen  Wolle  zu  finden  waren. 
Die  Vermehrung  machte  jedoch  bald  Halt,  und  zwar  gleichzeitig  mit  dem 
häufigeren  Auftreten  von  Novius  cruentatus^  dessen  Larve  und  Imago  von 
der  Schildlaus  sich  nährt.  Der  Coccinellide  wurde  in  der  Folgezeit  immer 
häufiger,  während  damit  Hand  in  Hand  die  Schildlaus  immer  mehr  zurück- 
ging und  schließlich  nach  wenigen  Jahren  vollständig  verschwand.  —  Nach 
allem,  was  wir  bis  jetzt  über  die  Coccinelliden  wissen,  dürfen  wir  diese 
Käferfamilie  bezügl.  ihrer  wirtschaftlichen  Bedeutung  (Vernichtungskraft)  in 
die  erste  Reihe  unter  den  Raubinsekten  stellen. 

Eine  bedeutende  Rolle  im  Kampfe  gegen  die  Schädlinge  spielen  auch 
die  Ameisen,  von  denen  ja  viele  Arten  großenteils  oder  sogar  aus- 
schließlich von  Insekten  sich  nähren,  und  deren  Nahrungsbedürfnis  infolge 
der   großen  Individuenzahl    ein   ungemein  hohes  ist.     Das  höchste  Lob  unter 


Fig.  194.    Verschiedene  Coccinellen  mit  ihren  Larven  und  Puppen.    Aus  Ritzema  Bos. 

ihnen  verdient  —  wenigstens  in  unseren  Landen  —  unstreitig  die  rote 
Waldameise  {Formica  rufa),  die  infolge  ihrer  großen  Haufen  zu  den  be- 
kanntesten Ameisenarten  unserer  Fauna  gehört.  Von  früh  bis  nachts  sehen 
wir  von  ihren  Bauten  aus  ununterbrochene  Reihen  von  Arbeitern  ausziehen, 
um  die  ganze  Umgebung  sowohl  auf  dem  Boden  als  auch  auf  den  Bäumen 
nach  Insekten  zu  durchstreifen.  Versuchen  wir,  Zählungen  anzustellen,  so 
gelangen  wir  zu  höchst  überraschenden  Zahlen.  Forel  berechnete,  daß 
von  den  Bewohnern  eines  einzigen  großen  Nestes  an  einem  Tage  mindestens 
100000  Insekten  vertilgt  werden;  das  macht  in  einem  Sommer  mindestens 
10  Millionen. 

Gegenüber  den  Ameisen  spielen  die  übrigen  Hymenopteren  eine  ge- 
ringere Rolle.  Immerhin  machen  sich  die  Grabwespen  (Fig.  195),  welche  die 
Gewohnheit  haben,  Insekten  für  ihre  Nachkommenschaft  in  die  Nester  einzu- 
tragen, durch  Vertilgung  zahlreicher  Forstschädlinge  recht  nützlich;  vor 
allem  scheinen  sie  an  der  Bekämpfung  der  verschiedenen  Kurzrüßler,  wie 
Brachyderes,  Phyllobius,  Polydrusus  usw.  einen  nicht  zu  unterschätzenden 
Anteil  zu  nehmen.  Auch  die  Faltenwespen  (die  einsamen  sowohl,  wie  die 
geselligen)  beteiligen  sich  an  der  Vernichtung  von  Schädlingen,  indem  sie 
zahlreiche  Larven  aller  Art  usw.  in  ihre  Nester  eintragen. 


Insektenvertilgende  Tiere. 


255 


Übrigens  ist  die  Tätigkeit  der  Raubwespen  keineswegs  eine  unein- 
geschränkt nützliche,  denn  es  fallen  ihr  nicht  nur  schädliche,  sondern  auch 
nützliche  Tiere  zum  Opfer,  und  einige  Arten  haben  sogar  eine  spezielle  Vor- 
liebe für  nützliche  Tiere;  so  tragen  z.  B.  verschiedene  Arten  der  Gattung 
Crabro  vorzugsweise  Fliegen,  darunter  viele  Syrphiden  und  Tachinen  ein. 

Nach  den  Ameisen  dürften  —  hinsichtlich  der  wirtschaftlichen  Bedeutung 
—  die  Laufkäfer  (Fig.  196)  zu  nennen  sein,  vor  allem  die  beiden  Puppen- 
räuber, Calosoma  sycophanta  und  Inquisitor^  deren  nützliche  Tätigkeit 
(Vertilgen  der  Raupen  und  Puppen  der  verschiedensten  Arten,  wie  Nonne, 
Kiefernspinner,  Schwammspinner  usw.)  jedem  Praktiker  geläufig  ist.  Trotz 
dieser  allgemein  bekannten  Eigenschaft  und  der  doch  ziemlich  auffallenden 
Erscheinung  der  beiden  Käfer  waren  unsere  Kenntnisse  darüber  bis  vor 
kurzem  nur  sehr  mangelhafte;    erst  in  der  allerjüngsten  Zeit   sind  wir  besser 


"^^ 

-ar. 

,-^— -  ■  -t  _. 

Fig.  195.    Eine  Grabwespe,  eine  Raupe  eintragend.    Nach  Peckham. 


unterrichtet  worden,  und  zwar  durch  die  Amerikaner,  welche  den  Sycophanten 
seiner  ausgezeichneten  Kletterfähigkeit  wegen  bei  sich  eingeführt  haben  (mit 
bestem  Erfolg!)  zur  Unterstützung  des  Kampfes  gegen  den  Schwammspinner 
und  zu  diesem  Zwecke  vorher  eingehende  Studien  über  seine  Lebens- 
weise angestellt  haben.  Darnach  hat  der  Käfer  eine  Lebensdauer  von 
3  Jahren  und  vertilgt  in  dieser  Zeit  pro  Jahr  2 — 400  erwachsene  Schwamm- 
spinnerraupen, während  die  Larve  zu  ihrer  vollen  Entwicklung  nur  ca.  40 
ausgewachsene  Raupen  oder  gar  nur  ein  Dutzend  Puppen  bedarf.  Die  Ver- 
mehrungsziffer ist  eine  relativ  hohe,  indem  ein  Weibchen  während  seiner 
dreijährigen  Lebensdauer  durchschnittlich  gegen  300  Eier  legt.  Diese  Zahlen 
machen  den  wirtschaftlichen  Wert  der  Puppenräuber  ohne  weiteres  klar. 
Auch  die  verschiedenen  anderen  großen  Carabiden  beteiligen  sich  an  der 
Insektenvertilgung,  doch  bei  weitem  nicht  in  dem  Maße  wie  die  eben- 
genannten. 

Von  den  übrigen  als  Insektenräuber   bekannten  Käfern,    wie  den  ver- 
schiedenen  Kurzflüglern    (Staphyliniden),    von    denen   die    kleineren   Arten 


256 


Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 


vielfach  in  den  Gängen  von  Borkenkäfern  gefunden  werden,  oder  den  Aas- 
käfern (Si/pha),  deren  Larven  den  Raupen  der  Nonne  und  anderer 
Schmetterlinge  nachstellen,  oder  dem  C/erus  formicarius,  dem  allgemein 
bekannten  Borkenkäferfeind,  oder  den  vielen  kleinen  Nitiduliden,  Cucu- 
jiden  usw.  besitzen  wir  leider  noch  sehr  wenig  positive  Angaben,  betr.  des 
Umfanges  ihrer  vertilgenden  Tätigkeit,  so  daß  sich  der  Grad  ihrer  wirtschaft- 
lichen Bedeutung  schwer  einschätzen  läßt;  sehr  hoch  scheint  derselbe  nach 
den  gelegentlich  gemachten  Erfahrungen  allerdings  nicht  zu  sein. 

Neuerdings  wurden  auch  Elateridenlarven  mehrfach  als  Räuber  fest- 
gestellt. So  konnte  Forstmeister  Grohmann  (Königstein)  solche  beim  Ver- 
tilgen von  Hy/obms-La.rxen  beobachten,  und  zwar  in  ziemlich  ausgedehntem 
Maße,  so  daß  er  in  ihnen  einen  nicht  zu  unterschätzenden  Faktor  in  der  Be- 


Fig.  196.    Verschiedene  nützliche  (räuherische)  Laufkäfer,    a  Cii'indela  Injhrida;  h  Carahus  auratus;  c  Calo- 
soma  sycophanta;  d  dessen  Larve.    Aus  Taschenber«;. 


schränkung  der  Rüsselkäfervermehrung  erblickt  (Thar.  forstl.  Jahrb.  1913). 
Leider  beschränkt  sich  aber  die  räubeiische  Tätigkeit  der  Drahtwürmer  nicht 
bloß  auf  schädliche  Tiere,  sondern  es  fallen  ihnen  auch,  wie  ich  im  ver- 
gangenen  Jahre   feststellen  konnte,   zahlreiche  Tachinentönnchen  zum  Opfer. 

Eine  nicht  unbeträchtliche  Rolle  als  Insektenvertilger  spielen  die 
Schwebefliegen  (Syrphiden),  deren  Larven  fast  ausschließlich  von 
Blattläusen  sich  nähren.  Ähnliches  gilt  für  die  Larven  der  zu  den  Netz- 
flüglern gehörigen  Florfliegen  oder  Chrysopiden,  welche  wegen  ihrer 
Blatdausvernichtung  auch  als  „Blattlauslöwen"  bezeichnet  werden.  Forst- 
lich bedeutsamer  als  die  Florfliegen  ist  ein  anderer  Netzflügler,  nämlich  die 
sog.  Kamelhalsfliege  (Raphidie),  deren  Larve  als  fleißige  Vertilgerin  von 
Nonneneiern,  von  Lyda  hypotrophica  und  auch  von  Borkenkäfern  (nach 
C.  Keller)  beobachtet  ist. 

Weiter  sind  als  Insektenvertilger  zu  nennen  die  verschiedenen 
Orthopteren  oder  Geradeflügler,  vor  allem  die  sog.  Ohrwürmer 
{Forficulä),  welche  sich  durch  Verzehren  von  Raupen  und  Puppen,  und  be- 
sonders auch  von  Blattläusen  (nach  C.  Verhoeff)  sehr  nützlich  machen. 


Insektenvcrtilgende  Tiere. 


257 


Endlich  sei  noch  der  räuberischen  Schildwanzen  Erwähnung-  getan, 
die  bei  Nonnenkalamitäten  usw.  oft  in  großer  Anzahl  beim  Anstechen  und 
Aussaugen  von  Nonnenraupen  beobachtet  werden;  es  handelt  sich  dabei 
meist  um  die  zu  den  Asopiden  gehörigen  Gattungen  Troilus  und  Picromerus. 


Andere  räubeiische  Arthropoden. 

Im  Anschluß  an  die  Raubinsekten  sei  noch  auf  einige  andere  räube- 
rische, von  Insektenraub  lebende  Arthropoden  hingewiesen:  die  Tausend- 
füße  (resp.  Hundertfüße)  und  die  Spinnen. 

Von  den  Tausendfüßen  (Myriapoden)  kommen  als  räuberisch  nur 
die  Chilopoden  („Hundertfüße")  in  Betracht,  die  durch  Vermittlung  der  in 
den  Kieferfüßen  enthaltenen  Giftdrüsen  ihre  Opfer  bewältigen.  Der  ver- 
schiedenen Körpergestalt  entsprechend  ist  auch  der 
Hauptschauplatz  der  Tätigkeit  bei  den  verschiedenen 
Gruppen  recht  verschieden.  So  jagen  die  Spinnen- 
asseln mit  reißender  Geschwindigkeit  an  Wänden, 
Steinen  und  Bäumen  nach  Fliegen  und  anderen  In- 
sekten; die  Steinläufer  dagegen  kriechen  im  Laubwerk 
des  Waldbodens,  oder  unter  der  Rinde  alter  Bäume 
umher,  um  dort  Jagd  auf  Schnecken,  Insekten  und 
anderes  Getier  zu  machen.  Da  die  Chilopoden  alles 
fressen,  was  ihnen  in  den  Weg  kommt,  so  werden  sie 
ebensoviel  nützliche  wie  schädliche  wie  indifferente 
Insekten  vertilgen,  so  daß  ihnen  im  allgemeinen  keine 
größere  Bedeutung  weder  nach  der  einen  noch  nach 
der  anderen  Seite  hin  zukommen  resp.  ihre  Wirkung 
sich  aufheben  dürfte.  Doch  kann  natürlich  da,  wo 
weit  mehr  schädliche  als  nützliche  Insekten  vorhanden 
sind,  die  räuberische  Tätigkeil  einen  ausgesprochenen 
Nutzen   bedeuten.     So   beobachtete   z.  B.    Keller   des 

öfteren,  daß  der  braune  Steinkriecher,  Lithobius  forßcatus  unter  die  sich  ab- 
lösende Rinde  der  von  Borkenkäfern  besetzten  Bäume  kriecht,  um  die  dort 
befindlichen  Käfer  zu  verzehren. 

Einigermaßen  ähnlich  wie  die  Tausendfüße  verhalten  sich  die  Spinnen, 
insofern  als  auch  sie  meistens  ohne  Unterschied  sowohl  nützliche  als  auch 
schädliche  Insekten  vertilgen.  Immerhin  scheinen  doch  wenigstens  manche  Arten 
eine  Vorliebe  für  gewisse  Schädlinge  zu  haben,  und  so  ein  wirkliches  Gegen- 
gewicht gegen  die  Vermehrung  der  letzteren  darzustellen,  wie  besonders  aus 
den  Untersuchungen  von  Keller  hervorgeht.  So  werden  z.  B.  die  Chermes- 
Arten  stark  von  den  Spinnen  verfolgt  und  in  großen  Mengen  vernichtet. 
Keller  fand,  daß  den  Läusen,  wenn  sie  den  Gallen  entfliegen,  von  ver- 
schiedenen Jagd-  und  Radspinnen  eifrig  nachgestellt  wird.  Ja,  diese  Räuber 
zogen  sich  förmlich  nach  den  befallenen  Fichtenbeständen  zusammen,  wo 
nun  zahlreiche  vorher  fehlende  Spinnennetze  zu  sehen  waren.  Außer  den 
echten  Spinnen  (von  denen  Epeira  diadema,  Theridium  nervosum,  rcdimitum 
und    irrorahim,    Tetragnatha    extensa   usw.   genannt   werden),    beteiligen   sich 

Escherich,  Forstinsekten.  17 


Fig.  197.   Hemtrohms  Larve, 
eine  Blattlaus  aussaugend. 
Nach  Buckton  aus  Eck- 
stein. 


258  Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 

auch  die  Afterspinnen  an  der  CA^rm«?«- Vernichtung.  So  beobachtete  Keller, 
wie  eine  Phalangium- Krt  (Weberknecht)  mit  besonderer  Gier  die  Weibchen 
von  Chermes  strobilobius  vor  der  Eiablage  ergriff,  ihnen  die  Einlassen  aus 
dem  Hinterleib  quetschte  und  auffraß,  während  er  die  anderen  härteren  Teile 
liegen  ließ.  Versuche  ergaben,  daß  ein  Phalangium-^  eine  große  Anzahl 
von  CA^rw^s-Weibchen  vernichten  kann.  —  Auch  die  Verbreitung  der 
Fichtenquirlschildlaus,  Lecanium  hemicryphum,  wird  nach  Keller  wesentlich 
durch  Spinnen,  und  zwar  vor  allem  durch  Micryphantes  rubripes  C.  L.  Koch 
und  Thomisiis  calycimis  C.  L.  Koch  beschränkt. 

Ferner  betont  Keller  den  Nutzen,  den  die  Spinnen  durch  Abfangen 
der  Kleinschmetterlinge  (namentlich  von  Tortrix  tedella,  resinella  und 
buoliana)  und  der  blatt-  und  nadelfressenden  Rüsselkäfer  bringen.  Letzteres 
konnte  ich  anläßlich  eines  größeren  Brachyderes-FraQes  in  Schlesien  bestätigen, 
wo  in  den  stark  befressenen  Kulturen  auffallend  viele  Spinnen  aller  Art 
herumwimmelten. 

Eckstein  berichtet,  daß  sich  1886  eine  Webspinne,  Sieaiodia  sisyphta, 
in  dem  Schutzbezirk  Brahlitz  (Fieienwalde)  durch  den  Fang  der  Imagines  von 
Lophyrus  pini  nützlich  gemacht  habe;  und  Wagener  meldet,  daß  1888  in 
der  fürstlich  Lippeschen  Oberförsterei  Varenholz  gleichfalls  eine  Webspinne, 
Epeira  scalaris,  die  Raupen  des  Rotschwanzes  [Orgyia  pudibunda)  in  ihren 
auf  dem  Unterwuchse  angelegten  Gespinsten  gefangen  und  ausgesaugt 
habe.  Während  der  jetzigen  Nonnenkalamität  in  Sachsen  konnte  man  zahl- 
reiche Spinnen  aller  Art  unter  den  Leimringen  auf  die  dort  angesammelten 
Raupen  Jagd  machen  sehen. 

Schwangart  schreibt  besonders  den  Springspinnen  {Saliicoidae) 
und  den  Mord-  oder  Krabbenspinnen  {Laferigradae)  eine  größere  wirt- 
schaftliche Bedeutung  zu;  letztere  wurden  von  ihm  als  eifrige  Schmetterlings- 
jäger auf  Wiesen  beobachtet,  außerdem  nehmen  sie  nach  seinen  Versuchen 
auch  behaarte  Raupen,  selbst  solche  mit  Brennhaaren  (Goldafter  usw.)  an, 
was  andere  Spinnen  nicht  tun. 

Zweifellos  kommt  also  den  Spinnen  eine  gewisse  wirtschaftliche  Be- 
deutung bei  der  Bekämpfung  der  schädlichen  Insekten  zu.  Doch  wissen  wir 
leider  noch  sehr  wenig  positives  darüber  und  es  würde  sicherlich  eine 
dankbare  Aufgabe  sein,  die  Spinnenfrage  zum  Gegenstand  eingehender  Unter- 
suchungen zu  machen. 

3.  Die  insektentötenden  Pilze  ^)  (Mykosen). 

(Bearbeitet  von  Dr.  Georg  Lakon) 

A.  Systematik  und  Biologie. 

Unter  der  Bezeichnung  Pilze  (fiiiigi)  versteht  man  im  allgemeinen  alle 
diejenigen    niederen,     sporenbildenden    Organismen    (Kryptogamen,    Thallo- 


')  In  der  vorigen  Auflage  war  dieser  Abschnitt  unter  Mitwirkung  von 
de  Biry  bearbeitet.  Für  die  vorliegende  Auflage  hat  Herr  Dr.  Georg  Lakon, 
Assistent  am  hiesigen  Botan.  Institut,  die  völlige  Neubearbeitung,  die  infolge  der 
vielen  neuen  Forschungsergebnisse  notwendig  geworden  war,  übernommen,  wofür 
ich  ihm  auch  an  dieser  Stelle  meinen  herzlichsten  Dank  aussprechen  möchte. 


Die  insektentötenden  Pilze.  259 

phj^ten),  welche  jeglicher  assimilierender,  farbstofführender  Körper  (Chroma- 
tophoren)  entbehren  und  somit  auf  saprophytische  oder  parasitische  Lebens- 
weise angewiesen  sind. 

Derartige  Organismen  werden  jedoch  heute,  nach  genauer  Kenntnis 
ihrer  Entwicklungsgeschichte,  unter  Zugrundelegung  ihrer  natürlichen  ver- 
wandtschaftlichen Beziehungen  in  mehrere  selbständige  Abteilungen  geteilt, 
welche  verwandtschaftlich  zueinander  z.  T.  weniger  nahe  stehen  als  zu 
anderen,  assimilierende  Chromatophoren  führenden,  also  nicht  pilzlichen 
Thallophyten. 

Man  unterscheidet  drei  Hauptabteilungen,  nämlich  die  Bakterien  oder 
Spaltpilze  {Bakterie,  Schizomycetes),  die  Schleimpilze  {Myxomycetes)  und 
die  echten  Pilze  {Eumycefes). 

Pilze  im  engeren  Sinne  sind  nur  die  Vertreter  der  letzten  Kategorie, 
welche  auch  allein  hier  unser  Interesse  beanspruchen.  Die  Bakterien  werden 
im  nächsten  Abschnitt  besprochen  werden,  während  die  Myxomyceten,  also 
die  in  ihrem  vegetativen  Stadium  nur  aus  nackten  Protoplasten  bestehenden 
Organismen  unberücksichtigt  bleiben,  da  unter  ihnen  keine  Art  zu  finden  ist, 
welche  auf  Insekten  parasitisch  lebt.^) 

Unter  den  echten  Pilzen  gibt  es  eine  große  Anzahl  von  Arten,  welche 
auf  Insekten  parasitisch  leben,  d.  h.  auf  Kosten  und  zur  Beeinträchtigung 
lebender  Insekten.  Letztere  werden  infolge  des  Befalles  krank,  und  diese 
Erkrankung  führt  in  den  meisten  Fällen  nach  kürzerer  oder  längerer  Zeit 
schließlich  den  Tod  des  befallenen  Tieres  herbei.  Solche  Erkrankungen,  die 
man  im  allgemeineti  als  „Mykosen"  bezeichnet,  sind  unter  den  Insekten  sehr 
verbreitet  und  treten  bisweilen  epidemisch  auf,  große  Verheerungen  unter 
den  betr.  Insekten  verursachend.  Es  sind  auch  vielfach  Fälle  bekannt,  bei 
welchen  große,  durch  Insekten  verursachte  Forstverheerungen  durch  den 
epidemischen  Ausbruch  von  Mykosen  beendet  und  völlig  unterdrückt  wurden. 
Solche  Krankheiten  von  Forstschädlingen  können  also  von  großem  wirtschaft- 
lichem Nutzen  sein  und  beanspruchen  daher  das  Interesse  des  Forst- 
manns. 

Der  einfach  gebaute  Körper  (Thalhis)  der  echten  Pilze  besteht  aus 
feinen  farblosen,  meist  verzweigten  fadenförmigen  Zellen  oder  Zellenreihen, 
den  Hyphen;  die  Gesamtheit  dieser  vegetativen  Hyphen,  welche  das 
Substrat  durchziehen,  oder  auch  zu  größeren  Knäueln  lose  miteinander  ver- 
webt sein  können,  heißt  M3'celium.  Einige  Pilzarten  bilden  durch  festes 
Zusammenweben  von  kurzgliedrigen  H3'phen  größere,  harte,  pseudoparen- 
chymatische  Körper,    die  sog.  Sklerotien,    welche,  ähnlich  den  Knollen  der 


\)  In  der  neueren  Zeit  sind  allerdings  einige  wenige  Fälle  bekannt  geworden, 
bei  welchen  in  den  Malpighischen  Gefäßen  von  Insekten  zu  den  Myxomyceten 
gehörige  Organismen  nachgewiesen  wurden,  so  z.  B.  bei  Olocrates  abbreviatus  (nach 
Leger,  in  Compt.  rend.  Ac.  sc.  CXLIX,  1909,  S.  239—241)  und  Dorciis  parallelepipedus 
(nach  Leger  und  Hesse  ebenda,  S.  303—304).  Die  Art  der  Beeinflussung  des 
Wirtes  durch  diesen  Parasitismus  ist  jedoch  keinesfalls  klar  gelegt. 

17=== 


26Ö  Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 

höheren   Pflanzen,    nach    Verlauf    einer   längeren    Zeit    der    Ruhe    unter    be- 
stimmten Bedingungen  wieder  auszukeimen  vermögen. 

Die  Vermehrung  der  Pilze  findet  durch  Sporen  statt;  die  Entstehung 
derselben  geschieht  entweder  auf  geschlechtlichem  oder  ungeschlechtlichem 
Wege,  doch  ist  letzterer  Vermehrungsmodus  nur  bei  verhältnismäßig  wenigen 
Pilzen  vertreten.  Die  Form  der  Sporen  und  ihre  Bildungsart  ist  bei  den 
verschiedenen  Gruppen  verschieden  und  für  letztere  charakteristisch 
(siehe  unten). 

Die  echten  Pilze  werden  in  zwei  große  Gruppen  geteilt,  nämlich  in 
Algenpilze  {Phycomycetes)  und  Fadenpilze  (Hyphomycetes).  Das  Mycelium 
ersterer  besteht,  selbst  wenn  es  vielfach  verzweigt  ist,  aus  einer  einzigen  un- 
gegliederten Hyphe,  während  die  Fadenpilze  ein  septiertes,  d.  h.  durch 
Querwände  in  mehrere  Zellen  gegliedertes  Mycelium  besitzen.  In  folgendem 
werden  nur  diejenigen  Familien  dieser  beiden  Hauptgruppen  besprochen, 
welche  auf  Insekten  schmarotzende  Vertreter  aufweisen. 

Algenpilze. 

E  n  t  o  m  o  p  h  t  h  o  r  a  c  e  e  n . 

Von  den  Algenpilzen  interessiert  uns  in  erster  Linie  die  Familie  der 
Entomophthoraceen  und  von  dieser  wiederum  vornehmlich  die  Gattungen 
Entomophthora  Fres.  und  Empusa  Cohn,  welche  ausschließlich  epizoische 
Arten  enthalten. i)  Diese  Pilze  dringen  in  die  Leibeshöhle  lebender  Insekten 
ein  und  entwickeln  sich  hier  auf  Kosten  des  Wirtes;  nach  dem  Tode  des 
erschöpften  Tieres  bildet  der  Pilz  seine  Fruchtträger,  d.  h.  besondere,  ab- 
gegliederte sporentragende  Hyphen,  welche  die  Körperdecke  des  Insektes 
durchbrechen,  um  hier  durch  Abschnürung  Sporen  von  bald  erlöschender 
Keimkraft,  die  sog.  Konidien  zu  bilden.  Die  konidientragenden  Hyphen- 
äste  nehmen  begierig  Wasser  auf,  so  daß  durch  den  entstehenden  inneren 
Druck  die  Spitze  der  Konidienträger  aufplatzt  und  der  plasmatische  Inhalt 
samt  der  aufsitzenden  Konidie  einige  Zentimeter  weit  fortgeschleudert  wird 
(Fig.  198,  F).  Diejenigen  Konidien,  welche  dadurch  auf  andere  in  der  Nähe 
stehende  Insekten  gelangen,  sind  imstande,  durch  sofortiges  Auskeimen  und 
Bildung  eines  die  Chitinhaut  durchbohrenden  Keimschlauches  die  betr.  In- 
sekten zu  infizieren.  Auf  totem  Substrat  bei  genügender  Feuchtigkeit  keimt 
dagegen  die  Konidie  zu  einer  Sekundärkonidie  aus,  welche  wiederum 
abgeschleudert  wird;  dies  kann  mehrmals  wiederholt  werden,  wobei  jede 
neue  Konidie  an  Größe  abnimmt.  Durch  diese  Einrichtung  wird  die  Mög- 
lichkeit gegeben,  daß  jede  Konidie  doch  schließlich  auf  ein  Insekt  ab- 
geschleudert wird. 


^)  Eine  Zwischenform  bildet  die  Gattung  Lamia  (auf  Mücken).  Zu  den 
insektentötenden  Entomophthoraceen  gehören  höchstwahrscheinlich  ferner  die  un- 
genügend bekannten,  zweifelhaften  Gattungen  Massospora  Peck.,  Epichloea  Giard., 
Chromostylium  Giard,  Polyrrhiziuni  Giard,  Metarrhizium  Giard,  Haiisaria  Giard 
und  Sorosporella  Sorok.  auf  verschiedenen  Insekten. 


Die  insektentötenden  Pilze. 


261 


Sind  dagegen  die  Konidien  auf  ungeeignetes  Substrat  gefallen  und  haben 
keine  Gelegenheit  zu  keimen,  so  verlieren  sie  nach  kurzer  Zeit  ihre  Keim- 
fähigkeit; sie  sind  also  nicht  imstande,  die  Überwinterung  des  Pilzes  zu  ver- 
mitteln. Zu  diesem  Zweck  bilden  die  Entomophthoraceen  eine  besondere 
Sporenform,  die  sog,  Dauersporen,  d.  h.  Sporen,  welche  mit  einer  dicken 
Membran   versehen  und  imstande  sind,    nach  einer  längeren  Ruheperiode   zu 


Fig.  198.  Empiisa  muscae  Colin.  A  Eine  vom  Pilz  getötete  Stubenfliege  mit  dem  sie  umgebenden 
Hofe  weggeschleuderter  Sporen;  B  Spoi-en  bei  a  mit  umgebendem  Protoplasmabof,  bei  b  ebne  den- 
selben; C  Sporen,  keimend  und  sekundäre  Sporen  bildend;  B  hefeartig  sprossende  Empusazellen  aus 
dem  Fettkörper  einer  Fliege:  Ea  Empusazellen  aus  dem  Fettkörper  im  Auswachsen  zu  Schläuchen 
begritfen,  ft  solche  weiter  fortgeschrittene  Schläuche;  F  halbschematische  Darstellung  der  Frukti- 
fikation;  x  Andeutung  der  Leibeswand,  y  Chitinhaare  des  Fliegenleibes,  a  die  durch  die  Leibeswand 
dui'chgebrochenen,  sporentragenden  Hyphenenden,  &  die  im  Körper  bleibenden  Hyphenschläuche,  c  noch 
nicht  durchgebrochene  Schläuche,  d  weggeschleuderte,  aber  an  den  Haaren  der  Fliege  hängengebliebene 
Sporen,  zum  Teil  bereits  sekundäre  Sporen  erzeugend.    (Nach  Brefeld  [9].) 


keimen.  Diese  Dauersporen  entstehen  im  Innern  des  Tieres,  und  zwar  ent- 
weder als  Az5^go Sporen  durch  einfache  Anschwellung  von  seitlichen  oder 
terminalen  Auswüchsen  der  Hyphen,  oder  auf  geschlechtlichem  Wege  als 
Zygosporen  durch  Kopulation  von  zwei  Hyphenästen. 


Die  Gattung  Enipusa. 
Bei  der  Gattung  Empusa  ist  das  M3xelium  anfangs  schlauchförmig,  später 
zerfällt  es  in  rundliche  oder  verzweigte  kurze  Glieder  (Fig.  198,  D  u.  199,  b — g), 
welche  oft  hefeartige  Sprossung  zeigen.     Die  Konidienträger  sind  einfach  un- 


262 


Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrun^ 


verzweigt  (Fig.  198,  F,  a  b),  und  die  Dauersporen  entstehen  als  Az37gosporen 
(Fig.  199,  q—u). 

Von   großer  forstlicher  Bedeutung  ist  Empusa  aulicae  Reich.,    eine  auf 
dem   Forstschädling  Panolis  piniperda  (Kieferneule)    parasitisch   lebende  Art. 
_^,^  Ihre  Entwicklung  ist  etwa  folgende 

*m^:^^  (v.  Tubeuf  [41]'): 

Die  keimende  Spore  sendet 
durch  die  Haut  des  Tieres  einen 
Schlauch  in  das  Tierinnere  hinein; 
hier  wuchert  der  Pilz  durch  das 
Tier  hindurch,  alle  Weichteile  des- 
selben aufzehrend.  Die  erkrankten 
Raupen  klammern  sich  mit  den 
hinteren  Beinpaaren  an  die  Kiefern- 
nadeln, auf  denen  sie  sitzen,  fest, 
den  vorderen  Körperteil  und  den 
Kopf  vom  Substrat  abhebend;  in 
dieser  Stellung  werden  sie  später 
tot  vorgefunden  (Fig.  199,  ä).  Aus 
der  ganzen  Körperfläche  erheben 
sich  in  dichtem  Rasen  die  Konidien- 
träger,  so  daß  die  Raupe  wie  von 
einem  gelbgrünen  Mehl  einge- 
stäubt erscheint;  das  Substrat  zeigt 
ebenfalls  in  der  Nähe  des  ver- 
endeten Tieres  eine  feine  Mehl- 
bestäubung. Letztere  rührt  von 
den  in  der  schon  geschilderten 
Weise  abgeschleuderten  Konidien 
her.  Dieselben  sind  eiförmig,  27  bis 
38  n  lang,  20—27  fx  breit  (Fig. 
199,  k). 

Für  die  Überwinterung  des 
Pilzes  werden  Dauersporen,  und 
zwar  Az^'gosporen  gebildet;  sie  ent- 
stehen im  Innern  der  in  das  feuchte 
Winterlager  gekrochenen  Raupe, 
end-  oder  seitenständig  an  den 
r),  sind  kugelförmig  und  von  einer  dicken,  glatten  Mem- 


Fig.  199.  Empusa  aulicae  Reich.  a  eine  auf  einer 
Kieferunadel  sitzende,  vom  Pilz  getötete  und  mit 
Konidien  bedeckte  Kieferneule;  h—g  Pilzzelleu  im 
Raupeninnern,  aus  dem  zerfallenen  Mycelium  stam- 
mend; h—i  einzelne  Konidienträger  mit  Konidien;  k 
eine  Konidie;  l  eine  l^eimeude  Konidie;  m  eine  Ter- 
tiärkonidie  mit  dem  aus  der  sekundären  Mutterkonidie 
stammenden  Plasmahof ;  n  eine  zu  einerTochterkonidie 
wachsende  Mutterkonidie;  o  die  ausgebildete  Tochter- 
konidie  in  Zusammenhang  mit  der  schon  entleerten 
Mutterkonidie;  p  eine  entleerte  Mutterkonidie;  q—u 
Bildung  von  Dauersporen.  «  natürl.  Größe,  h—u  stark 
vergrößert.    (Nach  v.  Tubeuf  [41].) 


Hyphen  (Fig.  199,  q- 
bran  umgeben  (s — u). 

Diese  Art  befällt  außer  der  Kieferneule  auch  die  Raupen  verschiedener 
Schädlinge  der  Laubbäume,  wie  Porthesia  chrysorrhoea  (Goldafter)  und 
Orgyia  pudipunda  (Rotschwanz)  und  ferner  Euprepia  aulica  und  E.  villosa, 
Gastropacha  neusfria,  Ocneria  dispar  u.  a. 


Die  insektentötenden  Pilze.  263 

Auf  pflanzenschädlichen  Insekten  kommen  ferner  folgende  Empusa- 
Arten  vor:  E.  grylli  {Eres.)  Nowak,  auf  Heuschrecken,  mit  ei-  bis  birn- 
förmigen,  bräunlichen,  33 — 34  /«,  langen  und  25 — 37  }i  breiten  Konidien  und 
kugeligen  Dauersporen  von  34 — 40  {.i  Durchmesser. 

E.  Fresenii  Noivak.  auf  Aphis-Arten,  mit  eiförmigen,  18 — 20  fx  langen 
und  15 — 18  f.1  breiten  Konidien.  Thaxter  konnte  die  Bildung  von  elliptischen 
Zygosporen  beobachten,  weshalb  er  diese  Art  von  der  Gattung  Empusa 
trennte. 

E.  planchoniana  {Cormi)  Thaxf.  ebenfalls  auf  Aphis-Arten,  mit  33  bis 
40  fji  langen  und  28 — 30  /t  breiten  Konidien  und  Dauersporen  von  35 — 50  /.l 
Durchmesser. 

Schließlich  sei  auch  auf  die  in  der  gemeinen  Stubenfliege  schmarotzende 
E.  muscae  Cohn  aufmerksam  gemacht  (Fig.  198).  Die  Krankheit  ist  überall 
verbreitet  und  tritt  jeden  Herbst  regelmäßig  auf;  wir  finden  die  Fliegen  auf 
den  Wänden,  Fensterscheiben  u.  a.  sitzend  tot  vor,  von  einem  aus  den  ab- 
geschleuderten Konidien  bestehenden  Hof  umgeben  (Fig.  198,  A).  Die 
Konidien  sind  20 — 30  fji  lang  und  18- — 25  fx  breit,  die  Dauersporen  von  30  bis 
50  |W,  Durchmesser. 

Zahlreiche  andere  Empusa-Arten  kommen  auf  anderen  europäischen 
sowie  außereuropäischen  Insekten  vor,  die  aber  unser  Interesse  nicht  be- 
anspruchen. 

Die  Gattung  Eufonioplifhora. 

Bei  der  Gattung  Entomophtiwra  ist  das  Mycelium  stark  entwickelt 
und  reich  verzweigt;  ebenso  verzweigt  sind  die  Konidienträger,  ein  für  die 
Gattung  charakteristisches  Merkmal  (Fig.  200,  D).  Das  Mycelium  tritt  stellen- 
weise aus  der  Raupe  heraus  in  Form  eines  aus  starken  Strängen  bestehenden 
Luftmyceliums,  wodurch  das  tote  Insekt  auf  dem  Substrat  befestigt  wird 
(Haftfäden,  Fig.  200,  A  a).  Dauersporen  als  Zygo-  sowie  Azygosporen,  kugelig 
mit  einer  dicken,  gelben  oder  braunen  Membran  versehen. 

Am  vollständigsten  ist  die  Entwicklung  von  Entoniophthora  sphaero- 
sperma  Fres.  (S3'n.  E.  radicans  Bref.)  bekannt  (Fig.  200).  Im  Herbst  zeigt 
sich  häufig  eine  Pilzseuche  unter  den  Raupen  des  Kohlweißlings,  Pieris 
brassicae  L.  Man  erkennt  den  Eintritt  derselben  an  der  Trägheit,  welche 
sich  der  vorher  lebhaften  Raupen  bemächtigt.  Plötzlich  sterben  die  Tiere 
und  noch  am  Todestage  hüllen  sie  sich  in  einen  grünlich-weißen  Schimmel 
(Fig.  200,  B),  der  schon  nach  wenigen  Stunden  verblüht  und  die  Raupe 
völlig  unkenntlich,  in  Form  einer  braunen  verschrumpften  Haut  zurückläßt, 
in  unmittelbarer  Nähe  umgeben  von  ganzen  Haufen  weißer  Sporen,  den  ab- 
geworfenen Konidien  des  verblühten  und  wieder  verschwundenen  Pilzes. 

Diese  Konidien  sind  kleine,  15 — 26  fx  lange  und  5 — 8  fi  dicke,  farblose 
Spindeln  (Fig.  200,  E).  Gelangt  eine  solche  wiederum  auf  die  Haut  einer 
Raupe,  so  beginnt  sie  einen  Keimschlauch  zu  treiben,  der  sich  schon  in 
kurzer  Entfernung  von  der  Spore  in  die  Flaut  einbohrt,  dieselbe  in  der  Um- 
gebung   der   Einbohrungsstelle   bräunend    (Fig.   200,    G).      Der    Keimschlauch 


264 


Kapitel  \1..     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 


durchsetzt  nun  fortwachsend  und  sich  in  mehrere  Zellen  gliedernd,  von 
denen  nur  die  vorderste  Protoplasma  enthält,  die  Leibeswand  der  Raupe, 
bis  er  allmählich  —  gewöhnlich  am  dritten  Tage  —  in  dem  Fettkörper  anlangt. 
Hier  wächst  nun  die  Endzelle  auf  Kosten  des  Fettkörpers,  den  sie  mit  un- 
glaublicher Schnelligkeit  durchwuchert,  zu  einem  verästelten  und  verfilzten 
Mycel  aus  (Fig.  200,  J).  Jetzt  beginnt  die  schon  erwähnte  Trägheit  der  bis 
dahin    anscheinend    völlig    gesunden    Raupe;    aber    erst    wenn   der   Pilz    den 

v,ji_4.     Hill  ,.-,.. 


Fig.  200.  Entomophthora  sphaerosperma  Pres.  (=  Eadicans  Bref.)  A  Raupe  von  Pieris  brassicae  durch  den  Pilz 
getötet,  a  die  sie  an  die  Unterlage  befestigenden  Hyphenbüscliel ;  S  dieselbe  Raupe  in  einem  späteren 
Stadium,  eingehüllt  in  dem  Schimmelflaum;  C  Querschnitt  durch  eine  solche  Raupe,  a  Cuticula  der 
Raupe,  b  Tracheen,  c  im  Darmkanal  vorhandene  Speisereste.  Alle  Weichteile  der  Raupe  sind  auf- 
gezehrt und  durch  ein  dichtes  Mycelgeflecht  ersetzt,  das  bei  d  einen  dichten  Hypheurasen  durch  die 
Haut  getrieben  hat.  Dieser  hat  wieder  die  Sporen  e  abgesclmürt:  D  die  Fruchthyphen  a,  mit  dem 
EndgUede  b  und  Sporen  c;  E  Einzelsporen  stärker  vergrößert;  -P  Spore  a,  welche  einen  Mycelfaden 
erzeugt  hat,  an  dem  wieder  sekundäre  Sporen  b  und  c  entstanden  sind;  G  ein  Stück  Haut  der  Raupe, 
auf  dem  Sporen  a  gekeimt  haben,  deren  Keimschläuche  die  Haut  bei  6,  sie  bräunend,  durchsetzt  und 
an  der  Spitze  c  fortwachsend,  weitergewuchert  haben;  H  abgetrennte  Myceläste  im  Ranpenblute  frei 
schwimmend;  J  verästelter  Mycelfaden;  K  Dauersporen  tragende  Mycelfaden,  a  mit  Protoplasma  ge- 
füllt, a'  leer;  b  in  der  Entwicklung  begriffene,  6'  reife  Dauersporen;  L  reife  Dauersporen  mit  dicker 
Hülle  und  Fettropfeu  im  Innern.    (Nach  Brefeld  [9  u.  10].) 


gesamten  Fettkörper  aufgezehrt  hat  und  sich  bereits  isolierte,  abgeschnürte, 
längliche  Hyphen  (Fig.  200,  H)  im  Blute  zeigen,  tritt  die  dem  Tode  voraus- 
gehende Unbeweglichkeit  ein.  Die  in  das  Blut  gelangenden,  abgeschnürten 
Hyphenäste  verbreiten  den  Pilz  bis  in  die  letzten  Schlupfwinkel  des  Körpers, 
und  die  nun  straff  vom  Pilzmycelium  ausgefüllten  Raupen  sterben,  nachdem 
der  Pilz  alle  inneren  Organe,  mit  alleiniger  Ausnahme  der  Cuticula  und  der 
Chitinhäute  von  Darm  und  Tracheen,  aufgezehrt  hat  (Fig.  200,  C),  gewöhnlich 
im  Laufe  des  fünften  Tages  nach  der  Infektion.  Zwölf  Stunden  nach  dem 
Tode  brechen   dicke  Büschel  paralleler,  in  Zellen  gegliederter  Pilzfäden  oder 


Die  insektentötenden  Pilze.  265 

Hyphen  zwischen  den  Beinen  der  Raupe  auf  der  Bauchseite  hervor 
(Fig.  200,  Aa),  dieselbe  wie  mit  Wurzeln  auf  der  Unterlage  befestigend,  und 
bald  darauf  beginnen  auch  die  fruchttragenden  Hyphen  die  Haut  der  Raupe 
zu  durchbrechen,  die  sie  bald  als  ein  dichter  Schimmelüberzug  umgeben 
(Fig.  200,  B).  Die  beim  Durchtritt  durch  die  Haut  einfachen  Hyphen  verästeln 
sich  bald  (Fig.  200,  D)  und  diese  Zweige  gliedern  sich  an  ihrer  Spitze  durch 
Scheidewände  zu  kurzen  Gliedern  ab  (Fig.  200,  D,  b),  an  deren  Ende  nun 
die  kurzspindelförmigen  Konidien  entstehen  (Fig.  200,  D,  c  und  E).  Letztere 
werden  in  der  schon  geschilderten  Art  und  Weise  abgeschleudert.  Jedoch 
nicht  alle  infizierten  Raupen  bedecken  sich  mit  dem  schimmelartigen  Überzug 
der  Konidienträger.  Manche  schrumpfen  vielmehr,  nachdem  sie  infolge  einer 
völligen  Durchwucherung  ihres  Inneren  durch  das  Pilzmycelium  abgestorben 
und  durch  die  oben  erwähnten  sterilen  Hyphenbündel  auf  der  Unterlage 
fixiert  worden  sind,  nach  vorhergehender  Erweichung  zu  zerbrechlichen 
Mumien  ein.  Diese  bestehen  aus  der  wenig  veränderten  Raupenhaut,  welche 
eine  dichte  Masse  großer,  dickwandiger  (Membran  glatt,  gelb)  Dauersporen 
von  kugliger  Form  und  20 — 35  jtt  Durchmesser  (Fig.  200,  L)  als  einen 
weißlichen  Inhalt  umschließt.  Diese  Dauersporen  entstehen  als  Azygosporen 
an  dem  Mycelium,  sobald  dasselbe  den  ganzen  Raupenleib  ausgefüllt  hat,  als 
seitliche  Auswüchse  der  Fäden,  denen  sie  fast  unmittelbar  aufsitzen 
(Fig.  200,  K). 

x\ußer  des  Kohlweißlings  befällt  die  eben  beschriebene  Art  auch  andere 
Raupen,  so  z.  B.  den  Forstschädling  Grapholitha  tedella  Cl.,  in  Nordamerika 
die  Puppe  des  auch  in  ganz  Europa  verbreiteten  Kleeblattrüsselkäfers  P/?j'/o//owms 
nigrirostris  Fab.  u.  a.  Im  Jäschkental  wurde  von  Bail  eine  ausgedehnte 
Epizootie  des  kleinen  Laufkäfers  Nebria  brevicollis  beobachtet,  welche  eben- 
falls durch  E.  sphaerosperma  verursacht  war. 

Andere  bemerkenswerte  Entomophthora-AviQn  sind  folgende:  E.apliidis 
Hoff  VI.  auf  zahlreichen  Aphis-Arten  in  Europa  und  Nordamerika,  mit  elliptischen, 
farblosen,  25 — 40  /^i  langen  und  12 — 16  /*  breiten  Konidien  und  kugligen 
Dauersporen  (Azygosporen)  von  33 — 43  /t  Durchmesser. 

E.  teiithrediiiis  Fres.  auf  den  Larven  von  Teuihredo  auf  Ahorn,  mit 
rundlichen  Konidien  von  47 — 62  ^i  Durchmesser. 

E.  muscivora  Schroet.  auf  Schmeißfliegen  (Colliphora  vomitoria)  mit 
eiförmigen,  20 — 24  fx  langen,  11 — 13  /<  breiten  Konidien  und  braunen  kugligen 
Dauersporen  (Azygosporen)  von  24 — 30  {.i  Durchmesser. 

E.  pliisiae  Giard  auf  den  Larven  der  Gammaeule  (Plusia  gamma) 
in  Frankreich,  mit  eiförmigen,  15  /i  breiten,  30  //  langen  Konidien;  Dauer- 
sporen unbekannt. 

E.  forficulae  Giard  auf  dem  Ohrwurm  (Forficula  auricularia)  in  Frank- 
reich, mit  länglich-elliptischen,  6 — 8  /<  breiten,  20 — 25  ii  langen  Konidien; 
Dauerspoien  unbekannt. 

E.  colorata  Sorok.  auf  Grillen  in  Rußland,  ähnelt  der  Empitsa  gryl/i, 
hat  aber  runde,  farbige  Konidien. 

E.  aphrophorae  Rostr.  auf  Aplirophora  spumaria  in  Dänemark;  Konidien 
16 — 18  ^  lang,  7 — 8  /<  breit;  Dauersporen  unbekannt. 


266  Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 

E.  Richteri  Bnbdk  ( 83^:1.  E.  lanxaniae  Biibäk)  auf  Laitxania  aenea 
(auf  den  Blättern  von  Crepis  paludosa  und  Spiraea  ulmaria)  in  Böhmen; 
Konidien  unbekannt,  Dauersporen  (Azygosporen)  kuglig,  25 — 50  fx  Durch- 
messer. 

E.  cimbicis  Bubdk  auf  C//7;Z*<?.v-Larven. 

E.  dissolvens  Voss,  auf  einer  Eulenraupe,  wahrscheinlich  Cerastis 
ratellifia  L.  (auf  Eichenblatt,  bei  Stuttgart);  Konidien  unbekannt,  Dauer- 
sporen (Azygosporen)  35 — 40  ^i  Durchmesser. 

Wie  aus  den  angeführten  Beispielen  ersichtlich,  sind  vielfach  Entomoph- 
thoraceen  bekannt,  bei  welchen  die  eine  von  beiden  Sporenformen  fehlt. 
Wenn  die  Konidienform  unbekannt  ist,  so  ist  es  in  den  meisten  Fällen  un- 
möglich, zu  entscheiden,  ob  es  sich  um  eine  Emptisa-  oder  Entomophthora- 
Art  handelt,  da  ja  das  wesentlichste  Merkmal  auf  der  Verschiedenheit  der 
Konidienträger  beruht.  Solche  zweifelhafte  Arten  werden  unter  eine  be- 
sondere Gattung  Tarichium  Colin  gestellt.  Eine  interessante  Art  dieser 
Gattung  ist  T.  megaspermum  Cohn,  welche  auf  den  Raupen  des  gefürchteten 
Saatschädlings  Agroiis  segetnui  Hübii.  vorkommt  (die  sog.  „schwarze  Mus- 
cardine"  verursachend).  Die  Lebensgeschichte  dieses  Pilzes  ist  folgende: 
Die  erkrankten  grau-  oder  grünlich-braunen  Raupen  beginnen,  vom  Kopf 
anfangend,  sich  dunkel  zu  färben,  bis  sie  ganz  schwarz  geworden  sind.  Nun 
schwellen  sie  zunächst  an,  trocknen,  während  sie  eine  ölige  Flüssigkeit  durch- 
schwitzen lassen,  allmählich  zu  verschrumpften  Mumien  ein  und  füllen  sich 
im  Innern  mit  einer  kohlschwarzen,  zunderartigen  Masse,  welche  aus  undurch- 
sichtigen, kugelrunden,  36 — 55  ,a  Durchmesser  haltenden  Dauersporen  besteht. 
Die  äußere  Membran  dieser  Sporen  ist  dick,  braun,  häufig  von  unregel- 
mäßigen Furchen  durchzogen. 

Das  erste  Anzeichen  der  Krankheit  ist,  daß  in  dem  bei  gesunden  Tieren 
gelblichen  Blute  zahllose  schwarze  Pünktchen  auftreten,  die  ihm  unter  dem 
Mikroskop  das  Aussehen  von  eingeriebener  Tusche  geben.  Auch  sind  zahl- 
reiche Kristalle  in  ihm  vorhanden.  Dann  beginnen  sich  die  Anfänge  des 
Pilzes  als  freie  kuglige  Zellen  von  7 — 15  ^ti  Durchmesser  zu  zeigen,  die  durch 
den  Zerfall  länglicher,  gleichfalls  im  Blute  vorkommender  Schläuche  ent- 
stehen. Aus  diesen  kugligen  Keimen  entwickeln  sich  5 — 10  ,«  dicke,  nur 
wenige  Querscheidewände  zeigende  Hyphen,  die  sich  verästeln  und  ein  den 
Körper  völlig  durchsetzendes  Mycelium  bilden.  Dieses  zehrt  die  Eingeweide 
der  Raupe  auf,  seine  Spitzen  schwellen  kuglig  an  und  bilden  sich  schließlich 
zu  den  oben  beschriebenen  Dauersporen  aus. 

Eine  zweite  Art  ist  Tarichium  uvella  Krass.  mit  rundlichen  Dauer- 
sporen von  8 — 10  n  Durchmesser;  sie  kommt  in  Rußland  auf  den  Larven  von 
Coleopteren  vor,  oft  auf  Cleonus  piinctivcntris  Germ.,  einem  gefürchteten 
Feinde  der  Zuckerrüben. 

Mucoraceen. 

Eine  Schwesterfamilie  der  Entomophthoraceen  ist  die  der  Mucoraceen; 
sie  unterscheidet  sich  von  jener  in  der  Hauptsache  dadurch,  daß  sie  Pilze 
umfaßt,  welche  die  ungeschlechdichen  Sporen  in  besonderen  Behältern,  den 
sog.    Sporangien    bilden.      Hier    gehört    eine    große    Anzahl    gewöhnlicher 


Die  insektentötenden  Pilze. 


267 


Schimmelpilze,  welche  auf  faulenden  tierischen  und  pflanzlichen  Stoffen 
saprophytisch  leben.  Die  Familie  verdient  hier  einer  besonderen  Besprechung, 
da  sie,  unter  der  Gattung  Mucor,  auch  einige  für  Insekten  pathogene  Ver- 
treter aufweist. 

Als  typisches  Beispiel  eines  Mucors  sei  hier  der  auf  faulendem  Brot, 
Früchten,  Samen,  Mist  u.  dgl.  überall  sehr  verbreitete  Kopfschimmel  Mucor 
mitcedo  L.  erwähnt;  er  ist  von  Interesse,  da  er  auch  lebende  Honigbienen 
angreifen  soll. 

Das  reichverzweigte  aber  unseptierte  Mycelium  durchwächst  das  Substrat 
nach  allen  Richtungen.  Die  Fruchtträger  wachsen  auf  der  Oberfläche  des 
Substrates  als  lange  feine,  zunächst  weiße,  später  bräunliche  Fäden,  mit 
einem  schwärzlichen  Kopf  an  der  Spitze,  so  daß  die  Substratoberfläche  wie 
mit  einem  feinen,  lockeren,  baum- 
wollartigen Filz  mit  eingewebten 
Kügelchen  bedeckt  erscheint. 
Diese  kleinen  kugligen  Köpfe 
sind  die  mit  zahlreichen  Sporen 
erfüllten  Sporangien  des  Pilzes 
(Fig.  201,  A)\  die  Membran  des 
reifen  Sporangiums  platzt  auf, 
wodurch  die  Sporen  frei  werden. 
Die  Sporangien  haben  einen 
Durchmesser  von  100 — 200  f^i; 
die  Sporen  sind  schwach  gelb- 
lich, ellipsoidisch,  7 — 12  ^i  lang, 
4 — 6  {,1  breit. 

Die  Dauersporen  entstehen 
auf  geschlechtlichem  Wege  als 
Zygosporen  folgendermaßen:  ei- 
nige Myceläste  schwellen  keulen- 
förmig auf  und  stoßen  paarweise 
aufeinander  (Fig.  201,  C);  durch 
Bildung  von  Querwänden  werden 
zwei  Zellen  (5,  aa)  abgegliedert,  nach  deren  Verschmelzung  die  mit  einer 
schwarzen,  dicken,  warzigen  Membran  versehene  Z3^gospore  entsteht  (Fig.  201, 
B,  z).  Dieselbe  ist  imstande,  nach  Verlauf  einer  längeren  Ruheperiode  aus- 
zukeimen {B). 

Mucor  rnucedo  ist  diözisch,  d.  h.  die  Zygosporen  können  nur  durch 
Kopulation  von  Hyphenästen  zweier  Mycelindividuen  von  verschiedenem  Ge- 
schlecht entstehen;  daher  kann  hier  die  Z3'gosporenbildung  leicht  unterbleiben, 
wenn  innerhalb  der  Kultur  keine  Mycelindividuen  beiderlei  Geschlechts  vor- 
handen sind.  Andere  Mucoraceen  sind  dagegen  monözisch,  d.  h.  die  Zygo- 
sporen entstehen  durch  Kopulation  von  zwei  Hyphenästen  eines  und  des- 
selben Myceliums,  so  daß  hier  die  Möglichkeit  zur  Zygosporenbildung  stets 
vorhanden  ist. 

Als  insektenschädlich  sind  folgende  ;l^?/cor-Arten  bekannt: 


Fig.  201.  Mucor  muvedo  L.  A  Sporangium  im  optischen 
Längsschnitt;  B  Keimung  einer  Zygospore  z;  am  Keim- 
schlauch fc  ist  ein  Sporangium  s  entstanden;  C  zwei 
Hyphenäste  im  ersten  Kopulationsstadium ;  D  Abgrenzung 
der  die  Zygospore  liefernden  Zellen  «a  von  den  Suspen- 
soren  hb  (alles  stark  vergrößert).  (Nach  Sachs,  aus 
Engler-Prantl,   Die  natürlichen  Pflanzenfamilien.) 


268 


Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 


M.  melitophthoriis  Hoffni.  ist  ein  Feind  der  Honigbiene  und  wurde  im 
Clwlusmagen  des  Tieres  nachgewiesen.  Er  stellt  eine  ungenügend  bekannte, 
zweifelhafte  Art  dar. 

M.  exitiosus  Massee  auf  Heuschrecken  in  Südafrika;  Sporangien  von 
60 — 100  fx  Durchmesser,  Sporen  farblos,  ellipsoidisch,  5 — 6  ^x  lang,  3,5  bis 
4  fx  breit;  Zygosporen  unbekannt. 


Fipf.  202.  Cordyceps  Fries.  A,  C.  militaris  (i.)  Idrik.  auf  einer  Raupe  von  Bombyx  rubi,  a  unentwickelte, 
6  entwickelte  Fruchtträger  mit  den  vorspringenden  pupillenartigen  Mündungen  der  Perithecien;  B, 
C.  entomorrkiza,  Längsschnitt  durch  die  Keule  eines  Fruchtträgers,  die  Anordnung  der  flaschenförmigen 
Perithecien  zeigend;  C  geplatzter  Ascus  desselben  Pilzes  mit  den  acht  langen,  in  Teilsporen  zer- 
fallenden Ascosporen;  D  Konidienträger  h,  aus  Teilsporen  a  von  C.  militaris  gezüchtet  und  kuglige 
Konidien  c  abschnürend;  E  älterer  Konidienträger  b  desselben  Pilzes,  von  einem  Mycelfaden  a  ent- 
springend,  c  kuglige   Konidien,   c'   ovales   Spitzenkonidium.      (A— C  nach   Tulasne    [45],   D—E  nach 

de  Bary  [5a].) 

M.  locusticola  Lindau  befällt  ebenfalls  die  Heuschrecken  in  Südafrika; 
Sporangien  von  15 — 23  [i  Durchmesser,  Sporen  fast  farblos,  ellipsoidisch, 
4 — 6  ,«  lang  und  2,5  ^  breit;  Zygosporen  unbekannt. 

Es  ist  nicht  sicher  entschieden,  ob  beide  letztgenannte  Pilze  zwei  von- 
einander verschiedene  Arten  darstellen. 


Fadenpilze. 

Die   zweite  große  Gruppe    der   echten  Pilze,    die  Fadenpilze   {Hypho- 
mycetes)  werden  auf  Grund  ihrer  Vermehrungsorgane  in  zwei  große  Klassen 


Die  insektentötenden  Pilze.  269 

geteilt:    in    Ascomyceten    (Schlauchpilze)    und    Basidiomyceten.      Uns   inter- 
essieren nur  die  ersteren. 

Ascomyceten. 
Für  die  Ascomyceten  ist  die  Hauptform  der  Sporenbildung  charakte- 
ristisch; bei  dieser  entstehen  nämlich  die  Sporen  in  besonderen  schlauch- 
förmigen Sporangien  durch  freie  Zellbildung.  Diese  schlauchförmigen 
Behälter,  in  welchen  die  Sporen  liegen,  nennt  man  Asci  (Schläuche),  die 
Sporen  selbst  Ascosporen  (Fig.  202,   C). 

Die  Ascomyceten  bilden  außer  den  Ascosporen  in  der  erwähnten 
Hauptfruchtform  auch  zahlreiche  andere  Nebenfruktifikationen,  besonders 
Koni  dien  (Fig.  202,  £",  c),  und  zwar  in  den  mannigfaltigsten  Formen.  In 
der  einfachsten  Form  werden  die  Konidien  am  Ende  von  einfachen  oder  ver- 
zweigten Fruchthyphen  (Fruchtträgei  n)  abgeschnürt,  welche  sich  von  dem 
Mycelium  senkrecht  abheben.  Das  Substrat  erscheint  in  diesen  Fällen  als 
mit  einem  schimmelartigen  Flaum  bedeckt.  In  anderen  Fällen  treten  eine 
größere  Anzahl  von  dem  Mycelium  entspringenden  Hyphen  zu  einem 
soliden,  sehr  verschiedenartig  geformten  Körper,  dem  sog.  Coremium 
zusammen  und  erst  von  diesem  erheben  sich  nun  die  konidienbildenden 
Hyphen. 

Für  die  Erkennung  eines  Pilzes  als  Ascomyceten  ist  das  Vorhandensein 
der  Hauptfruchtform  unerläßlich.  Gewöhnlich  treten  beide  Fruktifikationen 
nicht  gleichzeitig  auf,  so  daß  ihr  Zusammenhang  nur  nach  einer  längeren 
Kultur  des  Pilzes  sicher  zu  eruieren  ist.  In  vielen  Fällen  pflanzt  sich  der 
Pilz  längere  Zeit  hindurch  ausschließlich  durch  Konidien  fort,  so  daß  seine 
systematische  Stellung  schwer  zu  erkennen  ist.  In  früheren  Zeiten,  wo  die 
Zugehörigkeit  der  Nebenfruchtformen  mehrerer  Pilzarten  zu  einer  Haupt- 
fruchtform nicht  erkannt  war,  hielt  man  viele  konidienbildende  Piizformen  für 
besondere  Arten;  ihre  systematische  Einteilung  wurde'  auf  Grund  der  Form 
der  Konidienträger  vorgenommen.  Auch  heute  noch  ist  die  Hauptfruchtform 
von  zahlreichen  konidienbildenden  Pilzformen  unbekannt;  es  ist  sogar  wahr- 
scheinlich, daß  sie  bei  einigen  Arten  vollständig  fehlt.  Man  ist  daher  ge- 
nötigt, diese  Arten  zweifelhafter  Zugehörigkeit  auf  Grund  der  Form  ihrer 
Konidienträger  mit  besonderen  Gattungsnamen  zu  belegen.  Die  Gattungen 
sind  keine  natürlichen,  sie  enthalten  vielfach  heterogene  Arten,  welche  bloß 
die  Form  der  Konidienträger  gemeinsam  haben ;  der  Gattungsname  bezeichnet 
demnach  hier  eben  diese  Form.  Diese  Gattungen  werden  unter  eine  be- 
sondere Pilzgruppe  gestellt,  die  der  „Fungi  imperfecti^^ . 

P  y  r  e  n  o  m  y  c  e  t  e  n. 
Die  Ascomyceten  werden  in  verschiedene  Unterabteilungen  geteilt;  von 
chesen  interessiert  uns  vornehmlich  die  der  Pyrenomycetes  oder  Kern- 
pilze. Dieselben  sind  dadurch  ausgezeichnet,  daß  sie  ihre  Asci  innerhalb 
besonderer,  kugliger  oder  flaschenförmiger  Behälter  ausbilden,  die  am 
Scheitel  eine  natürliche  enge  Mündung  haben;  diese  Behälter  heißen 
Perithecien. 


270  Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 

Eine  sehr  wichtige  Gattung  insektentötender  P3'renom3'ceten  ist 
diejenige  von  Cordyceps  Fries.  Am  vollständigsten  bekannt  ist  von  dieser 
Gattung  C.  militaris  [L.)  Link.  Dieser  Pilz  befällt  einheimische  Raupen 
und  Puppen  und  tötet  sie;  wir  finden  leicht  in  den  Wäldern  im  Herbst  die 
toten,  mit  dem  Pilz  behafteten  Tiere.  Er  ist  besonders  durch  die  orange- 
bis  purpurnfarbenen,  keulenförmigen,  bis  6  cm  langen,  gestielten  Frucht- 
körper (Fig.  202,  A  und  203)  ausgezeichnet,  die  aus  dem  Leibe  der  Insekten- 
leiche hervorbrechen.  Das  keulenförmige  Köpfchen  dieser  Fruchtkörper 
trägt  die  oberflächlich  hervorragenden,  0,2 — 0,3  mm  langen  und  0,13 — 0,2  mm 
dicken  Perithecien  (Fig.  202,  5),  welche  die  Asci  enthalten.  Die  schlauch- 
förmigen Asci  erzeugen  je  8  lange,  fadenförmige,  ca.  1,3  ^a  breite  primäre 
Sporen,  welche  sich  bei  ihrer  Reife  noch  innerhalb  des  Ascus  in  eine  Reihe 
von    3  jit   langen,    hyalinen   Teilsporen   gliedern   (Fig.  202,    C).      Die   Sporen 


Fig.    203.     Cordyceps    inilitiiHs   (L.)  Link.     Kiefernspinnerraupen   aus   der  Bodpnstreu   mit  den   Frucht- 
trägern des  Pilzes.    '-/,  natürl.  Größe.    (Nach  Escherich  und  Baer  [16].- 

werden  später  aus  den  Perithecien  ejaculiert  und  zerfallen  schließlich  in  die 
abgegliederten  Teilsporen.  Gelangen  letztere  auf  feuchtes  Substrat,  z.  B.  auf 
die  Haut  einer  lebenden  Raupe,  so  beginnen  sie,  unter  Anschwellung  auf 
das  Doppelte  ihres  ursprünglichen  Volumens,  Keimschläuche  zu  ti-eiben 
(Fig.  202,  B),  welche,  die  Chitinhaut  des  Tieres  durchbrechend,  ohne  auf  der 
Oberfläche  der  Haut  dunkle  mißfarbene  Flecken  zu  erzeugen,  in  die  Leibes- 
höhle gelangen;  hier  verzweigen  sich  die  Keimschläuche  und  beginnen  kleine, 
blasse,  zylindrische  Konidien  (Fig.  206,  B  und  C)  zu  bilden.  Dieselben 
gelangen  ins  Blut  und  vermehren  sich  hier  durch  wiederholte  Aussprossung 
auf  Kosten  der  Blutmasse.  Hiermit  hält  eine  Erkrankung  der  Raupe  gleichen 
Schritt,  welche  nach  14  Tagen  bis  3  Wochen  mit  dem  Tode  derselben 
endigt.  Die  Raupe  ist  kurz  nach  dem  Tode  durchaus  weich  und  schlaff; 
liegt  sie  aber  in  feuchter  Umgebung,  so  beginnen  die  zahllosen  zyHndrischen 
Konidien  zu  Mycelfäden  auszuwachsen,  alle  Organe,  insbesondere  den  Fett- 
körper durchwuchernd  und  auf  ihre  Kosten  sich  nährend.  So  wird  der 
Raupenleib  von  dem  Mycelium  prall  ausgestopft  (mumifiziert),  er  schwillt  und 


Die  insektentötenden  Pilze. 


271 


erhärtet,  d.  h.  er  wird  zu  einem  Sklerotium  umgewandelt. i)  Dieser  aus 
einem  dichten  Mycelgeflecht  bestehende  Körper,  welcher  jetzt  den  Raupen- 
leib repräsentiert,  ist  imstande,  bei  genügender  Feuchtigkeit  die  erwähnten 
keulenförmigen  Fruchtkörper  zu  bilden;  beim  Vertrocknen  verfällt  er  in 
einen  Ruhezustand,  um  bei  späterer  passender  Gelegenheit  zur  Fruchtkörper- 
bildung überzugehen. 

Nicht  selten,  kurz  nach  der  Mumifizierung  der  Leiche  und  vor  der 
Perithecienbildung,  treten  Äste  der  Mycelfäden  durch  die  Haut  an  die  Ober- 
fläche des  Körpers  und  dieser  bedeckt  sich  allmählich  völlig  mit  einem  kurzen 
Flaum  weißer,  kaum  0,5  mm  hoher  Fruchthyphen.  Diese  treiben  zahlreiche  Äste, 
welche  auf  abstehenden,  selten  vereinzelten,  meist  in  zwei-  bis  fünfgliedrige 
Vierte]  geordneten,  pfriemenförmigen  Seitenzweigen 
runde  Sporen  von  2,5  /*  Durchmesser,  kuglige 
Konidien,  in  perlschnurförmiger  Verbindung,  also 
reihenweise,  succedan  erzeugen  (Fig.  202,  E,  c). 
Die  erstgebildete,  also  oberste  Konidie  jeder  Reihe 
ist  meist  ellipsoidisch  und  öfters  fallen  die  succedan 
entwickelten  Ketten  zu  einem  unregelmäßigen,  die 
Spitze  des  Zweiges  einnehmenden  Häufchen  zu- 
sammen (Fig.  202,  E^  c').  Später  erscheinen  in  dem 
weißen  Flaum  orangefarbene  Hervorragungen,  w^elche 
nun  allmählich  zu  perithecientragenden  Frucht- 
körpern heranwachsen. 

Bei  künstlicher  Kultur  in  Nährlösung  wachsen 
die  aus  den  Perithecien  ejaculierten  Glieder  der 
Ascosporen  zu  Keimschläuchen  aus,  welche  un- 
mittelbar die  kuglige  Konidien  tragenden  Frucht- 
hyphen bilden. 

Zu  dem  tj'pischen  Entwicklungskreis  von 
Cordyceps  militaris  gehört  also  eine  regelmäßige, 
notwendige  Abwechslung  zwischen  dem  Auftreten 
der  in  den  Ascis  der  Perithecien  gebildeten  Sporen 
und  deren  Teilungsprodukten  einerseits,  und  den 
im  Blute  des  Insektes  von  den  Keimschläuchen  ab- 
gegliederten zylindrischen  Konidien  anderer- 
seits. Dagegen  sind  die  einfachen  Fruchtlwphen  eine  sekundäre,  morpho- 
logisch nebensächliche  Form  von  Fruchtträgern  und  die  auf  ihnen  succedan 
abgeschnürten  kugiigen  Konidien  bei  ihrer  schnellen  Entwicklung  Ein- 
richtungen zur  raschen  Verbreitung  des  Pilzes,    denn  wir  haben  allen  Grund, 


Fig.  204.  Coräyctp^  ru,r,,„  ^Tul.) 
Saee.  Ein  Laufkäfer  mit  dem 
-b'ruchtträger  des  Pilzes.  Nat. 
Größe.  (Nach  Lindau  in 
Engler-Prautl,  Die  natür- 
lichen Plianzeiifamilien.) 


^)  In  diesem  Zustande  sind  die  getöteten  von  den  gesunden  im  Winterlager 
befindlichen  Raupen  äußerlich  schwer  zu  unterscheiden.  Escherich  und  B  a  e  r 
[16|  geben  folgende  Kennzeichen:  „Schon  beim  Öffnen  einer  derartigen  Raupe,  die 
sich  an  den  Segnienträndern  leicht  auseinander  brechen  läßt,  entströmt  derselben 
ein  kaum  zu  verkennender  aromatischer  Pilzgeruch;  ferner  findet  sich  kein  Raupen- 
blut, sondern  das  ganze  Innere  des  Balges  scheint  von  einer  zwar  feuchten,  sonst 
aber  kautschukartigen  Masse  erfüllt,  die  von  der  gleichmäßigen  Mycel- 
durchwucherung   desselben   herrührt." 


272  Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 

zu  glauben,  daß  die  Kugelkonidien  in  derselben  Weise  auf  der  Haut  einer 
Raupe  keimen,  in  diese  eindringen,  und  Zylinderkonidien  erzeugen  können 
wie  die  Segmente  der  Ascosporen  (De  Bar}'  [5]). 

Zu  Cordyceps  militaris  gehört  höchstwahrscheinlich  ferner  eine  besondere 
Konidienform,  welche  morphologisch  zu  den  noch  zu  besprechenden  „Fungi 
imperfecti"  gestellt  wird,  nämlich  Isaria  farinosa  Fries.  Die  Beschreibung 
derselben  mußte  schon  der  Einheitlichkeit  wegen  mit  anderen  Isaria-Arien 
zweifelhafter  Zugehörigkeit  unter  den  „Fungi  imperfecti"  behandelt  werden; 
sie  ist  also  dort  nachzusehen. 

Außer  C.  militaris  ist  eine  sehr  große  Anzahl  von  weiteren  insekten- 
tötenden Cor^c^/>s- Arten  bekannt;  sie  sind  größtenteils  in  den  Tropen  und 
nur  wenige  in  Europa  heimisch.  Von  den  letzteren  seien  hier  die  wichtigsten 
wiedergegeben : 

C.  cinerea  (Till.)  Sacc.  (Fig.  204)  kommt  auf  Käfern  (besonders  Carabus- 
und  Calosoina-Kvten),  vornehmlich  ihren  Larven  vor.  Der  Fruchtkörperstiel 
ist  zylindrisch,  glatt,  schwärzlich-braun,  meist  4 — 6  cm  (seltener  bis  19  cm) 
lang,  1 — 2  mm  dick;  das  Köpfchen  verkehrt-eiförmig  bis  kuglig,  erbsengroß, 
anfangs  grau.  Sporen  fadenförmig,  hyalin,  in  7 — 10  /(  lange  Glieder  zer- 
fallend. —  Als  Konidienform  gehört  vermutlich  dazu  Isaria  eleiitheratoriim 
Nees.  (siehe  dies  unter  den  „Fungi  imperfecti"). 

C.  etitomorrhiza  (Dicks.)  Fr.  auf  verschiedenen  Insektenlarven,  mit  gelbem, 
2 — 8  cm  langem  Fruchtkörperstiel  und  rundlich-eiförmigem,  lebhaft  gold- 
gelbem und  braun  punktiertem,  ca.  5 — 8  mm  langem,  4  mm  dickem  Köpfchen. 
Sporen   fadenförmig,    hyalin,    in   6 — 8  ^i  lange,   4  /.t   breite  Glieder  zerfallend. 

C.  Ditmari  Quel.  auf  Vespa  crabro  L.  in  Frankreich,  mit  fadenförmigem, 
blass-zitronengelbem  Stiel  und  eiförmigem,  gelbem,  purpurpunktiertem,  3 — 4  mm 
dickem  Köpfchen.  Sporen  fadenförmig,  45 — 50  ,u  lang,  in  12  ^  lange  Glieder 
zerfallend.  —  Hierher  gehört  vermutlich  als  Konidienform  Isaria  sphecophila 
Ditiii.  (siehe  unten!) 

C.  helopis  Quel.  auf  Helops  caraboides  in  Frankreich,  mit  langem,  ge- 
krümmtem, weißglänzendem  und  rosagestreiftem  Stiel,  länglich-ellipsoidem, 
5 — 6  mm  langem,  gelbbraunem,  schwärzlich-purpurn  punktiertem  Köpfchen 
und  fadenförmigen,  in  2,5 — 3  ^i  dicke  Glieder  zerfallenden  Sporen. 

C.  callidii  Quel.  in  den  Larven  von  Callidium  in  Frankreich,  mit 
glattem,  violett-rosafarbigem,  3 — 7  cm  langem  Stiel  und  länglich-spindel- 
förmigem, 5 — 8  mm  langem  Köpfchen;  Sporen  haarartig,  rosenkranzförmig, 
50 — 60  i.i  lang,  in  Glieder  von  2  }.i  Durchmesser  zerfallend. 

C.  formicivora  Sehr,  auf  Formica  ligniperda,  mit  schwärzlichem, 
kugligem  Köpfchen  auf  sehr  kurzem  Stiel  (bis  2  mm);  Sporen  100 — 110  ^u. 
lang,  2,5 — 3  ,u  breit,  gelblich-hyalin,  gegliedert. 

C.  sphingum  (Tul.)  Sacc.  auf  verschiedenen  Schmetterlingen,  besonders 
Sphinx-  (z.  B.  Sph.  pinastri)  und  Phalaena-Axten^  mit  steifem,  5 — 40  mm 
langem  Stiel  und  dünnen,  fadenförmigen  Sporen.  —  Vermutlich  gehört  hierzu 
als  Konidienform  Isaria  sphingum  Schwein.,  ein  auf  Sphinx-Arten  (Carolina) 
und  Dipterenpuppen  (Schottland)  aufgefundener  Pilz. 


Die  insektentötenden  Pilze. 


273 


C.  odyneri  Qitel.  auf  Odynerus-L.2s\^n  in  Frankreich,  mit  schlankem, 
10—20  cm  langem,  bereiftem,  blaßgrauem  Stiel  und  eiförmigem,  olivengrauem 
Köpfchen;  Sporen  haarförmig,  80  ^i  lang,  5  /t  breit,  hyalin. 

C.  carabiQuel.  ^wiCarabus  {auronitevisl)  -Larven  in  den  Tridentinischen 
Alpen,  mit  5—6  cm  langem,  glattem,  violettem  Stiel,  kugligem,  3—4  mm 
durchmessendem  Kopf  und  haarförmigen,  hyalinen,  in  4  /i  lange  Glieder 
zerfallenden  Sporen. 

Ferner  ist  eine  Varietät  von  C.  tnilitaris  (v2l\\  sphaerocephala  Kunze 
et  Schw.)  mit  sehr  langem  (bis  2  Zoll),  dünnem  Stiel  und  kugligem  Kopf 
auf  Chrysaliden  beobochtet  worden. 

In  der  neueren  Zeit  hat  Olsen-Sopp  eine  neue  Riesenart  beschrieben, 
nämlich  C.  norvegica  Sopp  (in  Norwegen);  sie  ähnelt  dem  C.  militaris,  hat 
aber  15 — 20  cm  langen  und  15  mm  dicken  Stiel,  mehr  orangegelbe  Farbe  und 
soll  von  außerordentlicher  Pathogenität  sein.  Sie  befällt  die  Kiefernspinner- 
larven  und  allerhand  andere  Insekten. 

Eine  weitere  erwähnenswerte  Gattung  der  Pyrenomyceten  ist  Sphaerostilbe 
TuL\  sie  ist  mit  der  bekannten  Gattung  Nectria  sehr  verwandt  und  hat  kuglige, 
meist  rote,  weichfleischige  Fruchtkörper  und  längliche  zweizeilige  Sporen. 
Auf  Insekten  parasitiert  eine  einzige  Art,  S.  coccophila  Tnl.^  und  zwar  auf 
verschiedenen  Schildläusen  (Coccus-  und  Aspidiotus-Avten);  sie  ist  über  die 
ganze  Erde  verbreitet.  Die  Asci  sind  länglich,  60 — 80  f.i  lang,  6,5  fi  breit; 
die  Ascosporen  zweizeilig,  10  /<  lang,  5  ^ti  breit,  eiförmig,  fast  hyalin.  Die 
zugehörige  Konidienform  (sonst  als  Mtcrocera  coccophila  Desm.  unter  die 
Fungi  imperfecti  gestellt)  hat  kleine,  etwas  rasige,  kegelförmig-stiftartige, 
unverzweigte,  rosafarbige  Fruchtlager,  welche  an  ihrer  Basis  mit  einer  feinen, 
weißen,  aus  Konidienträgern  gebildeten  Membran  umgeben  sind.  Die  Konidien- 
träger  sind  fädig,  lang,  2,5  n  dick;  die  Konidien  verlängert,  beidendig  spitz, 
gebogen,  mit  3 — 5  Scheidewänden,  hyalin,  70 — 100  »  lang,  4 — 5  ^tt  breit. 

Der  Vollständigkeit  halber  seien  schließlich  noch  folgende  Ascom3'ceten- 
gattungen  kurz  erwähnt: 

Die    Pyrenomycetengattung  Tornbiella    Boud.    umfaßt   auf  Tieren  (meist 
Schildläusen  und  Spinnen)  parasitierende,  größtenteils  außereuropäische  Arten. 
Die  Pyrenomycetengattung  Ophionectria  Sacc.  ist  nur  insofern  bemerkens- 
wert, als  sie  eine  auf  Schildläusen  (in  West-Indien  und  Florida)  parasitierende 
Art  fO.  coccicola  Ell.  et  Ev.)  aufweist. 

Von  der  Pyrenomycetengattung  Melanospora  Cord,  wurde  früher  die 
hxt  M.  parasiticalul.  als  insektentötend  angegeben,  und  zwar  (von  Tulasne) 
als  die  Schlauchfruchtform  der  noch  zu  besprechenden  Botrytis  Bassiana 
Bals.  angesehen.  Nach  den  neueren  Untersuchungen  von  Kihlmann  soll 
jedoch  der  Pilz  kein  Tierparasit  sein,  sondern  auf  anderen  insektentötenden 
Pilzen  [Botrytis  Bassiana,  Isaria  farinosay  Cordyceps  militaris  usw.)  para- 
sitisch leben  (Überparasit). 

Als  letzte  Pyrenomycetengattung  sei  noch  die  Gattung  Ceratostomella 
erwähnt,    welche    holzbewohnende    Pilze    umfaßt.      Neger^)    beobachtete    in 


^)  Nach  gütiger  Mitteilung. 
Esche  rieh,  Forstinsekten.  18 


274  Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 

Dalmatien  zahlreiche  Leichen  des  Holzbohrkäfers  Xyleborns  dispar,  welche 
C<?ra/os/ow?g//a-Fruchtkörper  trugen.  Hier  handelt  es  sich  wahrscheinlich  um 
bloßen  Saprophytismus. 

Perisporiaceen. 

Die  Perisporiaceengattungen^)  Aspergillus,  Myriangiiim  und  Apiosporium 
enthalten  ebenfalls  einige  wenige  für  Insekten  pathogene  Vertreter.  A.ßaviis 
parasitiert  auf  Bienen  und  ihrer  Brut  (in  Deutschland,  nach  Maaßen)  und 
ruft  eine  als  Stein-  oder  Kalkbrut  bekannte  Mykose  hervor.  Die  Krankheit 
soll  eine  größere  Verbreitung  haben  (Europa,  Amerika).  A.  ßavus  und 
A.  glaucus  befallen  ferner  die  Seideniaupenkokons  in  Japan,  die  sehr  ge- 
fürchtete Raupenkrankheit  „Uchikabi"  verursachend.  Myriangium  Duriaei 
Mont.  befällt  Schildläuse  (die  Mottenschildlaus  Aleurodes  citri)  in  Westindien 
und  Florida.  Apiosporium  oleae,  welches  auf  dem  Ölbaum  parasitiert,  befällt 
und  tötet  (nach  Rub}^  und  Raybaud  [36])  die  ebenfalls  auf  dem  Ölbaum 
parasitierende  Schildlaus  Lecanium  oleae\  der  Tierkörper  enthält  im  Innern 
Hefezellen  des  Pilzes. 

Saccharomyceten. 

Zu  den  Ascomyceten  gehören  auch  die  Hefe-  oder  Sproßpilze 
{Saccharomycetes),  die  bekannten  Gärungserreger,  einzellige,  konidienförmige 
Organismen,  welche  unmittelbar  zu  neuen  Individuen  aussprossen  und  unter 
gewissen  Bedingungen  kleine  kuglige  Asci,  mit  w^enigen  Sporen,  bilden.  Bei 
den  tierbewohnenden  Saccharomyceten  handelt  es  sich  wohl  meistens  um 
eine  Symbiose.  Dies  ist  bekanntlich  bei  zuckersaugenden  Insekten  {Cocciden) 
der  Fall,  in  welchen  vielfach  Hefepilze  intrazellular  leben,  ohne  einen  nachteiligen 
Einfluß  auf  den  Wirt  auszuüben.  Die  Infektion  geht  vom  Muttertier  aus,  bei 
der  Eiablage,  so  daß  die  Symbiose  von  Generation  zu  Generation  vererbt  wird 
(vgl.  Buchner).  Auch  bei  anderen  Insekten  sind  solche  Fälle  bekannt;  so 
fand  z.  B.  Escherich  [15a]  in  dem  Darmepithel  des  Käfers  Anobium  panicemn 
eine  Saccharomyces-Avt,  welche  das  Tier  keinesfalls  beeinträchtigt,  sondern  ver- 
mutlich im  Gegenteil  dadurch  nützt,  daß  sie  verdauungsfördernd  wirkt.  — 
Das  Vorhandensein  solcher  Sproßpilze  ist  allerdings  auch  mit  Erkrankungen 
von  Insekten  in  ursächlichen  Zusammenhang  gebracht  worden.  So  fand 
Hartig  im  Blute  der  Nonnenraupen  einen  Hefepilz,  den  er  für  sehr  pathogen 
hält.  Lindner  [29]  fand  einen  hefeartigen  Pilz  {Saccharomyces  apiculatus 
parasiticus)  in  der  Schildlaus  Aspidiotus  nerii  (auf  Oleander,  Lorbeer,  Myrte 
und  Efeu),  den  er  mit  dem  von  Hartig  in  der  Nonne  aufgefundenen  für 
identisch  hält;  er  schlägt  sogar  vor,  durch  Kultur  dieser  Schildlaus  auf  Efeu 
im  großen  eine  Ansteckung  der  Nonne  zu  versuchen.  Es  ist  jedoch  wahr- 
scheinlich, daß  es  sich  auch  hier  um  eine  harmlose  Symbiose  handelt. 

Laboulbeniaceen. 

Eine  weitere   Unterabteilung   der  Ascomyceten   bilden  die  wegen   ihrer 

eigenartigen  Organisation  und  Lebensweise  sehr  interessanten  Laboulbeniaceen. 

Dieselben  beanspruchen  hier  ebenfalls  unser  Interesse,  da  sie  ausschließlich  auf 

Insekten,  meist  hydrophilen  Coleopteren  ('Lauf-  und  Wasserkäfern)  parasitisch 

^)  Die  Perisporiaceen  bilden  eine  weitere  Unterabteilung  der  Ascomyceten 
mit  völlig  geschlossenen  kugligen  Perithecien. 


Die  insektentötenden  Pilze. 


27  5 


leben;  dieser  Parasitismus  ist  jedoch  ungefälirliclier  Natur,  wenigstens  tötet  er 
die  Insekten  nicht.  Dank  der  Arbeiten  von  Th axter  sind  uns  heute  die  Laboul- 
beniaceen  genau  bekannt.  Die  Vertreter  dieser  Gruppe  sind  winzig  kleine 
unscheinbare  Pilze,  welche  ein  sehr  kurzes,  zwei-  bis  vielzelliges  vegetatives 
Mycel  bilden  und  in  der  Hauptsache  nur  aus  dem  Fruchtkörper  bestehen. 
Sie  setzen  sich  durch  einen  schnabelförmigen  Fortsatz  der  untersten  Zelle 
an  den  Chitinpanzer  des  Insektes  fest;  nur  bei  wenigen  Arten  findet  Bildung 
von  Rhizoiden  statt,  welche  in  die  Weichteile  des  Tieres  eindringen.  Die 
meisten    bisher   bekannten    Laboulbenia-  .  .  mi 

ceen  sind  in  Nordamerika  aufgefunden 
worden,  während  aus  Europa  nur  wenige 
Arten  bekannt  sind;  es  ist  jedoch  sehr 
wahrscheinlich,  daß  auch  hier  diese  Pilz- 
gruppe eine  größere  Verbreitung  hat. 

Sehr  verbreitet  auf  Stubenfliegen 
in  Europa  ist  Stigmatomyces  Baeri 
Peyr.\  die  Entwicklungsgeschichte  dieses 
Pilzes  sei  hier  als  typisches  Beispiel  der 
Laboulbeniaceenorganisation  kurz  ge- 
schildert: Die  Infektion  geschieht  durch 
Übertragung  der  zweizeiligen,  mit  einer  "c 
Schleimhülle  umgebenen  Sporen  (Fig. 
205,  A)  von  den  infizierten  auf  die  ge- 
sunden Tiere.  Hier  vergrößern  sich  die 
beiden  Zellen  der  Spore  und  die  unterste 
bildet  zunächst  den  erwähnten  schnabel- 
förmigen Fortsatz  (5),  wodurch  erst  der 
Pilz  festen  Fuß  faßt.  Nun  beginnt  eine 
wiederholte  Teilung  der  beiden  Sporen- 
zellen (C,  D)\  die  obere  Zelle  liefert  ein 
Anhängsel  mit  mehreren  flaschenförmigen 
Gebilden,  den  Antheridien  (aw).  Aus 
den  durch  die  Teilung  der  untersten 
Sporenzelle  gebildeten  Zellen  a,  b,  c  und 
d{D),  entwickelt  sich  die  eine  {Da)  durch 
weitere  wiederholte  Teilungen  zu  einem 
weiblichen  Apparat.  Die  wichtigsten  Teile 
desselben  ist  die  zentral  liegende  Eizelle, 
Carpogon    (£",    ac)     und    das    schmale 

Trichogyn  (£,  /).  Die  erwähnten  männlichen  Organe,  die  Antheridien  bringen 
kuglige  Spermatien  hervor,  welche  sich  an  das  Trichogyn  setzen.  Das 
weitere  Schicksal  der  Kerne  des  Spermatiums  und  des  Carpogons  konnte 
nicht  festgestellt  werden.  Wahrscheinlich  findet  hier,  ähnlich  wie  bei  den 
analoge  Verhältnisse  zeigenden  Rotalgen  (Florideen),  eine  Befruchtung  statt. 
Die  Eizelle  teilt  sich  auf  jeden  Fall  in  drei  Zellen,  von  denen  die  mittlere 
zur    Bildung   der   Ascis    {F,    as)    fortschreitet,    während    die    die    Eizelle    um- 

18* 


Fig.  205.  Stigmatomyces  Baeri  Peyr.  A  Spore; 
B—F  Aufeinanderfolgende  Entwicklungs- 
stadien nach  der  Sporenkeimung;  D  Bildung 
von  Antheridien  an,  aus  denen  Spermatien 
austreten;  E  das  geschlechtsreife  Individuum 
mit  den  vollständig  ausgebildeten  Antheridien 
(rechts)  und  weibliebem  Apparat  (links);  bei 
t  das  Trichogyn  desselben;  F  der  zu  einem 
Perithecium  umgewandelte  weibliche  Appnrat 
mit  den  sich  entwickelnden  Asci  (Sporen- 
schläuchen); G  ein  reifer  Ascus,  vier  Sporen 
enthaltend.  Alles  stark  vergrößert.  iNach 
Thaxter,  aus  dem  Bonner  Lehrbuch,  9.  Aufl. 
1908.) 


276  Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 

gebenden  Zellen  durch  wiederholte  Teilung  eine  Wandung  bilden;  der 
ganze  weibliche  Apparat  hat  sich  somit  zu  einem  Perithecium  ausgebildet  (F). 
Jeder  darin  eingeschlossene  Ascus  enthält  vier  zweizeilige  Sporen  (G). 
Einige  Laboulbeniaceen  sind  diözisch,  d.  h.  sie  bilden  die  männlichen  und 
weiblichen  Organe  nicht  an  einem,  sondern  verschiedenen  Individuen. 

Eine  größere  praktische  Bedeutung  kommt  den  Laboulbeniaceen  kaum 
zu,  da,  wie  schon  erwähnt,  die  befallenen  Insekten  nicht  zugrunde  gehen; 
jedoch  scheint  eine  Beschränkung  der  Vermehrung  der  Käfer  durch  den 
Befall  wahrscheinlich. 

Fungi  imperfecti. 

Hierher  gehören,  wie  schon  erwähnt,  Pilze  mit  gegliedertem  Mycelium 
und  von  unbekannter  Hauptfruchtform,  welche  jedoch  größtenteils  als  die 
Konidienformen  von  Ascomyceten  zu  betrachten  sind.  Die  Gruppe  und  ihre 
Einteilung   ist   keine    natürliche.      Man    unterscheidet   drei   Hauptabteilungen: 

I.  Sphaeropsidales,    mit   Konidien    in   kammerartigen   Höhlungen    (Pykniden). 

II.  Melancoliales,  mit  Konidien  auf  Konidienlagern,  die  zuletzt  ganz  frei 
stehen.  III.  Hyphomyceten,  mit  Konidien  in  Konidienträgern,  die  einzeln 
oder  höchstens  in  Coremien  (d.  h.  aus  parallelen  Hyphen  bestehenden  Stro- 
mata,  welche  sich  über  das  Substrat  erheben)  zusammenstehen.  Von  diesen 
drei  Unterabteilungen  weisen  nur  die  erste  und  die  letzte  insektentötende 
Vertreter  auf. 

Sphaeropsidales. 

Von  den  Sphaeropsidales  kommt  nur  die  Gattung  Aschersonia  Moni. 
für  uns  in  Betracht.  Die  Pilze  dieser  Gattung  bilden  fleischige,  halbkuglige, 
polsterförmige  Stromata,  welche  die  P3^knidenkammer  in  sich  bergen.  Sporen 
spindelförmig,  hyalin,  mehrzellig,  auf  fadenförmigen  Trägern. 

Als  insektenbewohnend  weiden  folgende  Arten  angegeben:  A.  tahitensis 
Moni.,  A.  turbinata  Beck.,  A.  parasitica  P.  Henn.,  A.  ßavocitrina  P.  Henn. 
und  A.  aleurodis  Webb.,  welche  sämtlich  auf  außereuropäischen  Cocciden, 
insbesondere  Aleiirodes  citri  (auf  OVr«s-Bäumen  in  Florida)  parasitieren  und 
sie  zum  Absterben  bringen.  Die  größte  Häufigkeit  zeigt  vor  allem  die  letzt- 
genannte Art. 

Hvphom^'ceten. 

Von  den  imperfekten  Hyphomyceten  gibt  es  eine  größere  Anzahl  von 
Gattungen,  welche  auf  Insekten  parasitierende  Vertreter  aufweisen.  Diese 
sind,  der  systematischen  Reihenfolge  nach,  folgende: 

Oospora  Wallr. 
Diese  Pilze  leben  parasitisch  oder  saprophytisch  auf  Pflanzen  und 
Tieren^)  und  bilden  ausgebreitete  oder  polsterförmige,  schimmelartige  Rasen. 
Die  Fruchth3^phen  sind  kurz,  zart,  einfach  oder  sparsam  verzweigt;  die 
Konidien  sind  kuglig  oder  eiförmig  und  werden  in  regelmäßigen  Ketten  ge- 
bildet. 


*)  Hierher  gehören,  oder  sind  mindestens  nahe  verwandt,  diejenigen  Pilze,, 
welche  die  unter  den  Namen  „Herpes"  und  „Favus"  bekannten  Hautkrankheiten 
bei  Menschen  und  Tieren  verursachen. 


Die  insektentötenden  Pilze.  277 

Die  wichtigste  aller  insektenbewohnenden  Arten  ist  Oospora  destmctor 
Delacr.,^)  sie  bildet  rundliche,  zusammenfließende,  staubige,  zuerst  weiße, 
später  grüne  Rasen.  Die  vegetativen  Hyphen  kriechend,  die  Fruchthyphen 
einfach  oder  wenig  verzweigt,  mit  sehr  undeutlichen  Scheidewänden,  fast 
hyalin,  3 — 3,5  n  dick.  Konidien  in  Ketten  zu  3 — 5,  zylindrisch,  beidendig 
abgerundet,  blaugrün,  7 — 15  ^i  lang,  2,5 — 3,3  }i  dick.  Der  Pilz  kommt  auf 
verschiedenen  Insekten,  vornehmlich  den  Pflanzenschädlingen  Cleonus  pimcti- 
ventris  und  Anisoplia  austriaca  in  Frankreich  und  Rußland  vor,  die  sog. 
„grüne  Muscardine"  verursachend.  Der  Pilz  wurde  in  Frankreich  auch  auf 
Seidenraupen  beobachtet. 

Weitere  Arten  sind  O.  Guerciana  Cav.  auf  Larven  von  Agrotis  aqiiilina 
in  Italien,  O.  Saccardiana  Berl.  auf  Ceroplastes  rusci  in  Italien  und  O.  ovorum 
Trab,  auf  Eiern  von  Haltica  ampelophaga  in  Algerien.  Letztere  Art  wurde 
von  Petri  in  Italien  in  den  von  Phylloxera  bewohnten  Gallen  aufgefunden; 
es  gelang  ihm  in  einigen  Fällen,  mit  dem  Pilz  gesunde  Phylloxera-YÄ^x  zu  in- 
fizieren. 

Cephalosporium  Corda. 

Hyphen  weithin  kriechend;  Konidienträger  kurz,  aufrecht,  an  der  Spitze 
nicht  aufgeblasen.  Konidien  kuglig  oder  eiförmig,  hyalin  oder  blaß  gefärbt, 
sitzend,  zu  einem  Köpfchen  angehäuft. 

Als  insektentötend  ist  nur  eine  Art  aus  Westindien  bekannt,  nämlich 
C.  lecann  Zimm.  auf  Schildläusen. 

SporofricJiiiiii  Link. 

Hyphen  reich  verzweigt,  weit  verbreitet,  alle  niederliegend.  Konidien 
endständig,  an  der  Spitze  von  Ästen  oder  von  kurzen  Trägern,  meist  einzeln, 
eiförmig  oder  kuglig. 

Von  den  insektentötenden  Arten  kommt  hauptsächlich  S.  globulifertim 
Speg.  in  Betracht;  dieser  Pilz  befällt  Heuschrecken  (in -Argentinien)  und  soll 
auch  die  Getreidewanze  {Blissus  leucopferus)  und  andere  Insekten  (z.  B. 
Cocciden)  angreifen  können. 

Botrytis  Mick. 

Hyphen  kriechend,  verzweigt,  septiert;  Konidienträger  unregelmäßig, 
baumartig  verzweigt,  selten  einfach,  aufrecht.  Äste  entweder  dünn,  an  der 
Spitze  zugespitzt,  oder  dicker,  stumpf,  oder  aufgeblasen  warzig  oder  kamm- 
förmig  zähnig.  Konidien  an  der  Spitze  der  Äste  gehäuft,  aber  nicht  eigentlich 
kopfig,  kuglig,  ellipsoidisch  oder  länglich,  h^^ahn  oder  lebhaft  gefärbt,  einzellig. 
Einige  Arten  bilden  Sclerotien. 

Diese  Gattung  ist  von  großer  Bedeutung,  da  sie  mehrere  in  Europa 
auf  Insekten  parasitierende  Arten  umfaßt.  Die  wichtigste  dieser  Arten  ist 
Botrytis  Bassiana  Bals.,  welche  zuerst  (1763)  an  der  Seidenraupe  beobachtet 
wurde;  sie  ist  die  Ursache  der  unter  dem  Namen  „Muscardine",  „Calcino" 
oder  „Kalksucht"-)  bekannten  Krankheit.-^) 

*)  Die  Art  wird  von  einigen  Forschern  zu  Isaria  gestellt  (als  /.  anisopliae 
Pettit,   neuerdings  von  Vuillemin   zu  Penicillium  als  Penicillium  anisopliae  Vuill.). 

^)  Wegen  des  kalkartigen  Aussehens  der  erkrankten  Raupen. 

^)  Vuillemin  hat  neuerdings  diese  Art  von  der  Gattung  Botrytis  getrennt 
und  unter  eine  neue  Gattung  Beauveria  Vuill.  (als  B.  Bassiana  Vuill.)  gestellt. 


278 


Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 


Der  Pilz  tritt  meistens  nur  in  der  Form  einfacher,  einen  schimmel- 
artigen Flaum  bildender  Fruchthyphen  auf/)  kann  aber  zuweilen  isaria- 
ähnliche  Stromata  bilden.  Die  aus  dem  Innern  von  infolge  des  Befalls  ver- 
endeten Raupen  hervorbrechenden  Fruchthyphen  sind  aufrecht,  unverzweigt 
oder  seltener  gabelig  mit  kurzen  Ästen,  farblos  und  durch  Scheidewände  in 
lange  Zellen  geteilt  (Fig.  206,  A).  Sie  treiben  einzelne  oder  gegenständige, 
einzellige  Zweige,  welche  nun  entweder  selbst  an  ihren  zugespitzten  Enden, 
oder  an  denen  der  von  ihnen  entspringenden  Zellen  zweiter  Ordnung, 
köpfchenweise  (bis  16  Stück  an  einem  Hyphenästchen)  kuglige  Konidien  von 
2 — 3  ^i  Durchmesser  abschnüren  (Fig.  206,  A).  Gelangt  eine  dieser,  monate- 
lang ihre  Keimfähigkeit  bewahrenden  Konidien  auf  die  Haut  einer  Raupe, 
so  keimt  sie;  der  Keimschlauch  dringt  durch  die  Haut  und  während  der 
außenbleibende  Teil  derselben  abstirbt,  wächst  das  eingedrungene  Stück, 
zahlreiche,  verzweigte,  von  dem   Punkte  des    Eindringens   aus   strahlig  diver- 


A3  C 

Fiff.  206.  Botrytis  Bassiana  Bals.  A  Konidientragende  Fruchthyphen,  a  mit  schwächerer,  h  und  c  mit 
reichlicher  Sporenproduktion;  B  konidienabschnürende  Keimschläuche  aus  der  Raiipenhaut;  C  zylin- 
drische Konidien  und  Hyphenansätze,  sekundäre  Konidien  abschnürend,  aus  dem  Raupenblute.    (Nach 

de  Bary  [5].) 


gierende  Äste  treibend,  weiter.  Die  Umgebung  dieser  Stelle  wird  zu  einem 
mißfarbigen  Flecke.  Die  Fäden  durchwachsen  nun  die  Leibeswand,  die 
Muskeln  und  den  Fettkörper,  indem  sie  diese  Teile  zerstören  und  es  bilden 
sich  teils  an  ihren  freien  Enden,  teils  seitlich,  auf  kurzen,  dünnen  Stielen 
sitzende,  7—15  /.i  lange  und  2  a  breite,  Z3dindrische  Konidien,  die  gleichfalls 
köpfchenweise  abgeschnürt  werden  (Fig.  206,  B).  Nach  vollendeter  Reife 
lösen  sich  diese  zylindrischen  Konidien  von  ihren  Trägern  und  gelangen  in 
die  Blutmasse  des  Tieres,  wo  sie  entweder  unmittelbar  oder  nachdem  sie 
sich  auf  das  zwei-  bis  dreifache  ihrer  Länge  gestreckt  haben,  neue,  sekundäre 
zylindrische  Konidien  abschnüren  (Fig.  206,  C).  Wenn  diese  Konidienbildung 
ihren  Höhepunkt  erreicht-  hat,  ist  das  Blut  des  Tieres  mit  den  Konidien 
reichlich  versehen  und  erscheint  weißlich  getrübt. 

*)  Diese  einfache  Form  dieses  Pilzes  erinnert  an  die  schon  erwähnte  kuglige, 
konidienbildende  Nebenfruktifikation  von  Cordyceps  militaris  (Fig.  202,  £",  D),  so 
daß  die  Vermutung  naheliegt,  daß  sie  eine  Nebenfruktifikation  einer  Cordyceps- Kx\. 
darstellt. 


Die  insektentötenden  Pilze. 


279 


^nr 


Nach  Einstellung  der  weiteren  Konidienbildung  beginnen  die  zahlreich 
vorhandenen  Konidien  zu  verästelten  Hyphen  auszuwachsen.  Die  Ausbildung 
der  braunen  Hautflecken,  welche  die  Infektion  der  Raupen  anzeigen,  beginnt 
erst  am  8.  oder  9.  Tage  nach  der  Infektion.  Sobald 
diese  sich  vergrößern,  werden  die  Tiere  träge  und 
hören  auf  zu  fressen,  werden  allmählich  regungslos 
und  sterben  meist  am  12. — 14.  Tage  nach  der  In- 
fektion, nachdem  sie  zuvor  eine  schlaffe,  weiche  Be- 
schaffenheit angenommen.  Bald  beginnt  aber  unter 
dem  Drucke  der  nun  eintretenden  Mycelbildung  die 
Leiche  wieder  zu  schwellen  und  das  Mycelium  durch- 
wuchert den  Körper  vollständig,  die  inneren  Organe 
auflösend  und  sie,  mit  Ausnahme  der  Höhlung  des 
Darmes,  völlig  durchdringend.  Es  folgt  nun  in 
feuchter  Umgebung  der  Durchbruch  der  Fruchthyphen, 
während  die  trocken  liegende  Leiche  zur  Mumie  zu- 
sammenschrumpft, aus  welcher  noch  nach  Monaten  bei 
Wiederbefeuchtung  Konidienträger  hervorbrechen. 

Außer  der  Seidenraupe  befällt  der  Pilz  auch  zahl- 
reiche andere  Insekten,  wie  die  Kiefernspinnerraupe, 
den  Traubenwickler  {Conchylis),  die  Larven  des  Reben- 
schädlings Haltica  ampelophaga  usw.,  und  soll  auch  die 
Nonnenraupen  anzustecken  imstande  sein. 

Eine  weitere  insektentötende  Art  ist  Botrytis 
tenella  Sacc,  welche  auf  verschiedenen  Insekten,  ins- 
besondere Maikäfern  und  ihren  Larven  (Engerlinge) 
vorkommt   und    sie    tötet   (Fig.  207    u.  208).      Der   Pilz 

soll  in  Schweden  auch  auf  den  Nonnenpuppen  spontan  vorkommen.  Der 
Pilz  bildet  ausgebreitete,  weiße,  ziemlich  feste,  aus  septierten,  verzweigten, 
1,5 — 2  |U,  dicken  Hyphen  bestehende  Rasen. 
Konidienträger  (Fig.  207)  aufsteigend,  mannig- 
fach verzweigt,  wenig  septiert,  hyalin. 
Konidien  eiförmig,  zu  2 — 3köpfig  gehäuft, 
2,5 — 3|ttxl,5 — 2/1,  hyalin,  bisweilen  mit 
Öltropfen. 

Die  besprochenen  Botrytis-Anen  sind 
schwer  voneinander  zu  unterscheiden ;  auch 
ihre  Zugehörigkeit  zu  dieser  Gattung  wird 
angezweifelt.  Da  die  Fruchthyphen  von 
Botrytis,  wie  schon  hervorgehoben,  unter 
Umständen  zu  isariaförmigen  Bündeln  sich 
vereinigen,  so  werden  sie  bisweilen  mit 
Isaria  verwechselt;  in  der  Tat  wird  Botrytis  tenella  vielfach  als  zu  Isaria 
gehörig  angesehen  und  Isaria  densa  {Link.)  Fr.  benannt.  Zur  sicheren 
Unterscheidung  beider  genannter  Arten  gibt  Delacroix  auf  Grund  von  Kulturen 
folgende  Unterscheidungsmerkmale  an: 


Fig.  207.  Botrytis  tenella  Sacc. 
Fruchttragende  Hyphen 
nach  S  a  c  c  ar  d  o ,  stark  ver- 
größert (aus  Lindau,  in 
Rabenhorst,  Krypto- 
gamenflora). 


Fig  208.  Botrytis  tenella  Sacc.  Vom  Pilz 
befallene  Maikäfer.  Die  weißen  Polster 
der  konidientragenden  Hyphen  brechen 
an  den  chitinfreien  Teilen  der  toten  Mai- 
käfer hervor.    (Nach  Tubeuf  [44].) 


280  Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 

B.  tenella:  Konidien  oval,  Kartoffelscheiben  und  Gelatineplatten  werden 
intensiv  rot  gefärbt. 

B.  Bassiana:  Konidien  rund,  Kartoffelscheiben  werden  nicht,  Gelatine- 
kulturen hellbraun  gefärbt. 

In  Frankreich  soll  ferner  auf  den  Seidenraupen  neuerdings  eine  neue, 
von  B.  Bassiana  abweichende  Form  auftreten,  die  als  B.  effusa  Beauv.  be- 
zeichnet wird.  Sie  unterscheidet  sich  im  wesentlichen  von  jener  Art  dadurch, 
daß  sie  das  Substrat  (sowohl  die  Seidenraupen  wie  Kartoffelscheiben)  rot  färbt 

(„rote  Muscardine").^) 

Verticilliitm  Nees. 

Hyphen  kriechend,  rasenbildend,  verzweigt,  septiert.  Konidienträger 
aufrecht,  verzweigt,  septiert.  Zweige  quirlständig.  Konidien  einzeln  oder  zu 
mehreren  stehend,  bald  abfallend,  kuglig  bis  eiförmig,  hyalin  oder  lebhaft  gefärbt. 

Die  Gattung  enthält  zahlreiche  Arten,  welche  auf  toten  Insekten  auf- 
gefunden werden;  ihre  Pathogenität  (Parasitismus)  ist  jedoch  in  vielen  Fällen 
zweifelhaft. 

V.  capitatiim  Ehrenb.,  bildet  sehr  zarte,  weiße,  kaum  sichtbare,  lockere, 
ausgedehnte  Überzüge.  Hyphen  4 — 5  /*  dick,  und  Konidienträger  zerstreut 
stehend,  0,15 — 0,2  mm  hoch,  weiß,  3  /<  dick,  mit  2 — 3  zwei-  bis  vierwirteligen 
Verzweigungen.  Zweige  2  ,u  dick  und  bisweilen  noch  einmal  dreiwirtelig 
verzweigt.  Konidien  endständig,  einzeln,  kuglig,  1 — 1,5  /t  Durchmesser.  Auf 
kleinen  Insekten  und  Larven  beobachtet,  wahrscheinlich  nur  ein  Saprophyt; 
es  wächst  auch  auf  Zweigen  von  Pflanzen  und  Holz. 

V.  heterocladum  Penz.,  überzieht  den  Körper  des  Insektes  wie  mit 
einem  weißen  Filz  und  bildet  kriechende,  verlängerte,  wenig  verzweigte 
Hyphen  und  aufsteigende  Konidienträger  mit  abstehenden,  geraden,  zu- 
gespitzten Ästen  (zu  drei-  bis  vieigliedrigen  Wirtein).  Konidien  an  den  Ast- 
spitzen einzeln,  zu  zwei  oder  drei,  öfter  sehr  kurz  gestielt,  länglich,  5,5  bis 
6  IX  lang,  2 — 3  /^  breit,  hyalin.  Auf  Lecanium  hesperidum  (auf  den  Blättern 
des  Zitronenbaumes  in  Oberitalien)  und  Aleurodes-Anen  (auf  Ci/rus-Avten  in 
Florida). 

V.  corymbosum  Lebert,  bildet  weiße  schimmelartige  Rasen  und  aufrechte, 
2  1.1  dicke,  coremienartig  zusammentretende  Konidienträger  mit  opponierten 
oder  quirlig  gestellten  kurzen  Zweigen,  die  ihrerseits  wiederum  ebenso  ver- 
zweigt sein  können.  Endzweig  fast  ellipsoidisch,  ca.  4  /<  breit.  Konidien 
kuglig  oder  leicht  eiförmig,  etwa  3  ^t  lang  und  2,5  /i  breit.  Auf  Puppen  des 
Kiefernspanners  Fidonia  piniaria  (in  Schlesien).^) 

Ferner  ist  vielfach  eine  Verticillium-Kri  {V.  aphidis)  auf  Aphiden  (in 
Ungarn  und  Dänemark)  und  weitere  {V.  oxana  Dan.  et  Wize)  auf  Cleomis 
punctiventris  (in  Rußland)  beobachtet  worden. 


1)  Zu  Botrytis  wird  ferner  ein  Pilz  gestellt,  der  bei  einer  Invasion  von 
Wanderheuschrecken  in  Algerien  vernichtend  aufgetreten  ist.  Giard  [24]  stellt 
ihn  zu  einer  neuen  Gattung  Lachindium;  dieselbe  ist  jedoch  nach  Saccardo  nichts 
anderes  als  ein  Fusarium. 

'^)  Der  Pilz  wird  vielfach  mit  Botrytis  Bassiana  verwechselt.  Er  wird  auch 
als  die  Konidienform  eines  Cordyceps  angesehen. 


Die  insektentötenden  Pil 


281 


Cladosporiiim  Link. 

H3^phen  im  Substrat  oder  auf  dessen  Oberfläche  kriechend,  verzweigt, 
septiert,  dunkelfarbig.  Konidienträger  aufrecht  oder  niederliegend,  büschelig 
hervorbrechend  oder  dichte  Rasen  bildend,  meist  septiert,  einfach  oder  ver- 
zweigt, dunkelfarbig.  Konidien  fast  kuglig  bis  zylindrisch,  leicht  dunkelfarbig 
bis    schwarz,    meist   zweizeilig  (selten   ein-  oder  mehrzellig),  oft  eingeschnürt. 

Cladosporium-Arien  werden  vielfach  auf  toten  Insekten  angetroffen  (C. 
aphidis  v.  Thüm.  auf  Aphts-Arten,  C.  penicillioides  Preuss.  auf  Chr3rsaliden 
usw.),  sie  sind  jedoch  meistens  nur  Saprophyten  (oder  in  einigen  Fällen 
Epiphyten).  Sie  sollen  bisweilen  den  Insekten  dadurch  schädlich  werden, 
daß  sie  die  Tracheen  verstopfen  und  in  dieser  Weise  Asph3'xie  und  den  Tod 
der  Tiere  herbeiführen  können. 

Isaria  Pers. 

Mycel  häufig  weit  ausgebreitete  feste  Lager  bildend,  meist  weiß  (seltener 
hellfarbig).    Fiuchthyphen  septiert,  hellfarbig  zu  massigen  Bündeln,  Coremien, 


A  B  C  D 

Fig.  209.  Isaria  Pers.  A  Puppe  mit  den  Coremien  von  I.  farinosa  (Dicks.)  Fries,  (nach  Nees  von 
Esenbeck);  B  Fruclithyphtnende  von  demselben  Pilz  mit  kugligen  Konidien;  C  desgleichen  mit 
schwachen   Sporenprodukten;  D  desgleichen  mit  ovalen  Konidien  von  I.  strigosa  Pries.    {B — D  nach 

de  Bary  [5].) 

parallel  vereinigt;  dieselben  erheben  sich  meist  aufrecht  auf  dem  Substrat 
(Fig.  '209,  A)  und  sind  stiftförmig  oder  keulig,  einfach  oder  verzweigt. 
Die  Konidien  entstehen  als  letzte  Verzweigungen  der  das  Coremium  bildenden 
Hyphen,  das  keulenförmige  Köpfchen  desselben  dicht  überziehend;  der  Stiel 
des  Coremiums  ist  dagegen  als  der  sterile  Teil  zu  bezeichnen,  auf  ihm  be- 
finden sich  also  keine  Konidienträger.  Die  Konidien  entstehen  akrogen  und 
sind  sehr  klein,  kuglig  oder  ellipsoidisch,  einzellig,  h^^alin. 

Wie  schon  an  anderer  Stelle  hervorgehoben  wurde,  werden  einige  Isaria- 
Arien  als  die  Konidienform  von  Cor^c^/)s-Arten  angesehen  und  bei  C.  militaris 
ist  es  de  Bar}^  anscheinend  auch  gelungen,  durch  Aussaat  der  Cordyceps- 
Ascosporen  die  Isaria-Y orm.  zu  erhalten^);  der  umgekehrte  Versuch  ist  aber 
bisher  ohne  Erfolg  geblieben.  Bei  der  großen  Anzahl  der  insektenbewohnenden 
Isariapilze  ist  es  übrigens  keine  leichte  Aufgabe,  die  Zugehörigkeit  zu  eruieren. 
Es  ist  auch  nicht  ausgeschlossen,  daß  bei  vielen  Arten  das  Vermögen  der 
Bildung  der  Ascusfruchtform  verlustig  gegangen  ist. 

Die  systematische  Stellung  der  „Isaria" -Pilze  ist  auch  unter  den 
Imperfecti    eine    sehr   zweifelhafte.      Der   Hauptcharakter,    die   Bildung   der 

1)  Da  es  sich  in  diesem  Falle  nicht  um  eine  Reinkultur  handelt,  so  ist  der 
Versuch  für  die  Zugehörigkeit  dieser  Pilzformen  nicht  unbedingt  beweisend. 


282  Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränlcung  der  Insektenvermehrung. 

eigentümlichen  Coremien,  ist  kein  sicheres  Gattungsmerkmal,  da  sie  in  hohem 
Maße  von  der  physikalischen  und  chemischen  Beschaffenheit  des  Substrates 
abhängt,  während  sie  andererseits  auch  bei  Pilzen  anderer  Gattungen  an- 
zutreffen ist.  Vom  Standpunkt  der  Form  der  Konidienträger  aus  betrachtet, 
sind  die  verschiedenen  Isariapilze  wohl  unter  verschiedene  Gattungen  zu 
stellen.  Dies  ist  auch  zweifellos  unbewußt  öfter  geschehen,  in  den  Fällen, 
wo  die  typische  Coreraienbildung  unter  dem  Zwang  der  herrschenden  Be- 
dingungen ausblieb.  Der  Gattungsbegriff  „/sar/a"  steht  also  auf  ungemein 
schwachen  Füßen;  es  ist  daher  begreiflich,  wenn  die  Isariapilze  eine  Unmenge 
von  Synonj^men  aufweisen.  Dadurch  aber,  daß  man,  der  sonst  richtigen  Be- 
strebung der  Benennung  von  Imperfekten  nach  der  etwaig  entdeckten  Haupt- 
fruchtform folgend,  die  Isarien  kurzweg  unter  Cotdyceps  stellte,  erreichte  die 
Konfusion  den  Gipfel.  Dieser  kurze  Prozeß  ist  bei  den  Isarien  tatsächlich  untun- 
lich, da  nur  bei  Isoria  farinosa  der  Zusammenhang  mit  Cordyceps  militaris, 
wenn  auch  nicht  absolut  sicher,  doch  höchstwahrscheinlich  ist,  während  viele  der 
übrigen  schlechtweg  als  „Isaria^''  bezeichneten  Pilze  höchstwahrscheinlich  mit 
Isaria  farinosa  keinerlei  verwandtschaftliche  Beziehungen  haben  und  demnach 
auch  nicht  zu  Cordyceps  zu  gehören  brauchen.  Eine  gründliche  Neube- 
arbeitung der  Isarien  auf  Grund  von  Versuchen  mit  Reinkulturen  tut  dringend 
not.  Den  Anfang  hat  schon  Vuillemin  [47,  48]  gemacht.  Nach  diesem 
Autor  ist  z.  B.  /.  farinosa  unter  die  Gattung  Spicaria  Harz^)  zu  stellen. 
Es  ist  in  der  Tat  unzweifelhaft,  daß  viele  Isarien  zu  Spicaria  oder  zu  der 
nahverwandten  Gattung  VerticiUium  gehören.  Fron  [20,  21]  fand  einen 
parasitischen  Pilz  auf  den  Puppen  der  Traubenwickler  {Conchylis  und  Poly- 
chrosis)  in  Frankreich,  den  er  als  eine  Varietät  von  Isaria  farinosa  erkannte 
und  als  Spicaria  farinosa  var.  verticilloides  bezeichnete.  Nach  der  Be- 
schreibung und  den  beigegebenen  Abbildungen  handelt  es  sich  in  der  Tat 
um  eine  Spicaria.  Der  Pilz  ist,  wie  Fron  mit  Recht  hervorhebt,  mit  dem 
von  Schwangart  [38]  ebenfalls  an  den  Traubenwicklern  in  Deutschland 
aufgefundenen  identisch.  Der  Pilz  scheint  eine  größere  Verbreitung  zu  haben; 
ich  habe  ihn  an  einem  „Isaria"-Belag  an  den  Puppen  von  Panolis  piniperda, 
die  ich  vom  Zoologischen  Institut  der  Forstakademie  zu  Tharandt  erhielt, 
erkannt.  Diesen  erst  in  der  allerletzten  Zeit  in  Angriff  genommenen  Unter- 
suchungen will   ich  jedoch  durch  weitere  Mitteilungen    hier   nicht  vorgreifen. 

Gegenwärtig,  solange  es  an  einer  gründlichen  Beaibeitung  der  Isarien 
fehlt,  ist  es  aber  jedenfalls  vorteilhafter,  an  der  alten  Gattung  Isaria  festzuhalten; 
man  muß  sie  nur  als  eine  biologische  Sammelgattung  von  insektentötenden, 
zu  Coremienbildung  neigenden  Imperfekten  auffassen. 

Die  wichtigste  und  am  besten  bekannte  Art  ist  Isaria  farinosa  {Dicks.) 
Fries  (vgl.  Cordyceps  militaris,  S.  272),  welche  über  ganz  Europa,  auf  ver- 
schiedenen Raupen  und  Puppen,  besonders  von  Bonibyx  rttbi  und  B.  pini^ 
sowie  Conchylis  ambiguella  u.  a.  verbreitet  ist.  Sie  bildet  auf  den  Insekten- 
leichen weiße,  2 — 4  cm  hohe,  keulenförmige  Coremien  mit  deutlich  ab- 
gesetztem,   unverzweigtem,   glattem  Stiel  und  verdicktem,    einfachem,  seltener 

M  Dieselbe  ähnelt  der  Gattung  VerticiUium,  unterscheidet  sich  aber  von  dieser 
dadurch,  daß  die  Konidien  nicht  einzeln,  sondern  in  langen  perlschnurartigen  Ketten 
entstehen. 


Die  insektentötenden  Pilze.  283 

verzweigtem  Köpfchen,  dessen  Oberfläche  durch  Bildung  zahlreicher,  dicht- 
stehender Konidienträger  sehr  deutlich  mehlig  bestäubt  erscheint  (Fig.  209,  A). 
Die  einzelnen  Fruchthypen,  welche  sich  stets  nur  gabelig  verästeln,  tragen 
meist  nur  paarweise  opponierte  Zweige  (Fig.  209,  B  u.  C),  zeigen  also  nicht 
die  wirteiförmige  Anordnung  der  weit  abstehenden  Äste,  wie  sie  bei  der 
einfachen  Konidienform  von  Cordyceps  militaris  beschrieben  wurde  (vgl, 
S.  271,  sowie  Fig.  202,  E).  Die  Zw^eige  und  Äste  bestehen  aus  je  einer 
kurzen,  zylindrischen  Zelle,  welche  sich  von  zylindrischem  oder  flaschen- 
förmigem  Grunde  aus  in  ein  pfriemenartiges  Ende  zuspitzt,  auf  dem  kuglige, 
hyaline,  2  /t  im  Durchmesser  messende  Konidien  abgeschnürt  werden 
(Fig.  209,  B  u.   C). 

Die  Art  bildet  auch  mehrere  vom  Typus  abweichende  Formen,  und 
zwar  variiert  bei  diesen  die  Farbe  der  Coremien,  ihre  mehr  oder  minder 
rasige  Anhäufung,  die  Art  ihrer  Verzweigung,  die  Beschaffenheit  des  Stiels 
(ob  glatt  oder  behaart,  ob  konidientragend  oder  steril,  ob  an  der  Basis  weiß 
oder  gelblich)  u.  dgl.^) 

Die  aus  den  Sporen  entstehenden  Keimschläuche  dringen  nicht  durch 
die  Haut  in  das  Innere  der  Raupe  ein,  sondern  durch  die  Stigmata  in  die 
Tracheenhauptstämme  und  erst  nachdem  sie  die  Substanz  dieser  durchwuchert 
und  sie  ebenso  wie  das  anliegende  Gewebe  dunkelbraun  gefärbt  haben,  ge- 
langen sie  in  die  Leibeshöhle. 

Von  anderen  insektentötenden  europäischen  7s(7r/rt-Arten  seien  noch 
folgende  erwähnt: 

/.  strigosa  Fries,  mit  rasig  gehäuften,  pfriemlichen,  einfachen  oder  ver- 
zweigten, 4 — 10  mm  hohen  Coremien.  Der  Stiel  derselben  ist  ziemlich  glatt, 
das  Köpfchen  von  den  Konidien  bestäubt,  fast  strohgelb.  Konidien  (Fig  209,  D) 
an  einfachen  Trägern  von  ca.  4  ^  Dicke  entstehend,  eiförmig,  an  der  Basis 
spitz,  farblos,  in  Masse  strohgelb,  4  ,a  lang,  2  ^i  dick.  Sie  ist  auf  Puppen 
von  Agrotis  ypsilon  und  anderen  Schmetterlingen  aufgefunden  worden. 

/.  corallina  tries,  mit  reich  verzweigten,  büscheligen,  langen,  zarten, 
korallenroten,  an  der  Spitze  mehrere,  oft  hängende  Keulen  tragenden  Core- 
mien. Konidien  ellipsoidisch  bis  kuglig,  rötlich.  Auf  der  Puppe  von  Taenio- 
campa  incerta  Hiifn.  in  Deutschland  und  auf  Lepidopterenlarven  in  Ober- 
italien. 

/.  exoleta  Fries,  mit  geselligen,  verlängerten,  zerbrechlichen,  fädig  zu- 
sammengedrückten Coremien.  Dieselben  sind  kaum  in  Stiel  und  Köpfchen 
geschieden,  staubig,  hellbraun.     Auf  den  Raupen  von  Calocampa  exoleta. 

I.  floccosa  Fries,  mit  rasig  gehäuften,  pfriemlichen,  unverzweigten, 
weißen,  hj^dnumartigen,  2 — 4  mm  hohen,  auf  der  ganzen  Fläche  flockig-zottigen 
Coremien.     Auf  Raupen  und  Puppen  von  Bombyx  jacobeae. 

I.  cinnabarina  Preuss.,  mit  geselligen,  6 — 8  mm  hohen,  fleischroten 
Coremien.  Dieselben  sind  mehrfach  verzweigt,  dick,  flockig-staubig,  nicht  in 
Stiel  und  Köpfchen  geschieden.  Konidien  eiförmig,  rot.  Auf  Sphinx 
ligustri. 


^)  Diese  Abweichungen  werden  von  einigen  Autoren  als  Artenmerkmale  drei 
weiterer  Arten   (7.  truncata  Pers.,   I.  crassa  Pers.    und  I.  velutipes  Link.)   aufgefaßt. 


284  Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 

/.  leprosa  Fries,  mit  rasigen,  roten  Coremien.  Stiel  und  Köpfchen  ver- 
dickt, allseitig  flockig-staubig.  Köpfchen  verschieden  gestaltet.  Konidien 
zahlreich,    locker   anliegend,    kuglig.     Auf  den   Puppen  von    Orthosia   incerta. 

1.  sphecophila  Dittm.,  mit  geselligen,  fädigen,  starren,  hellbraunen,  un- 
verzweigten, 10 — 11  cm  langen  Coremien.  Dieselben  sind  an  der  Basis  glatt, 
an  der   Spitze   behaart.      Auf  Vespa  crabro  (vgl.  Cordyceps  Ditmari,    S.  272). 

/.  deutheratoriim  Nees.,  mit  fädigen,  kurz  verzweigten,  weißlichen,  über- 
all behaarten  Coremien.  Konidien  endständig,  länglich-eiförmig,  hyalin,  6  bis 
7  fx  lang,  3,5  /i  dick.  Auf  verschiedenen  Käferarten  (vgl.  Cordyceps  cinerea, 
S.   272). 

/.  lecaniicola  Jaap,  mit  geselligen,  z^iindrischen  oder  keuligen,  un- 
verzweigten, zuweilen  oben  breitgedrückten  und  zweiteiligen,  weißen,  später 
ockergelben  bis  bräunlichen,  2,5 — 4  mm  hohen  und  0,2 — 0,4  mm  dicken 
Coremien.  Konidienträger  unverzweigt.  Konidien  eiförmig,  ellipsoidisch  oder 
länglich-eiförmig,  stumpf  zugespitzt  oder  an  einem  Ende  abgerundet,  hyalin, 
oft  mit  2  kleinen,  undeudichen  Öltropfen,  5 — 8  /t  lang  und  2 — 3,5  /i  breit. 
Auf  Lecanium  persicae  (an  Zweigen  von  Corylus  avellana  in  Kärnten). 

Aegcrita  Fers,  und  Fusarium  Link. 
Schließlich  sei  noch  auf  die  Gattungen  Aegerita  Fers,  und  Fusarium 
Link,  kurz  hingewiesen.  Erstere  umfaßt  vornehmlich  Pilze,  welche  auf  Holz 
und  Baumrinden  leben.  Eine  Art,  A.  Wehheri  Fawc.  parasitiert  auf  Motten- 
schildläusen (A/eurodes-Arten)  in  Florida.  Zu  der  durch  die  charakteristischen, 
sichelförmigen,  septierten  Sporen  gekennzeichneten  Gattung  Fusarium  gehört 
ein  auf  Heuschrecken  (in  Algerien)  parasitierender  Pilz,  F.  acridiorum  (von 
Giard  zu  einer  besonderen  Gattung  Lachnidium  gestellt;  siehe  S.  280,  An- 
merkung). 

Im  vorstehenden  haben  wir  besonders  diejenigen  Pilzkrankheiten  kennen 
gelernt,  welche  in  Mitteleuropa  vorkommen.  Auch  von  den  außereuropäischen 
insektentötenden  Pilzen  sind  einige  praktisch  wichtige  Arten  besprochen 
worden,  und  zwar  diejenigen,  welche  Gattungen  angehören,  die  in  Europa 
keine  Vertreter  aufweisen.  Die  Kenntnis  dieser  letzteren  Gattungen  ist  nicht 
nur  deshalb  von  Bedeutung,  als  es  nicht  unmöglich  ist,  daß  sie  auch  in 
unserem  Gebiet  noch  aufgefunden  werden,  sondern  auch  deshalb,  weil  mit 
diesen  Pilzen  praktische  Bekämpfungsversuche  in  diesen  Ländern  ausgeführt 
wurden,  dessen  Kenntnisnahme  unser  Interesse  in  hohem  Maße  beansprucht. 

Auf  Grund  dieser  Übersicht  wird  jeder  mit  Hilfe  eines  Mikroskopes  in 
der  Lage  sein,  beim  Ausbruch  einer  Pilzkrankheit  an  Insekten  den  Urheber 
derselben  zu  bestimmen. 

B.  Wirtschaftliche  Bedeutung  der  insektentötenden  Pilze. 

Von  den  behandelten  Krankheiten  sind  nur  relativ  wenige  von  praktischer 
Bedeutung,  d.  h.  solche,  welche  epidemisch  auftreten  und  ein  massenhaftes  Ab- 
sterben von  Insekten  herbeiführen  können.  Im  folgenden  sei  ein  kurzer 
Hinweis  auf  diese  praktisch  wichtigen  Arten  gegeben,  und  zwar  besonders 
auf  diejenigen,  welche  Forstschädlinge  befallen. 


Die  insektentötenden  Pilze.  285 

Große  Epizootien  von  Insekten  sind  vielfach  durch  Pilze  aus  der  Gruppe 
der  Eufomophfhoraceen  verursacht  worden.  Es  ist  höchstwahrscheinlich,  daß 
sie  schon  in  älteren  Zeiten  die  Ursache  des  plötzlichen  gänzlichen  Verschwindens 
von  massenhaft  aufgetretenen  forstschädlichen  Insekten  gewesen  sind,  wie 
aus  einigen  älteren  Berichten  zu  schließen  ist.  Bestimmte  Angaben  sind  erst 
in  Berichten  der  zweiten  Hälfte  des  vorigen  Jahrhunderts  enthalten.  Bail 
[3,  S.  244]  berichtet  über  eine  in  der  Tuchler  Heide  im  Jahre  1867  unter  den 
Kiefernspinnerraupen  ausgebrochene  Epizootie.  Hier  wurden  die  Raupen, 
welche  bereits  ca.  5000  ha  kahl  gefressen  oder  doch  stark  geschädigt  hatten, 
fast  vollständig  durch  eine  Empusa-Art  vernichtet.  Ferner  teilt  Oberförster 
Schultz  mit,  daß  bei  einem  im  Sommer  1868  im  Forstrevier  Biezdrowo  der 
Königl.  Oberförsterei  Zirke  bei  Posen  ausgebrochenen  Kieferneulenfraße 
Ende  Juni  binnen  8  Tagen  ca.  70  °/o  der  Raupen  an  einer  £';M/)z/sa-Krankheit 
starben,  20  ^/^  noch  erkrankt  und  nur  10  "/o  gesund  erschienen  [4,  S.  138]. 
Um  welche  Empusa-Krt  es  sich  in  diesen  Fällen  handelt,  ist  aus  diesen  Be- 
richten nicht  ohne  weiteres  ersichtlich,  wahrscheinlich  aber  um  Empusa  aulicae. 
Hart  ig  [26,  S.  478]  bezeichnet  als  Ursache  der  von  ihm  beobachteten  Empusa- 
Erkrankungen  des  Kiefernspinners,  der  Kieferneule  und  des  Rotschwanzes 
ohne  weiteres  Empusa  miiscae.  Diese  Annahme  muß  jedoch  bezweifelt 
werden,  da  nach  den  Erfahrungen  Brefelds  [9,  S.  39]  diese  Art  nicht  im- 
stande ist,  Raupen  anzustecken.  Die  Darstellungen  Hartigs  sind  anderer- 
seits nicht  genau  genug,  um  eine  sichere  Identifizierung  der  fraglichen  Art 
zu  gestatten. 

Bei  den  späteren  Berichten  über  Entomophthoraceeninvasionen  finden 
wir  die  genaue  Bestimmung  der  Art,  und  zwar  wird  in  erster  Linie  Einpiisa 
aulicae  erwähnt.  Bei  dem  großen  Eulenfraß  in  Schlesien  im  Jahre  1884 
sollen  im  Ganzen  in  den  Saganer,  Sprottauer,  Mallmitzer,  Bunzlauer, 
Primkenauer,  Modlauer  Kiefernforsten  ca.  5000  Morgen  fast  kahl  gefressen 
worden  sein;  die  Invasion  fand  durch  den  Ausbruch  einer  durch  Emp. 
aulicae  verursachten  Erkrankung  ein  plötzliches  Ende  (vgl.  v.  Tubeuf 
[41,  S.  38 — 39]).  1)  Im  Jahre  1888  wurden  die  im  Hauptmoor  massenhaft  vor- 
handenen Eulenraupen  durch  ungünstige  Witterungsverhältnisse  stark 
dezimiert;  durch  das  Auftreten  von  Emp.  aulicae  wurden  alle  übrigen,  den 
schädlichen  Einflüssen  entgangenen  Raupen  nahezu  vollständig  vernichtet 
(v.  Tubeuf  1.  c).  In  demselben  Jahre  wurde  durch  denselben  Pilz  eine 
Eulenraupenepidemie  in  Miltenberg  plötzlich  beendet.  Im  Sommer  1892 
zeigte  sich  die  Krankheit  bei  Grafenwöhr  [41,  42],  im  Jahre  1895  bei  Land- 
stuhl in  der  Pfalz  [43]. 

Empusa  aulicae  hat  sich  als  ein  sehr  wirksamer  natürlicher  Feind  auch 
anderer  massenhaft  auftretender  forstschädlicher  Insekten  erwiesen.  So 
konnte  der  Pilz  einer  Invasion  des  Rotschwanzes  {Dasychira  pudipunda) 
im  Jahre  1894  in  den  oldenburgischen  Waldungen  bei  Fischbach  an  der 
Rhein-Nahe-Bahn  sehr  wirksam  entgegentreten  (v.  Tubeuf  [43,  S.  474]). 


')  Eine  aus  der  Primkenauer  Heide  stammende  kranke  Eulenraupe  war  auch 
nach  einer  Bestimmung  von  de  Bary  ebenfalls  von  Emp.  aulicae  befallen. 


286  Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 

Nach  Lindau  [28]  traten  im  Jahre  1897  die  Raupen  des  Goldafters 
{Porthesia  chrysorrhoeä)  massenhaft  auf  den  Eichen  des  Berliner  botanischen 
Gartens  auf  und  fraßen  sie  kahl;  plötzlich  brach  unter  den  Raupen  eine 
durch  Emp.  aulicae  verursachte  Mykose  aus,  und  vernichtete  sie  im  Zeitraum 
von  ungefähr  einer  Woche  fast  vollständig. 

Eine  weitere  nennenswerte  Mykose  trat  im  Jahre  1898  an  den  Raupen 
des  Wicklers  Grapholitha  tedella  auf;  das  Insekt  hatte  seit  einem  Jahre  die 
Fichtenwaldungen  der  meisten  sächsischen  Staatsforstreviere  heimgesucht. 
Die  Erkrankung  war  durch  Entomophthora  sphaerosperma  verursacht,  und  ihr 
war  wahrscheinlich,  wenigstens  teilw^eise,  das  Erlöschen  des  Fraßes  zu  ver- 
danken (Baer  [1]). 

Von  epidemisch  aufgetretenen  Entomophthoraceen  seien  ferner  Emp. 
grylli  auf  Heuschrecken  (in  Bernau  im  Jahre  1896  [nach  v.  Tubeuf,  43],  im 
Görzer  Karst  im  Jahre  1910  [nach  Gvozdenovic,  25]  u.  a.),  Entom.  aphidis 
auf  Blatdäusen  (auf  Zuckerrüben  und  Rübensamenfeldern  im  Jahre  1911  [nach 
Stornier  und  Kleine,  39])  als  nützlich  hervorgehoben. 

Tarichium  megashermiim  dürfte  unter  Umständen  ein  mächtiger  Bundes- 
genosse im  Kampfe  gegen  die  den  Nadelholzkulturen  so  schädlichen  Acker- 
eulenraupen werden  (Cohn  [11]). 

Von  den  Mucoraceen  ist  nur  die  auf  den  Heuschrecken  in  Südafrika 
auftretende  Mucor-Art  („Locust  fungus"),  welche  das  praktische  Interesse 
beansprucht.  Der  Pilz  soll  das  öfter  beobachtete  Massensterben  von  Heu- 
schrecken in  Südafrika  verursacht  haben.  Inwieweit  er  als  ein  echter  Parasit 
die  primäre  Ursache  des  Absterbens  ist,  kann  nicht  als  festgestellt  gelten; 
seine  praktische  Bedeutung  ist  jedenfalls  nach  den  neuen  Versuchen  mehrerer 
Autoren  fraglich. 

Von  den  Ascomyceten  kommt  für  die  Praxis  in  erster  Linie  Cordyceps 
militaris  in  Betracht.  Abgesehen  von  einer  brieflichen  Mitteilung  Tulasnes 
an  Oberförster  Middeldorpf  über  das  epidemische  Auftreten  des  Pilzes  an 
den  Raupen  des  Pinienprozessionsspinners  in  den  südfranzösischen  „Landes", 
haben  wir  genaue  Mitteilungen  über  epidemische  Ei  krankungen  durch 
C.  militaris  nur  beim  Kiefernspinner.  Beim  oder  unmittelbar  nach  dem 
Ausbruch  einer  Cordyceps-Mykose  wird  der  Pilz  selten  in  seiner  charakte- 
ristischen Perithecienform  angetroffen;  meist  haben  wir  es  hier  mit  den 
mumifizierten,  durch  das  Ausgestopftsein  mit  Mycelium  steifen  Raupen  zu 
tun,  oder  höchstens  mit  der  Konidienform  (Isaria)  des  Pilzes.  Die 
Perithecienform  tritt  dagegen  später  auf.  Bail  [2,  S.  16]  macht  ausführliche 
Mitteilungen  über  einen  an  Oberförster  v,  Chamisso,  Oberförsterei  Balster 
bei  Callies  im  Reg.-Bez.  Köslin,  im  Jahre  1869  beobachteten  Fall.  68  "/(,  der 
eingesandten  Raupen  waren  an  Cordyceps  bezw.  Isaria  verendet. 

In  der  neueren  Zeit  finden  wir  vielfach  in  der  Literatur  Angaben  über 
ein  mehr  oder  weniger  massenhaftes  Absterben  des  Kiefernspinners  (im 
Winterlager)  infolge  des  Befalles  mit  C.  militaris.  Eckstein  macht  in  den 
Jahren  1907  und  1908  [15]  auf  das  Auftreten  toter  Raupen  aufmerksam  und 
nennt   zahlreiche    Forstreviere,    in    welchen    die   Epizootie    beobachtet   wurde. 


Die  insektentötenden  Pilze.  287 

Ausführliche  Mitteilungen  machen  Escherich  und  Baer  [16];  aus  diesen  ist 
besonders  eine  von  Oberförster  Blüthgen  in  der  Muskauer  Heide  be- 
obachtete Epizootie  hervorzuheben.  Nach  diesen  Beobachtungen  ist  in  den 
Jahren  1898 — 1899  ein  zunächst  lokal  beschränkter  Kiefernspinnerfraß  durch 
Cordyceps  militaris  auf  seinen  Herd  beschränkt  und  schließlich  völlig  unter- 
drückt worden. 

Sehr  bemerkenswert  sind  die  Mitteilungen  von  Olsen-Sopp  [32]  über 
die  völlige  Unterdrückung  einer  in  den  Jahren  1906 — 1907  in  Mykland 
(Norwegen)  ausgebrochenen  großen  Kiefernspinnerepidemie  durch  Cord, 
norvegica.  Die  im  Winterlager  befindlichen  Raupen  waren  bis  zu  80  "/o  vom 
Pilz  befallen  und  mumifiziert.  Olsen-Sopp  hält  dort,  wo  der  Pilz  in  der 
Natur  vorhanden  ist,  ein  Überhandnehmen  des  Kiefernspinnerfraßes  —  zu 
mindesten,  wenn  keine  für  den  Pilz  besonders  ungünstige  Bedingungen 
herrschen  —  für  unmöglich. 

Von  praktischer  Bedeutung  scheint  ferner  Sphaerostilbe  coccophila  zu 
sein»  Mit  dem  Pilz  sind  mehrfach  Versuche  zur  Unterdrückung  von  Schild- 
lausepidemien gemacht  worden.  Rolfs  [35]  hat  z.  B.  den  Pilz  zur  Be- 
kämpfung der  San-Jose-Schildlaus  {Aspidioiits  perniciosus)  in  Florida  heran- 
gezogen; der  Pilz  wurde  auf  Brot  künstlich  gezogen,  mit  Wasser  gemengt 
und  auf  die  Bäume  gespritzt,  oder  Zweige,  welche  mit  durch  den  Pilz  ge- 
töteten Läusen  dicht  besetzt  waren,  an  Bäume  mit  gesunden  Läusen  gehängt. 
Die  Versuche  sollen  vom  Erfolg  begleitet  worden  sein.  Dem  Pilze  hat  man 
in  Florida  große  Aufmerksamkeit  auch  für  die  Bekämpfung  der  lästigen 
Mottenschildlaus,  Aleurodes  citri,  zugewendet,  doch  haben  die  Versuche  der 
künstlichen  Verbreitung  des  Pilzes  keine  durchschlagenden  Erfolge  zu  ver- 
zeichnen. Die  Versuche  sind  auch  mit  anderen  pilzlichen  Parasiten  dieser 
Schildlaus  gemacht  worden,  nämlich  mit  Ophioiiectria  coccicola  und  einigen, 
im  theoretischen  Teil  schon  erwähnten  imperfekten  Pilzen.  Berger  [7]  hält 
die  Bekämpfung  der  Mottenschildlaus  durch  diese  pflanzlichen  Parasiten  als 
das  wirksamste  und  am  wenigsten  kostspielige  Mittel;  die  Anwendung  von 
Insektiziden  soll  ungefähr  um  das  7  fache  teurer  sein. 

Zur  Bekämpfung  des  Zuckerrübenschädlings  Cleonits  pimctiventris  hat 
man  in  Rußland  vielfach  versucht,  den  auf  den  Larven  dieses  Insektes 
parasitierenden  und  für  dieselben  sehr  schädlichen  Pilz  Oospora  destriictor 
heranzuziehen.  Die  Versuche  im  freien  Felde  haben  jedoch  den  gehegten 
Hoffnungen  nicht  entsprochen. 

Dasselbe  gilt  für  Sporotrichum  globulijerum,  welcher  vornehmlich  Heu- 
schrecken, Cocciden  und  Haltica  ampelophaga  befällt. 

Von  den  Imperfekten  beanspruchen  unser  Interesse  am  meisten  Botrytis 
und  Isaria,  wegen  ihrer  großen  Verbreitung  und  Häufigkeit,  sowie  wegen 
ihres  epidemischen  Auftretens.  Bei  Besprechung  des  Cordyceps  tnilitaris  ist 
auch  Isaria  farinosa  mit  behandelt  worden.  Den  Isariapilzen  ist  in  Hinsicht 
der  praktischen  Bekämpfung  von  Insekten  vielfach  besondere  Aufmerksamkeit 
geschenkt  worden,  doch  haben  die  künstlichen  Infektionsversuche  im  großen 
meistens  versagt.  Nur  bei  der  Traubenwicklerbekämpfung  scheinen  damit 
befriedigende  Resultate  erzielt  worden  zu  sein.     (Schwangart.) 


288  Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 

Von  der  Gattung  Botrytis  beanspruchen,  wie  schon  an  anderer  Stelle 
hervorgehoben  wurde,  zwei  Arten  größeres  Interesse  für  die  forstliche  Praxis, 
nämlich  B.  Bassiana  und  B.  tenella. 

B.  Bassiana  als  Kampfmittel  gegen  schädliche  Insekten  zu  verwenden, 
ist  schon  vielfach  angestrebt  worden.  In  erster  Linie  sind  diejenigen  Ver- 
suche von  Interesse,  welche  zur  Bekämpfung  der  Nonne  gemacht  worden 
sind.  Nachdem  Harz  bereits  1891  den  Vorschlag  gemacht  hat,  die  Nonnen- 
raupen durch  künstliche  Infektion  mit  diesem  Pilz  zu  vertilgen,  führte  Tangl  [40] 
die  Versuche  aus,  indem  er  von  Reinkulturen  Emulsionen  in  sterilisiertem 
Wasser  herstellte  und  diese  in  verschiedener  Weise  auf  Versuchsraupen 
brachte.  Im  Laboratorium  gelangen  die  Versuche  vollkommen,  alle  infizierten 
Raupen  gingen  an  „Muscardine"  ein.  Infektionsversuche  im  Freien,  im  Königl. 
Württembergischen  Forstrevier  Weingarten,  bei  welchen  stark  mit  Nonnen- 
raupen besetzte  junge  Fichten  reichlich  mit  ßotrytis-Emulsion  begossen 
wurden,  fielen  dagegen  ergebnislos  aus;  die  Raupen  blieben  gesund.  Über 
ähnliche  Versuche  berichtet  in  neuer  Zeit  Bolle  [8]  aus  der  k.  k.  landw. 
Versuchsstation  in  Görz;  die  Versuche  im  kleinen  gelangen,  während  die  In- 
fektionen im  Freien  zu  keinem  positiven  Resultat  führten.  Bemerkenswert 
ist  eine  Mitteilung  von  Bengtsson  [6],  daß  im  südlichen  Norwegen  im 
Sommer  1900  die  Nonnenpuppen  zu  0,78  o/„  an  Botrytis  tenella  starben; 
diese  Pilzkrankheit  griff  spontan  sowohl  die  Raupen  wie  die  Puppen  an. 
Vaney  und  Conte  [46]  empfehlen  —  für  die  Gegenden,  wo  keine  Seiden- 
raupen gezüchtet  werden  —  die  Anwendung  von  B.  Bassiana  zur  Be- 
kämpfung der  Larven  des  Rebenschädlings  Haltica  ampelophaga.  Die  Larven 
werden  durch  das  Fressen  von  mit  Sporen  des  Pilzes  behafteten  Weinblättern 
angesteckt  und  gehen  an  Muscardine  zugrunde.  Ob  die  Anwendung  dieser 
Bekämpfungsart  im  Freien  von  gutem  Erfolg  begleitet  sein  würde,  muß 
dahingestellt  bleiben. 

Große  Hoffnungen  liat  man  seinerzeit  auf  die  Bekämpfung  der  Maikäfer 
durch  Botrytis  tenella  gesetzt.  Die  ersten  Mitteilungen  stammen  von  Le 
Moult  [30],  Prillieux  et  Delacroix  [33,  34]  und  Giard  [22,  23]  und  be- 
richten über  das  epidemische  Auftreten  der  Krankheit  und  die  Infektions- 
versuche, welche  im  Laboratorium  von  Erfolg  begleitet  worden  waren.  In 
Frankreich  sind  sogar,  zum  Zweck  einer  Bekämpfung  der  Engerlinge  im 
großen  durch  den  Pilz,  Reinkulturen  in  den  Handel  gebracht  worden 
(„Tubes  Le  Moult").  Die  Nachprüfungen,  welche  von  verschiedenen  Seiten 
angestellt  wurden,  haben  jedoch  gezeigt,  daß  der  Methode  eine  praktische 
Verwendbarkeit  im  großen  nicht  zukommt.  Von  diesen  Versuchen  sind  in 
erster  Linie  diejenigen  von  Frank  [19]  und  Dufour  [13]  zu  nennen.  Beide 
fanden  übereinstimmend,  daß  die  künstliche  Infektion  im  Laboratorium  wohl 
leicht  gelingt,  während  die  Hervorrufung  von  Epidemien  im  Freien  unmöglich 
ist.  Ein  spontanes  Auftreten  der  Krankheit  ist  in  Deutschland  wiederholt 
beobachtet  worden,  so  z.  B.  in  der  Königl.  preuß.  Oberförsterei  Cladow  in 
der  Neumark,  sowie  von  v.  Tubeuf  in  Füßen  in  Oberbayern  [44]. 

Die  angeführten  Erfahrungen  aus  der  Praxis  zeigen,  daß  trotz  der 
großen  Verbreitung  mannigfacher  Pilzkrankheiten  die  künstliche  Verwendung 


Literatur  über  Pilzkrankheiten  der  Insekten.  289 

derselben  im  großen  auf  Schwierigkeiten  stößt.  Es  ist  unzweifelhaft,  daß  manche 
dieser  Krankheiten,  vornehmlich  Empusa,  durch  spontanes  epidemisches  Auf- 
treten große  Insektenkalamitäten  schließlich  fast  vollständig  unterdrücken 
können  und  somit  bei  der  Wiederherstellung  des  Gleichgewichtes  im  Haushalt 
der  Natur  wesentlichen  Anteil  haben,  jedoch  ihre  Wirksamkeit  erst  nach  voll- 
endetem Kahlfraß  einsetzt,  wo  also  durch  die  ungeheure  Vermehrung  der 
Insekten  einerseits,  und  die  erfolgte  Erschöpfung  der  Nahrungsquellen 
andererseits,  die  Existenzbedingungen  des  einzelnen  Individuums  sich  immer 
mehr  ungünstig  gestalten.  Eine  ausgedehnte  Ansteckung  und  Erkrankung 
scheint  also  meistens  erst  nach  eingetretener  Schwächung  der  Insekten  möglich. 
Diese  Tatsachen  sind  auch  vielfach  benutzt  worden,  um  der  Möglichkeit  der 
Verwendung  von  Pilzkrankheiten  im  Kampfe  gegen  schädliche  Insekten  jede 
Zukunft  abzusprechen.  Damit  ist  jedoch  die  Sache  keinesfalls  abgetan,  denn 
einerseits  ist  es  in  manchen  Fällen  vielleicht  doch  möglich,  die  nötige  Prädis- 
position künstlich  zu  fördern.^)  und  andererseits  darf  die  Prädisposition  auch 
nicht  überschätzt  werden.  Es  ist  im  Gegenteil  angezeigt,  die  Versuche 
weiter  zu  verfolgen,  um  zu  sehen,  ob  nicht  durch  geeignete  Anstellung  auch 
ohne  ausgesprochene  Prädisposition  die  Ansteckung  möglich  ist.  —  Außer- 
dem können  wir  sehr  wohl  auf  die  Erhaltung  wirksamer  Infektionsherde 
Rücksicht  nehmen.  So  ist  z.  B.  von  verschiedenen  Seiten  hervorgehoben 
worden,  daß  die  Bodenstreu  im  Walde  die  mit  Pilzkrankheiten  behafteten 
Insekten  beherbergt  und  somit  den  besten  Infektionsherd  darstellt;  sie 
sollte  also  nicht  vernichtet  werden.  Ferner  wird  sich  vielleicht  das  Bereit- 
halten von  künstlichen  Pilzkulturen  als  empfehlenswert  erweisen;  bei 
vorübergehender,  selbst  schwacher  Prädisposition  infolge  ungünstiger 
Witterung  wird  dann  durch  künstliche  Infektion  die  Seuche  in  der  Weise 
an  Ausdehnung  gewinnen,  daß  ein  Wiedererholen  der  Tiere  nicht  mehr 
möglich  ist.  Die  Möglichkeit  des  Gelingens  hängt  natürlich  auch  von  der  Aus- 
dehnung des  Krankheitsgebietes  ab;  insofern  sind  die  Verhältnisse  im  forst- 
lichen Betriebe  am  ungünstigsten  gestaltet. 

Literatur  über  Pilzkrankheiten  der  Insekten. 

Für  die  systematische  Stellung  und  Abgrenzung  der  Familien  und  Gattungen: 
Engler-Prantl,  Die  natürlichen  Pflanzenfamilien,  1.  Teil,  Abt.  1  u.  1**,  1897, 
1900.  —  Für  die  Diagnosen-)  und  Fundorte  der  einzelnen  Arten:  Rabenhorst, 
Kryptogamenflora,  2.  Aufl.,  I.  Bd.:  Die  Pilze,  1884-1910,  und  Saccardo,  Syllogae 
Fungorum.  —  Eine  Zusammenstellung  von  Pilzkrankheiten  von  Tieren  nach  den 
Wirten  geordnet  bei:  Zopf,  W.,  Die  Pilze,  im  Handbuch  der  Botanik  von 
A.  Schenk,  Bd.  IV,  1890,  S.  497—534. 

Von  den  zahlreichen  Arbeiten,  welche  einzelne  Fragen  behandeln,  seien  hier 
nur  folgende  genannt,  auf  welche  im  Text  Bezug  genommen  wurde:  1.  ßaer,  W., 


^)  Eine  künstliche  Schaffung  der  Prädisposition  liegt  vielleicht  bei  der 
„Anhäufelungsmethode"  Schwangarts  bei  den  Puppen  der  Traubenwickler 
{Conchylis)  vor. 

'-)  Die  Diagnosen  von  vielen  Arten  sind  aus  den  hier  angeführten  Werken 
z.  T.  wörtlich  entnommen. 

Escherich,  Forstinsekten.  19 


290  Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränknng  der  Insekten  Vermehrung. 

Beobachtungen  über  Lyda  hypotrophica  Htg.,  Nematus  abietinus  Chr.  und  Grapho- 
litha  tedella  CL,  Thar.  forstl.  Jahrb.  LIII,  1903,  S.  171—208,  Taf.  I— IV.  —  2.  Bail, 
Über  Pilzepizootien  der  forstverheerenden  Raupen.  Danzig  1869,  26  S.,  1  Taf.  — 
3.  Derselbe,  Pilzepidemie  an  der  Forleule,  Noctiia  piniperda  L.  Danckelm.  Ztschr. 
f.  Forst-  u.  Jagdw.,  Bd.  I,  1869,  S.  243—247.  —  4.  Derselbe,  Weitere  Mitteilungen 
über  den  Fraß  und  das  Absterben  der  Forleule,  Nocttia  piniperda.     Ebenda,   Bd.  II, 

1870,  S.  135—144.  —  5.  de  Barv,  A.,  Zur  Kenntnis  insektentötender  Pilze.  Botan. 
Ztg.  a)  Bd.  25,  1867,  S.  1-7,  9-13,  17—21,  Taf.  I,  und  b)  Bd.  27,  1869,  S.  585-593, 
602—606.  —  6.  Bengtsson,  S.,  Biologiska  undersökninger  öiwev  nunmn  (Lymantria 
monacha  L.)  dess  parasitiser  och  sjudomar.  Upps.  i.  prakt.  Entomol.  12,  Stock- 
holm 1902,  p.  65—136,  2  Taf.  —  7.  Berger,  E.  W.,  Whitefly  control.  Florida  Exp. 
Stat.  Bull.  103,  1910,  28  S.,  2  Fig.  —  8.  Bolle,  J.,  Tätigkeitsbericht  der  k.  k.  landw. 
Versuchsstation  in  Görz  usw.  Ztschr.  f.  d.  land.  Versuchsw.  in  Österr.  XI,  1908, 
p.  279.  —  9.  Brefeld,  O.,  Untersuchungen  über  die  Entwicklung  der  Empusa 
muscae  und   Empusa   radicans   usw.     Abhdlg.    d.   Naturf.    Gesell,    zu   Halle,   Bd.    II, 

1871,  S.  1—50,  Taf.  I — IV.  —  10.  Derselbe,  Botanische  Untersuchungen  über 
Schimmelpilze.  IV.  Heft,  Leipzig  1881,  S.  97—111,  Taf.  VII.  —  10a.  Buchner,  P., 
Neue  Erfahrungen  über  intrazellulare  Symbionten  bei  Insekten.  Nat.  Wochenschr. 
N.  F.,  Bd.  XII,  1903,  p.  401  ff.  —  11.  Cohn,  F.,  Über  eine  neue  Pilzkrankheit  der 
Erdraupen.  Beitr.  z.  Biol.  d.  Pfl.  1870,  S.  58—86,  Taf.  IV,  V.  -  12.  Danysz,  J.,  et 
Wize,  K. ,  Les  Entomophytes  ehr.  Charancon  des  betteraves  ä  sucre  (C/^o«M5 />««<:/«- 
ventris).  Ann.  Inst.  Pasteur.  XVII,  1903,  p.  421  — 446.  —  13.  Dufour,  J.,  Einige  Ver- 
suche mit  Botrytis  tenella  zur  Bekämpfung  der  Maikäferlarven.  Ztschr.  f.  Pflanzenkr. 
II,  1892,  S.  2 — 9.  —  14.  Derselbe,  Über  die  mit  Botrytis  tenella  zur  Bekämpfung  der 
Maikäferlarven  erzielten  Resultate.  Forstl. -Naturw.  Ztschr.  1894,  S.  249—255.  — 
15.  Eckstein,  Deutsche  Forstztg.  XXII,  1907,  S.  1003  und  XXIII,  1908,  S.  80.  - 
15a.  Escherich,  K.,  Über  das  regelmäßige  Vorkommen  von  Sproßpilzen  in  dem 
Darmepithel  eines  Käfers.  Biol.  Zentr.-Bl.  Bd.  XX,  S.  350—358.  —  16.  Escherich 
u.  Baer,  Tharandter  zoolog.  Miscellen,  3.  Reihe.     Naturw.  Ztschr.  f.  Forst-  u.  Landw. 

1910,  VIII,  S.  159.  —  17.  Fawcett,  H.  S.,  Fungi  parasitic  npon  Aleurodes  citri  Bull. 
Univ.  St.  Augustine.  Florida  1908,  41  p.,  8  Taf.  —  18.  Derselbe,  An  important  entomo- 
genous  fungus.  Mycologia  II,  1910,  S.  164—168,  Taf.  28—29.  —  19.  Frank,  A.,  Über  das 
neuerdings  vorgeschlagene  Mittel,  die  Maikäferlarven  mit  Botrytis  tenella  zu  vertilgen. 
Ztschr.  f.  Forst-  u.  Jagdw.  XXV,  1893,  S.  223-226.  —  20.  Fron,  G.,  Note  sur  quelques 
Mucedinees   observees   sur  Conchylis  ambiguella.     Bull.   Soc.  Mycol.  France,   T.  27, 

1911,  p.  482—487,  pl.  XIX.  —  21.  Derselbe,  Sur  une  Mucedinee  de  la  Conchylis. 
Ebenda,  T.  28,  1912,  p.  151—154.  —  22.  Giard,  A.,  L'Isaria  parasite  de  la  larve  du 
hanneton.  Compt.  Rend.  Ac.  Sc.  CXII,  1891,  p.  1270—1273.  —  23.  Derselbe,  Sur 
l' Isaria  densa,  parasite  du  Ver  blanc.  Ebenda,  CXIII,  1891,  p.  269—271.  —  24.  Der- 
selbe, Sur  le  Champignon  parasite  des  criquets  pelerins  (Lachnidium  acridiorum 
Gd.).  Ebenda,  CXIII,  1891,  p.  813-816.  -  25.  Gvozdenovic,  Fr.,  Beobachtungen 
über  den  Stand  der  Heuschreckeninvasion  am  Görzer  Karst  im  Jahre  1910.  Ztschr. 
f.  d.  Landw.  Versuchsw.  in  Österr.  XIII,  1910,  S.  957.  —  26.  H artig,  R.,  Mit- 
teilungen über  Pilzkrankheiten  der  Insekten  im  Jahre  1868.  Ztschr.  f.  Forst-  u. 
Jagdw.,  Bd.  I,  1869,  S.  476—500,  1  Taf.  —  27.  Krassilistschik,  J.  M.,  Insekten- 
krankheiten durch  Pilze  verursacht.  Mem.  neuruss.  Naturf.  Ges.  XI,  Odessa  1886, 
S.  74-171  (russisch),  Ref.  in  Justs  Bot.  Jahresbericht,  XVI,  1888,  1.  Teil,  S.  309 
bis  310.  —  28.  Lindau,  G.,  Über  eine  im  Berliner  botanischen  Garten  beobachtete 
Raupenkrankheit.  Verhandg.  Brand.,  Bd.  39,  1897,  S.  XLVIl.  -  29.  Lind n er,  P., 
Das  Vorkommen  der  parasitischen  Apiculatus-Hefe  in  auf  Efeu  schmarotzenden 
Schildläusen  und  dessen  mutmaßliche  Bedeutung  für  die  Vertilgung  der  Nonnen- 
raupe. Wochenschr.  f.  Brauerei  XXIV,  Nr.  3.  —  30.  le  Moult,  Le  parasite  du  hanneton. 
Compt.  Rend.  Ac.  Sc.  CXI,  1890,  p.  653—655,  CXII,  1891,  p.  272  ff.  und  1081  —  1083. 
—  31.  Derselbe,  Sur  la  destruction  de  certains  Hemipteres  par  les  parasites  vegetaux. 
Ebenda,  CLV,  1912,  p.  656—657.  —  32.  Olsen-Sopp,  LTntersuchungen  über  in- 
sektenvertilgende   Pilze    bei    den    letzten    Kiefernspinnerepidemien    in    Norwegen. 


Literatur  über  Pilzkrankheiten  der  Insekten.  —  Pathogene  Mikroorganismen.     291 

Videnskap.  Skrifter.,  I.  Mat.-naturw.  Kl.  1911,  Nr.  2,  Kristiania  1911,  p.  1—56,  Taf.  I 
bis  V.  —  33.  Prillieux  et  Delacroix,  Le  Champignon  parasite  de  la  larve  du 
hanneton.  Compt.  Rend.  Ac.  Sc,  CXII,  1891,  p.  1079—1081.  —  34.  Dieselben,  Sur 
la  muscardine  du  ver  blanc.  Ebenda,  CXIII,  1891,  S.  158-160.  —  35.  Rolfs,  P.  H., 
A  fungous  disease  of  the  San  Jose  Scale.  Florida.  Agric.  Exp.  Stat.,  Bull.  41, 
p.  515—543,  2  Taf.  —  36.  Ruby  et  Raybaud,  L' Apiosporium  olex,  parasite  de  la 
Cochenille  de  l'Olivier.  Compt.  Rend.,  Soc.  Biol.,  ßd.  71,  1911,  p.  214—216.  — 
37.  Sauvageau,  C,  et  Perrand,  J.,  Sur  une  Champignon  parasite  de  la  Conchylis. 
Compt.  Rend.,  Ac.  Sc,  CXVII,  p.  189—191.  -  38.  Schwangart,  Über  die  Trauben- 
wickler (Conchylis  ambignella  Hübn.  und  Polychrosis  botrana  Schiff'.)  und  ihre  Be- 
kämpfung, mit  Berücksichtigung  natürlicher  Bekämpfungsfaktoren.  Hertwigs  Fest- 
schrift, Bd.  II,  Jena  1910  -  39.  Störmer  u.  Kleine,  in  III.  landw.  Ztg.,  XXXI, 
1911,  S.  558.  —  40.  Tan  gl.  Fr.,  Bakteriologischer  Beitrag  zur  Nonnenraupenfrage. 
Forstw.  Zentrlbl.  1892,  S.  209 — 230.  —  41.  v.  Tubeuf,  Empusa  aulicae  Reich,  und 
die  durch  diesen  Pilz  verursachte  Krankheit  der  Kieferneulenraupe.  Forstl.-naturw. 
Ztschr.  II,  1893,  S.  31.  —  42.  Derselbe,  Die  Eulenraupe  in  den  Staatswaldungen  bei 
Grafenwöhr  in  Bayern.  Ebenda,  S.  126—127.  —  43.  Derselbe,  Beendigung  von 
Raupenepidemien  durch  Empusa.  Ebenda  1897,  S.  474.  —  44.  Derselbe,  Be- 
kämpfungsversuche der  Maikäfer.  NatunA^  Ztschr.  f.  Forst-  u.  Landw.,  1908,  S.  73 
bis  75.  —  45.  Tulasne,  L.  R.  etC,  Selecta  fungorum  carpologia.  Paris  1861 — 1865, 
3  Bde.,  mit  Taf.  —  46.  Vaney,  C.  et  Conte,  A.,  Utilisation  des  Champignons  ento- 
mophages  pour  la  destruction  des  larves  d'Altises.  Compt.  Rend.,  Ac.  Sc.  CXXXVIII, 
1904,  p.  159  —  161.  —  47.  Vuillemin,  P.,  Les  Conidiospores.  Bull.  Soc.  Sc.  Nancy 
1910,  See.  3.  t.,  XI,  p.  129—172.  —  48.  Derselbe,  Les  Isaria  de  la  Familie  des  Verü- 
cilliacees  {Spicaria  et  Gibellulla).    Bull.  Soc,   Myc,   France  XXVII,    1911,  p.  75—82. 


4.  Pathogene  Mikroorganismen. 

(Spaltpilze  und  Protozoen.) 

Es  gibt  eine  ganze  Reihe  von  epidemisch  auftretenden  Krankheiten 
unter  den  Insekten,  die  durch  Mikroorganismen  verursacht  werden,  und 
durch  welche  oft  große  Mengen  von  Insekten  dahingerafft  werden.  Leider 
sind  heute  unsere  Kenntnisse  darüber  noch  sehr  lückenhaft  und  beschränken 
sich  in  der  Hauptsache  auf  die  auffallenderen  Krankheiten  einiger  ökonomisch 
besonders  wichtiger  Insekten.  Am  eingehendsten  sind  bis  jetzt  die  Krank- 
heiten der  Seidenraupe  und  der  Biene  studiert,  durch  die  ein  sehr  empfind- 
licher Schaden  verursacht  wird.  Hat  doch  die  französische  Seidenkultur 
lediglich  durch  die  Pebrinekrankheit  vom  Jahre  1845  (in  dem  sie  zum  ersten- 
mal aufgetreten)  bis  zum  Jahre  1867  einen  Verlust  von  mehr  als  1  Milliarde 
Francs  erlitten.  Nebst  den  Seuchen  der  beiden  Hausinsekten  haben  auch  die 
Krankheiten  einiger  unserer  Waldschädlinge  (vor  allem  der  Nonne)  die  Auf- 
merksamkeit der  Praxis  wie  der  Wissenschaft  erregt  und  mehrfache  Be- 
arbeitung gefunden.  Der  Endzweck  der  Studien  ist  natürlich  im  letzteren 
Fall  ein  anderer  als  in  den  beiden  ersteren,  indem  man  dort  nach  Mitteln 
sucht,  die  Krankheit  zu  bekämpfen,  hier  dagegen,  sie  möglichst  zu  ver- 
breiten. 

Im  folgenden  sollen  die  wichtigsten  epidemischen  Insektenkrankheiten 
kurz  geschildert  werden.  Wenn  ich  dabei  nach  der  Art  der  Erreger  resp. 
nach  besonders  hervorstechenden  Symptomen  einige  Kategorien  aufstelle,  so 

19* 


292  Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 

können  diese  vorläufig  nur  provisorischen  Charakter  haben,  da  die  Ätiologie 
von  manchen  Krankheiten  noch  nicht  völlig  klargestellt  ist.  Wir  wollen  hier 
sprechen  a)  von  den  Bakterienkrankheiten,  b)  von  den  A'os^ma-Seuchen 
und  c)  von  den  Polyederkrankheiten. 

a)  Bakterienkrankheiten. 

Hierher  gehören  die  Faulbrut  der  Bienenlarven,  ferner  die  Schlaff- 
sucht (oder  Flacherie)  und  vielleicht  auch  die  Schwindsucht  der  Seiden- 
raupe und  endlich  die  Heuschreckenpest. 

Die  „Faulbrut"  ist  die  gefürchtetste  Brutseuche,  welche  der  Imkerei 
enorme  Verluste  zufügt  (in  Amerika  wird  der  Schaden  auf  8  Millionen  Mark 
jährlich  geschätzt),  und  welche  in  der  letzten  Zeit  eine  von  Jahr  zu  Jahr 
steigende  Verbreitung  erfahren  hat.  Die  Faulbrut  tritt  in  zwei  verschiedenen 
Formen  auf,  die  als  „amerikanische  Faulbrut"  oder  „Brutpest"  und  als 
„europäische  Faulbrut"  oder  kurzweg  „Faulbrut"  unterschieden  werden. 
Die  beiden  Formen  zeigen  in  ihren  Symptomen  viel  Ähnlichkeit,  insofern 
als  die  davon  befallenen  Larven  nach  kürzerer  oder  längerer  Zeit  ihre  äußere 
Form  verlieren  und  sich  zu  unförmigen  gelblichen  bis  bräunlichen  Massen 
auflösen.  Andererseits  fehlt  es  auch  nicht  an  guten  differentialdiagnostischen 
Merkmalen,  die  eine  einigermaßen  sichere  mikroskopische  Unterscheidung 
ermöglichen:  so  sind  die  zerflossenen  Larvenmassen  bei  der  Biutpest  brei- 
artig bis  schleimig  und  verbreiten  einen  ekelhaften,  an  alten  Käse  oder  Fuß- 
schweiß erinnernden  Geruch,  während  sie  bei  der  Faulbrut  mehr  gummiartig 
sind  und  einen  wenig  auffallenden  Geruch  besitzen.  Als  Erreger  der 
Brutpest  ist  der  von  dem  amerikanischen  Bakteriologen  White  entdeckte 
Bacillus  larvae  anzusehen.  Bezüglich  der  europäischen  Faulbrut  sind  die 
Meinungen  noch  nicht  völlig  einig;  während  man  auf  der  einen  Seite  den 
von  Chesire  und  Cheyne  entdeckten  Bacillus  alvei  (allerdings  im  Verein 
mit  Streptococcus  apis)  für  die  Ursache  dieser  Seuche  hält,  wird  dies  von 
White  stark  bezweifelt.  Es  ist  ihm  jedenfalls  niemals  gelungen  mit  Rein- 
kulturen dieses  Bazillus  die  Krankheit  zu  erzeugen,  außerdem  konnte  er 
denselben  in  einer  Anzahl  typisch  faulbrutkranken  Larven  überhaupt  nicht 
feststellen.  Dagegen  fand  White  einen  anderen  Bazillus,  Bacillus  pluton, 
der  in  faulbrutkranken  Larven  niemals  fehlte  und  mit  dessen  Reinkulturen 
auch  positive  Infektionsversuche  ausgeführt  werden  konnten,  so  daß  aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  in  ihm  der  eigendiche  Erreger  der  europäischen 
Faulbrut  zu  erblicken  ist.  —  Die  beiden  Formen  der  Faulbrut  sind  sehr  an- 
steckend und  können  sowohl  durch  alte  Gerätschaften,  als  auch  durch  Futter- 
honig, als  sogar  auch  durch  nackte  Völker  und  Königinnen  (die  mitunter  in 
ihrem  Darmkanal  zahlreiche  Krankheitskeime  beherbergen)  verbreitet  werden. 
Es  ist  daher  größte  Vorsicht  mit  fremden  Imkern  und  peinlichste  Reinlichkeit 
im  eigenen  Betriebe  dringend  geboten,  wenn  dem  weiteren  Fortschreiten  der 
verheerenden  Krankheit  Einhalt  geboten  werden  soll  (Zander). 

Die  „Schlaffsucht"  (Flacherie,  italienisch:  Flaccidezza)  gilt  heute, 
nachdem  die  Pebrine  (siehe  unten)  ihre  Schrecken  verloren,  als  die  verderb- 


Pathogene  Mikroorganismen.  293 

lichste  Krankheit  der  Seidenraupe,  welche  dem  Seidenzüchter  den  meisten 
Schaden  anrichtet.  Sie  tritt  in  der  Regel  unmittelbar  vor  der  Spinnreife 
plötzlich  und  verheerend  auf.  Die  Symptome  der  Schlaffsucht  schildert 
Bolle  folgendermaßen:  Wenn  sich  die  Häutungen  zu  sehr  in  die  Länge 
ziehen,  wenn  unter  den  frisch  gehäuteten  und  umgebetteten  Raupen  kleinere 
angetroffen  werden,  welche  ungern  fressen  und  die  Häutung  noch  nicht  be- 
gonnen haben,  und  wenn  schließlich  besonders  nach  der  vollzogenen  dritten 
oder  vierten  Häutung  auf  dem  alten  Bette  schlaffe  oder  bereits  tote  Raupen 
gefunden  werden,  da  kann  der  Seidenzüchter  von  seiner  Aufzucht  nur  das 
schlimmste  erwarten.  Es  geschieht  dann,  und  zwar  vor  der  Einspinnung, 
daß  die  scheinbar  noch  gesunden  Raupen,  deren  After  allerdings  von  einer 
braunen  Materie  beschmutzt  ist,  vorerst  das  Futter  verschmähen,  über  die 
Betten  umherirren,  um  sich  zu  den  Hürdenrändern  zu  begeben,  wo  sie  mit 
dem  Kopf  nach  außen  gerichtet,  unbeweglich  bleiben.  Dabei  wird  der 
Körper  immer  länger  und  schmäler  und  derart  weich  und  schlaff,  daß,  wenn 
man  eine  kranke  Raupe  mit  den  Fingern  ergreift,  dieselbe  wie  ein  leerer 
Sack  herabhängt.  Wenige  Stunden  darauf  ist  die  Raupe  schon  tot,  der 
mitdere  Teil  des  Körpers  bräunt  sich  allmählich  und  binnen  12  Stunden 
wird  der  ganze  Körper  schwarz,  die  inneren  Organe  verwandeln  sich  in 
eine  schwarzbraune  stinkende  Jauche,  die  bei  der  geringsten  Verletzuug  der 
Haut  ausrinnt.  Beim  Betreten  des  Zuchtlokales,  in  welchem  die  Schlaff- 
sucht ausgebrochen  ist,  spürt  man  sofort  einen  eigentümlichen  ungemein 
widerlichen  Geruch.  —  Als  Erreger  der  Schlaffsucht  wird  von  Bocchia 
ein  Bazillus  angesprochen,  der  in  gewissen  Charakteren  dem  oben  (bei  der 
Faulbrut)  genanten  Bac.  alvei,  ferner  auch  dem  Bac.  mesentericus,  sttbtilis 
usw.  ähnelt,  ohne  aber  mit  einem  derselben  identifiziert  werden  zu  können. 
Es  ist  Bocchia  gelungen,  mit  Reinkulturen  dieses  Bazillus  die  Schlaffsucht 
experimentell  zu  erzeugen. 

Die  Schlaffsucht  ist  außerordentlich  ansteckend,  so  daß  gewöhnlich  die 
ganze  Aufzucht  dahingerafft  wird  und  der  unglückliche  Seidenzüchter  ge- 
zwungen ist,  seine  Raupen  gerade  in  dem  Augenblick,  in  dem  sich  dieselben 
hätten  einspinnen  sollen,  w^egzuwerfen.  —  Es  wird  angenommen,  daß  diese 
Krankheit  vorzugsweise  in  Jahrgängen  mit  ungünstigen  Witterungsverhält- 
nissen auftritt.  Doch  ist  zweifellos  die  Schlaffsucht  unter  solchen  Aufzuchten 
besonders  häufig,  denen  man  nicht  die  nötige  Sorgfalt  angedeihen  läßt.  Ob 
die  Schlaffsucht  erblich  ist,  ist  bis  jetzt  wissenschafdich  noch  nicht  fest- 
gestellt. 

Der  Name  Schlaff  sucht  oder  Flacherie  wurde  bisher  kritiklos  auf  ziem- 
lich alle  seuchenartig  auftretenden  Raupenkrankheiten  angewandt;  so  wird  z.  B. 
die  Wipfelkrankheit  der  Nonne  oder  die  „Wilt"  des  Schwammspinners  häufig  noch 
als  Flacherie  bezeichnet.  Nachdem  uns  aber  durch  die  neueren  Forschungen 
einige  sichere  differentialdiagnostische  Merkmale  an  die  Hand  gegeben  sind  (z.  B. 
Auftreten  von  „Polyedern"  bei  der  Wipfelkrankheit,  Fehlen  von  solchen  bei  der 
Flacherie),  so  ist  der  Name  Schlaffsucht  oder  Flacherie  nur  auf  solche 
Krankheiten  zu  beschränken,  die  ätiologisch  und  symptomatisch  mit 
der   Seidenraupenflacherie    übereinstimmen. i)     Da    bis    jetzt    nur    in    den 

^)  Vgl.  darüber  auch  Wahl,  Bruno,  Über  die  Polyederkrankheit  der 
Nonne  I.     Zentralbl.  f.  d.  ges.  Forstwesen  1910. 


294  Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 

wenigsten  Fällen  darauf  geachtet  ist,  so  können  wir  den  Angaben  über  das  Vor- 
kommen der  Flacherie  bei  den  verschiedenen  Raupenarten  nur  bedingten  Wert 
beilegen.  Immerhin  erscheint  es  nach  den  vorliegenden  Angaben  doch  recht 
wahrscheinlich,  daß  die  echte  Schlaffsucht  eine  weitere  Verbreitung  unter  den 
Insekten  hat. 

Die  „Schwindsucht"  stelle  ich  nur  mit  einem  gewissen  Vorbehalt  zu 
den  Bakterienkrankheiten,  da  der  Nachweis,  daß  Spaltpilze  die  Ursache  der 
Krankheit  sind,  noch  nicht  sicher  erbracht  ist.  Wenn  ich  sie  trotzdem  hier 
im  Anschluß  an  die  Schlaffsucht  bespreche,  so  geschieht  dies  deshalb,  weil 
von  manchen  Seiten  die  Schwindsucht  mit  der  Schlaffsucht  in  gewisse  Be- 
ziehungen gebracht  wird.  Die  Symptome  der  Schwindsucht  sind  allerdings 
gänzlich  verschieden  von  denen  der  Schlaffsucht,  wie  aus  der  folgenden  Be- 
schreibung B  olles  hervorgeht:  „Schwindsüchtige  Raupen"  sind  nur  während 
der  Häutungen  und  nach  denselben,  nicht  aber  zur  Zeit  der  Spinnreife  zu 
beobachten.  In  einer  von  der  Schwindsucht  befallenen  Aufzucht  bemerkt 
man,  daß  die  Raupen  nach  der  dritten  oder  vierten  Häutung  nur  unregel- 
mäßig und  langsam  erwachen,  während  sie  sonst  normal  aussehen.  All- 
mählich verlieren  sie  die  Freßlust  und  irren  unruhig  in  den  Käfigen  umher; 
dabei  wird  ihre  Haut  durchsichtig,  ohne  jedoch  weiß  oder  blässer  zu  werden. 
Bald  darauf  fließt  aus  dem  Mund  und  After  der  Raupen  eine  klare  Flüssig- 
keit heraus,  welche  sich  an  der  Luft  schwärzt.  In  diesem  Zustande  ver- 
bleiben die  Raupen  mehrere  Tage,  ohne  dabei  an  Körpergröße  zuzunehmen; 
ja  sie  werden  immer  kleiner  und  sterben  endlich  ab.  Der  Tod  tritt  also 
nicht  so  plötzlich,  wie  bei  der  Schlaffsucht  ein;  auch  zersetzt  sich  die 
Raupe  nach  dem  Tode  nicht,  sondern  trocknet  vollständig  aus  und 
erhält  eine  erdbraune  Farbe.  Die  Schwindsucht  ist  keine  so  gefährliche 
Krankheit  wie  die  Schlaffsucht,  wenn  sie  auch  gelegentlich  ganze  Aufzuchten 
zugrunde  richten  kann. 

Die  Ursache  der  Krankheit  ist  noch  nicht  sicher  festgestellt;  es  scheint 
indeß,  daß  ein  Micrococcus  dabei  im  Spiele  ist.  Der  Schwindsucht  folgt 
in  den  Züchtereien  sehr  häufig  die  Schlaffsucht,  so  daß  manche  Autoren, 
wie  schon  gesagt,  der  Ansicht  zuneigen,  daß  unter  diesen  beiden  Krankheiten 
eine  gewisse  Beziehung  besteht.  Ja  einige  behaupten  sogar,  daß  die  erstere 
nur  eine  besondere  mildere  Form  der  zweiten  sei.  — 

Die  „Heuschreckenpest"  wurde  erst  vor  wenigen  Jahren  entdeckt, 
und  zwar  unter  den  Wanderheuschrecken  Mexikos.  Sie  äußert  sich  in  einem 
rapiden  Massensterben  der  Heuschrecken.  Als  Ursache  dieser  Krankheit 
wurde  von  F.  d' Her  eile  ein  kurzer  Bazillus,  Coccobacillus  acrtdioriim,  fest- 
gestellt, der  sich  stets  im  Darmkanal  der  erkrankten  Tiere,  beinahe  in  Rein- 
kultur sich  vorfand.  D'Herelle  züchtete  den  Bazillus  in  Bouillion,  in  der  er 
sehr  gut  gedieh,  und  machte  damit  Infektionen,  die  stets  von  Erfolg  begleitet 
waren;  d.  h.  alle  infizierten  Heuschrecken  starben  innerhalb  1 — 23  Stunden 
an  den  typischen  Erscheinungen  der  Heuschreckenpest.  —  Der  Bazillus  ver- 
liert allerdings  rasch  seine  Virulenz:  die  erste  Kultur  tötet  per  os  in  8  bis 
24  Stunden,  die  2.  in  12—36,  die  3.  in  36—39,  die  4.  Kultur  läßt  bereits  die 
Mehrzahl    der   infizierten   Tiere    überlebend,    und    die    10.   hat    überhaupt  gar 


Pathogene  Mikroorganismen.  295 

keine  Wirkung  mehr.  Wenn  die  leichter  befallenen  Tiere  die  Krankheit 
überstanden  haben,  so  erlangen  sie  eine  Immunität  gegen  den  Coccobazillus. 
In  welcher  Weise  die  Heuschreckenpest  event.  zur  Bekämpfung  verwendet 
werden  kann,  darüber  wird  im  nächsten  Kapitel  noch  einiges  erwähnt 
werden. 

Ein  ganz  ähnlicher  Coccobazillus  wurde  neuerdings  von  F.  Picard  und 
G.  R.  Blanc  als  der  Erreger  einer  schweren  Seuche  unter  den  Bären  raupen 
{Arctia  cajd)  festgestellt.  Die  befallenen  Raupen  werden  vor  ihrem  Tode  schlaff 
und  erregen  einen  ekelhaften  Geruch;  ihr  Darm  ist  von  einer  klaren  Flüssigkeit, 
die  oft  vollständig  frei  von  Bakterien  ist,  erfüllt.  Dagegen  enthält  das  Blut  beinahe 
Reinkulturen  des  betr.  Coccobazillus.  Es  gelang,  mit  Bouillionkulturen  des  letzteren 
durch  Infektion  gesunder  Raupen  die  geschilderten  Symptome  hervorzurufen.  Die 
infizierten  Raupen  starben  regelmäßig  in  3  Tagen  bei  15"  C, 
bei  höheren  Temperaturen  erfolgte  der  Tod  schon  nach  12  bis 
25  Stunden.     Infektionsversuche  mit  anderen  Insekten  ergaben  |^ 

teils   positive   Resultate    (z.   B.   bei  Liparis   chysorrhoea),    teils  ^^^ 

negative  (bei  verschiedenen  Käfern  und  Wanzen  usw.). 


b)  Nosema-Krankheiten  (Pebrine). 

Die   NoseniaSenchen    werden   durch   I^osema-Arien 
verursacht,    d.   s.    Protozoen,    die   zu    den    Mikrosporiden, 
einer     Unterordnung     der    Sporozoen,     gehören.      Die 
Nosenia     sind    sämtlich    Zellschmarotzer,     die    ihre    Ent-      Flg.  210.    Sporen  von 
Wicklung  in  den  Zellen   des  Wirtes   und  auf  Kosten  der-      Nosema  homhyds.   au.b 

,,  ,         ,  ,  frisch  (in  &  die  Vakuole 

selben  durchmachen.  sichtbar),   c  u.  ä   mit 

Charakteristisch   für   Nosema    (wie    für    alle    Micro-      Salpetersäure     behau- 

^  _  _  delt,    stark    gequollen, 

sporidien)  sind  (nach  Doflein)  die  Sporen  (die  Cornalia-      Poikaptei und  Polfaden 
sehen   Körperchen   der   Seidenzüchter)    die   von  klappen-      sichtbar.  (NachTheio- 
förmigen  Schalen  umhüllt  sind  und  im  Innern  außer  dem 
Keimling    eine    oder   mehrere    „Polkapseln"    beherbergen 

(Fig.  210).  Die  Polkapseln  erinnern  in  ihrem  Bau  sehr  an  die  Nesselkapseln 
der  Coelenteraten.  Sie  bestehen  aus  einem  etwa  birnförmigen  Körperchen, 
welches  am  verschmälerten  Ende  in  einem  langen  Faden  verlängert  ist. 
Dieser  Faden  ist  in  das  Innere  der  Kapsejn  handschuhfingerartig  eingestülpt 
und  an  der  Wand  derselben  spiralförmig  aufgewickelt.  Bei  der  Einwirkung 
gewisser  Reagentien,  besonders  im  Darmsaft  des  infizierten  Wirtes,  werden 
die  Fäden  der  Polkapseln  ausgeschnellt,  und  auf  diese  Weise  wird  die  Spore 
an  der  Darmwand  fixiert,  worauf  sie  in  zwei  Schalenhälften  auseinanderklafft 
und  den  „Amoeboidkeim"  entläßt.  Letzterer  durchbohrt  die  Darmcuticula, 
und  bleibt  entweder  in  den  Darmepithelzellen  oder  gerät  in  irgend  welche 
andere  Organe.  In  den  Zellen  wachsen  sie  auf  Kosten  des  Zelleibes  rasch 
heran  und  vermehren  sich,  indem  sie  in  zahlreiche  Teilstücke  zerfallen.  Da 
sich  aber  die  Teilstücke  meistens  zunächst  nicht  voneinander  lösen,  so  ent- 
stehen lange  ketten-  oder  pilzartige  Gebilde,  die  zahlreiche  hintereinander 
gereihte  Kernstücke  bergen.  Ind^m  dieser  Prozeß  ununterbrochen  fort- 
schreitet, so  bilden  sich  ganze  Haufen,  förmliche  Nester  von  solchen  Ketten, 
die   von   der   zerstörten   oder  verflüssigten  Zellsubstanz   umschlossen   werden 


296 


Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 


(Fig.  211).  Die  Vermehrungsvorgänge  spielen  sich  sehr  rasch  ab,  so  daß  be- 
reits in  wenigen  Tagen  ein  großer  Teil  der  Zellen  des  Körpers  von  den 
Parasiten  befallen  sein  können.  Sobald  nun  die  Ernährungsverhältnisse  un- 
günstiger werden,  zerfallen  die  Ketten  in  zahlreiche  einzelne  Stücke,  aus 
denen  nach  mannigfaltigen  Umwandlungen  und  Abscheidung  einer  derben 
Schale  die  Sporen  sich  entwickeln,  von  denen  wir  ausgegangen  sind 
(Zander). 

Von  den  vielen  beschriebenen  Nosema-Arien  interessiert  uns  hier  vor 
allem  Nosema  bombycis  Naegeli,  der  Erreger  der  Pebrine  (Gattina, 
Fleckenkrankheit)    der  Seidenraupe.     Die  Pebrine   war  früher  eine  der 

verlustbringendsten  Seidenraupen- 
krankheiten, sie  hat  aber  heute 
infolge  der  Pasteurschen  Sepa- 
rationsmethode (siehe  unten)  ihre 
Schrecken  verloren. 

Die  äußerlich  erkenn- 
baren Symptome  der  Pebrine 
sind  nach  Bolle  folgende:  Zu- 
nächst fällt  die  große  Ungleichheit 
der  aus  einer  Zucht  stammenden 
Raupen  auf,  ferner  die  Unregel- 
mäßigkeit in  den  Häutungen,  die 
soweit  gehen  kann,  daß,  während 
ein  Teil  der  Raupen  die  alte  Haut 
bereits  verlassen  hat,  der  übrige 
Teil  entweder  noch  schläft  oder 
gar  die  Häutung  noch  nicht  be- 
gonnen hat.  Die  letztere,  die  sog. 
„Spätlinge"  sind  es,  welche  zuerst 
der  Krankheit  zum  Opfer  fallen. 
Nach  der  dritten  oder  vierten 
Häutung  bedeckt  sich  die  Haut 
mit  sehr  kleinen  nahezu  punktförmigen,  mitunter  aber  auch  größeren  ver- 
schieden geformten  Flecken,  mit  verschwommenen  Rändern,  welche  über 
den  Körper  der  Raupen  unregelmäßig  verteilt  sind  (daher  der  Name  „Flecken- 
krankheit"). Hat  die  Krankheit  ihr  letztes  Stadium  erreicht,  so  verschmäht 
die  Raupe  das  Futter  völlig,  der  Körper  schrumpft  zusammen  und  wird 
immer  kleiner,  und  schließlich  stirbt  sie  ab.  Nicht  immer  führt  die 
Krankheit  zum  Tode,  sondern  schwächer  infizierte  Raupen  können  sich 
verpuppen  und  sogar  noch  den  Falter  ergeben;  diese  sind  aber  dann 
ebenfalls  mit  Parasiten  besetzt,  und  zwar  sind  meistens  alle  Organe,  ein- 
schließlich der  Geschlechtsorgane  befallen.  Von  letzteren  aus  werden 
auch  die  Eier  infiziert  und  so  die  Krankheit  auf  die  Nachkommen 
übertragen.  Aus  den  sporenhaltigen  Eiern  entwickeln  sich  schwächliche 
kleine  Raupen,  welche  gewöhnlich  früh  sterben;  aber  mitlerweile  können  sie 
Hunderttausende    von    anderen    Raupen    infiziert    haben,    denn    die    Haupt- 


Fig.   211.     Nosema  bombycis  Naeg.     Darmepithel   einer 

Seidenraupe  mit  Sporen  und  den  eigenartigen,  pilz. 

ähnlichen,  agamen  Fortpflanzungsketten.    Vergr.  1100. 

(Nach  Stempell  aus  Doflein.) 


Pathogene  Mikroorganismen.  297 

infektionsquelle  bildet  der  auf  den  Maulbeerblättern  liegende  Kot.  —  So  kann 
die  Epidemie  mit  großer  Schnelligkeit  über  die  seidenzüchtenden  Bezirke 
eines  Landes  sich  verbreiten  (Doflein). 

In  Frankreich  brach  die  Epidemie  zuerst  im  Jahre  1845  im  Departement 
Vaucluse  aus,  im  nächsten  Jahre  hatte  sie  schon  drei  weitere  Departements  ergriffen. 
Schon  im  Jahre  1851  war  in  den  wichtigsten  Distrikten  der  Seidenbau  fast  ver- 
nichtet; im  Jahre  1856  war  die  Produktion  auf  Vi  der  üblichen  Ziffer  gefallen.  Im 
Jahre  1854  wurde  Italien  von  der  Seuche  ergriffen,  die  bald  von  einem  Ende  bis 
zum  anderen  sich  ausbreitete.  Die  französische  Seidenkultur  hatte  bis  zum  Jahre  1867 
einen  Verlust  von  mehr  als  einer  Milliarde  erlitten,  gewiss  ein  Beweis  von  der 
wirtschaftlichen  Bedeutung  dieser  Sporozoeninfektion  (Doflein). 

Um  die  Erforschung  der  Krankheit  haben  sich  besonders  Pasteur  und 
Balbiani  verdient  gemacht.  Vor  allem  hat  sich  ersterer  unsterbliche  Verdienste 
um  die  Seidenzucht  erworben,  indem  er  die  speziellen  Bedingungen  der  Krankheit 
studierte  und  den  Züchtern  einen  Weg  zeigte,  wie  sie  dem  Ausbruch  der 
Krankheit  vorbeugen  können,  nämlich  das  Samenbereitungsverfahren  nach  dem 
„Zellensystem",  welches  heute  in  allen  im  Seidenbau  vorgeschrittenen  Ländern 
eingeführt  ist. 

Es  ist  ein  überraschend  einfacher  Gedanke,  der  diesem  „Zellensystem"  zu- 
grunde liegt:  Es  werden  die  einzelnen  Schmetterlingspaare  in  kleinen  Säckchen  aus 
Tüll  oder  aus  pergamentartigem,  durchlöchertem  Papier  isoliert  und  nach  erfolgter 
Eiablage  dahin  untersucht,  ob  sie  gesund  sind  oder  nicht.  Nur  die  von  gesunden 
Eltern  herstammenden  Nosema-ireien  Eier  werden  behalten  und  zur  Nachzucht  be- 
nutzt, während  die  übrigen  weggeworfen,  resp.  verbrannt  werden.  Wenn  diese 
Separationsmethode  mit  der  nötigen  Sorgfalt  durchgeführt  wird,  so  kann  man  sich 
mit  ziemlicher  Sicherheit  vor  der  Krankheit  schützen. 

Übrigens  verursacht  das  Vorkommen  von  Nosema  in  der  Raupe  nicht  immer 
das  oben  geschilderte  Krankheitsbild;  es  können  vielmehr  die  davon  befallenen 
Raupen  auch  recht  gesund  bleiben.  „So  sollen  nach  Bolle  in  Japan  die  dortigen 
Aufzuchten  durch  Nosema  nicht  fühlbar  zu  leiden  haben,  obschon  die  Ver- 
seuchung so  allgemein  ist,  daß  nosemafreie  Raupen  nur  schwer  aufzutreiben 
sind.  Stempeil  hält  es  daher  für  wahrscheinlich,  daß  die  japanischen  Seiden- 
raupenrassen eine  größere  Immunität  gegen  den  Schmarotzer  bewahrt  haben,  als 
die  europäischen.  Demgegenüber  ist  indessen  zu  bemerken,  daß  —  wie  auch 
Bolle  hervorhebt  —  die  Pebrine  in  Japan  zuweilen  dasselbe  Unheil  unter  den 
Raupen  anrichtet  wie  in  Europa"  (Maaßen).  Es  scheint  demnach,  daß  auch  die 
Pebrine  ebenso  wie  die  Polyederkrankheiten  zu  ihrer  Entwicklung  eine  besondere 
Disposition  der  Raupen  fordert. 

Nosema  bombycis  ist  nicht  nur  auf  die  Seidenraupe  beschränkt,  sondern 
ist  auch  noch  bei  einer  ganzen  Anzahl  anderer  Raupen  beobachtet  worden 
{Arctia  caja,  Gastropacha  neustria,  Saturnia  pernyi  usw.). 

Nach  Standfuß  (Handbuch  der  palaearkt.  Großschmetterlinge)  kommt 
die  Pebrine  sowohl  bei  Rhopaloceren  [Vanessa  polychloros,  io,  antiopa)  als  bei 
Sphingiden  [Deilephila  euphorbiae)  und  bei  Spinnern  vor;  von  letzteren  nennt 
er  popupli,  neustria,  lanestris,  quercus,  pini  u.  a.  Bezüglich  der  äußeren 
Symptome  gibt  Stand  fuß  folgende  Anhaltspunkte:  Größere  Haarraupen 
tragen  in  ihrer  Färbung  in  der  Regel  keine  deutlichen  Anzeichen  der 
Krankheit,  nur  der  After  ist  feucht  und  die  Haare  in  dessen  Nähe  sind 
zusammengeklebt.  Raupen  ohne  Haarkleid  dagegen  verändern  ihre  Farbe 
meist  sehr  deutlich,  indem  grüne  Raupen  gelblich  werden  und  häufig  dunkle 


298  Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 

Flecken  erhalten,  und  bunte  Raupen  die  Lebhaftigkeit  ihrer  Färbung  ver- 
lieren; außerdem  zeigt  sich  am  After  stets  eine  gelbliche  schmutzige  Materie 
in  Tropfen  oder  angetrocknet.  Für  diejenigen  Individuen,  welche  zur  Ver- 
puppung kommen,  ist  besonders  charakteristisch,  daß  an  der  Puppenspitze 
das  Afterende  der  Raupen  festhaften  bleibt  und  der  ausschlüpfende  Falter 
am  Afterende  meist  verklebt  und  unsauber,  auch  sehr  oft  in  den  Flügeln  und 
in  den  Füßen  nicht  vollkommen  ausgebildet  ist;  ferner  im  weiblichen  Ge- 
schlecht trotz  vielleicht  großen  Leibesumfanges  gewöhnlich  nur  einen  sehr 
spärlichen  Eivorrat  enthält. 

Außer  dem  Noserna  bombycis  sei  hier  noch  eine  zweite  Art  genannt, 
welche  ebenfalls  in  wirtschaftlicher  Hinsicht  eine  bedeutungsvolle  Rolle  zu 
spielen  scheint:  nämlich  Nosema  apis,  welches  von  seinem  Entdecker  Zander 
als  der  Erreger  der  sog.  „ansteckenden  Ruhr"  der  Bienen  gehalten  wird. 

Das  wesentlichste  Kennzeichen  dieser  Krankheit  ist  das  massenhafte  plötzliche 
Absterben  der  Bienen  innerhalb  und  außerhalb  der  Beute.  Die  Bienen  werden 
unruhig,  lösen  sich  vom  Winterknäuel,  fallen  von  den  Waben  auf  das  Bodenbrett, 
und  kriechen  aufgeregt  und  ängstlich  mit  mehr  oder  weniger  aufgetriebenem  Hinter- 
leib zum  Flugloch  heraus.  Flugunfähig  fallen  sie  zu  Boden,  sammeln  sich  an  Gras- 
halmen und  Iirdklumpen,  um  nach  längerer  oder  kürzerer  Zeit  zu  verenden.  Manch- 
mal ist  die  Krankheit  von  starker  Kotentleerung  und  Schmutzerei  begleitet,  doch 
ist  dies  durchaus  kein  notwendiges  Symptom. 

Nosema  apis  kommt  in  allen  ruhrkranken  Bienen  vor;  befällt  jedoch  —  im 
Unterschied  zu  dem  Fehrine-Nosema  —  nicht  alle  Organe,  sondern  ist  auf  den 
Mitteldarm  beschränkt,  dessen  Zellen  dicht  mit  den  Sporen  angefüllt  sind.  Die  An- 
häufung von  Milliarden  dieser  hellglänzenden  Sporen  verleiht  dem  Darm  ein 
vollkommen  milchigweißes  Aussehen,  welches  im  deutlichen  Kontrast  zu 
dem  rötlich  oder  bräunlich  gefärbten  gesunden  Bienendarm  steht  und  ein  untrüg- 
liches Kennzeichen  der  Krankheit  abgibt.  —  Die  Ruhr  ist  sehr  ansteckend,  wird 
jedoch,  wie  es  scheint,  im  Gegensatz  zur  Pebrine,  nicht  durch  die  Eier  auf  die 
Nachkommen  übertragen. 

Nachdem  Zander  das  Nosema  apis  entdeckt  und  in  allen  untersuchten  ruhr- 
kranken Bienen  festgestellt  hatte,  war  es  —  besonders  im  Hinblick  auf  die  Be- 
deutung des  verwandten  Nosema  bombycis  für  die  Pebrine  —  naheliegend  genug, 
in  demselben  den  Erreger  der  ansteckenden  Ruhr  zu  erblicken.  Wenn  nun 
neuerdings  Zweifel  in  dem  von  Zander  angenommenen  Zu.sammenhang  laut 
werden,  so  gehen  diese  dahin,  ob  das  Nosema  apis  allein  genügt,  die  typische  Ruhr 
hervorzurufen.  Und  das  scheint  in  der  Tat  nicht  der  Fall  zu  sein;  denn  es  steht 
heute  fest,  daß  das  Nosema  auch  bei  anscheinend  ganz  gesunden  Völkern  vor- 
kommt, ja  daß  es  in  den  meisten  Bienenvölkern  zu  finden  und  daß  es  „in  Deutsch- 
land wohl  nur  wenige  Bienenstände  gibt,  in  den  die  Völker  völlig  frei  davon  sind". 
„Fast  immer  ließen  sich  in  den  Völkern,  selbst  in  schwach  befallenen,  Bienen  auf- 
finden, die  die  Sporen  der  Parasiten  in  solch  ungeheueren  Mengen  enthielten,  wie  bei 
der  akuten  Form  der  Krankheit"  (Maaßen).  —  W^ir  haben  hier  eine  Analogie  mit 
dem  Vorkommen  von  Nosema  bombycis  in  ganz  gesunden  japanischen  Raupen,  von  dem 
oben  berichtet  wurde;  es  scheint  also,  daß  auch  hier  der  Parasit  nur  dann  eine 
stärker  schädigende  Wirkung  auf  den  Wirt  hervorzurufen  vermag,  wenn  eine 
gewisse  Disposition  vorhanden  ist.  Es  ist  auch  möglich,  daß  noch  andere  Mikro- 
organismen dazukommen  müssen,  wenn  die  typische  Ruhr  entstehen  soll;  doch 
auch  in  diesem  Fall  wird  dem  Nosema  eine  gewisse  Anteilnahme  an  der  Erzeugung 
der  Kiankheit  nicht  abzusprechen  sein. 

Außer  den  Nosema-Arten  finden  wir  noch  ein  großes  Heer  anderer 
Protozoen    als  Schmarotzer   bei   Insekten;    es    sei  nui   an  jene  Formen 


Pathogene  Mikroorganismen.  299 

erinnert,  welche  durch  Insekten  auf  Menschen  oder  Säugetiere  übertragen 
werden,  wie  z.  B.  die  Malariaparasiten  (Haemosporidien),  welche  in  der 
Stechmücke  einen  Teil  ihrer  Entwicklung  durchmachen,  oder  an  den  Erreger 
der  Schlafkrankheit  {Trypanosoma),  der  in  der  Tse-Tse-Fliege  schmarotzt, 
ferner  an  die  zahlreichen  Gregarinen,  Cocciden  und  Amoeben,  die  bei  In- 
sekten vorkommen  usw.;  jedoch  in  den  meisten  dieser  Fälle  haben  die  Wirts- 
insekten nur  wenig  unter  den  Parasiten  zu  leiden,  oder  wenn  sie  auch 
schließlich  erkranken  und  event.  auch  daran  zugrunde  gehen,  so  kommt  es 
doch  selten  zu  größeren  Epidemien,  die  ein  Massensterben  zur  Folge  haben 
und  infolgedessen  von  einem  wesentlichen  Einfluß  auf  die  Vermehrungsgröße 
der  Insekten  sein  könnten.  Es  ist  daher  hier  nicht  der  Platz,  näher  auf  diese 
Schmarotzer  einzugehen. 

c)  Polyederkrankheiten.  ^) 

Während  von  den  bisher  besprochenen  Krankheiten  die  Erreger  mehr 
oder  weniger  sicher  festgestellt  sind,  tappen  wir  bezügl.  des  Erregers  der 
Polyederkrankheit  noch  ziemlich  im  dunkeln. 

Die  Polyederkrankheiten  sind  scharf  charakterisiert  durch 
das  Auftreten  von  sog.  „Polyedern"  in  den  Geweben  und  dem  Blut  der 
Insekten  (Fig.  212).  Unter  Polyedern  verstehen  wir  mikroskopisch  kleine 
(1 — 12  /<),  stark  lichtbrechende,  kristallähnliche  Körperchen,  die  teilweise 
je  nach  der  befallenen  Insektenart  verschiedene  Formen  (Tetraeder,  Rhomben- 
dodekaeder, Oktaeder)  aufweisen,  und  zuerst  als  vereinzelte  winzige  In- 
dividuen in  den  Kernen  der  Blut-  und  Gewebezellen  (vor  allem  den 
Zellen  der  Tracheenmatrix  und  des  Fettgewebes)  in  Erscheinung  treten, 
dann  immer  zahlreicher  und  zugleich  größer  werden,  bis  die  mächtig 
aufgetriebenen  Kerne  prall  von  ihnen  erfüllt  sind,  und  schließlich  platzen,  so 
daß  die  Poh'eder  frei  in  der  Blutflüssigkeit  schwimmen.  Beim  Fortschreiten 
der  Krankheit  werden  sämtliche  Gewebe  auf  diese  Weise  zerstört,  so  daß 
das  befallene  Insekt  schließlich  zu  einem  jauchigen  Brei  zerfließt,  in  welchem 
dichte  Mengen  von  Poh^edern  in  allen  Größen  schwimmen. 

Die  Dauer  der  Krankheit  ist  sehr  verschieden  lang  und  hängt 
wesentlich  von  der  Widerstandsfähigkeit  der  befallenen  Raupen  resp.  von 
äußeren  Einflüssen  ab.  Sie  kann  sich  einerseits  mehrere  Wochen  hinziehen, 
so  daß  die  befallenen  Raupen  sich  noch  verpuppen  und  sogar  Falter  geben 
können,  sie  kann  aber  andererseits  auch  schon  in  8 — 10  Tagen  zum  Tode 
führen.  Escherich  und  Miyajima  beobachteten  bei  künsdich  infizierten 
Nonnenraupen  die  ersten  Polyeder  am  3. — 5.  Tage  nach  der  Infektion.  Die 
Polyeder  sind  in  diesem  Stadium  sehr  spärlich,  sehr  klein  und  ausschließlich 
in  den  Kernen  der  Blutzellen  anzutreffen.  Nach  weiteren  3 — 4  Tagen  sind 
diese  intranucleären  Polyeder  größer  und  auch  zahlreicher,  indem  etwa 
5 — 10  ^Iq  der  Blutzellen  davon  befallen  sind,  und  zwar  die  meisten  mit 
mehreren  Polyedern  (Fig.  213).  Wieder  nach  einigen  Tagen  findet  man 
10 — 20*^/0  der  Blutzellen  mit  mehr  oder  weniger  zahlreichen  Polyedern  be- 
setzt, und  neben  diesen  intracellulären  die  ersten  freien  in  der  Blutflüssigkeit. 
Auf  diesem    „mitderen"  Befall   kann  die  Krankheit   längere  Zeit   ziemlich  un- 

1)  Der  Name  „Polyederkrankheit"  wurde  von  Br.  Wahl  eingeführt. 


300 


Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 


verändert  stehen  bleiben,  ja  die  Polyeder  können  sogar  wieder  weniger 
werden.  In  den  meisten  Fällen  aber  schreitet  die  Kranheit  weiter:  die 
intracellularen  und  die  freien  Polyeder  werden  immer  zahlreicher  und  größer, 
so  daß  bald  die  Hälfte  der  Blutzellen  und  mehr  dicht  mit  ihnen  erfüllt  sind 
und  außerdem  auch  in  der  Blutflüssigkeit  massenweise  freie  Polyeder  herum- 
schwimmen, Ist  die  Krankheit  einmal  soweit  fortgeschritten,  so  geht  es 
rapid  zu  Ende,  in  wenigen  Tagen  oder  Stunden  tritt  die  allgemeine  Ver- 
jauchung ein. 

Wir  können  also  eine  leichte,  resp.  chronische  und  schwere  oder 
akute  Form  der  Polyederkrankheit  unterscheiden.  Für  die  Art  des 
Verlaufes    scheinen   äußere  Einflüsse   von  großer  Bedeutung   zu    sein,    so  be- 


tj-\ 


-*». 


Fig.  212.    A  Umriß  der  Polyeder  wipfelkranker  Nonnenraupen  (x2000);  B  Doppelpolyeder  aus  Nonnen- 

puppen;   C  Umriß  von  Polyedern  gelbsüehtiger  Seidenraupen  (xl300);  i>  Blutzelle,  deren  Kern  mit 

Polyedern   erfüllt  ist;  E  Ausgestoßener  Zellkern  mit  Polyedern;   F  Schnitt  durch  einige   FettzelUen, 

deren  Kerne  (fc)  mit  Polyedern  erfüllt  sind;  er  Chromatinreste.    Nach  Wahl. 

obachteten  Escherich  und  Miyajima,  daß  bei  Raupen  mit  mäßigem  Befall 
sofort  eine  rapide  Vermehrung  der  Polyeder  eintrat,  wenn  die  Raupen  kurze 
Zeit  (es  genügten  mitunter  zwei  Stunden)  der  prallen  Sonne  ausgesetzt 
wurden.  Ähnliches  ließ  sich  durch  Behandlung  mit  Kälte  erzielen,  und  nach 
den  Angaben  Sasakis  scheinen  auch  noch  andere  Einflüsse,  wie  die  Ein- 
wirkung von  Formalin  und  Kampferdämpfen,  die  Krankheit  zu  beschleunigen. 
Wenn  in  dieser  Beziehung  auch  noch  manches  aufzuklären  sein  wird,  so 
scheint  doch  so  viel  festzustehen,  daß  äußere  Einflüsse  eine  hervor- 
ragende, ja  entscheidende  Bedeutung  für  den  Verlauf  der  Polyeder- 
krankheit besitzen  können,  indem  es  von  ihnen  zum  großen  Teil  abhängt, 
ob  die  Krankheit  latent  bleibt  oder  in  das  akute  Stadium  übergeht  Es 
dürfte  sich  hierbei  wohl  hauptsächlich  um  solche  Einwirkungen  handeln, 
welche  die  Lebensenergie  resp.  die  Widerstandsfähigkeit  der  Raupen  gegen 
das  Virus  herabzusetzen  imstande  sind. 

Was  die  äußerlich  sichtbaren,  makroskopischen  Symptome  be- 
trifft, so  sind  solche  im  Anfangsstadium  der  Krankheit,  so  lange  der  Polyeder- 


Pathogene  Mikroorganismen. 


301 


befall  die  mittlere  Höhe  nicht  überschritten  hat,  überhaupt  nicht  festzustellen; 
die  betreffenden  Raupen  machen  vielmehr  einen  völlig  gesunden  Eindruck, 
zeigen  eine  ungeschwächte  Freßlust,  häuten  sich  in  normaler  Weise  usw. 
Erst  im  vorgeschrittenen  Stadium  treten  äußere  Anzeichen  auf,  die  zunächst 
in  einer  Veränderung  der  Haut  (Verfärbung,  Änderung  des  Glanzes,  Schad- 
haftwerden der  Beborstung  usw.)  und  in  einer  immer  mehr  zu  Tage  tretenden 
Freßunlust  sich  kund  tun.  Des  weiteren  werden  die  Tiere  vollkommen 
schlaff,  wobei  sie  meist  eine  ganz  charakteristische  Stellung  einnehmen;  sie 
haften  nur  noch  mit  einem  Paar  Bauchfüße  an  der  Unterlage  fest,  so  daß  die 
beiden  Hälften  der  Raupe  schlaff  herabhängen.  —  Außerdem  kommen  bei 
verschiedenen  Raupenarten  noch  besondere  Eigentümlichkeiten  dazu,  die  die 
Diagnose  der  Krankheit  wesentlich  erleichtern;  so  haben  z.  B.  die  polyeder- 
kranken Nonnenraupen  (wenigstens  wenn  sie  auf  Fichte  leben)  die  Ge- 
wohnheit,   vor  dem  Verenden   die  Wipfel    der   Bäume    zu    erklettern,    so  daß 


A  B 

Fig.    213.     Nonnenblut  mit   mittlerem   (A)   und   starJiem  (ß)   Polyederbefall.     Nach  Escherich  und 

Miya.jima. 


sich  hier  oft  große  weithin  sichtbare  Klumpen  von  Raupen  bilden,  was  ja 
auch  dazu  geführt  hat,  die  Polyederkrankheit  der  Nonne  als  „Wipfelkrankheit" 
zu  bezeichnen. 

Wenn  nun  auch  der  Kundige  nach  den  äußeren  Symptomen  in  den 
meisten  Fällen,  wenigstens  bei  vorgeschrittener  Krankheit,  die  richtige 
Diagnose  zu  stellen  vermag,  so  ist  trotzdem  zu  empfehlen,  stets,  wenn  der 
Verdacht  auf  die  Krankheit  vorliegt,  die  mikroskopische  Unter- 
suchung auf  Polyeder  vorzunehmen,  die  einerseits  durchaus  nicht  schwierig 
ist  und  andererseits  der  Diagnose  eine  absolute  Sicherheit  verleiht  —  ab- 
gesehen davon,  daß  die  mikroskopische  Untersuchung  das  Vorhandensein  der 
Krankheit  schon  in  einem  weit  früheren  Stadium  ermöglicht  als  die  bloße 
makroskopische  Beobachtung. 

Die  Polyederkrankheit  ist,  wie  durch  die  verschiedentlich  angestellten 
einwandfreien  Infektionsversuche  der  letzten  Zeit  bewiesen  ist,  eine  an- 
steckende Krankheit,    und  zwar  kann  das  Virus    sowohl    durch  Injektion, 


302  Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 

als  auch  das  Futter  übertragen  werden;  ob  durch  die  Luft,  ist  noch  nicht  er- 
wiesen. Es  scheint  indes  die  Ansteckungsenergie  keine  allzu  große  zu  sein, 
und  vor  allem  auch  stark  von  der  Disposition  der  Raupen  abzuhängen. 

Über  die  Natur  des  Virus  herrscht  heute  noch  keine  volle  Klarheit 
und  es  stehen  sich  in  dieser  Beziehung  zwei  grundsätzlich  verschiedene 
Meinungen  gegenüber:  die  eine  nimmt  an,  daß  die  Pol3^eder  selbst  die  Erreger, 
also  echte  Parasiten  seien,  während  nach  der  anderen  Meinung  die  Polyeder 
lediglich  Reaktionsprodukte,  also  eine  Begleiterscheinung  der  Krankheit  dar- 
stellen, und  die  eigentlichen  Erreger  in  anderen  Organismen  zu  suchen  wären. 

Die  erste  Meinung  wird  in  der  bestimmtesten  Form  von  Bolle  vertreten, 
welcher  die  Polyeder  als  Mikrosporidien  auffaßt  und  ihnen  auch  den  Namen  Micro- 
sporidiiim  polyedricum  beilegt.  Zur  Bol leschen  Anschauung  neigen  ferner  hin 
Marzocchi,  der  nach  seinen  mikroskopischen  Befunden  die  Parasitennatur  der 
Polyeder  nicht  ohne  weiteres  von  der  Hand  weisen  möchte,  dann  Escherich  und 
Miyajima,  welche  annehmen,  daß  das  Virus  wenigstens  in  inniger  Verbindung  mit 
den  Polyedern  steht,  und  endlich  E.  Kno che,  welcher  in  den  Polyedern  die  Dauer- 
form eines  Mikrosporidiums  erblicken  möchte  (von  welcher  Anschauung  er  aber 
in  der  neuesten  Zeit  wieder  etwas  abgekommen  zu  sein  scheint). 

Der  zweiten  Auffassung  (Polyeder  als  Reaktionsprodukte)  huldigen  v.  Tubeuf, 
Krassilschtschik,  Glaser  und  Chapman,  Prowazek,  Wolff  u.  a.  Welcher 
Organismus  aber  in  diesem  Falle  als  der  Erreger  in  Betracht  kommen  würde, 
darüber  sind  die  Meinungen  unter  den  eben  genannten  Autoren  noch  recht  ge- 
teilt: v.  Tubeuf,  Krassilschtschik,  Glaser  und  Chapman  nennen  Bakterien 
als  Erveger  fBactertum  monachae,  Micrococcus  lardarius,  GyrococcusJ ;  Prowazek  da- 
gegen hält  Chlamydozoen  für  die  Ursache  der  Krankheit,  und  Wolff  glaubt,  daß 
Chlamydozoen  und  Bakterien  in  gemeinsamen  Zusammenwirken  die  Krankheit 
hervorrufen. 

Chlamydozoen  stellen  winzige,  von  einer  gallertigen  Hülle  umgebene  Körper- 
chen dar,  welche  sich  durch  Querteilung  vermehren.  Über  ihre  systematische 
Stellung  und  ihr  biologisches  Verhalten  läßt  sich  bis  jetzt  noch  gar  nichts  näheres 
aussagen.  Sie  sind  noch  viel  kleiner  als  Bakterien  und  gehen  daher  auch  durch 
die  gebräuchlichen  Bakterienfilter  (Berkefeld)  hindurch.  Doch  scheint  bezüglich 
der  letzteren  Eigenschaft  nach  den  neuesten  Erfahrungen  Prowazeks  eine  gewisse 
Einschränkung  geboten,  insofern  als  die  Bakterienfilter  sich  durchaus  nicht  alle 
völlig  gleich  verhalten,  sondern  „jedes  einzelne  Filter  im  Hinblick  auf  das  Filtrations- 
resultat ein  Individuum,  behaftet  mit  dem  Stigma  des  Zufälligen"  darstellt,  so  daß 
also  ein  negatives  Resultat  mit  Berkfeldfiltraten  nicht  ohne  weiteres  als  Beweis 
gegen  das  Voi'handensein  von  Chlamydozoen  gelten  darf. 

Aus  dieser  kurzen  Übersicht  lässt  sich  ersehen,  wie  unsicher  unsere  Kennt- 
nisse über  die  Ätiologie  der  Polyederkrankheiten  heute  noch  sind  Es  wird  noch 
ein  grosser  Aufwand  von  Arbeit  und  Scharfsinn  notwendig  sein,  um  volle  Klarheit 
darüber  zu  schaffen. 

Die  Polyederkrankheit  scheint  eine  sehr  weite  Verbreitung  unter 
den  Insekten  zu  haben  und  wir  kennen  sie  schon  bei  einer  ganzen  Anzahl 
von  Arten,  so  bei  der  Nonne,  wo  sie  als  „Wipfelkrankheit"  bezeichnet 
wird  (näheres  darüber  im  III.  Bd.  bei  der  Nonne),  bei  der  Seidenraupe 
(unter  den  Namen  „Gelb-  oder  Fettsucht"  oder  „Grasserie"),  beim 
Schwammspinner  und  Goldafter  (unter  der  englischen  Bezeichnung 
„Wilt"),  ferner  beim  Kiefernspanner,  bei  Deüephila,  bei  Saturnia,  Harpyia 
und  verschiedenen  amerikanischen  Spinnern,  und  fortwährend  kommen  neue 
Fälle  hinzu.  So  fand  sie  neuerdings  E,  Fischer  bei  Smerinfhus  atlantica, 
Schwangart  bei  Conchylis  ambiguella,    Gough  in  Ägypten  bei  der  dort  so 


Pathogene  Mikroorganismen.  303 

schädlichen  Prodenia  litosia  (nach  Bolle)  und  Escherich  bei  den  Larven  von 
Lophyrus  riifus.  Es  scheint  fast,  als  ob  es  sich  um  eine  allgemeine 
Insektenkrankheit  handelte,  die  bei  einer  gewissen  Disposition  der 
Raupen  resp.  Larven  in  Erscheinung  tritt. 

Wirtschaftlich  kommt  der  Polyederkrankheit  zweifellos  eine  nicht 
zu  unterschätzende  Bedeutung  zu,  weniger  dadurch,  daß  sie  den  Seiden- 
züchtern Schaden  zufügt  (denn  dieser  ist  im  Verhältnis  zu  dem  aus  anderen 
Krankheiten  entstehende  Schaden  selten  ein  erheblicher),  als  vielmehr  da- 
durch, daß  sie  der  Übervermehrung  der  Schädlinge  entgegenarbeitet. 
Es  liegen  in  dieser  Beziehung  eine  ganze  Reihe  von  Beobachtungen  vor,  nach 
denen  Kalamitäten  durch  den  Ausbruch  der  schweren  Form  der  Polyeder- 
krankheit ihr  plötzliches  Ende  gefunden  haben.  Vor  allem  gilt  dies  von  der 
Wipfelkrankheit  der  Nonne,  die  sowohl  beim  grossen  bayerischen  (1890  bis 
1892)  als  auch  bei  dem  jetzigen  sächsischen  und  böhmischen  Nonnenfraß  die 
Kalamität  in  einigen  Fällen  tatsächlich  beendet  hat. 

Andererseits  muß  davor  gewarnt  werden,  die  Wirkung  der 
Polyederkrankheit  zu  überschätzen.  Denn  die  Erfahrungen,  die  beim 
sächsischen  und  böhmischen  Nonnenfraß  gemacht  wurden,  lehrten,  daß  trotz 
eines  wiederholten  Ausbruches  der  Wipfelkrankheit  die  Kalamität  fortdauern 
kann,  indem  eben  die  Seuche  oft  nur  auf  kleine  Bezirke  beschränkt  bleibt 
und  sodann  auch  durchaus  nicht  alle  in  diesen  Bezirken  befindlichen  Raupen 
von  der  Krankheit  dahingerafft  werden.  Jedenfalls  ist  die  frühere  An- 
schauung, die  nach  dem  bayerischen  Nonnenfraß  sich  herausgebildet  hatte, 
daß  nämlich  die  Krankheit,  wenn  sie  einmal  in  einem  Walde  ausgebrochen 
ist,  sich  pestartig  mit  Windeseile  über  den  ganzen  Wald  verbreitet,  durchaus 
n-rig.  Zur  Erzeugung  der  Krankheit  gehört,  wie  auch  die  oben  genannten 
Versuche  gezeigt  haben,  nicht  nur  das  Vorhandensein  des  Erregers,  sondern 
vor  allem  auch  eine  geeignete  Disposition  der  Raupen,  die  durch  Hunger, 
schlechtes  Futter,  ungünstige  klimatische  Einflüsse  und  andere  Faktoren  her- 
vorgerufen sein  kann.  Es  ist  doch  auch  eine  oft  beobachtete  Erscheinung, 
daß  die  Wipfelkrankheit  erst  dann  als  schwere  allgemeine  Epidemie  auftrat, 
wenn  die  Übervermehrung  bereits  einen  sehr  hohen  Grad  erreicht  hatte,  so 
daß  es  zu  Kahlfraß  gekommen  war;  dann  waren  eben  sämtliche  Raupen  in- 
folge Nahrungsmangels  in  ihrer  Konstitution  geschwächt  und  gaben  nun  einen 
geeigneten  Boden  für  die  Verbreitung  der  Krankheit  ab.  Man  hat  deshalb 
die  Polyederkrankheiten,  speziell  die  Wipfelkrankheit  der  Nonne  und  die 
„Wilt"  des  Schwammspinners  auch  als  „Übervölkerungskrankheiten"  bezeichnet. 

Unsere  Erfahrungen  sind  heute  noch  zu  gering,  um  ein  definitives  Ur- 
teil über  die  wirtschaftliche  Bedeutung  der  Poh^ederkrankheiten  sich  bilden 
zu  können.  Es  wird  die  Aufgabe  der  zukünftigen  Beobachtung,  vor  allem 
auch  von  Seiten  der  Praktiker,  sein,  über  das  Vorkommen  der  Krankheit  bei 
den  verschiedenen  Schädlingen,  über  die  Art  ihres  Auftretens  und  ihrer  Ver- 
breitung, über  die  Wirkung  auf  den  Verlauf  der  Kalamitäten  usw.  möglichst 
reiches  neues  Tatsachenmaterial  herbeizuschaffen.  Dabei  sei  aber  nochmals 
daran  erinnert,  daß  Mitteilungen  darüber  nur  dann  wissenschaftlich  verwertbar 
sind,  wenn  die  Natur  der  Krankheit  durch  mikroskopische  Untersuchung  sicher 
festgestellt  ist. 


304  Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 

Literatur. 

1.  Allgemeines. 
Bachmetjew,  P.,   Experimentelle   Entomolog.  Studien.     Sophia  1907. 
Escherich,    K.,    Die    elementare    Macht    der    Fortpflanzung.      Beil.    z.    AUgem. 

Zeitung  (München)  1907. 
Nüßlin,  O.,  Leitfaden  der  Forstinsektenkunde.     2.  Aufl.     1912. 
Weismann,  A.,  Vorträge   über   Deszendenztheorie.     Jena   1902. 

2.  Witterungseinflüsse. 
Knoche,  E.,  Nonnenstudien.     Nat.  Zeitschr.  f.  Forst-  und  Landw.  1912. 
Standfuß,  M.,  Handbuch   der  paläarkt.  Großschmetterlinge.     Jena  1896. 

3.    In  Sekten  vertilgende  Tiere. 
Säugetiere  und  Vögel. 

AI  tum,  B.,  Forstzoologie  (2.  Aufl.),  I.  und  II. 

—  Parasitische   Fortpflanzung  und   wirtschaftlicher  Wert  des   Kuckucks.     Ornith, 

Monatschr.  23.  (1898). 
Baer,    W.,    Verschiedene   Aufsätze    in    der    Ornith.    Monatschr.    1903,    1908,    1909 
und  1910. 

—  Die  Bedeutung  der  insektenfressenden  Vögel  für  die  Forstwirtschaft.     „Aus  der 

Natur"  1913. 
Boas,  J.  C.  V.,  Dansk  Forstzoologie.     Kopenhagen  1898. 
Borries,    H  e  r  m..  Verschiedene  Aufsätze    über    schädliche    Insekten    in    ,,Tidsr. 

f.  Skovvaesen  1895  u.  Entomol.  Meddel  1896. 
C  r  i  s  p ,  siehe  Tauber. 

H  e  i  n  z  e,  K.,  Meisen-  und  Nonneneier.    Nat.  Zeitschr.  f.  Forst-  u.  Landw.  8.   1910. 
Hennicke-Naumann,  Naturgeschichte  der  Vögel  Mitteleuropas.     Gera. 
Leisewitz,  W.,  Verschiedene   Aufsätze   über   die   Nahrung  der   Vögel   in:   Ver- 

handl.  der  Ornit.  Gesellschaft  Bayerns.     1904,  1905  u.   1906. 
Link,  J.  A.,  Beobachtungen  am  Kuckuck.     Ornith.  Monatschr.     14.     1889. 
Parrot,    C.,   und    Leisewitz,    W.,    Untersuchungen    zur    Nahrungsmittellehre 

der  Vögel.     Verhandl.  der  Ornit.  Gesellschaft  Bayerns.     5.     1904. 
Rey  und    Reichert,   Mageninhalt    einiger    Vögel.     Ornith.    Monatschr.    1908  u. 

1910. 
Rörig,  G.,  Ansammlungen  von  Vögeln   in  Nonnenrevieren.     Ornith.  Monatschr. 

24.     (1899.) 

—  Magenuntersuchungen   land-   und  forstwirtschaftl.   wichtiger   Vögel   (mit    einem 

Literaturverzeichnis    als    Anhang).     Arb.    der    Biol.   Abt.  f.    Forst-   und   Land- 
wirtsch.     1.     (1900.) 

—  Studien    über    die    wirtschaftliche     Bedeutung    der    insektenfressenden    Vögel. 

Ebenda.     4.    (1905.) 
Schieb,  Nutzen  und  Schaden  der  Krähen.     Berlin  1904. 
Tauber,   P.,   Om   Tandsact   og   Levemaade  hos    de    Flagermuus   og    Insektädere. 

Kopenhagen  1872  (Naturh.  Tidsskr.). 
Wachtl,  Fr.,  Der  Weißtannentriebwickler.     Wien  1892. 

Schmarotzer  und  Raubinsekten. 
B  u  r  g  e  s  s,  A.  F.,  Calosoma  sycophanta:  As  life  history,  behavior  etc.    Bur.  of  Ent. 

Bull.    101.     (1911.) 
Dalla  Torre,  Catalogus   Hymenopterorum,  Vol.  III.     Leipzig  1901. 
Escherich,    K.,    Die    angewandte    Entomologie    in    den    Vereinigten    Staaten. 

Berlin  (Parey)  1913. 
Heidrich,  Beobachtungen  und  Bemerkungen  über    Nematus-Fraß.     Allg.  Forst- 

u.  Jagdzeit.  1909,  S.  281  (Vertilgung  durch  Spinnen). 
Howard,   L.   O.,  und   Fiske,   W.   F.,  The   importations   into   the  United   States 

of  the  Parasites  of  the  Gipsy  moth.     Bureau  of  Ent.   Bull.     91.     1911. 
Keller,  C.,   Untersuchungen  über  die   forstl.   Bedeutung  der   Spinnen.     Schweiz. 

Zeitschr.    f.    d.   Forstwesen.     1883   u.    1884.     (Ferner    auch    in   Recueil    zoolog. 

Luisso  1885.) 
Loos,    Kurt,    Beobachtungen    an    einem    bedeutungsvollen    Fliegenschmarotzer 

an  dem   Nonneninsekt.     Zentralbl.  f.  d.  ges.   Forstwesen.     1908. 


Literatur.  305 

Nielsen,   J.   C,  Jagtagelser   over  entoparasit.  Muscidelarver   hos   Arthropoder. 

Entern.    Meddel.    (2.    R.).      4.    Bd.    (1909)    u.  Vidensk.    Meddel.    f.    d.    naturh. 
Foren.     1911  u.  1912. 

—  Gravenvespe    og    Gedehamse.      (1.    Band    aus  Danmarks    Fauna.      Kopenhagen 

1907.) 

Oudemans,  J.  Th.,  De  Mederlandsche  Insecten.     s'Gravenhage  1900. 

Pantel,  J.,  Recherches  sur  les  Dipteres  ä  larves  entomobies.  La  Cellule  XXVI. 
1910. 

Peckham,  G.  und  E.,  Instinkt  und  Gewohnheit  der  solitären  Wespen.  (Über- 
setzt von  Dr.  Walther  Schoenichen).     Berlin  (Parey)  1904. 

Prell,  H.,  Die  Lebensweise  der  Raupenfliegen.  Verhandlungen  der  Deutschen 
Gesellschaft  f.  angewandte  Entomologie  1913. 

—  Die  Biologie  der  Tachinen  Paraseiigena  segregata  Rdi.  und  Panzeria  rudis  Fall. 

Zeit.  f.  angew.  Entom.  Bd.  I.     1914. 
Ratzeburg,  J.  Th.,  Die  Ichneumonen   der  Forstinsekten.     Berlin  1844—1852. 
Sharp,  David,  Insekts.     In:  Cambridge  Natural  History.     London  1899. 
Schewyreuv,  Les  Parasites.     Petersburg  1913. 
Schwangart,  Fr.,  Über  die  Traubenwickler  und  ihre  Bekämpfung.   I  u.  II.   Jena 

1910  u.  1913. 
Timaeus,    Fr.,    Beobachtungen   über    die    Nonnentachine.      Nat.    Zeit.   f.    Forst- 

und  Landw.  Bd.  IX.     1911. 
Townsend,  Charles   H.  T.,  A.   record  of  results   form   rearings    and  dissec- 

tions   of  Tachinidae.     Bur.  of   Ent.  Technical  Series   Nr.  12.     Part.   VI.     1908. 
Verhoeff,    C.    W.,    Über    Dermapteren.      VII.      Zeit.    f.    wiss.    Insekt.    Biologie. 

1913. 

4.   Insektentötende   Pilze. 

Die  Literatur  hierüber  befindet  sich  auf  S.  289—291    im  direkten  Anschluß  an  die 
Behandlung  dieses  Themas. 

5.   Pathogene    Mikroorganismen. 

Auerbach,  M.,  Die  Cnidosporidien.    Eine  monographische  Studie.    Leipzig  1910. 
Bocchia,  Icilio,  Osservazioni  sulla  flaccidezza  dcl  baco  da  seta.     BoU.  della 

Soc.  Medica  Parma.     1908. 
Bolle,  Johann,  Der  Seidenbau  in  Japan.     Wien  und  Leipzig  1898. 

—  Anleitung  zur   Kultur    des   Maulbeerbaumes    und   zur   rationellen   Aufzucht    der 

Seidenraupe.     Görz  1908. 

—  L'Allevamento  ragionale  del   Baco  da  seta.     286  Seiten.     Görz  1913. 

—  Außerdem    zahlreiche   Mitteilungen  über    die   Gelbsucht   usw.   in   den    Berichten 

über    die    Tätigkeit    der    K.    K.    landw.-chem.    Versuchsstation    in    Görz    1905 

bis  1912. 
D'H  ereile,    F.,    Sur    une    epizootie    de    nature    bacterienne    sevissant     sur    les 

sauterelles  au  Mexique.     Compt.  Rend.  Ac.  Paris.     22.  Mai  1912. 
Doflein,  Fr.,  Lehrbuch   der  Protozoenkunde.     3.   Aufl.     1911. 
Escherich,   K.,  und  Miyajima,   M.,    Studien   über   die   Wipfelkrankheit    der 

Nonne.     Nat.  Zeitschr.  f.  Forst-  und  Landw.  1911. 
Escherich,  K.,   Neues   über  Polyederkrankheiten.     Ebenda   1913.     (2.   Heft.) 
Fischer,   E.,   Über  die   Ursachen   der   Disposition   und  über    die   Frühsymptome 

der  Raupenkrankheiten.     Biol.   Zentr.-Bl.  26.   Bd.     1906. 
Glaser,    R.    W.,    und    Chapmann,    W.,    Studies    on    the    „Wilt"    disease    or 

„Flacherie"  of  the  Gipy  moth.     Science  XXXVI.     1912. 
Knoche,  E.,  Über  den  Erreger  der  Wipfelkrankheit   der  Nonne  und   seine  Ent- 
wicklung.    Jahreshefte  des  Vereins  für  Vaterl.  Naturfreunde  in  Württemberg. 

68.  Jahrgang.     1912. 
Maaßen,    Zur   Aetiologie   und    Epidemiologie   der    Ruhr   bei    den    Bienenvölkern. 

Mitteil.  d.  Kais.  Biol.  Anst.  f.   Land-  und   Forstwirt.     Heft   11.     (März   1911.) 

S.  50  ff. 
Marzocchi,    V.,    Sul    parassita    del    giallume    del     Bombyx    mori.      Arch.    de 

Parasitol.     Bd.  12.     1909. 
Metzger,  A.,   und   Müller,    N.   J.    C,    Die    Nonnenraupe   und    ihre   Bakterien. 

Berlin  1895. 
Picard,    F.,    et    Blanc,    G.    R.,    Sur    une    septicaemie    bacillaire    des    chenilles 

d'Arctia  caja.    Compt.  Rend.  Acad.  Paris.     28.  Avril  1913. 
Escherieb.  Forstinsekten.  20 


306  Kapitel  VI.     Natürliche  Beschränkung  der  Insektenvermehrung. 

Prowazek,  S.  v.,  Chlamydozoa.  II.  Gelbsucht  der  Seidenraupe.  Arch.  f. 
Protistenkunde  Bd.  10.     1907. 

—  S.    V.,     Untersuchungen     über     die     Gelbsucht     der     Seidenraupen.       Zentralbl. 

f.  Bakt.  usw.  V.  Abt.,  Bd.  67,  Heft  4.    1912. 

—  Handbuch   der  pathogenen  Protozoen.     Leipzig  1912. 

Standfuß,  M.,  Handbuch  der  pal.  Groß-Schmetterlinge.  (2.  Aufl.)  Jena  1896. 
S.  153  ff. 

Stempeil,  W.,  Über  Nosema  bombycis  Nag.  usw.  Arch.  f.  Protistenkunde. 
Bd.  16.    1909. 

Tubeuf,  C.  V.,  Zur  Geschichte  der  Nonnenkrankheit.  Nat.  Zeit.  f.  Forst-  und 
Landw.    1911. 

Wahl,  Bruno,  Über  die  Polyederkrankheit  der  Nonne.  I — IV.  Zentr.  ge- 
samte Forstw.     1910—1913. 

White,  G.  F.,  The  bacteria  of  the  apiary,  with  special  reference  to  bee  diseases. 
Bur.  of  Ent.,  Techn.  Lerres.     No.  14.     1906. 

—  The  cause  of  european  Foul  brood.    Bur.  of  Ent.  Circular  No.  157.     1910. 
Wolff,   Max,    über    eine    neue    Krankheit    der    Raupen    von    Bupalus  piniarhis. 

L.-Mitt.  Kaiser  Wilh.-Institut   Bromberg.     III.     1910. 
Zander,   Enoch,    Handbuch    der    Bienenkunde.      I.    Die    Faulbrut.      II.   Krank- 
heiten und  Schädlinge  der   erwachsenen  Bienen.     Stuttgart   1910  und  1911. 


Kapitel  VII. 

Entstehung  und  Bekämpfung  von 
Insektenkalamitäten. 


A.  Die  Entstehung  von  Kalamitäten. 

Wir  haben  im  vorigen  Kapitel  gehört,  daß  die  Beständigkeit  des  Faunen- 
bildes unserer  Wälder  (das  organische  Gleichgewicht)  auf  dem  Zusammen- 
wirken einer  ganzen  Reihe  von  regulatorischen  Faktoren  beruht.  Fallen  nun 
einige  von  diesen  Faktoren  (oder  auch  nur  einer)  weg,  oder  werden  sie  an 
ihrer  vollen  Wirkung  gehemmt,  so  wird  eine  Störung  des  Gleichgewichtes 
die  Folge  sein,  indem  die  durch  jene  niedergehaltenen  Organismen  ihre  Ver- 
mehrungsenergie nunmehr  stärker  entfalten,  und  eine  größere  Zahl  von  Nach- 
kommen zu  fortpflanzungsfähigen  Imagines  sich  entwickeln  können.  Welchen 
Umfang  die  Gleichgewichtsstörung  annimmt,  hängt  einmal  von  der  Art  und 
Dauer  der  in  Wegfall  gekommenen  regulatorischen  Faktoren  und  sodann 
von  der  Vermehrungsgröße  und  der  Ausdehnungsmöglichkeit  (vorhandene 
Nahrungsmengen,  Brutgelegenheit)  der  von  ihnen  in  Schach  gehaltenen  Schäd- 
linge ab. 

Die  Ausschaltung  der  regulatorischen  Faktoren  kann  auf  die 
verschiedenste  Weise  geschehen.  Es  können  z.  B.  Witterungseinflüsse 
daran  beteiligt  sein,  in  dem  abnorme  Temperaturverhältnisse  die  Vermehrung 
eines  Schädlings  direkt  begünstigen  oder  aber  die  Vermehrung  seiner  Feinde 
zurückhalten  können.  Oder  es  kann  der  durch  plötzliche  Naturereignisse 
erfolgte  Eintritt  abnorm  reichlicher  Ernährungs-  und  Brutgelegenheiten 
dem  Schädling  die  Möglichkeit  geben,  über  das  gewöhnliche  Maß  hinaus  sich 
zu  vermehren,  was  vor  allem  für  sekundäre  Schädlinge  (Borkenkäfer,  Bock- 
käfer usw.)  zutrifft,  die  nach  Wind  oder  -Schneebruch,  oder  nach  voran- 
gegangenen anderen  Waldkrankheiten  (Pilze,  Raupenfraße  usw.)  häufig  zu 
Kalamitäten  anwachsen. 

In  sehr  vielen  Fällen  ist  es  der  Mensch  selbst,  der  durch  sein  ge- 
waltsames Eingreifen  in  die  Natur  das  Gleichgewicht  der  Organismen- 
welt stört,  und  dadurch  die  Veranlassung  zu  verheerenden  Kalamitäten  gibt. 
Zweifellos  sind  ein  großer  Teil  der  Insektenkalamitäten  Kultur- 
krankheiten (gleichwie  ja  auch  zahlreiche  Leiden  der  Menschheit  in  der 
Kultur  ihre  Wurzel  haben).  Sind  doch  in  unseren  modernen  Forsten 
alle  Bedingungen  gegeben,  eine  Massenvermehrung  von  Insekten, 
die  sich  von  bestandsbildenden  Holzarten  nähren,  zu  begünstigen. 

20* 


308         Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 

Besonders  sind  in  dieser  Beziehung  die  großen,  gleich  alter  igen 
reinen  Bestände  zu  nennen,  welche  die  Forstwirtschaft  aus  wirtschaftlichen 
Rücksichten  seit  Anfang  des  vorigen  Jahrhunderts  geschaffen  hat.  Solche 
Bestände  stellen  die  reinen  Brutstätten  für  gewisse  Insekten  dar,  indem  die 
letzteren,  sobald  sie  einen  Baum  kahl  gefressen,  ringsum  in  unmittelbarer 
Nähe,  die  gleichen  zusagenden  Bedingungen  für  sich  und  die  Nachkommen 
in  Hülle  und  Fülle  vorfinden.  Es  ist  auch  eine  alte  Erfahrung,  daß  gemischte 
Bestände  weit  weniger  unter  Insektenverheerungen  (z.  B.  Nonne)  zu  leiden 
haben  als  reine.  Verschiedentlich  mag  dies  auch  daran  liegen,  daß  in  reinen 
Beständen  die  Entwicklungsbedingungen  für  manche  Parasiten  recht  ungünstige 
sind,  wenn  nämlich  die  Parasiten  auf  Zwischenwirte  angewiesen  sind,  die  auf 
anderen  Pflanzen  leben. 

Wirtschaftliche  Rücksichten  haben  ferner  dazu  geführt,  daß  weniger 
insektengefährdete  Holzarten,  wie  vor  allem  Laubhölzer  und  speziell 
die  Buche,  auf  weite  Strecken  hin  durch  stark  gefährdete  Holzarten, 
nämlich  Nadelhölzer,  ersetzt  wurden. 

In  Norddeutschland  ist  dieser  Vorgang  ein  sehr  häufiger.  Am  westlichen 
Harze,  in  vielen  Waldrevieren  des  Erzgebirges  hat  z.  B.  die  Fichte  ziemlich  all- 
gemein die  Buche  verdrängt ;  im  Grimmaer  Bezirk  in  Sachsen  sind  seit  Anfang  des 
vorigen  Jahrhunderts  große  Flächen  Laubwaldes  durch  künstliche  Verjüngung 
in  Nadelwald  übergeführt  worden.  Folgen  einer  solchen  Umwandlung  nun  zwar 
durchaus  nicht  immer  Insektenverheerungen  auf  dem  Fuß,  so  ist  die  Gefahr  doch 
jedenfalls  eine  viel  größere  geworden.  Im  Grimmaer  Bezirk  sind  denn  auch  be- 
reits schwere  Insektenschäden  eingetreten  {Nematus),  die  derartig  hartnäckig 
sind,  daß  die  Weiterexistenz  mancher  Bestände  in  Frage  gestellt  ist  und  man  mit 
dem  Plane  umgeht,  die  Fichte  wieder  durch  Laubholz  zu   ersetzen. 

Auch  die  saubere  Wirtschaft  im  Walde,  die  alle  anbrüchigen  Stämme 
so  schnell  wie  möglich  entfernt,  kann  störend  in  das  feste  Gefüge  der  Lebens- 
gemeinschaft eingreifen,  indem  dadurch  den  nützlichen  Höhlenbrütern  (Meisen 
und  anderen  insektenfressenden  Vögeln)  die  Brutgelegenheit  genommen  wird. 

Ebenso  kann  die  Entfernung  der  Streudecke  von  förderndem  Einfluß 
auf  die  Schädlingsvermehrung  sein,  indem  dadurch  den  mitunter  sehr  wirk- 
samen insektentötenden  Pilzen  die  geeigneten  Bedingungen  entzogen  und 
außerdem  mit  der  Streu  eine  Menge  Parasitenpuppen  entfernt  werden  können. 

Des  weiteren  ist  auch  die  Kahlschlagwirtschaft  und  die  durch  sie 
bedingte  Bestandsgründung  durch  Nachverjüngung  nicht  ohne  Einfluß  auf  die 
Insektenvermehrung  geblieben.  Ist  doch  z.  B.  erst  durch  diese  Maßnahmen 
der  große  braune  Rüsselkäfer  zu  dem  schlimmen  Schädling  herangezüchtet 
worden,  wie  er  uns  heute  entgegentritt,  da  ihm  dadurch  Nahrungs-  und  Brut- 
gelegenheit in  der  denkbar  günstigsten  Vereinigung  geschaffen  werden. 

Was  den  ersten  Beginn  einer  Massenvermehrung  betrifft,  so 
tritt  dieselbe  sehr  häufig  zuerst  in  eng  begrenzten  Lokalitäten,  sog.  „Herden", 
auf,  von  denen  sich  die  Kalamität  mehr  oder  weniger  rasch  konzentrisch 
über  weitere  Strecken  ausdehnt.  Dabei  ist  des  öfteren  beobachtet  worden, 
daß  manchen  Lokalitäten  eine  gewisse  Prädisposition  als  Ent- 
stehungsherde für  Massenvermehrungen  zukommt  (z.  B.  Nonne).  Worauf 
die  Prädisposition  beruht,  muß  von  Fall  zu  Fall  erst  eingehend  untersucht 
werden.    Heute  bewegen  wir  uns  in  dieser  Beziehung  fast  nur  in  Vermutungen. 


Die  Entstehung  von  Kalamitäten.  309 

Als  besonders  bemerkenswerte  Erscheinung  bei  der  Entstehung  von 
Kalamitäten  ist  das  häufig  beobachtete  gleichzeitige  Auftreten  eines 
Schädlings  in  den  verschiedensten  Gebieten  eines  Landes  zu 
nennen.  Kommt  es  doch  garnicht  selten  vor,  daß  ein  Schädling,  der  lange 
Zeit  nichts  hat  von  sich  hören  lassen,  plötzlich  von  allen  Seiten  her  als  im 
Anzug  befindlich  gemeldet  wird.  So  z.  B,  hat  die  Nonne  sich  zu  Anfang 
dieses  Jahrhunderts  gleichzeitig  in  Sachsen,  Ostpreußen,  Bayern,  Böhmen 
usw.  bemerkbar  gemacht  oder  so  trat  die  Kieferneule  in  diesem  Jahr  (1913) 
in  den  verschiedensten  weit  voneinander  gelegenen  Gegenden  ziemlich  un- 
vermutet in  verderbenbringender  Weise  auf  usw.,  so  daß  man  also  gewisser- 
maßen von  Schädlingsperioden  (Nonnenperioden,  Eulenperioden  usw.) 
reden  kann.  Interessant  ist  dabei,  daß  in  diesen  Perioden  der  betreffende 
Schädling  auch  an  solchen  Orten,  wo  er  infolge  der  ihm  wenig  zusagenden 
Lebensbedingungen  nur  selten  vorkommt,  merklich  häufiger  wird;  so  ist  z.  B. 
in  der  gegenwärtigen  Eulenperiode  die  Eule  auch  hier  in  Tharandt,  wo  sie 
sonst  ein  seltenes  Vorkommnis  ist,  uns  auffallend  häufig  begegnet.  Über  die 
Ursachen  dieser  Erscheinung  sind  wir  ebensowenig  unterrichtet  wie  über  die 
Ursachen  der  örtlichen  Prädisposition,  und  es  ist  dringend  geboten,  auch 
diesem  Problem  mit  wissenschaftlichen  Methoden  nachzugehen. 

Gewöhnlich  begnügt  man  sich  damit,  kurzweg  „W  itterungsein- 
f  I  ü  s  s  e"  (z.  B.  große  Hitze  und  Trockenheit)  als  Ursachen  solcher  Schädlings- 
perioden anzuführen.  Das  mag  auch  in  vielen  Fällen  stimmen;  solange  wir  jedoch 
die  Zusammenhänge  zwischenWitterung  und  Schädlingsvermehrung  nicht  genauer 
präzisieren  können,  ist  mit  diesen  „Witterungseinflüssen"  wenig  anzufangen.  Bis 
jetzt  ist  nur  bei  gewissen  sekundären  Schädlingen  der  Zusammenhang  einiger- 
maßen klar,  so  z.  B.  bei  Borkenkäfejn,  die  nach  sehr  trockenen  heißen  Sommern, 
in  denen  die  Bäume  unter  der  Trockenheit  mehr  oder  weniger  zu  leiden  hatten, 
sich  stärker  zu  vermehren  pflegen,  da  sie  eben  dann  reichlichere  Brutgelegenheit 
vorfinden.  Bei  den  meisten  übrigen  Schädlingen  jedoch  sind  uns  die  näheren  Zu- 
sammenhänge noch  unbekannt;  sie  dürften  mitunter  wohl  auch  recht  komplizierter 
Natur  sein,  indem  die  Witterungseinflüsse  sich  nicht  nur  direkt  auf  den  Schäd- 
ling, sondern  auch  auf  die  Parasiten  und  Hyperparasiten,  die  Raubinsekten,  Pilze 
und  anderen  Nützlinge  sich  geltend  machen. 

Um  zu  zeigen,  in  welcher  Weise  Witterung,  Schädling,  Parasit  aufeinander 
einwirken  können,  führe  ich  ein  sehr  lehrreiches  Beispiel  eines  nordamerikanischen 
(d.  h.  eines  von  Europa  dorthin  eingeschleppten)  Schädlings,  Toxoptera  graminum 
Ronä.,  an,  einer  Blattlaus,  die  von  Zeit  zu  Zeit  (die  letzten  Perioden  waren  1890, 
1901  und  1907)  in  Unmassen  auftritt  und  dann  enorme  Verluste  am  Getreide  ver- 
ursacht, in  der  Zwischenzeit  jedoch  ziemlich  harmlos  ist.  Daß  eine  starke  Massen- 
vermehrung dieses  Schädlings  nur  relativ  selten  stattfindet,  ist  darin  begründet, 
daß  eine  solche  von  ganz  bestimmten  Witterungsverhältnissen  abhängig  ist:  Die 
genannte  Blattlaus  überwintert  nämlich  in  normalen  Wintern  als  Ei,  welches  von 
einem  befruchteten  Weibchen  stammt.  Bleibt  aber  der  Winter  und  Spätherbst 
warm,  so  unterbleibt  die  Entstehung  von  Sexualen,  und  es  setzt  sich  die  während 
des  Sommers  herrschende  parthenogenetische  Fortpflanzung  auch  durch  die 
warmen  Wintermonate  hindurch  fort,  so  daß  also  bereits  im  ersten  Frühjahr  ein 
großes  Heer  von  Blattläusen  vorhanden  ist.  Nun  kann  aber  immer  noch  die 
Gefahr  durch  die  Natur  abgewendet  werden,  wenn  nämlich  der  Frühling  warm 
ist.  Dann  entsteht  den  Blattläusen  ein  noch  größeres  Heer  von  Feinden,  das  bald 
mit  ihnen  aufräumt.  Der  Hauptfeind  ist  eine  kleine  Schlupfwespe  {Lysiphlebus 
tritici),  welche  immer  und  überall  da  vorhanden  ist,  wo  die  Blattlaus  vorkommt, 
und  welche  die  Vermehrung  der  Blattlaus  für  gewöhnlich  in  engen  Grenzen  hält  (s. 
Fig.  190,  S.  247).   Die  Schlupfwespe  bedarf  aber  einer  wesentlich  höheren  Temperatur 


310         Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 

zu  ihrer  Vermehrung  als  die  Blattlaus,  daher  muß  der  Frühling  warm  sein,  wenn  der 
Feind  die  zur  wirksamen  Bekämpfung  nötige  Zahl  erlangen  soll.  Bleibt  dagegen  das 
Frühjahr  kalt  (nach  einem  milden  Winter),  so  können  sich  wohl  die  Blattläuse 
weiter  vermehren  und  ins  Unermeßliche  anwachsen,  nicht  aber  die  Schlupfwespen. 
Und  wenn  dann  die  Temperatur  auch  später  für  die  letzteren  hoch  genug  ist,  dann 
haben  die  Blattläuse  bereits  einen  solchen  Vorsprung  erlangt,  daß  die  Schlupf- 
wespen längere  Zeit  brauchen,  bis  sie  denselben  wieder  eingeholt  haben  —  und 
die  Folge  davon  ist  dann  eine  Blattlauskalamität.  —  Wir  haben  wenige  Beispiele 
in  der  gesamten  Schädlingskunde,  die  die  Ursachen  der  Entstehung  einer 
Kalamität  so  klar  und  deutlich  erkennen  lassen,  wie  dieser  Fall  von  der  Getreide- 
blattlaus.    Deshalb  glaube  ich,  denselben  hier  nicht  vorenthalten  zu  dürfen. 

Eine  besondere  und  recht  eigentümliche  Anschauung  über  die  Ursachen  der 
periodenweisen  Massenvermehrungen  hat  Simroth  geäußert:  er  sucht  dieselben 
auf  kosmische  Vorgänge  zurückzuführen  und  mit  den  11jährigen  Sonnenflecken- 
perioden  in  Zusammenhang  zu  bringen.  Zur  Stütze  dieser  Anschauung  bringt  er 
eine  Reihe  von  Beispielen,  in  denen  Massenvermehrungen  gewisser  Insekten 
[Eccoptogaster  scolytus.  Wespen  usw.)  mit  diesen  Perioden  annähernd  zusammen- 
fielen. Es  wäre  aber  ein  leichtes,  ebenso  viele  Beispiele  anzuführen,  in  denen 
Massenvermehrungen  sich  nicht  im  geringsten  um  die  Sonnenflecken  kümmerten. 
In  weitaus  den  meisten  Fällen  sind  die  Kalamitäten  „autoch- 
thonen"  Ursprungs,  d.  h.  entstehen  an  Ort  und  Stelle  infolge  irgend  einer 
hier  eingetretenen  Gleichgewichtsstörung.  Es  kommen  aber  auch  Ausnahmen 
vor,  in  denen  eine  Kalamität  von  auswärts,  durch  einen  plötzlichen  Ein- 
fall oder  Einwanderung  großer  Schädlingsmengen  in  ein  bisher 
gänzlich  gesundes  Revier  hineingetragen  werden;  wir  sprechen  in  solchen 
Fällen  von  „Überflug".  Es  gab  eine  Zeit,  in  der  man  Überflüge  als  etwas 
selbstverständliches  auffaßte,  und  überall  da,  wo  man  plötzlich  vor  einer 
Massenvermehrung  stand,  dieselbe  ohne  weiteres  auf  einen  Überflug  zurück- 
führte. Wie  konnte  es  auch  anders  sein,  da  nach  Ansicht  des  betroffenen 
Forstmannes  sein  Revier  bis  dahin  nichts  von  einer  abnormen  Insekten- 
vermehrung habe  erkennen  lassen.  Es  war  eine  schöne  Zeit  für  die  Forst- 
beamten, da  sie  die  Schuld  für  eine  ausgebrochene  Kalamität  ohne 
Schwierigkeit  auf  den  Nachbarn  abwälzen  konnten. 

Heute  ist  man  aber  in  dieser  Beziehung  wesentlich  skeptischer  resp. 
kritischer  geworden,  und  die  Ausrede  mit  „Überflug"  stößt  von  vornherein 
auf  starkes  Mißtrauen.  Man  hat  eben  bei  sorgfältiger  Prüfung  in  vielen 
Fällen,  in  denen  Überflug  als  Entstehungsursache  einer  Kalamität  angegeben 
worden  war,  sichere  Anzeichen  (z.  B.  Puppenhüllen,  Raupenkot,  hoher 
Parasitenprozentsatz  usw.)  dafür  gefunden,  daß  der  betr.  Schädling  schon 
längere  Zeit  hindurch  in  stärkerer  Vermehrung  begriffen,  aber  bisher  über- 
sehen worden  war.  Wenn  dann  die  Zahl  des  Schädlings  groß  genug  war, 
daß  er  nicht  mehr  übersehen  werden  konnte,  dann  kam  die  „Überraschung", 
auf  welche  prompt  die  Annahme  des  Überfluges  folgte.  Die  ersten  Anzeichen 
einer  beginnenden  Massenvermehrung  sind  mitunter  sehr  geringfügig,  und 
das  Anwachsen  der  Individuenzahl  erfolgt  nach  Entfernung  der  vermehrungs- 
beschränkenden Faktoren  meist  so  rasch  (infolge  der  Propagation  in  geo- 
metrischer Progression,  siehe  S.  223),  daß  oft  gar  nicht  allzuviel  Sorglosigkeit 
dazu  gehört,  den  Anfang  einer  Massenvermehrung  zu  übersehen,  zumal  wenn 
die  Entstehungsherde  engbegrenzt  und  an  wenig  zugänglichen  Orten  gelegen 
sind.     Jedenfalls   beweist   die   in  solchen  Fällen   oft  zu  hörende  Behauptung: 


Die  Entstehung  von  Kalamitäten.  311 

„Die  Vermehrung  hätte  uns  unmöglich  entgehen  können",  gar  nichts  gegen 
eine  autochthone  Entstehung  einer  Kalamität.  Daß  derartige  Überraschungen 
noch  so  oft  vorkommen  können,  beweist  höchstens,  daß  die  forstento- 
mologische  Schulung  des  Forstwirtes  noch  zu  wünschen  übrig  läßt. 

Andererseits  haben  wir  doch  auch  gut  beglaubigte  Beispiele  von  Massen- 
einwanderungen. Daß  gewisse  Insekten  weite  Wanderungen  in  großen  Ge- 
sellschaften unternehmen,  ist  ja  allgemein  bekannt;  wie  z.  B.  die  Heuschrecken- 
schwärme,  die  in  ungeheuren  Massen  Wolken  gleich  dahinziehen,  überall, 
wo  sie  einfallen,  Vernichtung  bringend;  oder  die  langen  Züge  der  Libellen, 
oder  des  Baumweißlings,  oder  die  schlangenartig  dahinkriechenden  Verbände 
der  Trauermückenlarven  (Heerwurm)  usw.  Worauf  dieses  gesellschafüiche 
Wandern  beruht,  ist  uns  in  den  meisten  Fällen  noch  unbekannt;  die  Ur- 
sachen mögen  von  Fall  zu  Fall  verschieden  sein,  jedenfalls  dürfte  es  nicht 
angängig  sein,  kurzweg  Nahrungsmangel  für  alle  diese  Wanderungen  verant- 
wordich  zu  machen;  in  manchen  Fällen  trifft  dies  sogar  sicher  nicht  zu. 
Wir  müssen  uns  daher  vorläufig  mit  der  Konstatierung  der  Tatsache  be- 
gnügen, daß  gewissen  Insekten  der  Trieb,  in  größeren  Gesellschaften  zu 
wandern,  innewohnt. 

Es  fragt  sich  nun,  ob  auch  unter  den  Forstinsekten  solch  wanderlustige 
Tiere  sich  befinden.  Einigermaßen  sicher  wissen  wir  es  nur  von  wenigen, 
wie  z.  B.  von  den  Borkenkäfern,  dem  grauen  Lärchenwickler,  der 
Nonne  usw. 

So  wurde  bezüglich  der  Borkenkäfer  des  öfteren  beobachtet,  daß  von 
Holzvorratsplätzen  und  Brettsägen  aus,  welche  borkenkäferhaltiges  Holz  aus 
anderen  Gegenden  erhielten,  bis  dahin  völlig  borkenkäferfreie  Waldungen  plötz- 
lich stark  infiziert  wurden.  Fraglich  und  schwer  zu  bestimmen  ist  dagegen,  bis 
zu  welchen  Entfernungen  ein  Überschwärmen  möglich  ist. 

Ein  Beispiel  für  weites  Überfliegen  von  typographus  erblickt  N  i  t  s  c  h  e  in 
einer  Mitteilung  von  Oberforstmeister  Tiedemann  aus  dem  Gouverment 
Nishny-Nowgorod.  „Mitten  in  einem  im  Kreise  Arsamaß  liegenden  Kronforst  von 
2500  ha,  der  fast  ausschließlich  aus  Laubholz  besteht,  befinden  sich  zwei  50  bezw. 
60  ha  große  Fichtenbestände.  In  beiden  war  kein  Windbruch,  keine  Lichtung, 
vielmehr  guter  voller  Schluß,  und  es  waren  nie  Borkenkäfer  in  ihnen  aufgetreten. 
Da  zeigt  sich  plötzlich  im  Jahre  1883  der  Borkenkäfer  so  stark,  daß  sofort 
1000  Fichtenstämme  gefällt  und  geschält  werden  mußten.  Das  Auftreten  der 
Borkenkäfer  ist  hier  nur  (?  ?  der  Verf.)  durch  Überfliegen  zu  erklären.  Die 
nächsten  Fichtenbestände  sind  aber  15 — 20  km  entfernt,  und  solche,  in  denen  ein 
starker  Borkenkäferfraß  zur  Zeit  der  Infektion  herrschte,  gar  ca.  50  km." 

Daß  der  graue  Lärchenwickler  durch  Überflug  über  Pässe  usw. 
benachbarte  Täler  infizieren  kann,  hatte  der  Verfasser  selbst  zu  konstatieren 
Gelegenheit,  und  zwar  auf  der  Iffigenalp  im  Berner  Oberland.  Dort  war  plötz- 
lich der  genannte  Schädling  in  solchen  Mengen  aufgetreten,  daß  sämtliche  Lärchen 
völlig  kahl  gefressen  wurden.  Vorher  war  nicht  die  geringste  Spur  von  Be- 
schädigungen dort  zu  bemerken,  wie  der  Besitzer,  ein  gewissenhafter  Natur- 
beobachter, versicherte.  Wohl  aber  war  der  Schädling  im  benachbarten  Wallis 
seit  Jahren  in  der  bedenklichsten  Weise  aufgetreten.  Es  lag  daher  nahe,  anzu- 
nehmen, daß  die  Infektion  von  dort  her  stattgefunden  habe,  und  wir  konnten  auch 
eine  gewisse  Bestätigung  dafür  erbringen,  indem  wir  auf  dem  Wildstrubelgletscher, 
der  die  Iffigenalp  vom  Wallis  trennt,  eine  Unmasse  der  fraglichen  Falter  im  Schnee 
erstarrt  oder  noch  zappelnd  antrafen,  —  möglicherweise  die  Reste  eines  die  Höhen 
überflogenen  Heeres.  Ob  es  sich  hierbei  um  eine  Überwehung  oder  um  ein 
aktives   Überfliegen  gehandelt   hat,  ließ   sich    natürlich   nicht    entscheiden. 


312         Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 

Am  geläufigsten  ist  dem  Praktiker  das  Überfliegen  der  Nonne.  Werden 
doch  auch  bei  jeder  Nonnenkalamität  von  zahlreichen  Seiten  Uberflüge  als  sichere 
Entstehungsursache  ins  Feld  geführt.  Und  doch  wurde  nach  den  kritischen  Unter- 
suchungen Sedlaczeks  auch  hier  weit  über  das  Ziel  hinausgeschossen.  Zahl- 
reiche der  scheinbar  sicher  begründeten  Annahmen  von  Uberflügen  erwiesen  sich 
nach  diesem  Autor  bei  der  genaueren  Analyse  als  nicht  stichhaltig,  und  nur  in 
ganz  wenig  Fällen  sind  wir  tatsächlich  berechtigt,  von  einer  Nonneninfektion 
durch  Masseneinw-anderung  zu  reden.  Auch  über  die  Entfernungen  scheint  man 
sich  unrichtige  Vorstellungen  gemacht  zu  haben;  denn  nach  Sedlaczek  dürften 
20  km  schon  ein  Maximum  für  die  Flugfähigkeit  der  Nonne  darstellen.  Durch 
Wind  kann  die  Entfernung  allerdings  noch  mehr  oder  weniger  vergrößert  werden 
(siehe  auch  S.  224).  Die  Uberwanderung  findet  ferner  selten  in  kompakten 
Schwärmen  statt,  sondern  meist  durch  sukzessiven  Überflug  zahlreicher  Indi- 
viduen. Näher  soll  hier  darauf  nicht  eingegangen  werden,  da  unten  bei  Be- 
sprechung der  Nonne  (Bd.  III)  diese  wichtige  Frage  noch  ausführlich  behandelt 
werden  wird. 

Fassen  wir  das  Gesagte  zusammen,  so  kommen  wir  zu  dem  Ergebnis, 
daß  die  Überflüge  bei  Forstinsekten  als  Ausnahmeerscheinungen  anzu- 
sehen sind.  Wir  haben  demnach  bei  allen  Kalamitäten  zunächst  an 
einen  autochthonen  Ursprung  zu  denken;  nur  dann,  wenn  der  strikte 
Nachweis  erbracht  werden  kann,  daß  der  betr.  Schädling  in  den  vorher- 
gehenden Jahren  nicht  in  einer  den  Normalstand  überschreitenden  Zahl  vor- 
handen war,  und  außerdem  irgend  welche  positiven  Angaben  über  die  Her- 
kunft des  Überfluges  usw.  gemacht  werden  können,  nur  dann  dürfen  wir  die 
Annahme  einer  Masseninfektion  von  außen  als  berechtigt  anerkennen. 

Eine  Infektion  kann  natürlich  auch  durch  Einwanderung  oder  Ver- 
schleppung einzelner  Individuen  geschehen,  ist  doch  eine  der  größten  aller 
Insektenkalamitäten,  die  des  Schwammspinners  in  Amerika,  durch  die  Ver- 
schleppung ganz  weniger  Exemplare  verursacht  worden  (siehe  S.  238);  es 
verläuft  aber  dann  die  Vermehrung  nach  dem  Typus  der  autochthonen 
Kalamitäten. 

B.  Vorbeugung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 

Die  beste  Begegnung  eines  jeden  Übels  ist  die  Vorbeugung.  Wie 
das  Ziel  des  Hygienikers  der  menschlichen  Gesellschaft  darin  besteht,  die 
Lebensformen  derselben  so  zu  gestalten,  daß  den  Krankheitskeimen  ein 
möglichst  ungünstiger  Boden  geschaffen  wird,  so  daß  die  Krankheiten  über- 
haupt nicht  mehr  aufkommen  können,  so  muß  der  Waldhygieniker  darnach 
streben,  die  Waldkultur  so  einzurichten,  daß  den  Schädlingen 
möglichst  geringe  Angriffsflächen  dargeboten  werden.  Das  Vor- 
handensein von  Kulturkrankheiten  soll  uns  nicht  etwa  (wie  manche  Refor- 
matoren der  menschlichen  Gesellschaft  meinen)  dazu  führen,  die  Kultur  völlig 
aufzugeben,  sondern  vielmehr  dazu,  eine  höhere  Stufe  der  Kultur  zu  erstreben, 
welche  die  Entwicklungsmöglichkeit  jener  Krankheiten  mehr  und  mehr  einengt 
oder  ganz  ausschaltet.  Es  wird  ja  gewiß  Fälle  genug  geben,  in  denen  -iie 
Kultur  stets  mit  Gefahren  verbunden  sein  wird,  d.  h.  in  denen  eine  Abänderung 
der  Kulturart  im  Sinne  einer  Prophylaxe  nicht  ausführbar  ist  (so  kann  man 
z.  B.  auf  gewissen  Böden  nur  ganz  bestimmte  Baumarten  pflanzen,  trotzdem 
man  vielleicht  weiß,   wie  stark   dieselbe  an  den  betreffenden  Orten  Insekten- 


Vorbeugung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten.  313 

Verheerungen  ausgesetzt  ist);  andererseits  können  wir  aber  bei  einer  großen 
Zahl  von  Schädlingen  durch  besondere  kulturelle  Maßnahmen  die  Vermehrungs- 
bedingen  zweifellos  wesentlich  einschränken. 

Wo  es  durch  kulturelle  Methoden  durchaus  nicht  gelingt,  dem  Aufkommen 
einer  Kalamität  vorzubeugen,  da  muß  der  Forstwirt  versuchen,  mit  anderen 
Mitteln  der  Vermehrung  entgegenzutreten  und  das  Übel  direkt  be- 
kämpfen. Dabei  ist  als  oberster  Grundsatz  festzuhalten,  daß  die  Bekämpfung 
um  so  mehr  Aussicht  auf  Erfolg  hat,  je  früher  dieselbe  einsetzt. 
Hat  die  Vermehrung  einmal  ein  gewisses  Maß  überschritten,  so  ist  in  vielen 
Fällen  wenig  mehr  mit  den  menschlichen  Kräften  auszurichten,  und  bleibt 
uns  dann  nichts  anderes  übrig,  als  das  Übel  sich  selbst  zu  überlassen,  bis  es 
sein  natürliches  Ende  findet,  oder  höchstens  zu  versuchen,  es  auf  seinen 
Herd  zu  beschränken. 

Viele  der  Mißerfolge  in  der  forstlichen  Schädlingsbekämpfung 
sind  darauf  zurückzuführen,  daß  der  richtige  Zeitpunkt  beim  Ein- 
greifen versäumt  worden  ist.  Und  dies  hängt  wieder  mit  der  oben 
bereits  erwähnten  Tatsache  zusammen,  daß  die  für  eine  erfolgreiche  Be- 
kämpfung so  überaus  wichtigen  Anfangsstadien  einer  Kalamität  meistens  über- 
sehen werden.  In  dieser  Beziehung  ist  ja  auch  der  Forstwirt  weit  schlechter 
daran  als  der  Landwirt  oder  der  Weinbauer,  welchen  bei  der  übersichtlichen 
Art  ihrer  Kulturen  das  Auftreten  eines  Schädlings  kaum  entgehen  kann,  auch 
wenn  dieser  erst  in  geringer  Zahl  vorhanden  ist.  Bei  den  Forstschädlingen 
dagegen  spielen  sich  oft  die  ersten  Stadien  einer  Übervermehrung  so  ver- 
borgen ab,  daß  es  einer  großen  Aufmerksamkeit,  eines  gut  geschulten  Blickes 
und  einer  genauen  Kenntnis  der  Lebensgeschichte  der  betr.  Schädlinge  be- 
darf, um  ihr  Vorhandensein  zu  bemerken.  Es  ist  daher  auch  bei  der  Schulung 
des  zukünftigen  Forstwirtes  vor  allem  darauf  zu  achten,  daß  er  mit  den  ersten 
Kennzeichen  einer  beginnenden  Kalamität  gut  vertraut  wird;  denn 
rechtzeitiges  Erkennen  ist  schon  die  halbe  Bekämpfung.  Stets  hat 
der  Forstmann  bei  seinen  Gängen  durch  das  Revier  das  Insektenleben  scharf 
im  Auge  zu  behalten,  und  doppelte  Aufmerksamkeit  ist  dann  geboten, 
wenn  eine  stärkere  Vermehrung  eines  für  ihn  in  Betracht  kommen- 
den Schädlings  aus  anderen  Gegenden  gemeldet  wird  (vgl.  das  oben 
über  die  Schädlingsperioden  gesagte)  oder  Umstände  eingetreten  sind,  welche 
die  Insektenvermehrung  überhaupt  begünstigen,  wie  z.  B.  abnorm  heiße  und 
trockene  Sommer,  Wind-  und  Schneebrüche,  Raupenfraß,  Rauchschäden  usw. 
Um  ganz  sicher  zu  gehen,  wird  er  in  solchen  Fällen  event.  Probefänge  (mit 
Fackeln  oder  Leimringen,  oder  Prellen  mit  unterhaltenen  Tüchern  usw^)  vor- 
nehmen. 

„So  schwierig  und  zeitraubend  diese  Orientierung  auf  den  ersten  Blick  er- 
scheinen mag,  so  gestalten  sich  die  Verhältnisse  in  der  Praxis  doch  viel  ein- 
facher. Der  einzelne  Wirtschafter  hat  meist  relativ  einförmige  Verhältnisse, 
vor  allem  nur  wenig  Hauptholzarten.  In  ihnen  aber  ist  für  eine  bestimmte 
Gegend  die  Zahl  der  wirklich  gefährlichen  Insektenarten  keine  allzu  große,  so 
daß  es  sich  meist  nur  um  die  kontrollierende  Beobachtung  eines  oder  anderthalb 
Dutzend  von  Arten  handeln  wird"  (N  ü  ß  1  i  n). 


314         Kapitel  VII.     f^ntstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 

Ein  klassisches  Beispiel  dafür,  was  durch  rechtzeitige  Erkennung  und  recht- 
zeitiges Ergreifen  von  Gegenmaßregeln  erreicht  werden  kann,  liefert  die  Be- 
kämpfung der  letzten  Nonnenkalamität  in  Sachsen.  Dadurch,  daß  man  schon  bei 
einem  ganz  geringen  Befall  (teilweise  schon  bei  150  Eier  pro  Stamm!)  mit  Voll- 
leimung  vorging,  gelang  es,  die  Nonne  so  in  Schach  zu  halten,  daß  nur  auf  ganz 
minimalen  Flächen  Kahlfraß  eingetreten  ist,  während  in  anderen  Gegenden,  wo 
man  zu  einem  weit  späteren  Zeitpunkt  zur  Leimung  griff,  große  Zerstörungen 
erfolgten  (P  u  t  s  c  h  e  r). 

Auf  die  Merkmale  der  beginnenden  Insektenvermehrungen  im 
einzelnen  hier  einzugehen,  würde  zu  weit  führen,  zumal  im  speziellen  Teil 
bei  Besprechung  der  verschiedenen  Forstschädlinge  dieser  Punkt  besondere 
Berücksichtigung  finden  wird.  Es  sei  hier  nur  kurz  erwähnt,  daß  neben  den 
direkten  Kennzeichen,  wie  z.  B.  Bohrmehl  und  Harzerguß  an  den 
Stämmen,  Raupenkot,  abgebissene  Nadeln,  befressene  Blätter,  Lichterwerden 
der  Krone,  Verfärbung  der  Nadeln  usw.,  auch  noch  indirekte  Kenn- 
zeichen uns  mitunter  zur  Verfügung  stehen,  die  uns  auf  das  Vorhandensein 
von  Schädlingen  aufmerksam  machen  können.  Dazu  gehört  z.  B.  die  auf- 
fallende Vermehrung  leicht  sichtbarer  Parasiten  oder  Raubinsekten  (wie 
Tachinen  oder  Kletterlaufkäfer  usw.),  oder  insektenfressender  Vögel  oder 
Säugetiere.  So  hat  Altum  auf  die  zunehmende  Häufigkeit  des  Kuckucks  im 
Falle  einer  ausbrechenden  Raupenkalamität  hingewiesen,  auch  die  Tätigkeit 
des  Spechtes  kann  zur  Entdeckung  von  verborgenlebendcn  Schädlingen 
führen,  und  das  Erscheinen  zahlreicher  Maulwurfshaufen  kann  uns  die  Zu- 
nahme von  Engerlingen  oder  anderen  Erdinsekten  verraten. 

Die  Bekämpfung  kann  auf  verschiedenen  Wegen  versucht  werden, 
entweder  auf  biologischem  Wege,  indem  man  sich  der  natürlichen  Feinde 
des  Schädlings  bedient,  dieselben  nach  Kräften  schont  und  womöglich  künst- 
lich zu  vermehren  und  zu  verbreiten  sucht,  oder  auf  technischem  Wege, 
indem  man  dem  Schädling  direkt  zu  Leibe  geht  und  ihm  mit  allen  möglichen 
mechanischen  und  chemischen  Mitteln  (Spritzgiften,  Fangapparaten,  Leim- 
gürteln usw.)  zu  vernichten  sucht. 

Die  biologische  und  technische  Bekämpfung  schließen  einander  keines- 
wegs etwa  aus,  sondern  können  recht  wohl  auch  kombiniert  angewandt 
werden,  ebenso  wie  die  beiden  mit  den  eingangs  erwähnten  kulturellen  Be- 
gegnungsmethoden verbunden  werden  können. 

Die  „biologische  Methode"  steht  der  kulturellen  sowohl  bezügl.  der 
Wirkung  als  der  Grundlagen  ziemlich  nahe.  Denn  wie  diese,  so  läuft  auch 
jene  auf  eine  Unterstützung  der  natürlichen  Faktoren  hinaus,  und  auch  die 
Wirkung  der  biologischen  Bekämpfung  ist,  wenn  auch  nicht  so  radikal  wie 
die  der  kulturellen  (deren  höchstes  Ziel  der  Entzug  der  nötigen  Lebens- 
bedingungen des  Schädlings  ist),  so  doch  langatmiger  und  tiefgehender  als 
bei  der  technischen.  Wir  können  daher  die  beiden  Methoden  als  die  „natür- 
lichen Bekämpfungsmethoden"  bezeichnen,  zumal  ja  beide  vielfach  auch 
ineinander  greifen  (wenn  z.  B.  im  Interesse  von  insektenfressenden  Vögeln 
oder  Parasiten  gewisse  kulturelle  Maßnahmen  notwendig  werden).  Die  bio- 
logische Methode  erfordert  das  eingehendste  Studium  der  Biologie  und  Physio- 
logie nicht  nur  des  Schädlings,  sondern  auch  aller  seiner  natürlichen  Feinde, 


Die  kulturellen  Vorbeugungsmaßregeln.  315 

ein  Studium,  welches  ungemein  zeitraubend  ist  und  eines  großen  wissen- 
schaftlichen Apparates  bedarf. 

Die  „technische  Bekämpfung"  ist  zweifellos  kurzatmiger,  insofern 
als  sie  gewöhnlich  nicht  der  Grundursache  des  Übels,  sondern  lediglich  dem 
Übel  selbst  zu  Leibe  geht.  Die  Erfolge  sind  Augenblickserfolge.  Handelt 
es  sich  daher  um  von  Natur  relativ  kurze  Kalamitäten,  so  kann  die  technische 
Bekämpfung  zweifellos  Ausgezeichnetes  leisten;  je  schwerer  aber  die  Gleich- 
gewichtsstörung ist  und  je  länger  die  Kalamität  währt,  desto  problematischer 
wird  jene  Bekämpfung  werden.  Jedenfalls  muß  sie  dann  immer  wieder  von 
Jahr  zu  Jahr  (oder  wenigstens  von  Zeit  zu  Zeit)  wiederholt  werden.  Dabei 
dürfen  wir  nicht  übersehen,  daß  dadurch  event.  auch  die  natürlichen  Heil- 
faktoren ungünstig  beeinflußt  werden  können,  wenn  nämlich  mit  der  Ver- 
nichtungsaktion auch  die  natürlichen  Feinde  des  Schädlings  entfernt  werden, 
was  auf  die  Wiederherstellung  des  Gleichgewichtes  verzögernd  wirken  kann. 

Trotzdem  werden  wir  die  technische  Bekämpfung  niemals  ganz  ent- 
behren können,  sie  wird  vielmehr  stets  eine  hervorragende  Rolle  in  der 
Schädlingsbekämpfung  spielen.  Es  wird  aber  sicherlich  eine  Zeit  kommen, 
in  der  die  biologische  Methode  ihr  wenigstens  ebenbürtig  ^ur  Seite  stehen 
und  sie  vielleicht  auch  aus  manchen  Plätzen  verdrängen  wird.  Vor  allem 
wird  zu  versuchen  sein,  in  solchen  Fällen  die  biologische  Methode 
heranzuziehen,  in  denen  die  technische  Bekämpfung  bei  hohen 
Kosten  nur  zweifelhafte  Erfolge  zeitigt. 

Wir  werden  im  folgenden  eine  kurze  allgemeine  Übersicht  über 
die  hauptsächlichsten  Grundsätze  der  genannten  Vorbeugungs-  und  Be- 
kämpfungsmethoden geben,  und  zwar:  1.  der  kulturellen  Vorbeugung,  2.  der 
biologischen  und  3.  der  technischen  Bekämpfung. 

1.  Die  kulturellen  Vorbeugungsmaßregeln. 

(Von  Prof.  Dr.  W.  Borgmann-Tharandt.) 

a)  Allgemeine  Grundsätze. 

Dem  modernen  Wirtschaftswald  sind  die  verschiedenartigsten,  im  Wechsel 
der  Zeiten  und  ihrer  Anschauungen  entstandenen  Betriebssysteme,  die  nur 
zu  oft  extremen  Richtungen  ihre  Entstehung  verdankten,  wie  ein  unaus- 
löschlicher Stempel  aufgedrückt.  Nicht  jedes  System  wird  der  Forderung 
von  Vorbeugungsmaßnahmen  gegen  Insektenschäden  gerecht.  Berücksichtigt 
man  die  Entwicklungsgeschichte  unserer  noch  jungen  Forstwirtschaft,  die  auf 
kaum  mehr  als  ein  Jahrhundert  geordneter  Pflege  zurückblicken  kann, 
so  ist  es  zumal  bei  den  langen  Produktionszeiträumen  der  Waldwirtschaft, 
die  meist  erst  kommenden  Geschlechtern  die  Entscheidung  über  den  Erfolg 
von  Maßnahmen,  die  wir  heute  treffen,  vorbehalten,  verständlich,  wenn  bald 
die  natürlichen  Produktionsfaktoren  unter  Betonung  der  Aufgaben  der  St  and - 
ortspflege  und  des  Waldbaues,  bald  die  ökonomischen  Erwägungen  vom 
Standpunkt  der  Forsteinrichtung  und  forstlichen  Statik  zur  Vorherrschaft 
gelangten,  nicht  immer  zum  Nutzen  des  V/aldes,  nur  zu  häufig  unter  Ver- 
kennung der  wichtigsten  Vorbeugungsmaßnahmen  im  Kampf  gegen 
die  Schäden  aus  der  Insektenwelt. 


316         Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 

Geschichtlich  ist  eine  der  älteren  Auffassungen  aus  W.  G.  Mosers  „Grund- 
sätzen der  Forstökonomie"  1757,  II.  Bd.  2.  Kap.  §  31,  S.  569  interessant,  woselbst 
zu  lesen  ist: 

„Raupen  und  Käfer  thun  auch  öfters  großen  Schaden,  und  zwar  eigent- 
lich denen  Laubhölzern,  besonders  den  Eichen.  Sie  gehören  zu  denen  allgemeinen 
Land-Strafen,  und  ist  noch  zur  Zeit  kein  Mittel  dagegen  bekannt;  dann  das  Ab- 
lesen, so  leicht  solches  an  sich  wäre,  würde  Kosten  und  Umstände  erfordern, 
welche  den  verhoffenden  Nutzen  weit  übersteigen." 

Aber  bereits  zu  Ende  des  18.  Jahrhunderts,  nachdem  im  Jahre  1783  im  Harz 
ein  bedeutender  Borkenkäferfraß,  in  den  Jahren  1791 — 94  in  der  Mark  Brandenburg 
ein  großer  Kiefernspinnerfraß  gewütet  hatte,  war  diese  uns  heute  unverständliche 
Auffassung  verlassen,  und  schon  lange  hat  sich  die  Überzeugung  Bahn  gebrochen, 
daß  der  Forstmann  den  Insektenschäden  zunächst  durch  V  o  r  b  e  u  g  u  n  g  s  m  a  ß- 
regeln   entgegenwirken  muß. 

Mag  es  vielfach  die  mangelnde  Kenntnis  über  die  Entstehungsursachen 
und  den  Verlauf  größerer  Insektenkalamitäten  gewesen  sein,  die  eine  In- 
angriffnahme grundlegender  Maßnahmen  häufig  wieder  vereitelte,  so  ließ  vor 
allem  die  einseitige  Betonung  einer  bestimmten  ökonomischen  oder 
waldbaulichen  Richtung  die  Bedeutung  des  Forstschutzes  nicht  in  dem 
Maße  zur  Geltung  kommen,  wie  er  es  tatsächlich  verdient. 

Denn  wo  bleibt  das  bestdurchdachte,  in  Zeiten  ungestörter  Entwicklung 
zu  den  erfreulichsten  Hoffnungen  berechtigende  waldbauliche  Verfahren, 
wo  das  kunstvollste  Gebäude  der  Forsteinrichtung,  wo  die  feinste  Berechnung 
einer  höchsten  Rentabilität,  wenn  Kalamitäten  über  den  Wald  herein- 
brechen und  ihm  ein  völlig  verändertes  Gepräge  geben,  das  auf 
lange  Zeit  hinaus  alle  Pläne  wieder  über  den  Haufen  wirft? 

Gegen  Sturm  und  Feuer  hat  man  die  Wälder,  wo  diese  Gefahren, 
wie  namendich  im  reinen  Fichten-  und  Kiefernhochwald  eine  erheblichere 
Rolle  spielen,  durch  entsprechende  Maßnahmen,  wie  z.  B.  der  Sturmrichtung 
Rechnung  tragende  Hiebszüge  und  Loshiebe,  oder  eine  der  Verbreitung  von 
Waldbränden  entgegenwirkende  Trennung  der  Altersklassen  und  durch  Feuer- 
schutzstreifen gesichert.  In  Schneebruchlagen  wählt  man  weitere  Pflanz- 
verbände und  bevorzugt  frühzeitig  einsetzende,  stärkere  Durchforstungen  zur 
Erziehung  gleichmäßig  bekrönter,  widerstandsfähiger  Stämme,  man  zieht  dort 
die  Provenienz  der  Gebirgskiefer  mit  fichtenartiger  Kronenausbildung  der 
breitästigen  Flachlandskiefer  vor,  ebenso  wie  man  bestrebt  ist,  für  die  Fichte 
in  Hochlagen  auch  nur  wiederum  Samen  aus  Hochlagen  zu  verwenden. 
Handelt  es  sich  um  Frostlagen,  so  baut  man  frostharte  Holzarten  an  oder 
mischt  sie  als  Schutzholz  der  im  übrigen  standortsgemäßen  Holzart  bei, 
endlich  wählt  man  die  Schirmschlagverjüngung,  sei  es  auf  natürlichem 
oder  künstlichem  Wege.  Kurzum  man  ist  bestrebt,  ebensowohl  durch  gegen- 
wärtig nützliche  Hilfen  wie  weitvorausschauende  Maßnahmen  den  Gefahren 
der  genannten  Art  vorzubeugen. 

Wie  sehr  treten  hiergegen  die  Maßnahmen,  welche  als  Gegen- 
gewicht gegen  Insektenschäden  dienen  sollten,  zurück. 

An  Ansätzen  mannigfaltiger  Art,  aber  meist  nur  bescheideneren 
Umfanges  und  rein  örtlicher  Natur,  hat  es  gewiß  nicht  gefehlt.  Oft 
lassen    auch    die    besonderen    standörtlichen    Verhältnisse    Vorbeugungsmittel 


Die  kulturellen  Vorbeugungsmaßregeln.  317 

größeren  Umfanges  schwer  durchführbar  erscheinen.  Man  braucht  hierbei 
nur  an  die  ausgedehnten  reinen  Kiefernbestände  in  vielen  Teilen  des  nord- 
deutschen Diluvialgebietes  zu  denken,  wo  auf  weite  Strecken  die  Kiefer  als 
die  allein  anbaufähige  Holzart  in  Frage  kommt,  wo  zudem  bei  mangelnder 
Naturverjüngung  noch  auf  lange  Zeit  hinaus  der  Kahlschlag  und  die  künst- 
liche Kultur  die  herrschende  Verjüngungsmethode  bleiben  wird.  Mit  dem 
oft  gehörten  Mittel  gemischter  Bestände,  der  Naturverjüngung  oder  gar  des 
Plenterwaldes  ist  hier  nicht  viel  anzufangen. 

Die  klimatischen  und  standörtlichen  Verhältnisse  des  deutschen  Waldes 
sind  zu  verschieden,  als  daß  mit  Mitteln,  die  überall  gleich  durchführbar  und 
erfolgreich  wären,  etwas  erreicht  werden  könnte. 

Was  in  klimatisch  bevorzugten  Teilen  des  süddeutschen  Mittel- 
gebirges möglich  ist,  wo  die  Natur  in  unerschöpflicher  Fülle  die  natürliche 
Verjüngung  wie  ein  freies  Geschenk  bietet,  wo  mehrere  Holzarten  auf  dem 
gleichen  Standort  gutes  Gedeihen  finden  und  zwanglos  zum  gemischten 
Walde  führen,  das  kann  nicht  auch  in  den  Kienheiden  Posens  oder  West- 
preußens zum  Wirtschaftsziel  werden.  Und  doch  lassen  auch  im  nord- 
deutschen Flachland  so  manche  Mischbestandsbilder  von  Kiefer,  Buche 
und  Eiche  auf  besseren  Böden  die  Sicherung  des  Waldes  gegen  die  ihm 
drohenden  Gefahren  aus  der  Insektenwelt  aussichtsvoller  erscheinen. 

Andererseits  treten  bei  bestimmten  Insekten,  wie  z.  B.  beim  Kiefern- 
spinner und  großen  braunen  Rüsselkäfer,  deren  unmittelbare  technische 
Bekämpfung  in  der  Regel  von  durchschlagendem  Erfolg  begleitet  ist  — 
Leimring  bezw.  Käfergraben  und  eine  vom  Frühjahr  bis  zum  Herbst  syste- 
matisch durchgeführte  Bekämpfung  mit  Fangknüppeln  — ,  die  Vorbeugungs- 
maßnahmen rein  kultureller  Natur  mehr  in  den  Hintergrund. 

Alle  diese  Erwägungen  können  aber  nicht  dazu  führen,  die  Forderung 
der  Verhütung  von  Insektenkalamitäten  durch  entsprechende  Maßnahmen  der 
Wirtschaftsführung  als  minder  bedeutungsvoll  aufzufassen,  weil  die  Durch- 
führung teils  schwierig  erscheint,  teils  weil  förmliche  Katastrophen  anscheinend 
doch  nicht  abgewendet  werden  können. 

Ebensogut  könnte  man  auch  in  der  Frage  der  Sturmgefahr  sagen,  daß 
bei  meist  von  Westen  oder  Südwesten  her  zu  erwartenden  Stürmen  die  von 
Ost  gegen  West  oder  von  Nordost  gegen  Südwest  geführten  Hiebs- 
züge zwar  in  der  Regel  einen  ausreichenden  Schutz  böten,  daß  aber  trotzdem 
einmal  ein  Sturm  aus  Nord,  Nordost  oder  Ost  das  ganze  Gebäude  wieder 
über  den  Haufen  werfen  könnte,  und  daher  jegliche  Vorbeugung  doch  wieder 
nutzlos  wäre. 

Es  wäre  unrichtig,  aus  solchen  Gründen  die  Hände  in  den  Schoß  legen 
zu  wollen  und  jene  großen  Kalamitäten,  wie  sie  der  deutsche  Wald  schon 
genügsam  hat  erleben  müssen,  über  sich  ergehen  zu  lassen,  wie  man  dies 
heute  leider  des  öfteren  hören  kann. 

Erst  in  jüngster  Zeit  ist  anläßlich  der  großen  Nonnenkalamität  in 
Ostpreußen,  der  Millionen  von  Festmetern  meist  noch  in  gutem  Zu- 
wachs   stehender   Hölzer  zum  Opfer   fielen,   das   Wort  gefallen,   daß   so   ein 


318         Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 

„kräftiger  Aderlaß"    dem   großen   Staatsforstbesitz  Preußens    nicht   sonderlich 
geschadet  habe! 

Auch  von  der  Bekämpfung  des  Kiefernspinners  kann  man  hören,  man 
solle  erst  dann  leimen,  wenn  es  sich  um  die  Existenzfrage  der  befallenen 
Bestände  handele.  Würden  diese  nur  stark  befressen,  so  möge  man  den 
Zuwachsverlust  und  den  Abgang  eines  Teils  der  Bestockung  lieber  in  Kauf 
nehmen,  als  die  in  der  Regel  höheren  Kosten  des  Leimens  aufwenden. 

Wird  dann  aber  nicht  der  Massenvermehrung  in  solchem  Maße  Vor- 
schub geleistet,  daß  schließlich  doch,  nach  bereits  mehrjährigen  Zuwachs- 
verlusten, geleimt  werden  muß,  um  die  Bestände  vor  dem  sicheren  Untergang 
zu  retten?  Und  kann  dann  die  Kalamität  nicht  zu  einem  solchen  Umfang 
angewachsen  sein,  daß  zuletzt  die  menschlichen  Kräfte  nicht  mehr  ausreichen, 
sie  überhaupt  noch  wirksam  zu  bekämpfen?  Rechtzeitig  den  Kampf  auf- 
nehmen, heißt  in  weitestem  Sinne  vorbeugen. 

Die  Erhaltung  der  Bestände  durch  Mittel  der  technischen  Be- 
kämpfung des  Schädlings  im  ersten  Stadium  seiner  Vermehrung  ist  eins  der 
wichtigsten  kulturellen  Vorbeugungsmittel.  Namentlich  bei  Nonnenkalami- 
täten sollte  man  nicht  resigniert  zusehen,  weil  die  Leimung  bei  schon  aus- 
gedehntem Fraß  keinen  Erfolg  mehr  bringt,  sondern  rechtzeitig  mit  Aufbietung 
aller  Kräfte  den  Kampf  beginnen,  dadurch  einer  Katastrophe  vorbeugend, 
wie  dies  bei  der  jüngsten  Nonnenkalamität  in  Sachsen  durchgeführt  wurde. 
Mögen  auch  die  Ansichten  über  die  in  Sachsen  hervorgetretenen  Erfolge 
des  Leimens  gegen  die  Nonne  geteilt  sein,  mögen  günstige  Umstände  mit- 
gewirkt haben,  ein  gewisser  Erfolg  wird  der  rechtzeitig  in  Sachsen  einge- 
leiteten Bekämpfung  nicht  streitig  gemacht  werden  können. 

Wir  sehen  in  einem  rechtzeitig  aufgenommenen  Kampf  ein  wesent- 
liches Vorbeugungsmittel:  Es  ist  nicht  ein  Teilstück,  nicht  nur  der  Anfang 
einer  technischen  Bekämpfung,  sondern,  wie  schon  gesagt  wurde,  bereits  eine 
Verhütungsmaßnahme  kultureller  Natur. 

Durch  rechtzeitig  eingeleitete,  oft  auch,  wie  z.  B.  beim  großen  braunen 
Rüsselkäfer,  ständig  fortgesetzte  Bekämpfung  verringert  man  die  Stärke  des 
Fraßes,  man  zieht  die  Kalamität  hin,  gewinnt  damit  an  Zeit  und  gibt  den 
Beständen  die  Möglichkeit,  sich  immer  wieder  neu  zu  kräftigen, 
wenn  ihnen  wenigstens  ein  größerer  Teil  ihrer  wichtigsten  Lebensorgane 
von  einem  Jahr  zum  anderen  erhalten  bleibt. 

Die  Erhaltung  der  Bestände,  zumal  der  mittleren  und  jüngeren 
Altersstufen,  die  noch  im  besten  Zuwachs  stehen,  ist  ein  dringendes 
Gebot,  das  durch  eine  Rechnung,  daß  die  Kosten  der  Gegenmaß- 
nahmen etwa  größer  seien,  als  der  dadurch  verhinderte  Zuwachs- 
verlust, nicht  erschüttert  werden  kann. 

Solche  Bestände,  wie  wir  sie  hier  im  Auge  haben,  sind  unentbehrlich 
für  den  Aufbau  unseres  heutigen  Wirtschaftswaldes,  sie  sind  ein 
werbendes  Betriebskapital,  das  wir  ohne  ernstliche  Gefährdung  der  Stetigkeit 
und  Nachhaltigkeit  der  Wirtschaft  nicht  missen  können. 


Die  kulturellen  Vorbeugungsmaßregeln.  319 

Mit  der  Vernichtung  ausgedehnter  Bestände  ist  aber  der  Verlust  noch 
nicht  erschöpft.  Auf  den  großen  Kahlflächen  folgt  in  jahrelangem  Mühen  die 
Neuaufforstung  mit  dem  nur  allzuhäufigen  Kulturelend,  das  Dürre,  Boden- 
verangerung,  Graswuchs  und  ein  ganzes  Heer  von  kulturverderbenden  Insekten 
heraufbeschwört. 

Wir  stehen  auf  dem  Standpunkt,  daß  in  der  ersten  Entwicklung- 
begriffene  Massenvermehrungen  aus  den  angegebenen  Gründen  vor- 
beugend bekämpft  werden  müssen. 

Ob  die  Kosten  in  einem  richtigen  Verhältnis  zu  dem  verhinderten  mut- 
maßlichen Zuwachsverlust  stehen,  kommt  so  lange  nicht  in  Frage,  als  es  noch 
gilt,  eine  förmliche  Katastrophe  zu  verhindern.  Ist  diese  erst  hereingebrochen, 
dann  sollte  die  Anwendung  untauglicher  Mittel  —  wie  z.  B.  die  Leimung  bei 
einer  schon  ausgedehnten  Nonnenkalamität  —  besser  unterbleiben.  Aber 
auch  erst  dann  ist  man  berechtigt,  die  Ergreifung  von  Gegenmaßnahmen 
zu  unterlassen  und,  wie  zuletzt  in  Preußen,  den  Kampf  gegen  die  Nonne 
gänzlich  aufzugeben. 

Es  ist  zwar  ein  gewisser  Trost,  daß  bei  der  heutigen  günstigen  Holz- 
konjunktur solche  Kalamitätshölzer  —  das  hat  der  Spannerfraß  in  der  Letz- 
linger  Heide  1899—1903,  der  Schneebruch  vom  Jahre  1903  in  Schlesien, 
Brandenburg  usw.,  der  letzte  Nonnenfraß  in  Ostpreußen  1907 — 1910  bewiesen 
—  noch  leidlich  gut,  z.  T.  sogar  recht  günstig  verwertet  werden 
können.  Denn  Deutschland  ist  zur  Deckung  seines  Bedarfs  auf  den  Bezug 
von  jährlich  nicht  weniger  als  14  Millionen  Festmeter  für  Nutzholz  vom  Aus- 
lande angewiesen.  Die  gute  Verwertung  der  eingeschlagenen  Hölzer  mildert 
einigermaßen  das  trübe  Bild  der  Katastrophe.  Man  soll  sich  aber  darum 
nicht  der  angenehmen  Selbsttäuschung  hingeben,  daß  eine  große  Kalamität 
im  Hinblick  auf  die  reichlich  fließenden  Summen  aus  der  Holzverwertung  gar- 
nicht  so  schlimm  sei,  wie  sie  aussähe.  Der  „Aderlaß"  bringt  freilich  steigende 
Reinerträge.  Der  Forstetat  sieht  fast  glänzend  aus.  Dem  Finanzminister  sind 
die  größeren  Überschüsse,  die  ihm  die  Nonne  ablieferte,    nicht   unerwünscht. 

Aber  der  Wald  hat  es  geben  müssen.  Es  waren  nicht  bloße  Renten, 
es  steckten  große,  für  den  Wald  unentbehrliche  Kapitalwerte  darin.  Werden 
sie  ihm  gutgeschrieben?     Oder  verschwinden  sie  in  den  jährlichen  Etats? 

Im  Bestand  der  Altersklassen  ist  eine  klaffende  Lücke,  die  sich  später, 
wenn  nicht  sogar  bald  schon  heute  empfindlich  fühlbar  machen  muß.  Zum 
mindesten  gehören  solche  dem  Wald  unfreiwillig  entzogene  Kapitalwerte 
in  einen  Forstreservefonds. 

Wertvoller  ist  die  Verhütung  großer  Verluste  im  Vorratskapital  der 
Bestände  durch  gute  Voibeugung.  Eine  wohlgeordnete  Forstwirtschaft,  die 
scharf  zwischen  Kapital  und  Rente  unterscheidet,  die  auf  die  Stetigkeit  und 
Nachhaltigkeit  der  Wirtschaft  Wert  legt,  kann  nicht  achtlos  an  der 
Forderung  energischer  Vorbeugungsmaßnahmen  gegen  Insekten- 
verheerungen vorübergehen..  Der  Wille  zur  Tat  und  die  Mittel  zur 
Ausführung  müssen  vorhanden  sein.  Wäre  am  Ende  nicht  ein  Forstresei-ve- 
fonds,  dem  auch  die  Summen,  die  eine  Kalamität  einbrachte,  zugeführt  werden, 
neben    seinen    zahlreichen    sonstigen    Aufgaben    dazu    berufen,    jederzeit    die 


320         Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 

Mittel  zu  gewähren,  die  in  das  Kapitel  „Vorbeugung  und  Bekämpfung  von 
Insektenkalamitäten"  gehören  ? 

Wenn  erst  die  angewandte  Entomologie,  wie  dies  Escher  ich  i)  mit 
Recht  fordert,  auch  in  Deutschland  auf  eine  breitere  Grundlage  gestellt  wird, 
wenn  durch  umfassende  und  wohlorganisierte,  unablässige  Arbeit  unser 
Wissen  von  der  Entstehung  und  -dem  Verlauf  von  Massenvermehrungen  ver- 
vollkommnet wird,  dann  wird  auch  im  Walde  mehr  als  seither  das 
Interesse  den  auf  kulturellem  Gebiet  liegenden  Vorbeugungsmaß- 
nahmen gegen  Insektengefahren  sich  zuwenden. 

Die  seitherigen  Erörterungen  haben  die  Bedeutung  und  Tragweite  der 
Entschließungen  auf  dem  Gebiet  der  vorbeugenden  Maßnahmen  dargetan. 

Wie  wenig  oft  nach  dieser  Richtung  der  Blick  im  Walde  geschärft  war 
und  noch  heute  ist,  das  beweist  die  Geschichte  des  Waldes  im  letzten  Jahr- 
hundert, das  beweisen  noch  manche  Anzeichen  unserer  heutigen  Wirtschafts- 
führung, auf  die  im  folgenden  näher  eingegangen  werden  soll. 

b)  Die  besonderen  Maßnahmen. 

Wenn  die  nachhaltige  Erzeugung  wertvollsten  Holzzuwachses  an  einem 
nach  Bestandesdichte  und  Produktionszeitraum  auf  sein  günstigstes  Maß 
zurückgeführten  Holzvon-atskapital  das  Ziel  jeder  wohlgeordneten  Forst- 
wirtschaft bildet,  so  müssen  zunächst  alle  Maßnahmen  des  Betriebes  auf  eine 
so  vollkommen  und  zugleich  naturgemäß  als  möglich  gestaltete  Ausnutzung 
der  natürlichen  Produktionsfaktoren  gerichtet  sein. 

Die  Pflege  des  Standorts  und  die  Erhaltung  der  standorts- 
gemäßen Holzart  bezw.  Holzartenmischung  steht  in  erster  Linie.  Dem- 
nächst bildet  eine  frühzeitig  begonnene,  intensive  Bestandspflege,  welche 
auf  die  Förderung  der  nach  Schaft-  und  Kr-onenbildung  bestveranlagten 
Stammindividuen  gerichtet  ist,  die  sicherste  Gewähr  für  die  Erziehung  nicht 
nur  zuwachsfreudiger,  sondern  auch  gesunder  und  widerstandsfähiger 
Bestände.  Eine  möglichst  naturgemäß  gestaltete,  durch  die  Bestandeser- 
ziehung von  langer  Hand  her  verbreitete  Verjüngung,  die  auf  eine  möglichst 
vollkommene  Ausnutzung  der  natürlichen  Ansamung  abzielt,  bildet  den 
Schlußstein  im  Aufbau  der  wirtschaftlichen  Maßnahmen,  denen  ein  Bestand 
in  der  Zeit  von  der  Saat  bis  zur  Ernte  unterworfen  wird.  Im  geordneten 
Betriebsganzen  des  Waldes  vollziehen  sich  gleichzeitig  nebeneinander  die 
Maßnahmen,  die  im  Einzelbestand  in  zeitlichen  Abständen  sich  folgen. 

Die  rein  finanziellen  Erwägungen  über  das  günstigste  Maß  der  Bestands- 
dichte und  des  Produktionszeitraumes  decken  sich  mit  den  Forderungen  des  natür- 
lichen Prinzips  hinsichtlich  der  Maßnahmen  der  Bodenpflege,  der  Methode  der 
Bestandserziehung  und  des  günstigsten  Zeitpunktes  der  Bestandsverjüngung.^) 

1)  Die  angewandte  Entomologie  in  den  Vereinigten  Staaten.  Berlin  1913, 
Paul  Parey.  Als  erster  Erfolg  der  Anregungen  ist  die  Gründung  einer  „Deutschen 
Gesellschaft  für  angewandte  Entomologie"  hervorzuheben,  die  ihre  1.  Jahresver- 
sammlung in  Würzburg  vom  21. — 25.  Oktober  1913  unter  dem  Vorsitz  des  Prof. 
Dr.  E  s  c  h  e  r  ic  h  -  Tharandt  abhielt. 

2)  Vgl.  Borgmann,  Über  die  Beziehungen  zwischen  dem  natürlichen  und 
ökonomischen  Prinzip  in  der  Forstwirtschaft  (Antrittsrede,  gehalten  den  24.  Mai 
1911,  am  100  jährigen  Gedenktage  an  Heinrich  Cottas  Einzug  in  Tharandt). 
Tharandter  Forstliches  Jahrbuch,  Jahrg.  1911,  62.  Bd.,  Heft  1,  S.  101. 


Die  kulturellen  Vorbeugungsmaßregeln.  321 

Wird  das  natürliche  und  ökonomische  Prinzip  im  Hinblick  auf  die 
Ziele  und  Aufgaben  des  heutigen  Wirtschaftswaldes  in  allen  Konsequenzen 
korrekt  erfaßt,  so  besteht  zwischen  beiden  Richtungen,  von  denen  die 
eine  auf  naturwissenschaftlicher,  die  andere  auf  mathematischer 
Grundlage  ruht,  kein  Zwiespalt,  vielmehr  vereinigen  sich  beide  zu  einer 
Resultante,  die  nach  Richtung  und  Stärke  dem  erstrebten  wirtschaftlichen 
Erfolg  am  vollkommensten  entspricht. 

Auch  die  Fragen  des  Forstschutzes,  namentlich  was  die  hier  zu  er- 
örternden Vorbeugungsmaßnahmen  im  Kampfe  gegen  Insekten- 
kalamitäten betrifft,  werden  alsdann  in  grundlegender  Beziehung  am 
besten  gelöst. 

Jede  einseitige  Betonung  bald  des  einen,  bald  des  anderen  Prinzips, 
besonders  aber  eine  irrige  Auffassung  über  das  Wesen  und  die  Bedeutung 
der  natürlichen  Produktionsfaktoren  einerseits,  der  ökonomischen  Ziele 
andererseits,  hat  noch  stets  zu  extremen  Maßnahmen,  bald  auf  dem  Gebiet 
des  Waldbaues,  bald  der  Forsteinrichtung  und  damit  zu  einer  Kluft 
zwischen  diesen  beiden  wichtigsten  Gebieten  des  forstlichen  Betriebs  geführt. 
Gleichzeitig  hiermit  wurden  auch  die  Aufgaben  des  Forstschutzes,  nicht  zu- 
letzt auf  dem  Gebiet  der  Verhütung  von  Insektenschäden,  am  un- 
vollkommensten erfüllt,  ja  sogar  viele  Kalamitäten  damit  förmlich  herauf- 
beschworen. 

Nicht  der  moderne  Wirtschaftswald  an  sich  leistet  der  In- 
sektenvermehrung" Vorschub,  sondern  die  in  ihm  vertretenen 
extremen  Richtungen  solcher  Wirtschaftssysteme,  die  von  dem 
natürlichen  Prinzip  sich  am  weitesten  entfernen  und  damit  zu- 
gleich auch  dem  vollen  ökonomischen  Erfolg  auf  die  Dauer  nicht 
gerecht  zu  werden  vermögen. 

Die  Geschichte  des  deutschen  Waldes  und  noch  viele  seiner  heutigen 
Wirtschaftsbilder  liefern  dafür  Belege. 

Zunächst  wird  eine  nicht  Standorts  gern  äße  Holzart  mehr  oder 
minder  hinter  der  kraftvollen  Entwicklung  zurückbleiben,  die  sie  in  ihrer 
eigentlichen  Heimat  oder  auf  solchen  Standorten  zeigt,  die  den  heimatlichen 
Bedingungen  gleich  oder  nahe  stehen.  Dadurch  wird  aber  ihre  Widerstands- 
kraft beeinträchtigt,  sie  wird  empfänglich  für  eine  ganze  Reihe  von  Krank- 
heiten und  Schäden,  bietet  dadurch  der  Massenvermehrung  schädlicher 
Insekten  günstige  Vorbedingungen  und  erliegt  oft  schon  dem  ersten  stärkeren 
Ansturm  ihrer  Feinde. 

So  hat  man  sich  durch  die  hohen  Ertragsziffern  der  Fichte,  die  aber 
lediglich  ihren  Leistungen  auf  frischen  Gebirgsböden  und  in  Klimaten  mit 
höherer  Luftfeuchtigkeit  und  reichen  Niederschlagsmengen  entsprechen,  ver- 
leiten lassen,  diese  Holzart  in  reinen  Beständen  auch  auf  manche  Böden  des 
Plachlandes,  namentlich  die  diluvialen  Sand-  und  Lehmböden  zu  bringen,  auf 
denen  die  Kiefer  neben  der  Eiche  und  Buche  standortsgemäß  ist.  Nimmt 
schließlich  die  Fichte  in  solchen  Gebieten  größere  Flächen  in  reinen  Be- 
ständen ein,  dann  sind  bei  dem  außerdem  wärmeren  und  trockeneren  Klima 
die  günstigsten  Vorbedingungen   für  eine  Massen  Vermehrung   der  Nonne   ge- 

Escherich,  Forstinsekten.  21 


322         Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 

schaffen,  andere  Kalamitäten  kommen  hinzu,  wie  die  Folgen  von  Dürrejahren, 
ferner  auf  Standorten  mit  flachem  Grundwasserstand,  wie  z.  B.  vielerorts  in 
Oberschlesien  auch  die  Wind-  und  Schneebruchgefahr,  und  im  Gefolge  die 
Borkenkäfer. 

In  noch  viel  höherem  Maße  ist  die  Weißtanne  auf  Standorten,  die 
jenen  ihres  Heimatsgebietes  im  Schwarzwald  und  in  den  Vogesen  nicht  mehr 
entsprechen,  gefährdet. 

Ein  klassisches  Beispiel  bietet  die  Lärche,  wo  und  so  oft  sie  nur  auf 
Standorte  verpflanzt  wurde,  die  nach  Klima,  Lage  und  Boden  ihren  An- 
sprüchen nicht  genügen :  Krebs  und  Motte  bilden  hier  ihre  ständigen  Begleiter, 
die  ihre  Nachzucht   unmöglich  machen. 

Selbst  bei  der  Kiefer,  die  vom  ärmsten  Sand  bis  zum  nassen  Moor 
vorkommt,  kann  man  zumal  auf  ausgesprochenen  Laubholzböden  beobachten, 
daß  hier  die  Wickler  in  weit  stärkerem  Maße  und  Umfang  die  Deformation 
des  an  sich  schon  geil  gewachsenen,  ästigen  Schaftes  hervorrufen,  als  auf 
den  ihr  am  besten  zusagenden  reinen,  aber  frischen  Sandböden. 

Auch  die  Eiche  ist  auf  ihr  nicht  mehr  zusagenden  Böden  weit 
empfindlicher  gegen  Insektenbeschädigungen  als  auf  gutem  Standort. 

Weit  mehr  als  der  Anbau  der  einen  oder  anderen  Holzart  auf  ihr  nicht 
zusagendem  Standort  leistet  der  generelle,  auf  Kosten  der  weit  weniger  von 
Insekten  gefährdeten  Laubhölzer  erfolgende  reine  Nadel holzan bau  einer 
Massenvermehrung  zahlreicher  Insekten  Vorschub:  Nonne,  Kiefernspinner, 
Kiefernspanner,  Forleule,  Triebwickler,  Rüsselkäfer,  Borken-  und  Bastkäfer 
u.  a.  finden  dort  ihre  stärkste  Verbreitung- 

Die  Erhaltung  des  Laubholzes  auf  laubholzfähigen  Böden, 
zum  mindesten  als  Mischholz  im  Nadelholz,  ist  nicht  nur  ein  Ge- 
bot der  Bodenpflege,  sondern  auch  des  Bestandesschutzes  zur  Ab- 
schwächung  von  Insektenschäden. 

Die  schon  im  Interesse  der  Nachzucht  einer  Mehrheit  von  Holzarten 
liegende  Erhaltung  und  Ausdehnung  des  gemischten  Waldes,  der  je  nach 
dem  Standort  in  stetem  Wechsel  aus  reinen  wie  gemischten  Beständen  sich 
zusammensetzt,  bietet  zugleich  auch  die  sicherste  Gewähr  für  erfolg- 
reiche Vorbeugungsmaßnahmen  im  Kampfe  gegen  die  Massen- 
vermehrung der  gefährlichsten  Insekten.  Der  stete  Wechsel  in  der 
Zusammensetzung  der  Bestände,  die  getrennte  Lagerung  der  Altersklassen, 
Schirmschlag-,  Blenderschlag-  und  Saumschlagverjüngungen  führen  zu  einer 
räumlichen  Trennung  der  Fraßherde,  erleichtern  deren  rechtzeitige  Ent- 
deckung und  Bekämpfung,  verhindern  die  Ausdehnung  einer  Kalamität  auf 
große  zusammenhängende  Flächen,  und  selbst  bei  förmlichen  Katastrophen 
bleiben  im  gemischten  Wald  viele  Bestände  verschont,  andere  werden  nur 
beschädigt  und  können  erhalten  bleiben,  die  Niederlegung  großer  Flächen 
im  Zusammenhang  fällt  fort,  das  Waldbild  mag  sogar  stark  verändert  sein, 
doch  ist  es  nicht  völlig  zerstört. 

Ferner  bietet  die  Naturverjüngung  eine  weitaus  größere  Sicherheit 
allen  sogen.  „Kulturverderbern"  gegenüber,  als  die  Saat  oder  Pflanzung  nach 
vorausgegangenen  Kahlschlägen. 


Die  kulturellen  Vorbeugungsmaßregeln.  323 

Der  Rüsselkäfer  ist  in  den  meisten  reinen  Nadelholzgebieten  mit  Kahl- 
schlag und  künstlicher  Kultur  eine  ständige  Gefahr.  Wird  ihm  nicht  dauernd 
durch  Stockrodung,  Käfergräben,  Fangknüppel,  Fangrinden  usw.  Abbruch  ge- 
tan, so  folgt  oft  in  kürzester  Zeit  eine  solche  Ausbreitung  des  Insekts,  daß 
man  dann  nur  schwer  seiner  noch  Herr  werden  kann. 

Es  wäre  nicht  richtig,  der  mehrjährigen  Schlagruhe  das  Wort  zu  reden. 
Zwar  werden  die  Schäden  am  Jungwuchs,  wenn  erst  die  im  Boden  ver- 
bliebenen Stöcke  als  Brutmaterial  nicht  mehr  tauglich  sind,  erträglichere  sein, 
auch  erspart  man  nicht  unwesenthche  Kosten  der  Bekämpfung,  doch  stehen 
als  negative  Faktoren  die  Bodenverangerung,  eine  erschwerte  und  teuerere 
Kultur  und  ein  mehrjähriger  Zuwachsverlust  gegenüber,  die  an  sich  schon 
die  erstgenannten  Vorteile  mehr  als  aufwiegen.  Vor  allem  aber  kann  der 
Rüsselkäfer  von  Jahr  zu  Jahr  sich  ungehindert  vermehren,  sodaß 
man  schließlich  doch  vor  der  Notwendigkeit  steht,  Vertilgungsmaßnahmen  in 
größerem  Umfang  anzuwenden.  Darum  verzichte  man  auf  die  Schlagruhe 
mit  ihren  Nachteilen  in  bodenpfleglicher,  kultureller  und  finanzieller  Beziehung. 
Denn  für  die  hierin  sich  häufenden  Summen,  deren  man  verlustig  geht, 
kann  man  schon  viele  Rüsselkäfer  Jahr  für  Jahr  in  systematischer  Arbeit 
vernichten  und  damit  einer  förmlichen  Kalamität  dauernd  vorbeugen. 
Dann  sind  auch  die  Schäden  der  Kahlschlagwirtschaft,  die  in  der  großen 
Mehrzahl  der  reinen  Kiefern-  und  Fichtengebiete  noch  auf  lange  Zeit  hinaus 
die  herrschende  Verjüngungsmethode  wird  bleiben  müssen,  wesentlich  ge- 
mildert, die  Abtriebsflächen  sind  alsbald  wieder  in  Bestand  gebracht,  der 
Boden  ist  gedeckt,  neuer  Holzzuwachs  erwächst  auf  dem  Boden  in  unmittel- 
barem Anschluß  an  die  Nutzung  des  seitherigen  Altbestandes. 

Weit  größere  Gefahren  als  der  Kahlschlag  an  sich,  wenn  er  in  mäßigen 
Grenzen  gehalten  wird,  ist  der  Kahlschlag  auf  großer  Fläche:  der  ausge- 
sprochene Großkahlschlag.  Hier  pflegen  die  Kulturverderber:  Maikäfer, 
Hylobius,  Pissodes  u.  a.  in  Verbindung  mit  Graswuchs,  Schütte,  Hallimasch 
und  Wurzelpilz  am  verheerendsten  aufzutreten. 

Man  mag  dem  Großkahlschlag  in  bestimmten  Wirtschaftsgebieten  i)  heute 
wieder  das  Wort  reden  —  ein  anderes  Extrem  will  heute  den  reinen  Plenter- 
wald, und  zwischen  beiden  Extremen  werden  auch  heute  wieder  mehr  denn 
je  alle  denkbaren  Zwischenstufen  von  Verjüngungsformen  und  Betriebs- 
systemen eifrig  erfochten  — ,  ein  Ideal  stellt  der  Großkahlschlag  in  boden- 
pfleglicher und  waldbaulicher  Beziehung,  namentlich  aber  vom  Standpunkt 
der  Verhütung  von  Insektenschäden  ebensowenig  dar,  wie  die  Wirtschaft  in 
zusammenhängenden,  gleichalterigen  und  reinen  Beständen  auf 
großer  Fläche. 

Solche  Waldbilder  verdankten  seither  vielfach  der  alten  Fachwerks- 
methode extremster  Richtung  mit  Zusammenlegung  der  Altersklassen,  Groß- 
kahlschlägen und  dem  vermeintlichen  waldbaulichen  Ideal  kunstvoller 

^)  Vgl.  die  Verhandlungen  des  Schlesischen  Forstvereins  vom  4. — 6.  Juli  1912 
in  Beuthen  (Oberschlesien):  Über  Groß-  und  Kleinkahlschläge  bei  Kiefern  (Bericht- 
erstatter Forstm.  Junack  in  Neudeck  O.-S.). 

21* 


324         Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 

Saat-  und  Pflanzmethoden  zur  Nachzucht  reiner  Nadelholzbestände 
ihre  Entstehung. 

Die  auf  mathematischer  Grundlage  sich  entwickelnde,  noch  junge  Forst- 
einrichtung führte  zum  Schematismus,  sie  wurde  in  Norddeutschland  zur 
Schablone  der  Großflächenwirtschaft  und  zwang  dem  Walde  ein  System 
räumlicher  Ordnung  auf,  das  seinem  natürlichen  Aufbau  nicht  entsprach, 
das  namentlich  in  Verbindung  mit  der  irrigen  Lehre  vom  höchsten  Wald- 
reinertrag in  hohen  Umtrieben,  bei  unzureichender  Bestandspflege  und 
dem  Ideal  reiner  Nadelholzbestände  die  Kunst  des  Waldbaus  verkümmern  ließ 
und   einen  Mischbestand   nach    dem  andern  einem  verfehlten  System  opferte. 

Die  Kunst  der  Naturverjüngung,  die  noch  bis  Anfang  des  19.  Jahr- 
hunderts gelang,  schwand  mit  den  hohen  Waldreinertragsumtrieben  und  ihren 
verangerten,  längst  nicht  mehr  empfänglichen  Böden  dahin.  Auf  den  aus- 
gedehnten Kahlschlagkulturen  richteten  Maikäfer  und  Rüsselkäfer  große 
Verheerungen  an.  In  den  ausgedehnten  reinen  und  gleichalterigen  Stangen- 
hölzern hielten  Spinner,  Spanner  und  Eule  ihren  Einzug. 

Eine  einseitige  Auffassung  der  Aufgaben  der  Forsteinrichtung  und  des 
ökonomischen  Wirtschaftszieles  schuf  Waldbilder,  die  ebensowenig  der  Boden- 
pflege, der  Erhaltung  einer  Mehrheit  standortsgemäßer  Holzarten  im  gemischten 
Wald  und  einer  naturgemäßen  Erziehung  und  Verjüngung  der  Bestände  ent- 
sprach, als  den  Grundsätzen  der  vorbeugenden  Maßnahmen  gegen  eine  Massen- 
vermehrung zahlreicher  Insekten. 

Die  vornehmste  Aufgabe  der  Forsteinrichtung  ist  die  Sicherung 
eines  möglichst  naturgemäßen  und  frei  gestalteten  Waldbaues  im  Hinblick  auf 
das  ökonomische  Ziel  der  nachhaltigen  Erzeugung  wertvollsten  Holzzuwachses 
im  Rahmen  eines  zeitlich  und  räumlich  w^ohlgeordneten  Betriebes.  Damit 
erfüllt  sie  zugleich  auch  am  besten  die  Aufgaben  des  Forstschutzes,  die  auf 
eine  Verhütung  größerer  Insektenschäden  hinauslaufen. 

Dann  werden  die  Extreme  eines  übertriebenen  Nadelholzanbaues,  der 
Zusammenlegung  ausgedehnter  reiner  Bestände  gleichen  Alters,  der  Groß- 
kahlschlagwirtschaft und  forcierten  künstlichen  Kultur  vermieden,  die  sämtlich 
der  Entstehung  großer  Insektenschäden  Vorschub  leisten. 

Die  Erhaltung  einer  Mehrheit  von  Holzarten  im  gemischten  Wald  und 
ihre  möglichst  naturgemäße  Verjüngung  genügt  aber  allein  noch  nicht  zur 
Schaffung  einer  sicheren  Grundlage  für  die  Verhütung  von  größeren  Insekten- 
kalamitäten, vielmehr  muß  eine  sorgsame  und  planmäßig  gehandhabte  Be- 
standserziehung jene   wichtigste    Grundlage  weiter   festigen   und   erhalten. 

Rationelle  Durchforstungen,  die  schon  frühzeitig  allen  gutveranlagten 
Stämmen  eine  kraftvolle  Entwicklung  sichern,  alles  kränkelnde,  beschädigte 
oder  sonst  anfällige  Material  beseitigen  und  damit  den  Angriffen  be- 
stimmter Insekten,  namentlich  der  Borken-  und  Bastkäfer  schon  erheblich 
vorbeugen,  lassen  Bestände  erwachsen,  die  im  übrigen  durch  ihre  kräftigen 
Kronen  weitaus  widerstandsfähiger  gegen  Nonne,  Spinner,  Spanner, 
Eule,  Blattwespen  usw.  sind,  als  in  drangvoller  Enge  stammzahlreich 
erwachsene  Stangenhölzer  mit  hoch  hinaufgeschobenen  kleinen 
Kronen,  die    an    sich    schon    kümmerlich   entwickelt  und  der  Ernährung  des 


Die  kulturellen  Vorbeugungsmaßregeln.  325 

Baumes  in  gesunden  Tagen  kaum  das  Notwendigste  vermittelnd,  bei  dem 
ersten  stärkeren  Insektenfraße  völlig  aufgezehrt  und  mit  einem 
Schlage  vernichtet  werden,  so  daß  die  Bestände  auf  großen  Flächen  ab- 
sterben. Wie  viel  günstiger  stehen  kräftig  erzogene,  zwar  weniger  stamm- 
zahlreiche, aber  mit  einer  wesentlich  größeren  Kronenmasse  ausgerüsteten 
Bestände  da.  Sie  werden  nicht  in  dem  Maße  kahlgefressen,  daß  schon  im 
ersten  Jahr  ihre  Erhaltung  zweifelhaft  erscheint. 

Die  Nonne  bevorzugt  zur  Eiablage  zudem  dicht  geschlossene  Bestände, 
zumal  undurchforstete  Stangenhölzer,  zu  denen  Wind  und  Sonne  wenig  Zutritt 
haben.     Dort  sind  auch  häufig  die  ersten  Fraßherde  zu  beobachten. 

Noch  weit  freiere  Hand  hat  der  Wirtschafter  in  der  Bestandspflege 
gemischter  Bestände.  Die  führende  Holzart,  z.  B.  Kiefer  mit  Buche, 
Kiefer  mit  Fichte,  kann  in  lockerer  Kronenstellung  gehalten  werden,  das 
Mischholz  bietet  neben  dem  Boden-  und  Bestandsschutz  reichlichen  Ersatz, 
die  Buchen,  die  Fichten  schieben  sich  in  das  gelockerte  Kronendach  herauf, 
die  Hauptholzart  —  in  dem  gedachten  Beispiel  die  Kiefer  —  ist  nicht  nur  an 
sich  kräftiger  entwickelt  und  widerstandsfähiger,  sondern  es  wird  auch  bei 
einem  Nonnenfraß  ein  erheblicherer  Teil  der  zu  Boden  kommenden  Raupen 
auf  die  Mischhölzer  abgelenkt.  Bei  reichlicherem  Buchenunter-  und  zwischen- 
stand ist  dessen  Stammzahl  um  ein  Vielfaches  größer  als  die  Stammzahl  des 
herrschenden  Kiefernbestandes.  Die  Mehrzahl  aller  wiederaufbaumenden  Raupen 
gelangt  auf  die  Buchen  oder  Fichten.  Der  Kiefernbestand  wird  entlastet. 
Die  Buchen  ertragen  den  Kahlfraß.  Mag  auch  der  Fichtenunterstand  ver- 
nichtet werden,  der  Hauptbestand  der  Kiefer  ist  gerettet. 

Ähnlich  verhalten  sich  Mischbestände  von  Fichte  mit  Buche.  Und  wenn 
dort  selbst  ein  Teil  der  Fichten  einem  Nonnenfraße  zum  Opfer  fällt,  dann 
bleiben  die  Buchen  erhalten,  und  wenn  sie  nur  noch  einen  Schirmbestand 
abgeben,  in  dessen  Schutz  ein  neuer  Jungbestand  erzogen  werden  kann. 

Auch  bei  der  Holzernte  lassen  sich  manche  Vorbeugungsmaßnahmen 
unschwer  durchführen.  Hierher  gehört  namentlich  die  rechtzeitige  Ent- 
rindung der  Nadelhölzer,  tunlichst  schon  in  Verbindung  mit  dem  Hiebe,  um 
den  Borken-  und  Bastkäfern  das  Brutmaterial  zu  entziehen.  Ferner  ist  es  eins 
der  wirksamsten  Vorbeugungsmittel  gegen  den  großen  braunen  Rüsselkäfer, 
wenn,  wie  dies  im  norddeutschen  Kieferngebiet  üblich  ist,  die  Stämme  stehend 
gerodet  und  mit  dem  „Waldteufel"  so  gefällt  werden,  daß  der  ganze 
Wurzelstock  herausgezogen  wird.  Endlich  gehört  die  saubere  Aufarbeitung 
aller  Hölzer  und  ihre  tunlichst  rasche  Abfuhr  hierher. 

Überblickt  man  die  vielfachen  Maßnahmen,  die  in  erster  Linie  auf  dem 
Gebiete  der  Standortspflege  und  des  Waldbaues,  in  zweiter  Linie  auf 
jenem  der  Forsteinrichtung  und  Forstbenutzung  liegen,  so  ist  es-  nicht 
schwer,  in  dem  Gesamtbild  als  Kernpunkt  aller  Vorbeugungsmaßnahmen  das 
Ergebnis  zu  erkennen,  daß  in  einer  wohlgeordneten,  den  Grundsätzen 
eines  natürlichen  Waldbaues  wie  den  ökonomischen  Forderungen 
gleichermaßen  gerecht  werdende,  von  schablonenhafter  Einseitig- 
keit sich  freihaltenden  Wirtschaft  zugleich  auch  die  besten  Grund- 
lagen zur  Verhütung  größerer  Insektenkalamitäten  geschaffen  sind. 


326         Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamiläten. 

Nicht  überall  werden  sich  in  idealer  Weise  diese  Grundlagen  vereinigen 
lassen.  Wo  vi^irtschaftliche  Fehler  in  der  Zusammensetzung  und  der  Lagerung 
der  Bestände  vorliegen,  läßt  sich  nicht  von  heute  auf  morgen  Wandel  schaffen. 

Das  Streben  muß  aber  immer  wieder  in  erster  Linie  auf  die  Nachzucht 
der  standortsgemäßen  Holzarten,  wo  irgend  angängig  in  gemischten  Beständen, 
in  Verbindung  mit  guter  Bodenpflege,  auf  eine  rationelle  Bestandserziehung  und 
tunlichst  naturgemäße  Verjüngung  gerichtet  sein.  Wo  der  Standort  nur  eine 
Holzart  zuläßt,  wie  namentlich  im  reinen  Kiefern-  und  Fichtengebiet,  ver- 
meide man  die  großen  Kahlschläge,  trenne  die  Altersklassen,  schaffe  eine 
genügende  Zahl  von  Anhieben  und  bekämpfe  dauernd  die  kulturverderbenden 
Insekten,  namentlich  den  Rüsselkäfer  durch  Stockrodung,  Fanggräben  und 
Fangknüppel  bezw.  -rinden. 

Wo  die  künstliche  Kultur,  wie  wiederum  in  den  meisten  reinen 
Kiefern-  und  Fichtengebieten,  die  Regel  bildet  und  meist  wohl  noch 
lange  Zeit  bilden  wird,  sorge  man  für  die  Verwendung  besterzogener, 
kräftiger  Pflanzen  aus  eigenen  Kämpen,  für  sorgsame  Kulturausführung, 
und  meide  zu  weite  Verbände,  da  bei  größerer  Pflanzenzahl  die  Insekten- 
schäden sich  verteilen.  Bei  der  Kiefer  besitzen  die  Streifenkulturen, 
die  bodengleich  oder  etwas  erhöht  gegraben  werden,  große  Vorzüge,  da  sie 
in  den  ersten  Jahren  leicht  von  einwachsendem  Gras,  Heide  usw.  durch  Be- 
hacken freigehalten,  auch  sehr  viel  erfolgreicher  mit  Bordelaiser  Brühe  gegen 
die  Schütte  bespritzt  werden  können.  Dadurch  werden  von  vornherein 
kräftige  Pflanzen  erzogen.  Zugleich  aber  wirkt  der  den  nackten  Boden  in 
den  Streifen  treffende  Regenschlag,  daß  der  aufspritzende  lockere  Boden  an 
den  kleinen  Stämmchen  der  Pflanzen  haften  bleibt  und  diese  mit  „Erd- 
höschen" umgibt,  die  gegen  Rüsselkäferfraß  erfolgreich  schützen.  Das  Frei- 
halten der  Pflanzen  vom  Graswuchs  in  solchen  Streifen  wirkt  auch  vor- 
beugend gegen  die  wurzelbrütenden  Hylesinen,  deren  Imagines  besonders  in 
Lochpflanzungen  mit  eingelagertem  Grasfilz  schädlich  werden.  Auch  für  die 
Fichte  wird  vielfach,  insoweit  es  sich  um  Verhältnisse  ähnlicher  Art  handelt, 
die  Streifenpflanzung  neuerdings  empfohlen. 

In  Maikäferfraßgebieten  empfiehlt  sich  die  Kultur  in  durchlaufenden 
Streifen  weniger,  da  der  Engerling  gern  den  Reihen  nachgeht  und  so  leichter 
Pflanze  für  Pflanze  auffindet.  Hier  empfiehlt  sich  eine  häufige  Unterbrechung 
der  Streifen  in  der  Form  von  hochgegrabenen  Stückriefen. 

Die  größere  Pflanzenzahl  liegt  gleichermaßen  im  Interesse  der  kräftigen 
Bestandserziehung,  da  man  bei  frühzeitigem  Eingriff  unter  einer  größeren  Zahl 
von  Stämmen  Auslese  halten  und  somit  nur  wirklich  gut  veranlagte  Bestands- 
glieder in  Pflege  zu  nehmen  in  der  Lage  ist. 

Die  Erziehung  zuwachsfreudiger,  widerstandsfähiger  Bestände  mit  kräftiger 
Kronenbildung,  die  schon  von  Jugend  an  etwa  ein  Drittel  der  Schaftlänge 
umfaßt,  in  guter  räumlicher  Verteilung  der  Altersklassen  bildet  eine  der 
wichtigsten  Grundlagen  der  Waldwirtschaft. 

Sie  ist  zugleich  auch  das  wertvollste  Vorbeugungsmittel 
kultureller  Art  im  Kampfe  gegen  die  Insektenschäden. 


Die  biologische  Bekämpfung.  327 

2.  Die  biologische  Bekämpfung. 

Die  biologisciie  Bekämpfung  (im  weiteren  Sinn)  schließt  alle 
jene  Maßnahmen  in  sich,  die  auf  eine  Unterstützung  der  natür- 
lichen Feinde  der  Schädlinge  hinauslaufen,  also: 

a)  Schutz  und  Verwendung  der  insektenvertilgenden  Säugetiere, 

b)  Schutz  und  Verwendung  von  insektenvertilgenden  Vögeln, 

c)  Schutz,    Vermehrung   und    Verbreitung   von   Parasiten    und    räuberischen 
Arthropoden,  und 

d)  Begünstigung    und    V^erbreitung   von    Mykosen    und    anderen    Infektions- 
krankheiten. 

a)  Schutz  und  Verwendung  von  insektenvertilgenden  Säugern. 

Eine  direkte  Schonung  nützlicher  Säuger  kommt  nur  in  seltenen  Fällen 
in  Anwendung.  Wenn  der  Forstmann  darauf  sieht,  daß  Fledermäuse,  die 
in  gefällten,  hohlen  Bäumen  gefunden  werden,  nicht  mutwillig  von  den  Wald- 
arbeitern getötet  und  die  betreffenden  Bäume  im  Winter  bis  zum  Frühjahr 
unzerstückt  liegen  gelassen  werden,  daß  ferner  der  Maulwurf  nicht  unnötig 
weggefangen  und  der  Fuchs  nicht  übermäßig  dezimiert  werde,  so  hat  er 
seine  Pflicht  völlig  erfüllt.  Wie  wichtig  speziell  die  Schonung  der  Fleder- 
mäuse ist,  geht  aus  den  oberen  (S-  225)  mitgeteilten  Tatsachen  über  die  her- 
vorragende Rolle  dieser  Tiere  im  Kampfe  gegen  gewisse  Schädlinge  ohne 
weiteres  hervor. 

Wir  dürfen  aber  nicht  vergessen,  daß  viele  als  Insektenvertilger  nützliche 
Säuger  oft  aus  anderen  Gründen  verfolgt  werden  müssen.  So  wird  man  den 
Maulwurf  trotz  seiner  Feindschaft  gegen  den  Engerling  z.  B.  in  Saatkämpen 
nicht  dulden,  ebenso  wird  das  Schwarzwild,  das  so  wesentlich  bei  der  Ver- 
tilgung von  der  in  der  Bodendecke  überwinternden  Schädlinge  mitwirkt,  in 
einem  fein  bewirtschafteten  Forste  seiner  übrigen  fo-rstschädlichen  Eigen- 
schaften halber,  dennoch  nicht  geschont  werden  können,  ganz  abgesehen 
davon,  daß  schon  die  Rücksicht  auf  die  angrenzenden  Felder  dies  häufig 
verbietet  (N.).  - 

Dieser  letzte  Punkt  stellt  ein  sehr  lehrreiches  Beispiel  dar,  wie  durch 
die  Kultur  notwendigerweise  ein  für  die  Erhaltung  des  Gleichgewichtes  sehr 
wesentlicher  Faktor  ausgeschaltet  werden  mußte.  Es  ist  zweifellos,  daß  der 
Rückgang  oder  die  gänzliche  Entfernung  des  Schwarzwildes  ein  gut  Teil 
Schuld  an  der  Vermehrung  so  mancher  schlimmer  Schädlinge  (wie  der 
Kieferneule,  des  Kiefernspanners,  der  verschiedenen  Blattwespen  usw.)  tragen. 
Man  sucht  denn  auch  den  Ausfall  vielerorts  dadurch  wieder  auszugleichen, 
daß  man  die  Wildschweine  durch  Kulturschweine  ersetzt,  indem  man  letztere 
in  die  befallenen  Bestände  eintreibt.  Die  Erfolge,  die  damit  erzielt  wurden, 
sind  zum  Teil  recht  befriedigende;  sie  hängen  natürlich  von  verschiedenen 
Umständen  ab,  wie  von  der  Zahl  und  der  Rasse  der  zur  Verfügung  stehenden 
Schweine  (am  besten  eignen  sich  die  gewöhnlichen  noch  w^enig  veredelten 
Landrassen,  die  noch  täglich  zur  Weide  getrieben  werden  und  infolgedessen 
die  Fähigkeit,  in  der  freien  Natur  Nahrung  zu  finden,  noch  nicht  in  dem 
hohen  Maße  verlernt  haben  wie  die  hochgezüchteten  Rassen),  —  sodann  von 


328         Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 

der  Bodenbeschaffenheit  (im  lockeren  Boden  werden  die  Schweine  leichtere 
Arbeit  haben  als  im  Lehm-  oder  Tonboden),  —  ferner  von  der  Zeit,  die  für 
den  Eintrieb  zur  Verfügung  steht  (Blattwespenkokons,  die  mehrere  Jahre 
überliegen,  stellen  natürlich  ein  günstigeres  Obiekt  dar  als  die  Eulenpuppen, 
die  nur  während  des  Winterhalbjahres  im  Boden  sich  befinden),  ferner  von 
der  Dichtigkeit  der  Besetzung  und  der  Ausdehnung  des  befallenen  Gebietes 
usw.  (Ausführlichere  Angaben  über  die  Haltung  der  Schweine  und  alle  beim 
Schweineeintrieb  zu  beachtenden  Maßregeln  gibt  Eckstein  in  seiner  Technik 
des  Forstschutzes).  - 

b)  Schutz  und  Verwendung  insektenvertilgender  Vögel. 

Weit  wichtiger  als  der  Schutz  der  Säugetiere  ist  der  Vogelschutz, 
wie  sich  ja  schon  aus  einer  einfachen  Vergleichung  der  oben  mitgeteilten 
Tatsachen  über  die  Bedeutung  der  Säugetiere  und  Vögel  im  Kampf  gegen 
die  Forstschädlinge  ohne  weiteres  ergibt.  Auf  dem  Gebiet  des  Vogelschutzes 
sind  in  den  letzten  Jahren  große  Fortschritte  gemacht  worden,  speziell  in 
Deutschland,  welches  in  dieser  Beziehung  gegenwärtig  an  der  Spitze  der 
Nationen  steht.  Ist  doch  Deutschland  auch  die  Heimat  des  wissenschaftlichen 
Vogelschutzes.  Denn  erst  durch  die  Versuche  des  Freiherrn  v.  Berlepsch 
auf  Seebach  ist  der  Vogelschutz  auf  eine  sichere  Grundlage  gestellt  worden, 
die  eine  Anwendung  im  großen  ermöglichte.  In  erstaunlich  kurzer  Zeit  haben 
sich  die  v.  Berlep sehen  Grundsätze  die  Welt  erobert,  so  daß  heute  bereits 
in  den  meisten  Kulturländern  Vogelschutz  in  der  von  v.  Berlepsch  aus- 
gearbeiteten Methode  getrieben  wird.  In  Deutschland  vor  allem  hat  die 
Vogelschutzbewegung  mächtig  an  Boden  gewonnen  und  alle  Kreise  der  Be- 
völkerung ergriffen.  Zahlreiche  Vereine  sind  allenthalben  entstanden,  die 
lediglich  der  Förderung  des  Vogelschutzes  dienen,  in  den  meisten  Bundes- 
staaten sind  Vogelschutzkommissionen  gebildet  worden,  welche  die  Aufgabe 
haben,  den  Vogelschutzgedanken  möglichst  allgemein  zu  verbreiten  und  die 
nötige  Organisation  in  die  Wege  zu  leiten.  Kurz  es  geschieht  von  staatlicher 
wie  von  privater  Seite  alles,  was  geschehen  kann,  um  den  Rückgang  der 
Vogelwelt,  den  die  Kultur  mit  sich  gebracht  hat,  möglichst  wieder  aus- 
zugleichen. So  erfreulich  dieser  hohe  Enthusiamus  ist,  so  birgt  er  —  wenig- 
stens in  praktischer  Hinsicht  —  doch  auch  eine  Gefahr  in  sich:  Er  kann 
nämlich  allmählich  die  Meinung  erzeugen,  daß  der  Vogelschutz  das  Allheil- 
mittel gegen  alle  landwirtschaftlichen  und  forstlichen  Schädlinge  darstellt,  und 
daß  man  mit  Ausübung  des  Vogelschutzes  genug  gegen  diese  Ver 
derber  getan  habe.  Man  kann  auch  in  der  Tat  gar  nicht  so  selten 
Äußerungen  hören,  die  sich  in  dieser  Richtung  bewegen.  Es  kann  dem- 
gegenüber nicht  oft  genug  daran  erinnert  werden,  daß  dem  Vogelschutz 
in  seiner  Wirkung  deutliche  Grenzen,  und  zwar  mitunter  recht 
enge,  gezogen  sind.  Die  Regulierung  der  Vermehrungszahl  wird  eben  bei 
vielen  Schädlingen  weit  mehr  durch  andere  Faktoren  (wie  vor  allem  Parasiten 
und  Raubinsekten)  bewirkt  als  durch  die  vertilgende  Tätigkeit  der  Vögel,  und 
in  solchen  Fällen  kann  man  die  Gleichgewichtserhaltung  natürlich  auch  nicht 
von  den  Vögeln  erwarten.  Daß  von  dem  Rückgang  der  Vögel  allein  (oder 
in   der    Hauptsache)    die   Zunahme    der   Schädlinge    nicht   ohne    weiteres    ab- 


Die  biologische  Bekämpfung. 


329 


geleitet  werden  darf,  geht  aus  der  Tatsache  hervor,  daß  doch  viele  Schäd- 
linge (virie  z.  B.  die  Nonne)  oft  jahrzehntelang  sich  nicht  bemerkbar  gemacht 
haben  (und  zwar  in  einer  Zeit,  wo  man  noch  keinen  Vogelschutz  trieb),  um 
dann  plötzlich  zu  einer  Massenvermehrung  zu  gelangen,  ohne  daß  aber  in 
diesen  Zeiten  ein  auffallender  Unterschied  in  der  Zahl  der  Vögel  bemerkt 
worden  v/äre.  Die  Tätigkeit  der  Vögel  kommt  gewiß  bei  allen  Schädlingen 
als  einer  unter  den  vielen  vermehrungsbeschränkenden  Faktoren  in  Betracht; 
doch  ist  seine  Bedeutung  bei  den  verschiedenen  Schädlingen  sehr  ungleich, 
wie  ja  oben  des  näheren  ausgeführt  wurde;  und  dementsprechend  werden 
wir  auch  unsere  Erwartungen  bezügl.  der  Wirkung  des  Vogelschutzes  je 
nach  der  Art  des  Schädlings  verschieden  hoch  einzustellen  haben. 

Der  Vogelschutz  ist  ein  eigenes 
Gebiet  für  sich  geworden  (gibt  es«  doch 
auch  besondere  Beamte  für  Vogelschutz), 
und  verfügt  bereits  über  eine  überaus 
umfangreiche  eigene  Literatur.  Es  kann 
daher  davon  Abstand  genommen  werden 
hier*  ausführlich  darauf  einzugehen,  zu- 
mal es  eine  Anzahl  ausgezeichneter, 
billiger  Schriften  gibt,  die  jedermann  zu- 
gänglich sind,  und  die  die  ganze  Vogel- 
schutzfrage in  kurzer  bündiger  Weise 
behandeln  (wie  vor  allem:  Hiesemann, 
Lösung  der  Vogelschutzfrage  nach  Frei- 
herrn V.  Berlepsch;  Hennicke,  Vogel- 
schutzbuch und  das  ausführlichere  Hand- 
buch des  Vogelschutzes;  Haenel,  Unsere 
heimischen  Vögel  und  ihr  Schutz).  Nur 
die  Hauptgrundsätze  des  Vogelschutzes 
seien  hier  mit  wenigen  Worten  angeführt. 

Der  erste  und  wichtigste  Punkt 
bei     der    Ausübung    des    Vogelschutzes 

ist  die  Schaffung  von  Nistgelegenheiten;  denn  ohne  geeignete  Nist- 
plätze ist  trotz  Vogelschutzgesetze  und  sonstiger  Bemühungen  eine  gedeihliche 
Entwicklung  des  Vogellebens  von  vornherein  ausgeschlossen.  Für  den 
Forstmann  kommt  es  dabei  vor  allem  auf  die  Höhlenbrüter  an,  denn  diese 
sind  es  ja  in  erster  Linie,  die  unter  der  modernen  Forstkultur  am  meisten 
Not  leiden,  und  außerdem  befinden  sich  gerade  unter  diesen  auch  die 
wichtigsten  Vertilger  der  Forstschädlinge.  Und  so  hat  sich  die  vogel- 
schützlerische  Tätigkeit  des  Forstmannes  vor  allem  auf  das  Aushängen  von 
Nisthöhlen  zu  beziehen.  Über  die  Art  der  zu  wählenden  Nistkästen  dürften 
heute  wenig  Zweifel  bestehen,  da  ja  die  v.  Berlep sehen  Nisthöhlen  (Fig.  214) 
allgemein  als  die  besten  und  wirksamsten  anerkannt  sind.  Da  es  sich  im 
Walde  in  der  Hauptsache  um  die  Heranziehung  der  Meisen  und  Stare  handelt, 
so  kommen  vor  allem  die  Größen  A  und  B  (A-  und  B- Höhle)  in  Be- 
tracht, während  die  übrigen  Größen  und  die  sog.  Halbhöhlen  im  forstlichen 
Vogelschutz    in  weit   geringerem  Maße  zur  Verwendung  gelangen.     Auch  die 


Fig   214     ßerlepsche  Nisthöhle 
Aus  Hiesemann. 


330 


Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 


Erhaltung  und  Vermehrung  der  Freibrüter  wird  sich  der  Forstmann  an- 
gelegen sein  lassen,  wenn  diese  für  den  Wald  auch  bei  weitem  nicht  die 
Rolle  spielen  wie  die  Höhlenbrüter.  Er  kann  in  dieser  Beziehung  schon 
manches  erreichen,  wenn  er  die  dichten  Junghölzer  während  der  Monate 
April    bis    Juni    sperrt,    und   wenn    er    außerdem    strenge    darauf    sieht,    daß 


Fig.  215.    Hessisches  Futterhaus.    Auf  dem  unteren  Futtertiscb  wird  nur  so  lange  gefüttert,  bis  die 
Vögel  den  oberen,  eigentlichen  Futterplatz  gefunden  haben.    Aus  Hiesemaun. 

Während  der  Brutzeit  die  Holz-  und  Reisigabfuhr  unbedingt  ruht  (Haenel). 
Ferner  hat  er  sein  Augenmerk  auf  die  Erhaltung  und  Anpflanzung  von  ge- 
eigneten Sträuchern  aller  Art,  Hecken,  Unterholz  usw.  zu  richten,  wobei  ev. 
durch  eine  besondere  Schnittbehandlung  die  Nistgelegenheit  noch  wesentlich 
erhöht  werden  kann.  Wo  sich  die  Gelegenheit  bietet,  eigene  Vogelschutz- 
gehölze, die  durch  geschickte  Auswahl,  Anordnung  und  Behandlung  der 
Pflanzen    (nach    flen  v.  Berlepschen  Vorschriften)   zur   höchst   erreichbaren 


Die  biologische  Bekämpfung. 


331 


Konzentration  von  Brutstätten    führen,    anzulegen,    mag  diese  Gelegenheit  er- 
griffen und  ausgenützt  werden.  — 

Der  zweite  Punkt  bei  der  Ausübung  des  Vogelschutzes  betrifft  die 
Winterfütterung,  deren  Hauptzweck  darin  besteht,  die  im  Winter  bei  uns 
verbleibenden  Vögel  über  die  schlimmste  Zeit  hinwegzubringen.  Es  steht 
fest,  daß  in  strengen  Wintern  eine  große  Anzahl  von  Vögeln  an  Nahrungs- 
mangel zugrunde  gehen;  dieser  Ausfall,  der  natürlich  auch  nicht  ohne 
Wirkung  auf  das  Insektenleben  bleibt, 
kann  durch  eine  rationelle  Winter- 
fütterung wesentlich  herabgedrückt 
werden.  Die  Fütterung  muß,  wenn 
sie  ihren  Zweck  erreichen  soll,  so 
eingerichtet  werden,  daß  das  Futter 
den  Vögeln  stets  unter  allen 
Witterungsverhältnissen  selbst  beim 
Schroffesten  Witterungswechsel,  wie 
Wirbelschnee,  Wind,  Regen,  Glatteis, 
unbedingt,  und  zwar  in  bester  Be- 
schaffenheit zugänglich  bleibt,  und  daß 
außerdem  nichts  davon  verloren  geht, 
sondern  das  gesamte  Futter  bis  zum 
letzten  Rest  ausschließlich  den  Vögeln 
zugute  kommt.  Diesen  Bedingungen 
entspricht  am  besten  das  sog.  „hessi- 
sche Futterhaus",  das  man  sich 
event.  selbst  herstellen  kann  (Fig. 
215).  Empfehlenswert  ist  außerdem 
noch  die  automatische  Futter- 
glocke (Fig.  216),  die  völlig  mäuse- 
sicher ist,  und  die Bruhnsche  Meisen- 
dose   mit    dem   Futtertrog   Antispatz. 

Ais  dritter  Punkt  kann  die 
Schaffung  von  Tränken  und  Bade- 
gelegenheiten genannt  werden. 
„Einige  Vogelarten  sind  zwar  in  ihren 
Ansprüchen  an  das  flüssige  Element 
so   bescheiden,  daß   sie  selbst  in  den 

trockensten  Gebieten  sich  wohl  und  munter  fühlen,  wie  z.  B.  die  Hauben 
meise,  die  in  den  dürrsten  Föhrenkrüppelbeständen,  stundenweit  vom  offenen 
Wasser  entfernt,  angetroffen  wurde.  Doch  kann  nicht  bestritten  werden,  daß 
die  Anwesenheit  von  Wasser  die  Ansiedelung  der  meisten  Vögel  wesent- 
lich erleichtert".  „Die  Arbeit  des  praktischen  Vogelschützers  in  dieser  Be- 
ziehung wird  sich  unter  normalen  Verhältnissen  darauf  beschränken  können, 
das  von  Natur  aus  schon  vorhandene  Wasser  zu  erhalten,  d.  h.  übermäßige 
Entwässerung  zu  verhüten  und  weiter  dafür  zu  sorgen,  daß  die  vorhandenen 
Wasserstellen  den  kleinen  Vögeln  auch  zugänglich  gemacht  werden" 
(Haenel).     In   ganz   trockenen  Gegenden   wird   man   allerdings   dazu   greifen 


Fig.  216.    Futterglocke  (Längsschnitt),    a  a  Futter- 
schale;  6  ZufuhiTohr ;  c  Futterbehälter;  rfd  Metall- 
gloeke.    Aus  Hiesemann. 


332         Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 

müssen,  künstliche  Wasserstellen  (kleine  Becken  aus  Zement  u.  dgl.)  zu  schaffen, 
die  regelmäßig  mit  frischem  Wasser  beschickt  werden  (vgl.  Schwangart, 
Vogeltränken). 

Die  letzte  aber  durchaus  nicht  unwichtigste  Aufgabe  des  praktischen 
Vogelschutzes  ist  die  Niederhaltung  der  ausgesprochenen  Vogel- 
feinde. Als  solche  sind  vor  allem  Hühnerhabicht,  Sperber  und  die  ver- 
schiedenen Würger  zu  nennen,  sodann  Elster  und  Eichelhäher,  ferner  Eich- 
hörnchen, Iltis,  Marder,  Wiesel  und  die  wildernde  Katze.  Im  allgemeinen  wird 
der  Forstmann  schon  aus  jagdlichen  Gründen  dafür  sorgen,  diese  Tiere  nicht 
allzusehr  aufkommen  zu  lassen  und  sie  nach  Kräften  abzuschießen.  Mit  be- 
sonderem Nachdruck  sollte  die  Vertilgung  der  wildernden  Katzen  betrieben 
werden,  wozu  man  sich  am  besten  der  sog.  Kasten-  oder  Prügelfallen  bedient.  — 
Nicht  zu  vergessen  ist  auch  der  Sperling,  der  durch  sein  wüstes  Gebahren 
und  fortgesetztes  Lärmen  andere  Vögel  von  den  Futter-  und  Nistplätzen  ver- 
treiben und  den  Erfolg  der  Vogelschutzmaßnahmen  wesentlich  beeinträchtigen 
kann:  „Je  nach  der  Abnahme  der  Sperlinge  steigt  die  Zunahme  der  anderen 
Vögel",  sagt  mit  Recht  v.  Berlepsch.  Daher  ist  gegen  dieses  überall 
gegenwärtige  Gesindel  der  Kampf  mit  allen  Mitteln  aufzunehmen,  am  besten 
im  Winter,  da  sie  auf  einem  mit  Futter  bestreuten,  schneefreien  Platz  oft 
massenweise  mit  einem  Schuß  erlegt  oder  mit  einem  großen  Zugnetz  ge- 
fangen werden  können. 

Endlich  erfährt  die  Ausübung  des  Vogelschutzes  durch  gesetzliche 
Vorschriften  eine  kräftige  Unterstützung.  So  wurde  am  30.  Mai  1908  für 
das  Deutsche  Reich  ein  Vogelschutzgesetz  erlassen,  das  „bis  auf 
wenige  Kleinigkeiten  als  ganz  vorzüglich  bezeichnet  werden  müßte,  wenn  es 
überall  mit  dem  nötigen  Nachdruck  durchgeführt  würde"  (Haenel).  Außerdem 
haben  verschiedene  Bundesstaaten  durch  besondere  landesgesetzliche  Regelung 
noch  ergänzende  Bestimmungen  erlassen,  von  denen  wohl  die  Bayerische  Ver- 
ordnung vom  5.  Mai  1913  am  weitesten  geht,  indem  dadurch  sämtliche  insekten- 
fressenden Singvögel  während  des  ganzen  Jahres  vollkommen  geschützt  sind. 

Außer  dem  Schutz  der  Vogelwelt  kommt  auch  noch  die  direkte  Ver- 
wendung von  zahmem  Geflügel  zur  Vertilgung  von  Schädlingen  in  Be- 
tracht, und  zwar  in  Form  von  „Huhn  er  ein  trieb".  Haushühner  und  Puten 
sind  imstande,  große  Mengen  von  Puppen,  die  in  der  Bodendecke  sich  be- 
finden, zu  vertilgen.  Man  kann  sie  daher  dazu  benützen,  bei  Spanner- 
kalamitäten usw.  die  befallenen  Abteilungen  von  den  Puppen  zu  reinigen, 
indem  man  mit  ihnen  in  großer  Zahl  in  den  verschiedenen  Orten  herum- 
zieht, sie  überall  so  lange  haltend,  bis  sie  die  Reinigungsarbeit  gründlich 
vollendet  haben.  Natürlich  müssen  ihnen  Ställe  zur  Verfügung  gestellt 
werden,  die  des  ständigen  Ortswechsels  halber  entweder  als  Ganzes  trans- 
portabel sind,  oder  so  konstruiert  sind,  daß  sie  leicht  abgerissen  und  wieder 
aufgeschlagen  werden  können.  (Näheres  darüber  siehe  bei  Eckstein, 
Technik  des  Forstschutzes  S.  147  ff.) 

c)   Schutz  und  Verwendung  von  Parasiten,   Raubinsekten   und   anderen 
räuberischen  Arthropoden. 

Während  in  bezug  auf  Vogelschutz  Deutschland  in  der  ersten  Reihe 
steht,  so  befindet  es  sich  in  bezug  auf  die  Bekämpfung  mittels  Parasiten  und 


Die  biologische  Bel^ämpfung.  333 

Raubinsekten  in  arger  Rückständigkeit.  Es  mag  sein,  daß  die  zu  starke  Be- 
tonung des  Vogelschutzes  die  anderen  Bekämpfungsrichtungen  etwas  in  den 
Hintergrund  drängte;  zum  größten  Teil  jedoch  dürfte  die  Ursache  der  Rück- 
ständigkeit darin  gelegen  sein,  daß  es  bisher  an  der  nötigen  Organisation 
gefehlt  hat.  Denn  die  parasitäre  Bekämpfung  setzt  ein  ungemein  eingehendes 
Studium  der  Parasiten  usw.  voraus,  welches  sehr  viel  Zeit  kostet,  i)  und  ein 
größeres  Personal  von  Hilfskräften,  die  Errichtung  von  temporären  Wald- 
laboratorien usw.  erfordert.  Alles  Dinge,  die  uns  gegenwärtig  noch  fehlen. 
Da  es  aber  zweifellos  schon  in  der  nächsten  Zukunft  in  dieser  Beziehung 
besser  werden  und  die  parasitäre  Bekämpfung  auch  bei  uns  eine  größere 
Rolle  spielen  wird,  so  dürfte  es  angezeigt  sein,  einen  kurzen  historischen 
Überblick  über  die  bisherigen  Meinungen  und  Erfolge  auf  diesem  Gebiet 
zu  geben;  um  so  mehr,  als  es  für  die  zukünftige  Forschung  von  Interesse  sein 
muß,  die  bisher  vorgeschlagenen  und  beschrittenen  Wege  kennen  zu  lernen. 

Die  Idee,  Parasiten  und  Raubinsekten  im  Kampfe  gegen  Schädlinge  zu  ver- 
wenden, ist  schon  sehr  alt.  Sogar  schon  aus  dem  12.  Jahrhundert  haben  wir  Nach- 
richten darüber.  So  haben  die  Chinesen  bereits  zu  jener  Zeit  Ameisen  ge- 
sammelt, um  sie  in  ihre  Gärten  zu  verpflanzen  und  gegen  die  Schädlinge  ihrer 
Orangen-  und  Mandarinenbäume  loszulassen.  Es  ist  sogar  eine  besondere  Arbeiter- 
klasse, die  ,, Ameisensammler",  entstanden.  Und  auch  die  Javaner  benutzen  seit 
uralter  Zeit  Ameisen,  um  die  Früchte  der  Mangrovebäume  gegen  die  Angriffe  eines 
Rüsselkäfers  zu  schützen;  sie  verbinden  dabei  die  einzelnen  Bäume  durch  Taue 
u.  dgl.,  um  den  Ameisen  direkte  Wege  von  einem  Baum  zum  anderen  darzubieten 
und  ihnen  so  einen  größeren  Wirkungskreis  zu  verschaffen. 

Zu  Beginn  des  vorigen  Jahrhunderts  machten  K  i  r  b  y  und  S  p  e  n  c  e  (Ein- 
leitung in  die  Entomologie.  Bd.  I.  S.  292)  auf  die  nützliche  Rolle  der  Coc- 
c  i  n  e  11  i  d  e  n  aufmerksam  und  sprachen  zugleich  auch  den  Gedanken  aus,  die- 
selben künstlich  zu  vermehren.  Ich  führe  die  Stelle  wörtlich  an,  da  hier  wohl  die 
erste  Äußerung  nach  dieser  Richtung  hin  von  wissenschaftlicher  Seite  vorliegt: 
„Im  Jahre  1807  waren  die  Küste  von  Brighton  und  alle  Wasserplätze  auf  der  süd- 
lichen Küste  ganz  bedeckt  mit  Marienkäfern,  zum  großen  Erstaunen  der  Ein- 
wohner, welche  nicht  wußten,  daß  diese  kleinen  Gäste  von  den  benachbarten 
Hopfengärten  hergewandert  waren,  wo  sie  in  ihrem  Larvenzustand  jeder  seine 
Tausend  oder  zehnmal  Tausend  Blattläuse  erlegt  hatten,  welche  die  Hoffnung  des 
Hopfenbauers  so  oft  vernichten.  Es  ist  ein  Glück,  daß  in  vielen  Ländern  die  Kinder 
diese  freundlichen  Coccinellen  in  Schutz  genommen  haben.  In  Frankreich  be- 
trachten sie  dieselben  als  der  heiligen  Jungfrau  geweiht  und  nennen  sie  Vaches  de 
Dieu,  bete  de  la  Vierge  usw.,  und  bei  uns  sichert  ihnen  das  Mitleid  für  das  harte 
Schicksal  einer  Mutter,  deren  ,Haus  in  Flammen  steht  und  deren  Kinder  verbrennen 
wollen',  eine  milde  Behandlung  und  Freiheit  zu.  Selbst  die  Hopfenbauern  erkennen 
ihre  Nützlichkeit,  und  wie  ich  erfahre,  dingen  sie  Buben,  um  Vögel  abzuhalten,  daß 
sie  sie  nicht  zerstören.  Wenn  wir  uns  eine  Methode  erfänden,  um 
diese  Kerfe  zu  vermehren,  so  würden  wir  nicht  nur,  was 
Dr.  Darwin  vorgeschlagen,  unsere  Gewächshäuser  von  Blatt- 
läusen    säubern,     auch      unsere     Hopfenernte     viel     sicherer 


1)  So  werden  z.  B.  seit  2  Jahren  im  hiesigen  Institut  Studien  über  die  Lebens- 
weise der  Tachinen  gemacht.  Diese  Zeit  reicht  aber  noch  lange  nicht  hin,  die 
Lebensweise  nur  einer  einzigen  Tachinenart  so  zu  erhellen,  daß  man  zu  einem 
abgeschlossenen  Urteil  über  ihre  eventuelle  Verwendbarkeit  zur  Bekämpfung  ge- 
langt. Dazu  dürften  noch  weitere  2  Jahre  notwendig  sein.  Schon  allein  geeignete 
Methoden  für  die  Untersuchung  ausfindig  zu  machen,  ist  ein  Studium  für  sich 
(vgl.  Prell). 


334         Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 

machen  als  jetzt.  Selbst  ohne  diese  Kenntnis  ist  nichts  so  leicht,  wie  ich 
erfahren  habe,  eine  Pflanze  oder  einen  Baum  zu  reinigen,  als  wenn  man  mehrere 
Larven  von  Coccinellen  oder  von  blattlausfressenden  Fliegen,  von  weniger  ge- 
schätzten Pflanzen  gesammelt,  auf  dieselben  setzt." 

In  Frankreich  versuchte  um  das  Jahr  1840  Prof.  Boisgiraud  in 
Poitiers  verschiedene  Schädlinge  mit  Hilfe  von  Raubinsekten  zu  bekämpfen,  wie 
den  Schwammspinner  mit  Calosoma  sycophanta,  ferner  Forficula  mit  Hilfe  von 
Staphylinus  olens  und  Carabus  auratus  usw.,  worüber  von  N.  J  o  1  y  in  der  „Revue 
zoologique"  1842  berichtet  wurde.  Diese  Arbeit  scheint  Aufsehen  erregt  zu  haben; 
denn  im  Jahre  1843  schrieb  die  „Commissione  tecnica  della  Societä  d'incoraggia- 
mento  d'arti  e  mestieri  di  Milano"  einen  Preis  (Goldene  Medaille)  aus  für  den- 
jenigen, der  eine  gute  Methode  fände  zur  künstlichen  Vermehrung  der  räuberischen 
Insekten,  die  zur  Vernichtung  der  Schädlinge  verwendet  werden  können.  Darauf- 
hin wurde  von  Villa  eine  Arbeit  eingereicht  („Degli  insetti  carnivori  adoperati 
a  distruggere  le  specie  dannose  all'agricoltura"),  die  in  der  Hauptsache  den  Vor- 
schlag enthielt,  für  Schädlinge,  die  auf  Bäumen  leben,  kletternde  Carabiden,  für 
Blumenschädlinge  Staphyliniden,  und  für  solche  Schädlinge,  die  am  Boden 
leben,  die  nicht  kletternden  Laufkäfer  zu  verwenden. 

Später  machte  der  Franzose  Decaux  den  Vorschlag,  bei  der  Bekämpfung 
des  Apfelblütenstechers  (Anthonomus  pomorum)  dessen  Parasiten  mit 
zu  verwenden.  Und  zwar  in  der  Weise,  daß  man  die  abgeschnittenen  Knospen 
nicht  gleich  verbrennen,  wie  das  bisher  Gebrauch  war,  sondern  sie  in  Gazekäfigen 
aufbewahren  solle,  die  von  Zeit  zu  Zeit  geöffnet  werden  müssen,  um  die  ent- 
schlüpften Parasiten  (Ichneumoniden  und  Braconiden)  herauszulassen.  Im  Jahre 
1880  führte  er  diese  Idee  in  der  Praxis  aus:  er  sammelte  in  der  Picardie  von 
800  Bäumen  etwa  1  Million  befallene  Knospen  und  behandelte  sie  in  obiger  Weise, 
wobei  er  ca.  250  000  Parasiten  erhielt,  welche  im  folgenden  Jahr  das  Zerstörungs- 
werk kräftig  unterstützten.  Die  gleiche  Prozedur  wurde  noch  einmal  ausgeführt, 
und  es  gelang  dadurch,  den  Blütenstecher  in  dem  betreffenden  Obstgarten  völlig 
zu  unterdrücken. 

Ein  ähnlicher  Gedanke  kommt  in  dem  Vorschlag  M  a  r  c  h  a  1  s  zum  Aus- 
druck, die  Stoppeln  der  von  der  Hessen  fliege  befallenen  Felder  nicht  zu 
verbrennen,  da  man  das  Risiko  läuft,  daß  der  Schädling  bereits  ausgeflogen  ist  und 
nur  die  in  den  Stoppeln  verbleibenden  Parasiten  vernichtet   werden. 

Auch  in  Deutschland  hat  man  sich  mehrfach  mit  der  Frage  der 
Parasitenverwendung  beschäftigt,  und  zwar  vor  allem  von  selten  der  Forst- 
entomologie. —  Der  erste  Vorschlag  nach  dieser  Richtung  ging  wohl  von 
Hart  ig  (1827)  aus,  indem  er  die  Anlage  von  sog.  „R  a  u  p  e  n  z  w  i  n  g  e  r  n" 
empfahl.  „Das  Wesentliche  dieser  Maßregel  besteht  darin,  daß  man  auf  durch 
Gräben  isolierten  Garten-  oder  Waldorten  eine  möglichst  große  Menge  von  Raupen 
vereinigt,  in  der  Hoffnung,  daß  an  solchen  künstlich  gebotenen  Brutstätten 
sich  die  Schlupfwespen  alsbald  in  Menge  zusammenfinden,  und  so  stark  ver- 
mehren würden,  daß  diese,  wenn  sie  ausflögen,  den  benachbarten  Wald  oder 
Garten  von  Raupen  säubertien"  (N  i  t  s  c  h  e).  —  Dann  hat  der  Oberforstmeister 
V.  Bülow-Rieth,  ein  ganz  vorzüglicher  Beobachter,  dessen  Schriften  zu  lesen 
auch  heute  noch  ein  Genuß  ist,  mehrfach  auf  die  praktische  Bedeutung  der  Para- 
siten mit  Nachdruck  hingewiesen.  „Die  Fliegen  und  Schlupfwespen 
sind  die  Schutzengel  unserer  Kienwaldungen!"  ruft  er  in  seiner 
Schrift  über  die  Nonne  aus;  und  er  wirft  die  Frage  auf,  „ob  es  nicht  erfolg- 
reicher sein  möchte,  die  menschlichen  Bemühungen  nicht 
sowohl  auf  die  unmittelbare  Vernichtung  des  schaden- 
bringenden  Insekts  zu  richten  als  auf  die  Erhaltung  der 
Gegenkraft"  (d.  h.  der  Parasiten)  —  ebenso  wie  der  Mensch  ja  auch  zur 
Verminderung  der  Kaninchen  Frettchen,  und  zur  Ausrottung  der  Ratten  und 
Mäuse  Katzen  benutzt.  „Die  Raupenausbreitung  ist  unbedenklich  eine  Folge  der 
örtlich   verschwundenen  Raupenfeinde;   das  Verschwinden  der   letzteren   kann   nur 


Die  biologische  Bekämpfung.  335 

aus  eingetretenem  Mangel  an  Entwicklungswerkzeugen  erfolgt  sein;  und  hieraus 
ergibt  sich,  daß  man  ihre  Erhaltung  bewirkt,  wenn  man  Raupen  aussetzt,  die  aber, 
um  sie  gegen  ihre  zahllosen  Feinde  zu  schützen,  in  Häusern  erzogen 
werden  müssen;  erste  Bedingung  ist  jedoch,  daß  dieses  in  einer  ununter- 
brochenen Reihenfolge  geschieht;  denn  unterbleibt  die  Aussetzung  ein  Jahr,  so 
sind  keine  Raupenfeinde  dieser  Gattung  mehr  vorhanden,  und  die  Verhältnisse 
sind  wieder  eingetreten,  die  eine  Raupenausbreitung  begünstigen."  —  Es  ist  er- 
staunlich, mit  welch  klarem  Blick  dieser  praktische  Forstmann  die  verwickelten 
Beziehungen  zwischen  Schädling  und  Parasit  bereits  erkannt  hat  —  zu  einer  Zeit, 
da  unser  Wissen  von  den  Parasiten  noch  sehr  gering  war. 

Sehr  eingehend  hat  sich  ferner  unser  Altmeister  Ratzeburg  mit  der 
Frage  der  biologischen  Bekämpfung  beschäftigt.  Hat  er  sich  doch  mit  Vorliebe 
dem  Studium  der  Parasiten  gewidmet,  wovon  sein  klassisches  Werk  „Die  Ichneu- 
monen der  Forstinsekten"  beredtes  Zeugnis  ablegt.  Bezüglich  der  Bedeutung  der 
Parasiten  für  die  Bekämpfung  äußert  sich  Ratzeburg  folgendermaßen:  „Wir 
lassen  die  liebe  Natur  ruhig  walten  und  beschränken  uns  auf  das  Erhalten  der 
nützlichen  Insekten.  Hin  und  wieder  können  wir  zu  dieser  Erhaltung  wirklich 
etwas  beitragen.  Denn,  wenn  wir  z.  B.  die  jungen,  eben  ausgekommenen  Räup- 
chen  der  Nonne  zerstören,  so  sind  wir  sicher,  daß  keine  Schmarotzer  mit  ihnen 
zerstört  werden,  sondern  daß  diese  die  der  Vertilgung  entgehenden  aufsuchen  und 
mit  ihnen  viel  eher  fertig  werden,  als  wenn  sie  es  mit  dem  ganzen  Heer  zu  tun 
gehabt  hätten.  Man  hat  sich  aber  nicht  mit  dem  bloßen  Schutz  der  Schmarotzer 
begnügen,  sondern  diese  Tiere  auch  künstlich  vermehren  wollen.  Von  den 
sinnlosen  früheren  Vorschlägen,  durch  ausgelegte  Kadaver  die  Ichneumonen  und 
Fliegen  anzulocken,  kann  jetzt  nicht  mehr  die  Rede  sein.  Wohl  aber  muß  ich 
die  jetzt  fast  allgemein  verbreitete  Lehre  von  der  künstlichen  Erziehung  der 
Schmarotzer  mittels  auf  Zwingern  ausgesetzten  Raupen  ausführlich  durchnehmen, 
so  wenig  ich  ihr  auch  beistimme."  Er  führt  dann  eine  ganze  Reihe  von  Gründen 
an,  die  gegen  die  Zwinger-Methode  sprechen;  vor  allem  seien  die  Schwierigkeiten, 
die  Raupen  in  dem  Zwinger  festzuhalten  und  zu  ernähren,  sehr  große  usw. 

Ratzeburg  war  übrigens  nicht  ganz  konsequent  in  seinen  Anschau- 
ungen über  die  Parasiten.  So  spricht  er  einerseits  die  Überzeugung  aus,  daß  die 
Schmarotzer  nur  kranke  Insekten  befallen,  also  zur  Beendigung  einer  Kalamität 
wenig  beitragen  können,^)  andererseits  empfiehlt  er  Übertragung  von  Parasiten 
aus  parasitenreichen  in  parasitenarme  Abteilungen.  Er  hat  die  Beobachtung  ge- 
macht, daß  die  Schmarotzer  häufig  in  kleinen  Horsten  auf- 
treten, während  sie  anderwärts  fehlen.  Man  sollte  in  solchen 
Fällen,  schlägt  Ratzeburg  vor,  zahlreiche  Raupen  oder  Eier  oder  Puppen  in 
jenen  Horsten  sammeln  und  in  die  parasitenfreien  Abteilungen  überführen.  „Im 
Jahre  1838  übertraf  der  Erfolg  dieser  Operation  alle  Erwartungen.  Die  über- 
tragenen Raupen  suchten  die  in  der  Nähe  stehenden  Kiefern  auf,  blieben  in  den 
Schäften    und   Ästen    sitzen    und    ergossen   bis    zur    Mitte    des    August   die    kleinen 

1)  So  sagt  er  an  einer  Stelle  (Forst-Ins.  III,  S.  24):  „Es  wird  immer  mehr 
klar,  daß  man  Ursache  und  Wirkung  verwechselt  hat.  Nicht  weil  die  Ichneu- 
monen sich  vermehren,  hört  der  Insektenfraß  auf,  sondern  weil  der  Insektenfraß 
sich  seinem  Ende  naht,  vermehren  sich  die  Ichneumonen  so  ungewöhnlich.  Bei 
einem  zu  Ende  gehenden  Fräße  werden  die  Fresser  so  allgemein  von  Krankheiten 
befallen,  daß  eben  die  Ichneumonen  dadurch  herbeigezogen  werden,  gleich  wie  die 
Schmarotzer  bei  Menschen  und  Tieren  durch  Krankheit  begünstigt  werden,  woran 
jetzt  kein  Mensch  mehr  zweifelt."  „Der  wahre  Nutzen  der  Ichneumonen  liegt 
meiner  Ansicht  nach  in  folgendem:  Sie  versetzen  manchem  Insekt,  welches  noch 
in  geringem  Maße  kränkelt  und  vielleicht  noch  kümmerliche,  jedoch  immer  noch 
fressende  Nachkommen  gebracht  hätte,  den  Todesstoß;  sie  räumen  zahllose  kranke 
und  sterbende  Insekten  schnell  auf  und  verhindern,  daß  deren  sich  entmischenden 
Säfte  nicht  die  Luft  mit  verpestendem  Gestank   erfüllen." 


336         Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 

Ichneumonen  in  solchen  Massen,  daß  die  Kiefern  von  den  Gespinsten  derselben 
in  der  Ferne  wie  weiße  Federbüsche  aussahen.  Diese  Gegenden  wurden 
durch  die  Nachkommenschaft  der  übertragenen  Schlupf- 
wespen vollkommen  von  Raupen  gesäuber  t."  Wenn  man  Eier 
zur  Übertragung  von  T  e  1  e  a  s  überführen  will,  so  empfiehlt  er,  die  Eimassen 
mit  geteerten  Brettern  zu  umgeben,  um  das  Entkommen  der  aus  den  gesunden 
Eiern  ausschlüpfenden  Raupen  zu  verhindern.  Auch  kann  man,  „sobald  die 
Ichneumonen  ausgeflogen  sind,  den  Ort  mit  trockenem  Reisig  überdecken  und  an- 
zünden, um  alle  etwa  noch  lebenden  Räupchen  zu  verbrennen".  Hier  vertritt 
also  Ratzeburg  ganz  deutlich  die  Anschauung,  daß  der 
Mensch  durch  sein  Eingreifen  die  Ausbreitung  der  Para- 
siten und  damit  auch  die  Beendigung  einer  Kalamität  recht 
wohl  beschleunigen  könne.  Auch  bezüglich  gewisser  Raubinsekten 
nimmt  er  diesen  Standpunkt  ein,  indem  er  den  Vorschlag  macht,  die  so  überaus 
nützliche  rote  Waldameise  {Formica  rufä)  durch  künstliche  Ableger  von 
alten  Haufen  zu  vermehren. 

So  kann  also  Ratzeburg  durchaus  nicht  kurzweg  als  Gegner  der  „bio- 
logischen Bekämpfung"  bezeichnet  werden,  wie  es  hin  und  wieder  geschehen  ist, 
sondern  er  hat  sich,  wie  die  letztgenannten  Beispiele  zeigen,  mehrfach  unzweideutig 
für  die  Möglichkeit  einer  solchen  ausgesprochen. 

Weit  skeptischer  äußert  sich  N  i  t  s  c  h  e  zur  Parasiten-Frage.  Er  hält  eine 
künstliche  Vermehrung  oder  Verbreitung  der  Parasiten  praktisch  für  „kaum  durch- 
führbar". Dagegen  erscheint  es  ihm  ,, gewiß  richtig,  etwa  angezeigte  Vertilgungs- 
maßregeln  gegen  forstschädliche  Insekten  möglichst  derartig  einzurichten,  daß  die 
in  ihnen  enthaltenen  Schmarotzer  möglichst  verschont  bleiben".  Nur  bezüglich  der 
Vermehrung  der  Ameisen  urteilt  er  etwas  optimistischer  und  stützt  sich  dabei  auf 
eine  Angabe  von  Oberförster  Middeldorpf,  wonach  es  diesem  gelang  (im 
pommerschen  Revier  Pütt)  die  Ameisenhaufen  durch  künstliche  Ableger,  welche 
ohne  jede  Vorbereitung  auf  dem  bloßen  Boden  ausgeschüttet  wurden,  zu  vermehren. 
Allerdings  siedelten  sich  die  Ameisen  nie  genau  an  der  Stelle,  wo  sie  hingeschüttet 
worden  waren,  an,  legten  aber  doch  in  der  Nähe  einen  neuen  Haufen  an  (M  i  d  d  e  1- 
dorpf.  Die  Vertilgung  der  Kienraupe  durch  Teerringe.     Berlin  1872,  S.  33  u.  34). 

Während  man  in  allen  diesen  Fällen  nicht  viel  über  die  Anregungen  oder  über 
das  erste  Versuchstadium  hinausgekommen  ist,  blieb  es  erst  den  amerika- 
nischen Entomologen  vorbehalten,  die  biologische  Methode  zu 
einem  brauchbaren  System  auszuarbeiten  und  deren  An- 
wendbarkeit in  der  großen  Praxis  darzutun.  Es  ist  kein  Zufall, 
daß  gerade  Amerika  sich  dieser  Methode  mit  besonderem  Eifer  zuwandte,  da  doch 
der  größte  Teil  der  schlimmsten  Schädlinge  von  anderen  Ländern  dorthin  importiert 
sind  und  die  zügellose  Vermehrung  derselben  auf  dem  Fehlen  der  ihnen  zu- 
gehörigen Parasiten,  die  nicht  mit  importiert  wurden,  zurückzuführen  ist.  Hier 
lag  der  Gedanke  der  parasitären  Bekämpfung  natürlich  besonders  nahe,  und  so 
richteten  sich  die  Bestrebungen  schon  seit  mehreren  Dezennien  darauf,  im  Heimat- 
land der  Schädlinge  die  Parasiten  aufzusuchen  und  sie  dem  Schädling  nachzu- 
senden, um  die  natürlichen  Bedingungen,  unter  denen  der  letztere  in  seiner  Heimat 
lebt,  auch  in  dem  neuen  Lande  einigermaßen  wieder  herzustellen. 

Die  Bestrebungen  setzten  mit  einem  großen  Erfolg  ein:  Es  handelte  sich 
darum,  die  Wo  1 1  s  c  h  i  1  d  1  a  u  s,  Icerya  Purchasi  die  um  das  Jahr  1886  aus 
Australien  in  Californien  eingeführt  worden  war  und  dort  ungeheueren  Schaden 
in  den  Orangen-  und  Zitronen-Pflanzungen  anrichtete,  zu  bekämpfen.  Nachdem 
man  mit  technischen  Bekämpfungsmitteln  längere  Zeit  ohne  durchschlagenden  Er- 
folg gegen  den  Fremdling  angekämpft,  entsandte  man  den  Entomologen  K  o  e  b  e  1  e 
(einen  Deutschen)  nach  Australien,  um  dort  nach  den  natürlichen  Feinden  der 
Schildlaus  zu  suchen.  Dieser  erkannte  bald  als  den  Hauptfeind,  der  die  Ver- 
mehrung der  Icerya  in  Australien  in  sehr  engen  Grenzen  hält,  den  Coccinelliden 
Novius  cardinalis.     Er  sandte  eine  Anzahl  davon  nach  Californien,  von  denen  aber 


Die  biologische  Bekämpfung.  337 

nur  wenige  lebend  ankamen,  und  brachte  dann  selbst  bei  seiner  Rückkehr  noch 
ca.  100  Stück  lebend  mit.  Diese  wurden  an  einen  mit  einem  Gasezelt  bedeckten 
Orangenbaum  gesetzt,  wo  sie  sofort  über  die  darauf  befindlichen  Schildläuse  her- 
fielen. Sie  gediehen  bei  der  reichen  Kost  ausgezeichnet  und  vermehrten  sich  so 
schnell,  daß  ihre  Zahl  im  folgenden  Jahr  schon  über  10  000  Stück  betrug  und  man 
daran  gehen  konnte,  dieselben  an  die  Farmer  zur  Aussetzung  zu  verteilen.  Die 
Wirkung  dieser  Maßregel  übertraf  alle  Erwartungen,  denn  schon  V-j^,  Jahr  nach  der 
Einführung  hatte  die  Icerya  ihre  Schrecken  verloren,  d.  h.  sie  war  auf  eine  ganz 
ungefährliche  Zahl  herabgedrückt.  Die  Farmer  glaubten  vor  einem  Wunder  zu 
stehen.  Die  ausgedehnten  Orangenpflanzungen,  deren  Ertrag  gleich  Null  war,  und 
deren  Bäume  mit  weißen  Krusten  bedeckt  und  bereits  als  unheilbar  aufgegeben 
waren,  fingen  plötzlich  an,  neues  Leben  zu  zeigen  und  wieder  reiche  Früchte  zu 
tragen.  Die  Icerya  erlangte  auch  in  der  Zukunft  keine  größere  Bedeutung  mehr 
(wenigstens  in  Kalifornien);  denn  wenn  sie  irgendwo  wieder  in  größerer  Zahl  auf- 
tauchte, so  wurde  sie  durch  Aussetzen  von  Novius,  der  im  Staatsinsektarium  von 
Kalifornien  fortwährend  in  großen  Mengen  gezüchtet  und  bereit  gehalten  und 
jedem  Farmer  bei  Bedarf  unentgeltlich  zur  Verfügung  gestellt  wird,  in  kurzer 
Zeit  wieder  hinuntergedrückt. 

Dieser  unzweideutige  große  Erfolg,  der  um  die  neunziger  Jahre  des  vorigen 
Jahrhunderts  sich  abspielte,  machte  natürlich  einen  tiefen  Eindruck  und  löste  bei 
den  Farmern  Amerikas,  die  ja  alle  stark  unter  Insekten  zu  leiden  haben,  einen 
beispiellosen  Enthusiasmus  aus.  Man  glaubte  nun,  auf  die  gleiche  einfache  und 
billige  Weise  sich  aller  lästigen  Insekten  entledigen  zu  können,  was  als  unaus- 
bleibliche Folge  eine  bittere  Enttäuschung  nach  sich  ziehen  mußte.  In  der  ersten 
freudigen  Aufregung  ging  man  wenig  kritisch  vor;  man  glaubte,  es  genüge  die 
bloße  Einführung  eines  Feindes,  um  jeden  Schädling  damit  bekämpfen  zu  können. 
Gab  man  sich  doch  sogar  der  Hoffnung  hin,  mit  Einführung  unseres  Clerus 
formicarius  die  in  den  amerikanischen  Wäldern  so  schrecklich  wütenden  Borken- 
käfer bekämpfen  zu  können  und  entsandte  zu  diesem  Zwecke  einen  Entomologen 
(Hopkins)  nach  Deutschland,  um  den  Clerus  in  größeren  Mengen  zu  sammeln 
und  nach  Amerika  zu  bringen! 

Eine  Reihe  von  Mißerfolgen,  die  nach  der  Lage  der  Dinge  nicht  ausbleiben 
konnten  und  unbedingt  vorauszusehen  waren,  brachte  die  Begeisterung  bald  auf 
das  richtige  Maß  zurück.  Man  ging  nun  in  der  Folgezeit  etwas  kritischer  und 
mit  wissenschaftlichem  Ernste  vor,  und  hat  dann  auch  wieder  eine  Reihe  schöner 
Erfolge  erzielt.  So  ist  es  K  o  e  b  e  1  e  gelungen,  verschiedene  schlimme  Zucker- 
rohrschädlinge auf  Hawai  (vor  allem  eine  Zikade  {Perkinsiella)  durch  Parasiten- 
einfuhr wesentlich  zurückzudrängen;  des  weiteren  hat  man  die  Ölbaumschildlaus 
(Lecanium  oleae)  durch  Einfuhr  einer  kleinen  Schlupfwespe  {Scutellista  cyaneä) 
erfolgreich  bekämpft.  Man  hat  auch  sogar  bereits  begonnen,  durch  Ausführung 
amerikanischer  Parasiten  anderen  Ländern  zu  Hilfe  zu  kommen.  Der  neueste 
Erfolg  in  dieser  Beziehung  ist  die  wirksame  Bekämpfung  der  in  Italien  und  Süd- 
tirol so  schädlich  auftretenden  Maulbeerschildlaus,  die  mit  der  aus  Amerika 
stammenden  kleinen  Schlupfwespe  Prospaltella  Berlesei  How.  in  ihrer  Vermehrung 
wesentlich  reduziert  werden  konnte. 

Eine  besondere  Art  der  parasitären  Bekämpfung  hat  man  gegen  den  Baum- 
wollkapselkäfer, einen  Rüßler  aus  der  Gattung  Anthonomus,  versucht,  indem  man 
sich  nicht  auf  die  dem  genannten  Käfer  eigentümlichen  Parasiten  beschränkte, 
sondern  auch  die  bei  verwandten  Rüsselkäfern  vorkommen- 
den Parasiten  heranzuziehen  suchte.  Eine  ganze  Reihe  ver- 
wandter Rüßler  lebt  auf  verschiedenen  Unkräutern,  und  so  ließ  man  diese  Kräuter 
stehen  (oder  pflanzte  sie  sogar  eigens  an),  aber  nur  so  lange,  bis  die  Parasiten 
der  darauf  lebenden  Käfer  ausgeflogen  waren.  Dann  entfernte  man  die  betreffenden 
Pflanzen,  so  daß  die  meist  streng  monophagen  Käfer  zugrunde  gingen,  während 
ein  Teil  der  Parasiten,  durch  die  Not  gezwungen,  auf  den  überall  in  Massen  vor- 
handenen verwandten  Baumwollkäfer  über  flogen.  Und  so  konnte  durch  die 
Esche  rieh,  Forstinsekten.  22 


338         Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 

künstliche  Herbeiführung  von  sog.  „biologischen  Krisen"  die  Zahl  der 
auf  dem  Baumwollschädling  schmarotzenden  Nützlinge  wesentlich  vermehrt 
werden. 

Alle  bisher  geschilderten  Versuche  von  parasitärer  Bekämpfung  werden 
—  wenigstens  was  Größe  und  Kühnheit  des  Feldzuges  betrifft  —  weit  übertroffen 
von  dem  gegenwärtig  unter  der  Leitung  L.  O.  Howards,  des  genialen  Organi- 
sators der  amerikanischen  angewandten  Entomologie,  geführten  Kampfes 
gegen  den  Schwamm  Spinner,  auf  den  heute  die  Blicke  aller  angewandten 
Entomologen  der  Welt  gerichtet  sind.  —  Wie  schon  erwähnt,  ist  der  Schwamm- 
spinner durch  Unvorsichtigkeit  im  Jahre  1868  in  wenigen  Exemplaren  im  Staate 
Massachusetts  eingeführt  worden  und  hat  sich,  da  seine  natürlichen  Feinde  fehlten, 
derart  vermehren  können,  daß  er  heute  über  die  ganzen  Neuenglandstaaten  ver- 
breitet ist  und  zu  den  schlimmsten  Insektenkalamitäten,  die  die  Geschichte  kennt, 
herangewachsen  ist.  Nachdem  die  Vermehrung  einmal  eine  gewisse  Ausdehnung 
erlangt  hatte,  war  es  jedermann  klar,  daß  mit  technischen  Bekämpfungsmethoden 
allein  nichts  mehr  auszurichten  war,  und  daß  der  einzige  noch  gangbare  Weg  darin 
bestehen  konnte,  durch  Zufuhr  der  natürlichen  Feinde  ähnliche 
Verhältnisse  zu  schaffen  wie  in  der  Heimat  des  Schwammspinners, 
wo  dieser  ja  durchaus  nicht  zu  den  schlimmsten  Schädlingen  gehört.  Bei  der  Aus- 
führung des  Unternehmens  ließ  man  sich  von  folgenden  Grundsätzen  leiten: 

1.  Da  die  Niederhaltung  eines  Schädlings  nicht  durch  einen,  sondern 
durch  eine  ganze  Reihe  von  Parasiten  und  Räubern  bewirkt  wird,  so  sollte  da- 
nach gestrebt  werden,  möglichst  alle  Parasiten,  also  die  ganze 
„Parasitenreihe"   des   betreffenden   Schädlings,   einzuführen. 

2.  Da  der  Schwammspinner  ein  sehr  großes  Verbreitungsgebiet  hat  und  in 
den  verschiedenen  Gegenden  von  verschiedenen  Arten  von  Parasiten  heimgesucht 
wird,  so  sollte  man  sich  womöglich  die  Parasiten  aus  den  verschie- 
densten Gegenden  einführen,  um  dadurch  noch  mehr  als  eine 
normale  „Parasitenreihe"  zu  erreichen  und  damit  die  Parasiten- 
wirkung noch  über  das  europäische  Durchschnittsmaß  zu  erheben. 

3.  Da  die  Parasitenwirkung  im  Heimatlande  durch  Hyperparasiten  wesent- 
lich beeinträchtigt  wird,  so  sollte  man  darauf  achten,  daß  bei  dem  Import 
der  Parasiten  die  Hyperparasiten  möglichst  ausgeschaltet 
werden. 

So  gedachte  man  zu  einer  energischen  Parasitenwirkung  zu  gelangen,  die 
diejenige  in  Europa  zum  mindesten  erreichen,  wenn  nicht  sogar  übertreffen  konnte. 
Die  Grundsätze  zeugen  jedenfalls  von  einem  weiten  biologischen  Blick  Howards; 
ihrer  Verwirklichung  stellten  sich  aber  sehr  große  Hindernisse  entgegen,  so  daß 
es  amerikanischer  Zähigkeit  bedurfte,  um  sich  nicht  vom  Ziele  abdrängen  zu  lassen. 
Vor  allem  stellte  sich  bald  heraus,  daß  die  Kenntnisse  über  die  Biologie  der 
Parasiten  des  Schwammspinners  ganz  unzureichend  und  unzuverlässig  waren; 
daher  mußte  zunächst  das  Studium  der  Parasiten  ganz  von  vorne  angefangen 
werden,  um  eine  wissenschaftliche  Basis  zu  erhalten.  Das  bedeutete  aber  eine 
enorme  Arbeit,  und  wenn  dieselbe  in  einer  verhältnismäßig  kurzen  Zeit  (begonnen 
wurden  diese  Studien  1905),  zum  Teil  wenigstens,  erledigt  worden  ist,  so  konnte 
dies  nur  dadurch  geschehen,  daß  man  durch  Heranziehung  einer  großen 
Anzahl  wissenschaftlicher  Arbeiter  —  zeitweise  waren  nicht  weniger 
als  40  Entomologen  in  der  eigens  dafür  errichteten  Parasitenstation  in  Melrose 
Highlands  Mass.  beschäftigt!  —  die  weitgehendste  Arbeitsteilung  durchführen 
konnte,  so  daß  für  jede  einzelne  Parasitenart  mindestens  je  1, 
meistens  aber  mehrere  Bearbeiter  vorhanden  waren.  Durch 
diese  gründliche  Forscherarbeit  wurden  der  europäischen  und  speziell  der  deut- 
schen Forstentomologie  unschätzbare  Dienste  geleistet,  in- 
dem dadurch  die  Lebensweise  vieler  wichtigen,  unserem  Faunengebiet  angehörigen 
Parasiten  und  Raubinsekten  (wie  Tachinen,  Calosoma,  Ichneumoniden)  wesentlich 
erhellt  wurde. 


Die  biologische  Bekämpfung.  339 

Außerdem  wurden  bei  diesen  Untersuchungen  Methoden  ausgearbeitet,  die 
für  die  weiteren  Parasitenstudien  von  größtem  Wert  sind. 

Von  prinzipieller  Wichtigkeit  für  die  Zukunft  der  biologischen  Bekämpfung 
ist  vor  allem  die  Art,  wie  die  Ansiedelung  der  importierten  Nütz- 
1  i  n  g  e  betrieben  wurde.  Nachdem  man  erkannt  hatte,  daß  es  in  den  meisten  Fällen 
nicht  (wie  bei  dem  obengenannten  Novius)  genügte,  einfach  einige  Exemplare  aus- 
zusetzen, sondern  eine  große  Zahl  von  Individuen  (wenigstens  1000)  zu  einer  erfolg- 
reichen Ansiedelung  notwendig  ist,  ging  man  daran,  die  betreffenden  N  ü  t  z  1  i  n  g  e 
im  großen  —  gewissermaßen  fabrikmäßig  —  zu  züchten,  um 
ein  hinreichendes  Material  in  die  Hand  zu  bekommen.  Diese  Zuchten  sind  zum 
Teil  recht  gut  geglückt  und  haben  das  Ansiedelungswerk  wesentlich  erleichtert.  — 
Ist  es  doch  z.  B.  gelungen  von  11  Exemplaren  des  Eiparasiten  Schedins 
Kttwanne  in  1  Jahr  über  2  Millionen  Individuen  zu  erziehen,  in- 
dem auch  im  Winter  durch  Zucht  im  Warmhaus  die  Generationsfolge  ohne  Unter- 
brechung aufrecht  erhalten  wurde.  Auch  die  Zucht  des  eine  relativ  geringe  Ver- 
mehrungsziffer aufweisenden  Calosoma  sycophanta  lieferte  gute  Resultate,  so  daß 
bis  zum  Jahr  1911  bereits  über  20000  Exemplare  ausgesetzt  werden  konnten.  Über 
die  dabei  zur  Verwendung  gekommenen  Zuchtgeräte  usw.,  die  zum  Teil  sehr  nach- 
ahmenswert sind,  wird  im  folgenden  Kapitel  noch  einiges  berichtet  werden. 

So  bedeutet  der  gigantische  Kampf,  den  die  Amerikaner 
gegen  den  Schwammspinner  führen,  auch  für  die  deutsche 
Forstentomologie  einen  gewaltigen  Fortschritt,  ja  ich 
möchte  fast  sagen,  den  bedeutungsvollsten  Fortschritt,  den 
unsere  f  o  r  s  t  e  n  t  o  m  o  1  o  g  i  s  c  h  e  Wissenschaft  in  dem  letzten 
Dezennium  zu  verzeichnen  hat.  Es  ist  deshalb  durchaus  not- 
wendig, daß  der  deutsche  Forstentomologe  Kenntnis  von 
diesem  Kampf  hat  und  die  entsprechenden  Lehren  daraus 
zieht. 

Was  die  praktischen  Erfolge  des  bisherigen  Kampfes  be- 
trifft, so  ist  die  Zeit  noch  viel  zu  kurz,  um  ein  definitives  Urteil  darüber  fällen  zu 
können,  es  wird  vielleicht  noch  ein  Dezennium  darüber  hingehen,  bis  man  etwas 
klarer  sieht.  Immerhin  sind  schon  eine  Reihe  befriedigender  posi- 
tiver Erfolge  zu  verzeichnen,  insofern,  als  bereits  eine  Anzahl  der 
importierten  Parasiten  und  Raubinsekten  i)  sich  gut  eingebürgert  haben  und  von 
Jahr  zu  Jahr  sich  weiter  verbreiten  und  stärker  vermehren,  so  daß  also  schon  ein 
gewisses  Gegengewicht  gegen  die  Schwammspinnervermehrung  vorhanden  ist, 
wenn  dasselbe  vorläufig  auch  noch  viel  zu  gering  ist.  —  Mag  der  definitive  Erfolg 
ausfallen,  wie  er  will,  immer  wird  dieses  Werk,  das  an  Kühnheit  und  Großzügigkeit 
einzig  dasteht,  ein  Ruhmesblatt  in  der  Geschichte  der  angewandten  Entomologie 
darstellen.  Schon  wegen  der  zahlreichen,  wichtigen  biologischen  Entdeckungen 
und  der  neuen  Versuchsmethoden,  die  es  gezeitigt,  sodann  aber  auch,  weil  es  uns, 
wie  kaum  ein  zweites  Werk,  einen  tiefen  Einblick  verschafft  hat  in  das  Wirken 
der  für  die  Erhaltung  des  Gleichgewichtes  so  bedeutungsvollen  Parasiten  und 
Raubinsekten.  — 

Wir  haben  in  diesem  kurzen  historischen  Überblick  eine  Reihe  von 
Fällen  dargestellt,  in  denen  die  parasitäre  Bekämpfung  angewandt  wurde 
und  teilweise  unzweifelhafte  Erfolge  gezeitigt  hat.  Daraus  geht  jedenfalls 
so  viel  hervor,  daß  es  durchaus  keine  Utopie,  sondern  daß  es  tatsächlich 
möglich  ist,    durch  Schonung,  Zufuhr  und   künstliche  Vermehrung 


1)  Zu  den  gut  eingebürgerten  Arten  gehören  die  beiden  Eiparasiten  Anastatus 
bifasciatus  Fonsk.  und  Schedius  Kuwanae  How.,  verschiedene  Tachinen,  der 
Puppenpai-asit  Monodontomerus  aereiis  Walk,  und  der  Puppenräuber  Calo- 
soma sycophanta  L.  —  Ausführlicheres  darüber  ist  zu  finden  in  Escherich, 
Die  angewandte  Entomologie  in  den  Vereinigten  Staaten. 


340         Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 

von  Parasiten  und  Raubinsekten,  Schädlingskalamitäten  wirksam 
zu  bekämpfen.  Daraus  hat  des  weiteren  die  Wissenschaft  die  Pflicht  abzu- 
leiten, mit  aller  Gründlichkeit  sich  dieser  Methode  anzunehmen,  und  zu  unter- 
suchen, inwieweit  dieselbe  gegen  die  verschiedenen  Schädlinge  mit  Erfolg 
anzuwenden  ist.  Denn  solange  die  Wissenschaft  nicht  alle  überhaupt  in  Be- 
tracht kommenden  Möglichkeiten  geprüft  hat,  solange  hat  sie  ihre  Pflicht 
nicht  getan. 

Wenn  wir  diesen  Weg  betreten  wollen  —  und  es  ist  die  höchste  Zeit, 
daß  wir  ihn  betreten,  —  so  werden  wir  dabei  folgende  Gesichtspunkte  im 
Auge  zu  behalten  haben: 

1.  Zunächst  sind  unsere  diesbezüglichen  Bestrebungen  auf  solche 
Schädlinge  zu  richten,  bei  denen  ein  Erfolg  der  parasitären  Be- 
kämpfung nicht  a  priori  ausgeschlossen  oder  wenigstens  höchst 
unwahrscheinlich  ist. 

Eine  Bekämpfung  mit  Parasiten  wird  meist  nur  da  Erfolg  haben,  w  o 
das  Übel  auf  Parasitenmangel  zurückzuführen  ist.  Das  ist 
aber  durchaus  nicht  bei  allen  Kalamitäten  der  Fall.  Es  gibt  eine  ganze  Reihe 
von  Insektenkatastrophen,  die  in  anderen  Ursachen  begründet  sind;  so  hängt 
z.  B.  die  Borkenkäfervermehrung  weit  weniger  von  der  Abnahme  der  Para- 
siten und  Räuber  als  vielmehr  von  der  Zunahme  des  Brutmaterials  ab.  Was 
würde  es  in  diesem  Falle  nützen,  Clerus  formicarius  und  die  verschiedenen 
Schlupfwespen  heranzuziehen,  wenn  man  nicht  gleichzeitig  dafür  sorgt,  daß  die 
vertrocknenden  Bäume  entfernt  werden.  Oder  nehmen  wir  die  Phylloxera,  die  in 
den  Weinländern  Europas  so  unendliche  Verluste  verursacht.  Es  dürfte  schwerlich 
gelingen,  ihr  mit  natürlichen  Feinden  zu  begegnen.  Denn  es  ist  weniger  der 
Mangel  an  solchen,  welcher  diesen  amerikanischen  Eindringling  zu  einer  so  furcht- 
baren Plage  in  Europa  macht,  als  vielmehr  die  geringere  Widerstandsfähigkeit 
unserer  Reben  gegen  die  Angriffe  der  Laus.  Solche  Beispiele  ließen  sich  noch 
um  vieles  vermehren. 

2.  Sodann  sind  unter  den  der  biologischen  Bekämpfung  a  [priori  zu- 
gänglichen Schädlingen  zuerst  diejenigen  in  Angriff  zu  nehmen,  bei 
denen  die  technische  Bekämpfung  versagt  oder  bei  unverhältnis- 
mäßig hohen  Kosten  nur  zweifelhafte  Erfolge  erzielt  werden. 

Hierher  kann  man  z.  B.  die  Kieferneule  oder  den  Kiefernspanner  und  auch 
die   Nonne   zählen,    ferner   die   verschiedenen   forstlichen    Blattwespen   usw. 

3.  Man  sollte  nicht  eher  an  die  praktische  Verwendung  der  Parasiten 
denken,  bevor  nicht  deren  Lebensgeschichte  in  allen  Einzelheiten 
wissenschaftlich  erforscht  und  deren  Wirkungsweise  auf  den 
Schädling  genau  festgestellt  ist.  Dieser  Grundsatz  stellt  das  Axiom 
der  parasitären  Bekämpfung  dar,  das  unter  allen  Umständen  befolgt 
werden  muß,  wenn  man  zu  Erfolgen  gelangen  will. 

Da  nun  in  dieser  Beziehung  unsere  Kenntnisse  selbst  über  die  alltäglichsten 
und  wichtigsten  Parasiten  und  Raubinsekten  unserer  forstlichen  Schädlinge  noch 
kaum  im  Anfangsstadium  stehen,  so  hat  die  forstentomologische  Wissenschaft 
noch  eine  gewaltige  Aufgabe  zu  erledigen,  wenn  sie  dieser  Forderung  genügen 
soll.  Gehören  doch  die  Parasiten  an  und  für  sich  zu  den  am  schwierigsten  zu  er- 
forschenden Tieren,  deren  Studium  hohe  Anforderungen  an  Zeit,  Scharfsinn, 
technische  Geschicklichkeit,  Geduld  usw.  stellt.  Es  kommt  auch  nicht  bloß  darauf 
an,  die  Vermehrungsziffer  und  die  Entwicklungsweise  der  einzelnen  Stadien  zu 
erforschen,  es  muß  auch  die  Abhängigkeit  des  Parasiten  von  den  äußeren  Faktoren, 
ferner  seine  Verbreitung  und  Verteilung  über   das   Verbreitungsgebiet  des  Schäd- 


Die  biologische  Bekämpfung.  341 

lings  festgestellt  werden,  es  muß  untersucht  werden,  inwieweit  er  selbst  wieder 
unter  Parasiten  und  Raubinsekten  zu  leiden  hat,  sodann  ob  er  auch  auf  andere 
Schädlinge  geht,  ob  er  Zwischenwirte  bedarf  und  viele  andere  Punkte  mehr. 
Um  alle  diese  Fragen  in  absehbarer  Zeit  erledigen  zu  können,  ist  eine  Ver- 
mehrung des  wissenschaftlichen  Hilfspersonals  an  unseren 
forstentomologischen  Instituten  ein  dringendes  Erforder- 
nis, um  so  mehr  als  in  vielen  Fällen  ein  längerer  Aufenthalt  draußen  in  den 
Schädlingsgebieten  notwendig  sein  dürfte.  Des  weiteren  wird  erforderlich  sein, 
daß  die  Praxis  nicht  allzuschnell  greifbare  Erfolge  haben  will,  sondern  daß  sie 
der  Wissenschaft  Zeit  läßt,  ihre  Aufgabe  ungestört  und  in 
Ruhe  zu  erledigen.  Man  möge  sich  doch  allmählich  daran  gewöhnen,  die 
angewandte  Entomologie  mit  dem  gleichen  Maße  zu  messen  wie  die  anderen  natur- 
wissenschaftlichen   Disziplinen   und    die    Heilwissenschaften. 

4.  Was   die    praktische  Ausübung  der   parasitären  Bekämpfung   betrifft, 
so  sind  verschiedene  Wege  möglich: 

Der  nächstliegende  Weg  besteht  darin,  den  vorhandenen  Parasiten 
und  Raubinsekten  den  weitgehendsten  Schutz  zu  gewähren,  —  z.  B. 
in  der  Weise,  daß  man  den  in  der  Bodenstreu  sich  verpuppenden  Parasiten 
nicht  durch  Streuentnahme  die  Verpuppungsniöglichkeit  nimmt,  oder  dadurch 
daf5  man  bei  Parasiten,  die  auf  Zwischenwirte  angewiesen  sind,  darauf  achtet, 
daß  die  Nahrungspflanze  des  Zwischenwirtes  erhalten  bleibt;  oder  dadurch, 
daß  man  Raubinsekten,  die  in  Fanggräben  und  andere  Fangapparate  geraten, 
wieder  in  die  Freiheit  setzt  usw.  Ferner  ist  darauf  zu  sehen,  daß  die  Haufen 
der  roten  Waldameise  möglichst  wenig  gestört  werden  und  vor  allem  das 
Sammeln  der  Puppen  völlig  unterbleibt  (dafür  existieren  ja  auch  gesetzliche 
Bestimmungen).  Wo  Schädlingsraupen  zu  einem  gewissen  Prozentsatz  (dessen 
Höhe  sich  nach  der  Vermehrungsgröße  des  betr.  Parasiten  zu  richten  hat) 
mit  Parasiten  besetzt  sind,  hat  die  Tötung  der  Raupen  event.  zu  unterbleiben, 
um  die  ansteigende  Parasitenvermehrung  nicht  aufzuhalten.  Wo  es  sich 
um  vollgeleimte  Bestände  handelt,  kann  diese  Maßnahme  ohne  Bedenken  aus- 
geführt werden,  da  ja  der  ganze  Wald  durch  die  Leimung  gewissermaßen 
in  einen  großen  Zwinger  verwandelt  ist;  man  hat  nur  darauf  zu  sehen,  daß 
die  über  dem  Leimring  sitzenden  Raupen  abgekehrt  werden.  Eventuell 
kann  man  auch  zu  dem  Mittel  greifen,  daß  man  die  Raupen  oder  Puppen 
des  Schädlings  in  Käfige,  die  im  Walde  errichtet  werden,  zusammensperrt, 
aus  denen  wohl  die  Parasiten,  nicht  aber  die  Schmetterlinge  entweichen 
können.  Alle  die  hier  genannten  Maßnahmen  sind  übrigens  schon  stets  mehr 
oder  weniger  geübt  worden;  so  ist  das  Entfernen  des  Puppenräubers  aus 
Käfergräben  eine  jedem  Praktiker  geläufige  Sache,  ebenso  ist  vom  Töten  der 
Nonnenraupen  bei  stärkerem  Tachinenbefall  vielerorts  Abstand  genommen 
und  auch  das  Errichten  von  Raupenzwingern  im  Walde  zum  Zweck  des 
Parasitenschutzes  ist  bei  Nonnenkalamitäten  schon  mehrfach  versucht  worden. 
Ein  anderer  Weg  der  parasitären  Bekämpfung  besteht  in  der  direkten 
Zufuhr  von  Parasiten  und  Raubinsekten  in  das  befallene  Gebiet.  In 
welcher  Weise  dieselbe  geschehen  kann,  dafür  finden  sich  in  der  obigen 
historischen  Übersicht  eine  Reihe  von  Beispielen.  Es  sei  hier  auf  die  haupt- 
sächlichsten Möglichkeiten  kurz  hingewiesen. 

Wo    das    Vorkommen    eines    Parasiten     auf    engbegrenzte    Lokalitäten 
(Horste)  beschränkt  ist,  empfiehlt  es  sich.  Raupen  oder  Eier  oder  Puppen  des 


342         Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 

Schädlings  (je  nach  der  Parasitenart)  in  jenen  Horsten  zu  sammeln  und  in 
die  parasitenfreien  Abteilungen  überzuführen.  (Dabei  ist  durch  geeignete 
Vorkehrungen  zu  verhindern,  daß  die  miteingeführten  nicht  parasitierten 
Raupen  usw.  nicht  entkommen  können  [siehe  S.  336].) 

Desgleichen  kann,  was  schon  von  Ratzeburg  vorgeschlagen  und  auch 
bereits  mehrfach  ausgeführt  wurde,  versucht  werden,  der  so  überaus  wirk- 
samen roten  Waldameise  {Formica  rufa),  deren  Haufen  ja  in  ihrem  Vor- 
kommen meist  ziemlich  vereinzelt  anzutreffen  sind,  eine  allgemeinere  Ver- 
breitung zu  geben,  indem  man  einen  Haufen  in  mehrere  kleinere  Haufen 
teilt  und  dieselben  in  den  verschiedenen  Arten  des  Revieres  anzusiedeln 
sucht.  Man  muß  bei  dieser  Staatenzertrümmerung  resp.  künstlichen  Koloni- 
sation darauf  achten,  daß  in  jeder  Abteilung  genügend  Arbeiter  und  Brut 
vorhanden  sind,  damit  die  neuen  Kolonien  auch  lebensfähig  sind  und  sich 
entwickeln  können. 

Eine  weitere  Möglichkeit  der  Räuber-  oder  Parasitenzufuhr  ist  dann  ge- 
geben, wenn  ein  Schädling  in  verschiedenen  Gegenden  eines  Landes  zeitlich 
verschieden  auftritt,  in  der  Weise,  daß  die  Kalamität  hier  erst  im  Beginne,  dort 
aber  bereits  im  Erlöschen  begriffen  ist,  was  z.  B.  bei  den  großen  Nonnen- 
perioden nicht  selten  eintritt.  Man  kann  in  solchen  Fällen  von  dort,  wo  die 
Kalamität  im  Erlöschen  begriffen  ist  oder  noch  besser,  wo  sie  eben  erloschen 
ist,  und  wo  gewöhnlich  Parasitenreichtum  herrscht,  Parasiten  in  großen 
Mengen  beziehen,  um  sie  an  die  Orte  der  beginnenden  Kalamität  zu  schaffen. 
So  konnte  man,  um  ein  konkretes  Beispiel  zu  erwähnen,  während  der  letzten 
großen  Nonnenkalamität  lesen,  daß  im  Hannoverschen  ein  größerer  Nonnen- 
kahlfraß stattgefunden  hat,  trotzdem  eine  ungeheure  Menge  von  Tachinen 
vorhanden  war,  während  gleichzeitig  von  anderen  Orten  gemeldet  wurde, 
daß  die  Nonne  am  Beginne  einer  Vermehrung  zu  stehen  scheine.  In  einem 
solchen  Falle  stünde  nun  gar  nichts  im  Wege,  in  dem  kahlgefressenen,  für 
den  Abtrieb  bestimmten  Revier  im  zeitigen  Frühjahr  den  Boden  gründlich 
nach  Tachinentönnchen  absuchen  zu  lassen  und  diese  in  das  im  ersten  Be- 
ginne einer  Kalamität  stehende  Revier  zu  bringen;  es  würde  dadurch  in  dem 
letzteren  gleich  von  Anfang  an  ein  günstiges  Verhältnis  zwischen  Tachinen 
und  Raupen  geschaffen,  was  sicherlich  njcht  ohne  Einfluß  auf  die  Nonnen- 
vermehrung bleiben  würde,  ja  vielleicht  zu  einer  direkten  Koupierung  der 
Vermehrung  führen  könnte. 

Wo  es  sich  ferner  um  Schädlinge  mit  einer  großen  geographischen 
Verbreitung  handelt,  sind  die  Parasitenverhältnisse  vielfach  verschieden,  in- 
sofern als  in  dem  einen  Teil  des  Verbreitungsgebietes  z.  B.  eine  andere 
Tachinenart  vorkommt  als  in  dem  anderen.  Hier  könnte  nun  versucht 
werden,  die  Parasitenreihen  der  verschiedenen  geographischen 
Bezirke  zu  vereinigen  und  dadurch  eine  weit  stärkere  Parasiten  Wirkung  zu 
erreichen.  Es  müßte  besonderes  Augenmerk  auf  solche  Länder  gerichtet 
werden,  in  denen  der  betr.  Schädling  wenig  zur  Übervermehrung  neigt,  da 
anzunehmen  ist,  daß  hier  möglicherweise  bessere,  wirksamere  Parasiten  den 
Schädling  in  seiner  Vermehrung  bedrängen.  Daß  die  verschiedenen  Parasiten, 
selbst   solche,    die   sich  sj^stematisch  nahe  stehen,   große  Unterschiede  in  der 


Die  biologische  Bekämpfung. 


343 


Wirksamkeit  aufweisen  können,  geht  aus  den  im  hiesigen  Institut  gemachten 
Untersuchungen  Prelis  über  die  Nonnen-  und  Eulentachine,  Parasetigena 
segregata  und  Panzeria  rudis  hervor,  von  denen  die  erstere  schlechter 
an  den  Parasitismus  angepaßt  ist  als  die  letztere  und  infolgedessen  auch  nur 
eine  geringere  Wirksamkeit  entfalten  kann. 

Dieser  letztgenannte  Umstand  legt  ferner  den  Gedanken  nahe,  zu  ver- 
suchen, besonders  gut  wirkende  Parasiten  von  einem  Wirt  auf 
einen  anderen  zu  gewöhnen.  Nehmen  wir  z.  B.  an,  irgend  ein  Spinner 
habe  eine  ausgezeichnet  arbeitende  Tachine,  so  wäre  zu  erproben,  ob  diese 
Tachine    nicht    dahin    zu    bringen    wäre,    auch   an  einen  anderen  verwandten, 


Fig.  217.    Fabrikmäßige  Zucht  \  uu  Eipaiasiten  zur  Bekämijfuug  des  Schwammspinners  in  Amerika. 

(Aus  Escherich.) 

als  schlimmer  Schädling  auftretenden  Spinner  (z.  B.  Nonne)  zu  gehen.  Auch 
in  dieser  Beziehung  verweise  ich  auf  die  Arbeiten  Prelis,  der  bereits  den 
Anfang  dazu  gemacht  hat.  Er  versuchte  die  so  sehr  wirksame  Eulentachine 
auf  die  Nonne  überzuführen,  wobei  der  Anfang  auch  gelang:  die  kleinen  auf 
den  Nadeln  lauernden  Tachinenlarven  bohrten  sich  (allerdings  nur,  wenn  sie 
eine  Zeitlang  gehungert  hatten)  in  die  vorbeilaufenden  Nonnenraupen  ebenso  ein, 
wie  in  die  Eulenraupen,  doch  starben  sie  meist  vor  der  ersten  Häutung  in  der 
Nonne  ab,  wahrscheinlich  weil  ihnen  die  Zusammensetzung  des  Nonnenblutes 
nicht  zusagte.  Es  heißt  nun,  mit  anderen  ebenso  brauchbaren  Tachinen  und 
anderen  Schädlingen  weitere  Versuche  in  dieser  Richtung  zu  machen.  Das 
Prell  sehe  Experiment  hat  wenigstens  das  eine  ermutigende  Ergebnis  gezeitigt, 
daß  eine  für  monophag  geltende  Tachine  unter  Umständen  dazu  zu  bringen 
ist,  auch  fremde  Raupen  anzunehmen  (vgl.  hierzu  auch  das  über  die  para- 
sitäre Bekämpfung  des  Baumwollkapselkäfers  durch  Herbeiführung  von 
„biologischen  Krisen"   Gesagte,  siehe  S.  338). 


344         Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 

Endlich  wäre  noch  die  künstliche  („fabrikmäßige")  Parasiten- 
zucht in  besonderen  Zuchtanstalten  zu  bedenken,  die  uns  in  den  Stand 
setzen  würde,  stets  ein  Heer  der  wichtigsten  Parasiten  und  Räuber  zur  Ver- 
fügung zu  haben,  um  sie  gleich  beim  Beginne  einer  Kalamität  gegen  den 
noch  schwachen  Feind  aussenden  zu  können.  Daß  solche  Zuchten  möglich 
sind,  haben  die  Amerikaner  bewiesen  (Fig.  217);  sie  haben  uns  auch  die  Wege 
gezeigt,  auf  denen  dieselben  am  besten  anzustellen  sind.  Neben  den 
Tachinen  und  Schlupfwespen  kämen  als  besonders  geeignete  Objekte  die 
Coccinellen  und  sodann  vielleicht  auch  die  Spinnen  in  Betracht,  deren  Zucht 
und  Ansiedlung  am  wenigsten  Schwierigkeiten  bereiten  dürften  (vgl. 
Schwangart,  Über  die  Traubenwickler  usw.). 

Damit  sind  wohl  die  wichtigsten  Richtungen  angegeben,  die  fürs  erste 
bei  der  praktischen  Ausführung  der  parasitären  Bekämpfung  in  Betracht  zu 
ziehen  sind.  Zweifellos  werden  sich  noch  eine  ganze  Reihe  anderer  Möglich- 
keiten ergeben,  sobald  man  erst  einmal  begonnen  hat,  das  Problem  systematisch 
zu  bearbeiten. 

d)  Verbreitung  von  Mykosen  und  anderen  Infektionskrankheiten. 

Über  die  Bekämpfung  mittels  Mykosen  und  anderen  Infektionskrankheiten 
gilt  annähernd  dasselbe,  was  soeben  über  die  parasitäre  Bekämpfung  gesagt 
wurde,  d.  h.  daß  wir  auch  in  dieser  Beziehung  noch  ganz  am  Anfang  unserer 
Erkenntnis  stehen.  Es  wurden  zwar,  da  die  Wirkung  der  epidemisch  auf- 
tretenden, akuten  Krankheiten,  die  plötzlich  ungezählte  Mengen  von  Schäd- 
lingen dahinraffen,  viel  augenfälliger  und  drastischer  sich  kund  tut  als  die 
Wirkung  der  Parasiten,  der  Verbreitung  solcher  Raupenseuchen  usw.  im  all- 
gemeinen schon  etwas  mehr  Interesse  entgegengebracht  als  der  künstlichen 
Verbreitung  der  Parasiten.  Doch  meistens  erlahmte  das  Interesse  gewöhnlich 
schnell  wieder,  sobald  die  angestellten  Versuche  mit  einem  Mißerfolg  endeten. 

Was  zunächst  die  künstliche  Verbreitung  von  Mykosen  betrifft, 
so  wurde  schon  oben  (S.  284 — 289)  bei  der  Besprechung  der  insekten- 
tötenden  Pilze  das  Wichtigste  gesagt.  Den  dortigen  Angaben  ist  ja  im  all- 
gemeinen nicht  sehr  viel  erfreuliches  zu  entnehmen,  wenn  auch  in  einigen 
Fällen  unzweifelhafte  Erfolge  zu  verzeichnen  waren.  Gewöhnlich  erzielte  man 
wohl  im  Laboratorium  sehr  gute  Infektionserfolge,  während  sie  draußen  im 
großen  mehr  oder  weniger  versagten;  so  erging  es  mit  der  Nonnen- 
bekämpfung vermittelst  Botrytis  Bassiana,  so  erging  es  mit  der  Maikäfer- 
bekämpfung vermittelst  Botrytis  tenella^  so  erging  es  mit  der  Heuschrecken- 
bekämpfung vermittelst  Sporotrichum,  und  so  erging  es  mit  der  Verwendung 
verschiedener  Isarien  usw.  Als  Hauptgrund  für  die  Mißerfolge  im  großen 
wird  gewöhnlich  der  Umstand  angeführt,  daß  das  Gedeihen  der  Pilze  von 
verschiedenen  äußeren  Bedingungen  (wie  Feuchtigkeit,  geschwächte  Wider- 
standsfähigkeit der  Raupen  usw.)  abhängig  sei,  und  daß  es  eben  außerhalb 
der  menschlichen  Machtsphäre  liege,  solche  Bedingungen  künstlich  zu  schaffen.^) 
Wir    sollten   uns   aber   bei   derartigen   Überlegungen    keineswegs    beruhigen; 

1)  Vergl.  dagegen  Schwangart,  der  durch  besondere  Kultur- 
methoden („Anhäufelung")  die  Vermehrung  vorhandener  pathogener  Pilze  er- 
strebte und  auch  erreichte. 


Die  biologische  Bekämpfung.  345 

denn  einerseits  werden  sich  vielleicht  Pilzarten  finden  lassen,  die  weniger 
anspruchsvoll  sind,  und  sodann  werden  auch  die  Insekten  gewisse  Perioden 
in  ihrem  Leben  haben,  in  denen  sie  hinfälliger  sind  und  infolgedessen  ge- 
eigneter für  eine  Pilzinfektion;  außerdem  dürften  sich  auch  die  verschiedenen 
Insektenarten  an  und  für  sich  verschieden  empfänglich  gegen  die  Pilze  ver- 
halten (so  erfahren  wir  z.  B.  durch  Schwangart,  daß  solche  Insekten,  die 
normalerweise  unterirdisch  leben,  der  Verpilzung  weniger  ausgesetzt  sind 
als  die  an  der  Luft  lebenden  Insekten).  Jedenfalls  ist  durchaus  kein  Grund 
vorhanden,  jetzt  schon  die  Flinte  ins  Korn  zu  werfen.  Wir  schließen 
uns  vielmehr  in  dieser  Beziehung  voll  den  Ausführungen  des  berühmten 
französischen  Gelehrten  Paul  Marchai  an,  die  hier  wörtlich  wieder- 
gegeben seien:  „Wenn  in  der  Praxis  die  Ergebnisse  (mit  der  künstlichen 
„Verbreitung  von  Mj^'osen)  noch  recht  ungleich  und  nicht  immer  so  günstig 
„waren,  wie  der  Anfang  erhoffen  ließ,  bestehen  doch  gewichtige  Gründe 
„für  die  Annahme,  daß  diese  Unsicherheit  mit  unseren  noch  un- 
„genügenden  Kenntnissen  von  den  natürlichen  Vorbedingungen  der 
„Wirksamkeit  dieser  Pilze  und  mit  der  unzulänglichen,  eben  auf 
„unserer  mangelhaften  Kenntnis  beruhenden  Technik  zusammen- 
„hängt.  Denn  diese  wird  verschieden  sein  müssen,  je  nach  der  Art  der  zu 
„verwendenden  Pilze  sowohl  wie  nach  den  Lebensbedingungen  der  einzelnen 
„Insektenarten,  an  denen  sie  leben.  Es  bleibt  also  noch  sehr  viel  zu  er- 
„forschen  übrig.  Es  gilt  zu  ermitteln,  welches  im  Einzelfall  die  günstigste 
„Zeit,  welches  das  der  Ansteckung  am  meisten  ausgesetzte  Stadium  des 
„Schädlings,  welches  die  richtigen  Methoden  für  die  Vermehrung  und  Ver- 
„breitung  des  Krankheitserregers  sind,  wie  die  Virulenz  von  Kulturen  durch 
„geeignete  Nährböden  auf  der  Höhe  gehalten  werden  kann.  Man  muß 
„rechnen  mit  Schwierigkeiten  der  praktischen  Durchführung,  vor  allen  mit 
„den  durch  die  klimatischen  Verhältnisse  gestellten  Vorbedingungen  usw." 
„Nichts  aber  berechtigt  uns  zu  der  Behauptung,  daß  diese  Hindernisse  unüber- 
„ windlich  seien.  Manche  Ergebnisse  sind  im  Gegenteil  dazu  angetan,  uns  zu 
„ermutigen.  Doch  nur  konsequente  Untersuchung  mit  dem  Ziele, 
„allmählich  alle  Seiten  des  Problems  aufzuklären  und  das  Studium 
„selbst  immer  mehr  zu  vertiefen,  werden  uns  Klarheit  verschaffen,  welche 
„praktische  Bedeutung  diese  Methoden  werden  erreichen  können". 

Betreffs  der  anderen,  nichtpilzlichen  Infektionskrankheiten  ist 
es  beinahe  noch  schlechter  bestellt,  insofern,  als  wir  ja  bei  vielen  derselben 
noch  gar  nicht  einmal  wissen,  um  welchen  Erreger  es  sich  handelt.  Es  trifft 
dies  vor  allem  für  die  forstlich  am  meisten  in  Betracht  kommenden 
Polyederkrankheiten  zu,  über  deren  Erreger  die  Forscher  heute  noch 
recht  geteilter  Meinung  sind  (siehe  S.  302).  Solange  wir  aber  über  diesen 
Punkt  noch  nicht  klar  sind,  können  war  auch  nicht  erwarten,  daß  die  Praxis 
sichere  Ergebnisse  erzielt.  Gerade  bezügl.  der  Polyederkrankheiten  dürfte  es 
übrigens  geboten  sein,  keinem  allzugroßen  Optimismus  sich  hinzugeben, 
schon  aus  dem  Grunde,  weil  die  Erfahrung  besonders  der  letzten  Jahre  ge- 
lehrt hat,  daß  die  Krankheit  mitunter  auf  ganz  engbegrenzte  Orte  beschränkt 
bleiben  kann,    ohne   sich  wesentlich  auszubreiten.     Wenn  schon  unter  natür- 


346         Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 

liehen  Verhältnissen  am  Ende  einer  Nonnenkalamität  (wo  wir  doch  eine  all- 
gemeine Schwächung  der  Raupen  anzunehmen  geneigt  sind)  die  Krankheit 
mitunter  keine  größere  Verbreitung  zu  erlangen  vermag,  so  dürften  die  Be- 
dingungen für  eine  künstliche  Verbreitung  der  Krankheit  beim  Beginn  einer 
Kalamität  wohl  noch  weniger  günstig  sein. 

Welch  große  Hoffnungen  hatte  die  Praxis  Anfangs  der  Neunziger  Jahre 
des  vorigen  Jahrhunderts  auf  die  Wipfelkrankheit  (die  ja  eine  Polyeder- 
krankheit ist)  gesetzt,  als  Medizinalrat  Hofmann  und  v.  Tubeuf  ihre  Unter- 
suchungen bekannt  gaben,  und  ein  Bakterium  als  den  Verursacher  der 
Krankheit  nannten.  Manche  Praktiker  glaubten  schon,  mit  Hilfe  dieses 
Bakteriums  der  Nonne  völlig  Herr  zu  sein,  und  zahlreich  sind  die  Versuche, 
die  seit  dieser  Zeit  im  Großen  wie  im  Kleinen  ausgeführt  wurden.  Erst- 
malig ist  der  Versuch,  die  Nonne  im  großen  durch  künstliche  Verbreitung 
der  Wipfelkrankeit  zu  bekämpfen,  wohl  in  den  herzoglich  Ratiborschen 
Forsten  in  Oberschlesien  durch  Forstmeister  Schmidt  unternommen  worden. 

Es  dürfte  sich  verlohnen,  mit  einigen  Worten  darauf  einzugehen,  einmal 
des  historischen  Interesses  wegen,  und  sodann,  um  zu  zeigen,  wohin  allzu- 
große Begeisterung  im  Verein  mit  einem  halben  Verstehen 
der  wissenschaftlichen  Ergebnisse  und  Methoden  führen  kann. 
Forstmeister  Schmidt  hat  seine  Versuche  in  einer  kleinen  Schrift  ausführlich 
beschrieben,  wo  bezüglich  des  Verfahrens,  das  bei  der  Infektion  der  Wälder  an- 
gewandt wurde,  folgendes  mitgeteilt  wird:  „Außer  jenen  (allgemein  gebräuchlichen 
„Bakteriennährböden)  verwendete  ich  auch  Fleisch,  und  zwar  Rind-  und  Pferde- 
„fleisch,  welches  ich  in  Kolben,  mit  etwas  Wasser  versehen,  an  verschiedenen  Tagen 
„in  kochendes  Wasser  gebracht  hatte.  Ich  verwendete  auch  nicht  sterilisiertes 
„Fleisch.  Sowohl  sterilisiertes  als  auch  nicht  sterilisiertes  Fleisch  wurde  rein  und 
„mit  Kartoffelbrei  derartig  vereinigt  verwandt,  daß  der  Brei  über  die  durch  Messer- 
,, einschnitte  vielfach  geöffnete  Oberfläche  des  Fleischstückes  dünn  gestrichen  wurde. 
,,Nach  der  Impfung  des  Bazillus  und  der  Mischkultur  auf  die  genannten  Nährböden 
„entstanden  üppige  Pilzwucherungen.  Auf  Kartoffeln  und  Brei,  sowie  auf  mit 
„Kartoffelbrei  versehenem  Fleisch  zeigten  sich  eiterähnliche,  übelriechende  halb- 
,, flüssige  Massen.  Die  an  gesunden  Raupen  bewirkten  Infektionen  mit  den  von 
„den  verschiedenen  Nährböden  entnommenen  Spaltpilzen  verliefen  günstig,  indem 
„die  meisten  Raupen  starben.  Die  besten  Resultate  aber  ergaben  die  Infektions- 
„stoffe,  die  von  mit  Kartoffelbrei  versehenem  Fleisch  und  aus  Gelatinekultur  ent- 
„nommen  waren.  Ich  ließ  deshalb  in  dem  Hauptfraßherd  an  verschiedenen  Orten 
„frisches  Pferdefleisch  aushängen,  überstrich  die  durch  Messereinschnitte  empfäng- 
„lich  gemachte  Oberfläche  mit  sterilisiertem  Kartoffelbrei  und  impfte  hierauf 
,, Kulturen  von  den  oben  beschriebenen  Nährböden"  usw.  usw.  „Einige  Zeit  nachher 
,,trat  in  jenem  Infektionsgebiet  die  Flacherie  auf,  sich  schnell  über  das  Fraßgebict 
„verbreitend.  Der  Beweis,  daß  die  Flacherie  durch  jene  Infektion  hervorgerufen 
,, worden  sei,  läßt  sich  zwar  nicht  erbringen,  ich  möchte  dies  aber  bestimmt  an- 
,, nehmen"  usw. 

Ein  so  gründliches  Mißverstehen  bakteriologischer  Arbeit,  wie  es  in 
diesem  Fall  vorliegt,  gehört,  wenigstens  in  der  Literatur,  glücklicherweise  zu 
den  vereinzelten  Erscheinungen;  doch  auch  die  zahlreichen  anderen  Versuche, 
die  in  dieser  Richtung  bis  in  die  neueste  Zeit  angestellt  wurden,  sind,  wenn 
sie  auch  auf  einem  höheren  Niveau  stehen,  mehr  oder  weniger  lückenhaft 
und  jedenfalls  nicht  beweisend.  Gewöhnlich  liegt  allen  diesen  Versuchen 
folgender  Gedankengang  zugrunde:  Man  bringt  verseuchtes  Material  (wipfel- 
kranke Raupen   oder   aus    solchen    hergestellte  Präparate)   in   eine  „gesunde" 


Die  biologische  Bekämpfung.  347 

Abteilung,  in  der  bisher  „keine  Spur"  von  Wipfelkrankheit  „zu  bemerken"  war. 
Wenn  nun  nach  einiger  Zeit  deutliche  Anzeichen  der  Wipfelkrankheit  auf- 
treten, so  wird  daraus  geschlossen,  daß  die  Infektion  durch  das  Einbringen 
des  verseuchten  Materials  bewirkt  wurde,  daß  also  die  Infektion  von  Erfolg 
begleitet  war.  Dieser  Schluß  hängt  aber  insofern  in  der  Luft,  als  in  keinem 
dieser  Fälle  nachgewiesen  ist,  daß  die  Versuchsabteilung  wirklich  „gesund" 
war  und  nicht  bereits  die  Wipfelkrankheit  in  latenter  Form  unter  den  Raupen 
geherrscht  hat  (siehe  S.  300  ff.).  Zum  mindesten  hätte  eine  Anzahl  Raupen  aus 
dem  angeblich  gesunden  Bestand  mikroskopisch  auf  das  Vorhandensein  von 
Polyedern  untersucht  werden  müssen,  was  aber  bisher  niemals  geschehen  ist 
(vgl.  darüber  auch  Wahl).  So  kann  stets  der  Einwand  erhoben  werden,  daß 
die  akute  Form  der  Krankheit  in  dem  betreffenden  Jahr  ohnehin,  auch  ohne 
künstliche  Infektion  eingetreten  sein  würde,  um  so  mehr  als  es  sich  in  den 
meisten  der  diesbezüglichen  Versuche  um  Orte  mit  älterem  Nonnenbefall  ge- 
handelt hat.  (In  ganz  frisch  befallenen  Beständen,  mit  noch  sehr  geringer  Nonnen- 
vermehrung, ist,  so  viel  mir  bekannt,  bisher  noch  keine  Infektion  in  obiger 
Weise  „erzielt"  worden.) 

Was  die  Art  der  Ausführung  der  Infektionsversuche 
betrifft,  so  wurden  die  verschiedensten  Verfahren  angewandt,  von 
denen  die  wichtigsten  hier  angeführt  seien: 

Eckstein  stellt  folgende  Punkte  auf,  welche  für  die  in  verschiedenen 
preußischen  Revieren  seinerzeit  mit  der  künstlichen  Infizicrung  beauftragten  Be- 
amten als  Richtschnur  dienen  sollten,  nämlich 

1.  Die  Infektion  wird  ausgeführt  A.  durch  Impfung,  B.  durch  Auslegen  der 
Reinkulturen  an  der  Futterpflanze. 

2.  Die  Impfung  geschieht  dadurch,  daß  mit  einer  Präpariernadel  der  zu 
impfenden  Raupe  eine  Spur  Impfstoff  in  den  After  gebracht  wird,  aber  ohne  dabei 
die  Raupe  zu  verletzen. 

3.  Da  die  Bakterienkrankheiten  sich  im  allgemeinen-  von  gewissen  Zentren 
aus  verbreiten,  so  müssen  solche  künstlich  geschaffen  werden.  Dies  erreicht  man 
dadurch,  daß  man  geimpfte  Raupen  in  größerer  Zahl,  etwa  50,  an  je  einem  Stamme 
hinauf  laufen  läßt  und  mehrere  nebeneinander  stehende  Stämme  in  dieser  Weise 
besetzt. 

4.  Das  Auslegen  von  Reinkulturen  an  Futterpflanzen  geschieht  dadurch,  daß 
man  a)  den  flüssigen  Inhalt  der  Röhrchen  auf  die  Nadeln,  respektive  Blätter  gießt, 
welche  demnächst  den  Raupen  zum  Futter  dienen  werden,  oder  b)  den  festen  Inhalt 
aus  den  zerschlagenen  Röhrchen  vorsichtig,  ohne  die  Bakterien,  d.  h.  den  weißlichen, 
bräunlichen  oder  gelblichen  Überzug  des  Nährbodens  abzuwischen,  herausnimmt 
und  dahin  bringt,  event.  etwas  verteilt,  wo  die  Raupen  am  dichtesten  sitzen. 

5.  Da  auch  hierbei  Infektionsherde  geschaffen  werden  müssen,  so  können 
die  Reinkulturen  in  einer  der  folgenden  Weisen  ausgelegt  werden:  a)  Die  Rein- 
kulturen werden  unter  Leimringen  da  an  die  Stämme  mit  einem  glatt  geschnittenen 
Hölzchen  gestrichen,  wo  die  Raupen  am  dichtesten  sitzen,  b)  Auf  jungen  Kiefern, 
respektive  Fichten  wird  die  Reinkultur  an  die  Nadeln  der  Zweige  gebracht,  c)  Im 
hohen  Holze  können  einige  Äste  abgeschlagen  und  in  den  Boden  gesteckt  werden. 
Nachdem  diese  mit  zahlreichen  Raupen  besetzt  sind,  werden  die  Reinkulturen  auf- 
gestrichen, d)  In  Raupengräben  und  Fanglöchern  werden  kleine  Zweige  —  so  klein, 
daß  sie  den  Raupen  keine  Gelegenheit  zum  Entwischen  bieten  —  die  mit  Rein- 
kulturen bestrichen  wurden,  ausgelegt. 

6.  Ist  die  Schlaffsucht  hie  und  da  zum  Ausbruche  gekommen,  so  können, 
aber  erst  nachdem  das  Umsichgreifen  der  Erkrankung  beobachtet  wurde,  kranke 
und  tote  Raupen  gesammelt  und  an  anderen  Orten  ausgelegt  werden. 


348         Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 

7.  Vor  allzu  weitgehender  Verteilung  ist  dabei  wie  bei  dem  Auslegen  der 
Bakterienkulturen  zu  warnen. 

8.  Die  Röhrchen  sind  nicht  der  allzu  großen  Sonnenhitze  auszusetzen.  Der 
Watteverschluß  der  Röhrchen  ist,  außer  bei  der  Infektion,  nicht  zu  lüften. 

9.  Die  zum  Impfen  verwandten  Präpariernadeln  müssen,  bevor  zur  Infektion 
mit  einer  zweiten  Bakterienart  geschritten  wird,  in  Spiritus  gründlich  abgerieben 
werden.     Hölzchen  sollten  nur  einmal  verwendet  werden. 

10.  Die  einzelnen  Versuche  müssen  räumlich  möglichst  getrennt  voneinander 
—  100—200  m  —  angestellt  werden." 

In  A  m  e  r  i  k  a,  wo  man  Versuche  mit  der  künstlichen  Verbreitung  der  Poly- 
ederkrankheit des  Schwammspinners  (der  sog.  „Wilt")  machte,  führte  man  folgende 
Methoden  aus:  Im  Kleinen  benützte  man  eine  Mischung  aus  frischgestorbenen 
Raupen,  Wasser  und  etwas  Leim,  die  entweder  auf  den  Stamm  aufgestrichen  oder 
mit  einem  Spritzapparat  in  die  Krone  gebracht  wurde;  im  großen  suchte  man  die 
Infektion  dadurch  zu  bewerkstelligen,  daß  man  eine  größere  Menge  abgestorbener 
oder  absterbender  Raupen  in  einem  hängemattenähnlich  aufgehängten  Beutel  in  der 
Krone  verschiedener  Bäume  anbrachte,  und  zwar  in  der  Weise,  daß  der  vorherr- 
schende Wind  die  Krankheitskeime  von  den  behängten  Bäumen  in  die  zu  bekämpfen- 
den Abteilungen  tragen  mußte.  Daszur  Infektion  notwendige  kranke  Material  suchte 
man  —  gestützt  auf  die  Angaben  E.  Fischers,  wonach  durch  Darreichung  von 
nassem  Futter  die  „Flacherie"  erzeugt  werden  könne  —  dadurch  sich  zu  ver- 
schaffen, daß  man  stets  eine  große  Anzahl  von  Raupen  in  Käfigen  mit  nassem 
Futter  bedachte.  Sobald  diese  Zuchten  nun  Symptome  der  Krankheit  aufwiesen, 
wurden  sie  dann  in  den  genannten  Hängematten  im  Walde  aufgehängt  (Reiff, 
W.,  The  Wilt  Disease  or  Flacherie  of  the  Gypsy  Moth.  Boston  1911).  Auf  die 
Unzulänglichkeit  dieser  Versuche  wurde  von  Escherich  bereits  hingewiesen 
(Naturw.  Zeitschrift  für  Land-  und  Forstwirtschaft  1913).  Hier  sei  nur  erwähnt, 
daß  bei  den  Reiff  sehen  Versuchen  außer  der  Erfüllung  der  oben  erwähnten  Forde- 
rung auch  noch  der  Nachweis  fehlt,  daß  die  durch  Darreichung  nassen  Futters 
in  den  Käfigen  erzeugte  Krankheit  mit  der  draußen  in  den  Wäldern  (als  vermeint- 
liche Folge  der  Infektion)  aufgetretenen  auch  wirklich  identisch  war. 

Ein  weiteres  Verfahren  zur  Bekämpfung  der  Nonne  mit  Hilfe  von  Polyeder- 
krankheiten wurde  in  neuerer  Zeit  von  Bolle  vorgeschlagen.  Derselbe  zielt 
daraufhin,  die  Gelbsucht  der  Seidenraupe  zur  Infektion  zu  ver- 
wenden, und  zwar  derart,  daß  eine  mit  zerflossenen  gelbsüchtigen  Seidenraupen 
hergestellte  Brühe  mit  Torf  vermengt  an  verschiedenen  Stellen  der  betreffenden 
Wälder  in  Körben  oder  dgl.  aufgehängt  werden  sollte.  Diese  Methode  hätte,  falls 
sie  sich  verwirklichen  ließe,  den  großen  Vorzug,  daß  man  stets,  auch  schon  beim 
ersten  Beginn  von  Nonnenkalamitäten,  genügenden  Infektionsstoff  zur  Verfügung 
hätte.  Es  sei  aber  in  dieser  Hinsicht  daran  erinnert,  daß  man  heute  bezügl.  der 
Wirkung  des  Gelbsuchtgiftes  der  Seidenraupe  auf  Nonnen  noch  geteilter  Meinung 
ist,  daß  somit  erst  diese  Frage  einwandfrei  zu  lösen  wäre. 

Einen  von  den  bisher  genannten  abweichenden  Weg  zur  Verbreitung  der 
Polyederkrankheit  schlägt  Klöck  vor.  Von  der  Annahme  ausgehend,  daß  die 
Krankheit  zuerst  an  solchen  Orten  akut  auftritt,  wo  infolge  gänzlicher  oder 
wenigstens  starker  Entnadelung  ungünstige  Nahrungsbedingungen  eingetreten  sind, 
und  sich  dann  von  dort  allmählich  verbreitet,  suchte  Klöck  solche  Krank- 
heitsherde künstlich  zu  schaffen,  so  daß  die  akute  Seuche  eher  zum 
Ausbruch  kommen  würde,  als  unter  natürlichen  Umständen  zu  erwarten  wäre.  Er 
empfiehlt  hierzu  folgende  Maßnahmen: 

„1.  Auf  entsprechend  großen  Flächen  jüngerer  und  noch  wenig  durchforsteter 
Bestände,  welche  zumeist  den  Ausgangspunkt  für  Nonnenfraßherde  bilden,  wären 
zu  Beginn  der  Fraßzeit  nach  vorausgegangener  Leimung  des  Haupt- 
bestandsmaterials Durchforstungen  einzulegen,  wobei  als  Hauptmoment  in  Betracht 
käme,  daß  das  gesamte  niedergelegte  Material  mit  den  daran  befindlichen  Raupen- 
massen oder  zum  mindesten  die  mit  Raupen  dicht  besetzten  Gipfelstücke  bis  zum 
Ende   der   Fraßzeit   an  Ort  und  Stelle  unberührt  liegen    bleiben  müßten." 


Die  biologische  Bekämpfung.  349 

„2.  In  älteren  angehend  haubaren  oder  haubaren  Beständen,  welche  auf  Grund 
des  konstatierten  Eierbelages  ohnehin  dem  Kahlfraß  und  sodann  der  Axt  zum 
Opfer  fallen  müßten,  wären  gleichfalls  zu  Beginn  der  Fraßzeit  entsprechend  große 
Flächen  nach  vorausgegangener  Isolierung  mittels  eines  ca.  50  m  breiten  geleimten 
Streifens  kahl  zu  hauen,  und  das  hierbei  angefallene  Material  in  der  oben  be- 
schriebenen Weise  zu  behandeln.  Bei  der  Auswahl  der  betreffenden  Flächen  wird 
darauf  zu  achten  sein,  daß  dieselben  möglichst  zentral  liegen,  um  der  voraussicht- 
lich sich  zuerst  an  dem  gefällten  Material  einstellenden  Wipfelkrankheit  Gelegen- 
heit zu   größtmöglicher   Ausbreitung   im  übrigen    Bestandteile  zu   geben." 

Klöck  ist  der  Meinung,  daß  er  mit  dieser  Methode  gute  Erfolge  erzielt 
habe,  indem  sich  von  dem  künstlich  geschaffenen  Seuchenherd  die  Wipfelkrankheit 
so  ausgebreitet  habe,  daß  die  Gefahr  von  seinem  Bezirk  rechtzeitig  abgewendet 
werden  konnte.  —  Der  Vorschlag  Klöcks  hat  zweifellos  manches  für  sich,  da 
derselbe  dem  natürlichen  Weg,  auf  welchem  der  Ausbruch  der  Krankheit  in  vielen 
Fällen  vor  sich  zu  gehen  scheint,  am  nächsten  kommen  dürfte.  Doch  ist  ein  Be- 
weis für  die  Wirkung  des  Verfahrens  in  der  Tatsache,  daß  nach  Anwendung 
desselben  in  jenen  Gebieten  die  Krankheit  ausgebrochen  ist,  ebensowenig  erbracht 
wie  in  den  obigen  Fällen. 

Es  liegt  also  heute  trotz  der  zahlreichen  Versuche  noch  kein 
einziger  Fall  vor,  der  die  Möglichkeit  einer  künstlichen  Ver- 
breitung der  Polyederkrankheiten  im  Walde  strikte  bewiesen  hätte. 
Das  sollte  uns  aber  nicht  abhalten,  weiter  zu  forschen  und  weiter  Versuche 
anzustellen.  Vor  allem  dürfte  es  notwendig  sein,  noch  weitere  Forschungen 
über  die  Natur  des  Erregers,  über  seine  Vermehrungs-  und  Verbreitungs- 
bedingungen anzustellen,  um  eine  sichere  Basis  für  künstliche  Infektions- 
versuche zu  schaffen.  Vordem  bedeuten  alle  derartigen  Experimente  mehr 
ein  Raten,  denn  ein  zielbewußtes  Arbeiten.  Da  die  Polyederkrankheit,  wie 
oben  (S.  302)  ausgeführt,  eine  ziemliche  Verbreitung  unter  den  Insekten 
(nicht  nur  unter  den  Raupen  der  Schmetterlinge,  sondern  auch  unter  den 
Blattwespenlarven  usw.)  zu  haben  scheint,  so  würde  ein  event.  Erfolg  der 
auf  eine  künstliche  Infektion  hinzielenden  Bestrebungen  von  der  allergrößten 
Bedeutung  für  die  Schädlingsbekämpfung  werden. 

Mit  den  anderen  der  im  vorigen  Kapitel  genannten  Krankheiten,  den 
Bakterien-  und  Nosemaseuchen,  hat  man  sich  in  der  forstlichen 
Praxis  noch  kaum  beschäftigt.  Es  ist  aber  gewiß  empfehlenswert,  in  der 
Zukunft  bei  den  Bekämpfungsversuchen  der  verschiedenen  ForstschädHnge 
auch  dieser  verheerenden  Mächte  sich  zu  erinnern,  vielleicht  ist  der  eine  oder 
andere  unserer  Waldverderber  besonders  empfänglich  gegen  die  Erreger 
jener  Krankheiten.  Es  ist  um  so  mehr  angezeigt,  unsere  Forschungen  nicht 
lediglich  auf  die  Wipfelkrankheit  (und  die  übrigen  Polyederkrankheiten)  zu 
beschränken,  sondern  auch  auf  die  anderen  Seuchen  auszudehnen  (wenn  diese 
fürs  erste  auch  kein  spezielles  Interesse  für  die  Forstinsekten  zu  haben 
scheinen),  als  man  in  der  letzten  Zeit  in  dem  Coccobacilhis  acridiorum  und 
Coccobacilhis  cajae  Mikroorganismen  von  außerordentlicher  Pathogenität  und 
Virulenz  kennen  gelernt  hat,  und  mit  dem  ersteren  auch,  wie  es  scheint,  gute 
Erfolge  bei  der  Bekämpfung"  der  Wanderheuschrecken  in  Mexiko  erzielte 
(D'Herelle). 

Auch  mit  Nosenia,  welches  aus  Seidenzüchtereien  ja  stets  in  genügender 
Menge   zu  haben  ist,    sollten  Infektionsversuche   an  den  verschiedenen  Forst- 


350         Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 

Schädlingen  gemacht  werden,  nachdem  dessen  Pathogenität  und  leichte  Ver- 
breitung durch  die  verheerenden  Seuchen,  an  denen  die  Seidenzüchtereien 
früher  (vor  der  Einführung  des  Zellensystems)  so  arg  zu  leiden  hatten,  ge- 
nügend dargetan  ist.  —  So  gibt  es  also  auch  auf  dem  Gebiet  der  Verbreitung 
von  Insektenkrankheiten  zum  Zwecke  der  Schädlingsbekämpfung  noch  un- 
endlich viel  zu  tun.  Ja,  fast  alles  ist  hier  noch  Problem.  Jahrzehnte  langes 
eingehendes  Studium  wird  nötig  sein,  Klarheit  in  die  so  überaus  schwierigen 
Fragen  zu  bringen,  und  viele  Enttäuschungen  in  praktischer  Hinsicht  werden 
wir  vielleicht  erleben.  Doch  darf  diese  Überlegung  niemals  ein  Grund  sein, 
von  vornherein  auf  die  Inangriffnahme  dieser  Probleme  verzichten  zu  wollen. 

3.  Die  technische  Bekämpfung, 
a)  Allgemeine  Gesichtspunkte. 

Die  technische  Bekämpfung  bezweckt  die  direkte  Vernichtung  (oder 
Abhaltung)  der  Schädlinge  auf  chemischem  oder  mechanischem  Wege.  „Vom 
theoretischen  Standpunkt  läßt  sich  dieselbe  gegen  alle  vier  Hauptlebens- 
stadien eines  Schädlings,  gegen  Ei,  Larve,  Puppe  und  Imago  anwenden; 
desgleichen  in  jeder  Jahreszeit.  Gegen  welches  Stadium  im  bestimmten 
Einzelfalle  vorzugehen  ist,  und  zu  welchem  Zeitpunkte,  hängt  vor  allen 
Dingen  von  der  Lebensweise  des  betreffenden  Schädlings  ab.  Eine  völlige 
Vertrautheit  mit  der  Lebensweise  des  Schädlings  ist  also  die  wesentliche 
Vorbedingung  eines  günstigen  Erfolges,  und  eine  solche  zu  vermitteln,  ist 
die  Aufgabe  der  folgenden  Bände  dieses  Werkes.  In  zweiter  Linie  wird  man 
darauf  zu  sehen  haben,  daß  die  Vertilgungsmaßregeln  in  eine  Zeit  gelegt 
werden,  in  welcher  die  nötigen  Arbeitskräfte  am  leichtesten  verfüg- 
bar sind.  —  Im  allgemeinen  wii-d  man  gegen  das  Stadium  und  zu  dem  Zeit- 
punkte zu  operieren  haben,  in  welchem  der  Schädling  am  leichtesten  zu- 
gänglich ist,  in  welchem  es  ferner  möglich  ist,  viele  Individuen  auf  ein- 
mal zu  vernichten.  Es  wird  sich  ferner  bei  sonst  gleichen  Umständen 
empfehlen,  stets  gegen  das  am  längsten  dauernde  Stadium  vorzugehen, 
weil  dieses  die  größte  zeitliche  Ausdehnung  der  Bekämpfungsmaß  regeln 
gestattet.  Endlich  ist  es  besonders  angezeigt,  die  Schädlinge  hinwegzuräumen, 
ehe  sie  zur  Fortpflanzung  schreiten  können."     (N.) 

Beispiele  von  Vertilgungsmaßregeln,  welche  sich  gegen  das  E  i  s  t  a  d  i  u  m 
richten,  sind  das  Sammeln  und  Vernichten  der  Eierringe  des  Ringelspinners  oder 
der  Eierschwämme  des  Schwammspinners. 

Im  Larvenzustande  werden  sehr  viele  forstschädliche  Schmetterlinge 
bekämpft,  z.  B.  der  Kiefernspinner,  die  Nonne,  die  Eule  u.  a.  Auch  die  Bekämpfung 
der  Borkenkäfer  durch  Fangbäume  sollte  namentlich  eine  L  a  r  v  e  n  Vertilgung 
sein,  da  ein  vorsichtiger  Forstmann  mit  dem  Schälen  der  Fangbäume  nicht  bis 
zur  Verpuppung  warten  wird.  Vertilgungsmaßregeln,  die  speziell  gegen  die 
Puppe  gerichtet  sind,  werden  meist  nur  angewendet  bei  solchen  Schmetterlingen, 
welche  in  diesem  Stadium  überwintern,  z.  B.  bei  Kieferneule  und  Kiefernspanner. 

Bekannte  Beispiele  von  Vertilgung  schädlicher  Imagines  sind  das 
Sammeln  des  Maikäfers,  des  großen  braunen  Rüsselkäfers,  des  Nonnenfalters,  der 
ungeflügelten  Frostspannerweibchen  usw. 

Wo  es  sich  um  besonders  schlimme  Schädlinge  handelt,  die  wenig  Angriffs- 
punkte zu  einer  radikalen  Bekämpfung  bieten,  da  geht  man  event.  gegen  die 
verschiedenen  Stadien  vor,  um   die  Wirkung   zu    erhöhen;  so   sucht   man 


Die  technische  Bekämpfung.  352 

im  Kampf  gegen  die  Nonne  sowohl  die  Raupe  (in  erster  Linie),  als  auch  die  Puppe 
und  die  Imago  zu  vernichten. 

Wie  es  möglich  ist,  durch  richtige  Wahl  des  Zeitpunktes  der 
Vertilgung  viele  Individuen  auf  einmal  zu  töten,  dafür  liefert  ebenfalls  die  Nonne 
einen  guten  Beleg.  Das  Vernichten  der  Raupen  ist  bei  diesem  Tiere  in  der  Zeit 
am  erfolgreichsten,  in  welcher  die  aus  den  einzelnen  Eierhaufen  geschlüpften, 
späterhin  sich  zerstreuenden  Räupchen  noch  familienweise  in  den  sog.  Spiegeln 
zusammensitzen.  Desgleichen  wird  die  Vertilgung  der  Raupen  des  Goldafters, 
Liparis  chrysorrhoea  L.,  am  leichtesten  im  Winter  besorgt,  wenn  sie  zwischen  ver- 
sponnenen Blättern,  den  sog.  „Raupennestern",  in  größeren  Scharen  zusammen- 
sitzen. 

In  vielen  Fällen  wird  aber  zur  Erreichung  eines  wirklichen  Erfolges  nicht 
allein  die  Berücksichtigung  der  passenden  Jahres  zeit  genügen,  sondern  auch 
die  passende  Tageszeit  oder  passende  Witterung  gewählt  werden  müssen. 
So  ist  z.  B.  ein  erfolgreiches  Sammeln  der  Maikäfer  mittels  Schütteln  größerer 
Bäume  nur  in  den  frühen  Morgenstunden  oder  bei  naßkaltem  Wetter  möglich,  weil 
bei  warmen,  sonnigen  Tagen  die  herabfallenden  Käfer  während  des  Sturzes  die 
Flügel  ausbreiten  und  davonfliegen.  Dergleichen  kann  ein  bequemes  und  erfolg- 
reiches Sammeln  der  am  Tage  unterirdisch  lebenden  Raupen  der  Kiefernsaateule 
nur  in  der  Nacht,  wenn  sie,  hervorgekommen,  die  oberirdischen  Teile  der  Kiefern- 
pflänzchen  angehen,  bei  Laternenlicht  vorgenommen  werden. 

Das  vorhin  angeführte  Beispiel  der  Vertilgung  der  Raupen  des  Goldafters  in 
ihren  Nestern  ist  auch  gültig  für  die  Bemerkung,  daß  es  wünschenswert  ist,  den 
am  längsten  dauernden  Zustand  zur  Vertilgung  zu  wählen.  Gestattet 
doch  gerade  die  Länge  der  Winterruhe  im  Raupenneste  dem  Obstzüchter,  die  Ver- 
tilgungsmaßregeln zu  einer  ihm  bequemen  Zeit  und  so  gründlich,  als  er  es  nur 
irgend  wünscht,  vorzunehmen.  Überhaupt  scheint  das  Uberwinterungsstadium,  als 
das  längste,  in  sehr  vielen  Fällen  die  erfolgreichste  Bekämpfung  möglich  zu  machen, 
vorausgesetzt,  daß  sich  die  Tiere  nicht  etwa  in  unzugänglichere  Schlupfwinkel 
zurückziehen.  Letzterer  Fall  kommt  z.  B.  bei  den  Engerlingen  vor,  die  sich  im 
Winter  tiefer  in  die  Erde  eingraben. 

Bezüglich  der  Art  der  technischen  Bekämpfung-  lassen  sich  zwei  Haupt- 
richtungen  unterscheiden,  die  eine  sucht  den  Schädlingen  durch  chemische 
Mittel  beizukommen,  während  die  andere  auf  mechanischem  Wege  die 
Vertilgung  resp.  die  Schadlosmachung  erstrebt.  Wir  wollen  die  erstere  kurz- 
weg als  die  chemische,  die  letztere  als  die  mechanische  Methode  be- 
zeichnen, wobei  jedoch  gleich  zu  bemerken  ist,  daß  die  beiden  nicht  immer 
scharf  voneinander  zu  trennen  sind. 

b)  Die  chemischen  Methoden.^) 

Die  chemische  Bekämpfung  spielt  gegenüber  den  forstlichen  Schädlingen 
nicht  jene  große  Rolle  wie  gegenüber  den  landwirtschafdichen,  vor  allem  den 
Obst-  und  Weinbauschädlingen,  und  zwar  aus  dem  einfachen  Grunde,  weil 
die  große  Ausdehnung  der  Forsten  und  die  Höhe  der  Bäume  in  Beständen 
eine  allgemeine  Anwendung  chemischer  Mittel  (soweit  es  sich  um  flüssige 
oder  staubförmige  handelt)  aus  technischen  und  finanziellen  Gründen  erschwert. 
Das  Bereich  der  chemischen  Bekämpfung  ist  daher  in  der  Forst- 
entolomogie    ein   beschränktes:    es   bezieht   sich  vornehmlich   auf  solche 


1)  Eine  zusammenfassende  Darstellung  der  wichtigsten  chemischen  Mittel 
findet  sich  in  Hollrung,  Handbuch  der  chemischen  Mittel  gegen  Pflanzen- 
krankheiten.     Berlin    1898.      (Zweite   Auflage    erscheint   1914.) 


352         Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 

Formen  des  Forstes,  die  dem  landwirtschaftlichen  oder  gärtnerischen  Charaktei 
nahe  kommen,  also  Pflanzgärten  und  Kulturen;  in  Beständen  kann  sie 
nur  dann  zur  Anwendung  kommen,  wenn  es  sich  um  einzelne  Bäume  oder 
wenigstens  um  eng  umschriebene  Insektenherde  handelt. 

Die  chemische  Methode  schließt  eine  ganze  Reihe  verschiedener  Ver- 
fahren in  sich,  die  sich  zusammenfassen  lassen  unter  den  Begriffen:  All- 
gemeine und  lokale  Giftbehandlung  der  insekten befallenen  Pflanzen 
und  Giftbehandlung  des  Bodens. 

Die  allgemeine  Giftbehandlung  ist  da  indiziert,  wo  die  Schäd- 
linge mehr  oder  weniger  zerstreut  auf  der  Pflanze  vorkommen, 
so  daß  eine  Einzelbehandlung  ausgeschlossen  ist;  sie  kann  bestehen  in  Be- 
spritzen, Bestäuben  und  Räuchern. 

Das  am  meisten  zur  Anwendung  kommende  Verfahren  ist  das  Be- 
spritzen der  befallenen  Pflanzen  mit  Flüssigkeiten,  die  auf  die  Schädlinge 
tötlich  wirken.  Der  große  Vorzug  des  Spritzens  liegt  darin,  daß  die  Gift- 
flüssigkeit infolge  des  starken  Druckes  und  der  feinen  Verstäubung  in  relativ 
kurzer  Zeit  und  mit  geringer  Arbeit  unter  größter  Sparsamkeit  im  Verbrauch 
an  alle,  auch  entferntere  Stellen  der  zu  behandelnden  Pflanze  gebracht 
werden  kann.  Die  anzuwendende  Spritzflüssigkeit  richtet  sich  nach  dem 
zu  bekämpfenden  Schädling,  und  zwar  nicht  nur  nach  der  Art  seiner  Nahrungs- 
aufnahme (ob  kauend  oder  saugend),  sondern  auch  nach  seiner  spezifischen 
Empfindlichkeit.  Es  hat  sich  im  Laufe  der  Zeit  durch  tausendfältige  Erfahrung 
herausgestellt,  daß  die  verschiedenen  Insektenarten  (mitunter  auch  solche,  die 
im  System  nahe  stehen),  sich  recht  verschieden  gegen  die  einzelnen  Gifte 
verhalten  können,  indem  die  einen  eine  stärkere  Konzentration  ertragen  als 
die  anderen,  oder  überhaupt  unempfindlich  sind,  während  die  anderen  daran 
zugrunde  gehen.  Aber  nicht  nur  das  Verhalten  des  betreffenden  Insektes 
gegen  das  Gift  ist  zu  berücksichtigen,  sondern  ebenso  auch  die  Wirkung  des 
Giftes  auf  die  Pflanze,  auf  der  der  Schädling  lebt.  Viele  der  angepriesenen 
Spritzmittel  töten  wohl  prompt  die  Schädlinge,  mit  denen  sie  in  Berührung 
kommen,  bringen  aber  nicht  weniger  prompt  die  Pflanzen  oder  wenigstens 
die  Teile,  die  damit  benetzt  wurden,  zum  Absterben.  Oft  macht  sich  die 
verderbliche  Wirkung  des  Giftes  auf  die  Pflanzen  erst  nach  längerer  Zeit 
geltend,  was  recht  verhängnisvoll  werden  kann,  wenn  man  nämHch,  in  der 
Meinung  von  dessen  Unschädlichkeit  bereits  zur  Anwendung  im  großen  über- 
gegangen ist.  Man  sollte  also  jedenfalls  längere  Zeit,  womöglich  eine  Vege- 
tationsperiode abwarten,  bevor  man  ein  endgültiges  Urteil  über  das  betreffende 
Gift  fällt. 

Die  Zahl  der  Spritzmittel  ist  Legion.  Man  braucht  nur  die  ver- 
schiedenen Kataloge  der  Fabriken,  die  sich  mit  der  Herstellung  von  Pflanzen- 
schutzmitteln befassen,^)  einzusehen,  um  einen  Begriff  von  der  Produktivität 
auf  diesem  Gebiet   zu    bekommen.     Und    fortwährend  werden    neue  Mittel   in 

1)  Als  die  bekanntesten  Bezugsquellen  für  chemische  Pflanzenschutzmittel 
sind  zu  nennen:  Dr.  Noerdlinger  in  Floersheim,  E.  A.  Merk  in  Darmstadt, 
Gehe  &  C  i  e.   in  Dresden,  K  a  h  1  b  a  u  m  in  Adlershof  bei   Berlin. 


Die  technische  Bekämpfung.  353 

den  Handel  gebracht,  die  als  sichei-wirkend  gegen  diesen  oder  jenen  Schäd- 
ling gepriesen  und  mit  den  verschiedensten  Namen  belegt  werden.  Vielfach 
sind  die  neuen  Mittel  schlechter  als  die  alten,  wie  wir  selbst  im  hiesigen  In- 
stitut mehrfach  zu  erfahren  Gelegenheit  hatten.  Man  sollte  sich  deshalb  bei 
der  Auswahl  der  Mittel  niemals  lediglich  auf  die  reklamehaften  Anpreisungen 
allein  verlassen,  sondern  nicht  versäumen,  vor  der  Anwendung  bei  einem 
der  zuständigen  Institute  über  den  Wert  des  Mittels  anzufragen. 

Wir  unterscheiden  unter  den  Spritzmitteln  im  allgemeinen  „Magen- 
gifte"  und  „Kontakt-  oder  Berührungsgifte".  Die  ersteren  werden  mit 
der  Nahrung  aufgenommen  und  wirken  vom  Darmtraktus  aus  vergiftend, 
während  die  letzteren  durch  die  bloße  Berührung  mit  der  Haut  resp.  Be- 
deckung des  Körpers  den  Tod  des  Schädlings  verursachen.  Die  Bezeichnung 
„Kontakt-  oder  Berührungsgifte"  ist  insofern  nicht  sehr  günstig  gewählt,  als 
den  hierherzuzählenden  Mitteln  eine  ganz  verschiedene  Wirkungsweise  zu- 
kommen kann;  so  handelt  es  sich  bei  dem  einen  Mittel  (z.  B.  Schwefelkalk- 
brühe) um  Atzwirkung,  bei  dem  anderen  (Öle  usw.)  um  Erstickung,  bei  dem 
dritten  um  Gasvergiftung  usw.,  so  daß  es  sich  vielleicht  empfehlen  würde, 
die  Gruppe  „Kontaktgifte"  aufzulösen.  Bei  manchen  Giften  ist  man  sich 
übrigens  über  die  Art  ihrer  Wirkung  noch  nicht  klar. 

Im  folgenden  seien  einige  der  wichtigsten  Spritzgifte,  die  für  den 
Foi-stmann  in  Betracht  kommen,  genannt: 

Unter  den  Magengiften  sind  als  die  wirksamsten  die  verschiedenen 
Arsenikmittel  zu  nennen,  unter  denen  das  Bleiarseniat  (Plumbum  arseni- 
kosum)  entschieden  die  erste  Stelle  einnimmt.  Wenn  es  auch  im  Preis  etwas 
teurer  ist  als  die  anderen  Arsenikpräparate  (Schweinfurtergrün,  Londonpurpur 
usw.),  so  hat  es  doch  so  viele  Vorzüge,  daß  die  Preisdifferenz  mehr  als  aus- 
geglichen wird.  Vor  allem  schadet  seine  Anwendung  den  Pflanzen  so  gut 
wie  garnicht,  und  sodann  bleibt  es  (wohl  infolge  der  kolloidalen  Eigenschaften 
des  Bleis),  weit  besser  an  den  Blättern  haften  als  die  übrigen,  was  von  der 
größten  Bedeutung  für  ein  Spritzmittel  ist.  Natürlich  gebietet  die  Giftigkeit 
der  Arsenikpräparate  für  Mensch  und  Tier  besondere  Vorsicht  und  eine  Be- 
schränkung ihrer  Anwendung.  So  muß  bei  der  Verwendung  im  Walde  stets 
auf  die  Gefahr,  die  dem  Wild  durch  Äsung  arsenhaltiger  Pflanzen- 
teile erwachsen  kann,  Rücksicht  genommen  werden.  Man  wird  Arsen- 
bespritzungen daher  nur  dort  vornehmen,  wo  das  Wild  keinen  Zutritt  hat, 
also  in  eingezäunten  Pflanzgärten,  Kulturen  usw.  Sind  diese  Bedingungen 
gegeben,  so  kann  das  Arsen  vorzügliche  Dienste  gegen  die  verschiedensten 
blatt-  und  nadelfressenden  Insekten  leisten,  wie  z.  B.  Brachyderes,  Blatt- 
wespen, überwehte  Nonnenraupen  usw.^) 

In  Amerika  stellt  das  Bleiarseniat  in  der  höcfisten  Gunst  und  es  wird  dort 
gegen  ein  ganzes  Heer  von  Insekten  damit  gekämpft,  wie  z.  B.  gegen  den  Apfel- 
wickler, den  Pflaumenrüßler,  den  Schwammspinner,  den  Ulmenblattkäfer  usw. 
Trotz  dieser  weitverbreiteten  Anwendung,  selbst  bei  Alleebäumen  in  der  Stadt, 
sind  Fälle  von  Vergiftungen  nicht  bekannt  geworden,  ein  Zeichen,  daß  man  mit  der 
Ängstlichkeit  nicht  zu  weit  zu  gehen  braucht.  Über  die  ausgezeichnete  Wirkung 
des  Bleiarseniates  konnte  sich  der  Verfasser  selbst  mehrfach  in  Amerika  überzeugen. 


^)  Vergl.  hierzu   die   ausgezeichnete  Zusammenstellung  von  F  u  1  m  e  k. 
Esche  rieh,  Forstinsekten.  23 


354        Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 

Die  gegen  den  Schwammspinner  bespritzten  Laubbäume  zeigten  ihr  volles  Laub, 
während  die  unbespritzten  meistens  starke  Spuren  des  Fraßes  erkennen  ließen.  Am 
deutlichsten  konnte  man  die  Wirkung  an  den  Alleebäumen  von  Boston  erkennen: 
im  Bereich  von  Cambridge,  wo  nicht  gespritzt  wurde,  waren  alle  die  schönen  alten 
Ulmen  vom  Ulmenblattkäfer  kahl  gefressen  und  dem  Absterben  nahe  (teilweise 
auch  schon  abgestorben),  während  in  dem  dicht  daran  anschließenden  Arlington, 
wo  mehrmalige  Spritzungen  vorgenommen  worden  waren,  fast  alle  Bäume  ihren 
vollen  Laubschmuck  behalten  hatten. 

Man  bezieht  das  Bleiarseniat  am  besten  in  Form  einer  dicken  Paste, 
damit  ein  Verstäuben  des  giftigen  Produktes  vermieden  wird.  Von  dieser 
Paste  verwendet  man  ^/„ — 1  kg  auf  100  1  Wasser. 

Man  kann  das  Bleiarseniat  auch  in  Verbindung  mit  Kupferkalk  brühe 
als  Arsen-Kupferbrühe  (z.  B.  Arsen-Cupretta  von  Dr.  N  o  e  r  d  1  i  n  g  e  r)  verwenden 
zur  gemeinsamen  Bekämpfung  von  tierischen  und  pilzlichen  Schädlingen,  während 
Kupferverbindungen  allein  gegen  tierische  Schädlinge  im  allgemeinen  von  nur 
geringer  Wirkung  sind.  Mit  Bordelaiser  Brühe  soll  man  nach  verschiedenen 
neueren  Berichten  allerdings  ganz  gute  Erfolge  (?  ?  der  Verf.)  gegen  Nonnen- 
raupen erzielt  haben  (für  kleinere  Raupen  20/0,  für  größere  21/2%  Lösung). 

Als  ein  weiteres  brauchbares  Spritzmittel  gegen  Raupen  und  andere 
kauende  Insekten  ist  neuerdings  Chlorbarium  empfohlen  worden.  Eckstein 
hat  damit  gute  Erfolge  gegen  die  Nonne  erzielt,  und  zwar  in  einer  Mischung 
von  P/2  kg  auf  100  1  Wasser;  bei  einer  geringeren  Konzentration  blieben  die 
Raupen  zum  großen  Teil  am  Leben,  während  eine  stärkere  Konzentration 
die  Bäume  beschädigte.  Um  ein  besseres  Haftenbleiben  der  Flüssigkeit  zu 
erzielen,  empfiehlt  sich  der  Zusatz  von  Melasse.  Der  Preis  stellt  sich  bei 
C.A.F.  Kahlbaum,  Adlershof  bei  Berlin  auf  35  Pf.  pro  Kilogramm,  100kg 
auf  24  M. 

Weite  Verbreitung  als  Spritzmittel  hat  ferner  das  Karbolineum  er- 
fahren, welches  in  zahllosen  Marken  und  unter  den  verschiedensten  Namen 
(Karbolineum,  Lohsol,  Lauril-Karbolineum,  Floria-Karbolineum  usw.)  in  den 
Handel  gebracht  wird.  Gegen  Forstinsekten  ist  bisher  vor  allem  das  Arbo- 
lineum,  eines  der  mit  Wasser  emulgierbaren  Karbolineumpräparate,  in  An- 
wendung gekommen,  und  wie  es  scheint,  mit  gutem  Erfolg. 

Besondere  Beachtung  verdient  des  weiteren  das  Nikotin,  welches  sowohl 
als  Magengift  als  auch  als  Kontaktgift  eine  hervorragende  Rolle  einnimmt. 
Es  wird  gewöhnlich  mit  anderen  Stoffen  (wie  Schmierseife,  Spiritus,  Kolo- 
phonium usw.),  welche  ein  besseres  Eindringen  und  Festhaften  bewirken,  an- 
gewendet.    M.  Schwartz  empfiehlt  vor  allem  folgende  Gemische: 

gegen  Schizoneura: 
3  Teile  Tabakextrakt, 

5  „       denat.    Spiritus, 

6  „       Schmierseife, 
136       „       Wasser. 

Um  auch  die  stark  behaarten  Raupen  ausreichend  mit  der  Nikotinlösung 
benetzen  zu  können,  empfiehlt  sich  ein  Zusatz  von  Harz  und  Ammoniak  in 
folgender  Weise: 


gegen  Raupen:^) 

gegen  Chermes: 

3  kg  Tabakextrakt, 

3 

Teile  N-Tabakextrakt, 

3    „    Schmierseife, 

10 

„       Schmierseife, 

144    „    Wasser, 

140 

„       Wasser, 

^)  Schwan  gart     empfiehlt    gegen    den    Traubenwickler    IV2    kg    Tabak- 
extrakt, V2  bis  1  kg  Schmierseife  auf  100  1  Wasser. 


Die  technische  Bekämpfung. 


355 


3  kg  Tabakextrakt, 
3  „  Schmierseife, 
1    „    Kolophonium  in  3  1  denaturiertem  Spiritus  gelöst. 


Fig.  218.    Spritzen  im  Hochwald  mit  einer  Motorspritze.    Bei  300  m  Schlauchlänge  kann  eine,  Strahlen- 
höhe von  30  m  erreicht  werden.    (Phot.  Fitzhenry-Guptill.)    Aus  Escherich. 


3    1     Sahiiiakgeist, 
137    „    Wasser. 
Ferner  kann  auch  Nieß würz  der  Mischung  beigesetzt  werden,  wodurch 
die  Blätter  oder  Nadeln  gewissermaßen   immun   gemacht  werden,   indem   die 
meisten  Raupen  den   damit   behandelten  Pflanzenteil   meiden.     M.  Schwartz 
empfiehlt  folgende  Mischung: 

3  kg  Tabakextrakt, 

3    „    Schmierseife,  23* 


356         Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 

1    1  denaturierten  Spiritus, 
500  g  pulverisierte  Nießwurz, 
141  1  Wasser. 
Die   Kosten    betrugen    bei    den   Versuchen    für   je    ein   ca.   2  m    hohes 
Bäumchen  (Obstbaum)  ca.  5  Pf. 

Bezügl.  des  Tabakextraktes  herrschen  nach  den  Untersuchungen  Schwan- 
gar t  s  große  Unterschiede  im  Nikotingehalt.     Es  ist  daher  auf  die  Auswahl   der 


Fig. 


219.    Motorspritze  (auf  Automobil)  mit  zwei  Schläuchen.    (Phot.  Fitzhenry-Guptill.) 
Aus  Escherich. 


Präparate  besonderer  Wert  zu  legen.  Eine  recht  konstante  Zusammensetzung  hat 
die  von  der  Administration  des  Tabaks  in  Frankreich  staatlich  hergestellte  Nicotine 
titree.  Da  jedoch  das  französische  Präparat  von  den  staatlichen  Verkaufsstellen 
in  Frankreich  nicht  nach  Deutschland  abgegeben  wird  und  nur  indirekt  durch  Ver- 
mittlung von  Privatpersonen  bezogen  werden  kann,  kann  dasselbe  für  den  prak- 
tischen Gebrauch  in  Deutschland  nur  wenig  in  Betracht  kommen.  Nach 
Schwangart  ist  auch  das  von  der  Firma  Merk  in  Darmstadt  hergestellte 
Rohnikotin  ein  technisch  und  chemisch  einwandfreies  Fabrikat,  welches  einen 
Nikotingehalt  von  99,4%  aufweist.  Besonders  empfehlenswert  ist  nach  demselben 
Autor  der  von  der  Firma  A.  W.  Everth  in  Hamburg  (Kajen  22)  in  den  Handel 
gebrachte    amerikanische    Tabakextrakt     „Black     Leaf",     der     annähernd    konstant 


Die  technische  Bekämpfung.  357 

10,04  %  Nikotin  enthält.  Erstklassig  ist  auch  der  Österreichische  Rcgie- 
cxtrakt,  der  (ohne  Zoll)  i)  pro  Kilogramm  nur  1,40  M.  (gegen  2,20  M.  von 
Everths   „Black    Leaf")   kostet. 

Ähnlich  wie  die  Nikotingemische  wirkt  Quassiabrühe,  aus  einem 
Absud  von  1^2  kg  Quassiaholz  (Panamaspäne)  und  l^/a — 2  kg  Schmierseife  in 
100  1  Wasser  hergestellt.  Quassiabrühe  wird  dort  verwendet,  wo  der  Geruch 
des  Nikotins  vermieden  werden  soll  (Fulmek).  —  Gegen  eine  ganze  Reihe 
saugender  Insekten  genügt  übrigens  auch  eine  einfache  Schmierseifen- 
lösung (ohne  Tabakextrakt)  mit  etwas  Petroleumzusatz  (l^/.j  kg  Schmier- 
seife, 1/.2  1  Petroleum  auf  100  1  Wasser.)  Vor  allem  gegen  verschiedene 
Pflanzenläuse  kann  die  Anwendung  dieses  einfachen  Mittels  guten  Erfolg  bringen. 

Endlich  sei  noch  auf  die  Schwefelkalkbrühe  (Kalifornische  Brühe) 
hingewiesen,  die  seit  langer  Zeit  in  Amerika  in  größtem  Maßstabe  angewandt 
wird  und  jetzt  auch  in  Deutschland  mehr  in  Aufnahme  zu  kommen  scheint, 
allerdings  in  erster  Linie  als  Fungizid.  Da  sie  jedoch  auch  ein  wirksames 
Insektizid  darstellt,  vor  allem  gegen  Schildläuse  (wird  sie  doch  als  Haupt- 
bekämpfungsmittel gegen  die  San-Jose-Schildlaus  angewandt),  sollte  man  sich 
gegebenenfalls  dieses  billigen  Mittels"^)  erinnern  (vgl.  Fulmek,  Die  Schwefel- 
kalkbrühe). 

Für  Schwefelkalkbrühe  sind  besondere  Spritzen  notwendig,  da  Kupfer  von 
der  Brühe  stark  angegriffen  wird  und  die  chemische  Zusammensetzung  der  Brühe 
selbst  hierdurch  verändert  und  ihre  Wirksamkeit  herabgemindert  wird.  Man  ver- 
wendet für  Schwefelkalkbrühe  Spritzen,  welche  im  Inneren  verzinkt  sind  oder 
solche  aus  Stahlblech  oder  aus  anderen  Metallegierungen,  die  von  der  Brühe  nicht 
angegriffen  werden  (B.  W  a  h  1). 

Was  die  Spritzapparate^"^)  betrifft,  so  dürfte  man  in  den  meisten 
Fällen  mit  den  gewöhnlichen  selbsttätigen  Schüttespritzen,  die  am  Rücken 
getragen  werden,  auskommen.  Die  Reichweite  kann  ja  event.  durch  ein- 
zusetzende Bambusrohre  etwas  vergrößert  werden.  Wo  es  sich  aber  um 
die  Rettung  einzelner  großer  Bäume  handelt,  da  ist  zu  stärkeren  Modellen 
event.  mit  Motorbetrieb  zu  greifen.  Wie  weit  man  mit  solchen  Kraftspritz- 
apparaten bereits  gekommen  ist,  zeigen  die  in  Amerika  hundertfach  im  Be- 
trieb stehenden  „Power  sprayers",  mit  denen  man  bei  einer  Schlauchlänge 
von  2—300  m  Bäume  von  30  m  Höhe  bespritzen  kann  (Fig.  218  u.  219). 
Es  dürfte  sich  zweifellos  sehr  empfehlen,  daß  große  Forstverwaltungen,  Stadt- 
gemeinden, botanische  Gärten,  Besitzer  von  großen  Parks  usw.  sich  eine 
solche  Kraftspritze  zulegen,  um  einzelne  wertvolle  alte  Bäume  oder  auch  be- 
sonders wertvolle  Bestandesteile  bei  eventuellem  Insektenbefall  retten  zu 
können. 


1)  Durch  Bundesratsbeschluß  fällt  der  Zoll  bei  Verwendung  gegen 
Rebschädlinge   weg. 

2)  Großvertrieb  für  S  c  h  w  e  f  e  1  k  a  1  k  b  r  ü  h  e:  Agrikulturabteilung  der 
Schwefelproduzenten  -  G.  m.  b.  H.  in  Hamburg  I,  Mönkcbergstr.  9.  ^  Weitere 
Bezugsquellen:  Agraria,  Fabrik  landwirtschaftl.  Artikel,  Dresden-A.  16.  und 
die   anderen    auf    S.   352   genannton    Firmen. 

^)  Für  Spritzapparate  seien  folgende  Bezugsquellen  genannt:  Holder  in 
Metzingen  (Württbg.),  G  o  c  h  1  e  r  s  Witwe  Nachfolger  in  Freiberg  (Sa.),  letztere 
Firma  liefert   auch   alle    anderen   zur   Insektenbekämpfung   nötigen   Apparate. 


358         Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 

Die  renommierteste  Fabrik  für  die  großen  Kraftspritzen  ist  F  i  t  z  h  e  n  r  y  - 
G  u  p  t  i  1  1  in  Cambridge  Mass.  Der  Preis  der  stärksten  Spritzen  beträgt  ca.  4000  M. 
Übrigens  werden  neuerdings  auch  in  Deutschland  Spritzen  mit  Motorbetrieb  her- 
gestellt, wie  aus  dem  Katalog  der  Firma  Holder  in  Metzingen  hervorgeht. 

Gegen  das  Spritzen  tritt  das  Bestäuben  bezügl.  der  Anwendbarkeit 
u'eit  zurück;  hat  es  doch  auch  dem  Spritzverfahren  gegenüber  verschiedene 
Nachteile.  Es  ist  vor  allem  vielmehr  von  dem  Wetter  abhängig  als  das  letztere, 
indem  z.  B.  starke  Winde  die  Ausführung  unmöglich  machen.  Ferner  ist  die 
gleichmäßige  Verteilung  auf  alle  Blätter  oder  Nadeln  bei  staubförmigen  Stoffen 
schwieriger  als  bei  flüssigen,  und  endlich  ist  auch  die  Wirkung  der  Staub- 
mittel unbeständiger  als  die  der  letzteren,  indem  sie  durch  Winde  abgeweht 
oder  durch  Regen  leicht  abgeschwemmt  werden  können.  Andererseits  hat 
das  Bestäubungsverfahren  den  Vorteil  des  leichteren  Transportes  und  der 
Entbehrlichkeit  des  Wassers,  und  außerdem  wird  manchen  Mitteln  im  staub- 
förmigen Zustand  auch  eine  stärkere  Wirkung  nachgesagt  als  im  flüssigen 
oder  gasförmigen  Zustand.  Als  die  hauptsächlichsten  Bestäubungsmitte]  i) 
kommen  in  Betracht:  Tabakstaub,  Schwefelblume,  Schwefelleber,  Insekten- 
pulver, Naphthalinkalkpulver  usw.  Im  forsdichen  Betrieb  eignet  sich  das  Be- 
stäubungsverfahren nur  in  Pflanzgärten  oder  jungen  Kulturen,  und  wird  hier 
gegen  Blattläuse,  Afterraupen  und  vor  allem  gegen  Erdflöhe  angewendet. 
Zur  Verstäubung  der  pulverförmigen  Stoffe  bedient  man  sich  besonderer 
Apparate,  die  mit  Blasbälgen  versehen  sind.  Zur  Vornahme  der  Bestäubung 
empfiehlt  es  sich,  einmal  möglichst  windstille  Tage  und  sodann  die  Morgen- 
stunden, in  denen  die  Pflanzen  noch  die  Morgenbetauung  tragen,  zu  wählen. 

Während  der  letzten  großen  Nonnenkalamität  in  Sachsen  wurde  der  Vor- 
schlag gemacht,  das  Bestäubungsverfahren  im  großen  in  den  Beständen  durchzu- 
führen, und  es  wurde  sogar  auch  ein  Apparat  konstruiert,  durch  den  die  Staub- 
massen hoch  in  die  Luft  geschleudert  werden  können.  Der  Vorschlag  hat  aber 
wenig  Anklang  gefunden;  auch  hat  man  nichts  darüber  erfahren,  ob  der  Apparat 
irgendwo  in  der  Praxis  in  Gebrauch  gekommen  ist  und  ob  irgendwelche  greif- 
baren Erfolge  damit  erzielt  sind.  — 

In  noch  geringerem  Ansehen  als  das  Bestäuben  steht  das  Räuchern 
in  der  Forstentomologie.  Es  wird  bis  jetzt  nur  in  ganz  wenig  Fällen  an- 
gewendet; eigentlich  nur  gegen  die  beiden  Tannentrieb wickler.  Die  Rauch- 
entwicklung wird  in  diesen  Fällen  in  der  Weise  bewirkt,  daß  das  von  der 
Durchforstung  stammende  Reisig  in  regelmäßiger  Verteilung  auf  Haufen  ge- 
setzt und  angezündet  wird.  Das  grüne  Material  liefert  einen  dicken  Rauch, 
unter  dessen  Einwirkung,  zumal  bei  feuchtem  Wetter,  die  Raupen  massen- 
haft zu  Boden  fallen,  wo  man  sie  zusammenfegen  und  vernichten  kann.  — 
Es  fragt  sich,  ob  das  Räucherverfahren  nicht  doch  vielleicht  auch  in  der 
Forstentomologie  weiter  ausgebaut  werden  kann.^)     Im  allgemeinen  scheinen 


^)  Nach  M.  S  c  h  w  a  r  t  z  ist  die  Verschiedenheit  in  der  Einwirkung  der 
pulverförmigen  und  gasförmigen  Gifte  wohl  dadurch  zu  erklären,  daß  „das  Insekt 
bereits  die  ersten  schwachen  Gasspuren  wahrzunehmen  und  darauf  durch  Schließung 
der  Tracheen  zu  reagieren  vermag.  Das  Pulver  dagegen  wird  erst  nach  dem  Ein- 
dringen der  Teilchen  in  die  Atemöffnung  wahrgenommen.  Der  Verschlußmechanis- 
mus (siehe  oben  S.  72)  tritt  alsdann  für  das  Tier  zu  spät  in  Tätigkeit." 

^)  Der  vor  wenigen  Jahren  gemachte  Vorschlag,  mit  Schwefeldämpfcn  die 
Nonne  zu  bekämpfen,  hat,  wie  nicht  anders  zu  erwarten  war,  allseitige  Zurück- 
weisung erfahren. 


Die  technische  Bekämpfung. 


359 


die  Raupen  ja  sehr  unempfänglich  gegen  Rauchwirkung  zu  sein,  wie  wir  uns 
selbst  durch  verschiedene  Versuche  überzeugen  konnten:  so  blieb  z.  B.  der 
dickste  Qualm,  der  durch  Verbrennung  von  mit  den  verschiedensten  Stoffen 
getränkten  Sägespänen  scheinbar  ohne  jede  Wirkung  auf  die  Nonnenraupen, 
die  sich  nicht  einmal  von  ihrem  Sitz  vertreiben  ließen.  Dies  schließt  aber 
nicht  aus,  daß  vielleicht  doch  noch  Stoffe  gefunden  werden,  deren  Ver- 
brennungsgase eine  empfindlichere  Wirkung  auf  die  Raupen  oder  andere 
Schädlinge  auszuüben  vermögen.  — 

Wo  die  Schädlinge  an  einzelnen  eng  umschriebenen  Stellen  konzen- 
triert, ferner  gut  sichtbar  und  erreichbar  sind,  oder  wenn  es  sich  um  einzelne, 
besonders  große,  mechanisch  schwer  zu  erreichende  Schädlinge  handelt,  kann 
die  chemische  Bekämpfung  in  der  Weise  ausgeführt  werden,  daß  nur  die 
betr.  Stellen,  resp.  die  dort  angehäuften  Schädlinge  mit  dem  Gift 
behandelt  werden  („lokale  chemische  Behandlung").  Solche  Fälle 
liegen  z.  B.  vor  bei  den  Eischwämmen  des  Schwammspinners,  die  weithin 
sichtbar  sind  und  zahlreiche  Keime  enthalten,  ferner  bei  den  Raupennestern 
des   Goldafters    und   des  Prozessionsspinners,    bei    den   Spiegeln   der   jungen 


Fig-.  220  a.  Fig.  220  b. 

Petroleumkanne  zur  Tötungider  Eier  des  Schwammspinners.    Nach  Rörig. 


Nonnenraupen,  bei  den  Kolonien  von  Rindenläusen  am  Stamm,  bei  den 
Larven  von  Zeiizera,  Sesien  usw.  Die  Ausführung  der  lokalen  Behandlung 
kann  in  verschiedener  Weise  geschehen,  am  einfachsten  dadurch,  daß  man 
die  Schädlinge  mit  einem  in  die  Giftflüssigkeit  getauchten  Pinsel  oder 
Wergbausch  oder  dgl.  bestreicht  oder  betupft.  So  kann  man  die 
Eischwämme  des  Schwammspinners  dadurch  abtöten,  daß  man  sie  mit 
Petroleum  bepinselt,  oder  die  Nonnenspiegel  dadurch,  daß  man  sie  mit 
Öl  betupft  usw.  Um  die  Giftflüssigkeit  in  genau  abgemessenen  Quanti- 
täten an  die  besetzten  Stellen  bringen  zu  können,  ist  von  Rörig  ein  be- 
sonderer Apparat  konstruiert  worden,  der  aus  einer  auf  einer  Stange  befind- 
lichen Kanne  mit  einem  dünnen  Ausflußrohr  besteht,  dessen  Verschluß  von 
unten  aus  in  der  leichtesten  Weise  bewerkstelligt  werden  kann  (Fig.  220a  u.  b). 
Die  Anwendung  dieses  Apparates  hat  den  Vorzug,  bei  größter  Sparsamkeit 
des  Materials  eine  genügende  Durchtränkung  der  betr.  Stelle  zu  gewährleisten; 
außerdem  kann  man  ihn  für  verschiedene  Zwecke  gebrauchen,  nicht  nur  zum 


360         Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 

Abtöten  der  Eischwämme  (wofür  er  ursprünglich  konstruiert  wurde),  sondern 
auch  zur  Durchtränkung  der  Raupennester,  wie  vor  allem  der  Prozessions- 
spinnernester. Bei  der  lokalen  Behandlung,  besonders  bei  dem  Verfahren 
gegen  die  Eischwämme  empfiehlt  es  sich,  der  Flüssigkeit  einen  Farbstoff  bei- 
zumischen (Rörig  benutzte  Alkanin,  einen  roten  Pflanzenfarbstoff,  der  dem 
Petroleum  eine  tief  schwarzrote  Färbung  verleiht),  um  eine  Kontrolle  über 
die  behandelten  Stellen  zu  haben. 

Die  lokale  Behandlung  kann  naturgemäß  nur  in  relativ  beschränktem 
Maße  Anwendung  finden,  wo  eben  die  obigen  Bedingungen  erfüllt  sind.  In 
dieser  Beziehung  steht  sie  der  Spritzmethode  wesendich  nach,  andererseits 
aber  hat  sie  das  vor  ihr  voraus,  daß  sie  sicherer  und  sparsamer  arbeitet. 

Eine  Anwendung  der  „lokalen  Methode"  in  großem  Maßstab  konnte  der  Ver- 
fasser in  Amerika  sehen,  wo  Hunderte  von  Arbeitern  damit  beschäftigt  waren,  die 
Eischwämme  des  Schwammspinners  mit  Kreosot  zu  bepinseln.  Um  die  höher 
sitzenden  Schwämme  zu  behandeln,  wurden  Leitern  benützt,  was  gegen- 
über der  Methode,  mit  langen  Stangen  von  unten  aus  die  Behandlung  vorzunehmen, 
zweifellos  den  großen  Vorteil  besitzt,  daß  einmal  ein  Übersehen 
von  Schwämmen  weniger  leicht  vorkommt  und  sodann  auch 
die    Bepinseln  ng   gründlicher    ausgeführt    werden    kann.   — 

Wo  es  sich  um  Insekten  handelt,  die  im  Boden  leben  resp.  im  Boden 
ihre  Entwicklung  durchmachen,  sucht  man  denselben  durch  Behandlung 
des  Bodens  mit  Giftstoffen  beizukommen.  Es  können  dabei  ver- 
schiedene Verfahren  zur  Anwendung  gelangen.  Das  verbreitetste  ist  die 
Schwefelkohlenstoffinjektion,  welcher  der  Gedanke  zugrunde  liegt, 
Schwefelkohlenstoff  in  den  Boden  einzubringen,  damit  dessen  sich  im  Boden 
verbreitende  Dämpfe  die  dort  befindlichen  Larven  usw.  abtöten.  Die  Ein- 
bringung des  Schwefelkohlenstoffes  kann  entweder  dadurch  geschehen,  daß 
man  Löcher  (mit  dem  Pflanzeisen)  in  den  Boden  stößt,  die  Flüssigkeit 
eingießt  und  dann  das  Loch  wieder  schließt.  Oder  man  verwendet  Gelatine- 
kapseln, die  mit  Schwefelkohlenstoff  gefüllt  sind  (die  sog.  Jamain sehen 
Kapseln,  1000  Stück  ä  2^2  g  flüssigen  Schwefelkohlenstoffes  kosten  ca. 
25  M.  bei  L.  Möller  in  Erfurt),  die  man  in  die  Löcher  einwirft.  Oder  man 
gebraucht,  was  neuerdings  meistens  geschieht,  eine  Bodeninjektions- 
spritze (ein  mit  einer  Kompressionspumpe  versehener  hohler  Stahlstab),  bei 
deren  Anwendung  die  Arbeit  des  Löcherstoßens  völlig  in  Wegfall  kommt. 

Um  das  Verfahren  erfolgreich  zu  gestalten,  sind  verschiedene  Momente 
zu  berücksichtigen:  Vor  allem  kommt  es  auf  eine  richtige  Dosierung  an; 
denn  zu  geringe  Einspritzungen  wirken  nicht  tödlich  auf  die  Insekten,  zu 
starke  dagegen  wirken  tödlich  auf  die  Pflanzen.  So  hat  man  sich  also  zu- 
nächst durch  eine  Reihe  Versuche  über  die  anzuwendende  Quantität  zu  ver- 
gewissern. Nach  Decoppet  läßt  sich  die  günstigste  Wirkung  auf  Engerlinge, 
gegen  die  ja  das  Verfahren  in  erster  Linie  angewendet  wird,  mit  40 — 50  g 
für  den  Quadratmeter,  verteilt  auf  6  Einstichlöcher,  erzielen.  Doch  spielt 
dabei  natürlich  auch  die  Bodenbeschaffenheit  eine  wesendiche  Rolle,  insofern 
als  lehmige  Böden  die  Dämpfe  schwerer  durchtreten  lassen  als  lockere  sandige. 
Ferner  ist  zu  bedenken,  daß  die  Schwefelkohlenstoffdämpfe  in  ihrer  ver- 
hältnismäßigen Schwere  die  Tendenz  haben,  nach  unten  zu  sinken;  es  dürfen 


Die  technische  Bekämpfung.  361 

demnach  die  Löcher  resp.  die  Einstiche  nicht  zu  tief  gemacht  werden;  jeden- 
falls nicht  tiefer  als  die  zu  bekämpfenden  Larven  sich  befinden. 

Die  Schwefelkohlenstoffbehandlung  läßt  sich  außer  gegen  den  Enger- 
ling auch  gegen  noch  verschiedene  andere  Wurzelinsekten  anwenden,  wie 
z.  B.  gegen  Otiorhynchus,  Brachyderes  usw.,  und  zwar  nicht  nur  als  Ver- 
tilgungs-,  sondern  auch  als  Vorbeugungsmittel  bei  der  Anlage  von  Kulturen. 
Auch  gegen  die  Maulwurfsgrille  kann  man  Schwefelkohlenstoff  benutzen, 
indem  man  die  Flüssigkeit  einfach  in  ihre  Gänge  eingießt  und  das  Eingangs- 
loch zutritt. 

Neben  dem  Schwefelkohlenstoff  hat  man  noch  alle  möglichen  anderen 
Flüssigkeiten  zum  Einbringen  in  den  Boden  empfohlen,  wie  Karbolsäure, 
Schmierseifenwasser  usw.;  doch  keine  derselben  kommt  in  ihrer  Wirkung 
dem  Schwefelkohlenstoff  gleich. 

Eine  weitere  chemische  Bodenbehandlung  als  Kampfmittel  gegen  Schäd- 
linge besteht  in  der  Verwendung  von  pulver-  oder  staubförmigen  Pro- 
dukten, die  entweder  in  den  Boden  durch  Umgraben  gebracht  oder  aber 
einfach  auf  der  Oberfläche  aufgestreut  werden.  Die  erstere  Methode  verfolgt 
den  Zweck,  die  in  der  Erde  befindlichen  Tiere  zu  töten,  die  letztere  dagegen 
zielt  hauptsächlich  darauf  ab,  die  Weibchen  vom  Eindringen  in  den  Boden 
und  der  Eiablage  daselbst  abzuhalten. 

Zum  Untergraben  wird  hauptsächlich  Tabakstaub  empfohlen;  doch 
muß  dieser  schon  in  großen  Quantitäten  verwandt  werden,  wenn  er  wirken 
soll.  Vi  11  gibt  als  wirksame  Dose  gegen  Engerling  1  Ztr.  auf  20  qm  an. 
Ferner  soll  auch  Kainit  sich  gut  bewähren  gegen  Erdraupen,  Drahtwürmer 
usw.  —  Zur  Bodenbestreuung  verwendet  man  gewöhnlich  Ätzkalkstaub  von 
feingemahlenem,  ungelöschtem  Ätzkalk.  Die  Bestreuung  muß  derartig  sein, 
daß  der  Boden  wie  mit  einer  leichten  Schneedecke  überzogen  erscheint,  wozu 
nach  Vill  ca.  40  Ztr.  pro  Hektar  Pflanzgartenfläche  notwendig  ist.  Da  die 
Bestreuung  den  Käfer  von  der  Eiablage  abhalten  soll,  so  muß  sie  in  der  Zeit 
der  Fortpflanzung  vorgenommen  werden,  und  zwar  mehr  als  einmal:  „zum 
ersten  Mal,  sobald  die  ersten  Käfer  in  Kopula  gefunden  werden,  zum  zweiten 
Mal,  wenn  der  Kalkstaub  durch  Witterungseinflüsse  gelöscht  resp.  nicht  mehr 
sichtbar  ist,  und  event.  zum  dritten  Mal,  wenn  die  Flugzeit  sehr  lange  sich 
ausdehnt."  Der  Erfolg  dieser  Methode  ist  ein  durchschlagender,  indem  die 
Maikäfer  den  Ätzkalk  absolut  meiden  und  auch  die  verschiedenen  kleinen 
und  mitunter  recht  schädlichen  Rüsselkäfer  darin  umkommen.  Der  einzige 
Nachteil  dieser  Methode  besteht  darin,  daß  sie  bei  anhaltend  nasser  Witte- 
rung nicht  anwendbar  ist  (Vill). 

Endlich  sei  noch  auf  eine  andere  chemische  Bekämpfungsmethode  von 
Bodeninsekten  hingewiesen,  die  in  Frankreich  und  Amerika  verschiedentlich 
versucht  wurde:  nämlich  Entwicklung  von  Blausäuredämpfen  im  Boden. 
Man  verfuhr  dabei  in  der  Weise,  daß  man  wässerige  Zyankaliumlösung  ganz 
ähnlich  wie  Schwefelkohlenstoff  in  10 — 20  cm  tiefe  Löcher  eingoß  und  diese 
wieder  zumachte.  Die  Wirkung  dieses  Mittels  soll  langsam,  aber  vollständiger 
sein  als  diejenige  des  Schwefelkohlenstoffs ;  die  Insekten  sollen  sich  nicht  vor 
dem  Mittel  fürchten  und  die  Pflanzen  sollen  selbst  bei  recht  kräftigen  Dosen 


362 


Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 


nicht  leiden.  Es  wurden  6 — 15  Löcher  pro  Quadratmeter  mit  je  8  10  ccm 
einer  20'^/oigen  Z^^ankaliumlösung  (=  15 — 20  g  Zyankaliumlösung  pro  Quadrat- 
meter) verwendet  (Mamelle).  Da  Zyankalium  eines  der  stärksten  Gifte  ist, 
so  ist  bei  dessen  Verwendung  größte  Vorsicht  geboten.  Jedenfalls 
darf  die  Blausäuremethode  nur  unter  sachkundiger  Leitung  aus- 
geführt werden. 

c)  Die  mechanischen  Methoden. 
Die  nächstliegende  und  einfachste  Methode  ist  das  direkte  Entfernen 
resp.  Vernichten  der  Schädlinge.  Am  leichtesten  kann  diese  Methode 
da  ausgeübt  werden,  wo  es  sich  um  Schädlinge  handelt,  die  in  dichten  Mengen 
konzentriert  beisammensitzen,  wie  z.  B.  die  Lophyrus-Arten.  Hier  kann  man 
durch  einfaches  Abstreifen  der  besetzten  Äste  und  Zerdrücken  der  Larven 
mit  der  Hand  vieles  erreichen.  Ebenso  kann  man  die  jungen  Nonnenräupchen, 
die  noch  in  Spiegeln  zusammensitzen,  in  großer  Zahl  mechanisch  vernichten, 
indem  man  die  Spiegel  zerdrückt,  wozu  man  kürzere  oder  längere,  mit  einem 


Fig.  221,    Kr  ah  es  Käferfalle.    Aus  Eckstein. 

Lappen-  oder  Wergbausch  versehene  Stangen  benutzt.  Um  die  Wirkung  zu 
erhöhen,  kann  man  den  Bausch  mit  Öl  tränken,  worauf  schon  oben  bei  der 
chemischen  Methode  hingewiesen  wurde. 

Auch  bei  Nonnenfaltern,  die  ja  den  Tag  über  meist  ruhig  an  den 
Stämmen  sitzen  und  durch  ihre  weiße  Färbung  leicht  zu  entdecken  sind,  wird 
die  mechanische  Vernichtung  durch  Zerdrücken  vielfach  angewendet.  Natürlich 
soll  das  Vernichtungswerk  geschehen,  noch  bevor  das  Weibchen  seine  Eier 
abgelegt  hat.  Welche  Unmengen  von  Faltern  auf  diese  Weise  getötet  werden 
können,  ist  in  dem  eben  ausgefochtenen  großen  Nonnenkampf  in  Sachsen 
bewiesen  worden,  wo  z.  B.  im  Jahre  1908  im  Forstbezirk  Dresden  allein  über 
12  Millionen  Falter  gesammelt  wurden. 

Für  Weideninsekten,  die  oft  in  ungeheueren  Mengen  die  ganzen  Weiden 
bedecken  und  bei  denen  ein  Abstreifen  mit  der  Hand  zu  zeitraubend  wäre, 
hat  man  einen  Abstreifapparat  geschaffen,  (Krahes  Käferfalle,  Fig.  221)  be- 
stehend aus  zwei  langen  Bürsten,  die  auf  ein  ebenso  langes  schmales  einrädeiiges 
Karrengestell  beweglich  aufmontiert  sind.  Indem  man  mit  dem  Karren  durch 
die  befallene  Kultur  hinfährt,  streift  man  die  Insekten  mit  Hilfe  der  beiden 
Bürsten  von  den  Pflanzen  ab,  die  in  eine  auf  dem  Karren  angebrachte,  mit 
Wasser  und  Petroleum  gefüllte  Wanne  fallen. 


Die  technische  Bekämpfung. 


363 


Sollen  Insekten  gefangen  werden,  die  sich  in  den  Baumkronen  befinden, 
so  müssen  sie  aus  der  Krone  herabgeschüttelt  oder  geprellt  werden. 
Bei  stärkeren  Bäumen,  die  nicht  wohl  im  ganzen  zu  schütteln  oder  zu  prellen 
sind,  können  die  einzelnen  Zweige  mit  Hakenstangen  geschüttelt  werden.  Um 
die  herunterfallenden  Insekten  bequem  sammeln  zu  können,  empfiehlt  es  sich, 
Tücher  unterzulegen  oder  zu  halten,  auf  denen  die  Insekten  leicht  zusammen- 
kehrt oder  zusammengeschüttet  werden  können.  Die  Tücher  müssen  natür- 
lich mindestens  so  groß  sein  wie  der  Umfang  der  Krone.^)  Wo  es  sich  um 
das  Abschütteln  kleiner  Bäumchen  handelt,  klopft  man  die  Insekten  am  besten 
in  einen  untergehaltenen  Schirm  (sog.  Klopfschirm).     Bei  ^-^ 

gut    fliegenden    Insekten    (z.    B,    Maikäfer)    hat    das    Ab-  ^ 

schütteln  zu  früher  Morgenzeit  zu  ge- 
schehen, wenn  die  Tiere  von  der  Nacht- 
kühle noch  erstarrt  sind,  da  sie  sonst 
beim  Aufstören  sofort  zum  Flug  über- 
gehen. Beim  Prellen  der  Bäume  ist 
darauf  zu  achten,  daß  keine  Quetsch- 
wunden erzeugt  werden;  deshalb  sind 
besonders  Astslumpfe  zum  Anschlagen 
zu  wählen.  Außerdem  sind  die  zum 
Prellen  bestimmten  Äxte  an  ihrer 
Rückseite  mit  Werg  oder  Lappen 
zu  umwinden. 

Handelt    es    sich    um    Eigelege, 
Gallentiere,  Raupennestei  usw.,  die  an 

einzelnen  Zweigen  sitzen  (wie  z.  B.  die  Eiringel  des  Ringelspinners, 
oder  die  Ananasgallen,  oder  die  Nester  von  Goldafterraupen,  oder  um 
Minierer,  die  in  einzelnen  Zweigen  leben,  oder  die  Raupen  von  Triebwicklern 
usw.)  so  hilft  man  sich  am  besten  dadurch,  daß  man  die  betreffenden  Äste 
oder  Triebe  einfach  abschneidet  oder  abbricht  und  verbrennt.  Sitzen 
die  Zweige  sehr  hoch,  so  bedient  man  sich  hierzu  der  Raupenschere 
(Fig.  222  a).  Bei  den  Raupennestern  kann  man  auch  zu  dem  Mittel  des  Ab- 
brennens  greifen,  das  mit  Hilfe  der  Raupenfakeln  (Fig.  222b)  sich  bequem 
ausführen  läßt. 

In  welcher  Ausdehnung  das  Verfahren  des  Abschneidens  der  Nester  aus- 
geübt werden  kann,  zeigt  die  Bekämpfung  des  Goldafters  in  Amerika,  wo  jährlich 
Millionen  von  Nestern  abgeschnitten  und  zu  meterhohen  Haufen  aufgetürmt  und 
verbrannt  werden. 

Handelt  es  sich  bei  dieser  Vernichtungsarbeit  um  die  Nester  von  Raupen, 
deren  Berührung  dem  Menschen  Nachteil  bringen  kann,  wie  die  Prozessionsspinner- 
raupen, so  hat  der  Arbeiter  sich  durch  Handschuhe,  umgebundene  Tücher,  Be- 
streichen der  Hände  und  des  Gesichtes  mit  Öl  usw.  gegen  diese  Schädlichkeit  zu 
schützen. 

Besondere  Vorkehrungen  sind  beim  Fang  von  springenden  Insekten 
notwendig,  wie  z.  B.  der  Erdflöhe.     Man  sucht  dieselben  dadurch  festzuhalten, 

1)  Welch  ausgezeichneten  Erfolge  durch  konsequentes  Sammeln  (Ab- 
schütteln) erzielt  werden  können,  zeigt  die  großzügig  durchgeführte'  Maikäfer- 
bekämpfung des  Forstmeisters   P  u  s  t  e  r   in  Kandcl   (Pfalz). 


Fig.  222  a. 
Raupenschere. 

Aus  Ecksl 


364         Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 

daf3  man  sie  auf  eine  mit  einer  klebenden  Masse  bestrichene  Unterlage 
abklopft.  Man  nimmt  dazu  gewöhnlich  sog.  „Teer Schlitten",  die  aus  einem 
einfachen  Stück  Pappe,  das  mit  Raupenleim  bestrichen  ist,  bestehen,  und  die 
zwischen  den  Pflanzenreihen  (in  Pflanzgärten  oder  Kulturen)  hindurch  gezogen 
werden,  während  gleichzeitig  die  Pflanzen  abgeklopft  werden. 

Weit  schwieriger  und  zeitraubender  ist  das  direkte  Entfernen  der 
im  Boden  lebenden  Insekten.  Wo  es  sich  um  ganz  lockere  Böden 
und  gleichzeitig  größere  Insekten  (wie  z.  B.  Saateulenraupen)  handelt,  da 
kann  man  einfach  mit  den  Fingern  die  Tiere  aus  dem  Sand  herausschleudern. 
Meist  aber  wird  man  zum  Spaten  greifen  müssen,  um  den  Boden  umzu- 
graben und  die  darin  befindlichen  Insekten  bloßzulegen.  Event,  sind  auch 
die  Pflanzen  herauszunehmen,  um  die  an  den  Wurzeln  sitzenden  Larven  ab- 
zuschütteln und  dann  wieder  einzupflanzen. 

Insekten,  die  in  der  Bodendecke  überwintern,  kann  man  event. 
durch  „Streu rechen"  vernichten,  d.  h.  dadurch,  daß  man  die  Bodendecke 
abzieht  und  auf  Haufen  zusammenbringt,  in  denen  die  Puppen  usw.  der  betr. 
Schädlinge  meist  von  selbst  zugrunde  gehen.  Bei  manchen  schlimmen  Schäd- 
lingen, wie  z.  B.  Kiefernspanner,  ist  das  Streurechen  gegenwärtig  das  einzige 
mechanische  Mittel,  das  einigermaßen  Erfolg  verspricht.  (Über  die  Ver- 
nichtung der  Bodeninsekten  durch  Schweine  und  Hühnereintrieb  ist  oben  bei 
der  biologischen  Bekämpfung  berichtet.) 


Das  Fangen  der  Insekten  kann  dadurch  wesendich  erleichtert  und 
erfolgreicher  gemacht  werden,  daß  man  sie  durch  Anlockungsmittel  an 
einzelnen  Stellen  zusammenzieht,  wodurch  die  Schädlinge  gewisser- 
maßen aus  dem  befallenen  Gebiet  extrahiert  werden,  oder  vielmehr  aus  deren 
zerstreutem  Vorkommen  ein  lokales,  engbegrenztes  gemacht  wird.  Solcher 
Anlockungsmittel  gibt  es  eine  ganze  Reihe: 

Die  meisten  laufen  darauf  hinaus,  den  Schädlingen  möglichst  günstige 
Nahrungsmittel-  und  Brutgelegenheit  darzubieten.  So  kann  man  z.  B. 
die  Drahtwürmer  durch  „Fangpflanzen"  anlocken,  indem  man  Salat,  der 
von  den  Drahtwürmern  vor  allen  anderen  Pflanzen  vorgezogen  wird,  zwischen 
die  Saat-  und  Pflanzreihen  und  die  die  Beete  trennenden  Wege  sät.  Die  von 
den  Larven  angenommenen  Salatpflanzen  werden  welk  und  scheinen  etwas 
in  den  Boden  gezogen  zu  sein.  Man  hebt  diese  Pflanzen  heraus  und  wird 
in  der  bis  auf  die  äußere  Haut  ausgehöhlten  Wurzel  oder  sogar  weiter  oben 
den  Drahtwurm  finden.  Ist  die  Pflanze  leer,  so  befindet  sich  die  Larve 
bereits  auf  dem  Wege  zu  einer  nächsten,  in  welcher  sie  am  anderen  Tage 
gefunden  werden  wird.  Auch  aufgeschnittene  Kartoffeln,  welche  abends  aus- 
gelegt werden,  können  als  Köder  benutzt  werden. 

Ein  sehr  bekanntes  und  vielgebrauchtes  Anlockungsmittel  sind  die 
„Fangrinden",  die  hauptsächlich  zum  Sammeln  des  großen  braunen  Rüssel- 
käfers und  der  wurzelbrütenden  Hylesinen  benutzt  werden.  Die  Rindenstücke 
(von  je  20 — 30  cm  im  Quadrat)  müssen  vom  frisch  gefällten  Stamm  genommen 
sein  (da  sie  ja  dem  Käfer  Nahrung  darbieten  sollen),  und  werden  mit  der 
Bastseite  auf  den  Boden  seiest  und  mit  einem  Stein  beschwert.    Das  Sammeln 


Die  technische  Bekämpfung. 


365 


der  Käfer  geschieht  durch  vorsichtiges  Aufheben  und  Umdrehen  der  Rinde 
und  Lesen  der  an  dieser  und  auf  dem  Boden  sitzenden  Individuen.  Trocken 
gewordene  Rindenstücke  müssen  durch  frische  ersetzt  werden,  wobei  die 
alte  Rinde  zum  Schutz  des  frischen  Stückes  auf  das  letztere  gelegt  werden 
kann  (Fig.  223b).  In  Kiefernrevieren  verwendet  man  auch  „Fangkloben", 
zu  welchen  man  frisch  gefälltes,  dünnrindiges  Kiefernholz  benutzt;  sie  werden 
in  ganz  ähnlicher  Weise  gehandhabt  wie  die  Fangrinden  (Fig.  223  a).  Um 
die  Anziehungskraft  dieser  Fangmittel  zu  erhöhen,  hat  man  auf  die  Fangrinden 
und  Fangkloben  etwas  Tei"pentin  gegeben.  Doch  sind  die  Meinungen  über 
die  Wirkung  dieses  Zusatzes  recht  verschieden;  wahrscheinlich  spielt  hier 
auch  die  Qualität  des  Terpentins  eine  Rolle. 

Beruhten  die  bisher  genannten  Anlockungsmittel  im  wesentlichen  auf 
der  Darbietung  von  besonders  zusagender  Nahrung,  so  bestehen  die  folgen- 
den hauptsächlich  in  einer  Darbietung  von  möglichst  günstigen  Brutgelegen- 
heiten. So  sucht  man  die  eben  genannten  Schädlinge  außer  durch  Fang- 
rinden auch  noch  durch  „Brutknüppel"  aus  den  bedrohten  Kulturen  heraus- 


F"ig.  223  a.     FaugklobeD. 


Fig.  223  b.    Fangrinden,  zweimal  erneuert. 
Aus  Eckstein. 


zuziehen.  Das  Prinzip  derselben  besteht  darin,  daß  je  eine  Anzahl  (etwa 
armdicker  und  '^/^  m  langer)  Knüppel  zusammen  eingegraben  werden,  wo 
sie  von  den  Weibchen  der  genannten  Schädlinge  aufgesucht  und  mit  Eiern 
belegt  werden.  Nach  einiger  Zeit  werden  die  Knüppel  wieder  heraus- 
genommen und  die  darin  befindliche  Brut  vernichtet.  Forstmeister  Groh- 
mann  sucht  die  Anziehungskraft  der  Brutknüppel  dadurch  noch  zu  steigern, 
daß  er  über  die  Knüppel  frisches  Reisig  legt,  welches  zum  Zweck  der  Be- 
festigung und  längeren  Frischhaltung  in  der  Mitte  mit  Erde  bedeckt  wird,  so 
daß  nur  die  äußeren  Enden  der  Zweige  frei  hervorragen.  Dadurch  wird 
den  Käfern  neben  der  Brutgelegenheit  zugleich  auch  zusagende  Nahrung 
dargeboten.  Die  Erfolge  dieser  kombinierten  Methode  waren  sehr  zufrieden- 
stellende. 

Eine  sehr  wichtige  Rolle  unter  den  hierherzählenden  Fangmethoden 
spielen  die  sog.  „Fangbäume",  welche  ein  wirksames  Bekämpfungsmittel 
gegen  viele  Borkenkäfer  und  andere  rindenbrütende  Käfer  (Cerambyciden, 
Pissodes  usw.)  darstellen.  Die  Methode  beruht  darauf,  daß  frisch  gefällte 
Bäume  von  den  genannten  Schädlingen  gern  als  Brutmaterial  angenommen 
werden,  da  sie  sich  eben  in  einem  für  sekundäre  Schädlinge  gerade  ge- 
eigneten Zustand   befinden.     Und   so   braucht   man   nur  eine  genügende  An- 


366         Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 

zahl  solcher  Fangbäume  zu  werfen,  um  die  größte  Zahl  der  Borkenkäfei 
usw.  aus  dem  Walde  herauszuziehen.  Da  die  Fortpflanzungsbereitschaft  der 
Borkenkäfer  sich  über  eine  längere  Zeit  erstreckt,  die  Bäume  aber  allmählich 
ihre  Anziehungskraft  verlieren,  so  muß  dafür  gesorgt  werden,  daß  von  Zeit 
zu  Zeit  neue  Bäume  gefällt  werden.  Besonders  wichtig  ist  es  ferner,  daß  die 
Fangbäume  stets  revidiert  und  zur  rechten  Zeit  entrindet  werden.  Am  besten 
geschieht  die  Entrindung,  noch  bevor  die  Larven  zur  Verpuppung  schreiten; 
es  ist  dann  gar  nicht  einmal  notwendig,  daß  die  Rinde  verbrannt  wird,  da 
die  Larven,  wenn  sie  freigelegt  sind,  von  selbst  zugrunde  gehen.  —  Von 
Sedlaczek  ist  vorgeschlagen  worden,  auch  stehende  Bäume  als  Fangbäume 
zu  präparieren,  indem  man  die  Rinde  derartig  ringelt,  daß  der  Saftstrom 
unterbrochen  wird;  sie  sollen  für  gewisse  Borkenkäferarten  wirksamer  sein 
als  die  gefällten.  Näheres  darüber  wird  im  2.  Band  bei  Besprechung  der 
Borkenkäfer  mitgeteilt  werden. 

Endlich  hat  man  auch  das  Licht  als  Anlockungsmittel  dem  Kampf 
gegen  die  Schädlinge  dienstbar  zu  machen  gesucht.  Von  der  allbekannten 
Erscheinung  ausgehend,  daß  die  nächtlichen  Insekten,  vor  allem  die  Nacht- 
schmetterlinge, zum  Licht  geflogen  kommen,  hoffte  man  durch  Aufstellen  von 
starken  Lichtquellen  im  Walde  einen  Massenfang  gewisser  Schädlinge  erzielen 
zu  können.  Im  großen  Maßstabe  wurde  der  Versuch  zum  ersten  Male 
während  der  Nonnenkalamität  in  Bayern  (1890/92)  unternommen.  Es  wurden 
Bogenlampen  aufgestellt  und  in  Verbindung  mit  einem  starken  Saugapparat 
(Exhaustor)  gebracht,  welcher  die  vom  Licht  angezogenen  Schmetterlinge 
durch  ein  weites  Rohr  in  ein  mit  einer  Flüssigkeit  gefülltes  Gefäß  saugen 
sollte.  Der  Apparat  entsprach  durchaus  nicht  den  Erwartungen;  jedenfalls 
stand  der  Erfolg  in  gar  keinem  Verhältnis  zu  den  hohen  Kosten,  so  daß  man 
vollständig  von  ihm  abkam  (Pauly).  Auch  alle  späteren  in  den  Handel  ge- 
brachten Lichtfangapparate  haben,  soweit  es  sich  um  die  Vertilgung  von 
Forstinsekten  handelte,  einen  durchschlagenden  Erfolg  nicht  gehabt,  so  daß 
man  heute  von  der  Lichtfangmethode  als  Bekämpfungsmittel  ziemlich  all- 
gemein abgekommen  ist. 

Eine  weitere  Methode  der  mechanischen  Bekämpfung  besteht  darin,  die 
Schädlinge  in  Fanggräben  auf  ihren  Wegen  zum  Fraßgebiet  abzufangen 
und  so  das  letztere  freizuhalten.  Natürlich  kann  diese  Methode  nur  gegen 
solche  Schädlinge  geübt  werden,  welche  flugunfähig  sind  oder  wenigstens 
von  ihrem  Flugvermögen  nur  geringen  Gebrauch  machen,  also  boden- 
bewohnende Larven,  wie  Engerlinge  oder  Erdraupen,  flügellose  Kurzrüßler 
und  ganz  besonders  gegen  den  flugunlustigen  Hylobius.  Die  hauptsächlichste 
Indikation  für  die  Anlage  von  Fanggräben  ist  Schutz  der  Kulturen.  Es 
werden  zu  diesem  Zwecke  die  betreffenden  Kulturen  allseitig  mit  Fanggräben 
umgeben;  wo  außerdem  noch  bereits  in  der  Kultur  befindliche  Schädlinge, 
wie  z.  B.  Saateulenraupen,  abgefangen  werden  sollen,  sind  neben  dem  Um- 
fassungsgraben noch  weitere  Gräben  in  der  Kultur  anzulegen,  welche  die 
letztere  durchqueren  und  mit  dem  Umfassungsgraben  in  Verbindung  stehen. 
Die  Tiefe  der  Gräben  beträgt  gewöhnlich  ca.  30  cm,  die  Breite  kann  ungefähr 


Die  technische  Bekämpfung.  357 

ebensoviel  betragen,  sie  kann  aber  auch  etwas  schmäler  sein.  Die  Haupt- 
sache ist,  daß  die  Wände  (oder  wenigstens  die  der  Kultur  zugewandte)  senk- 
recht abfallen  und  möglichst  glatt  sind.  Auch  die  Sohle  des  Grabens  ist  zu 
ebnen  und  von  dem  überflüssigen  lockeren  Erdreich  zu  reinigen,  des  leichteren 
Sammeins  halber.  Aus  demselben  Grunde  sind  im  Graben  in  regelmäßigen 
Abständen  (von  vielleicht  10  m)  Löcher  auszuheben,  in  denen  die  im  Graben 
hin-  und  herlaufenden  Käfer  sich  sammeln,  wodurch  die  Arbeit  des  Ent- 
fernens  wesentlich  erleichtert  wird  (Fig.  224).  Von  größter  Wichtigkeit  ist 
es,  daß  der  Graben  fängisch  gehalten,  d.  h.  daß  er  stets  von  hineinfallenden 
Ästen,  Laub  usw.  gereinigt  wird,  daß  event.  abgefallene  Wände  wieder- 
hergestellt und  geglättet  werden  usw.  Von  Zeit  zu  Zeit  müssen  die  Gräben 
abgesammelt  werden,  wobei  besonders  darauf  zu  achten  ist,  daß  Nützlinge, 
die  mit  gefangen    sind  (wie  Ca/osonia,   Mistkäfer,    Eidechsen  usw.),    wieder  in 


H 


Fig.  224.    Fauggraben  zur  Bekämijfung  des  HyJoUus.    A  Längsschuitt.    B  von  oben  gesehen,  die  Fall- 
löclier  sind  gestreift.    Ans  Eckstein. 

Freiheit  gesetzt  werden.  —  Die  Erfolge,  die  man  mit  den  Fanggräben,  vor 
allem  gegen  Hylobius,  erzielt  hat,  sind  sehr  zufriedenstellende,  und  es 
empfiehlt  sich  jedenfalls,  überall,  wo  die  Anlage  solcher  Gräben  technisch 
leicht  ausführbar  ist,  zu  diesem  Mittel  zu  greifen. 

Auf  dem  gleichen  Prinzip  wie  die  Fanggräben  beruhen  die  Fanglöcher 
und  die  Fangtöpfe,  nur  handelt  es  sich  hier  um  vereinzelte  kleinere  Fang- 
stellen, die  in  großer  Anzahl  über  das  zu  schützende  Gebiet  verteilt  werden 
können.  Fanglöcher  werden  z.  B.  angewendet  gegen  Engerlinge;  sie  werden 
in  diesem  Falle  mit  Moos  gefüllt,  in  dem  sich  die  Engerlinge  gern  aufhalten. 
Fangtöpfe  nimmt  man  vor  allem  gegen  die  Maulwurfsgrille.  Es  können 
Blumentöpfe,  Konservenbüchsen,  abgeschlagene  Flaschen  usw.  dazu  benutzt 
werden;  es  ist  nur  darauf  zu  achten,  daß  der  obere  Rand  des  Topfes  nicht 
vorsteht,  sondern  eher  etwas  tiefer  liegt  als  die  Erdoberfläche;  die  Erde  wird 
möglichst  fest  angedrückt  und  gerundet,  so  daß  die  heranlaufenden  Werren 
abstürzen  müssen.  Die  Fangtöpfe  werden  zwischen  den  Saatbeeten  in  3  bis 
5  m  Abstand  eingegraben.  Man  kann  die  Wirkung  noch  erhöhen,  wenn  man 
die    einzelnen  Fangtöpfe    mit  Latten  verbindet,  die    etwas  in  den  Boden  ver- 


368         Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 

senkt,  ungefähr  5  cm  hervorsehen:  die  Werren,  die  an  diese  Latten  hin- 
geraten, laufen  dann  daran  entlang  und  werden  so  direkt  zu  den  Fangtöpfen 
geleitet  (Eckstein). 

Außer  diesen  Fanggräben,  Fanglöchern  und  Töpfen  werden  noch  zahl- 
reiche Insektenfallen,  vor  allem  Rüsselkäferfallen,  in  denen  sich  die  Käfer 
„massenweise"  fangen  sollen,  in  den  Handel  gebracht.  Doch  keine  von  allen 
angepriesenen  Fallen  hat  sich  so  bewährt,  daß  sich  ihre  Einführung  im  großen 
empfehlen  würde.  Jedenfalls  ist  nicht  anzuraten,  viel  Geld  für  derartige 
Apparate  auszugeben.  Man  sollte  in  dieser  Beziehung  überhaupt  als  Regel 
aufstellen,  neue  in  den  Handel  kommende  Apparate  nicht  gleich  im  großen 
anzuschaffen,  bevor  nicht  einwandfreie  Versuche  (am  besten  durch  die  Ver- 
suchsanstalten) angestellt  worden  sind.  Große  Summen  Geldes  könnten  auf 
diese  Weise  gespart  und  besseren  Zwecken  zugeführt  werden.  Dies  gilt 
übrigens  nicht  nur  für  die  Käferfallen,  sondern  in  gleicher  Weise  auch  für 
alle  übrigen  zahlreichen  „Neuerfindungen"  auf  dem  Gebiete  des  Pflanzen- 
schutzes, z.  ß.  Lichtfang-  und  Leimapparate,  Spritzmittel  usw. 

Als  eines  der  wichtigsten  der  mechanischen  Bekämpfungsmittel  ist  der 
Leimring  zu  nennen.  Er  verfolgt  denselben  Zweck  wie  der  Raupengraben, 
nämlich  die  Schädlinge  vom  Fraßort  abzuhalten;  nur  handelt  es  sich  hier 
um  Bauminsekten,  die  vom  Aufsteigen  in  die  Krone  abgehalten  werden 
sollen,  während  der  Raupengraben  zur  Abhaltung  der  Erdinsekten  dient. 
Die  Wirkung  des  Leimringes  ist  durchschlagend  bei  solchen  Insekten,  die 
gezwungen  sind,  gemäß  ihrer  Entwicklung  vom  Boden  auf  dem  Stamm  zur 
Krone  zu  kriechen,  wofür  die  bekanntesten  Beispiele  die  aus  dem  Boden 
kommenden  flügellosen  Weibchen  der  Frostspanner  oder  die  im  Boden  über- 
winternden Raupen  des  Kiefernspinners  darstellen. 

Aber  auch  bei  anderen  Insektenarten,  deren  Biologie  obige  Forderung 
nicht  ausnahmslos  erfüllt,  kann  der  Leimring  Ausgezeichnetes  leisten,  wo- 
für die  Nonne  ein  Beispiel  liefert:  Die  Eiablage  dieses  Schädlings  ist  oft  über 
den  ganzen  Stamm  verteilt,  so  daß  ein  Teil  der  Räupchen  oberhalb  des 
Leimringes  auskommt  und  also  ungehindert  in  die  Krone  zum  Fraß  sich  be- 
geben kann.  Ein  großer  Prozentsatz  dieser  anfangs  freien  Räupchen  kommt 
aber  nachträglich  doch  noch  in  die  Gewalt  des  Leimringes,  da  sie  nämlich 
die  Gewohnheit  haben,  sich  bei  Störungen  usw.  abzuspinnen.  Dadurch  ge- 
langen sie,  soweit  sie  nicht  durch  untere  Äste  aufgefangen  werden,  unter- 
halb des  Leimringes  und  werden  nun  beim  Wiederaufbaumen  vom  Leimring 
abgehalten.  Wir  sprechen  in  solchen  Fällen  von  der  „sekundären  Wirkung" 
des  Leimringes.  Wie  groß  dieselbe  sein  kann,  wurde  neuerdings  durch  die 
Versuche  von  Escherich  und  Weißwange  zahlenmäßig  festgestellt.  Ganz 
ähnlich  wie  die  Nonnenraupen  verhalten  sich  auch  noch  andere  Spinnerraupen, 
wie  z.  B.  die  Räupchen  des  Schwammspinners,  worüber  die  Amerikaner 
interessante  Versuche  angestellt  haben.  Bei  allen  diesen  Raupen  kann  also, 
trotzdem  sie  teilweise  oberhalb  des  Leimes  geboren  werden,  der  Leimring  als 
Bekämpfungsmittel  angezeigt  sein. 


Die  technische  Bekämpfung. 


369 


Auch  bei  an  und  für  sich  flugfähigen  Insekten,  die  aber  von  ihrem 
Flugvermögen  nur  ungern  Gebrauch  machen,  kann  der  Leimring  Gutes  leisten. 
So  berichtet  Forstmeister  Sihler  von  recht  befriedigenden  Erfolgen  des 
Leimringes  gegen  Lyda  hypotrophica,  deren  flugunlustige  Weibchen  zunächst 
am  Stamme  hinaufkriechend  die  Krone  zu  erreichen  suchen  und  auf  dieser 
Wanderung  durch  den  Leimring  abgehalten  werden  können.  In  diesem  Falle 
müssen  aber  die  Weibchen  sobald  als  möglich  getötet  werden,  da 
sie    sonst,    von  der  Fortpflanzungsnot   getrieben,    sich   doch    noch  zum  Über- 


«  b  c 

Fig.  225.    Leimtecbnik:    Kiefernstamm,  a  gerötet;    6  mit  dem  vermittelst  des   Spatels  aufgetragenen 

Leim;   c  mit  fertigem  Leimring,  entstanden  durch  Überstreichen  des  in  6  aufgetragenen  Leimes  mit 

dem  Glättholz.    Aus  Eckstein. 


fliegen  des  Leimhindernisses  aufraffen  würden.  Endlich  kann  selbst  bei 
solchen  Raupen,  die  ihrer  ganzen  Biologie  nach  gar  nicht  oder  nur  sehr 
spärlich  und  zufällig  unter  den  Leimring  geraten,  der  letztere  mit  Erfolg  in 
Anwendung  gebracht  werden,  wenn  man  das  Leimen  mit  Abschütteln  resp. 
Prellen  verbinden  kann.  So  kann  man  z.  B.  die  Raupen  der  Kieferneule  in 
Stangenhölzern  durch  dieses  kombinierte  Verfahren  bis  zu  einem  hohen  Prozent- 
satz unschädlich  machen  resp.  unter  den  Leimring  bringen,  wie  eine  (1913) 
in  dieser  Weise  auf  Veranlassung  von  Geh.  Oberforstrat  Neumeister  vorge- 
nommene erfolgreiche  Bekämpfung  der  Eule  im  Dresdener  Bezirk  dargetan  hat. 
Die  Leimringbekämpfung  ist  bei  Obstbaumzüchtern  schon  seit  langer 
Zeit  gegen  die  Frostspanner  im  Gebrauch.  Wenn  das  Verfahren  im  forst- 
lichen Betrieb  erst  später  allgemeinere  Bedeutung  erlangt  hat,  so  liegt  dies 
Escherich,  Forstinsekten.  24 


370        Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 


daran,  daß  der  im  Obstbau  gebrauchte  Leim  (resp.  Fanggürtel)  für  die  großen 
forstlichen  Verhältnisse  viel  zu  teuer  war,  und  daß  ferner  der  Teer,  den  man 
anfangs  gegen  Forstinsekten  anwandte,  zu  bald  seine  Fängigkeit  verlor.  Erst 
nachdem  es  der  chemischen  hidustrie  gelungen  war,  dem  Teer  durch  eine 
Art   Verseifungsprozeß   eine    längere   Fängigkeitsdauer   zu    geben    und    so    in 


\/ 


/ 


ü 


Fig.  226  a. 
Tragekasteu  für  Leim. 


Fig.  226  b. 
Spatel  und  Glättholz.     Verschiedene  Formen.   (N.) 


dem  „Raupenleim"^)  ein  ebenso  billiges  wie  geeignetes  Klebemittel  zu 
schaffen,  konnte  man  an  eine  Anwendung  des  Leimringes  im  großen  gehen, 
und  heute  steht  derselbe  unter  den  technischen  Kampfmitteln  gegen  einige 
unserer  gefährlichsten  Schädlinge  zweifellos  an  erster  Stelle.  Hat  doch  der 
Kiefernspinner  durch  ihn  allein  seine  Schrecken  verloren. 

Die  Wirkung  des  Leimringes  beruht  natürlich  in-  erster  Linie  auf  seiner 
Klebekraft;   doch  auch  schon  der  Geruch  allein,    der  von  demselben  ausgeht, 


Fig.  227.    Der  Ecksche  Leimschlauch.    (N.) 


wirkt  auf  manche  Insekten  abhaltend.  Manche  Larven  allerdings  machen  sich 
wenig  aus  dem  Geruch,  wie  z.  B.  die  Blattwespenlarven,  was  man  sehr 
schön  gelegentlich  der  oben  (S.  369)  erwähnten  Kieferneulenbekämpfung  sehen 
konnte.     Während  die  Eulenraupen  alle  schon  vor  dem  Leimring  Halt  machten 


0  Als    die    renommiertesten    Leimfirmen 
lisch  in  Burg  bei  Magdeburg,  Ä.  W  i 


seien    genannt:     Heinrich    Er- 

_-„  „-.  -.^„a a,  -- genroth  in  Mannheim,  Schindler 

&  M  ü  t  z  e  11  Nachfolger  in  Stettin,  P.  H  o  f  f  m  a  n  n  ii 
sehen   14  und  20  M.  — 


Doppelzentner  schwankt  z' 


Freiberg.     Der   Preis  pro 


Die  technische  Bekämpfung.  371 

und    keine    auf   den  Leim    kroch,    versuchten   die  Lophyrus-Lavyen   über   den 
Leim  zu  laufen  und  blieben  samt  und  sonders  auf  dem  Leimring  kleben. 

Je  nachdem  der  Leimring  tiefer  oder  höher  am  Stamm  angelegt  wird, 
unterscheiden  wir  eine  Tief-  und  Hochleimung.  Die  erstere,  die  etwa  in 
Brusthöhe  vorgenommen  wird,  ist  bei  solchen  Schädlingen  indiziert,  die  vom 
Boden  aus  aufsteigen  müssen,  wie  z.  B.  gegen  den  Kiefernspinner,  oder 
bei  dem  mit  Prellen  kombinierten  Verfahren.  Die  Hochleimung  in  4 — 6  m 
Höhe  wird  der  Tiefleimung  überall  da  überlegen  sein,  wo  die  Eiablage  über 
den  ganzen  Stamm  verteilt  ist  (wie  bei  der  Nonne);  denn  je  höher  in  diesem 
Falle  der  Leimring  sitzt,  desto  mehr  Räupchen  werden  primär  von  ihm  ab- 
gefangen. 

Die  Ausführung  des  Leimens  zerfällt  in  zwei  Akte,  nämlich:  L  die 
Vorrichtung  der  Leimstelle  und  2.  das  Auftragen  des  Leimes,  Die  Vor- 
richtung besteht  hauptsächlich  in  der  Glättung  der  betreffenden  Rindenpartie. 
Handelt  es  sich  um  die  an  und  für  sich  ziemlich  glatte  Rinde  von  jungen 
Kiefern  oder  Fichten,  so  genügt  es,  die  Leimstelle  mit  einer  Drahtbürste  ab- 
zureiben oder  mit  der  stumpfen  Seite  des  Schnitzmessers  abzuschaben;  wo 
es  sich  aber  um  dickborkige  Rinde  alter  Bäume  handelt,  da  muß  die  grob- 
rissige Borke  abgeschnitzt  werden,  bis  eine  glatte  Ringfläche  entsteht,  —  ein 
Vorgang,  den  man  als  „Röten"  bezeichnet  (Fig.  225a).  Beim  zweiten  Akt, 
dem  Auftragen  des  Leimes,  ist  darauf  zu  achten,  daß  der  Ring  geschlossen 
ist  und  überall  dem  Stamme  aufsitzt,  daß  er  sodann  möglichst  gleichmäßig 
ist,  d.  h.  überall  die  erforderliche  Dicke  und  Breite  aufweist,  dass  ferner  dabei 
mit  dem  Material  möglichst  sparsam  umgegangen  wird,  und  daß  endlich  die 
Arbeit  in  möglichst  kurzer  Zeit  erledigt  werden  kann.  Um  diese  Forderungen 
zu  erfüllen,  sind  eine  ganze  Menge  Leimapparate  konstruiert  und  in  den 
Handel  gebracht  worden,  von  denen  aber  nur  ganz  wenige  sich  als  wirklich 
brauchbar  erwiesen  haben.  Heute  stehen  hauptsächlich  folgende  in  Ver- 
wendung: der  Leimspatel,  der  Ecksche  Leimschlauch,  die  Ringlersche 
Leimquetsche,  die  Jankesche  Leimspritze  und  die  Leimstricke, 

Das  primitivste  Werkzeug  ist  der  Spatel  (Fig.  226b),  der  einen  ein- 
fachen Holzstab  von  der  ungefähren  Breite  des  zu  machenden  Leimringes  dar- 
stellt. Mit  ihm  wird  der  Leim,  der  in  einem  Tragekasten  (Fig.  226a)  mitgeführt 
wird,  auf  die  gerötete  Stelle  aufgetragen,  worauf  mit  einem  besonderen  Glätt- 
holz der  gänzlich  unregelmäßige  Ring  glatt  gestrichen  werden  muß.  Das  Ver- 
fahren macht  also  drei  verschiedene  Instrumente  notwendig;  außerdem  ist 
unvermeidlich,  daß  meistens  etwas  Leim  abfällt. 

Der  Leimschlauch  (Fig.  227)  bedeutet  dem  Spatel  gegenüber  einen 
wesendichen  Fortschritt,  vor  allem  bezügl.  der  Einfachheit  und  Schnelligkeit 
der  Arbeit,  Der  Schlauch,  der  aus  undurchlässig  gemachtem  Segeltuch  be- 
steht, hat  nur  eine  Öffnnng,  die  mit  einem  abnehmbaren  Mundstück  von  der 
Breite  und  Dicke  des  gewünschten  Leimbandes  versehen  ist.  Es  bedarf  nur 
eines  leichten  Druckes  auf  den  gefüllten  Schlauch,  um  die  erforderliche  Quan- 
tität Leim  aus  dem  Mundstück  auszudrücken,  während  man  gleichzeitig  um 
den  Stamm  herumfährt  und  den  Ring  legt.  Zur  Füllung  der  Schläuche 
sind  besondere,  nicht  gerade  billige  Füllapparate  notwendig  (Fig.  228), 

24* 


372         Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 


Die  Ringlersche  Leimquetsche  (Fig.  229),  von  der  Form  einer  alten 
Lichtputzschere,  beruht  im  Prinzip  darauf, 
daß  der  Leim  aus  dem  pyramidenförmig  ge- 
stalteten Leimbehälter  mit  Hilfe  einer  scheren- 
förmig  mit  diesem  verbundenen  Klappe  durch 
eine  kleine  Öffnung  herausgequetscht  wird. 
Die  Quetsche  hat  verschiedene  Nachteile: 
die  Arbeit  mit  ihr  wirkt  auf  die  Dauer  er- 
müdend, und  sodann  tritt  gewöhnlich  beim 
Schließen  des  Klappdeckels  mehr  oder 
weniger  Leim  zwischen  dem  Deckel  und 
dem  Behälter  aus,  was  Leimverlust  und 
Schmutzerei  bedeutet. 

Der  Jankesche  Apparat^)  endlich 
(Fig.  230  a,  b  u.  c)  beruht  auf  dem  Prinzip 
der  Leimspritzen,  d.  h.  er  besteht  aus 
einem  Zylinder,  aus  dem  der  Leim  mit 
Hilfe    eines   Stempels   durch   eine   schmale, 

mit    einem    kleinen    Mundstück    versehene 

Fig.  228.   D e eher ts  Füllapparat  für  den    Öffnung  herausgepreßt  wird.   Die  Vorwärts- 
Leimschiauch.   Aus  Eckstein.  bewegung     des     Stempels     geschieht    ver- 
mittelst eines  nach  Scherenart  zu  bedienen- 
den   Hebelapparates,    dessen    einer    an    der    Spitze    rechtwinklig    gebogener 
Hebelarm   in  die   an  der  Trieb- 
stange angebrachten  Zähne  ein- 
greift.     Es    genügt    ein    relativ 
schwacher     Druck     auf     diesen 
Hebelarm,  um  den  Stempel  vor- 
wärts zu  treiben.    Ist  die  Schere 
geschlossen,    so    wird    sie    von 
neuem    geöffnet,    der    gebogene 
Hebelarm,    der    an    der    Spitze 
einen  kurzen  beweglichen  Finger 
besitzt,     greift     damit     in     den 
nächsten    Zahn     ein,     und    nun 
kann    die     Schere    wieder     ge- 
schlossen   werden     usw.       Man 
verfährt  also  etwa  so,  wie  wenn 
man    mit    einer    großen    Tuch- 
oder Papierschere  arbeitet,    und 
es  ist  dabei,  dank  der  sehr  gün- 
stigen Hebelwirkung,  kaum  mehr 
Kraftanstrengung  notwendig,  als 
man   beim  Schneiden   eines  dünnen  Kartons   gebraucht.     Der  Stempel  ist  am 
Rande  mit  Filz  gedichtet,  so  daß  ein  Durchtreten  des  Leimes  nach  hinten  aus- 


A  B 

Fig.  229.    Die  Ringlersche  Leimquetsche.    A  Ausein- 
andergenommen; B  Kleinere  Profllansicht.    (N.) 


0  Zu  beziehen  vom  Erfinder  M  a  .x  J  a  n  k  e  in  Putzkau,  Sachsen  (Preis  4,5U  M.). 


Die  technische  Belcämpfung. 


373 


geschlossen  ist.  An  dem  Vorderende  der  Spritze  ist  ein  abnehmbarer  Handgriff 
angebracht,  an  dem  man  mit  der  linken  Hand,  der  sicheren  Führung  halber,  den 
Zylinder  festhalten  kann,  während  man  mit  der  rechten  die  Schere  in  Be- 
wegung setzt.  Doch  ist  diese  zweihändige  Bedienung  wohl  nur  bei  Frauen- 
arbeit nötig,  während  bei  Männerarbeit  der  Handgriff  entfernt  werden 
und    die    Spritze    sehr    gut    mit    einer   Hand    bedient    werden    kann.     Dieses 


Fig.  230.    Janke  sehe  Leimspritze. 
a  Stempel  herausgeuommen,  h  und  c  im  Gebrauch  (ein-  und  zweihändig). 


letztere  Moment  in  Verbindung  mit  dem  überraschend  geringen  Kraftaufwande, 
der  zur  Bedienung  des  Apparates  notwendig  ist,  und  der  überaus  reinlichen 
und  sparsamen  Arbeit  erhebt  die  Janke  sehe  Spritze  unserer  Meinung 
nach  über  alle  bisherigen  Leimapparate,  und  sie  dürfte  wohl  be- 
rufen sein,  der  Leimapparat  der  Zukunft  zu  werden. 

Durch  die  einhändige  Bedienung  der  Ja nk eschen  Spritze  ist  —  abge- 
sehen davon,  daß  durch  sie  die  Tiefleimung  ohne  weiteres  höher  anzubringen 
ist  (Fig.  231),  als  es  bei  den  zweihändigen  Apparaten  tunlich  ist  (was  bei 
manchen  Bekämpfungen,  z.  B.  Nonne,  einen  entschiedenen  Vorteil  bedeutet)  — 


374 


Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 


auch  das  Problem  der  Hochlei mung  der  Lösung  wesendich  näher  gebracht. 
Wenn  man  bis  jetzt  so  wenig  zu  der  Hochlei  mung  gegriffen  hat,  trotz  der 
großen  Vorzüge,  die  sie  bei  gewissen  Insekten  gegenüber  der  Tiefleimung 
hat,  so  lag  dies  hauptsächlich  an  den  zu  hohen  Kosten  resp.  an  dem  Fehlen 
brauchbarer  Methoden.  Dieser  Hinderungsgrund  dürfte  durch  die  Erfindung 
Jankes  wesentlich  verkleinert  worden  sein.  Jedenfalls  lehren  die  Erfahrungen, 
die  Herr  Oberförster  Weiske   in  Oberholz    und  Herr  Oberförster  Cunit  in 


Fig.  231.    Tiefleimen  mit  der  .lankeschen  Spritze.    Die  leichte  finhaiuliKi'  Bi'di(Miuug  ermöglicbt  ein 
höheres    Anlegen  des   Leimringes  als  mit  den  bisher  gebräuchlichen  Apparaten.    (Aufgenommen  in 

Oberholz  bei  Leipzig.) 


Flößberg  damit  gemacht  haben,  daß  durch  die  Jankesche  Spritze  das  Hoch- 
leimen nicht  nur  sehr  erleichtert  ist,   sondern  auch  die  Kosten^)  so  reduziert 

^)  Die  Kosten  des  Hochleiniens  dürften  nach  den  dem  Verfasser  gemachten 
Mitteilungen  durchschnittlich  ca.  28 — 35  M.  pro  Hektar  betragen  (die  früher  vom 
Verfasser  gegebenen  Zahlen  von  25 — 28  M.  waren  etwas  zu  niedrig  gegriffen). 
Herr  Oberförster  Cunit  in  Flößberg  gelangte  sogar  noch  zu  wesentlich  günstigeren 
Resultaten,  wie  aus  folgenden  Daten  zu  ersehen  ist:  Die  Hochleimung  erfolgte  auf 
einer  Fläche  von  17,51  ha,  und  kostete  bei  678  Stunden  Arbeit  201,55  M.  Es  kamen 
somit  auf  1  ha  11,51  M.  ohne  anteilige  Leimkosten,  die  139,19  M.  (also  7,95  M.  pro 


Die  technische  Belcämpfung.  375 

sind  gegenüber  früherer  Hochleimverfahren,  daß  die  Mehrkosten  gegenüber 
der  Tief  leimung  durch  die  wesentlich  größere  Wirkung  der  Hochleimung 
zweifellos  reichlich  gerechtfertigt  sind. 

Die  Ausführung  der  Hochleimung  (Fig.  232)  mit  der  J an k eschen  Spritze 
geschieht  von  4 — 5  m  hohen  Leitern  aus,  welche  der  Sicherheit  halber  mit 
Eisenschuhen  versehen  sind;  ausserdem  empfiehlt  es  sich,  die  oberen  Enden 
der  Leiter  mit  einem  kräftigen  Hanfstrick  zu  verbinden,  der  sich  beim  An- 
legen der  Leiter  dem  Stamm  anschmiegt  und  so  der  letzteren  einen  festen 
Halt  verleiht  (empfohlen  von  Oberforstmeister  Schleinitz).  Zur  Reinigung 
der  Leimstelle  (Entfernung  dei  Äste  usw.)  wird  ein  kräftiges  schwertartiges 
Instrument,  das  sog.  „Schwert"  benutzt,  welches  mittels  einer  Draht- 
schlinge am  oberen  Ende  der  Leiter  angehängt  ist.  Der  Arbeiter  besteigt 
mit  der  gefüllten  Leimspritze  die  Leiter,  reinigt  rasch  mit  dem  Schwert  die 
Umgebung  der  Leimstelle,  hält  sich  mit  der  linken  Hand  fest  (an  der  Leiter 
oder  am  Stamm)  und  legt  mit  der  rechten  den  Leimring  an.  Gewöhnlich  ge- 
schieht dies  mit  zweimaligem  Ansetzen,  einmal  links,  einmal  rechts  herum; 
geschickte  Arbeiter  vermögen  indes  auch  mit  nur  einmaligem  Ansetzen,  in 
einem  Zug,  den  Ring  zu  legen.  Ob  so  oder  so,  in  beiden  Fällen  ist  die 
Arbeit  des  Leimens  in  wenigen  Sekunden  erledigt.  — 

Die  Leimstricke  stellen  möglichst  rauhe  Stricke  dar,  die  in  Raupen- 
leim getaucht  und  dadurch  fängisch  gemacht  werden.  Sie  werden  heute  fast 
ausschließlich  für  Hochleimung  verwandt  und  zwar  vielfach  in  Verbindung 
mit  Apparaten,  welche  die  Anbringung  der  Stricke  in  der  gewünschten  Höhe 
vom  Boden  aus  ermöglichen,  so  daß  Leitern  entbehrlich  werden. 

Hektar)  betrugen;  so  stellten  sich  also  die  Gesamtkosten  der  Hoch- 
leimung  auf  19,46  M.  pro    H  e  k  t  a  r. 

Um  einen  Vergleich  der  Kosten  der  Hochleimung  mit  denen  der  Tiefleimung 
herbeizuführen,  wurde  eine  benachbarte  gleichwertige  Abteilung  mit  der  Janke- 
schen  und  der  R  i  n  g  1  e  r  sehen  Quetsche  t  i  e  f  g  e  1  e  i  m  t.  Die  Leimung  kostete 
bei  268  Arbeitsstunden  für  das  Röten  und  457  Arbeitsstunden  für  das  Leimen 
211,25  M.  bei  einer  Fläche  von  16,69  ha,  somit  12,66  M.  pro  Hektar  (ohne 
anteilige  Leim  kosten)  gegen  11,51  M.  bei  der  Hochleimung! 
Dieses  überraschende  Resultat,  daß  die  Tiefleimung  teurer  zu  stehen  kam  als 
die  Hochleimung,  erklärt  sich  daraus,  daß  bei  der  letzteren  das  Röten  in  Wegfall 
kam.  Trotzdem  aber  dürfte  es  sich  hier  um  abnorm  niedere  Kosten  handeln, 
die  wohl   nur  unter  ganz   besonders  günstigen  Umständen  zu    erzielen   waren. 

Über  die  Zeit,  welche  die  Hochleimung  beansprucht,  liegen  folgende  Angaben 
von  Herrn  Oberförster  Cunit  vor:  Eine  Fläche  von  1  a  Größe  mit  20  Bäumen 
wurde  von  einem  Arbeiter  in  24  Minuten  geleimt;  das  ergäbe  ca.  50  Bäume  pro 
Stunde.  Eine  andere  Fläche  von  4  a  mit  58  Bäumen  wurde  von  4  Arbeitern  in 
15  Minuten  geleimt,  was  einem  Arbeitslohn  von  0,5  Pf.  pro  Baum  (bei  30  Pf. 
Stundenlohn)  gleichkommt.  — 

Die  Tiefleimung  kostete  in  Sachsen  im  Jahre  1908  ca.  16—24  M.  pro 
Hektar,  durchschnittlich  19  M.,  bei  einem  Leimverbrauch  von  durchschnitdich 
61  kg  —  gegenüber  den  Leimungskosten  1907  von  durchschnittlich  22  M.  Der 
Unterschied  erklärt  sich  einmal  aus  der  gesteigerten  Übung  der  Arbeiter  und  sodann 
daraus,  daß  es  sich  1908  vielfach  um  Leimungen  von  Flächen  handelte,  die  schon 
1907  geleimt  worden  waren,  und  bei  denen  infolgedessen  —  da  die  neuen  Ringe  auf 
die  alten  gelegt  wurden  —  die  Arbeit  des  Rötens  zum  Teil  erspart  werden  konnte. 


376  Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 

So  wurde  schon  vor  längerer  Zeit  von  Wappes  ein  Apparat  konstruiert, 
mit  dem  man  die  Strickenden  vom  Boden  aus  zusammenknoten  konnte;  und 
neuerdings  ist  ein  Strick -Hochleimapparat  in  den  Handel  gekommen, 
dem  die  Idee  zugrunde  liegt,  durch  kräftiges  Schleudern  den  Strick  in  der 
gewünschten  Höhe  mehrmals  um  den  Stamm  herum  zu  schlingen,  so  daß  er 
ohne  weiteres  vermöge  seiner  Kraft  haften  bleibt. 


Fig.  232.    Hochleimung  mittelst  Leiter  und  J  an k escher  Spritze. 
(Aufgenommen  in  Obei'holz  bei  Leipzig.) 

Dieser  letztere  (vom  Oberförster  Schön  felder  konstruierte)  Apparat 
(Fig.  233)  besteht  aus  einem  mit  einem  Deckel  ü  verschließbaren  Blechgefäß  G. 
An  dem  letzteren  befindet  sich  eine  Spule  Sp,  von  der  ein  gerauhter  Strick  durch 
das  Führungsrohr  R  in  das  mit  Leim  gefüllte  Gefäß  und  von  da  durch  die  zusammen- 
steckbare Blechrohrleitung  L  ins  Freie  läuft.  Der  (leer)  nur  3,5  kg  wiegende  Apparat 
wird  an  dem  Tragseil  T  bequem  von  dem  Arbeiter  getragen. 

Um  den  Apparat  gebrauchsfertig  zu  machen,  setzt  man  zunächst  die  Leitung 
L,  die  am  unteren  Ende  beweglich  (durch  Gummischlauch)  mit  dem  Kasten  ver- 
bunden ist,  bis  zur  gewünschten  Höhe  zusammen  und  zieht  gleichzeitig  den  Strick 
mit  durch.     Hierauf  füllt  man  das  Gefäß  zu  Vö  rnit  flüssigem  Raupenleim  und  zieht 


Die  technische  Bekämpfung. 


377 


den  Strick  so  weit  heraus,  bis  eine  etwa  2 — 3  m  lange  geleimte  Strickbahn  erscheint. 
Hiernach  hängt  der  Arbeiter  den  Apparat  rechtsseitig  (mit  durchgestecktem  rechten 
Arm)  um  den  Hals,  faßt  mit  beiden  Händen  das  Leitungsrohr  und  schlägt  mit 
diesem  nach  Art  eines  Peitschenhiebes  das  herabhängende  Strickende  in  der  ge- 
wünschten Höhe  um  den  Stamm.  Je  nach  der  herausragenden  Stricklänge  wird 
sich  der  Strick  ein  oder  mehrere  Male  um  den  Stamm  schlingen,  alsdann  wird  durch 
Rückwärtsgehen  des  Arbeiters  eine  beliebige  Länge  des  beleimten  Strickes  heraus- 
gezogen, und  nun  schneidet  ein  zweiter  Arbeiter  mit  einer  Stangenschere  den 
Leimstrick  hart  am  Stamm  ab,  so  daß  das  beleimte  Strickende  wie  zuvor  von  dem 
Leitungsrohr  herabhängt. 

Die  Idee  des  Strick-Hochleimapparates  ist  zweifellos  eine  sehr  gute; 
und  als  der  Apparat  während 
der  Forstversammlung  in  Bautzen 
(1910)  vorgeführt  wurde,  fand 
er  auch  allgemeinen  Beifall.  Bei 
der  Anwendung  in  der  Praxis 
jedoch  versagte  er  mehr  oder 
weniger:  Des  öfteren  brach  die 
Rohrleitung,  ferner  spritzte  der 
Leim  beim  Schleudern  weit 
herum  und  „leimte"  noch  die 
recht  entfernt  stehenden  Zu- 
schauer, während  der  wenige 
am  Strick  hängen  gebliebene 
Leim  in  kurzer  Zeit  austrocknete, 
so  daß  die  Raupen  bald  kein 
Hindernis  mehr  in  ihm  fanden; 
sodann  ist  in  Beständen,  die 
einigermaßen  dicht  stehen,  das 
Arbeiten  sehr  erschwert,  indem 
der  Strick  bald  da,  bald  dort 
an  Ästen  usw.  hängen  bleibt, 
und  endlich  ist  auch  die  Hand- 
habung des  Apparates  auf  die 
Dauer  recht  ermüdend.  So 
konnte   denn   auch  der  Apparat 

bis  heute  keinen  rechten  Anklang  in  der  Praxis  finden.  Es  dürfte  ihm 
auch  für  die  Zukunft,  selbst  wenn  die  oben  gerügten  Mängel  beseitigt 
werden  sollten,  keine  allzugünstige  Prognose  gestellt  werden,  und  zwar  außer 
aus  den  schon  genannten  Gründen  auch  noch  deshalb,  weil  man  nie 
sicher  ist,  ob  der  Leimstrick  auch  überall  richtig  aufliegt  und 
weil  ferner  auch  die  mitunter  recht  wichtige  Reinigung  der  Um- 
gebung der  Leimstelle  unterbleibt. 

Diese  letzteren  Gründe  treffen  mehr  oder  weniger  für  alle 
Hochleimapparate  zu;  außerdem  kommt  bei  solchen  Hochleimapparaten, 
bei  denen  schwere  Leimquetschen  —  oder  Spritzen  auf  3 — 4  m  hohen  Stangen 
angebracht  sind,  als  weiterer  Nachteil  hinzu,  daß  hier  von  einer  einigermaßen 
sicheren  Führung  nicht  mehr  die  Rede  sein  kann. 


Fig.  233.     Strick-Hochleimapparat  der  Firma 
Erbstößer  &  Haubert  (Dresden). 


378 


Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 


Wenn  wir  ordentlich  hochicimen  wollen,  müssen  wir  un- 
bedingt zur  Leiter  greifen,  und  daß  dies  kein  Hindernis  ist  (weder  in 
finanzieller  noch  in  technischer  Hinsicht),  haben  die  Erfahrungen  in  Oberholz 
und  Flößberg  zur-  Genüge  gezeigt. 

Über  die  Dauer  der  Fängigkeit  des  Leimringes  lassen  sich  keine 
allgemeingültigen  Annahm   niarl-icn.     Das  mindeste  abci-,   was  man   von  einem 


234.    Aufgekämmter  Leimring,  uiil  zalilreichea  daruntersitzendeu  ScliwauiUispiuuerraupen. 
( Amerika.)    Aus  Escherich. 


brauchbaren  Leim  verlangen  kann,  ist,  daß  er  während  einer  Saison  fängisch 
bleibt.  Doch  behalten  gute  Qualitäten  weit  länger  ihre  fängische  Eigenschaft, 
und  hat  Verfasser  selber  schon  Leimringe  gesehen,  die  im  2.  Jahre  noch 
wirksam  waren. i)     Wenn  nun  die  oberste  Schicht  einzutrocknen  beginnt,    so 


1)  Die  Verschiedenheit  der  Fängigkeitsdauer  hängt  nicht  alkin  von  den  ver- 
schiedenen Bezugsquellen  des  Leims  ab,  sondern  auch  von  den  Jahrgängen.  Nur 
zu  oft  kann  man  hören,  daß  der  Leim,  von  der  gleichen  Fabrik  bezogen,  in  diesem 
Jahr  nicht  so  gut  ist  als  im  vergangenen.  Es  scheint  demnach,  daß  die  Erzielung 
eines  stets  gleichbleibenden  bestimmten  Fängigkeitsgrades  mit  gewissen  techni- 
sc'hen  Schwierigkeiten  verknüpft  ist. 


Beurteilung  der  Notwendigkeit  und  Möglichkeit  der  Bekämpfung.  379 

kann  man  zunächst  als  einfachstes  Auf frischungs verfahren  das  Auf- 
kämmen mit  einem  Kamm  aus  Blech  oder  Holz  versuchen  (Fig.  234),  ein 
Verfahren,  das  in  Amerika,  wo  der  Leim  sehr  teuer  ist,  allgemein  geübt 
wird,  und  das  wenigstens  für  einige  Wochen  die  Dauer  der  Leimwirkung 
verlängern  kann.  Wenn  der  Vertrocknungsprozeß  weitere  Fortschritte  macht, 
kann  man  event.  durch  Überpinseln  mit  einem  billigen  Pflanzenöl  den  Leim 
wieder  erweichen  (Eckstein). 

Der  Raupenleim  findet  übrigens  nicht  nur  als  Leimring  Verwendung, 
sondern  wird  auch  noch  in  verschiedener  anderer  Form  gebraucht.  Von  der 
Verwendung  des  Leimes  zu  „Teerschlitten"  war  oben  schon  die  Rede. 
Des  weiteren  wird  der  Leim  zur  Herstellung  von  Leimstangen  benutzt,  die, 
gleichwie  die  Raupengräben,  die  am  Boden  kriechenden  Schädlinge  abhalten 
sollen,  und  die,  wie  die  Gräben,  hauptsächlich  zur  Isolierung  von  Kulturen 
(aber  auch  Beständen)  benutzt  werden.  Es  braucht  kaum  gesagt  zu  werden, 
daß  die  Stangen  gut  auf  dem  Boden  aufliegen  müssen  und  daß  die  Leimseite 
stets  fängisch  zu  halten  ist,  indem  aufgewehte  Blätter,  Nadeln,  Aststückchen 
usw.  entfernt  resp.  mit  neuem  Leim  überstrichen  werden.  Und  endlich  wird 
der  Leim  auch  noch  als  Leimanstrich  benutzt,  um  Rindeninsekten  vom 
Fraß,  Benagen  oder  Einbohren  in  die  Rinde  abzuhalten  (z.  B.  Hylobiits, 
Dendroctotius  micans  und  andere). 

Zu  letzteren  Zwecken  benützt  man  übrigens  an  Stelle  von  Leim  auch  noch 
verschiedene  andere  Stoffe.  So  hat  sich  z.  B.  als  Vorkehrungsniittel  gegen 
Hylobiusfraß  ein  einfaches  Schlämmen  der  Pflanzen  in  Ziegellehm  oder 
dick  angerührter  Kalkmilch  vor  dem  Einsetzen  sehr  gut  bewährt.  Desgleichen 
kann  man  den  Anflug  von  Borkenkäfern,  Bupresten  usw.  durch  einen  Anstrich 
der  gefährdeten  Stämmchen  mit  einem  erhärtenden  Brei  schützen;  man  gebraucht 
dazu  gewöhnlich  eine  Mischung  von  Lehm,  Kalk,  Kuhdung  zu  gleichen  Teilen  mit 
Wasser  zu  einem  dickflüssigen  Brei  zusammengerührt,  event.  kann  man  demselben 
noch  etwas  Tabaksbrühe  oder  Rinderblut  beimischen.  — 

4.  Beurteilung  der  Notwendigkeit  und  Möglichkeit  der  Bekämpfung. 

Nicht  bei  jedwedem  Auftreten  von  forstschädlichen  Insekten  hat  der 
Forstmann  ohne  weiteres  zu  Bekämpfungsmaßregeln  zu  greifen.  Er  wird 
vielmehr  in  jedem  Einzelfall  besonders  erwägen  müssen,  inwieweit  die  all- 
gemeinen forst-  und  volkswirtschaftlichen  Rücksichten  deren  Anwendung 
wünschenswert  oder  nötig  machen.  Jede  zur  Bekämpfung  eines  Schädlings 
getroffene  Maßregel  bezweckt  ja  doch  schließlich  die  Verhinderung  oder 
Minderung  einer  Schmälerung  des  wirtschaftlichen  Vermögens.  Daraus  folgt, 
daß  Bekämpfungsmaßregeln  nur  dann  empfehlenswert  sind,  wenn 
deren  Erfolg  im  richtigen  Verhältnis  zu  dem  durch  sie  bewirkten 
Aufwände  an  Arbeit  und  Kapital  steht. 

Der  Forstwirt  muß  sich  daher  zunächst  darüber  klar  zu  werden  suchen, 
ob  der  Fraß  ein  solcher  ist,  daß  sich  eine  Bekämpfung  wirklich  lohnt.  Dies 
wird  der  Fall  sein,  wenn  durch  sie  wertvolle  Bestände  oder  Kulturen,  oder 
auch  einzelne  wertvolle  Bäume  voraussichtlich  vor  dem  gänzlichen  oder  teil- 
weisen Eingehen  geschützt  werden  können,  oder  wenn  zu  befürchten  ist, 
daß  die  Unterlassung  der  Bekämpfung  eine  gefährliche  Steigerung  und  weitere 


380         Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 

Ausbreitung  des  Fraßes  zur  Folge  haben  könne.  Andererseits  würde  die 
Bekämpfung  zu  unterlassen  sein,  einmal  wenn  die  Beschädigungen  nur  un- 
bedeutender Natur  sind,  die  sich  nur  in  einer  geringen  Zuwachsverminderung 
des  Bestandes  geltend  machen,  oder  nur  einen  geringen  Ausfall  von  Pflanzen 
(in  Kulturen  usw.)  zur  Folge  haben;  sodann,  wenn  die  natürlichen  Gegen- 
gewichte ein  selbstständiges  Erlöschen  des  Fraßes  bald  erwarten  lassen;  und 
endlich  auch  in  solchen  Fällen,  in  denen  der  Fraß  schon  so  weit  vorge- 
schritten ist,  daß  ein  menschliches  Eingreifen  voraussichtlich  keinen  Erfolg 
mehr  verspricht. 

Ein  richtiges  Urteil  hierüber  abzugeben  ist  mitunter  sehr  schwierig, 
und  der  Forstmann  wird  in  dieser  Beziehung  oft  genug  in  die  gleiche  Ver- 
legenheit kommen,  wie  der  Arzt,  der  in  zweifelhaften  Fällen  sich  für  einen 
bestimmten  Weg  der  Therapie  entscheiden  soll.  Nur  gründliches  Wissen, 
eingehende  Untersuchung  aller  in  Betracht  kommender  Faktoren  werden  in 
Verbindung  mit  einem  scharf  geübtem  Blick  und  feinem  biologischen  Takt- 
gefühl in  solchen  Fällen  dazu  führen  können,  das  Richtige  bezügl.  der  Prog- 
nose zu  treffen.  Als  Grundlage  der  Beurteilung  sind  hauptsächlich  folgende 
Punkte  zu  berücksichtigen:  1.  der  Grad  der  Übervermehrung  der  Schäd- 
linge, 2.  der  Gesundheitszustand  der  Schädlinge  und  3.  die  äußeren 
Faktoren,  das  sind  die  klimatischen,  geologischen,  waldbaulichen  Verhält- 
nisse usw.  des  befallenen  Gebietes. 

Untersuchung  über  den  Vermehrungsgrad  der  Schädlinge. 

In  vielen  Fällen  wird  der  Forstmann  direkt  durch  den  einfachen 
Augenschein  bei  Begehung  der  in  Frage  kommenden  Bestände  über  die 
Menge  der  vorhandenen  Schädlinge  sich  orientieren  können.  Es  trifft  dies 
vor  allem  für  an  sich  leicht  wahrzunehmende,  auffallende  Schädlinge  zu,  wie  z.  B. 
die  Prozessionsspinnerraupen,  Nonnenfalter,  schwärmende  Kiefernspanner  usw. 

In  anderen  Fällen,  wo  es  sich  um  unscheinbare  Insekten  handelt,  oder 
um  solche,  die  verborgen  leben  unter  der  Rinde  oder  im  Boden  oder  hoch 
oben  in  der  Baumkrone,  wird  der  Forstmann  nach  anderen  i«-d4-t^«4t4-e-n 
Kennzeichen  urteilen  müssen  oder  eine  planmäßige  Untersuchung  an- 
zustellen haben. 

.Von  irfl-dire-kten  Kennzeichen  kommt  das  allgemeine  Aussehen  des 
Bestandes,  die  Stärke  der  Entnadelung  oder  Entlaubung,  die  Verfärbung  der 
Nadeln,  reichliches  Vorhandensein  von  Harzausfluß  oder  Bohrmehl,  sowie  bei 
Raupen  oder  Maikäfern  die  Menge  des  von  ihnen  erzeugten  Kotes  in  Be- 
tracht. Letztere  ist  besonders  in  alten,  starken  Beständen,  deren  Bäume 
sich  nicht  schütteln  lassen,  also  bei  Kiefernspinnerfraß  im  Hochwalde,  bei 
Eichenwicklerfraß  auf  alten  übergehaltenen  Eichen  usw.  wichtig,  und  es  kann 
hier  den  Forstmann  nicht  bloß  das  Gesicht,  sondern  auch  das  Gehör  belehren, 
da  mitunter  der  Kot  so  massig  erzeugt  wird,  daß  sein  Herabfallen  ein 
rieselndes  Geräusch  hervorbringt.  Auch  die  Ansammlung  insektenfressender 
Vögel,  z.  B.  des  Kuckucks,  in  einem  Bestände  wird  vom  aufmerksamen  Forst- 
manne wohl  beobachtet  werden. 


Beurteilung  der  Notwendigkeit  und  Möglichkeit  der  Bekämpfung.  381 

Planmäßige  Untersuchungen  sind  in  Form  des  Probesammeins 
anzustellen;  sie  werden  hauptsächlich  da  vorzunehmen  sein,  wo  begründeter 
Verdacht  auf  eine  größere  Schädlingsgefahr  besteht,  sei  es,  daß  derselbe  in 
direkten  Beobachtungen  begründet  ist,  oder  darin,  daß  in  Nachbarrevieren 
der  betr.  Schädling  vermehrt  auftritt,  oder  daß  es  sich  um  eine  allgemeine 
Vermehrungsperiode  des  betr.  Schädlings  handelt.  Das  Probesammeln  kann 
sich  auf  die  verschiedenen  Stadien  des  Schädlings  beziehen.  So  sucht  man 
sich  z.  B.  bei  der  Nonne  über  die  Stärke  des  Befalls  dadurch  zu  vergewissern, 
daß  man  eine  Anzahl  Stämme  fällen  läßt  und  dieselben  gründlich  nach  den 
Eiern  absucht,  um  deren  Zahl  festzustellen  (Probeeiern).  Wenn  die  Zahl 
der  gefällten  und  abgeeierten  Stämme  genügend  groß  ist,  so  kann  man  sich 
aus  den  Befunden  ein  annäherndes  Bild  von  dem  Befall  und  der  Verteilung 
über  die  einzelnen  Abteilungen  machen.  Der  Übersichtlichkeit  halber  können 
die  Befunde  kartographisch  dargestellt  werden,  wodurch  die  Aufstellung  des 
Kriegsplanes  wesentlich  erleichtert  werden  kann. 

Zahlreicher  sind  die  Fälle,  wo  sich  das  Probesammeln  auf  das  Larven- 
stadium bezieht.  Dasselbe  kann  in  der  verschiedensten  Weise  ausgeübt 
werden:  Am  einfachsten  dadurch,  daß  man  eine  Anzahl  Pflanzen  nach  den 
Raupen  usw.  absucht,  oder  dadurch,  daß  man  probeweise  die  verschiedenen 
der  oben  (siehe  S.  361  ff.)  angegebenen  Fangmethoden  anwendet,  wie  z.  B. 
Fanglöcher,  Fanggräben,  Fangbäume  oder  den  Leimring.  Besonders  der 
letztere  kommt  in  Form  von  streifen-  oder  platzweisen  Probeleimungen 
ziemlich  häufig  zur  Anwendung,  vor  allem  bei  Nonnen-  und  Kiefernspinner- 
befall.  Ein  weiteres  recht  empfehlenswertes  Mittel  zur  Eruierung  der  in  den 
Kronen  fressenden  Raupenmengen  stellen  die  sog.  Kotfänge  dar,  deren 
Prinzip  darin  besteht,  aus  der  aufgefangenen  Kotmenge  auf  die  Zahl  der 
Raupen  zu  schließen.  Um  dies  einigermaßen  zutreffend  ausführen  zu  können, 
ist  es  unbedingt  notwendig,  zu  wissen,  wieviel  Kot  eine  einzelne  Raupe  pro 
Stunde  oder  Tag  produziert.  Bis  heute  fehlen  aber  noch  systematisch  ange- 
stellte Versuche  in  dieser  Beziehung,  und  so  ist  es  dringend  geboten,  solche 
Untersuchungen  wenigstens  für  die  wichtigsten  Schädlinge  baldigst  anzustellen. 
Denn  solange  wir  über  die  Kotproduktion  der  einzelnen  Raupe  (für  jedes 
ihrer  Stadien  usw.)  nicht  Bescheid  wissen,  haben  alle  auf  den  Kotmengen 
aufgebauten  Schätzungen  nur  bedingten  Wert.  Die  Ausführung  der  Kot- 
fänge geschieht  in  der  Weise,  daß  man  Tücher  oder  Papier  im  Kronen- 
bereich auslegt  und  den  darauf  fallenden  Kot  in  bestimmten  Zeiträumen  fest- 
stellt, entweder  durch  Zählung  der  Kotballen  oder  durch  Messung  oder 
Wägung.  Auch  durch  Schütteln  resp.  Prellen  einzelner  Bäume  kann  man 
sich  einen  ungefähren  Begriff  von  der  Zahl  der  in  der  Krone  befindlichen 
Raupen  verschaffen. 

Wo  es  sich  um  Raupen  handelt,  die  im  Boden  überwintern  (Kiefern- 
spinner), kann  man  sich  am  besten  dadurch  ein  Urteil  über  die  ungefähr 
vorhandenen  Mengen  verschaffen,  daß  man  die  Bodendecke  im  Umkreis 
einer  Anzahl  von  Stämmen  durchsuchen  läßt  (Probesuchen).  Die 
Ausführung  des  Probesuchens,  zu  dem  am  besten  Frauen  herangezogen 
werden,  geschieht  in  der  Weise,  daß  vorsichtig  vom  Stamm  anfangend  zu- 
nächst eine  etwa  2U  cm  breite  und  ^  3  m  lange  Moosplagge  umgeschlagen,  an 


382         Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 


der  Unterseite  betrachtet  und  gegen  den  Körper  der  Arbeiterin  hingeschoben 
wird.  Durch  Wiederholung  dieser  Prozedur  wird  die  entblößte  Fläche  ver- 
größert bis  zur  Entfernung  von  etwa  1  m  vom  Stamm  (Fig.  235).  Bei  ge- 
lindem Wetter  und  lockerer  Bodendecke  benutzt  man  zu  dieser  Arbeit  die 
Hand,  bei  Frost  und  filzigem  Pflanzenwuchs  eine  kurzstielige  Harke.  Ist  die 
Moosdecke  abgesucht  und  zurückgeschoben  und  sind  die  darin  gefundenen 
Insekten  in  einen  kleinen  Topf  (Tasse,  Blechbüchse)  gelesen,  dann  wird 
unter  ganz  langsamem  Abschaben  der  Humusschichte  die  freigelegte  Fläche 
bis  auf  den  Rohboden  durchsucht.  Um  einen  Vergleich  der  an  verschiedenen 
Orten  erzielten  Fangergebnisse  zu  ermöglichen,  ist  es  notwendig,  daß  die 
abgesuchten  Flächen  gleich  groß  und  in  gleicher  Weise  behandelt  sind.  Im 
allgemeinen  nimmt  man  sie  kreisrund  mit  einem  Halbmesser  von  1  m  vom 
Stamm  ab  gemessen,  man  kann  aber  auch  nach  Quadratmetern  absuchen 
lassen,  d.  h.  größere  Flächen  von  einer  bestimmten  Quadratmeterzahl  (Eckstein). 

In  gleicher  Weise 
wie  die  im  Boden  über- 
winternden Raupen  wer- 
den auch  die  hier  über- 
winternden Puppen  (Eule, 
Spanner,  Schwärmer  Blatt- 
wespen usw.)  durch  Probe- 
suchen zur  Feststellung  des 
Vermehrungsgrades  der 
betr.  Schädlinge  benutzt. 
EndHch  kann  auch 
durch  Probesammeln 
von  Imagines  eine  an- 
nähernde Orientiei-ung 
über  die  Höhe  des  Befalls 
erlangt  werden,  z.  B.  beim 
großen  braunen  Rüssel- 
käfer oder  Maikäfer  oder 
bei  der  Nonne  usw.  Die 
Ausführung  des  Sammeins 
kann  in  der  oben  ausgeführten  Weise  vor  sich  gehen.  Für  die  Nonne 
und  auch  andere  Nachtschmetterlinge  kommt  außerdem  ein  Probefang  mit 
Hilfe  von  Lichtquellen  in  Betracht;  man  kann  hierzu  Zinkfackeln  oder 
helleuchtende  Lampen  mit  oder  ohne  Selbstfangvorrichtung,  wie  sie  von 
Entomologen  zu  ihren  Nachtfängen  benutzt  werden,  verwenden.  Man  kann 
auf  diese  Weise  leichter  und  event.  auch  schon  frühzeitiger  von  der  An- 
wesenheit eines  Schädlings  Kenntnis  erhalten,  als  es  durch  die  bloße  Be- 
obachtung möglich  wäre. 

Bei  all  den  Probesammlungen,  wie  wir  sie  hier  geschildert  haben,  ist 
zu  bedenken,  daß  sie  nur  eine  annähernde  Schätzung  erlauben,  und  daß  auch 
bei  gründlicher  Ausführung  des  Probesuchens,  Probeeierns  usw. 
stets    nur    ein    Teil    der    wirklich    vorhandenen    Schädlinge    aufge- 


Fig.  235.    Umgewendete  Bodendecke  um  eine  Kiefer,  zum  Zweck 
des  Probesuchens.    Aus  Eckstein. 


Beurteilung  der  Notwendigkeit  und  Möglichkeit  der  Bekämpfung.  383 

funden  wiid.  Nach  Eckstein  dürften  z.B.  beim  Probesammeln  der  Kiefer- 
spinnerraupen nur  ca.  50  ^Jq  der  tatsächlich  vorhandenen  Individuen  erbeutet 
werden,  und  beim  Probeeiern  der  Nonne  ist  nach  den  Erfahrungen,  die  der 
Verfasser  gemacht  hat,  der  Prozentsatz  der  gefundenen  Eier  gegenüber  den 
tatsächlich  vorhandenen  noch  geringer,  was  ja  aus  der  Kleinheit  der  Objekte 
und  dem  versteckten  Vorkommen  leicht  erklärlich  erscheint. 

Untersuchung  des  Gesundheitszustandes  der  Schädlinge. 

Um  zu  einer  einigermaßen  richtigen  Prognose  resp.  einer  richtigen 
Entscheidung  über  die  zu  treffenden  Bekämpfungsmaßregeln  zu  gelangen,  ge- 
nügt es  nicht,  über  die  Menge  der  vorhandenen  Schädlinge  sich  Aufschluß 
zu  verschaffen,  sondern  wir  müssen  auch  ebenso  dringlich  den  Gesund- 
heitszustand der  Schädlinge  zu  ermitteln  suchen.  Denn  die  Vorher- 
sage wird  ganz  anders  lauten  müssen,  wenn  die  Schädlinge  durchgehends 
gesund  sind,  als  wenn  ein  großer  Teil  von  ihnen  krank  ist;  und  es  kann 
vorkommen,  daß  bei  dem  gleichen  Grad  der  Vermehrung  die  Prognose  in 
dem  einen  Fall  äußerst  ungünstig  ist  und  kostspielige  Bekämpfungsmaßregeln 
indiziert,  im  anderen  Fall  dagegen  so  günstig,  daß  überhaupt  keine  Be- 
kämpfungsmaßregeln   notwendig  werden. 

Es  kommt  aber  bei  diesen  Feststellungen  nicht  nur  auf  die  Zahl  der 
erkrankten  Schädlinge  an,  sondern  auch  auf  die  Art  der  Erkrankung, 
indem  eben  die  eine  Krankheit  schnellere  Fortschritte  macht  als  die  andere; 
ferner  ist  auch  in  Erwägung  zu  ziehen,  ob  nicht  vielleicht  Umstände  (z.  B. 
Hyperparasiten)  eingetreten  sind,  welche  der  weiteren  Ausbreitung  der  Krank- 
heit entgegenstehen  usw.  Es  kommen  bei  der  Untersuchung  über  den  Ge- 
sundheitszustand hauptsächlich  in  Betracht:  Parasitenbefall,  Mykosen 
und  andere  Infektionskrankheiten,  und  Krankheiten  unbekannter  Natur. 

Parasiten  können  in  jedem  Stadium  vorkommen,  doch  wird  es  sich 
für  unseren  Zweck  in  der  Praxis  vornehmlich  um  das  Ei-,  Larven-  und 
Puppenstadium  des  Schädlings  handeln.  Die  Feststellung  des  Parasitenbefalls 
kann  in  verschiedener  Weise  geschehen,  durch  den  bloßen  Augenschein, 
durch  Sektion  und  durch  Zucht  usw.  Wo  es  sich  um  Eier  oder  Puppen- 
parasiten handelt,  die  bereits  ausgeflogen  sind,  kann  man  meistens  an  der 
Form  der  Ausflugöffnungen  deutlich  erkennen,  ob  Parasiten  vorhanden  waren, 
worauf  ja  oben  bereits  hingewiesen  wurde.  Wenn  z.  B.  die  Eier  des  Kiefern- 
spinners kleine  regelmäßige,  runde  Löcher  aufweisen,  so  wissen  wir,  daß  die 
Eier  parasitiert  waren  (vergl.  Fig.  192  S.  249);  durch  Zählung  dieser  Eier  und 
Vergleichung  mit  den  gesunden  können  wir  sodann  einen  annähernden  Begriff 
von  der  Höhe  des  Parasitenbefalls  erlangen.  Ebenso  läßt  sich  mit  den  Puppen 
verfahren,  wenn  deren  von  der  Norm  abweichenden  Ausflugöffnungen  auf 
das  frühere  Vorhandensein  von  Parasiten  schließen  lassen.  Außerdem  kann 
man  bei  einiger  Übung  mitunter  auch  schon  aus  dem  Aussehen  der  Puppen 
und  vor  allem  aus  deren  Unbeweglichkeit  die  Besetzung  mit  Schmarotzern 
erkennen.  —  Auch  bei  Raupenparasiten  können  wir  zuweilen  schon  durch 
den  bloßen  Augenschein  den  Befall  feststellen,  wenn  nämlich  die  Parasiten- 
eier außen  auf  dem  Körper  des  Schädlings  abgelegt  werden,  wie  bei  vielen 
Tachinen,  oder  aber  wenn  es  sich  um  nackte  Raupen  handelt,  bei  denen  die 


384         Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 

Stichstelle  als  dunkler  Fleck  sichtbar  ist.  Da  jedoch  die  Zahl  der  Tachinen- 
eier  auf  dem  Schädling  durchaus  nicht  immer  mit  dem  Grade  der  Tachinose 
im  Einklang  steht  (siehe  oben  S.  252),  und  da  auch  die  dunklen  Stichflecke  auf 
nackten  Raupen  nicht  immer  deutlich  zu  sehen  sind,  so  wird  man,  falls  eine 
genaue  Feststellung  der  Höhe  des  Parasitenbefalls  erwünscht  ist, 
stets  zur  Sektion  greifen  müssen.  Dieselbe  bietet  keine  großen  Schwierig- 
keiten dar  und  kann  von  jedem  Praktiker  vorgenommen  werden.  Es  wird  eine 
Anzahl  Raupen  (vielleicht  hundert  oder  zweihundert  aus  jeder  Abteilung)  ge- 
sammelt und  mit  Äther  getötet.  Darauf  schneidet  man  jede  einzelne  Raupe  in 
einer  flachen  Schale  mit  Wasser  mit  einer  feinen  Schere  der  ganzen  Länge  nach 
auf,i)  womöglich  ohne  Verletzung  des  Darms.  Sind  Schmarotzerlarven  vor- 
handen, so  werden  dieselben  von  dem  Wasser  bald  aus  den  Eingeweiden 
herausgespült  und  als  weiße  Maden  leicht  erkannt  werden.  Wird  das  Wasser 
trübe,  was  besonders  dann  geschieht,  wenn  der  Darm  verletzt  wurde,  so  muß 
dasselbe  erneuert  werden.  Anfänger  haben  sich  zu  hüten,  daß  sie  nicht 
Stücke  des  Raupenleibes,  z.  B.  die  gelblichen  Anlagen  der  Geschlechtsorgane 
oder  Teile  des  Fettkörpers  für  Parasitenlarven  halten.  In  zweifelhaften  Fällen 
wird  die  Untersuchung  mit  der  Lupe  sofort  Aufschluß  geben.  Sind  die 
Parasitenlarven  noch  sehr  klein,  so  kann  die  Untersuchung  allerdings  recht 
mühsam  und  zeitraubend  werden.  Man  kann  sich  in  solchen  Fällen  damit 
helfen,  daß  man  die  Raupen  noch  einige  Zeit  im  Zuchtkäfig  aufzieht,  um  die 
Parasiten  größer  werden  zu  lassen,  ein  Verfahren,  das  z.  B.  bei  den  aus  dem 
Winterlager  stammenden  Raupen  des  Kiefernspinners  häufig  geübt  wird. 
Will  man  Puppen  auf  Schmarotzer  untersuchen,  so  bricht  man  dieselben  ein- 
fach in  der  Mitte  auf  und  drückt  sie  in  eine  Wasserschale  aus,  wobei  die 
Schmarotzer,  die  im  allgemeinen  in  der  Puppe  meist  in  vorgerückteren  Ent- 
wicklungsstadien enthalten  sind,  gewöhnlich  ohne  weiteres  deutlich  erkennbar 
zum  Vorschein  kommen. 

Auch  durch  Aufsuchung  und  Zählung  der  Schmarotzerpuppen 
kann  man  einen  Begriff  von  der  Höhe  des  Parasitenbefalls  sich  verschaffen. 
Am  bekanntesten  sind  die  weißen  Cocons  der  kleinen  Schlupfwespen  (ßra- 
coniden),  die  oft  haufenweise  die  getöteten  Raupen  bedecken;  auch  andere 
Schlupfwespencocons  findet  man  nicht  selten  im  Fraßgebiet  unter  Leim- 
ringen usw.  Eine  systematische  Feststellung  der  Zahl  der  Parasitenpuppen 
kann  vor  allem  bei  solchen  Schädlingen  vorgenommen  werden,  die  sich  im 
Boden  verpuppen  (z.  B.  Kieferneule  oder  Spanner  usw.).  Es  geschieht  dies 
in  der  Weise,  daß  beim  Probesuchen  der  Schädlingspuppen  zugleich  auch 
alle  in  der  Bodendecke  befindlichen  Tachinentönnchen  und  Schlupfwespen- 
cocons gesammelt  und  gezählt  werden.  Diese  Untersuchung  setzt  allerdings 
eine  gewisse  Vertrautheit  mit  den  in  Frage  kommenden  Parasiten  voraus, 
weil  man  sonst  eventuell   durch  Berücksichtigung   harmloser,  saprophytischer 


^)  Eckstein  wendet  eine  andere  Methode  an:  er  schneidet  das  Hinterende 
der  Raupe  ganz  knapp  ab,  legt  dann  die  Raupe  auf  eine  Glasplatte  und  quetscht 
ihren  Inhalt  mit  einem  fest  aufgedrückten  Glasstab  vom  Kopf  nach  hinten  zu 
streichend  aus.  In  dem  ausgequetschten  Inhalt  sind  die  Parasiten  gewöhnlich  ohne 
Schwierigkeit  zu  finden. 


Beurteilung  der  Notwendigkeit  und  Möglichkeit  der  Bekämpfung.  385 

oder  aus  anderen  Wirten  stammender  parasitischer  Insekten  (besonders  Fliegen) 
zu  falschen  Schlüssen  bezügl.  der  Befallshöhe  gelangen  kann.  —  Um  zu  einem 
dem  tatsächlichen  Parasitenbefall  einigermaßen  entsprechenden  Bild  bei  den 
eben  genannten  Schädlingen  zu  gelangen,  genügt  es  übrigens  nicht,  die  beim 
Probesuchen  zutage  geförderten  Parasitentönnchen  und  Cocons  in  Rechnung 
zu  stellen,  da  ja  auch  noch  eine  Anzahl  von  Parasiten  in  den  Puppen  selbst 
sich  befinden  können.  Es  muß  also  in  diesen  Fällen  auch  noch  eine  besondere 
Untersuchung  der  Puppen  vorgenommen  werden.  Um  ein  Beispiel  hierfür 
anzuführen,  so  hat  das  hiesige  Institut  in  diesem  Herbst  große  Quantitäten 
„Bodendeckeninhalt"  aus  verschiedenen  Eulenrevieren  erhalten,  um  eine  Prog- 
nose über  den  Verlauf  der  Eulenkalamität  zu  geben:  Es  wurde  zunächst  der 
Inhalt  der  Sendungen  sortiert,  d.  h,  die  Eulenpuppen  von  den  Parasitenpuppen 
und  die  letzteren  nach  den  Arten  getrennt,  ferner  alle  übrigen  Puppen,  die 
zur  Eule  in  keinem  Verhältnis  standen,  entfernt.  Sodann  wurden  genaue 
Zählungen  vorgenommen  (natürlich  stets  auf  bestimmte  Flächeneinheiten  be- 
zogen); und  endlich  wurden  noch  von  jeder  Probe  eine  größere  Anzahl 
Puppen  durch  Aufbrechen  auf  die  Anwesenheit  von  Schmarotzern  untersucht, 
deren  Ergebnis  in  manchen  Fällen  die  auf  der  einfachen  Zählung  der  ge- 
fundenen Tönnchen  und  Cocons  beruhenden  Schätzungen  noch  wesentlich 
beeinflußt  hat. 

Endlich  kann  man  zur  Feststellung  des  Parasitismus  auch  noch  zur 
Zucht  greifen,  indem  man  eine  Anzahl  Schädlinge  in  Parasitenzuchtkästen 
(siehe  unten)  einbringt  und  die  daraus  auskommenden  Parasiten  zählt. 

Wie  oben  (S.  244)  ausgeführt,  kann  das  Fortschreiten  des  Parasitismus 
mitunter  wesentlich  durch  Auftreten  von  Hyperparasiten  gehemmt  werden. 
Es  darf  daher  bei  den  Untersuchungen  über  die  Höhe  des  Parasitismus 
diese  Frage  nicht  außer  acht  gelassen  werden;  d.  h.,  es  muß  die  Zahl  der 
von  Hyperparasiten  besetzten  Schmarotzer  bei  der  Kalkulation  in  Abzug  ge- 
bracht und  sodann  auch  das  event.  Fortschreiten  des  Hyperparasitismus 
in  Rechnung  gezogen  werden.  Wir  selbst  haben  in  den  letzten  Jahren 
mehrfache  Erfahrungen  in  dieser  Beziehung  gemacht,  indem  z.  B.  die  Tönnchen 
der  Nonnentachine  aus  mehreren  Orten  von  dem  hyperparasitisch  lebenden 
Trauerschweber  {Anthrax)  zu  einem  ziemlich  hohen  Prozentsatz  besetzt  waren, 
desgleichen  zahlreiche  Cocons  eines  in  Eulen  schmarotzenden  Banchus. 

Wenn  wir  den  Hyperparasitismus  in  solchen  Fällen  unberücksichtigt 
lassen,  so  werden  wir  event.  zu  einem  falschen  Bild  über  den  Stand  des 
Parasitismus  gelangen.  Die  Feststellung  des  Hyperparasitismus  kann  heute 
in  den  meisten  Fällen  nur  durch  Zucht  bewerkstelligt  werden.  Wenn  wir 
aber  erst  einmal  etwas  besser  über  die  Erscheinung  des  Hyperparasitismus 
unterrichtet  sein  werden  und  wenigstens  für  unsere  wichtigsten  Schädlinge 
die  in  Frage  kommenden  Hyperparasiten  und  vor  allem  deren  Larvenformen 
kennen  und  unterscheiden  gelernt  haben  werden,  so  wird  auch  diese  Aufgabe 
sich  vielleicht  einfacher  und  leichter  gestalten. 

Was  die  Untersuchung  auf  Mykosen  betrifft,   so  werden  sich  diese 
häufig   schon    im   Walde    durch    den   bloßen   Augenschein    feststellen    lassen, 
Escherich,  Forstinsekten.  25 


386         Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 

indem  die  mit  Pilzen  infizierten  Larven  oder  Raupen  zuweilen  mißfarbige 
Flecke  zeigen,  oder  indem  man  auch  ein  oder  das  andere  eingegangene, 
äußerlich  mit  Pilzfäden  (bezw.  Fruchtkörper)  bedeckte  Tier  findet.  Manchmal 
macht  sich  das  Vorhandensein  einer  Mykose  dadurch  bemerkbar,  daß  die 
Raupen  usw.  nach  dem  Wipfel  der  Fraßpflanze  (gleichwie  die  wipfelkranken 
Nonnenraupen)  zustreben,  wie  dies  z.  B.  mehrfach  bei  empusakranken  Eulen- 
raupen beobachtet  worden  ist.  Sodann  kann  auch  eine  makroskopische 
Untersuchung  mitunter  einigen  Aufschluß  geben:  man  braucht  nur  die  ver- 
dächtigen Raupen  (z.  B.  Kiefernspinnerraupen  aus  dem  Winterlager)  oder 
Puppen  auseinanderzureißen  oder  zu  brechen,  um  die  Anwesenheit  von 
Pilzen  event.  schon  an  der  bloßen  Veränderung  des  Inhaltes  erkennen  zu 
können,  indem  dieser  milchig  getrübt  erscheint,  oder,  wenn  die  Verpilzung 
schon  weiter  fortgeschritten,  zu  einer  zähen  kautschukartigen  Masse  umge- 
wandelt ist,  und  außerdem  einen  charakteristischen  aromatischen  Pilzgeruch 
verbreitet  {Cordyces  militaris,  siehe  S.  271,  Anm.).  Wo  die  makroskopische 
Untersuchung  Zweifel  läßt,  da  hat  man  zurmikroskopischenUntersuchung 
überzugehen,  oder  aber  durch  Einzwingerung  einer  Anzahl  Raupen  aus  dem 
verdächtigen  Gebiet  sich  Gewißheit  zu  verschaffen.  Wenn  man  die  zu  unter- 
suchenden Raupen  in  feuchte  Gefäße  bringt  und  außerdem  warm  hält,  so 
wird  sich  schon  in  kurzer  Zeit  (1  bis  wenigen  Tagen)  die  Anwesenheit  von 
Pilzen  durch  Hervorbrechen  von  Pilzfäden  kund  tun. 

Ähnlich  wie  bei  den  Mykosen  hat  man  bei  der  Untersuchung  der  ver- 
schiedenen anderen  Infektionskrankheiten  zu  verfahren.  Man  wird  auch 
hier  zuerst  auf  die  verschiedenen  äußeren  Kennzeichen  („Wipfeln",  Schlaff- 
werden, Freßunlust  usw.)  zu  achten  haben;  diese  Beobachtungen  werden  zu 
ergänzen  sein  durch  mikroskopische  Untersuchung,  die  nach  dem  Vorhanden- 
sein der  Erreger  oder  sonstiger  mikroskopischer  Sjanptome  (Polj^eder!)  zu 
fahnden  hat.  Und  gegebenenfalls  sind  endlich  die  Raupen  eine  Zeitlang  in 
Zwingern  zu  halten  und  genau  zu  beobachten  und  event.  wiederholt  mikros- 
kopisch zu  untersuchen.  Über  die  Symptome,  die  mikroskopischen  wie  die 
makroskopischen,  ist  alles  wissenswerte  oben  gesagt. 

Was  endlich  die  Krankheiten  unbekannter  Natur  betrifft,  so  habe 
ich  hier  vor  allem  das  Absterben  der  Eier  im  Auge,  wie  es  z.  B.  bei 
Nonneneiern  verschiedentlich  konstatiert  worden  ist.  Wenn  das  Absterben 
in  großem  Maßstabe  eintritt,  wie  es  von  uns  vor  einigen  Jahren  beobachtet 
und  beschrieben  worden  ist,  so  bedeutet  dies  natürlich  eine  wesentliche  Ver- 
besserung der  Prognose.  Als  das  hauptsächlichste  Symptom  der  Krankheit 
ist  das  Auftreten  von  Luftblasen  zu  nennen  (weshalb  Wolff  dieselbe  als 
„Blasenkrankheit"  bezeichnet  hat).  Da  dieses  Symptom  aber  ei'st  in  einem 
späten  Stadium  der  Krankheit  eintritt,  und  es  mitunter  von  großer  Wichtig- 
keit ist,  möglichst  frühzeitig  über  die  Ausdehnung  der  Krankheit  Bescheid  zu 
erhalten,  so  bleibt  in  solchen  Fällen  fürs  eiste  kein  anderer  Weg,  als  die 
Eier  in  feuchter  Wärme  zu  „treiben",  wodurch  die  gesunden  Eier  zum  vor- 
zeitigen Ausschlüpfen  gebracht  werden  können.  Das  hiesige  Institut  hat  seit 
einigen  Jahren  in  jedem  Winter  eine  große  Zahl  Nonneneier  in  dieser  Weise 
auf  ihren  Gesundheitszustand  untersucht. 


Beurteilung  der  Notwendigkeit  und  Möglichkeit  der  Bekämpfung.  387 

Untersuchung  des  befallenen  Bestandes. 

In  welcher  Weise  die  verschiedenen  äußeren  Faktoren,  wie  die  klima- 
tischen, geologischen  w^aldbaulichen  Verhältnisse  eines  Bestandes  bei  der 
Stellung  der  Prognose  Berücksichtigung  zu  finden  hat,  ist  oben  (S.  214  ff.)  be- 
reits ausgeführt  worden,  und  braucht  daher  hier  nicht  nochmals  geschildert 
zu  werden.  Nur  auf  einen  Punkt  muß  hier  eingegangen  werden,  der  viel- 
fach große  Schwierigkeiten  bereitet,  nämlich  ob  die  Beschädigung  eines  Be- 
standes oder  eines  Baumes  derart  ist,  daß  sie  unrettbar  das  Absterben  zur 
Folge  hat  (so  daß  jede  Bekämpfungsmaßregel  überflüssig  wäre  und  nur 
die  Entfernung  der  befallenen  Objekte  bleibt),  oder  ob  sie  noch  Aussicht  auf 
Erholung  bestehen  läßt,  so  daß  event.  Bekämpfungsversuche  angezeigt  sind. 
In  der  vorigen  Auflage  dieses  Werkes  gaben  Judeich  und  Nitsche  folgende 
Anhaltspunkte: 

Die  Beachtung  des  Standortes  ist  insofern  wichtig  für  die  Vorhersage, 
als  im  allgemeinen  die  Gefahren  durch  Insektenbeschädigungen  dann  am  größten 
sind,  wenn  ungünstiger  Standort  einen  kümmerlichen  Wuchs  der  Bäume  bedingt, 
während  günstigere  Standortsverhältnisse  die  Widerstandskraft  derselben  stärken. 

Daß  von  unseren  heimischen  Holzarten  die  Laubhölzer  im  allge- 
meinen weit  weniger  empfindlich  sind  als  Nadelhölzer,  daß  sie  namentlich  in  den 
höheren  Altersstufen  einer  wirklich  tödlichen  Verletzung  durch  Insektenfraß  viel 
weniger  ausgesetzt  sind,  wurde  früher  schon  erwähnt  (vgl.  S.  215).  Man  wird 
deshalb  in  älteren  Laubholzbeständen  selten  notwendig  haben,  kostspielige  Be- 
kämpfungsmaßregeln anzuwenden.  Bei  Raupenfraß,  wie  z.  B.  bei  Fraß  von 
Dasychira  pudibunda  Z-.,  Geometra  brumata  L.,  Tortrix  viridana  L.  usw.  wird  in 
der  Regel  nichts  zu  tun  sein,  weil  die  Kosten  der  Vertilgungsmaßregeln  meist  größer 
sein  würden,  als  der  durch  den  Fraß  bewirkte  Verlust  an  Zuwachs  oder  Samen. 
Von  Borkenkäfern,  Buprestiden,  Bockkäfern  oder  anderen  im  Holze  lebenden 
Insekten  heimgesuchte  alte  Bäume  kann  man,  obgleich  sie  den  Fraß  meist  jahre- 
lang aushalten,  ohne  Verlust  entfernen,  soweit  dies  nötig  erscheint,  um  eine  weitere 
Ausbreitung  des  Übels  zu  verhindern.  Man  braucht  sich  aber  damit  nicht  zu  über- 
eilen. Empfindlicher  sind  jüngere  Bäume,  namentlich  frisch  gepflanzte  Heister. 
Borkenkäfer,  einige  Buprestiden  und  Rüsselkäfer,  Raupen  usw.  können  junge 
Buchen,  Eichen,  Eschen,  Rüstern,  Birken  usw.  schwer  schädigen  und  schon  in 
einem  Jahre  töten.  Man  bemerkt  dies  meist  zur  rechten  Zeit,  um  die  kranken 
Stämmchen  noch  vor  Ausfliegen  der  Käferbrut  entfernen  zu  können.  Ein  sicheres 
Kennzeichen  ist  namentlich  das  schneller  als  beim  Nadelholze  eintretende  Welken 
der  Blätter;  auch  an  der  Rinde  verdächtiger  Bäumchen  wird  man  bei  aufmerksamer 
Untersuchung  die  Bohrlöcher  entdecken.  Sehr  leicht  ist  es.  Raupen-  oder  Käfer- 
fraß an  den  Blättern  zu  bemerken.  In  allen  den  hier  genannten  Fällen  ist  also 
die  Prognose  nicht  sehr  schwierig,  aber  auch  meist  nicht  notwendig. 

Etwas  anderes  ist  es  mit  den  weit  empfindlicheren  Nadelhölzern,  diese 
erfordern  größere  Aufmerksamkeit.  Nicht  bloß  die  alten,  sondern  auch  die  jungen 
und  ganz  jungen  Bestände  sind  viel  mehr  der  Gefahr  ausgesetzt,  durch  Insekten- 
fraß vernichtet  oder  schwer  geschädigt  zu  werden,  als  Laubhölzer  von  dem- 
selben Alter. 

Bei  jungen  Nadelhölzern  treten  die  Symptome  sehr  bestimmt  auf.  Keim- 
linge und  selbst  etwas  ältere  Pflanzen  lassen  als  schwächliche  Individuen  die  töd- 
liche Erkrankung  leicht  erkennen.  Wenn  die  noch  zarten  Wurzeln  von  Engerlingen 
abgefressen  werden,  so  lassen  die  Pflänzchen  noch  an  demselben  Tage  die  Nadeln 
hängen,  und  man  braucht  gar  nicht  das  Rotwerden  derselben  abzuwarten,  um  ihren 
Tod  vorauszusagen.  Schwächere  Beschädigungen  heilen  die  Pflanzen  wohl  auch 
wieder  aus.  Die  stets  mit  dem  Tode  verknüpfte  Schädigung  der  jungen  Kiefern 
durch  Larven  von  Pissodes   noiatus  Fabr.  kennzeichnet  sich  im  Juni  und  Juli  leicht 

25* 


388         Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 

durch  Welken  der  Triebe,  ebenso  sterben  von  Hylesinus  cunicularius  Er.  befallene 
junge  Fichten  sehr  bald  ab.  Leicht  beurteilen  sich  auch  die  Schäden,  welche  an 
jungen  Kiefern  und  Fichten  durch  den  Fraß  des  großen  Rüsselkäfers,  an  Kiefern 
durch  die  Saateule  hervorgerufen  werden.  Die  Prognose  bereitet  hier  keine 
Schwierigkeiten.  Insoweit  als  die  etwa  zu  ergreifenden  Maßregeln  vom  Zustande 
der  Pflanze  selbst  abhängen,  kann  man  ruhig  abwarten,  ob  sich  dieselben  erholen 
oder  nicht,  ehe  man  für  die  eingegangenen  durch  Ausbesserung  der  Kultur  Er- 
satz schafft. 

In  älteren  Nadelholzbeständen  handelt  es  sich  dagegen  um  den  Schutz 
und  die  Erhaltung  wirtschaftlicher  Objekte,  welche  leicht  und  schnell  nicht  wieder 
ersetzt  werden  können.  Sichere  Todeskennzeichen  fehlen  hier  zwar  ebenfalls  nicht, 
sind  aber  nicht  immer  so  deutlich  ausgesprochen,  wie  bei  den  jungen  Pflanzen. 
Plötzliches  Absterben  kommt  beim  alten  Baum  nicht  vor,  das  Absterben  erfolgt 
mehr  allmählich.  So  grünt  manchmal  der  Wipfel  noch  längere  Zeit,  während  unten 
am  Stamme  die  Rinde  sich  bereits  loslöst:  ein  sicheres  Kennzeichen  des  Todes. 
Wir  müssen  schon  zufrieden  sein,  wenn  sich  die  bestimmten  Todeszeichen  noch 
vor  Winter  oder  während  des  Winters  einstellen,  damit  die  Axt  dem  Verderben 
des  Holzes  vorbeugen  kann.  —  Zunächst  ist  hier  der  Fraß  der  Rinden-,  Bast-  und 
Holzbeschädiger,  in  der  Hauptsache  also  der  Käferfraß,  von  dem  der  Nadel- 
beschädiger, also  hauptsächlich  dem  Raupenfraß,  zu  unterscheiden. 

„Im  Falle  eines  Käferfraßes,  welcher  im  Nadelholze  für  jüngere  und 
alte  Bäume  gleich  gefährlich  ist,  gewöhnlich  auch  zum  baldigen  Abtriebe  drängt, 
ist  zuerst  die  Rinde  zu  beobachten,  an  der  sich  die  Borkenkäfer  durch  Bohrlöcher 
und  Wurmmehl,  Pissodes  piniphilus  Hbst.  und  harcyniae  Hbst.  sowie  Tetropium 
luridum  L.  u.  A.  durch  Harztropfen  verraten.  Das  Bleichen  und  Rotwerden  der 
Nadeln  tritt  zuweilen  bald  ein,  bei  Fichte  schneller  als  bei  Kiefer;  manchmal  bleibt 
es  auch  bis  zum  Winter  oder  bis  zum  nächsten  Frühjahre  aus.  Dies  ist  z.  B.  bei 
Fraß  von  Pissodes  piniphilus  der  Fall  und  bei  Borkenkäfern  dann,  wenn  der  Anflug 
erst  im  Spätherbst  erfolgte.  Von  Borken-  oder  Stangenrüsselkäfern  befallene 
Bäume  sind  im  Gewöhnlichen  unrettbar  verloren.  Sie  bieten  also  keine  Schwierig- 
keiten bezügl.  der  Prognose  und  müssen  schon  wegen  der  Gefahr  der  VVeiter- 
verbreitung  des  Übels  unter  allen  Umständen  gefällt,  bei  Borkenkäferfraß  auch  ent- 
rindet und  entfernt  werden,  selbst  für  den  Fall,  daß  der  betroffene  Bestand  nicht 
mehr  zu  retten  ist,  um  so  mehr  aber,  wenn  letzteres  noch  möglich.  Nur  bei 
glücklicherweise  seltenen,  besonderen  Unglücksfällen  ist  diese  Möglichkeit  aus- 
geschlossen, wenn  man  gegen  Borkenkäfer  mit  Fällung  von  Fangbäunien  stets  in 
richtiger  Weise  vorgeht. 

„Schwierige  Zweifel  entstehen  dagegen  oft  bei  den  Nadelfressern,  bei 
Raupenfraß,  da  der  Tod  oder  die  mögliche  Genesung  des  befallenen  Baumes 
nicht  bloß  von  der  Art  des  Nadelholzes  und  von  der  Insektenart  abhängt,  sondern 
ganz  wesentlich  von  der  Intensität  des  Fraßes  und  von  der  Witterung.  Nur  in 
seltenen  Fällen  werden  einzelne  Stämme  wirklich  tot  gefressen,  d.  h.  inmitten  des 
Fraßes  getötet.  Der  Abtrieb  eilt  hier  zwar  nicht  so  sehr  wie  bei  „Wurmtrocknis", 
weil  sich  die  Schädlinge  nicht  innerhalb  der  Fraßobjekte  entwickeln,  und  man  Zeit 
hat,  die  Kranken  länger  zu  beobachten,  allein  die  Frage  danach,  ob  und  welche 
Vertilgungsmittel  zu  ergreifen  sind,  muß  wesentlich  auch  nach  dem  Zustand  des 
befallenen  Bestandes  entschieden  werden.  Ist  letzterer  einmal  rettungslos  ver- 
loren, so  sind  zu  seinem  Schutze  keine  Kosten  aufzuwenden,  sondern  nur  zur  Ver- 
breitung des  Übels  in  Nachbarbestände.  Lärche  und  Tanne  werden  seltener  ein- 
gehendere Untersuchungen  notwendig  machen,  viel  öfter  Fichte  und  Kiefer. 

„Als  Zeichen  eines  bald  zu  erwartenden  Todes  nach  Raupen- 
fraß gilt  das  Trocknen  und  Welken  der  Knospen,  sowie  das  Auftreten 
von  Borkenkäfern,  Hylesinen  und  Bockkäfern.  Wenn  die  Knospen  beim  Durch- 
schneiden nirgends  mehr  grüne  Nadelchen  zeigen,  dann  ist  allerdings  der  Baum 
tot,  indessen  kann  man  nicht  umgekehrt  aus  dem  grünen  Inhalte  der  Knospen  stets 


Beurteilung  der  Notwendigkeit  und  Möglichkeit  der  Bekämpfung.  389 

auf   Gesundheit   schließen;   dergleichen    Bäume   sterben    trotzdem   manchmal    plötz- 
lich ab. 

„Für  die  Fichte  kommt  besonders  der  Fraß  der  Nonne  in  Betracht,  der 
nicht  selten  den  Tod  herbeiführt,  manchmal  aber  wenig  schadet.  In  der  Regel 
zeigen  die  Fichten  meist  ein  früheres  Rotwerden  der  Nadeln  als  die  Kiefern,  so  bei 
Nonnenfraß,  oft  schon  im  Herbste.  Es  ist  das  sehr  auffallend,  wenn  scheinbar  nur 
eine  so  geringe  Beschädigung  der  Bäume  stattfand,  daß  ein  Viertel  oder  selbst  die 
Hälfte  der  Benadelung  erhalten  blieb.  Im  Sommer  ist  also  die  Prognose  äußerst 
schwierig  und  unsicher.  Kiefern  halten  einen  viel  stärkeren  Fraß  aus  als 
Fichten.  Man  wird  also  bei  Nonnenfraß  an  Kiefer  wohl  meistens  auf  Wieder- 
genesung hoffen  dürfen.  Auch  nach  dem  Fräße  der  Forleule  hat  man  wiederholt 
beobachtet,  daß  sich  trotz  fast  vollständigen  Kahlfraßes  die  Bäume  wieder  erholten, 
selbst  solche,  bei  denen  schon  viele  Knospen  abgestorben  waren,  ein  Beispiel, 
welches  lehrt,  daß  man  mit  der  Vorhersage  des  Todes  vorsichtig  sein  muß. 
Andererseits  ist  infolge  des  durch  Kiefernspanner  eingetretenen  Kahlfraßes,  aller- 
dings unter  Hinzutritt  anderer  ungünstiger  Umstände,  schon  unerwartet  der  Tod 
eingetreten.  Noch  größere  Schwierigkeiten  bietet  die  Vorhersage  in  Kiefern- 
beständen beim  Fraß  des  Spinners,  und  ist  man  in  früheren  Zeiten  nicht  selten 
wegen  irriger  Vorhersage  zu  schnell  mit  dem  Abtriebe  vorgegangen.  Allerdings 
ist  auch  bei  Kiefern  die  Zerstörung  der  Knospen  in  großer  Ausdehnung  eine  Todes- 
ursache. Je  mehr  Knospen  zerstört  wurden,  desto  zahlreicher  treten  auch  andere 
Anzeichen  schwerer  Erkrankung  hervor,  wie  Rosetten  und  Scheidentriebe  (vgl. 
S.  212).  Einzeln,  also  unbedeutend,  erscheinen  Rosetten  auch  nach  Spanner-,  zu- 
weilen auch  nach  Eulen-  und  Nonnenfraß,  massenhaft  jedoch  nach  dem  Fraß  des 
Kiefernspinners,  und  sind  immer  mit  kümmerlicher  Ausbildung  der  Jahresringe 
verknüpft.  Hat  man  auch  dann  noch  bezügl.  der  Vorhersage  Zweifel,  so  unter- 
suche man,  ob  der  Weichbast  schon  gelbfleckig  oder  wässerig  wird  oder  sich  gar 
zunderartig  auflöst,  in  hohem  Grade  „aufgebacken"  erscheint,  und  ob  dem  letzten 
Jahresringe  nicht  schon  Harzkanäle  und  Herbstholz,  ,, Braunholz",  fehlen.  In 
vielen  Fällen  sind,  selbst  ohne  Eintritt  der  Bildung  von  Rosetten,  schon  die  vor- 
hergehenden Ringe  mehr  oder  weniger  abnorm;  teils  sind  sie  sehr  schmal,  teils 
zeigen  sie  „Harzketten",  welche  immer  ein  bedeutendes  Sinken  der  Lebenstätigkeit 
bekunden.  An  einzelnen  sehr  zweifelhaften  Bäumen  kann  man  dann  auch  ,,fenstern", 
d.  h.  man  schneidet  ein  Rindenfenster  von  einigen  Quadratzentimetern  aus,  um  auf 
dem  dadurch  entblößten  Splinte  die  austretenden  Harztröpfchen  beobachten  zu 
können.  Dies  kann  zum  Vergleiche  zwischen  gesunden  und  kranken  Stämmen 
sowohl  im  Winter,  wie  im  Sommer  geschehen.  Kleine  und  sehr  sparsame  Harz- 
tröpfchen verraten  eine  bereits  eingetretene  Schwäche  des  Baumes." 

Durchführung  der  Bekämpfung. 

Die  Möglichkeit  der  Durchführung  zweckmäßiger  Bekämpfungs- 
maßregeln hängt  natürlich  auch  ab  von  den  Hilfsmitteln,  über  welche  der 
Waldbesitzer  verfügen  kann.  Der  Kleinbesitzer  ist  meist  nicht  in  der  Lage, 
so  bedeutende  Kosten  aufzuwenden  wie  der  Großbesitzer,  wie  namentlich 
der  Staat.  Da  aber  auch  ein  kleiner  Wald  zum  Herde  für  die  Ansteckung 
weiterer  Bezirke  werden,  also  eine  Gefahr  für  die  Allgemeinheit  bringen  kann, 
und  da  der  Wald  außer  seinem  direkten  wirtschaftlichen  Werte  für  den  Be- 
sitzer auch  eine  weitere  Bedeutung  für  das  Volkswohl  überhaupt  hat,  so  wird 
es  die  Aufgabe  des  Staates,  die  wirtschaftlichen  Maßregeln  der  Kleinbesitzer 
durch  Gewährung  des  Rates  von  Sachverständigen,  unter  Umständen  auch 
durch  Arbeitskräfte  (Militär  oder  Sträflinge),  sowie  durch  Vorstreckung  des 
nötigen  Geldes  zu  unterstützen,  die  Bekämpfung  der  Forstschädlinge  aber  ge- 
setzlich zu  fordern  (N.). 


390         Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 

In  letzterer  Beziehung  ist  bisher  im  deutschen  Reiche  der  Schutz  gegen 
schädliche  Forstinsekten  zum  größten  Teil  der  Partikulargesetzgebung ^)  über- 
lassen, was  für  den  einzelnen  Bundesstaat  unter  Umständen  recht  verhängnisvoll 
werden  kann.  Nehmen  wir  z.  B.  an,  daß  eine  allgemeine  Nonnenperiode  ein- 
setzt: in  dem  einen  Staat  wird  nun  sofort  unter  Anwendung  der  landesgesetz- 
lichen Vorschriften  eine  allgemeine  intensive  Bekämpfung  eingeleitet,  im  Nach- 
barstaat dagegen  wird  nichts  gegen  den  Schädling  unternommen,  —  so  kann  es 
sich  ereignen,  daß  die  Vorsichtsmaßnahmen  des  ersteren  Staates  durch  die 
Nachlässigkeit  des  letzteren  zum  Teil  zunichte  gemacht  werden,  indem  die  Nonne, 
nachdem  sie  hier  die  Wälder  kahl  gefressen,  über  die  Grenze  in  die  direkt  be- 
nachbarten noch  gut  erhaltenen  Wälder  zieht.  Es  ist  daher  zweifellos  be- 
rechtigt, wenn  Beck  die  Forderung  eines  Reichs-Pflanzenschutzgesetzes 
aufstellt.  Allerdings  sind  heute  die  Grundbedingungen  für  ein  solches  Gesetz 
gerade  in  bezug  auf  die  schlimmsten  Forstschädlinge,  wie  z.  B.  die  Nonne, 
noch  nicht  gegeben:  Wenn  man  auf  der  einen  Seite  der  Ansicht  huldigt,  daß 
gegen  die  Nonne  überhaupt  nichts  unternommen  werden  kann,  auf  der 
anderen  Seite  aber  die  Überzeugung  besteht,  daß  die  Nonne  bei  rechtzeitigem 
Einschreiten  erfolgreich  bekämpft  werden  kann,  so  wird  es  noch  eines  weiten 
Weges  bis  zu  einer  gesetzlichen  Regelung  dieser  Frage  bedürfen.  Was  vor 
allem  not  tut,  ist  eine  planvolle  Erforschung  unserer  wichtigsten  Forst- 
schädlinge, die  aber,  wie  der  Verfasser  verschiedentlich  ausgeführt  hat,  ohne 
eine  gründliche  Reform  unseres  bisherigen  entomologischen  Versuchswesens 
kaum  erzielt  werden  dürfte.^)  Nur  dann,  wenn  die  einzelnen  Schädlings- 
probleme gründlich  erforscht  sind  und  man  über  die  anzuwendenden  Be- 
kämpfungsmaßnahmen sich  einigermaßen  geeinigt  haben  wird,  kann  an  eine 
reichsgesetzliche  Regelung  im  Sinne  Becks  gedacht  werden. 

Literatur. 

(Siehe  auch  das  Literaturverzeichnis  für  das  vorhergehende  Kapitel   [S.  304 — 306|). 

Beck,  R.,  Die  Insekten-  und  Pilzkalamitäten  im  Walde.  Thar.  Forstl.  Jahrb. 
1909  (Leipzig-Band),  S.  1—65. 

Bcrlepsch,  Hans  Freiherr  von,  Der  gesamte  Vogelschutz,  seine  Be- 
gründung und  Ausführung.     Gera. 

B  e  r  n  e  r,  P.,  Ein  neues  Mittel  zur  Vertilgung  des  Nonnenfalters.  Deutsche  Forst- 
Zeitg.  23.  Bd.,  1908,  S.  784—786.     (Lichtfang  mit  Quarzlampen.) 

Decoppet,  Vernichtung  der  Engerlinge  in  den  Forstgärten  (gekürzte  deutsche 
Übersetzung).  Schweiz.  Zeitschr.  f.  Forstwesen  1912,  S.  122—129.  (Referat  im 
Forstwiss.  Zentralblatt  1913,  S.  266—267.) 

1)  Siehe  Müller,  P.,  Das  Forst-  und  Feldstrafgesetz  für  das  Königreich 
Sachsen.  Leipzig  1909.  (Auf  Seite  147  u.  148  sind  die  einschlägigen  Gesetze  der 
verschiedenen  Staaten  zusammengestellt). 

^)  Um  die  so  dringend  notwendige  Reform  unserer  Wissenschaft  in  die 
Wege  zu  leiten,  hat  sich  vor  kurzem  die  ,,D  e  u  t  s  c  h  e  Gesellschaft  für 
angewandte  Entomologie"  mit  dem  Sitz  in  Tharandt  konstituiert.  Sie 
wird  durch  Jahresversammlungen,  Herausgabe  einer  Zeitschrift,  Verfassung  von 
Denkschriften,  Bildung  von  Fachausschüssen  zur  Bearbeitung  der  einzelnen 
Fragen  usw.  ihrem  Ziele  nahezukommen  suchen.  (Beitrittsanmeldungen  sind  an 
das  Zoologische  Institut  in  Tharandt  zu   richten.) 


Literatur.  391 

Doli  es,  Streifzug  im  Gebiete  von  Feinden  unserer  schädlichen  Waldinsekten. 
Forstl.-nat.  Zeitschr.  Bd.  6  (1897),  S.  257—270. 

Eckstein,  K.,  Die  Technik  des  Forstschutzes  gegen  Tiere.  Mit  52  Text- 
abbildungen.    Berlin  1904. 

—  Wie  untersucht  man,  ob  Kiefernraupen  {Lasiocampa  pitti)   von  Parasiten  besetzt 

sind.     Deutsche  Forst-Zeitg.  22.  Bd.,  1907,  Nr.  3,  S.  53—55. 

—  Zur  Bekämpfung  der  Nonne.     Deutsche  Forst-Zeitg.  24.  Bd.,  1909,  S.  462.     (An- 

wendung von  Chlorbarium.) 
Escherich,  K.,  Tote  Nonneneier.     Nat.  Zeit.  f.  Forst-  u.  Landw^.  1911,  S.  237  ff . 

—  Nonnenprobleme.     Nat.  Zeitschr.  f.  Forst-  u.  Landw.  1912,  Heft  2/3. 

—  Fortschritte  der  Leimtechnik.   Tharandt.  Forstl.  Jahrbuch,  Bd.  64  (1913),  S.  78— 88. 
F'ulmek,     Leop.,     Die    Schwefelkalkbrühe.       Mitteil.     K.     K.     Pflanzenschutz- 
station.    Wien  1913. 

—  Zur     Arsenfrage     im     Pflanzenschutzdienst,     bes.     betreffend     das     Bleiarseniat. 

Arch.  f.  Chemie  und  Mikroskopie  1913.     Heft  6. 
— •  Neuerungen  im   Pflanzenschutz  (Zoolog.  Teil).     Wien  1913. 
Grohmann,  Die  Generation  des  großen  braunen  Rüsselkäfers    (Hylobius    abieiis) 

und  seine  Bekämpfung.     Tharandt.  Forstl.  Jahrb.  64,  1913,  S.  325—361. 
Haenel,  Karl,  Unsere  heimischen  Vögel  und  ihr  Schutz.     Würzburg  1913. 
Hennicke,  R.  Carl,  Vogelschutzbuch.     Stuttgart   1911. 

—  Handbuch  des  Vogelschutzes.     Magdeburg  1912. 

Her  eil  e,  F.  de,  Sur  la  propagation  dans  la  Republique  Argentine,  de  l'epizootic 

des    Santerelles    du    Mexique.      Compt.    rend.    Ac.    Sc.      Paris    F.    154,    No.    9. 

(26  Fevrier  1912.) 
Heß,  Richard,  Der  Forstschutz.     3.  Aufl.     Leipzig  1898—1900. 
Hiesemann,  Martin,  Lösung  der  Vogelschutzfrage  nach  F  r  e  i  h  e  r  r  n  von 

Berlepsch.     Leipzig. 
Hof  man,  Otmar,  Insektentötendc  Pilze  mit  besonderer   Berücksichtigung  der 

Nonne.     Frankfurt  a.  M.  1891. 
Hollrung,    M.,    Handbuch    der    chemischen    Mittel    gegen    Pflanzenkrankheiten. 

Berlin  1898.     (Neue  Auflage  erscheint  1914.) 
Klo  eck.  Neue  Anregung  aus  der  forstlichen  Praxis  zur  Bekämpfung  der  Nonne. 

Forstwiss.  Zentralbl.  1910,  S.  109  ff.  u.  1911,  S.  377  ff. 
M  a  m  e  1 1  e,  Th.,  Sur  l'emploi  du  cyanure  de  potassium  comme  insecticide  souterrain. 

Compt.  rendus  Ac.  Sc.  Paris  Bd.  150.  1910,  S.  1096—1098. 
Marchai,  Paul,  Rapport  sur  les  travaux  accomplis  par  la  Mission  d'etude  de 

la    Cochylis    pendant  l'annee  1911.     Paris  (Ch.  Beranger)  1912. 
Nördlinger,    H.,   Ratgeber   über   Pflanzenkrankheiten    und   deren   Bekämpfung. 

Flörsheim  a.  Main. 
P  au  1  y,  A.,  Die  Nonne  in  den  bayerischen  Waldungen  1890.     Frankfurt  a.  M.  1891. 

Enthält  einiges  über  Lichtfang. 
Puster,    Ein    Jahrzehnt    im    Kampf    mit    dem    Maikäfer.      Forstw.    Zentr. -Blatt 

32  (1910),  S.  633—649. 

—  Ein  Maikäferkrieg.     Ebenda  33  (1911),  S.  577—586. 

Putscher,  Neuere  Erfahrungen  und  Urteile  über  die  Nonnenbekämpfung.  Zeit. 
f.  Forst-  u.  Jagdw.  1911,  S.  675—693. 

—  Über  den  Stand  der  Nonnenkalamität.     Berichte  der  53.- — 55.  Versammlung  des 

Sachs.  Forstvereins  1909—1911. 

Reiff,  W.,  The  Wilt-Disease  or  Flacherie  of  the  Gypsy  Moth.     Boston  1911. 

Rörig,  Ein  neues  Verfahren  zur  Bekämpfung  des  Schwammspinners.  Arb.  Biol. 
Anstalt  f.  Land-  u.  Forstw.  1.  Bd.,  1900,  S.  255—260. 

Schmidt,  Alex.,  Die  Nonne.  Darstellung  der  Bekämpfung  mit  besonderer  Be- 
rücksichtigung des  von  dem  Verfasser  zur  Anwendung  gebrachten  Infektions- 
Verfahrens.     Ratibor  1895. 

Schwangart,  Fr.,  Das  Traubenwickler-Problem  und  das  Programm  der  an- 
gewandten   Entomologie.      Mitt.    des    Deutschen    Weinbau-Vereins    1913. 

—  Thüringer  „Vogeltränken".     Nat.  Zeit,  für  Land-  u.  Forstw.  1912,  S.  328—332. 
Seh  war  tz,  M.,  Zur   Bekämpfung  der  Raupenplagen.     Arb.   aus   der   Kais.   Biol. 

Anstalt  f.  Land-  u.  Forstwirtschaft  Bd.  VH,  1910,  S.  521—526. 

—  Über  einige  neue  und  alte  Mittel  zur  Bekämpfung  schädlicher  Insekten.     Ebenda 

Bd.  VI,  1908,  S.  493—497. 


392         Kapitel  VII.     Entstehung  und  Bekämpfung  von  Insektenkalamitäten. 

Schwartz,  M.,  Erprobte  Mittel  gegen  tierische  Schädlinge.  Flugblatt  Kais. 
Biol.    Anstalt    p.  46.     1909. 

Sedlaczek,  W.,  Versuche  mit  verschiedenen  Arten  von  Fangbäumen  zur  Be- 
kämpfung der  Borkenkäfer.  Centr.  f.  d.  gesamte  Forstwesen.  XXXIV  (1908). 
S.  45—73. 

Sihler,  Über  das  Auftreten  der  Fichtengespinstblattwespe  in  den  Fichten- 
waldungen Oberschwabens.  Silva  1913.  Nr.  31  (Leimring  gegen  Lyda 
hypotrophicn). 

Vi  11,  Der  Kampf  gegen  die  Engerlinge  in  den  Pflanzgärten.  Nat.  Zeitschr.  f. 
Forst-  u.  Landw.  6.  Jahrg.  1908,  S.  280—284. 

Wahl,  B  r..  Die  Bekämpfung  der  Blattläuse.     Monatshefte  f.  Landwirtschaft  1913. 

W  e  i  ß  w  a  n  g  e,  Versuche  über  das  Abbaumcn  der  Nonnenraupen  und  die  Wirkung 
des  Leimringes.     Tharandter  Forstl.  Jahrb.  Bd.  64  (1913),  S.  160—177. 


Kapitel  VIII. 

Allgemeine  Übersicht  über  das  System  der  Insekten, 

Mit  einem  Anhang: 

Anleitung  zur  Anlegung  einer  forstentomologischen 
Sammlung. 


Das  System  der  Insekten. 

Es  ist  für  den  Forstmann  durchaus  notwendig,  daß  er  auch  mit  der 
Klassifizierung  der  Insekten  einigermaßen  vertraut  ist.  Denn  nur  dann  wird 
er  imstande  sein,  sich  in  der  überaus  mannigfaltigen  Gesellschaft  der  ihm 
entgegentretenden  Insektenformen  zurecht  zu  finden  und  zu  einer  richtigen 
Bestimmung  der  ihn  interessierenden  Arten  zu  gelangen.  Vor  allem  muß  er 
wissen,  in  welche  Ordnungsgruppe  resp.  Ordnung  ein  Insekt  gehört.  Der 
größte  Teil  der  im  Walde  auftretenden  Formen  wird  ja  in  dieser  Beziehung 
keine  Schwierigkeiten  bereiten;  wird  doch  jeder  einen  Schmetterling  von 
einem  Käfer  unterscheiden  können.  Immerhin  kommen  aber  auch  eine  ganze 
Anzahl  Formen  vor,  welche  trotz  großer  äußerer  Ähnlichkeit  ganz  verschiedenen 
Ordnungen  angehören.  Ich  erinnere  nur  z.  B.  an  den  Hornissenschwärmer, 
der  in  seiner  Form  und  noch  mehr  in  seiner  Färbung. stark  an  eine  Hornisse 
erinnert,  oder  an  manche  Fliegen,  die  in  ihrer  Färbung  und  Behaarung  sehr 
Wespen  oder  Hummeln  ähneln,  oder  an  die  kleinen  Formen  der  Phr5^ganiden 
(Köcherfliegen),  die  oft  Kleinschmetterlingen  zum  Verwechseln  ähnlich  sind 
usw.  In  solchen  Fällen  muß  man  die  charakteristischen  Merkmale  der  einzelnen 
Ordnungen  kennen,  um  vor  Verwechselungen  und  Irrtümern  sich  zu  sichern. 

Im  folgenden  sei  eine  kurze  Übersicht  über  die  Hauptkategorien  (Ord- 
nungsgruppen) der  Insektenklasse  gegeben.  Auf  die  Unterkategorien  (Ord- 
nungen, Familien  usw.)  soll  dagegen  hier  nicht  weiter  eingegangen  werden, 
da  diese  im  speziellen  Teil  bei  jeder  Ordnungsgruppe  eingehend  behandelt 
werden  sollen. 

Die  Klassifizierung  der  Insekten  hat  im  Laufe  der  Zeiten  verschiedene 
wesentliche  Wandlungen  durchgemacht,  und  zwar  im  Sinne  einer  immer 
weitergehenden  Teilung.  In  manchen  heute  noch  im  Gebrauch  befindlichen 
älteren  Lehrbüchern  (wie  z.  B.  im  „Leunis")  findet  man  eine  Einteilung  der 
Insekten  in  folgende  9  Ordnungen:  Thysanuren,  Orthopteren,  Neuropteren, 
Coleopteren,  Strepsipteren,  Hymenopteren,  Lepidopteren,  Dipteren  und 
Hemipteren.  Eingehende  Studien  anatomischer  und  entwicklungsgeschicht- 
licher  Art    haben    aber   dargetan,    daß    in   diesen   Ordnungen    vielfach    recht 


394         Kapitel  VIII.     Allgemeine  Übersicht  über  das  System  der  Insekten. 

heterogene  Gruppen  vereinigt  waren.  Besonders  galt  dies  für  die  Ordnung 
der  Orthopteren,  die  in  eine  Anzahl  gesonderter  Ordnungen  zerlegt  werden 
mußte;  auch  die  Ordnung  der  Neuropteren  erwies  sich  als  unnatürlich  usw. 
Es  ist  das  Verdienst  Fr.  Brauers,  das  lange  Zeit  geltende  alte  System  von 
den  gröbsten  Fehlern  gereinigt  zu  haben.  Er  setzte  an  Stelle  des  alten 
Systems  ein  neues,  nach  welchem  die  Insekten  in  zwei  Unterklassen  (die 
Apterygogenea  und  die  Pterygogenea)  und  16  Ordnungen  zerlegt  wurden. 
Die  starke  Vermehrung  der  Ordnungen  ist  vor  allem  in  der  Aufteilung  der 
alten  Ordnung  der  Orthopteren  in  nicht  weniger  als  7  Ordnungen  (Dermap- 
teren,  Ephemeriden,  Odonaten,  Plecopteren,  Orthoptera  genuina,  Corrodentia 
und  Thysanoptera)  begründet,  ferner  in  der  Aufteilung  der  Neuropteren  in 
drei  Ordnungen,  die  Neuroptera  s.  str.,  die  Panorpatae  und  die  Trichopteren. 

Das  Brau  ersehe  System  bedeutete  einen  wesentlichen  Fortschritt  bezügl. 
der  natürlichen  Gruppierung  und  fand  auch  fast  allgemeine  Annahme.  Und 
auch  heute  noch  bildet  es  die  Grundlage  des  Insektensystems,  wenn  auch 
weiteres  Eindringen  in  morphologische  Details  und  einige  überraschende 
Entdeckungen  neuer  Insektenformen  (die  Proturen)  noch  manche  Änderungen 
notwendig  gemacht  haben.  Es  ist  vor  allem  Handlirsch,  der  sich  um  die 
weitere  Ausgestaltung  des  Systems  verdient  gemacht  hat;  daneben  sind  noch 
Börner,  Prell  u.  a.  als  Reformatoren  tätig  gewesen. 

Wir  werden  uns  hier  in  der  Hauptsache  an  das  Handlirsch  sehe 
System  (mit  der  Prellschen  Modifikation)  halten,  wobei  wir  jedoch  —  dem 
praktischen  Zwecke  des  Buches  entsprechend  —  die  22  Ordnungen  in  eine 
Anzahl  Ordnungsgruppen  zusammenfassen,  um  eine  leichtere  Handhabung 
und  größere  Übersichtlichkeit  zu  erlangen.  So  stellen  wir  unter  die  Ord- 
nungsgruppe der  Orthopteroidea  7  Ordnungen,  unter  die  Ordnungsgruppe 
der  Lepidopteroidea  3  Ordnungen  usw.  Wir  kommen  auf  diese  Weise  zu 
9  Ordnungsgruppen,  die  zum  Teile  den  alten  Ordnungen  entsprechen  (z.  B. 
die  Hymenopteroidea  den  Hymenopteren),  zum  Teil  aber  eine  mehr  oder 
weniger  veränderte  Zusammensetzung  aufweisen  (so  sind  z.  B.  die  Pediculiden 
jm  neuen  System  nicht  mehr  bei  den  Wanzen,  sondern  bei  den  Orthopteren 
untergebracht,  oder  die  Trichopteren  und  die  Panorpaten  nicht  mehr  bei  den 
Neuropteren,  sondern  mit  den  Lepidopteren  zu  einer  Ordnungsgruppe  zu- 
sammengestellt usw.). 

Als  Grundlage  zur  Einteilung  dienen  die  verschiedensten  Merkmale : 
vor  allem  die  Art  der  postembryonalen  Entwickung  (Metamorphose),  ferner 
das  Fehlen  oder  der  Besitz  von  Flügeln,  die  Beschaffenheit  der  Flügel,  die 
Mundwerkzeuge,  die  Abdominalanhänge,  das  Verhältnis  der  drei  Brustringe 
zueinander  und  verschiedener  anatomischer  Merkmale,  wie  Zahl  der 
Malpighischen  Gefäße  usw. 

Die  Berücksichtigung"  aller  dieser  Merkmale  führt  zur  Aufstellung  folgender 
Kategorien  der  Insektenklasse. 

I.  Unterklasse:  Anamerciitoina. 
Verlassen  das  Ei  nicht   mit  vollständiger  Segmentzahl;   Mundteile  voll- 
ständig in  die  Kopfkapsel  verlagert  („entotroph");  stets  ungeflügell,  am  Abdomen 
ohne  Styli  und  Cerci.     Hierher  die  Ordnungen:  Prottira  und  CoUcmhola. 


Das  System  der  Insekten.  395 

II.  Unterklasse:  Holomerentoma. 
Verlassen  das  Ei  mit  vollständiger  Segmentzahl,  Mundgliedmaßen  meist 
frei  („ektotroph");  umfaßt  die  meisten  Insekten. 

1.  Ordnungsgruppe:   Thysanuroidea. 
Stets  flügellos;  meist  zarthäutige  Tiere    mit   langen  Fühlern,    und  wohl- 
ausgebildeten   Cerci    und    Styli    am    Abdomen.      Hierher     die     Ordnungen : 
Entognatha  {Campodea,  Japyx)  und  Ectognatha  {Machilis  und  Lepisma). 

2.  Ordnungsgruppe:  Orthopteroidea. 

Mundgliedmaßen  meist  beißend  (selten  saugend);  die  beiden  Flügel- 
paare entweder  ungleich  (Vorderflügel  pergamentartig),  oder  aber  gleichartig, 
oder  ganz  fehlend;  Prothorax  meist  groß  und  frei  beweglich;  Cerci  meist 
vorhanden,  Larven  stets  primär;  postembryonale  Entwicklung  eine  Epimor- 
phose.  Hierher  die  Ordnungen:  Orthoptera  (Feld-  und  Laubheuschrecken 
und  Grillen),  Phasmodea  (Stabheuschrecken),  Dermaptera  (Ohrwürmer), 
Thysanoptera  (Blasenfüße),  Oothecaria  (Schaben  und  Fangheuschrecken), 
Corrodentia  (Termiten,  Holzläuse,  Federlinge  und  echte  Läuse). 

3.  Ordnungsgruppe:  Amphibiotica. 
Mundgliedmaßen  beißend;  zwei  Paar  gleichartiger  häutiger  netzadriger 
Flügel,  zahlreiche  Malpighische  Gefäße,  Abdomen  mit  Cerci,  Larven  wasser- 
bewohnend, mit  Tracheenkiemen.  Hemimetabole  oder  prometabole  Entwicklung. 
Hierher  die  Ordnungen:  Ephemeridae  (Eintagsfliegen),  Plecoptera  (Uferfliegen) 
und  Odonata  (Libellen). 

4.  Ordnungsgruppe:  Neuropieroidea. 
Mundteile  beißend,  Prothorax  wohl  entwickelt  und  frei,  zwei  Paar  gleich- 
artiger häutiger  und  meist  auch  gleich  großer  Flügel ;  Larven  räuberisch  lebend, 
zum  Teil  mit  Saugzangen  versehen.  Holometabole  Entwicklung,  mit  freier 
Puppe.  Hierher  die  Ordnungen:  Neuroptera  (Ameisenlöwen,  Florfliegen, 
Kamelhalsfliege). 

5.  Ordnungsgruppe:  Coleopteroidea. 

Mundwerkzeuge  beißend,  Vorderflügel  meist  zu  Flügeldecken  umgebildet; 
Hinterflügel  gewöhnlich  unter  den  Vorderflügeln  eingefaltet  (oder  fehlend), 
Prothorax  gut  entwickelt  und  frei  beweglich.  Vier  oder  6  Malpighische  Ge- 
fäße. Holometabole  Entwicklung  mit  freier  Puppe.  Hierher  die  Ordnungen : 
Coleoptera  (Käfer)  und  Strepsipfera  (Stylopiden). 

6.  Ordnungsgruppe:  Hymenopteroidea. 
Mundwerkzeuge  beißend  oder  leckend;  die  zwei  Flügelpaare  gleichartig, 
häutig,  (oder  auch  fehlend),  Hinterflügel  kleiner  als  Vorderflügel;  Prothorax 
klein,  Pronotum  meistens  mit  den  Mesonotum  verw^achsen,  zahlreiche  (mindestens 
6  Malpighische)  Gefäße.  Holometabole  Entwicklung  mit  freier  Puppe.  Hierher 
die  Ordnung:  Hymenoptera  (Hautflügler,  Immen). 


396        Kapitel  VIII.     Allgemeine  Übersicht  über  das  System  der  Insekten. 

7.  Ordnungsgruppe:  Lepidopteroidea. 

Mundteile  oft  stark  rückgebildet  (beißend  oder  saugend);  Prothorax 
klein,  frei  oder  mit  dem  Mesothorax  verwachsen,  Metathorax  kleiner  als  der 
Mesothorax  oder  beide  gleich  groß.  Flügel  meist  wohlausgebildet,  nur  selten 
fehlend,  gleichartig,  häutig,  unbeschuppt  oder  meist  beschuppt.  Larven  raupen- 
ähnlich. Holometabole  Entwicklung  mit  freier  oder  bedeckter  Puppe.  Hierher 
die  Ordnungen :  Panorpatae  (Scorpionsfliegen),  Trichoptera  (Köcherfliegen)  und 
Lepidoptera  (Schmetterlinge). 

8.  Ordnungsgruppe:  Dipteroidea. 
Mundteile  saugend  oder  stechend ;  nur  die  Vorderflügel  wohlausgebildet, 
die  Hinterflügel  zu  kleinen  Schwingkölbchen  rückgebildet;  Prothorax  meist 
klein;  Larven  stets  ohne  Beine,  entweder  mit  Kopfkapsel  oder  ohne  solche. 
Holometabole  Entwicklung  mit  freier  (resp.  Tönnchenpuppe)  oder  be- 
deckter Puppe.  Hierher  die  Ordnungen:  Diptera  (Zweiflügler,  Fliegen)  und 
Suctoria  (Flöhe). 

9.  Ordnungsgruppe:  Hemipteroidea. 
Mundteile  stechend  und  saugend;  Prothorax  groß,  gewöhnlich  frei; 
Flügel  zuweilen  ganz  fehlend,  zuweilen  nur  im  weiblichen  Geschlecht,  meist 
vier  (selten  zwei)  Flügel  vorhanden,  entweder  gleichartig  oder  die  Vorder- 
flügel als  Halbdecken.  Entwicklung  Epimorphose  oder  Hemimetabolie.  Hier- 
her die  Ordnung:  Hemiptera  (Wanzen,  Cicaden,  Pflanzenläuse  und  Blattflöhe). 


Um  die  charakteristischen  Merkmale  der  einzelnen  Ordnungsgruppen 
deutlicher  hervortreten  zu  lassen,  sind  im  folgenden  die  9  Ordnungsgruppen 
der  Holomerentoma  in  Form  einer  dichotomischen  Tabelle  angeordnet,  wobei 
aber  gleich  zu  bemerken  ist,  daß  bei  der  Aufstellung  der  Charakteristik  manche 
aberrante  Formen  unberücksichtigt  geblieben  sind,  zumal  solche,  die  für  den 
Forstmann  an  und  für  sich  kein  Interesse  besitzen. 

(Siehe  Tabelle  S.  397.) 

Was  die  hier  eingehaltene  Reihenfolge  betrifft,  so  soll  diese  keineswegs 
etwa  die  phylogenetische  Entwicklung  ausdrücken.  Die  verschiedenen  Ord- 
nungsreihen sind  vielmehr  als  von  einem  gemeinsamen  Urahnen  ausgehend 
zu  betrachten,  die  ihre  Entwicklung  nebeneinander  und  unabhängig  von- 
einander genommen  haben.  Alle  Ordnungen  resp.  Ordnungsreihen  sind 
daher,  um  mit  Handlirsch  zu  reden,  ungefähr  gleichwertig  und  gleichweit 
voneinander  entfernt;  man  kann  sie  also  stellen,  wie  es  einem  beliebt. 

Wir  werden  im  speziellen  Teil  (aus  praktischen  Gründen)  folgende 
Anordnung  treffen:  der  2.  Band  soll  die  Thysannroidea,  Ortlwpteroidea, 
Amphibiotica,  Neiiropteroidea  und  die  Coleopteroidea  behandeln,  der  3.  Band 
die  Lepidopteroidea  und  der  4.  Band  endlich  die  noch  verbleibenden 
Hymenopteroidea ,  Dipteroidea  und  Hemipteroidea. 


Die  Nomenklatur. 


397 


Epimor- 
phose 
(s.  lat.). 


liemi-  oder 
Prometa- 
bolie 


Holome- 
tabolie 


Meist  geflügelt,  oder  wenn  unge- 
flügelt, durch  sekundäre  Rück- 
bildung der  Flügel;  höchstens 
ein  Paar  Styli  vorhanden. 


Tabelle  über  die  Ordnungsgruppen  der  Holomerentoma. 

Stets  ungeflügelt  (primär  flügellos);  die  drei  Thoraxsegmente  frei,  an- 
nähernd einander  gleich;  meist  mit  mehreren  Paaren  St3di     Thysanuroidea. 

Mundgliedmaßeu  meist  beißend.  Nur 
selten  (Läuse)  stechend  und  saugend, 
wobei  die  Unterlippe  zu  einem  Bohr- 
stachel umgebildet  ist  (während 
Mandib.  und  Max.  rückgebildet  sind) 

Orthopteroidea. 
Mundgliedmaßen  stets  stechend  und 
saugend;  Schnabel  (aus  Ober-  und 
Unterlippe  gebildet)  mit  4  aus  den 
umgebildeten  Mandibeln  u.  Maxillen 
bestehenden  Stechborsten 

Hemipteroidea  (partim). 

Mundgliedmaßen    beißend,    Larven    wasser-,    Imagines    luftlebend;   Larven 

mit  Tracheenkiemen  (Wasseratmung)  Amphibiotica. 

Mundgliedmaßen  stechend  und  saugend;  Larven  wie  die  Imagines,  für  die 
Luftatmung  organisiert  Hemipteroidea  (partim). 

Vorderflügel  zu  Elytren  umgebildet  (selten,  bei  Strepsipteren,  rückgebildet) 

Coleopteroidea. 
Nur  die  Vorderflügel  wohl  ausgebildet,  Hinterflügel  zu 
kleinen  „Schwingkölbchen"  reduziert.  Selten  (Lausfliegen, 
Flöhe)  vollkommen  flügellos.  Mundgliedmaßen  saugend 
oder  stechend.  Larven  stets  völlig  beinlos  und  vielfach 
auch  ohne  deutliche  Kopfkapsel  Dipteroidea. 

Prothorax  wohl  ent- 
wickelt und  frei ;  die 
4  Flügel  annähernd 
gleich  groß 

Neuropteroidea. 
Prothorax  klein,  Pro- 
notum  mit  dem  Meso- 
notum  verwachsen ; 
Hinterfiügel  kleiner 
als  die  Vorderflügel 

Hymenopteroidea. 

Mundgliedmaßen     meistens     saugend 

(Saugrüssel);     nur    selten    beißend, 

dann  aber  der  Ivopf  schnabelförmig 

verlängert ;  Larven  stets  mit  Beinen 

Lepidopteroidea. 


Vorderflügel 

häutig 

(wenn  nicht 

alle  Flügel 

rück- 
gebildet). 


Paar  häutige 
Flügel  vorhanden 
(oder  beide  Paare 
rückgebildet), 
Larven  entweder 
beinlos  (dann 
aber  stets  mit 
Kopf  kapsei)  oder 
aber  mit  Beinen, 
und  zwar  außer 
Brustbeinen  viel- 
fach auch  noch 
mit  Bauchbeinen. 


Mundglied- 
maßen 
beißend  oder 
leckend. 


Die  Nomenklatur. 

Die  Nomenklatur  ist  das  Schmerzenskind  der  Zoologen.  Es  sind  im 
Laufe  der  Zeiten  bezügl.  der  Namengebung  der  Tiere  eine  Reihe  von  Fehlern 
gemacht  worden;  man  suchte  dieselben  wieder  gut  zu  machen,  gelangte  aber 
dabei  auf  unrichtige  Wege,  so  daß  wir  in  eine  Konfusion  hineingeraten  sind, 
die  ihresgleichen  sucht  und  die  eine  ernste  Gefahr  für  unsere  Wissenschaft 
bedeutet.  Sind  wir  doch  heute  bereits  vielfach  an  dem  Punkte  angelangt, 
daß  jeder  eine  andere  zoologische  Sprache  spricht,  so  daß  wir  uns  unter- 
einander kaum  mehr  verstehen.  Der  eine  spricht  von  Noctua  piniperda,  der 
andere  von  Panolis  piniperda  und  der  dritte  von  Panolis  griseovariegata  — 
drei  verschiedene  Namen  für  ein  und  dasselbe  Tier,  die  Kieferneule.  Oder 
der   eine   spricht   von    Ips   und    meint   einen    Nitiduliden,    der   andere  spricht 


398        Kapitel  VIII.     Allgemeine  Übersicht  über  das  System  der  Insekten. 

ebenfalls  von  Ips,  meint  aber  einen  Borkenkäfer  —  also  ein  und  derselbe 
Name  für  zwei  verschiedene  Tiere,  usw.  —  Und  nehmen  wir  verschiedene 
Lehrbücher  und  systematische  Spezialwerke  heran,  so  finden  wir  auch  da 
das  gleiche  Tier  vielfach  mit  verschiedener  Benennung  bedacht. 

Die  Ursache  zu  dieser  beispiellosen  Konfusion  ist  in  verschiedenen 
Momenten  zu  suchen:  Bekanntlich  benennen  wir  die  Arten  nach  der  von 
Linne  eingeführten  binären  Nomenklatur,  d.  h.  die  wissenschaftliche  Be- 
zeichnung der  Art  (Spezies)  setzt  sich  zusammen  aus  zwei  lateinischen  Namen, 
einem  Gattungs-  und  einem  Artnamen,  welche  sich  gewissermaßen  verhalten 
wie  Familien-  und  Vorname  bei  den  Menschen.^)  Hinter  den  Artnamen  ist 
stets  der  Name  desjenigen  Autors  zu  setzen  (gewöhnlich  in  Abkürzungen), 
welcher  dem  betreffenden  Tier  diese  Bezeichnung  gegeben  hat;  also  z.  B. 
Melolontha  vulgaris  Fab.  (oder  einfach  F.)  bedeutet,  daß  Fabricius  dem 
Maikäfer  diesen  Namen  gegeben  hat. 

Würden  nun  diese  Namen  stets  richtig  angewendet,  d.  h.  stets  nur  für 
das  Tier  gebraucht  worden  sein,  das  der  ursprüngliche  Autor  damit  meinte, 
und  würde  stets  auf  die  bereits  beschriebenen  Arten  Rücksicht  genommen 
worden  sein,  so  daß  jedes  Tier  nur  einmal  beschrieben  worden  wäre,  so 
gäbe  es  keine  Nomenklaturstreitigkeiten  und  wäre  alles  klar.  Dem  ist  jedoch 
leider  nicht  so!  Einmal  sind  sehr  häufig  von  späteren  Autoren  die  alten 
Namen  falsch  angewendet  worden  und  sodann  ist  mindestens  ebenso  häufig 
eine  Art  von  verschiedenen  Autoren  immer  wieder  unter  anderem  Namen 
beschrieben  worden.  Als  bekanntes  Beispiel  für  den  ersteren  Fall  sei  die 
Benennung  des  großen  braunen  Rüsselkäfers  genannt. 

Diesen  hatte  Linne  Curculio  abietis  getauft,  dagegen  den  einen  kleinen 
braunen  Rüsselkäfer  Curculio  pini.  Ratzeburg  verwechselte  nun  diese  Tat- 
sache, und  bezeichnete  den  großen  braunen  Rüsselkäfer  als  Curculio  pini, 
den  kleinen  dagegen  als  Curculio  abietis.  Sobald  nun  dieser  Irrtum  bemerkt 
wurde,  mußte  derselbe  natürlich  korrigiert  werden,  obgleich  vermöge  der  un- 
gemein weiten  Verbreitung  der  Ratzeburgischen  Werke  der  Name  Curculio 
pini  sich  bereits  allenthalben  in  der  Forstwelt  für  den  berüchtigten  Kultur- 
verderber  eingebürgert  hatte.  —  Nun  kommt  in  diesem  Falle  noch  etwas 
anderes  hinzu:  Die  Gattung  Curculio  wurde  mit  der  Zeit  durch  fortwährende 
Neuentdeckungen  so  umfangreich,  daß  sich  in  ihr  ohne  weiteres  verschiedene 
natürliche  Gruppen  ergaben,  welche  von  späteren  Autoren  in  den  Rang  von 
besonderen  Gattungen  erhoben  wurden.  So  hat  Schönherr  von  der 
Gattung  Curculio  die  Gattung  Hylobius  abgetrennt  mit  den  Merkmalen  des 
Curculio  abietis,  und  Germar  die  Gattung  Pissodcs  mit  den  Merkmalen  des 
Curculio  pini,  und  nun  hatte  der  große  braune  Rüsselkäfer  '  den  Namen 
Hylobius  abietis  zu  führen  und  der  kleine  braune  Rüsselkäfer  den  Namen 
Pissodes  pini,  beide  natürlich  mit  dem  Autornamen  der  Art,  also  L.  (Linne). 


1)  Neuerdings  wird  vielfach  auch  die  trinäre  Nomenklatur  angewendet, 
indem  die  Abarten  (Varietäten,  geographische  Rassen)  einfach  dem  Artnamen 
angefügt  werden,  z.  B.  Lucanus  cervus  capreolus  Fueßl.  Wir  werden  diesem 
Brauche  nicht  folgen,  sondern  die  Varietäten  durch  das  Zeichen  „var."  von  dem 
Artnamen  abtrennen,  und  also  in  obigem  Beispiel  schreiben  Lucanus  cervus  L.  var. 
capreolus  Fueßl. 


Die  Nomenklatur.  399 

In  solchen  Fällen,  wo  ein  Artname  unter  eine  andere  Gattung  gestellt  wird, 
wie  in  den  ebengenannten  Fällen,  wird  der  Autorname  neuerdings  vielfach 
auch  in  eine  Klammer  gesetzt;  also  Hylobius  abietis  (L.). 

Nicht  überall  liegen  die  Verhältnisse  so  einfach,  wie  hier.  Oft  ist  es 
sehr  schwierig,  aus  der  kui'zen  Beschreibung  zu  ersehen,  welches  Tier  der 
betr.  Autor  eigentlich  gemeint  hat.  Wenn  die  Originalexemplare  (die  sog. 
T3^pen)  noch  vorhanden  sind,  so  läßt  sich  darnach  noch  eine  bestimmte  Ent- 
scheidung treffen;  wo  die  Typen  jedoch  nicht  mehr  vorhanden  sind,  da  wird 
man  event.  überhaupt  zu  keiner  sicheren  Entscheidung  mehr  kommen  können, 
und  dann  beginnen  die  Zweifel  und  Unsicherheiten,  die  zu  Streitigkeiten  und 
Verwirrung  führen. 

Dazu  kommt  das  zweite  der  oben  genannten  Momente,  nämlich,  daß 
eine  und  dieselbe  Art  von  mehreren  Autoren  unter  verschiedenen  Namen  be- 
schrieben wurde.  Für  diese  Fälle  wurde  das  sog.  Prioritätsgesetz  auf- 
gestellt, das  auf  dem  6.  Internationalen  Zoologenkongreß  in  Bern  (im  Jahre 
1904)  folgende  Fassung  erhielt  (Art.  25  der  Internationalen  Regeln  der 
zoologischen  Nomenklatur): 

Gültiger  Name  einer  Gattung  oder  einer  Art  kann  nur  der  Name  sein, 
mit  dem  sie  zuerst  bezeichnet  worden  ist,  unter  der  Bedingung, 

a)  daß   dieser   Name    veröffentlicht   und   definiert   oder   angedeutet    worden 
ist,  und 

b)  daß  der  Autor  den  Grundsätzen  der  binären  Nomenklatur  folgte. 

Als  Datum  für  das  Inkrafttreten  des  Prioritätsgesetzes  wurde  das  Jahr 
1758  festgesetzt,  in  welchem  die  10.  Ausgabe  des  Linneschen  „Systema 
Naturae"  erschienen  ist. 

Wo  also  eine  Art  mehrmals  beschrieben  wurde,  ist  darnach  lediglich 
der  älteste  Name  zu  verwenden,  während  die  späteren  Namen  als  sog. 
Synonyme  darunter  gesetzt  werden,  z.  B.: 

Cerambyx  cerdo  L. 
Cerambyx  heros  Scopol,  oder 

Callidium  aeneum  Deg. 
Callidium  dilatatum  Payk, 

—  aurichalceum  Gmel., 

—  venosum  Eschsch., 

—  variabile  F. 

D.  h.  im  1.  Beispiel  ist  der  Name  Cerambyx  cerdo  L.  der  allein  gültige, 
C.  heros  Scop.  dagegen  S3'nonym;  und  im  2.  Beispiel  ist  Callidium  aeneum 
Deg.  der  allein  gültige  Name,  während  alle  übrigen  4  Synonyme  darstellen. 
Bei  vielen  Arten  ist  die  Zahl  der  Synonyme  noch  wesentlich  größer,  und 
wenn  man  die  vielbändigen  Katologe  der  verschiedenen  Insektenordnungen 
durchsieht,  so  wird  einem  bald  klar,  daß  weitaus  der  größte  Raum  von  den 
Synonymen  eingenommen  wird. 

Mit  dem  Prioritätsgesetz  glaubte  man,  eine  klare  Grundlage  für  die  zoolo- 
gische Nomenklatur  geschaffen  zu  haben  und  mit  Hilfe  desselben  in  einiger  Zeit 
zu  einer  einwandfreien,  für  alle  Zeiten  festgelegten  Namengebung  zu  gelangen. 
Die  Erfahrung  lehrte  uns  aber  das  Gegenteil.  Kaum  hatte  einer  geglaubt, 
den  ältesten  Namen    gefunden  zu  haben,    so  kam  schon  ein  anderer,    der  mit 


400         Kapitel  VIII.     Allgemeine  Übersicht  über  das  System  der  Insekten. 

einem  noch  älteren  Namen  aufwartete,  bis  auch  dieser  wieder  mit  einem  noch 
ehrwürdigeren  Namen  geschlagen  wurde  usw.  Die  Folge  davon  war,  daß 
man  in  jeder  neuen  Auflage  eines  Werkes  andere  Namen  vorfand.  Es  hat 
sich  mit  der  Zeit  die  Prioritätsjagd  zu  einer  Art  Sport  herausgebildet,  der 
manchem  als  Selbstzweck  und  der  Inbegriff  zoologischer  Weisheit  erschien. 
Diese  Prioritätsschnüffler  vergaßen  ganz,  daß  die  Nomenklatur  doch 
hauptsächlich  ein  Verständigungsmittel  darstellen  soll,  um  uns  auf 
bequeme  und  kurze  Weise  über  die  einzelnen  Tierformen  unterhalten  zu 
können;  ihnen  schien  die  Nomenklatur  vielmehr  dazu  geeignet,  möglichst 
schwierige  Rätselaufgaben  daraus  zu  bilden,  in  der  Meinung,  daß  der  wissen- 
schaftliche Zoologe  keine  größeren  Aufgaben  hat,  als  Rätsel  zu  lösen. 

Es  hat  denn  auch  in  der  letzten  Zeit  eine  starke  Bewegung  eingesetzt, 
dem  unvernünftigen  Treiben  der  extremen  Prioritätsjäger  ein  Ende  zu  bereiten, 
indem  man  wenigstens  die  Zulassung  von  Ausnahmen  von  dem  Gesetz  erstrebte. 
Was  hat  es  doch  für  einen  Zweck,  100  Jahr  alte  oder  noch  ältere  jedem 
geläufige  und  verständige  Namen  durch  neue  zu  ersetzen,  nur  weil  gefunden 
wurde,  daß  das  Tier  noch  einige  Jahre  früher  von  einem  anderen  (weniger  be- 
kannten) Autor  unter  einem  anderen  Namen  beschrieben  worden  war.  Die 
Hauptsache  ist  doch  eine  stabile  Nomenklatur.  Von  dieser  Überlegung  aus- 
gehend, hat  man  den  Vorschlag  gemacht,  daß  man  die  gebräuchhchsten  altein- 
gebürgerten Namen  von  dem  Prioritätsgesetz  unabhängig  machen  und  sie  als  ein 
für  allemal  feststehend  proklamieren  sollte,  gleichgültig,  ob  später  noch  ein  älterer 
Name  entdeckt  werde  oder  nicht.  Man  schlug  vor,  eine  Liste  solcher  außerhalb 
des  Gesetzes  stehender  Namen  aufstellen.  Es  wäre  dies  jedenfalls  ein  sehr  guter 
Ausweg  gewesen,  aus  der  großen  Nomenklaturkalamität  herauszukommen.  Es 
würde  auch  sicherlich  gelungen  sein,  sich  über  die  Arten,  die  eine  solche  Aus- 
nahmestellung genießen  sollten,  zu  einigen.  —  Leider  ging  jedoch  dieser  Vor- 
schlag auf  dem  letzten  Internationalen  Zoologenkongreß  in  Monaco  (1913) 
nicht  durch;  es  wurde  aber  wenigstens  so  viel  erreicht,  daß  nunmehr  Aus- 
nahmen zulässig  sind.  So  braucht  von  jetzt  ab  das  Prioritätsgesetz  keine 
Anwendung  zu  finden,  wenn  ein  Name  für  nur  eine  Gattung  50  Jahre  lang 
bis  1890  in  wissenschafdichen  Arbeiten,  Katalogen  u.  a.  gebraucht  worden 
ist;  und  ferner,  wenn  der  Name,  der  nach  dem  Prioritätsgesetz  der  älteste 
ist,  20  Jahre  keinen  Eingang  in  die  wissenschaftliche  Systematik  gefunden 
hat.  —  Zweifellos  wird  die  Bewegung  damit  noch  nicht  zu  Ende  sein;  vor 
allem  sollte  man  darauf  hinarbeiten,  daß  man  sich  doch  noch  zu  dem  obigen 
Ausweg  entschließen  möchte,  nämlich  Listen  von  Tiernamen  aufzustellen,  die 
als  absolut  unveränderlich  zu  gelten  haben.  Nur  damit  dürften  wir  allmählich 
zu  einer  einigermaßen  konstanten  und  übereinstimmenden  Nomenklatur, 
wenigstens  für  die  bekanntesten  und  wichtigsten,  in  unseren  Lehrbüchern 
stets  wiederkehrenden  Tierarten  gelangen. 

Was  unsere  Stellung  zur  Nomenklaturfrage  betrifft,  so  werden  wir  im 
Hinblick  darauf,  daß  das  Werk  für  die  Praxis  bestimmt  ist,  bestrebt  sein, 
so  weit  es  irgend  geht,  an  den  alt  eingebürgerten  Namen  festzuhalten,  vor 
allem  bezügl.  der  Artnamen.  Nur  wo  zwingende  Gründe,  z.  B.  Aufdeckung 
einer  irrtümlichen  Anwendung,    vorliegen,    werden  wir  uns  entschließen,  den 


Anhang.  401 

in  der  Praxis  geläufigen  Artnamen  durch  einen  neuen  zu  ersetzen.  Für  die 
Praxis  kommt  ja  der  Artname  auch  in  erster  Linie  in  Betracht,  da  wir 
vielfach  nur  ihn  zur  Bezeichnung  eines  Schädlings  heranziehen;  so  sprechen 
wir  z.  B.,  wenn  es  sich  um  Borkenkäfer  handelt,  allgemein  nur  vom  „typo- 
graphus^^  oder  „calcographiis^^.  oder  wo  es  sich  um  Kleinschmetterlinge 
handelt,  vom  „huoliana^''  oder  „resinella^^  usw.  —  Bezüglich  der  Gattungen 
werden  wir  den  Begriff  oft  weiter  fassen,  als  es  in  den  systematischen 
Spezialwerken  geschieht.  Jedenfalls  wollen  wir  die  auf  recht  geringen 
Unterschieden  beruhende  Genera-Aufteilung,  wie  sie  in  neuerer  Zeit  viel- 
fach geübt  wird,  und  die  mitunter  soweit  geht,  daß  beinahe  auf  jede  Art 
oder  jede  zweite  Art  eine  Gattung  kommt,  nicht  mitmachen.  Der  Gattungs- 
begriff, wie  er  in  diesem  der  Praxis  dienenden  Werke  zur  Anwendung 
kommt,  deckt  sich  in  manchen  Fällen  mit  dem  Begriff  der  Unterfamilie  oder 
sogar  auch  Familie  in  systematischen  Spezialwerken;  so  werden  wir  z.  B. 
für  alle  Lipariden,  die  in  den  Spezialwerken  in  eine  Reihe  verschiedener 
Gattungen  zerlegt  sind,  den  Gattungsnamen  „Liparis^'  gebrauchen  usw. 
Wir  werden  aber  stets  Sorge  tragen,  sowohl  bezügl.  der  Gattungen 
wie  der  Arten,  daß  auch  die  neuesten  Namen  —  gewöhnlich  in 
Klammern  —  beigefügt  werden  und  im  Register  zu  finden  sind,  da- 
mit auch  der  der  neuesten  Nomenklatur  und  S3'stematik  huldigende  Forscher 
sich  zurechtfinden  kann. 

Anhang. 
Anleitung  zur  Anlegung  einer  forstentomologischen  Sammlung. 
Nur  derjenige  wird  den  Aufgaben  der  Forstentomologie  vollkommen 
gerecht  werden  können,  der  sich  durch  praktische  Übung  einen  scharfen 
entomologischen  Blick  erworben  hat.  Am  besten  kann  dies  dadurch  er- 
reicht werden,  daß  der  Forstmann  sich  selbst  eine  forstentomologische 
Sammlung  anlegt.  Dabei  wird  sein  Interesse  für  die  Insekten  wachsen,  je 
vollkommener  die  Sammlung  ward.  Und  event.  kann  dabei  auch  eine  spezielle 
Insektengruppe  ihn  so  fesseln,  daß  er  dieselbe  zu  seinem  Spezialstudium 
wählt  und  er  so '  auch  an  der  Förderung  der  Wissenschaft  aktiven  Anteil 
nimmt.  Der  Fälle  sind  ja  nicht  wenig,  in  denen  praktische  Forstwirte  durch 
Bearbeitung  einer  Spezialgruppe  der  forstentomologischen  Wissenschaft 
wesentliche  Dienste  geleistet  haben. 

Das  Sammeln  von  Forstinsekten. 

Das  Sammeln  von  Insekten  läßt  sich  nicht  aus  Büchern  lernen,  es  ge- 
hört dazu  vor  allem  praktische  Erfahrung  und  Übung.  Am  schnellsten  und 
besten  wird  man  die  Sammelkunst  dadurch  sich  aneignen,  daß  man  mit  einem 
erfahrenen  Sammler  sich  in  Verbindung  setzt  und  möglichst  viel  Exkursionen 
mit  ihm  gemeinsam  macht.  Es  hat  daher  auch  nicht  viel  Zweck,  hier  jede 
einzelne  Sammeltätigkeit  bis  ins  Detail  zu  schildern;  es  dürfte  genügen, 
wenn  die  Hauptregeln,  die  beim  Sammeln  zu  beachten  sind,  hier  an- 
geführt werden. 

Zunächst  einige  Worte  über  die  Ausrüstung:  Wer  auf  eine  forst- 
entomologische Sammelexkursion  ausgeht,  hat  sich  mit  einer  Anzahl  von 
Ksclierich,  Forstinsekten.  26 


402         Kapitel  MII.     Allgemeine  Übersicht  über  das  System  der  Insekten. 


Sammelutensilien  zu  versehen,    von   denen    hauptsächlich   folgende  in  Be- 
tracht kommen: 
ein  Stemmeisen  mit  Hammer  I 

ein  kräftiges  Messer  \    zum  Herausarbeiten  der 

eine   Säge    (der    Bequemlichkeit    halber    eine    i  Rinden- und  Holzinsekten, 
zusammenklappbare)  ' 


Kig.  236.     Exhaustor.     Sammelglas  zum  schnellen  und  sicheren   Einsammeln  der  Insekten   aus  dem 
Klopfschirm,  ans  Fraßgängen  usw.    (Katalog  von  Winkler  A  Wagner,  Wien  XVill,  Dittesgasse  ii.) 


ein    Klopfschirm,     zum     Abklopfen 

lebenden  Insekten; 
ein  Insektenfangnetz,  zum  Fangen 
eine  Pinzette    |    zum    Ergreifen    und 
ein  Pinsel  ( 


Fig.  237.  Verschiedene  Tötungsgläser,  a  Tötungs- 
glas mit  zwei  flachen  Seiten  (zum  bequemen 
Einstecken)  zum  Töten  von  Insekten  mit  Äther  oder 
Schwefeldioxyd.  Das  Glas  ist  für  Käfer  usw.  mit 
groben  Sägespänen  oder  Papierschnitzel  oder  Holz- 
wolle etwa  zur  Hälfte  zu  füllen  Das  kleine  Röhrchen 
im  Kork  dient  zum  Einwerfen  kleiner  Insekten, 
fc  Tötungsglas  mit  Kugel.  Die  Kugel,  die  von 
außen  zugänglich  ist,  wird  mit  Watte  gefüllt,  auf  die 
Äther  getropft  wird.  Es  kann  auch  Zyankali  mit 
Gips  in  die  Kugel  gegossen  werden,  c  Präparaten- 
glas.   (Katalog  von  Winkler  &  Wagner.) 


der    auf    Bäumen    und    Sträuchern 

der  fliegenden  Insekten; 
Aufnehmen    kleiner    und    kleinster 
Insekten; 

(an  Stelle  der  Pinzette  und 
des  Pinsels  kann  auch  ein  sog, 
„Exhaustor"  [Fig.  236]  be- 
nutzt werden,  mit  dessen  Hilfe 
man  durch  Saugwirkung  die 
kleinen  Insekten  am  schnellsten, 
mühelosesten  und  sichersten 
aufnehmen  kann); 
verschiedene  Tötungsgläser 
(Fig.  237),  und  zwar:  einige 
zur  trockenen  Tötung  mit  Essig- 
äther, Z3^ankali  oder  Schwefel- 
dioxyd (für  empfindliche,  fein 
behaarte  Insekten  usw."),  zum 
Teil  mit  Fließpapierschnitzel 
o.  dgl.  gefüllt,  z.  T.  (Schmetter- 
linge) ohne  solche;  außer- 
dem eine  größere  Anzahl 
kleinerer,  möglichst  stark- 
wandiger  sog.  Präparatengläser 
mit  schwachem  Alkohol  (50  bis 
70<^/oj  gefüllt  (zur  Aufnahme 
weniger  empfindlicher  Käfer, 
Larven  usw.); 


Anhang.  403 

eine  Anzahl  leere  Präparatengläser   (zur   lebenden  Aufbewahrung  ge- 
sammelter Kleinschmetterlinge) ; 

eine  Anzahl  Insektennadeln; 

eine    Blechschachtel     mit    Torfeinlage     (zum    Einstecken     getöteter 
größerer  Schmetterlinge) ; 

einige  größere  und  kleinere  Blechschachteln  (Raupenschachteln); 

einige  größere  und  kleinere  Leinwandsäckchen; 

ein  ca.  1  qm  großes  Tuch. 
Um  alle  diese  Utensilien  unterzubringen,  bedient  man  sich  am  besten 
einer  Umhängetasche;  oder  man  läßt  sich  seine  Sammeljoppe  möglichst  weit 
machen  und  mit  so  viel  Taschen  versehen,  als  nur  irgend  angängig.  Es 
dürfte  sich  sehr  empfehlen,  die  gesamten  Ausrüstungsgegenstände  von  einer 
Spezialfirma  zu  beziehen,  da  man  dann  sicher  ist,  wirklich  brauchbare 
Utensilien  zu  einem  angemessenen  Preise  zu  erhalten. 

Als  eine  der  renommiertesten  Firmen  dieser  Branche  ist  zu  nennen:  W  i  n  k  1  e  r 
&  Wagner,  Naturhistorisches  Institut,  Wien  XVIII,  Dittesgasse  11,  die  alle  auf 
Entomologie  bezüglichen  Gerätschaften  in  bester  Konstruktion  und  Ausführung 
liefert.  Des  weiteren  kommen  in  Betracht:  E.  A.  Böttcher,  Berlin  C.  2,  Brüder- 
straße 15,  H.  K  r  e  y  e  in  Hannover,  W.  S  c  h  1  ü  t  e  r  in  Halle  a./Saale,  F.  O.  K  ö  n  i  g 
in  Erfurt,  Johannes-Str.  72. 

Begibt  man  sich  nun,  so  ausgerüstet  zum  Sammeln  in  den  Wald,  so 
wird  man  im  allgemeinen  auf  folgende  Punkte  sein  Augenmerk  zu  richten 
haben:  Abgestorbene,  absterbende,  gefällte  Stämme  mit  Bohrmehlhäufchen, 
gelockerter  Rinde  usw.  bieten  Aussicht  auf  Holz-  und  Rindeninsekten; 
man  hat  sie  daher  genau  zu  untersuchen,  indem  man  die  Rinde  losstößt  und 
event.  mit  Säge  und  Meißel  tiefer  in  das  Holz  eindringt.  Dasselbe  gilt  für 
abgestorbene  oder  abgefallene  Äste  und  Zweige,  ferner  für  Klafterholz  oder 
Stockholz  oder  Reisighaufen  usw.,  auch  für  scheinbar  gesunde  Stämme,  die 
Spechteinschläge  oder  Harzausflüsse  oder  Bohrmehl  zeigen.  Hat  man  nun 
die  Käfer  usw.  unter  der  Rinde  oder  im  Holz  bloßgelegt,  so  nimmt  man  sie 
mit  der  Pinzette  oder  dem  Pinsel  (oder  auch  mit  dem  Exhaustor)  auf  und 
bringt  sie  in  ein  Tötungsglas.  Handelt  es  sich  um  Borkenkäfer  oder  der- 
gleichen, so  kann  man  dieselben  in  eine  der  alkoholgefüllten  Präparatengläser 
geben,  zusammen  mit  den  event.  dabei  gefundenen  Larven  und  Puppen. 
Soll  auch  das  dazugehörige  Fraßstück  mitgenommen  werden  (am  besten  in 
kleinen  Säcken),  so  ist  in  das  betreffende  Gläschen  ein  kleiner  Papierzettel 
zu  geben,  auf  dem  mit  Bleistift  eine  Nummer  zu  schreiben  ist,  welche  mit 
der  Nummer  des  Fraßstückes  übereinstimmt.  Natürlich  sind  dann  keine 
weiteren  Insekten  in  das  betreffende  Gläschen  zu  bringen.  Sind  nur  Larven 
unter  der  Rinde  usw.  zu  finden  und  will  man  die  Artzugehörigkeit  der 
Larven  eruieren,  so  ist  das  betreffende  Aststück  usw.  nach  Hause  zu  trans- 
portieren, um  dort  die  Entwicklung  vollenden  zu  lassen  (siehe  unten). 

Des  weiteren  ist  auf  die  Veränderung  der  Blätter  oder  der  Nadeln 
zu  achten;  wo  diese  gelb  gefärbt  erscheinen  oder  Substanzverluste  (Löcher, 
Scharten,  Minen  usw.)  zeigen,  ist  der  Urheber  dieser  Erscheinung  zunächst 
auf  den  beschädigten  Blättern  und  Nadeln  zu  suchen.  Es  ist  dabei  event. 
Blatt  für  Blatt  auf  der  Ober-  und  Unterseite  genauestens  zu  untersuchen,  oder 

26* 


404         Kapitel  VIII.     Allgemeine  Übersicht  über  das  System  der  Insekten. 

aber  man  kann  auch  den  Klopfschirm  zu  Hilfe  nehmen  und  die  befallenen 
Äste  in  denselben  abklopfen.  Es  wird  dabei  natürlich  alles  mögliche  in  den 
Schirm  kommen;  doch  wird  der  einigermaßen  Vertraute  keine  großen  Schwierig- 
keiten haben,  die  verschiedenen  Insekten  mit  den  Blattbeschädigungen  in  den 
richtigen  Zusammenhang  zu  bringen.  Bei  dem  Sammeln  mit  Klopfschirm 
empfiehlt  es  sich,  für  die  verschiedenen  Baumarten  verschiedene  Tötungs- 
gläser zu  benützen,  so  daß  die  von  Fichten  oder  Kiefern  oder  Lärchen  usw. 
geklopften  Insekten  getrennt  werden. 

Ist  der  Urheber  der  Blattbeschädigung  nicht  mehr  auf  den  Blättern  selbst 
zu  finden,  so  ist  daran  zu  denken,  daß  seine  Fraßzeit  vielleicht  schon  vorüber 
und  er  in  ein  anderes  Entwicklungsstadium  eingetreten  ist.  So  kann  sich 
die  Raupe  bereits  in  die  Puppe  verwandelt  haben;  daher  sind  alle  für  die 
Verpuppung  in  Betracht  kommenden  Stellen  in  der  Umgebung  der  Beschädigung 
abzusuchen,  also  Astwinkel,  Rindenritzen  und  vor  allem  die  Bodendecke,  in 
der  ja  eine  ganze  Reihe  von  Insekten  sich  verpuppen.  Die  Entwicklung  des 
Schädlings  kann  aber  noch  weiter  gediehen  sein,  es  kann  bereits  der  Falter 
ausgekommen  und  dieser  zur  Eiablage  geschritten  sein.  Es  ist  daher  auch 
auf  die  eventuellen  Eigelege  an  den  Blättern,  Nadeln  oder  am  Stamm  zu  achten. 

Das  Vergilben  der  Nadeln  und  Welken  der  Blätter  deutet  oft  auch  — 
besonders  bei  jungen  Pflanzen  —  auf  Wurzelinsekten  hin.  Der  Verdacht 
auf  solche  wird  um  so  größer  sein,  wenn  an  dem  oberirdischen  Teil  der 
Pflanze  keine  Schädlinge  zu  finden  sind.  Um  der  eventuellen  Wurzelinsekten 
habhaft  zu  werden,  reißt  man  die  betreffenden  Pflänzchen  aus  und  untersucht 
die  Wurzeln  auf  die  event.  daran  sitzenden  Insekten.  Um  nichts  zu  über- 
sehen, klopft  man  die  Wurzeln  am   besten    auf   ein  ausgebreitetes  Tuch  aus. 

Ferner  ist  auch  auf  Wachstumshemmungen  oder  Deformationen  der 
Pflanzen  oder  Gallenbildungen  zu  achten.  In  den  meisten  Fällen  wird 
man  in  den  betreffenden  Pflanzenteilen,  soweit  sie  von  dem  Schädling  noch 
nicht  verlassen  sind,  Larven  finden.  Um  die  Imago  zu  erhalten,  wird  man 
daher  gut  tun,  die  deformierten  Teile  oder  die  Gallen,  soweit  es  möglich  ist, 
abzuschneiden  und  zu  Hause  in  ein  Zuchtglas  zu  bringen. 

Kommt  man  gerade  zu  der  Flugzeit  eines  Schädlings  in  den  Wald,  so 
tritt  das  Netz  in  Aktion,  mit  dem  die  an  den  Waldrändern  fliegenden  Klein- 
schmetterlinge oder  die  schwärmenden  Borkenkäfer  oder  Blattwespen  oder 
Ichneumonen  u.  dgl.  gefangen  werden. 

Um  Dämmerungs-  und  Nachtfalter  zu  erhalten,  kann  man  auch  besondere 
Lockmittel  anwenden,  von  denen  Licht  und  Köder  die  Hauptrolle  spielen. 
Zum  Lichtfang  bediene  man  sich  einer  möglichst  starken  Lichtquelle.  Am 
vorteilhaftesten  ist  eine  Azetylenlampe,  auf  einem  Stock  mit  kräftiger  spitzer 
Zwinge  befestigt,  so  daß  er  leicht  festgesteckt  werden  kann,  darunter  ein 
weißes  Tuch  ausgebreitet  und  ferner  ein  zweites  ebensolches  Tuch  in  einiger 
Entfernung  quer  zum  Lichtkegel  ausgespannt.  Von  Stunde  zu  Stunde  er- 
scheinen andere  Arten,  die,  wenn  sie  sich  auf  die  beleuchteten  Flächen  nieder- 
lassen oder  an  ihnen  entlang  schwirren,  mit  dem  Giftglas,  im  Fluge  aber  mit 
dem  Netz  gefangen  werden  können  (Spuler).  Der  Lichtfang  kann  kombiniert 
werden    mit   dem  Köderfang,    der   besonders    für  Eulen    und  Spanner  gute 


Anhang.  405 

Resultate  liefert.  Als  Grundlage  des  Köders  nimmt  man  ein  Gemisch  von 
gekochtem  Bier  (braunes  Landbier)  und  Sirup,  dieser  Masse  füge  man  warm 
Honig  in  kleinerer  Menge  (l  Eßlöffel  auf  ^U  1)  und  nach  dem  Erkalten  Amyl- 
nitrit  (Apfel-,  Birnenäther)  bei,  von  diesem  jedoch  nur  wenige  Tropfen.  Als 
Köderplätze  empfehlen  sich  vor  allem  nach  Süden  und  Westen  gelegene 
Waldränder  oder  Ränder  von  Lichtungen  und  freistehende  Bäume.  Man 
säubert  in  Brusthöhe  die  Rinde  an  einer  etwa  10  cm  breiten  und  10 — 20  cm 
hohen  Stelle  und  streicht  zunächst  einen  dicken  Köder  als  Grundlage  am 
späten  Nachmittag  auf.  Später  verwendet  man  zum  Nachstreichen  dünneren 
Köder,  dem  man  etwas  Glyzerin  (1  Eßlöffel  auf  1  I)  zufügen  kann,  damit  er 
länger  feucht  bleibt.  Die  Anstrichstellen  nehme  man  nicht  zu  dicht  beieinander 
und  beginne,  namentlich  im  ersten  Frühjahr  und  Herbst,  nicht  zu  spät.  —  Am 
besten  für  den  Licht-  und  Köderfang  sind  warme  Abende  bei  bedecktem 
Himmel.  Besonders  gierig  sind  die  Tiere  am  schwülen  Abend  vor  warmem 
Regen,  doch  auch  bei  leichtem  Regen  ist  der  Fang  lohnend.  Bei  kühler 
Temperatur,  Tau  oder  starkem  Winde  wird  sich  die  Mühe  nicht  lohnen 
(S  p  u  1  e  r). 

Eine  besonders  reiche  Ausbeute  endlich  wird  der  Sammler  da  machen, 
wo  zur  Bekämpfung  einer  Kalamität  Fangvorrichtungen  im  großen  angebracht 
sind.  So  kann  man  in  geleimten  Beständen  un!  er  den  Leimringen  die 
verschiedensten  Insekten,  deren  man  sonst  nur  schwer  habhaft  werden  kann, 
erbeuten;  ebenso  können  die  Fanggräben  oder  Fanggruben  ein  reiches 
Sammelresultat  ergeben. 

Die  Zucht  der  Insekten. 

Das  Sammeln  ist  zu  ergänzen  durch  die  Zucht.  Viele  für  den  Forst- 
mann wichtige  Insekten,  wie  z.  B.  die  Buprestiden,  sind  als  Imagines  draußen 
im  Walde  nur  selten  zu  finden,  während  man  sie  zur  Zucht  leicht  in  größerer 
Anzahl  erhalten  kann.  Ferner  sind  die  draußen  gefangenen  Insekten,  vor 
allem  Schmetterlinge,  häufig  bereits  stark  abgeflogen,  so  daß  sie  für  eine 
Sammlung  sich  nicht  mehr  eignen;  in  diesen  Fällen  wird  man  ebenfalls  durch 
Zucht  sich  in  den  Besitz  tadelloser  Exemplare  setzen  können.  Besonders 
wertvoll  ist  die  Zucht  für  das  Parasitenstudium;  ist  es  doch  größtenteils  nur 
auf  diesem  Wege  möglich,  über  die  Parasiten  eines  Schädlings  sich  Klarheit 
zu  verschaffen.  Die  Zucht  dient  aber  nicht  nur  zur  Bereicherung  der  Samm- 
lung und  der  Feststellung  der  Parasiten,  sondern  sie  gibt  uns  auch  Gelegenheit, 
mit  den  Lebensgewohnheiten  des  betreffenden  Insekts  uns  vertraut  zu  machen, 
biologische  Experimente  anzustellen,  indem  man  die  Raupen  usw.  bestimmten 
Bedingungen  aussetzt  und  deren  Wirkung  auf  jene  beobachtet  usw.  So  muß 
also  der  Forstentomologe  auch  mit  der  Praxis  der  Insektenzucht  vertraut  sein. 

Handelt  es  sich  um  Holz  oder  Rinden  bewohnende  Larven,  so 
bietet  deren  Zucht  keine  Schwierigkeiten.  Wenn  man  die  betreffenden 
larvenbesetzten  Ast-  oder  Stammstücke  einfach  in  einen  passenden  Behälter 
(aus  Glas,  Blech  usw.)  gibt  und  dafür  sorgt,  daß  sie  nicht  zu  sehr  austrocknen, 
so  werden  sich  die  Larven  gut  weiterentwickeln  und  Imagines  ergeben.  Man 
kann    die  Äste    usw.  auch   in    Säcken    einbinden    (Paul}');    es    empfiehlt   sich 


406         Kapitel  VIII.     Allgemeine  Übersicht  über  das  System  der  Insekten. 

aber  dann,  die  Enden  der  Stücke  mit  Paraffin  zu  überziehen,  um  die  zu 
schnelle  Verdunstung  hintanzuhalten.  Wenn  es  einem  nicht  darauf  ankommt, 
die  Zugehörigkeit  der  Imagines  zu  den  einzelnen  Fraßstücken  zu  ermitteln, 
sondern  es  lediglich  darauf  abgesehen  hat,  Imagines  für  die  Sammlung  zu 
erhalten,  so  braucht  man  die  einzelnen  Holz-  oder  Rindenstücke  nicht  zu 
sepai-ieren.  Man  kann  in  solchen  Fällen  alles  eingetragene  Material  in  einem 
gut  schließenden  kleinen  Zimmer  oder  einer  Kammer  unterbringen  und  braucht 
dann  nur  und  von  Zeit  zu  Zeit  die  Wände,  Fenster,  den  Boden  usw.  dieser 
sog.  „Käferkammer"  gründlich  abzusuchen,  um  eine  gute  Ausbeute  zu  machen. 

Raupen  und  Larven,  die  von  Blättern,  Nadeln  usw.  leben, 
müssen  in  besonderen  Zuchtkästen  untergebracht  werden.  Für  kleine  Raupen 
und  besonders  für  die  Aufzucht  aus  dem  Ei  kann  man  dazu  kleine  Einmach- 
gläser verwenden,  die  oben  mit  Gaze  zugebunden  werden;  für  größere 
Raupen  benützt  man  am  besten  Holzkästen,  deren  Seitenwände  und  Decke 
mit  Gaze,  am  vorteilhaftesten  mit  Drahtgaze,  bezogen  sind,  um  Luft  und  Licht 
möglichst  reichlich  Zutritt  zu  gewähren. 

Von  besonderer  Wichtigkeit  ist  bei  diesen  Aufzuchten  die  stete  Ver- 
sorgung mit  frischem  Futter.  Gewöhnlich  sucht  man  das  Futter  dadurch 
frisch  zu  erhalten,  daß  man  die  Zweige  usw.  der  Fraßpflanze  in  ein  kleines 
Gefäß  mit  Wasser  steckt.  Doch  hat  diese  Methode  einen  gewissen  Nachteil, 
indem  durch  die  reichliche  Aufnahme  von  Wasser  die  Nahrung  in  ihrer  Zu- 
sammensetzung wesentlich  verändert  wird.  Manche  in  den  Zuchtkästen  aus- 
brechenden Krankheiten  sind  vielleicht  diesem  Umstände  zuzuschreiben.  Es 
ist  daher,  wo  es  angängig  ist,  zu  empfehlen,  die  nötige  Frische  des  Futters 
durch  möglichst  häufiges  Wechseln  zu  erreichen  zu  suchen.  Erleichtert  kann 
diese  Arbeit  dadurch  werden,  daß  man  die  Zeit,  zu  der  die  betr.  Raupen  ihre 
Mahlzeiten  einzunehmen  pflegen  —  die  einen  Raupen  fressen  z.  B.  nur  des 
Nachts,  die  anderen  nur  in  den  Vormittagsstunden  usw.  —  feststellt;  dann 
braucht  man  ja  nur  dafür  zu  sorgen,  daß  zu  diesen  Zeiten  frisches  Futter 
vorhanden  ist. 

Ein  weiteres  wichtiges  Moment,  das  bei  den  Zuchten  zu  berücksichtigen 
ist,  ist  die  Reinlichkeit.  In  diesem  Punkte  kann  man  nicht  peinlich  genug 
sein.  Der  Kot,  faulende  Pflanzenteile  usw.  sind  stets  zu  entfernen.  Ferner 
ist  scharf  darauf  zu  achten,  ob  die  Raupen  Krankheitssymptome  zeigen  (Durch- 
fall, Freßunlust,  schlaffe  Haltung  usw.).  Ist  dies  der  Fall,  so  sind  die  Raupen 
sofort  in  andere  Kästen  überzuführen  und  zwar  die  gesunden  getrennt  von 
den  kranken,  während  der  alte  Kasten  gründlichst  zu  desinfizieren  ist  (durch 
Auspinseln  mit  Formalin). 

Wenn  die  Raupen  ausgewachsen  sind  und  zur  Verpuppung  schreiten 
wollen,  so  sind  sie  am  besten  in  einen  besonderen  Verpuppungskasten  zu 
bringen,  in  dem  alle  für  die  Verpuppung  in  Betracht  kommenden  Gelegen- 
heiten gegeben  sind,  also  Erde  zur  Verpuppung  im  Boden,  Torfabfälle,  Moos, 
Holzstückchen  usw. 

Bei  Raupen,  Puppen  usw.,  die  überwintern,  ist  dafür  zu  sorgen,  daß 
sie  in  ähnliche  Verhältnisse  wie  in  der  Natur  gebracht  werden.  Man  stellt 
daher  die  betreffenden  Kästen   zum    mindesten   in  ein   kaltes  Zimmer,  besser 


Anhang. 


407 


noch  direkt  ins  Freie  vor  das  Fenster  oder  auf  den  Balkon  o.  dgl.;  am  besten 
stellt  man  den  Käfig  in  den  Garten  und  nimmt  die  Decke  desselben  weg, 
so  daß  auch  der  Schnee  Zutritt  hat.  In  diesem  Falle  soll  aber  der  Boden 
des  Kastens  ebenfalls  aus  Drahtgaze  bestehen,  damit  das  Wasser  usw.  durch- 
laufen kann,  —  Bei  einer  Anzahl  von  Raupen  gelingt  es  allerdings,  auch  durch 
eine  geeignete  Behandlung  die  Überwinterungsperiode  ganz  auszuschalten, 
so  daß  die  Verpuppung  wesentlich  früher  als  in  der  Natur  stattfindet.  Bei 
diesem  sog.  Treiben  muß  man  jedoch  darauf  achten,  daß  die  Raupen  in 
feuchter  Wärme  (Treibhauswärme)  gehalten  werden;  außerdem  empfiehlt  es 
sich,  nur  solche  Raupen  zum  Treiben  zu  nehmen,  welche  noch  nicht  zur 
Winterruhe  sich  begeben  und  also  das  Fressen  noch  nicht  eingestellt  hatten. 


Fig.  238.    Aufzucht  von  großen  Raupeumassen  in  sog.  Fiske sehen  Raupenzuchtrahmen. 
Nach  Flske. 


Neuerdings  werden  vielfach  auch  offene  Zuchtkästen  (die  sog. 
„Fiskeschen  Raupenzuchtrahmen")  benützt.  Dieselben  bestehen  aus 
einem  ca.  10  cm  hohen  einfachen  Holzrahmen,  dessen  oberer  Rand  eine  nach 
innen  vorspringende  Leiste  trägt;  auf  der  Unterseite  dieser  Leiste  ist  Raupen- 
leim aufgetragen,  der  das  Entweichen  der  Raupen  verhindert.  Der  Boden 
des  Kastens  wird  durch  Stoff  gebildet,  der  an  den  unteren  Rändern  des 
Rahmens  festgenagelt  wird.  Die  Kästen  sind  also  oben  vollständig  offen, 
was  für  das  Gedeihen  der  Raupen,  für  die  Beobachtung,  den  Wechsel  des 
Futters  usw.  von  großem  Vorteil  ist.  Daß  der  Boden  von  Stoff  ist,  ermöglicht 
eine  rasche  Erneuerung  desselben,  was  die  Reinigung  der  Kästen  nach  an- 
steckenden Krankheiten  usw.  leicht  und  einfach  gestaltet.  Weitere  Vorteile 
der  Fiskeschen  Rahmen  liegen  in  der  Billigkeit  und  der  Raumersparnis; 
können  sie  doch  in  größerer  Zahl  mit  einigem  Zwischenraum  übereinander- 
gestellt  werden  (Fig.  238).  Sie  sind  daher  besonders  da  zu  empfehlen,  wo 
es  sich  um  die  Aufzucht  großer  Mengen  Raupen  handelt. 


408 


Kapitel  VIII.     Allgemeine  Übersicht  über  das  System  der  Insekten. 


Endlich  wäre  noch  die  „Beutelmethode"  zu  nennen,  die  darin  besteht, 
daß  man  die  aufzuziehenden  Raupen  draußen  in  einem  Gazebeutel  um  die 
Enden  eines  Zweiges  der  Futterpflanze  einbindet.  Natürlich  muß  die  be- 
treffende Stelle  gewechselt  werden,  sobald  die  Nadeln  oder  Blätter  abgefressen 
sind.  Die  Methode  hat  den  Vorteil,  daß  sie  wenig  Arbeit  erfordert  und  das 
Futter  in  vollkommen  natürlichem  Zustand  sich  befindet.  Andererseits  kann 
diese  Methode  nur  da  ausgeübt  werden,  wo  man  vor  dem  Eingreifen  unbe- 
rufener Hände  sicher  ist.     Auch  in  starken  Rauchgegenden  kann  die  Methode 

zu  Mißerfolgen  führen,  da  die 
Gaze  durch  den  Ruß  usw.  bald 
verstopft  wird,  und  dann  die 
Blätter  usw.  ihr  Chlorophyll 
mehr  oderweniger  verlieren. 

Besondere  Bedeutung  er- 
langt die  Zucht  für  das  Para- 
sitenstudium. Soll  dasselbe 
systematisch  betrieben  werden, 
so  kommt  es  darauf  an,  daß 
möglichst  alle  aus  einer  Raupen- 


^^^^0^             1           \[ 

BP'  / 

1 

1 

J 

1 

^ 

5 

Sx 

M 

,,. 

Fig.  239.    Großer  Parasitenkasten  mit  zahlreichen  Glas- 
tuben.   Aus  Es  eher  ich. 


zucht  usw.  auskommenden  Para- 
siten in  unsere  Hände  gelangen. 
Nun  weiß  aber  jeder,  der  sich 
mit  Parasitenzucht  abgegeben 
hat,  wie  mühsam  und  zeitraubend 
es  ist,  die  kleinen  Parasiten  aus 
den  gewöhnlichen  Gazekäfigen 
herauszufinden;  und  wo  es  sich 
gar  um  die  kleinsten  Formen 
der  Proktotrupiden  handelt, 
werden  dieselben  zum  großen 
Teil  überhaupt  nicht  entdeckt. 
Um  diese  Mißstände  zu  besei- 
tigen, benützt  man  besondere 
Parasitenkästen,  am  besten  die  sog.  kalifornischen  oder  amerikanischen 
Parasitenkästen.  Dieselben  stellen  Kästen  aus  Pappe  oder  Holz  dar,  in  deren 
Vorderwand  ein  oder  mehrere  Löcher  gebohrt  sind,  in  welche  Glastuben 
(Präparatengläser)  mit  dem  geschlossenen  Ende  nach  außen  gekehrt,  gesteckt 
sind.  Damit  die  Zylinder  möglichst  fest  in  den  Löchern  stecken,  wird  ein 
Konus  aus  aufgerollter  Pappe  zwischen  Zylinder  und  Lochrand  eingeschoben; 
so  kann  man  den  Durchmesser  des  Loches  durch  Verschiebung  des  Konus 
nach  innen  oder  außen  verkleinern  oder  vergrößern  und  damit  die  event. 
Größenunterschiede,  die  bei  den  Gläsern  immer  bestehen,  leicht  ausgleichen. 
Die  Größe  der  Kästen  ist  sehr  verschieden,  je  nach  dem  Material,  welches 
sie  aufzunehmen  haben:  wo  es  sich  um  Eiparasiten  handelt,  genügen  ganz 
kleine  Formen  von  etwa  5x15x10  cm;  sollen  aber  z.  B.  die  Parasiten  aus 
den  Winternestern  des  Goldafters  gezogen  werden,  so  nimmt  man  uanz  große 


Anhant 


409 


Kästen  von  ^/.,  oder  1  m  Höhe,    um    recht  viel  Nester  darin  unterbringen  zu 
können  (Fig.  239). 

Kommen  nun  in  solchen  Kästen  Parasiten  aus,  so  streben  diese  meistens 
dem  Licht  zu  und  begeben  sich  daher  in  die  Glastuben.  Man  braucht  also 
nur  die  letzteren  zu  revidieren,  um  die  Parasiten  zu  erhalten.  Dies  bedeutet 
nicht  nur  eine  große  Zeitersparnis,  sondern  auch  eine  weit  größere  Ge- 
nauigkeit der  Arbeit,  als  sie  bei  dem  alten  System  selbst  bei  äußerster 
Sorgfalt  möglich  war.  Denn  es  werden  hier  die  kleinsten  Formen  ebenso 
präzise  weggefangen  wie  die  größten.  Von  italienischen  Entomologen  sind  die 
amerikanischen  Kästen  etwas  modifiziert  worden,  indem  sie  die  Glastuben 
anstatt  an  der  Seite  an 
der  Decke  anbringen  (und 
zwar  in  größerer  Zahl). 
Diese  Modifikation  ist  da- 
rin wohl  begründet,  daß 
viele  Parasiten  die  Ge- 
wohnheit haben ,  zuerst 
nach  der  Decke  des  Zucht- 
kastens zu  streben. 

Nicht  alle  Parasiten, 
die  aus  den  Raupen  und 
Puppen  herauskommen, 
streben  dem  Licht  zu; 
manche  von  ihnen  sind 
im  Gegenteil  luzifug,  d.  h. 
begeben  sich  aus  dem  Licht 
in  die  Dunkelheit.  Dahin 
gehören  vor  allem  die 
Tachinenlarven,  die,  nach- 
dem sie  die  Wirtsraupe 
verlassen,  sich  im  Boden 
einbohren,  um  sich  da  zu 
verpuppen.  Diesen  Even- 
tualitäten ist  Rechnung" 
getragen  durch  kombi- 
nierte Kästen  (Fig.  240),  die  sowohl  für  die  lichtzustrebenden  als  für  die 
den  Boden  aufsuchenden  Formen  eingerichtet  sind.  Sie  sind  zu  diesem  Zweck 
durch  ein  Drahtgitter  in  eine  obere  und  untere  Abteilung  zerlegt,  deren  jede 
mit  Glastuben  versehen  ist;  die  Raupen  oder  Puppen  werden  in  der  oberen 
Abteilung  untergebracht,  von  wo  aus  die  Hymenopteren-Parasiten  in  die 
oberen  Glastuben  fliegen,  während  die  sich  ausbohrenden  Tachinenlarven 
durch  das  Gitter  fallen  und  durch  den  darunter  befindlichen  Trichter  in  die 
untere,  schräg  nach  unten  gerichtete  Tube  geleitet  werden.  So  kann  man  also 
in  den  kombinierten  Kästen  beide  Kategorien  von  Parasiten  (die  fliegenden 
lichtfreundlichen    und   die    lichtscheuen   Maden)   in    den   Glastuben   abfangen. 


Fig.  240.     Kombinierter  Parasitenzuchtkasten.     q  Glastubeu  für 

die  fliegenden,   dem  Licht  zustrebenden  Parasiten;   ef  Glastube 

zum  Auffangen  der  durch  das  Gitter  c  (welches  auf  dem  Rahmen 

b  liegt)  fallenden  Tachinenlarven.    Nach  Howard  u.  Fiske. 


410         Kapitel  VIII.     Allgemeine  Übersicht  über  das  System  der  Insekten. 

Die  Tachinenmaden    müs.scn  natürlich  möglichst  schnell  aus  den  Fanggläsern 
entfernt   und    in    die  Verpuppungsbehälter  gebracht  werden.^) 

Das  Präparieren  der  Insekten  und  Fraßstücke. 
Die   gesammelten    und    gezüchteten   Insekten    müssen,    soweit    sie    der 
Sammlung   einverleibt   werden    sollen,    präpariert   werden,    was    in   folgender 
Weise  zu  geschehen  hat: 

Die  getöteten  Imagines  werden  auf  Fließpapier  ausgebreitet,  von  den 
daran  haftenden  Schmutzteilchen  usw.  gereinigt  und  dann,  soweit  sie  nicht 
zu  klein  sind,  aufgespießt  („genadelt"),  wozu  man  sich  besonderer  Insekten- 
nadeln (am  besten  der  sog.  „Idealnadeln")  bedient,  die  von  den  obengenannten 
Firmen  zu  beziehen  sind,  und  in  verschiedenen  Stärken  (Nr.  0 — 4),  je  nach 
der  Größe  der  betreffenden  Insekten,  zur  Verwendung  kommen.  Die  Käfer, 
die  meisten  Wanzen  und  einige  Orthopteren  (z.  B.  Blattiden)  werden  durch 
die    rechte  Flügeldecke  (im   vorderen  Drittel)    aufgesteckt.     Bei    den    übrigen 

Insekten  (Schmetterlingen, 
H^anenopteren, Dipteren  usw.) 
wird  die  Nadel  durch  den 
Thorax  gestochen.  Die  mit 
^^r"-:'''"    ^^        '  j^f^  Flügeldecken  versehenen   In- 

-^^*  -^^  ^^^^  sekten  werden  im  allgemeinen 

mit  anliegenden  Flügeln  prä- 
pariert. Bei  den  Schmetter- 
lingen, bei  denen  ja  die  Haupt- 
FiR.  241.  Verstellbares  Spannbrett,  für  kleine  und  große  Zeichnung  auf  den  Flügeln  sich 
Schmetterlinge    verwendbar.       (Katalog    von    Winkler    &        befindet      werden    die    Flüo'el 

Wagner.)  r       i,  j  c 

auf      besonderen      „bpann- 

brettern"  (Fig.  241)  aus- 
gespannt und  in  dieser  Lage  getrocknet,  so  daß  sie  bei  der  Abnahme  vom 
Spannbrett  in  derselben  bleiben.  Bei  den  übrigen  Insekten  mit  häutigen 
Flügeln  genügt  es  im  allgemeinen,  die  Flügel  in  die  normale  Ruhelage  (mehr 
oder  weniger  schräg  abstehend)  zu  bringen;  doch  empfiehlt  es  sich  auch  bei 
diesen  Insekten,  wenigstens  einige  Individuen  nach  Art  der  Schmetterlinge 
aufzuspannen,  um  das  für  die  Bestimmung  oft  so  wichtige  Flügelgeäder  deut- 
lich sichtbar  zu  machen.  Bei  den  Käfern  beschränkt  sich  die  Präparation 
darauf,  daß  man  die  Beine  und  Fühler  möglichst  symmetrisch  anordnet  und 
sie  derart  an  den  Körper  anlegt,  daß  sie  nicht  sperrig  abstehen;  bei  Käfern 
mit  sehr  langen  Beinen  ist  es  zum  besseren  Schutz  der  Tarsen  vorzuziehen, 
die  Beine  gekreuzt  unter  den  Leib  zu  schieben.  Vielfach  bleiben  die  Extre- 
mitäten ohne  weiteres  in  der  Lage,  die  man  ihnen  gibt;  wo  dies  nicht  der 
Fall  ist,  steckt  man  die  zu  präparierenden  Käfer  usw.  auf  sog.  „Torfklötze" 
(d.  s.  ca.  4  cm  starke,  mit  weißem  Papier  überzogene  Torfplatten)  und  be- 
festigt die  einzelnen  Glieder  in    der   gewünschten  Lage    mit  Nadeln  (Tredl). 

1)  Für  diesen  Zweck  benutzt  man  gewöhnlich  engmaschige  Drahtzylinder  mit 
festem  Boden  und  abnehmbarem  Deckel,  die  bis  an  den  oberen  Rand  in  die  Erde 
eingegraben  werden. 


Anhang. 


411 


Soll  eine  Sammlung"  ein  schönes  Aussehen  bekommen,  so  ist  neben 
einer  möglichst  gleichmäßigen  Präparation  vor  allem  auch  darauf  zu  achten, 
daß  die  Insekten  in  ungefähr  gleicher  Höhe  auf  der  Nadel  stecken,  etwa  so 
hoch,  daß  ^/.^  der  Nadel  noch  über  dem  Insekt  herausragt. 

Handelt  es  sich  um  kleine  und  kleinste  Insekten,  so  können  dieselben 
nicht  ohne  weiteres  genadelt  werden,  da  man  dafür  zu  dünne  Nadeln  ver- 
wenden müßte,  die  bei  der  Normallänge  zu  wenig  Widerstand  beim  Ein- 
stecken usw.  bieten  und  daher  abbiegen  würden  usw.  Man  hilft  sich  in 
solchen  Fällen  damit,  daß  man  die  betr.  Insekten  nicht  direkt  auf  die  Nadel 
bringt,  sondern  auf  eine  an  der  Nadel  befestigte  Unterlage.  Für  kleine 
Käfer,  Wanzen  und  ähnliche  Insekten  benützt  man  einfach  ein  Karton- 
blättchen,  auf  welchem  man  das  Insekt  aufklebt.  Es  sind  verschiedene  Formen 
von  sog.  „Aufklebeplättchen"  im  Gebrauch.  Am  meisten  empfehlen  sich 
die  dreieckigen  Plättchen  (Fig.  242),  da  bei  denselben  die  Beine  und  der 
größte  Teil  der  Unterseite  sichtbar  bleiben,  besonders  wenn  das  Insekt  quer 


Ml 


Fig.  242.    Dreieckige  Aufklebe- 
plättchen für  Kleinkäfer  usw. 


Fig.  24.B.  Ein  auf  ein  dreieckiges 
Plättchen  aufgeklebter  Klein- 
käfer mit  Fundortetikette  (N.). 


Fig.  244.    Ein  vermittelst  einer 

Minutiennadel    auf  einem  Ho- 

luUderklötzchen   aufgestecktes 

Kleininsekt. 


aufgeklebt  wird,  wie  in  Fig.  243  zu  sehen  ist.  Die  Orientierung  hat  so  zu 
geschehen,  daß  die  Nadel  bei  vorwärtsgerichtetem  Tier  rechts  von  demselben 
zu  stecken  kommt,  damit  beim  Einstecken  mit  der  rechten  Hand  das  Tier 
von  der  Hand  unberührt  bleibt.  Als  Klebemittel  verwendet  man  einen  mög- 
lichst hellen  und  möglichst  wenig  spröden  Leim,  entweder  starkes  Gummi 
arabicum,  das  mit  1  ^Iq  Glyzerin  und  etwas  Zucker  versetzt  ist,  oder  Syndeti- 
kon (Fischleim).  —  Bei  den  Kleinschmetterlingen,  kleinen  Hymenopteren, 
Fliegen  usw.  anderen  zarten  Kleininsekten  benützt  man  feinen,  kurzen  Silber- 
draht (oder  noch  besser  sog.  Minutiennadeln),  mit  dem  die  Insekten  aufge- 
spießt und  dann  in  ein  auf  der  Insektennadel  befestigtes  Stück  Holundermark 
eingesteckt  werden  (Fig.  244).  Die  Kleinschmetterhnge  müssen  zuerst  ge- 
spannt werden,  wie  die  Großschmetterlinge,  um  die  Zeichnung  der  Flügel 
sichtbar  zu  machen.  Die  Silberdrahtmethode  kann  natürlich  auch  für  die 
anderen  Insekten  (Käfer  usw.)  angewandt  werden  und  stellt  zweifellos 
die  schönste  und  für  die  Bestimmung  zweckmäßigste  Präparationsmethode 
dar;  doch  beansprucht  sie  viel  mehr  Zeit  und  Geschicklichkeit  als  das  Auf- 
kleben, so  daß  man  im  allgemeinen  bei  solchen  Insekten,  die  das  Aufkleben 
ertragen,  diese  einfachere  Methode  anwenden  wird. 


412         Kapitel  VIII.     Allgemeine  Übersicht  über  das  System  der  Insekten. 

Ist  nun  ein  Insekt  genadelt  und  präpariert,  so  ist  unverzüglich  eine 
kleine  Etiquette  an  der  Nadel  anzubringen,  auf  welcher  Fangzeit,  Fundort 
und  sonstige  Bemerkungen  zu  notieren  sind.  Nur  in  dieser  Weise  sorgfältig 
etikettierte  Tiere  können  für  wissenschaftliche  Bearbeitungen  einen  Wert 
erlangen. 

Eine  forstentomologische  Sammlung  soll  neben  den  Imagines  womöglich 
auch  die  verschiedenen  Jugendzustände  der  Schädlinge  enthalten.  Ist 
es  doch  für  den  Forstmann  überaus  wichtig,  auch  die  Eier,  Larven  und 
Puppen  der  Forstschädlinge  genau  zu  kennen  und  zur  Vergleichung  in 
späteren  Fällen  aufzuheben.  Die  Eier  und  Puppen  werden  einfach  in  ein 
Tötungsglas    (am    besten  Zyankali)    gebracht    und    dann    langsam   getrocknet. 


Fig.  24.5.    Ausblaseapiiarat  mit  HandgebLibe    mit  vernickeltem  PiapaiiPiofen  samt  dickei  Kupferplatte, 
die  durch  eine  Spirituslampe  erhitzt  wiid     Das  Glast  ohi  mit  dem  Piapaiat  ist  auf  einem  Stativ  au- 
gebracht, so  daß  eine  Hand  freibleibt.    (Katalog  von  Winkler  &  AV  agner.) 

Um  das  Einschrumpfen  zu  verhindern  und  der  Luft  Zutritt  in  das  Innere  der 
Eier  und  Puppen  zu  verschaffen,  werden  die  betr.  Objekte  mit  einer  feinen 
Nadel  angestochen;  größere  Objekte  bedürfen  natürlich  mehrerer  Stiche  als 
kleine.  Die  schönsten  Eierpiäparate  erhält  man,  wenn  man  solche  Eier  ver- 
wendet, die  kurz  vor  dem  Ausschlüpfen  stehen,  da  in  diese  bereits  ein  größeres 
Luftquantum  eingetreten  ist. 

Weit  umständlicher  als  die  Präparation  der  Eier  und  Puppen  gestaltet 
sich  die  Präparation  der  Larven,  die  in  zweierlei  verschiedener  Weise  ge- 
schehen kann,  entweder  durch  Aufblasen  oder  Härten.  Die  erstere  Methode 
wird  hauptsächlich  für  Schmetterlingsraupen  und  Afterraupen  angewandt, 
außerdem  zuweilen  auch  für  andere  kräftiger  chitinisierte  größere  Insekten- 
larven, die  letztere  vor  allem  für  die  weißen,  weichen  farblosen  Larven  und 
Puppen  (Pupae  liberae)  der  Käfer  Hymenopteren,  Dipteren  usw. 

Beim  Aufblasen  der  Raupen  wird  folgendermaßen  verfahren:  Die 
Raupe   wird  in   einem  Glas  oder   unter  der  Glasglocke    mit   einigen  Tropfen 


Anhang.  413 

Äther  betäubt;  dann  legt  man  sie  zwischen  weiches  Fließpapier  und 
streift  mit  einem  runden  Stabe  von  vorn  nach  hinten  darüberwalzend  den 
Inhalt  der  Raupe  langsam  durch  den  After  aus,  wobei  sich  früher  oder  später 
der  Enddarm  nach  außen  stülpt.  Bei  größeren  Raupen  muß  das  Papier  mehr- 
mals erneuert  werden,  bis  der  Raupeninhalt  völlig  entleert  ist.  Zu  starkes 
Drücken  vermeide  man,  da  sonst  die  Haut  verletzt  wird  oder  die  Haare  aus- 
gehen. Ist  der  Balg  vollständig  leer,  so  wird  in  die  Afteröffnung  ein  passender 
Grasstengel  gesteckt,  von  denen  man  4 — 5  Größen  vorrätig  haben  muß;  an 
diesen  Stengel  wird  die  Raupe  mit  einer  abgezwickten  feinen  Nadelspitze 
oder  einem  Klebstoff  befestigt  und  nun  wird  durch  denselben  Luft  einge- 
blasen, während  man  die  Raupe  gleichzeitig  über  eine  erhitzte  Metallplatte 
oder  in  einen  erhitzten  Glaszylinder  hält.  Es  gibt  auch  komplette  Ausblase- 
apparate (Fig.  245),  bei  denen  die  Raupen  anstatt  auf  einen  Grasstengel  auf 
eine  dünn  ausgezogene  Glasröhre  gesteckt  und  mit  einer  besonderen  Halte- 
vorrichtung festgehalten  werden,  während  sie  mit  einem  Handgebläse  aufge- 
blasen werden,  oder  sogar  mit  einem  Gebläse  mit  Fußbetrieb,  welch  letztere 
Einrichtung  den  Vorteil  hat,  daß  man  die  beiden  Hände  frei  hat  und  mit 
Hilfe  derselben  der  Raupe  die  gewünschte  Form  geben  kann.  Beim  Blasen 
ist  zu  beachten,  daß  zu  starkes  Blasen  den  Balg  zu  sehr  ausdehnt  und  da- 
durch der  Raupe  eine  unnatürliche  Form  gibt.  Das  Einblasen  ist  so  lange  fort- 
zusetzen, bis  der  Balg  vollkommen  trocken  ist.  Das  gute  Präparieren  der 
Raupen  erfordert  große  Übung  und  Erfahrung.  Die  ausgeblasenen  Raupen 
werden  entweder  an  einem  Halm,  der  in  den  After  gesteckt  ist,  befestigt 
und  daran  genadelt,  oder  aber  auf  präparierte  Fraßpflanzen  geklebt.  Grüne 
Raupen  verlieren  ihre  natürliche  Färbung  durch  das  Ausblasen  meist  so  sehr, 
daß  man  sie  künstlich  auffärben  muß. 

Was  die  andere  Methode,  die  Härtung  der  Larven,  betrifft,  so  ge- 
schieht dieselbe  nach  dem  in  Zoologenkreisen  allbekannten  Semp ersehen 
Verfahren  zur  Herstellung  anatomischer  Trockenpräparate.  Scheidter  gibt 
für  die  Präparation  der  Larven  folgende  Vorschriften: 

L  Die  Larven  werden  zunächst  in  Wasser  gekocht,  und  zwar  werden 
ganz  kleine  Larven  am  besten  lebend  in  ein  Glas  gegeben  und  mit  sprudelndem 
Wasser  überbrüht  und  in  diesem  dann  bis  zum  Erkalten  stehen  gelassen; 
größere  Larven  (1  cm)  bringt  man  in  ein  Reagenzglas  mit  kaltem  Wasser 
und  erhitzt  dieses  auf  einer  Flamme  bis  zum  Kochen ;  ist  dies  erreicht,  so 
entfernt  man  sie  von  der  Flamme.  Ganz  große  Larven  (Engerlinge  usw.) 
läßt  man  1 — 2  Minuten  kochen.  Beim  Kochen  werden  die  Larven  oft  stark 
aufgetrieben,  was  man  dadurch  wieder  gut  machen  kann,  daß  man  an  wenig 
sichtbaren  Stellen,  am  besten  zwischen  den  Segmenten,  einige  Nadelstiche 
macht.  Die  Puppen  jeder  Größe  werden  am  besten  nur  mit  siedendem  Wasser 
überbrüht  und  in  diesem  stehen  gelassen;  wenn  man  sie  siedet,  so  spreizen 
sie  ihre  Flügel  in  unnatürlicher  Weise  vom  Körper.  Zweck  des  Abkochens 
ist  hauptsächlich,  die  Eiweißstoffe  zum  Gerinnen  zu  bringen.  Ist  das  Wasser 
erkaltet,  so  wird  es  möglichst  vollständig  abgegossen  und  sodann  werden  die 
Larven  und  Puppen  dem  Härtungsprozeß  unterworfen.  Sie  werden  zu 
diesem  Zweck 


414         Kapitel  VIII.     Allgemeine  Übersicht  über  das  System  der  Insekten 

2.  zunächst  in  70°/oigen,  dann  in  80°/oigen  und  90°/oigen  und  schließUch 
in  sog.  absoluten  Alkohol  gebracht,  um  das  in  ihnen  enthaltene  Wasser  zu 
entfernen.  In  jeder  dieser  Flüssigkeiten  verbleiben  sie  dann,  je  nach  der 
Größe,  1 — 3  Wochen;  namentlich  im  absoluten  Alkohol  sollten  sie  möglichst 
lange  bleiben,  wobei  derselbe  event.  mehrmals  zu  wechseln  ist.  Um  möglichst 
alles  in  der  Larve  und  im  absoluten  Alkohol  enthaltene  Wasser  heraus- 
zubekommen, kann  man  dem  letzteren  in  einem  dichten  Leinensäckchen 
kalziniertes  Kupfervitriol  beigeben,  das,  sobald  es  bläulich,  d.  h.  wasserhaltig 
geworden  ist,  durch  ein  neues  zu  ersetzen  ist.  Um  den  Alkohol  besser  in 
die  Larve  usw.  eindringen  zu  lassen,  empfiehlt  es  sich,  einige  ganz  feine 
Schnitte  an  wenig  bemerkbaren  Stellen  des  Larvenkörpers  anzubringen. 

3.  Nach  der  Alkoholbehandlung  kommen  die  Larven  und  Puppen  in 
Xylol,  und  zwar  werden  sie  dahin  ganz  allmählich  übergeführt,  indem  man 
sie  zuerst  in  eine  Mischung  von  -/g  absol.  Alkohol  und  ^/g  Xylol,  dann  in 
eine  Mischung  von  ^/g  absol.  Alkohol  und  '■^/g  Xylol  und  schließlich  in  reines 
Xylol  bringt.  In  jeder  dieser  Flüssigkeiten  bleiben  sie  wiederum  1 — 3  Wochen, 
je  nach  der  Größe  der  Objekte.  Hauptsächlich  sind  sie  in  reinem  Xylol  ge- 
nügend lange  zu  lassen. 

4.  In  gleicher  allmählicher  Weise  werden  sie  nun  in  Terpentin  über- 
geführt, wieder  zuerst  in  eine  Mischung  von  -/g  Xylol  und  ^/g  Terpentin  und 
dann  in  V3  Xylol  und  ^/g  Terpentin  und  schließlich  in  reines  Terpentin. 
Verbleiben  hierin  wie  vorher.  Im  allgemeinen  sollen  sie  im  Xylol  wie  im 
Terpentin  so  lange  bleiben,  bis  sie  fast  durchsichtig  geworden  sind. 

5.  Hierauf  werden  sie  aus  dem  Terpentin  herausgenommen  und  auf 
einem  reinen  Löschblatt  langsam  getrocknet.  Zu  rasches  Trocknen, 
namentlich  auf  einem  warmen  Ofen,  ist  meist  nachteilig,  da  dadurch  eine 
große  Anzahl  der  Larven  einschrumpft.  Am  besten  bedeckt  man  die  zu 
trocknenden  Larven  mit  einem  zweiten  Löschblatt  oder  einer  Glasglocke  usw., 
um  ein  Verstauben  derselben  zu  verhindern.  Das  Trocknen  dauert  nun 
wieder,  je  nach  der  Größe,  bis  zu  8  Tagen. 

Die  so  präparierten  Larven  usw.  können  nun  in  die  Sammlung  gesteckt 
werden.  Grosse  Larven  und  Puppen  werden  wie  Käfer  usw.  mit  einer  In- 
sektennadel ungefähr  in  halber  Länge  und  je  nach  der  Gestalt  und  Form  der 
Larven  entweder  von  der  Seite  her  (so  namentlich  bauchwärts  gekrümmte 
Larven)  oder  vom  Rücken  her  vorsichtig  durchstochen.  Kleinere  Larven 
und  Puppen  werden  auf  Klebeplättchen  aufgeklebt  wie  die  kleinen  Käfer  usw. 
Nur  benutzt  man  hierzu  rechteckige  Plättchen,  und  zwar  wo  es  sich  um  weiße 
Larven  handelt,  schwarze,  auf  denen  sich  die  weißen  Larven  gut  abheben. 
Man  kann  die  gehärteten  Larven  und  Puppen  auch  in  den  Fraßstücken  in 
ihrer  natürlichen  Lage  befestigen  und  damit  schöne  biologische  Präparate 
herstellen. 

Die  hier  beschriebene  Härtungsmethode  erscheint  auf  den  ersten  Blick 
etwas  umständlich;  in  Wirklichkeit  macht  sie  jedoch  nur  ganz  wenig  Arbeit 
und  erfordert  eigentlich  nur  Zeit.^)     Sie  hat  aber  den  großen  Vorteil,  daß  sie 


1)   Ein   wesentlich   kürzeres   Verfahren   empfiehlt    Deegener:    Die    Larven 
und  Puppen  werden  V2 — 1  Minute  gekocht,   nachdem   sie  chloroformiert   in  kaltes 


Anhang. 


415 


einmal  die  natürliche  Form  der  Larven  und  Puppen  gar  nicht  verändert,  und 
sodann  ermöglicht,  daß  eine  beliebig  große  Zahl  von  Larven  usw.  auf  einmal 
präpariert  werden  können.  Am  besten  richtet  man  sich  gleich  einen  größeren 
Vorrat  der  notwendigen  Mischungen  zurecht,  die  natürlich  entsprechend  zu 
etikettieren  sind.  Die  zu  präparierenden  Larven  usw.  werden  in  ein 
Präparatenglas  gebracht  und  dann  die  Flüssigkeiten  der  Reihe  nach  hinzu- 
gegossen, nachdem  die  vorhergehende  immer  abgeschüttet  wurde.  Die  Zeit, 
zu  welcher  die  Flüssigkeiten  gewechselt  werden,  ist  stets  genau  zu  notieren. 
Man  kann  in  ein  Glas  gleichzeitig  3 — 4  verschiedene  Larvenarten  usw. 
bringen,  vorausgesetzt,  daß  sich  dieselben  leicht  voneinander  unterscheiden 
lassen  (z.  B.  die  Larven  von  Borken-,  Blatt-,  Bock-  und  Laufkäfern). 
(Scheidter.) 

Von  besonderem  Werte  für  den  Forstmann  sind  ferner  die  Fraß- 
stücke. Sind  sie  es 
doch  vielfach,  an  denen 
man  den  Schädling 
ohne  weiteres  erkennen 
kann.  Es  sind  daher 
auch  die  Fraßstücke  zu 
sammeln  und  zu  Ver- 
gleichszwecken aufzu- 
bewahren. Handelt  es 
sich  um  befressene 
Blätter,  so  werden  die- 
selben genau  so  präpa- 
riert wie  für  das  He- 
barium.  Umfangreiche 
frische  Pflanzenteile  wie 
auch  Blattgallen  usw. 
kann  man  durch  Trock- 
nen in  heißem  Sande 
in   ihren   natürlichen   Formen   erhalten 


p 

^- 

««-«s— i»ta«^..... 

i- 

& 

Fig.  246.    Fraßstück  von  Sirex,  in  Scheiben  geschnitten  und  buch- 
förmig  montiert.    (Tharandter  Sammlung.) 


wenn  man    es   nicht  vorzieht,    sie  in 


Wasser  gebracht  worden  sind.  Man  achte  aber  bei  den  Larven,  vor  allem  Raupen 
darauf,  daß  sie  vor  der  Behandlung  nicht  längere  Zeit  gehungert  haben,  weil  sonst 
häufig  später  Schrumpfungen  auftreten,  welche  das  Präparat  verderben.  Nachdem 
das  Wasser  erkaltet  ist,  werden  die  Tiere  je  24  Stunden  in  folgenden  Flüssigkeiten 
belassen:  40  »/o  Alkohol,  60%  Alkohol,  90%  Alkohol,  absolutem  Alkohol,  Alkohol- 
Xylol  (zu  geichen  Teilen),  Xylol.  Die  dem  Xylol  entnommenen  Objekte  werden 
am  besten  auf  Fließpapier  im  Thermostaten  getrocknet  und  dann  genadelt.  In 
vielen  Fällen  erhalten  sich  die  Farben  sehr  gut  (Rhopalocera  z.  T.,  Bombyciden, 
Geometriden,  viele  Noctuiden  und  Mikrolepidopteren).  Da,  wo  sie  verblassen  oder 
verloren  gehen,  muß  man  eine  nachträgliche  Färbung  vornehmen.  Bei  empfind- 
lichen grünen  Eulenraupen  kann  man  event.  dadurch  ganz  gute  Resultate  erzielen, 
daß  man  den  einzelnen  Alkoholstufen  eine  ziemlich  starke,  durch  Auskochen  von 
Blättern  gewonnene  alkoholische  Chlorophyllösung  zusetzt  (P.  Schulze).  Die 
D  e  e  g  e  n  e  r  sehe  Methode  ist  mir  aus  eigener  Erfahrung  nicht  bekannt,  so  daß 
ich  nicht  sagen  kann,  ob  die  damit  erzielten  Resultate  denen  der  S  e  m  p  e  r  sehen 
Methode,  nach  der  bisher  im  hiesigen  Institut  die  Trockenpräparate  hergestellt 
wurden,  völlig  gleichkommen. 


416         Kapitel  VIII.     Allgemeine  Übersicht  über  das  System  der  Insekten. 

Flüssigkeiten  (Alkohol  oder  Formalin)  aufzubewahren.  Fraßgänge  in  Holz 
und  Rinde  bereiten  die  wenigsten  Schwierigkeiten.  Man  hat  hauptsächlich 
darauf  zu  sehen,  daß  die  Fraßstücke  handlich  zugeschnitten  und  größere 
dünne  Rindenstücke  zwischen  Brettern  flach  gepreßt  werden.  Sind  die  Gänge 
tief  im  Holz  verborgen,  so  werden  geschickt  gelegte  Längs-  und  Querschnitte, 
sowie  glücklich  gesprungene  Spaltstücke  häufig  das  Fraßbild  deudich  er- 
kennen lassen.  Gehen  die  Gänge  durch  den  ganzen  Querschnitt  des 
Stammes,  so  kann  man  das  betr.  Stammstück  in  eine  größere  Anzahl  Längs- 
scheiben zerlegen,  die  auf  der  einen  Seite  mit  Bändern  zusammengehalten 
werden,  so  daß  man  die  Scheiben  wie  Blätter  eines  Buches  aufschlagen  kann 
(Fig.  246). 

Erfahrungsgemäß  unterliegen  die  Fraßstücke  mit  der  Zeit  den  Angriffen 
verschiedener  Schadinsekten.  Namentlich  berindete  Nadelholzstücke  werden 
durch  die  Larven  von  Anobium  molk  L.  gründlichst  zerstört,  und  die  Laub- 
hölzer, obgleich  weniger  gefährdet,  sind  den  Angriffen  von  Bockkäfern,  z.  B. 
von  Hylotrupes  bajulus  /..,  Callidium  violaceum  L.  und  variabile  L.  aus- 
gesetzt. Es  empfiehlt  sich  daher,  die  Fraßstücke  vor  der  Einverleibung 
in  die  Sammlung  zu  vergiften,  was  am  einfachsten  dadurch  geschieht, 
daß  man  die  Stücke  gründlich  mit  einer  nicht  zu  starken  Lösung  von 
arseniksauerem  Natron  bepinselt;  kleinere  Stücke  kann  man  auch  eine 
Zeidang  darin  liegen  lassen.  Vor  der  Vergiftung  streicht  man  die  Stücke 
am  besten  mit  Spiritus  an,  damit  das  Konservierungsmittel  leichter  einzieht. 
Die  Arseniklösung  ist  so  zu  verdünnen,  daß  ein  auf  eine  schwarze  Unterlage 
gebrachter  Tropfen  beim  Trocknen  keinen  nennenswerten  weißen  Fleck  hinter- 
läßt. Zu  beachten  ist  bei  dieser  Methode,  daß  arseniksaueres  Natron  ein  starkes 
Gift  und  zugleich  eine  Lauge  ist,  so  daß  also  Vorsicht  bei  der  Ausführung 
der  Vergiftung  anzuwenden  ist.  Neben  dem  arseniksaueren  Natron  wird  auch 
Chlorzink  als  Präventivmittel  verwendet,  und  zwar  in  gesättigter  alkoholischer 
Lösung;  in  diesem  Fall  ist  natürlich  das  Vorstreichen  mit  Spiritus  nicht 
notwendig. 

Die  Bestimmung  der  Forstinsekten. 

Von  jedem  praktischen  Forstmann  muß  vorausgesetzt  werden,  daß  er 
so  weit  naturwissenschaftlich  vorgebildet  ist,  daß  er  von  einem  Insekt  weiß, 
in  welche  Ordnung  oder  Ordnungsgruppe  es  gehört,  d.  h.  daß  er  einen 
Käfer  von  einer  Wanze  oder  einem  Schmetterling  usw.  zu  unterscheiden  ver- 
mag; und  ferner,  daß  er  wenigstens  bei  den  wichtigsten  Ordnungen  auch 
annähernd  die  Familie  erkennt,  der  ein  als  Schädling  auftretendes  Insekt 
zuzurechnen  ist.  So  dürfte  es  kaum  einen  Forstmann  geben,  der  einen 
Rüsselkäfer  oder  Borkenkäfer  oder  Bockkäfer  nicht  gleich  als  solchen  an- 
sprechen würde.  Es  ist  daher  meistens  unnötig,  daß  beim  Bestimmen  eines 
erbeuteten  Insektes  ganz  von  vorne  angefangen  wird,  und  erst  die  Ordnungs- 
gruppe, dann  die  Ordnung  und  Familie  festgestellt  wird,  um  dann  endlich 
erst  die  Gattung  und  Art  zu  eruieren,  sondern  die  Bestimmung-  kann  viel- 
mehr gewöhnlich  gleich  bei  der  Familie  oder  Gattung  einsetzen.  Nehmen 
wir  an,  ein  Forstmann  findet  einen  Borkenkäfer,  so  wird  er  gleich  zur 
Familie    der  Borkenkäfer   sich  wenden  und  dort  die  Gattung   und  Art  zu  be- 


Anhang.  417 

stimmen  suchen.  Ist  er  schon  etwas  bewanderter,  so  wird  er  auch  bereits 
wissen,  ob  es  sich  um  einen  Hylesinen  oder  Ipinen  usw.  handelt  und  kann 
dementsprechend  gleich  bei  dieser  Unterfamilie  mit  der  Bestimmung  be- 
ginnen. 

In  den  speziellen  Bänden  dieses  Werkes  werden  alle  Insekten,  welche 
in  unseren  Waldungen  als  forstlich  beachtenswert  auftreten,  in  syste- 
matischer Reihenfolge  behandelt  und  so  gekennzeichnet  werden,  daß  sie 
darnach  sicher  bestimmt  werden,  können.  Wo  es  sich  um  größere  Familien 
und  Gattungen  handelt,  werden  zunächst  die  Gattungen  resp.  die  Arten  in 
Form  von  dichotomischen  Tabellen  dargestellt,  mit  deren  Hilfe  man  ehestens 
zum  Ziele  gelangen  kann.  Wo  die  Unterscheidung  besonders  schwierig  ist, 
werden  die  Unterschiede  außerdem  noch  in  eingehendster  Weise  expliziert 
und  event.  durch  Zeichnungen  klar  gemacht  werden,  so  daß  jeder  zu  einer 
sicheren  Erkennung  gelangen  kann. 

Größere  Schwierigkeiten  bietet  mitunter  die  Bestimmung  der  Larven 
dar,  ja  in  vielen  Fällen  ist  dieselbe  überhaupt  nicht  mit  Sicherheit  aus- 
zuführen. So  sind  wir  heute  bei  den  wenigsten  Ichneumonidenlarven, 
Tachinenmaden,  Rüsselkäferlarven  usw.  imstande,  nach  den  morphologischen 
Merkmalen  allein  die  Altzugehörigkeit  festzustellen.  Zweifellos  existieren 
zwischen  den  Larven  der  einzelnen  Ichneumonen  usw.  Unterschiede  wie  bei 
den  Imagines;  sie  müssen  aber  erst  durch  eingehendstes  Studium  fest- 
gestellt werden. 

Große  Bedeutung  können  in  solchen  Fällen,  wie  überhaupt  für  die 
Bestimmung  eines  Forstinsekts,  die  Fraßstücke  erlangen.  Sind  doch  die  Fraß- 
spuren vieler  Forstinsekten  so  charakteristisch,  daß  man  an  ihnen  allein  ohne 
weiteres  den  Urheber  erkennen  kann.  Jedenfalls  lassen  sich  dieselben  zur 
Unterstützung  der  Bestimmung  eines  Insektes  in  vielen  Fällen  ausgezeichnet 
verwenden,  da  doch  oft  die  Unterschiede  in  der  Fraßfigur  wesentlich  auf- 
fallender sind,  als  die  Unterschiede  der  betreffenden  Insekten  selber.  Ich 
brauche  nur  an  den  großen  und  kleinen  Waldgärtner  zu  erinnern,  die  als 
Imagines  gar  nicht  leicht  zu  unterscheiden  sind,  während  die  Fraßbilder  der 
beiden  gänzlich  voneinander  abweichen.  Auch  schon  die  Berücksichtigung 
der  Fraßpflanze  allein  kann  bei  der  Bestimmung  große  Dienste  leisten  und 
manchen  Zweifel  beheben.  So  stehen  also  dem  Forstentomologen  verschiedene 
Mittel  zur  Verfügung,  die  ihm  zur  richtigen  Bestimmung  eines  Insekts  ver- 
helfen können. 

Der  Anlage  dieses  Werkes  entsprechend,  das  speziell  die  forstlich 
beachtenswerten  Insekten  behandelt,  darf  man  natürlich  nicht  erwarten,  jedes 
überhaupt  im  Walde  gefangene  Insekt  darnach  bestimmen  zu  können.  Denn 
eine  große  Anzahl  von  im  Walde  lebenden  Insekten  ist  forstlich  bedeutungslos 
und  daher  in  diesem  Werke  nicht  berücksichtigt.  Will  man  solche  Insekten 
bestimmen,  so  muß  man  eben  zu  Spezialwerken  greifen,  an  denen  ja  — 
wenigstens  für  die  wichtigsten  Ordnungen  wie  die  Käfer  und  Schmetterlinge 
—  kein  Mangel  ist  (siehe  Literatur:  Werke  zur  Bestimmung  mitteleuropäischer 
Insekten). 

Kscherich,  Foi-stinsekteu  27 


418         Kapitel  VIII.     Allgemeine  Übersicht  über  das  System  der  Insekten. 

Wo  es  sich  nicht  um  große  Insekten  mit  sehr  auffallenden  Merkmalen 
handelt,  wird  man  sich  zur  Bestimmung  einer  Lupe  bedienen  müssen,  deren 
Stärke  (Vergrößerung)  sich  nach  der  Größe  des  Objektes,  resp.  der  zur  Unter- 
scheidung herangezogenen  Merkmale  zu  richten  hat.  Im  allgemeinen  genügen 
die  bekannten  Einschlaglupen  mit  zwei  oder  drei  verschieden  starken  Linsen, 
die  einzeln  oder  kombiniert  verwendet  werden  können. 

Eine  große  Auswahl  von  Lupen  findet  sich  in  dem  Katalog  von  W  i  n  k  1  e  r 
&  Wagner  in  Wien  (siehe  S.  401),  von  denen  hier  nur  einige  Typen  genannt 
seien:  für  die  einfachsten  Ansprüche  kann  genügen  die  „Große  Taschen- 
lupe in  Hornfassun  g",  mit  3  bikonvexen  Linsen  im  Durchmesser  von  30  mm, 
je  5  fach,  zusammen  15  fach  vergrößernd  (Preis  5  Kr.);  etwas  mehr  leistet  die 
„Doppel-Einschlaglupe  mit  Schildpattschalen"  (Fig.  247  A)  mit 
2  je  5  fach  vergrößernden  Bikonvexlinsen  und  einem  Konvexlinsensystem  mit 
20  f acher  Vergrößerung  (Preis  8  Kr.);  bedeutend  klarere  und  differenziertere  Bilder 
ergeben  die  „Apianatischen  Linsen  nach   Steinhei  1",   die  in  verschie- 


A  B 

Fig.  247.     Lupen  zum  Insektenbestimmen.     A  Doppel-Einschlaglupe  mit  Schildpattsehalen  mit  2   je 

.'ifach  vergrößernden  Bikonvex-Linsen   und  einem  Konvexlinsensystem  mit  20faclier  Vergrößerung; 

B   Doppel- Einschlaglupe    mit    einem    15 fach    vergrößernden   Aplanaten   nach   Steinheil    und    einer 

achromatischen  Lupe  mit  SOfacher  Vergrößerung. 


dener  Vergrößerung  (10-,  15-  und  25  fach)  geliefert  werden  (Preis  15  Kr.).  Für  die 
meisten  Fälle  ausreichend  wird  die  „D  o  p  p  e  1  e  i  n  s  c  h  1  a  g  1  u  p  e"  (Fig.  247,  B) 
sein,  die  mit  einem  großen  15  fach  vergrößernden  Aplanaten  nach  S  t  e  i  n  h  e  i  1  und 
einer  achromatischen  Lupe  mit  30  facher  Vergrößerung  versehen  ist  (Preis  30  Kr.). 
Ganz  vorzügliche  Lupen  liefern  auch  die  bekannten  Mikroskopfirmen  E.  L  e  i  t  z 
in  Wetzlar  und  C.  Z  e  i  ß  in  Jena.  Die  letztere  Firma  hat  vor  einigen  lahren  speziell 
für  entomologische  Zwecke  eine  Doppeleinschlaglupe  in  den  Handel  gebracht,  die 
in  optischer  Hinsicht  unübertroffen  dasteht.  Sie  ist  ausgestattet  mit  einer  10-  und 
einer  27  fach  vergrößernden  Lupe,  die  ein  astigmatisch  vollständig  korrigiertes  Seh- 
feld besitzt.  Jedem,  der  sich  eingehender  mit  entomologischen  Studien  befassen 
will,  sei  die  Anschaffung  dieser  Zeiß-Lupe  aufs  dringendste  empfohlen.  Der  schein- 
bar etwas  höhere  Preis  (42  M.)  wird  durch  die  glänzende  optische  Leistung  der 
Gläser  mehr  wie  ausgeglichen. 

Wo  es  sich  um  ganz  kleine  Objekte  und  sehr  schwierig  festzustellende 
Unterschiede  handelt,  wie  z.  B.  um  die  Fühlergliederzahl  winziger  Käfer  oder 
um  feinste  Skulpturverhältnisse  der  Flügeldecken  usw.,  wird  man  event.  zum 
Mikroskop  greifen  müssen,  wozu  im  allgemeinen  die  in  der  Fleischbeschau 
gebräuchhchen  hinreichend  sind.  Wer  die  Kosten  nicht  zu  scheuen  braucht 
und  sich  in  den  Besitz  des  besten  optischen  Hilfsmittels,  das  für  Bestimmungs- 
zwecke   existiert,    setzen   will,    der    möge    sich    ein   sog.    Binokulannikroskop 


Anhang.  419 

anschaffen,  welches  ein  vollkommen  plastisches  Sehen  ermöglicht.  Für 
entomologische  Institute,  die  viel  mit  Bestimmungen  zu  tun  haben,  gehört 
ein  Binokularmikroskop  zum  unentbehrlichen  Instrumentarium,  zumal  es  auch 
zur  Herstellung  anatomischer  Präparate  von  kleinen  Insekten  vorzügliche 
Dienste  leistet  (betr.  Bezugsquellen  für  Mikroskope  siehe  die  ebengenannten 
Firmen). 

Aufbewahrung  und  Einordnung  der  präparierten  Insekten. 
Sind  die  gesammelten  Insekten  präpariert,  etikettiert  und  bestimmt,  so 
sind  sie  in  gutschließenden  Kästen  aufzubewahren.  Man  verwendet  hierzu 
am  besten  besondere  „Insektenkästen"  aus  Holz,  die  mit  einem  abnehm- 
baren Glasdeckel  vei  sehen  sind.  Der  Boden  der  Kästen  ist  mit  Insektentorf 
ausgelegt,  der  mit  einem  möglichst  glatten  Papier  überzogen  ist.  Vor  allem 
sehe  man  auf  einen  gutgearbeiteten  Deckelverschluß  mit  Nut  und 
Feder;  nur  dadurch  kann  man  seine  Sammlung  vor  der  Zerstörung  durch 
Schadinsekten  schützen.  Die  Insektenkästen  werden  von  den  auf  S.  401  ge- 
nannten Firmen  in  der  verschiedensten  Ausführung  und  den  verschiedensten 
Größen  geliefert;  als  gangbarste  Größe  sei  empfohlen  30x40x6. 

Zu  einer  guten  Erhaltung  der  Sammlung  gehört  ferner,  daß  die  Kästen 
an  einem  trockenen  Ort  aufbewahrt  und  nicht  zu  sehr  dem  Licht  ausgesetzt 
werden.  Denn  Feuchtigkeit  führt  zur  Verschimmlung  der  Insekten  und  Licht 
bleicht  die  Farben  aus.  Das  Aufhängen  der  Sammlung  an  der  Wand  (als 
Wandschmuck)  ist  daher  zu  vermeiden;  es  müßte  denn  sein,  daß  über  die 
Glasscheibe  ein  dunkler  Vorhang  gezogen  wird.  Als  Präventivmittel  gegen 
Schadinsekten  kann  man  stark  riechende  Substanzen  in  den  Kasten  bringen. 
Am  meisten  verwendet  wird  hierzu  Naphthalin,  das  man  entweder  lose  in  den 
Kasten  streuen  kann  oder  in  Form  von  Naphthalinkugeln  einsteckt.  Es  sei 
aber  betont,  daß  das  Naphthalin  keineswegs  einen  absoluten  Schutz  gegen 
das  Eindringen  von  Schadinsekten  bedeutet  und  der  Hauptschutz  stets  in  dem 
guten  Verschluß  zu  erblicken  ist.  —  Sind  Schadinsekten  bereits  in  einer 
Sammlung  vorhanden,  so  sind  die  befallenen  Kästen  zu  desinfizieren;  weitaus 
am  besten  eignet  sich  hierzu  der  Schwefelkohlenstoff,  durch  den  weder  die 
Insekten  noch  die  Nadeln  Schaden  leiden. 

Aber  nicht  nur  unter  Schadinsekten,  sondern  auch  unter  verschiedenen 
anderen  Einflüssen  haben  die  Insektensammlungen  zu  leiden.  Oben  ist  schon 
des  Schimmels  Erwähnung  getan,  der  an  feuchten  Orten  viel  Unheil  anrichten 
kann.  Eine  weitere  unangenehme  Erscheinung  ist  das  Öligwerden,  dem 
eine  ganze  Anzahl  Insekten  in  besonderem  Maße  ausgesetzt  sind  und  durch 
welches  das  Aussehen  der  Insekten  stark  beeinflusst  wird.  Glücklicherweise 
hat  man  Mittel,  die  ölig  gewordenen  Insekten  zu  entfetten:  man  benutzt  dazu 
Benzin,  Chloroform  oder  Äther  oder  auch  ein  Gemisch  davon,  und  zwar  in 
der  Weise,  daß  man  die  betr.  Insekten  einige  Zeit  (^/o — 2  Tage)  in  die 
Flüssigkeit  steckt. 

Was  die  Einordnung  der  Sammlung  betrifft,  so  soll  jeder  Entomologe 
darnach  streben,  eine  möglichst  große  Übersichtlichkeit,  Gleichmäßigkeit  und 
Sauberkeit    zu    erreichen.      Je    sauberer,    übersichtlicher    und    schöner    eine 

27* 


420         Kapitel  VIII.     Allgemeine  Übersicht  über  das  System  der  Insekten. 

Sammlung  eingeordnet  ist,  desto  mehr  Freude  wird  sie  dem  Sammler  machen, 
und  desto  mehr  wird  sie  sein  Interesse  erwecken.  Wo  es  sich  um  eine  rein 
systematische  Sammlung  handelt,  achte  man  darauf,  daß  die  Insekten  in  ge- 
raden Reihen  gesteckt  werden  —  man  kann  zu  diesem  Zweck  Fäden  spannen, 
oder  aber  schwach  karriertes  Papier  zum  Überziehen  des  Torfbodens  be- 
nutzen ■ —  ferner,  daß  zwischen  den  einzelnen  Arten  ein  gleichmäßiger 
Zwischenraum  eingehalten  wird,  daß  die  Familien-,  Gattungs-  und  Artetiketten 
sich  durch  verschiedene  Größe  und  Ausstattung  (verschieden  starke  Um- 
randung) auszeichnen,  und  daß  dieselben  so  angebracht  sind,  daß  die  Schrift 
von  den  Insekten  möglichst  wenig  verdeckt  wird.  —  Wo  es  sich  um  eine 
biologische  Sammlung   handelt,   in  der  nicht  nur  die  Iniagines,    sondern  auch 


Fig.  248.    Beispiel  für  die  Einordnung  einer  biologischen  Saimulung.    Jjauljholz-HJattwespen. 
(Tharandter  Sammlung.) 

die  Entwicklungsstadien,  Fraßstücke  usw.  enthalten  sind  —  Forstentomologen 
sollten  sich  vor  allem  eine  solche  Sammlung  anlegen  — ,  da  ist  natürlich  die 
Ordnung  in  Reihen  nicht  immer  durchführbar.  Doch  sollte  man  auch  in 
diesen  Fällen  sich  Mühe  geben,  durch  geschickte  gruppenweise  Anordnung 
der  zusammengehörenden  Insekten  und  Fraßstücke  usw.  die  Übersichdichkeit 
zu  wahren  und  der  Sammlung  zugleich  ein  schönes  Aussehen  zu  geben 
(Fig.  248).     Es  gehört  hierzu  allerdings  ein  gewisser  künstlerischer  Sinn. 


Literatur. 


s    System    der   Insekten    und    Nomenklatur. 

Systematik    der    Hexapoden.      Zoolog.   Anzeiger    XXVII.    Bd. 


D 

B  ö  r  n  e  r ,   C,    Zur 

1906,  S.  511  ff. 
Brauer,    Fr.,   Systematisch-zoologische   Studien.      Sitzun 

der  Wissensch.  XCI.  Bd.,   I.  Abt.  (Maiheft),  1885 
Escherich,  K.,  Insekten. 


sber.    der    Kais.    Akad. 


-.  _  .  ._..,  ^-.,  .iibeKieii.     Handbuch  der  Naturwissenschaften  Bd.  V,  S.  501  ff . 

Handlirsch,  A.,  Die  fossilen  Insekten  und  die  Phylogenie  der  rezenten  Formen. 
Handbuch.     Leipzig  1906—1908. 


Literatur.  421 

Prell,  H.,  Aiianierentoma  und  Holomerentoma,  eine  neue  Einteilung  der  Hcxa- 
poden.     Zoolog.  Anzeiger  XXXIX.   Bd.,  1912,  S.  357—365. 

Regles  internationales  de  la  Nomenclature  zoologique,  adoptees  par  les  Congres 
internationaux  de  Zoologie.  (Internationale  Regeln  der  zoologischen  Nomen- 
klatur.)    Paris  (F.  R.  de  Rudeval)  1905. 

Präparation   usw. 

Deegener,  P.,  Über  die  Konservierung  von  Insektenlarven  und  -puppen  für 
Sammlungen.     Zoolog.  Anzeiger  XL.   Bd.,   1912,  S.  29  ff. 

Friese,  H.,  Neue  Zeiß-Lupen.  Allgem.  Zeitschrift  für  Entomologie  Bd.  8,  1903, 
S.  267. 

Mühl,  Raupen  und  Schmetterlinge.     Stuttgart  1908. 

—  Larven  und  Käfer.  Praktische  Anleitung  zum  Sammeln,  Züchten  und  Präpa- 
rieren.    Stuttgart  1909. 

Scheidtcr,  Fr.,  Trockenpräparation  von  Larven  und  Puppen.  Entom.  Blätter, 
IV.  Bd.,  1908,  S.  61—64. 

Tredl,  R  u  d.,  und  Curti,  M.,  Normalpräparation  von  Käfern.  Entom.  Blätter, 
IV.  Jahrgang,  1908,  S.  121—128. 

Bestimmungs  werke    für    die    verschiedenen    Insekte  n- 
ordnungen. 

C  a  1  w  e  r  -  S  c  h  a  u  f  u  ß,  Käferbuch,  Naturgeschichte  der  Käfer  Europas.  6.  Aufl. 
Mit  48  farbigen  Tafeln.     Stuttgart  1913."  (Anfängern   sehr   zu   empfehlen.) 

Enslin,  E.,  Die  Tenthredinoidea  Mitteleuropas.  Deutsche  Entom.  Zeitschrift 
1912.     (Noch  nicht  vollendet.) 

Fieber,  Fr.  X.,  Die  europäischen  Hemipteren.     Wien  1861. 

Hof  mann,  E.,  Die  Raupen  der  Großschmetterlinge  Europas.  Stuttgart  1893. 
(Mit  zahlreichen  bunten  Tafeln.) 

Houard,  C,  Les  Zooceidies  des  Plantes  d'Europe.     2  Bände.     Paris  1908., 

Lampert,  R.,  Die  Großschmetterlinge  Deutschlands.  Stuttgart.  (Mit  zahl- 
reichen bunten  Tafeln.) 

Lindinger,  L.,  Die  Schildläuse  (Coccidae).     Stuttgart  1912. 

Melichar,  L.,  Cicadinen  von  Mitteleuropa.     Berlin  1896. 

R  a  t  z  e  b  u  r  g,  J.  T  h.  C  h.,  Die  Ichneumonen  der  Forstinsekten.     Berlin  1844 — 1852. 

Reitter,  Ed.,  Fauna  germanica.  Die  Käfer.  Stuttgart.  (Mit  zahlreichen 
bunten  Tafeln.) 

Rübsaamen,  Ew.  H.,  Die  Zoocecidien.  I.  Bd.  Stuttgart  1911.  Ein  groß  an- 
gelegtes, mit  zahlreichen  bunten  Tafeln  ausgestattetes  Werk.  (Im  Erscheinen 
begriffen.) 

Sc  hin  er,  J.  R.,  Fauna  austriaca.     Die  Fliegen  (Dipteren).     2  Bände.     Wien  1862. 

S  c  h  1  e  c  h  t  e  n  d  a  1 ,  D.  H.  R.  v  o  n ,  Die  Gallenbildungen  (Zoozedien)  der  deutschen 
Gefäßpflanzen.     Zwickau  1891. 

Schmiedeknecht,  O.,  Die   Hymenopteren  Mitteleuropas.     Jena   19Ö7. 

Seidlitz,  G.,  Fauna  baltica.    Die  Käfer.     (Ohne  Abbildungen.)    Königsberg  1891. 

Spuler,  Arnold,  Die  Schmetterlinge  Europas.  3.  Bd.  Stuttgart  1908.  (Mit 
zahlreichen  bunten  Tafeln.) 

Tümpel,  R.,  Die  Geradeflügler  Mitteleuropas.  Eisenach  1901.  (Mit  zahlreichen 
bunten  Tafeln.) 


Namenregister. ') 


Adler  lü5. 
Adolph  35. 

Altum,  B.  221  225  226  229 
230  232  304  314. 

B. 

Bachnietjew,  P.  81  82  83* 

84  85   114   174   185  223 

304. 
Baer,  W.  209*  228  230  234 

270*  271  286  287  290  304. 
Bali  265  285  286  290. 
Balbiani  297. 
Ballowitz,  E.  119  184. 
Bary,  A.  de  268*  272  278* 

281*  290. 
Bauer,  A.  54  114. 
Beck,  R.  390. 
Bejerinck  206  207. 
Bengtsson,  S.  288  290. 
Berger,  E.  W.  287  290. 
Berlepsch,  H.  v.  231  390. 
Berlese,  A.  11  14*  15*37* 

40*  41*   48  51*  52*  53* 

54  77*88*112*114139*. 
Berner,  P.  390. 
Bernhard,  C.  121  184. 
Biedermann,  W.  69  114. 
Blanc,  G.  R.  294. 
Blochmann  117*. 
Blunck,  H.  120*  184. 
Blüthgen  287. 
Boas,  J.  C.  131*  304. 
Bocchia,  J.  293  305. 
Bolle,  J.  288  290  293  297 

302  303  305  348. 
Bongardt  87  88  115. 
Bordas  112*. 
Borgmann,  W.  218  315 fl. 

320. 
Börner,  C.  30  32  48  127* 

156  160  184  185  394  420. 


Borries,  H.  226  304. 
Böttcher,  E.  A.  403. 
Brandt  140*. 
Brauer,  Fr.  74*  118*  152* 

394  420. 
Brefeld,  O.  261*  264*  285 

290. 
Brongniart  135*. 
Buckton  257. 
Buchner,  P.  274  290. 
Bugnion  7. 

Burgess,  A.  F.  141  304. 
Burmeister  112*. 
Bütschli.  O.  11. 


Calwer-Schaufuss  421. 
Chamisso,  v.  286. 
Chapmann,  W.  302,  305. 
Chernel,  v.  232. 
Chesire  292. 
Cheyne  292. 
Claus-Grobben  11  44*. 
CobeUi  61. 
Cohn,  F.  286  290. 
Comstock  35*  36  48. 
Conte,  A.  288  291. 
Crisp  226  304. 
Cuenot  86. 
Cunit  374  375. 
Curti.  M.  421. 


D. 

Dalla  Torre  304. 
Danysz,  J.  290. 
Decoppet  360  390. 
Deegener,    P.    69   98    114 
142  150  185  414  415  421. 
Delacroix  279  288  291. 
Demandl,  C.  115. 
Demoll,  R.  103*  115. 


D'Herelle,  F.  294  305  349 

391. 
Döderlein  44  48. 
Doflein,  Fr.  48  295*  296* 

297  305. 
Dolles  391. 
Dufour,  J.  288  290. 
Dzierzon  124  125. 


E. 

Eckstein,  K.  201*  221  245 
257*  258  286  290  347 
354  362*  363*  365*  367* 
368  369*  372*  379  382* 
383  384  389. 

Eggers,  Fr.  98  115. 

Emerton  154*. 

Emery  47*. 

Engler-Prantl  289. 

Enslin,  F.  421. 

Ermisch,  H.  370. 

Escherich,  K.  29*  48  112 
115  139*  142  173  184 
185  220  2.38  247  251* 
270*  271  274  287  290 
299  300  301*  302  303 
304  305  320  343*  348 
355*  356*  368  378*  391 
408*  420. 

Everth,  A.  356. 


F. 

Fabre,  J.  158*  185. 
Fabricius  398. 
Fawcett,  H.  S.  290. 
Fieber,  Fr.  X.  421. 
Fischer,  E.  302  305  348. 
Fiske,  W.  F.  239  241  248 
249  251*  304  407*  409*. 
Fitzhenry-Guptill  358. 
Folsom,  J.  W.  48  91. 


^)  Auf  den   mit  *  versehenen  Seiten  finden   sich  die  Namen   unter  den  dort 
befindlichen  Abbildungen. 


Namenregister. 


423 


Forel,  A.  90  93  115  254. 
Frank,  A.  288  290. 
Friese,  H.  421. 
Fron,  G.  282  290. 
Fuchs,  G.  174  185. 
Fulmek  353  357  391. 


Gaita,  v.  60*. 
Ganglbauer  27'*'. 
Gegenbaur  32. 
Gehe  352. 
Germar  398. 

Giard,  A.  280  284  288  290. 
Glaser,  R.  W.  302  305. 
Goehlers  Witwe  357. 
Goette,  A.  9  11  121*. 
Göldi,  E.  A.  193  220. 
Gorka,  S.  68  114. 
Graber,  V.  48  60  97*  104. 
Grohmann  256  365  391. 
Groß,  J.  48  117  119  184. 
Gvozdenovic,  Fr.  286  290. 

H. 

Haenel,  K.  391. 
Handlirsch,  A.  11  394  396 

420. 
Hartig,    R.   210    212*   216 

218  221  274  285  290. 
Harz  288. 
Hatschek  73*. 
Hauser  94*. 
Heider  139*  140*  184. 
Heidrich  304. 
Heinze,  K.  304. 
Henking  117*. 
Henneguy,   L.  F.  48  122* 

135*  149*. 
Hennicke,  C.  R.  391. 
Hennicke-Naumann  304. 
Hennings,  C.  170  171  172 

173  174  185. 
Herpig  252. 

Hertwig,  R.  11  20*  71*  104. 
Heß,  R.  221  391. 
Hesse,  R.  22  35  48  56  57 

58    59    60  69  76  95  96 

98  99*  102  114  115. 
Heymons,  R.  9  11  12  48 

115  119  139  141  142 

152*  154  156  158  159* 

160  184  185. 
Hiesemann,  M.  391. 
Hochreuter,  R.  115. 
Hoffmann,  P.  370. 


Hofmann,  O.  346  391. 
Hof  mann,  E.  421. 
Holder  357  358. 
Hollrung,  M.  351  391. 
Hopkins  337. 
Houard,  C.  205  421. 
Houlbert,  C.  48. 
Howard,    L.    O.    239    248 
250  251*  304  338  409*. 
Huber  191. 

J. 

Janet,  Ch.  78*  114. 
Janke,  M.  372  373. 
Johnas,  W.  115. 
Tonescu,  C.  N.  90*  115. 
Jordan,  H.   22  49  70  114 

226. 
Judeich,  J.  F.  387. 

K. 

Kahlbaum  352. 
Kahle,  W.  128  184. 
Kaltenbach,  J.  H.  213  221. 
Keller,  C.  256  257  258  304. 
Kerner    v.    Marilaun    207 

221. 
Kieffer  166*. 
Kihlmann  273. 
Kirchner,  O.  188  220. 
Kleine  286  291. 
Klöck  348  349  391. 
Knoche,    E.   109*  115  142 

170  173  174  177  182  184 

185  223  302  304  305. 
Kochi,  C.  48. 
Koebele  337. 
Kolbe,  H.  J.  26*  37*  48. 
König,  F.  O.  403. 
Korscheit   139*  140*  151* 

184. 
Krähe  362. 
Krasan  212. 
Krassilistschik,   J.  M.  290 

302. 
Kreye,  H.  403. 
Kunckel  d'Herculais  135* 

149*  159. 
Küster,  E.  205  206  207  221. 


Lakon,  G.  2.58  ff . 
Lampert,  C.  421. 
Landois,  H.  61  114. 
Lang  74*  89*  107*. 
Lecaillon  136*. 


Leger  259. 

Leisewitz,    W.    146*    185 

235  304. 
Leitz,  E.  418. 
Leuckart  68  117*. 
Leydig  92*. 
Lichtenstein  84. 
Lindau,  G.  271*  279*  286 

290. 
Linden,  M.  v.  175  185. 
Lindinger,  L.  421. 
Lindner,  P.  274  290. 
Link,  J.  A.  304. 
Linne  188  398. 
Loos,  K.  304. 
Lyonet  54  144. 

M. 

Maaßen  274  297  298  305. 
Mamelle,  Th.  361  391. 
Marchai,  P.  128  129  184 

345  391. 
Marey  57*. 

Marzocchi,  v.  302  305. 
Mc.  Attee  184. 
Meinert  164*. 
Melichar,  L.  421. 
Merk  352  356. 
Metzger,  A.  175  305. 
Miall,  L.  C.  48  163*. 
Middeldorpf  286. 
Miyajima,  M.  299  300  301* 

302  305. 
Möller,  L.  360. 
Mordwilko  84. 
Moser,  W.  G.  316. 
Moult,  le  288  290. 
Mühl  419. 
Müller,  J.  101. 
Müller,  G.  W.  148*  185. 
Müller,  P.  390. 

N. 

Nagel  70. 

Needham  35*  36  48. 

Nees  von  Esenbeck  281*. 

Neger,  Fr.  191  273. 

Neumeister  369. 

Newport  80. 

Nielsen,  J.  C.  251  253  305. 

Nitsche,  H.  208  311  387. 

Nördlinger,  H.  3.52  354  391. 

NüßUn,0. 107  109  111  113* 
114  115  127  170  174  177 
179  181  185  218  219  221 
304  313. 


424 


Namenregister. 


Olsen-Sopp  273  287   290. 
Oudemans,  J.  Th.  17*  305. 

P. 

Packard,  A.  S.  25*  48  55 
118*  152*  161*  167*  186. 

Pagenstecher  128*. 

Palmen  76*. 

Pannewitz,  von  195. 

Pantel,  J.  251  305. 

Parton  75. 

Pasteur  297. 

Pauly,  A.  366  391  405. 

Peckham,  G.  u.  E.  255  305. 

Perrand,  J.  291. 

Petri  277. 

Petrunkewitsch  60*  114. 

Pfurtscheller  145*  147* 
169*. 

Phillips,  C.  F.  192  220. 

Picard,  F.  295  305. 

Pietschker,  H.  90  91*  115. 

Pocock,  R.  J.  11. 

PreU,  H.  11  14  16  49  251 
305  343  394  421. 

Prillieux  288  291. 

Prochnow,  O.  61  114. 

Prowazek,  S.  v.   302  306. 

Puster  363  391. 

Putscher  314  391. 

R. 

Rabenhorst  279*  289. 

Ramann  220. 

Ratzeburg,  J.  Th.  77  163* 
164*  166*  172  185  193 
212*  214  221  223  241 
247  250  305  342  398  421. 

Rayband  274  291. 

Redtenbacher  35. 

Rees,  von  151*. 

Regen  61*. 

Reh  82  84  156. 

Reichert  304. 

Reiff,  W.  348  391. 

Rey  304. 

Riedel,  M.  88  115. 

Riley  16  131*. 

Ritzema  Bos  254*. 

Rolfs,  P.  H.  287  291. 

Rörig,  G.  227  230  231  232 
304  359*  360  391. 

Rösel  von  Rosenhof  162*. 

Roß,  H.  205  206  221. 

Rössig  206. 


Rübsaamen,  E.  H.  221  421. 

Ruby  274  291. 

Rungius,  H.  63*  64*  68  114. 


Saccardo  279*  280  289. 
Sachs  267. 
Sasaki  300. 
Sauvageau,  C.  291. 
Scheidter,    Fr.    121*    122 

129  132*  133*  134*  135* 

184  413  415  421. 
Schenk  93  94*. 
Scheuring  103  115. 
Schewyreuv  247  305. 
Schindler  &  Mützell  370. 
Schiner,  J.  R.  421. 
Schlechtendal,    D.   H.   R. 

V.  421. 
Schleh  304. 
Schleinitz  375. 
Schlüter,  W.  403. 
Schmeil  155*. 
Schmidt,  A.  346  391. 
Schmiedeknecht,   O.   421. 
Schneider-Orelli,   O.    191 

220. 
Schönfelder  376. 
Schönherr  398. 
Schröder,  Chr.  48. 
Schrödter  163*. 
Schultz  285. 
Schulze,  P.  415. 
Schwabe,  J.  98*  115. 
Schwangart,   Fr.    258   282 

287  289  291  302  305  343 

345  354  356  391. 
Schwartz,  M.  355  358  391. 
Sedlaczek,  W.  66  114  312 

392. 
Seidlitz,  G.  421. 
Sernander,    R.    190*    191 

221. 
Sharp,    D.    48    118*    162* 

164*  196  305. 
Siebold,  v.  119*  124. 
Sihler  369  392. 
Silvestri,  F.  128*  129  159* 

184  185. 
Simroth  310. 
Sinz  235. 
Sobolew  235. 
Sorauer  194. 

Sprengel,  Gh.  C.  188  189. 
Spuler,  A.    118*   404   405 

421. 


Standfuß,  M.  174  175  185 

297  304  306. 
Steche,  O.  114. 
Stein  108*. 

Stempeil,  W.  296  297  306. 
Störmer  286  291. 
Suckow  107*  149*. 
Swammerdamm  166. 


Tangl,  Fr.  288  291. 
Taschenberg  40*  256*. 
Tauber,  P.  226  304. 
Thaxter  263  275*. 
Thelohan  295*. 
Thienemann  153. 
Thomas  205  207. 
Tiedemann  311. 
Timaeus,  Fr.  305. 
Townsend,  Ch.  251  305. 
Tredl,  R.  410  421. 
Tubeuf,   C.   v.    262*  279* 

285  286  288  291  302  306 

346. 
Tulasne,  L.  R.  et  C.  268* 

273  286  291. 
Tümpel,  R.  421. 

u. 

Uhlig  173  185. 

V. 

Vaney,  C.  288  291. 

Vater  232. 

Verhoeff,  C.  W.  49  60  114 

256  305. 
Vill  361  392. 

Vogel,  R.   70  94*  98   115. 
Voß,  Fr.  49  54  114. 
Vuillemin,  P.  277  282  291. 

w. 

Wachtl,   Fr.  232  235  304. 
Wagener  258. 
Wagner,  N.    127  226   227. 
Wahl,   Br.    293    299    300* 

306  347  357  392. 
Wappes  376. 
Webster  247. 
Weiske  236  374. 
Weismann  223. 
Weißmann,  A.  304. 
Weißwange  368  392. 


Namenregister, 


425 


Werneburg  179. 
Westwood  156*. 
Wheeler,  W.  48. 
White,  G.  F.  292  306. 
Wingenroth,  A.  370. 


Winkler   &   Wagner    402 

403  410  ff. 
Wize,  K.  290. 
Wolff,  M.  302  306  386. 
Woodworth,  C.  W.  35  49. 


z. 

Zander,  E.  21*  28*  30*  48 
57*  58*  67*  75  78*  79* 
86  107  292  296  298  306. 

Zeiß,  C.  418. 

Zopf,  W.  289. 


Sachregister. 


A. 

Aaskäfer  256. 
Abbrennen  363. 
Abdomen  3  12  36  ff. 
Acanthis  233. 
Acron  12. 
Actia  253. 
Adern  31  ff. 
Aegerita  284. 
Aestivales  126. 
After  67. 
Afterfüsse  148. 
Afterklappen  57. 
Afterraupen  164. 
Agelastica  129  134. 
Agrilus  210. 
Agrotis,     schwarze    Mus- 

kardine  266. 
Akrocecidien  207. 
Alauda  232. 
Algenpilze  260. 
Ameisen  29  254  333. 
—  als  Pflanzenverbreiter 

190  ff. 
Ameisenlöwe  162  195. 
Amnion  139. 
Amphibiotica  395  397. 
Anabiotischer  Zustand  84. 
Anamerentoma  394. 
Anamerie  144  153. 
Ananasgallen  208  209. 
Anastatus  240  241  248  249 

250  339. 
Anergates  33. 
Angel  20. 
Ankerfrass  199. 
Anlegung  V.  Sammlungen. 
Anlockungsmittel  364. 
Anobium  203,   Klopflaute 

59. 


Anomalon    circumflexum 

239  243  247  248. 
Anopheles  193. 
Anophthalmus  103. 
Ansteckende  Ruhr  298. 
Antennen  17  ff. 
Anthonomus  194  334  337. 
Anthrax  170  237  244  385. 
Anthribus  245. 
Anthus  232. 

Apanteles  240  243  249  250. 
Apfelblütenstecher  334. 
Aphis  84. 
Apiosporium  274. 
Apoderus  17. 
Appendix  vermiformis  64. 
Appositionsbilder  102. 
Apus  233. 
Aradus  43. 
Arbeiter  47. 
Arbolineum  354. 
Arctia  129. 
Arg3'-rophylax  243. 
Arrhenotokie  125. 
Arsen-Cupretta  354. 
Arsenikmittel  353. 
Arseniksaures  Natron  416. 
Arthropoden  1. 
Arvicola  227. 
Aschersonia  276. 
Asci  269. 

Ascomyceten  269. 
Ascosporen  269. 
Aspergillus  274. 
Astacus  4. 
Atelocerata  8  9  10. 
Attelabus  131. 
Ätzkalkstaub  361. 
Aufblasen  der  Raupen  412. 
Aufkämmen  379. 


Aufklebeplättchen  411. 

Augen  98  ff. 
I     —  acone  usw.  101. 
I     Augenformen  100. 

Ausblaseapparate  412  413. 

Aussenskelett  2. 

autochthone  Vermehrung 
310. 

Azygosporen  261. 

B. 

Bachstelzen  232. 

Bacillus- Arten  292  ff. 

Bacterium  monachae  302. 
!     Baetis  76. 
<     Bakterienkrankheiten  292. 

Bakterienseuchen  349. 

Balaninus  46. 

Banchus  168  385. 

Bauchfüsse  148. 

Bauchmark  7  50  89. 

Baumfalk  235. 

Baumweissling  311. 

Baumwollkapselkäfer  337. 

Beeinflussbare      Insekten 
174. 

Begattungstasche  HO  ff. 

Begattungszeichen   123. 

Beinformen  30  31. 

Bekämpfung,   biologische 
314. 

—  parasitäre  340  ff. 

—  technische  314  315  317. 
Berührungsgifte  353. 
Bespritzen  352. 
Bestand,  eiserner  222. 
Bestandspflege  320. 
Bestandsverderber  198. 
Bestäuben  352  358. 
Bestäubungsmittel  358. 


426 


Sachregister. 


Bestimmen  von  Insekten 

416  ff. 
Beutelgallen  208. 
Beutelmethode  408. 
Bibio  45  99  164. 
Biene, Mundwerkzeuge  2 1 . 
Biologische  Methode  314. 
Biorhiza,  Heterogonie 

125  ff. 
Biston  175. 
Black  Leaf  356. 
Blastoderm  8  138. 
Blastophaga  189  246. 
Blattlauslöwen  256. 
Blattminen  200. 
Blattskelettierung  199  202. 
Blattwickler  201. 
Blaurake  233. 
Blausäuredämpfe  361. 
Bleiarseniat  354. 
Blepharipa  240  241  252. 
Blut  80. 
Blutkiemen  77. 
Blutkreislauf  79  ff. 
Bodeninjektionsspritze 

360. 
Bombyx  129. 
—  var.  arbusculae  175. 
Bombyxarten,  Generation 

180. 
Bordelaiser  Brühe  354. 
Borkenkäfer  311. 
Botrytis  273  277  ff  287  ff. 
Brachyderes  254  258  353 

361. 
Braconiden  245. 
Brutknüppel  365. 
Brutpest  292. 
Buchfink  232. 
Buntspecht  234. 
Bursa  copulatrix  110  ff. 
Bürstentriebe  211. 

c. 

Calcino  277. 
Calopteryx  45. 
Calosoma  34  141  163  240 

255  334  339. 
Caprimulgus  233. 
Carabus  70  334. 
Carcelia  240  253. 
Cardo  20. 
Carpogon  275. 
Cecidien  205  ff. 
Cecidomyia  197. 
Cellaris  126. 


Cephalon  3  12. 
Cephalosporium  277. 
Cephalothorax  3  8  9. 
Cerambyx  163  197. 
Ceratostomella  273. 
Cerci  38  ff. 
Cetoura  168. 
Chalcididen  244  246. 
Chalcis  240  244  250. 
Champagnerpfropforgan 

93. 
Cheimatobia  46. 
Chelicerata  8  9  10. 
Chemische     Bekämpfung 

351. 
Chermes  206  209  257. 

—  Heterogonie  126. 
Chilopoden  257. 
Chimabacche  46. 
Chironomus  77  132  ff.  134 

164. 
Chiroptera  225. 
Chitin  2. 
Chitinpanzer  5. 
Chlamydozoen  295  302. 
Chloeon  45  121. 
Chlorbarium  354. 
Chlorzink  416. 
Chordotonalorgane    96  ff. 
Chorion  117. 
Chylus  69. 

Cicada  septemdecim   176. 
Cicindela  27  33. 
Cimbex  165  201  203. 
Cladosporium  281. 
Cleonus  266  287. 
Clerus  195  236  256  337  340. 
Clypeus  15. 
Clytra  167. 
Cnethocampa,  Generation 

178. 

—  Eiablage  133. 
Coccinelliden  253  254  333 

343. 
Coccobacillus  294. 
Coleopteroidea  395  397. 
Compsilura   240  241   252. 
Coracias  233. 
Cordiceps  270  ff.  286. 
Cordicepsarten  272. 
Coremium  269. 
Cornaliasche  Körperchen 

295. 
Cornea  100. 
Corpora  lutea  107  111. 
Corvidae  230. 


Cossus  165  197. 
Coxa  29  ff. 
Crossocomia  240. 
Crypten  (Regenerations-) 

66. 
Cryptorhynchus   198  217. 
Cucujiden  256. 
Cuticula  2  40  ff.  51  ff. 
Cychrus  16. 
Cynips  calycis  194. 

D. 

Dachs  226. 

Darmkanal  6  50  62  ff.  148. 
Dauersporen  261. 
Deegenersche      Methode 

415. 
Deilephila  81  ff. 
Deutocerebrum  90. 
Deutoplasma  117. 
Dimorphismus  44  ff. 
—  larvaler  159. 
Dipteroidea  396  397. 
Dotterhaut  107  117. 
Drosseln  232. 
Drüsen  52  ff.  147. 
Ductus  ejaculatorius  113. 
Duftschuppen  42. 
Dünndarm  66  ff. 
Durchforstung  324. 
Dytiscus   45   47   68  69  70 

75  82  112  120  163. 


Eccoptogaster  174. 
Ei  117  ff. 
Eiche  322. 
Eichelhäher  230. 
Eichhorn  226. 
Eierstöcke  105  ff.  106  107 
Eiformen  118. 
Eihäute  139  ff. 
Eikapseln  134  ff. 
Eikelch  105  ff. 
Eileiter  109  ff. 
Eiplatten  132  ff. 
Eiringel  132  ff. 
Eiröhren,  panoistische 

usw.  105  ff. 
Eischale  107  117. 
Eischwämme  134  ff. 
Eisprenger  141. 
Eistadium  141  350. 
Eitaschen  133  ff. 
Eizahl  129. 
Eizellen  132  ff. 
Eizelle  117. 


Sachregtster. 


427 


Ektadenien  113. 
Ektoderm  138. 
Elaiosome  191. 
Elasmostethus  136. 
Elateridenlarven  256. 
Elytra  32  ff . 
Embryo  138. 
Emigranten  126. 
Empusa  260  ff.  285  289. 
Encyrtus  128  129. 
Engerling  163  197  360. 
Engerlingfraß  203. 
Entoderm  138. 
Entomophthora   263    286. 
Entomophthora-Arten  265 

266. 
Entomophthoraceen  260ff. 

285. 
Entoskelett  27. 
Entrindungen  325. 
Epeira  4  9  257  258. 
Ephialtes  247. 
Epimerum  27. 
Epimorphose  143  ff.  153  ff. 
Epipharynx  15. 
Episternum  27. 
Erinaceus  226. 
Erlenzeisig  233. 
Eulophus  246. 
Eupeleteria  252. 
Evaniiden  246. 
Exhaustor  366  402. 
Exkretionsorgane  7. 
Exuvialflüssigkeit  144. 

F. 

Facettenaugen  98  ff. 
Fadenpilze  268  ff. 
Faltenwespen  254. 
Fangbäume  365. 
Fanggräben  366. 
Fangkloben  364. 
Fanglöcher  367. 
Fangpflanzen  364. 
Fangrinden  364. 
Fangtöpfe  367. 
Fasan  235. 
Faulbrut  292. 
Feldheuschrecke   135  154 

161. 
Femur  29  ff. 
Fettkörper  51  85  ff. 
Fettsucht  302. 
Fettzellen  85. 
Fichte  321  326  389. 
Filzgallen  207. 


Finkenvögel  232. 
Fiskesche  Tabellen  239  ff. 
Fiskesche  Zuchtkästen 

407. 
Flacherie  292. 
Flagellum  19. 
Fleckenkrankheit  296. 
Fledermäuse  225  327. 
Fliegenschnäpper  233. 
Flohkrebs  9. 
Florfliegen  256. 
Flugbewegung  56. 
Flügelgeäder  35  ff. 
Flügellosigkeit  33. 
Flügelmuskel  79. 
Fluglaute  61. 
Flugleistungen  58. 
Flugmuskulatur  57. 
Flugzeiten  181  ff. 
Flußkrebs  4. 
FoUikelzellen  106. 
Fonscolombia  84. 
Formica  rufa  191  254  336 

342. 
Forsteinrichtung  324. 
Fortpflanzungsorgane 

104  ff. 
Fraßherde  308. 
Freibrüter  330. 
Fringillidae  232. 
Frons  15. 
Fruchthälter  HO. 
Frühjahrsfraß  218. 
Fühler,  Formen  17  ff. 
—  der  Larven  147. 
Fuchs  226  327. 
Fundatrigeniae  126. 
Fundatrix  126. 
Fungi  imperfecti  269. 
Furchung,  superficielle  8. 
Furchungszellen  138. 
Fusarium  284. 
Futterglocke  331. 
Futterhaus,  hessisches 

330  ff. 

G. 

Galeruca  238. 
Gallen  205  ff . 
Gallwespen  125. 
Gammarus  9. 
Gamogenese  116. 
Ganglien  88  ff . 
Gattina  296. 
Gehirn  7  50  90. 
Gehör  96  ff. 
Geißel  19. 


Gelbsucht  302  348. 
Genae  15. 
Generation  176  ff. 
Geotrupes  55  100. 
Germinogonie  128. 
Geruch  92  ff. 
Geruchsorgane  95  ff. 
Geschlechtsorgane  7. 
Geschmack  92  ff. 
Geschmacksorgane    96  ff. 

104  ff. 
Gesier  64. 
Giftbehandlung  352. 
Giftstachel  40. 
Glossa  21  ff. 
Glossina  193. 
Glühwürmchen  87. 
Goldafter  351. 
Goldammer  233. 
Goniops  136. 
Grabwespen  254. 
Grapholitha  265  286. 
Grasmücken  232. 
Grasserie  302. 
Grillen  60. 
Großkahlschlag  323. 
Grauspecht  235. 
Grubenkegel  93. 
Grundmembran  51  ff. 
Grünspecht  235. 
Gryllotalpa  34  136. 
Gryllus  19. 
Gula  14  15. 
Gyrinus  100. 
Gyrococcus  302. 

H. 

Haare  40  ff . 

Halobates  187. 

Halsschild  26. 

Halteren  32. 

Härtung  der  Larven  413ft. 

Hautdrüsen  52  ff. 

Hautsinnesorgane  92  93. 

Häutungsdrüsen  144. 

Heerwurm  311. 

Hefepilze  274. 

Hemerobius  257. 

Hemielytra  32. 

Hemimetabolie  144  ff. 
155  ff. 

Hemipteroidea  396  397. 

Hemiteles  245. 

Herbstfraß  218. 

Herde    (der   Massenver- 
mehrung) 308. 


428 


Sachregister. 


Hermaphroditen  104.       i 
Herz  77  ff.  ^ 

HessenfUege  128  334. 
Heterogonie  125  ff.  128. 
Heuschrecken  60. 
Heuschreckenpest  294. 
Hiemalis  (Chermes)  126. 
Hinterdarm  66  ff. 
Hinterkiefer  20  21. 
Hirundo  233. 
Hochleimung  371  374  ff. 
Hoden  111  ff. 
Höhlenbrüter  329. 
Holomerentoma  395. 
Holomerie  144  153. 
Holometabolie  144  ff. 

155  ff. 
Holzameise  203. 
Holzbock  4. 
Holzwespe  28  40  163  197 

203. 
Honigbiene  21,  Eizahl  129. 
Hopfenspinner  204. 
Hornisse  203. 
Hornissenschwärmer  121. 
Hörstift  97. 
Hüfte  29  ff. 
Hüftgriffel  29. 
Hühnereintrieb  322. 
Hühnervögel  235. 
Hylesinus  182  199. 
Hylobius  112  184  198  203 

256  366  ff. 
Hymenopteroidea  395  397. 
Hypermetabolie   153   158. 
Hypermetamorphose  158. 
Hyperparasiten     237    338 

385. 
Hyphomyceten  276. 
Hypodermis  2  51  ff. 
Hypognath  16. 
Hyponomeuta  128  ff. 
Hypopharynx  23  ff. 

I. 

Icerya  193  253  336  ff. 
Ichneumon    disparis    240 

247. 
Ichneumoniden  245  ff. 
Igel  226. 

Imaginalanlagen  150. 
Imagostadien  151  ff. 
Infektionskrankheiten 

343  ff.  386. 
Innenlippe  23. 
Insectivora  226. 


Insektenfresser  226. 
Insektenherde  308. 
Insektenkästen  419. 
Insektennadehi  403  410. 
Insektenpulver  358. 
Intercalarsegment  5. 
Intima  62. 
Ips  typographus   113    170 

172  ff.  311. 
Isaria  272  281  ff.  287. 
Isosoma  246. 
Ixodes  4. 

J. 

Jamainsche  Kapseln    360. 
Jankescher  Apparat  372  ff. 
Jugendformen  142. 
Jungfernzeugung  124. 
Juvenalformen  142. 

K. 

Käferkammer  406. 
Kahlschlagwirtschaft  308. 
Kainit  361. 
Kalamitäten  214. 
Kalksucht  277. 
Kältestarre  82  ff. 
Kamelhalsfliege    162    195 

256. 
Kappenzelle  94. 
Karbolineum  354. 
Katastrophale   Insekten 

214. 
Katastrophen  214. 
Kaumagen  62  (54. 
Keimbläschen  117. 
Keimblätter  138  ff. 
Keimdrüsen  105  ff. 
Keimstreif  8  138. 
Keimzellen  117  ff. 
Kernpilze  269. 
Kiefer  322  326  389. 
Kieferneule  262. 
Kieferneule,    Parasiten 

242. 
Kiefernsaateule  203. 
Kiefernspinner     157     166 

249  318. 
Kiefernspinner,  Kalamität 

243. 
Kittdrüsen  110. 
Klauenapparat  29  ff. 
Klopflaute  59. 
Klopfschirm  363  402  404. 
Klunkern  208. 
Knopperngallen  208. 


Köderfang  404. 
Kokonbrecher  170. 
Kokons  167. 
Kommissuren  88. 
Konidien  260  269. 
Kontaktgifte  853. 
Kopfblase  170. 
Kopula  120  ff. 
Kotfänge  381. 
Krabbenspinnen  258. 
Krähen  230. 
Krankheiten,  unbekannter 

Natur  386. 
Krebsbildungen  208. 
Kreuzbefruchtung  188. 
Kreuzspinne  4  9. 
Krisen,  biologische  338. 
Kropf  62  ff. 
Kuckuck  228  ff. 
Küchenschabe  15  20. 
Kulturverderber  198  220 
Kupferkalkbrühe  354. 


Labium  20  21. 
Laboulbeniaceen  274. 
Labrum  15  23  ff. 
Lachmöve  236. 
Lachnus  206. 
Laden  20. 
Laichschnüre  134. 
Laminae  anales  37. 
Lampyris  46  87  ff. 
Laniidae  231. 
Lärche  322. 
Lärchenwickler  311. 
Larus  236. 
Larven,  primäre  usw. 

142  ff.  161  ff. 
Larvenzustand  350. 
Lasius  191. 
Latenz  170  174. 
Laterigraden  258. 
Laubhölzer  386. 
Laufkäfer  255. 
Lautäußerungen  59. 
Lebensdauer  183. 
Lebia  159. 
Lecanium  258  337. 
Legeröhre  38. 
Legescheide  39. 
Leiman.strich  379. 
Leimen  371. 
Leimquetsche,  Ring- 

lersche  371  372 
Leimring  368  ff.  405. 


Sachregister. 


429 


Leimschlauch,     Eckscher 

370  371. 
Leimspatel  370  371. 
Leimspritze,      Jankesche 

371. 
Leimstangen  379. 
Leimstricke  371  375. 
Lepidopteroidea  396  397. 
Lepisma  33. 
Leptura  45. 
Lerchen  232. 
Leuchtorgane  86  ff. 
Leydigsche  Kegel  93. 
Libellen  155. 

—  Begattung  122. 
Libellenlarve,  Mundwerk- 
zeuge 21. 

Libellula  187. 
Lichtfangmethode    366  ff. 

404. 
Lichtquellen  382. 
Lina  147. 
Liparis  45  351. 

—  monacha,     Generation 
178. 

Lithobius  257. 

Lobus  intern.,  extern.  20. 

Löcherfraß  199. 

Lohsol  354. 

Lophyrus  45  160. 

—  Generation  176  179. 
Lucaniden  45. 
Luftsäcke  73. 

Lupen  418. 
Lyda  129  165  174  227. 
Lysiphlebus  309. 
Lytta  194. 

M. 

Machilis  29  33  39  56. 
Maden  164. 
Magengifte  353. 
Mahlzahn  20. 
Maikäfer   45    95    121    158 
163  171  324  351. 

—  Fraßgebiete  326. 
Malachius  53. 
Malacodermata  87. 
Malpighische    Gefäße    66 

bis  70. 
Mandibeln  20  f f . 
Mantelgallen  208. 
Mantispa  152. 
Markgallen  208. 
Markröhrenfraß  203. 
Matrix  51. 


Mauersegler  233. 
Maulwurf  226  327. 
Maulwurfsgrille     34     204 

361. 
Mäuse  226. 
Mäusebussard  235. 
Maxillen  20  ff . 
Mediansegment  28  ff. 
Megastigmus  246. 
Meisen  230  ff . 
Meisendose  331. 
Melanospora  273. 
Melasoma  129. 
Meloiden  158. 
Melolontha,       Generation 

178. 
Membrana  basilaris  51  ff. 
Mentum  21  ff. 
Mesadenien  113. 
Mesochorus  245. 
Mesoderm  138. 
Mesothorax  26  ff. 
Metamorphose  143  ff. 

155  ff. 
Metathorax  26  ff . 
Meteorus  243. 
Methoden,  chemische  351. 
Miastor  127. 
Microcera  273. 
Micrococcus  294  302. 
Micropyle  117. 
Microsporidium  302. 
Micryphantes  258. 
Migrantes  alatae  126. 
Mikroskop  418. 
Mimikry  43. 
Mistkäfer  55. 
Mitteldarm  65  ff. 
Mittelkiefer  20  ff . 
Mondvogel  121  133. 
Monodontomerus  240  248 

339. 
Mordella  99. 
Mordspinnen  258. 
Motacillidae  232. 
Mucor  mucedo  267. 
—  Arten  268. 
Mucoraceen  266. 
Mundgliedmaßen  19  ff. 
Mundhöhle  62. 
Mus  227. 
Muscardine  277. 
Muscicapa  233. 
Muskel,  Kraftleistung  55. 
Muskelschichte  54. 
Muskelsystem  54  ff. 


Mykosen     258  ff.     343  ff. 

385. 
Myriangium  274. 
Myriapoden  8  11. 
Myrmekochoren  190  ff. 
Myxomyceten  259. 

N. 

Nachahmung  43. 
Nachtschwalbe  233. 
Nadelholzanbau  323. 
Nadelhölzer  387. 
Nagelgallen  208. 
Naphthalinkalkpulver  358. 
Naturverjüngung  323. 
Nebenhoden  113. 
Nebenzungen  21  ff. 
Nebria  265. 

Necrophorus  60  68  129. 
Necydalis  44. 
Nematus  209  308. 
Nervensystem    88  ff.    150. 
Netzaugen  98  ff. 
Neuropteroidea    395    397. 
Nießwurz  355. 
Nikotin  354. 
Nisthöhlen  329  ff . 
Nitiduliden  256. 
Nonne    183    200    224    243 

250  302  312  314  319  325 

351. 
Nonnenkalamität  243. 
Nonnenraupe,  Häutungen 

175. 
Normalzahl  222. 
Nosema  295  ff.  349  ff. 
Novius  193  253  254  336  ff. 

0. 

Oberlippe  15  23  ff. 
Oberschlundganglion    90. 
Occiput  15. 
Ocellen  98  ff . 
Oenocyten  86. 
Oesophagus  62  ff. 
Oesophagusstiel  64. 
Ohrwürmer  256. 
Olocrates  259. 
Öligwerden  von  Insekten 

419. 
Onthophagus  55. 
Oospora  276  277  287. 
Ophionectria  273  287. 
Orchestes  200  202  212. 
Orgyia  46  250. 
Oriolus  229. 
Orthopteroidea  395  397. 


430 


Sachregister. 


Ortsbewegungen  55  ff. 
Oryctes  46  55. 
Ovarien  105  ff. 
Ovidulcte  109  ff. 
Ovipositor  39. 


Paedogenesis  127  ff. 

Palaeococcus  254. 

Palpus  20  ff. 

Panolis  262  282. 

Panzeria  343. 

Paraglossen  21  ff. 

Parameren  39  120. 

Parasetigena  178  240  243 
251  253  343. 

Parasiten  195  ff.  236  332  ff. 
340  ff.  383. 

Parasitenreihe  338  342. 

Parasitenzucht  339  343 
408  ff. 

Paridae  230  ff. 

Parthenogenese  7  117  124. 

Patagia  36. 

Pebrine  295. 

Pedes  spurii  148. 

Pemphigus  84  208. 

Penis  120. 

Pentatoma  23. 

Perikardialzellen  86. 

Peripatus  10. 

Periplaneta  15  20. 

Perisporiaceen  274. 

Perithecien  269. 

Perkinsiella  337. 

Petroleum  357. 

Pezomachus  245. 

Phalangium  258. 

Phalera  121  133. 

Pharyngealdrüsen  65. 

Pharynx  62. 

Phryganidenlarve  149. 

Phryxe  253. 

Phylloscopus  232. 

Phylloxera  340. 

Phytonomus  265. 

Picromerus  257. 

Picus  233  ff. 

Pieris  44  45  263  264. 

Pieper  232. 

Pigmentfarben  42. 

Pigmentwanderung     132. 

Pilze,  insektentötende  258. 

Pilzförmige  Körper  (Ge- 
hirn) 90. 

Pimpla  247  248. 


Pirol  229. 
Pissodes  198. 
Pleuren  26. 
Pleurocecidien  207. 
Polyeder  299  ff. 
Polyederkrankheiten 

299  ff. 
Polyembryonie  128  ff. 
Polygnotus  128. 
Polygraphus  100. 
Polymetabolie  158  ff. 
Polymorphismus  44  ff. 
Pontania  206. 
Porenplatten  93. 
Powersprayers  357. 
Präparieren  von  Insekten 

410. 
Präpupa  160. 
Prätarsus  29  ff. 
Prellen  363  369. 
Primitivrinne  138. 
Prioritätsgesetz  399. 
Probeeiern  381. 
Probeleimungen  381. 
Probesammeln  381  382. 
Probesuchen  381. 
Proctotrypiden  246. 
prognath   16. 
Prometabolie  155  ff. 
Prospaltella  337. 
Prothorax  26  ff. 
Protocerebrum  90. 
Pselaphus  99. 
Pseudobranchien  76. 
Pseudochrysalis  158  ff. 
Pseudonymphe  160. 
Psyche  46  127  183. 
Pteromalus  246  248  250. 
Ptychoptera  74. 
Punktaugen  98  ff . 
Pupa  libera,  obtecta  165  ff. 
—  coarctata   168. 
Puppe  144  151  165  ff. 
Puppenräuber  255. 
Puppenstadium  350. 
Puppenwiegen  167. 
Pygidium  37. 
Pylorus  66. 

Q. 

Quassiabrühe  357. 

R. 

Raife  38  ff. 
Raptatores  235. 
Rattenschwanzlarve  74. 
Raubvögel  235. 


Raubinsekten    195    236 
253  ff.  332  ff.  341  ff. 

Räuchern  352  358. 

Raupenzwinger  334. 

Kaupenfackeln  363. 

Raupenleim  370. 

Receptaculum    seminis 
110  ff. 

Rectaldrüsen  67. 

Rectum  66  ff . 

Reibungslaute  59. 

Reichspflanzenschutz- 
gesetz 390. 

Respirationstöne  61. 

Retina  99. 

Rhabdom  99  ff. 

Rhaphidia  162  256. 

Rhynchhes  130  201. 

Rhyssa  95  131  247. 

Rindenplatzfraß  201. 

Ringelspinner  133. 

Ringeltaube  235. 

Rodentia  226. 

Rosettentriebe  212. 

Röten  371. 

Rückengefäß  50  77  ff. 

Rüssel  64. 

Rüsselkäfer  323  324  325 

Rüsselkäferfallen  368. 

s. 

Saccharomyceten  274. 
Saisondimorphismus  46. 
Saiten  Organe  96  ff. 
Salticoidae  258. 
Samen  119. 
Samenfäden  111  ff. 
Samenleiter  113. 
Samenpatrone  120. 
Samentasche  110  ff. 
Sammeln     von     Insekten 

401. 
Sammelutensilien  402  ff. 
Saperda  130  206. 
Saturnia  174. 
Saugmagen  63. 
Scapus  19. 
Schädigungen,      physiol., 

techn.,  primäre,  sekund. 

197. 
Schaft  19. 
Schartenfraß  199. 
Schaumfleck  136. 
Schedius  240  241  248  339. 
Scheide  109  ff. 
Scheidentriebe  212. 


Scheinpuppe  158  ff. 
Schenkel  29  ff. 
Schenkelring  29  ff. 
Schiene  29  ff. 
Schildchen  26. 
Schildwanzen  33  134  141 

257. 
Schizoneura  208. 
Schlaffsucht  292. 
Schlund  62. 
Schlunddrüsen  65. 
Schlundkommissur  7. 
Schlundring  90. 
Schlupfwespen  245  ff. 
Schmetteriing,     Mund- 
werkzeuge 24  ff. 
Schmierdrüsen  110. 
Schmierseife  354  357. 
Schreitbewegungen  55. 
Schrilleisten  60. 
Schuppen  40  ff. 
Schuppenkolben  134  ff. 
Schützende    Ähnlichkeit 

43. 
Schwalben  233. 
Schwalbenschwanz  99. 
Schwammspinner  122  231 

338  ff. ,      Parasiten  folge 

240. 
Schwanzstück  37. 
Schwarzspecht  235. 
Schwarzwild  327. 
Schwebfliegen  256. 
Schwefelblume  358. 
Schwefelkalkbrühe  357. 
Schwefelkohlenstoff   360. 
Schwefelleber  358. 
Schweineeintrieb  327. 
Schwimmbewegungen  56. 
Schwindsucht  292. 
Schwingkölbchen  32. 
Scolopendra  3  10. 
Scolopophor  96. 
Scutellista  337. 
Scutellum  26. 
Seeorgane  98. 
Segmentierung,      hetero- 

nome  2  ff. 
Segmentplatten  2. 
Sekrete  der  Drüsen  53. 
Sektion  (von  Larven)  384. 
Semipupa  160. 
Sempersches     Verfahren 

412. 
Sensilla  93. 
Serosa  139. 


Sachregister. 

431 

Sexuales  (Chermes)  126. 

Strickleiternervensvstem 

Silpha  256. 

7  89. 

Simulia  193. 

Stidulationslaute  59. 

Sinneshaare  93. 

Streurechen  363. 

Sinneskegel  93. 

Strukturfarben  42. 

Sinneskuppeln  94. 

Stubenfliege  99. 

Sinodendron  46. 

Sturnus  229. 

Sirex  163  197. 

Styli  38  ff. 

Sklerotien  259. 

Subimago  152  156. 

Sorex  226. 

Submentum  21  ff. 

Spannbretter  409. 

Superpositionsaugen   102. 

Spatel  (Leim)  370. 

Superpositionsbilder  102. 

Spechte  233  ff. 

Sylviidae  232. 

Speicheldrüsen  64  ff. 

Synonyme  398. 

Speiseröhre  62  ff. 

Syrphiden  256. 

Speriing  332. 

T. 

Spermatocyste  111. 

Tabakextrakt  354  ff. 

Spermatogonien  111. 

Tabakstaub  358  361. 

Sphaeropsidales  276. 

Tachina  japonica  240. 

Sphaerostilbe  273  287. 

—  larvarum  240  251  253. 

Sphinx  80. 

Tachinen  250  ff.  343. 

Spicaria  282. 

Tachinentönnchen  168. 

Spinndrüsen  149. 

Tachinierung  252. 

Spinnen  257  343. 

Tachinose  252. 

Spiralfaden  71. 

Talpa  226. 

Spitzmäuse  226. 

Tardigraden  10. 

Sporangien  266. 

Tarichium  266  286. 

Sporen  29. 

Tarsus  29  ff. 

Sporotrichum  277  287  344. 

Taster  20  ff. 

Sporozoen  295. 

Tastsinn  92  ff. 

Springbewegungen  56. 

Tauben  235. 

Springspinnen  258. 

Täuschende  Forstinsekten 

Spritzapparate  357. 

214. 

Spritzmittel  352  ff. 

Tausendfüsse  257. 

Stäbchensaum  66. 

Teerschlitten  364  379. 

Stamm  20. 

Tegulae  36. 

Stammutter  (Chermes) 

Teleas  249  326. 

126. 

Teleiocerata  9. 

Standortspflege  320. 

Telson  12  37. 

Staphyliniden  255  334. 
Star  229. 

Temperatur  der  Insekten 
81  ff. 

Steatodia  258 

Tentorium  17. 

Stechmücke,    Mundwerk- 

Tereas 125. 

zeuge  22.      . 

Tergum  26  37. 

Stegomyia  193. 

Termiten  129. 

Sternum  26  ff.  37. 

Termitoxenia  7  104. 

Stiftchenträger  96. 

Tetragnatha  257. 

Stiftkörperchen  94. 

Tetropium  100  197  198. 

Stigmatomyces  275. 

Thalessa  131. 

Stigmen  71  ff. 

Thelytokie  124. 

Stigmenverschlüsse  72. 

Theridium  257. 

Stipes  20. 

Theronia  240. 

Streifenkulturen  326. 

Thomiscus  258. 

Streptococcus  292. 

Thorax  3  12  25  ff. 

1     Strickhochleimapparat 

Thysanuroidea  395  397. 

•        376  ff. 

Tibia  29  ff. 

432 


Sachregister. 


Tiefleimung  371  375. 
Tomicus  45. 
Tönnchenpuppe  168. 
Torfklötze  410. 
Tortrix  48  199. 
Torubiella  273. 
Totenkopf,  Lautorgan  61. 
Totenuhr  59. 
Tötungsgläser  402. 
Toxophore  41  53. 
Toxoptera  309. 
Toxotus  45. 
Tracheen  71  ff. 
Tracheenkiemen  76  ff. 
Tracheensystem  50  149. 
Tränken  für  Vögel  331. 
Treiben  der  Raupen  407. 
trichogene  Zellen  51. 
Tricholyga  240. 
Trichome  41. 
Tritocerebrum  91. 
Triungulinus  158. 
Trochanter  29  ff. 
Trochilium  121. 
Trockenpräparation     von 

Larven  413  ff. 
Troilus  257. 

Trommelfellorgane    96  ff. 
Trommellaute  62. 
Trypanosoma  299. 
Tsetsefliege  193. 
Turbanaugen   101. 
Turdidae  232. 
Turmfalk  235. 
Tympanalorgane  96  ff. 

u. 

Überflüge  310  ff. 
Überjährigkeit  174. 


Überhegen  174. 
Überwinterungsstadien 

179  ff. 
Ulmenblattkäfer  238. 
Unterlippe  20  ff. 
Unterschlundganglien  91. 
Upupa  233. 
Lirsamenzellen  111  ff. 
Uterus  110. 

V. 

Vacuole  94. 

Vagina  109  ff. 

Valvula  cardiaca  64. 

—  pylorica  66. 

Vanessa  46  47. 

Vasa  deferentia  113. 

Ventilschlauch  64. 

Ventiltrichter  64. 

Ventralsinus  79. 

Verdauung  69  ff.,  extra- 
intestinale 70. 

Vergiften  v.  Fraßstücken 
416. 

Vertex  15. 

Verticillium  280. 

Vesiculae   seminales  113. 

Vespa  crabro  3  12. 

Vesperugo  225. 

Virginogeniae  126. 

Viviana  253. 

Vogelfeinde  332. 

Vogelschutz  328  ff. 

Vogelschutzgesetze  332. 

Vorbeugung  312  315  ff. 

Vorderdarm  62  ff. 

Vorderkiefer  20. 

Vormagen  62  64. 


j  w. 

Wachsbildungen  42  53. 

Wachsdrüsen  53. 

Waldameise  254  336  342. 
i     Wärmestarre  82  tf. 
I     Wärmetod  82  ff. 

Wasserjungfer  99. 

Weidenbohrer  99. 

Weidenrosen  208. 

Weißtanne  322. 

Wendehals  235. 

Wespenbussard  235. 

Wiedehopf  23. 

Wildschwein  227. 

Wilt  (des  Schwammspin- 
ners) 302  348. 

Winterei  126. 

Winterfütterung  331. 

Wipfelkrankheit  302  346. 

Wirrzöpfe  208. 

Witterungseinflüsse      217 
223  ff.  307  309. 

Wollringel  134  ff. 

Wollschildlaus  253  3.36. 

Würger  231. 

Wurzelfraß  203  404. 

z. 

Zellen  35. 

Zentralnervensystem  7. 
Zoogamie  189. 
Zuchtanstalten  343. 
Zunge  21  24. 
Zuwachsverlust  211. 
Zwergfell  78  ff. 
Zwitter  46  104. 
Zygobothria  240. 
Zygosporen  261. 


Zu  Escherich,  Forstinsekten.    I.  Bd. 


Nachträge 

zum 

Druckfehlerverzeichnis  (Seite  483). 


Es  wird  gebeten,  die  Änderungen  vor  dem  Lesen  vorzunehmen. 

Seite  106,  Zeile  2  von  unten  ist  hinter  „Sie  gruppieren  sich"  einzusetzen:    „in  den 

polytrophen  Eiröhren". 
Seite  113,  Zeile  7  von  oben  lies:  Samenblasen  statt  Samentaschen. 
Seite  129,  Zeile  8  von  unten  lies:  Kieferneule  300—500  statt  200—300. 
Seite  154,  Zeile  11  von  oben  lies:  Umwandlung  statt  Verwandlung. 
Seite  380,   Zeile  15  von  unten  ist  das  Wort    „indirekten"    zu  streichen,    und  drei 

Zeilen  weiter  unten  ist  das  Wort  „indirekten"  durch  „solchen"  zu  ersetzen. 


Druckfehlerverzeichnis  und  Nachträge. 


Es  wird  gebeten,  die  hier  verzeichneten  Druckfehler  vor  dem  Lesen  des 
Buches  richtig  zu  stellen: 

Seite  9,  Zeile  6  von  unten  lies:  ab  er  ran  t  statt  aborrant. 

Seite  33,  Bezeichnung  der  unteren  Figur  lies:  Fig.  36  statt  Fig.  34. 

Seite  35,  Zeile  7  von  unten  lies:  Comstock  statt  Comstok. 

Seite  62,  Zeile  19  und  24  von  unten  lies:  Hinterdarm  statt  Enddarm. 

Seite  67,  Figurenerklärung  lies:  bei  Ed  Hinterdarm  statt  Enddarm,  ferner 
„wie  auf  den  Fig.  59  u.  61"  statt  60  u.  61. 

Seite  107,  Zeile  3  von  oben  ist  hinter  Eifach  zu  setzen:  (im  weiteren  Sinne). 

Seite  107,  Zeile  3  von  unten  lies:  Fig.  94  statt  Fig.  96. 

Seite  138,  Figurenerklärung  bei  A  lies:  Teilung  statt  Teile. 

Seite  139,  Zeile  15  von  oben  lies:  eigentliches  Entoderm  statt  eigentlicher 
Entoderm. 

Seite  142,  Zeile  11  von  oben  lies:  deutlich  statt  vollkommen. 

Seite  247,  Erklärung  der  Fig.  190  lies:  „Eine  Schlupfwespe  {Lysiphlebus), 
eine  Blattlaus  anstechend"  statt  „Eine  Blattlaus  usw.  eine  Blattlaus  an- 
stechend". 

Seite  302,  letzte  Zeile  lies:  Bolle  (nach  persönlicher  Mitteilung)  statt 
Schwangart. 

Seite  357,  Zeile  3  von  oben  ist  nachzutragen: 

Neuerdings  werden  von  verschiedenen  Seiten  auch  die  Präparate  der  „El- 
sässischen  Tabakmanufaktur"  in  Straßburg-St.  Ludwig  empfohlen,  darunter 
besonders  die  Marke  „Wetterfest".  Bei  Bezug  im  großen  (zunächst  für  wein- 
bauliche Zwecke)  will  diese  Firma  gute  Nikotinlaugen  zu  etwa  demselben 
Preise  abgeben,  wie  die  Österreichische  Regie  ihre  Extrakte. 


Ischerich,  Foi-stinsekten. 


Druck  von  Fr.  Stollberg,  Merseburg. 


Verlag  von  Paul  Parey  in  Berlin  SW.  11,  Hedemannstraße  10  u.  11. 
Anfang  1914  beginnt  zu  erscheinen: 

Zeitschrift 

für 

angewandte  Entomologie. 

Herausgegeben  von 
Prot.  Dr.  K.  Escherich,  und  Prof.  Dr.  F.  SchAvangart, 

Professor  derZoologrie  an  der  Kgl.  Forstakademie  Vorstand  der  Zoolog.  Station  an  der  Kgl.  Lehr- 

Tharandt,  und   Versuchsanstalt  für   Wein-    und  Obstbau  in 

Neustadt  a.  Haardt. 

Wir  stehen  gegenwärtig  im  Zeichen  einer  Reform  der  angewandten  Ento- 
mologie in  Deutschland.  Bis  vor  kurzem  war  diese  Wissenschaft  in  Deutschland 
arg  verkannt  und  vernachlässigt,  so  daß  wir  uns  in  dieser  Beziehung  den  meisten 
anderen  Kulturnationen  gegenüber  in  starker  Rückständigkeit  befunden  haben.  Erst 
in  neuester  Zeit  beginnt  man  —  aufmerksam  gemacht  durch  die  Anstrengungen  und 
Erfolge  des  Auslandes  —  auch  bei  uns  der  angewandten  Entomologie  sich  mehr 
anzunehmen  und  ihr  das  allgemeine  Interesse  entgegenzubringen,  das  ihr  gemäß  ihrer 
tief  in  das  Kulturleben  einschneidenden  Bedeutung  zusteht. 

Inauguriert  wurde  die  Reformbewegung  durch  die  Gründung  einer  „Deutschen 
Gesellschaft  für  angewandte  Entomologie",  die  in  kurzer  Zeit  so  erstarkte, 
daß  sie  bereits  nach  einem  halben  Jahr  nach  der  Gründung  eine  glänzend  besuchte 
Versammlung  (in  Würzburg)  mit  einem  überaus  vielseitigen  und  interessanten  Pro- 
gramm abhalten  konnte.  Der  Verlauf  der  Versammlung  bewies,  daß  in  Deutschland 
zahlreiche  angewandt  entomologische  Interessen  und  Kräfte  vorhanden  sind ;  dieselben 
waren  aber  bisher  zerstreut  und  isoliert,  so  daß  sie  zu  keiner  größeren  Gesamtwirkung 
gelangen  konnten. 

Dieser  bestehenden  Zersplitterung  und  Kraftvergeudung  entgegen- 
zuarbeiten, soll  einmal  durch  die  genannte  Gesellschaft  bewirkt  werden,  und  sodann 
durch  die  Herausgabe  einer  Zeitschrift,  die  mit  Beginn  des  Jahres  1914  unter 
dem  obigen  Titel  erscheinen  wird,  und  zwar  unter  der  Redaktion  von  Prof.  Dr.  K. 
Escherich-Tharandt  und  Prof.  Dr.  F.  Schwan  gart -Neustadt  a.  Haardt.  Die  neue 
Zeitschrift  wird  in  zwanglosen  Heften  von  wechselndem  Umfang  ausgegeben  werden. 
Jeder  Band  wird  ca.  25  Druckbogen  enthalten  und  kostet  20  M.  (für  Mitglieder  der 
Gesellschaft  für  angewandte  Entomologie  nur  18  M.). 

In  der  Zeitschrift  werden  die  Verhandlungen  der  Gesellschaft  für  an- 
gewandte Entomologie  zum  Abdruck  kommen,  ferner  größere  und  kleinere, 
reich  illustrierte  Originalarbeiten,  Referate,  Mitteilungen,  Personalnach- 
richten aus  dem  Gesamtgebiet  der  angewandten  Entomologie  (Pflanzen- 
pathologie, medizinische  Entomologie,  Bienen-  und  Seidenraupenzucht  usw.\  und  so 
wird  sie  den  Mittelpunkt  des  angewandt  entomologischen  Lebens  in 
Deutschland  bilden  und  die  zu  einer  gedeihlichen  Entwickliang  der 
Wissenschaft  so  notwendige  Verbindung  zwischen  den  verschiedenen 
Gebieten  der  angewandten  Entomologie  herstellen.  Die  neue  Zeitschrift 
dürfte  für  forstliche  und  landwirtschaftliche  Kreise  eben  so  unentbehrlich  sein 
wie  für  medizinisch-h}' gienische,  koloniale,  bienen-  und  seidenzüchte- 
rische  usw.;  ebenso  wird  sie  in  keinem  zoologischen  Institut  und  keiner  ento- 
mologischen Bibliothek  fehlen  dürfen. 

Die  Namen  der  Herausgeber  wie  des  Verlages  bürgen  dafür,  daß  die  neue  Zeit- 
schrift sowohl  inhaltlich  als  bezügl.  der  Ausstattung  dem  hohen  Zwecke,  dem  sie  dienen 
soll,  in  jeder  Weise  gerecht  werden  wird. 

Das  erste  Heft  wird  zu  Anfang  des  Jahres  1914  erscheinen  und  Aufsätze  über  Reb- 
schädlinge, Bedeutung  des  V^ogelschutzes  für  die  Forstentomologie,  über  die  Tse-Tse- 
Fliege,  über  afrikanische  Seidenzucht,  über  die  Lebensweise  der  Raupenfliegen,  über 
die  angewandte  Entomologie  in  Italien,  über  die  Notwendigkeit  der  Reformen  der  Ento- 
mologie in  Deutschland,  über  die  angewandte  Entomologie  in  den  Kolonien,  über  Ge- 
treideschädlinge usw.  enthalten. 


Im  gleichen  Verlag  1913  erschienen: 

K.  Escherich, 

Die  angewandte  Entomologie  in  den 
Vereinigten  Staaten. 

Eine   Einführung    in   die    biologische  Bekämpfungsmethode.      Zugleich   mit 
Vorschlägen  zu  einer  Reform  der  Entomologie  in  Deutschland. 

Mit  61  Textabbildungen.     196  Seiten.     Preis  6  M. 


Selten  hat  ein  entomologisches  Buch  so  viel  Aufsehen  erregt  und  so 
allgemeine  und  begeisterte  Zustimmung  gefunden  wie  die  Escherich'sche  Reform - 
Schrift,  und  selten  sind  Reformgedanken  so  schnell  in  die  Wirklichkeit  umgesetzt 
worden  wie  die  in  dieser  Schrift  dargelegten  Vorschläge,  —  ein  Zeichen,  daß 
der  Verfasser  zur  rechten  Zeit  den  rechten  Weg  gezeigt  hat. 

Aus  den  zahlreichen  Aufsätzen  und  Besprechungen,  die  über  das 
Escherich'sche  Amerikabuch  in  den  Zeitschriften  des  In-  und  Auslandes  er- 
schienen sind,  seien  nur  einige  Sätze  hier  wiedergegeben: 

Geh.-Rat  von  Rümker  schreibt  in  der  „Deutschen  Landwirtschaft- 
lichen Presse"  vom  19.  März  1913: 

„Dieses  höchst  verdienstliche  und  interessante  Buch  zeigt 
in  allgemein  verständlicher,  klarer  Weise  nicht  nur,  was  man  in 
Amerika  getan  und  erreicht  hat,  sondern  auch,  wie  wir  dieses  Vor- 
bild auf  unsere  deutschen  Verhältnisse  übertragen  können,  und 
es  wäre  im  Interesse  der  besonders  für  die  Landwirtschaft  und 
unsere  Kolonien  praktisch  so  bedeutsamen  Sache  von  größtem 
Werte,  wenn  dieses  Buch  nicht  nur  in  den  Kreisen  der  Praxis  und 
Wissenschaft,  sondern  auch  in  denen  der  Verwaltung  und  der  zu- 
ständigen Ministerien   bekannt   und  beachtet  würde  .  .  . 

Eine  frische  Brise  amerikanischer  Großzügigkeit  und  praktischen  Sinnes 
weht  einem  aus  diesem  Buche  entgegen,  das  an  vielen  Stellen  die  nur  durch 
Unkenntnis  der  Verhältnisse  entschuldbare  hochmütige  Verurteilung  amerika- 
nischer Einrichtungen  mit  Recht  geißelt  .  .  . 

Eine  weitere  Anregung  kann  man  aber  auch  aus  diesem  Buche  in  der 
Richtung  entnehmen,  daß  die  Pflanzenpathologie  ein  Gebiet  ist,  das  sich, 
wie  selten  eins,  für  internationale  Bearbeitung  eignet,  und  daß  sie  daher  ein 
sehr  dankbares  Objekt  für  die  gründlichere  Bearbeitung  im  Rahmen 
des  Internationalen  landwirtschaftlichen  Instituts  in  Rom  sein 
würde,  wenn  man  ihr  dort  die  entsprechenden  Arbeitskräfte  widmen  wollte."  . .  . 

Prof.  Dr.  E.  A.  Göldi  (Bern)  schreibt  in  einem  längeren  Aufsatz  in  der 
„Frankfurter  Zeitung": 

„Vor  wenigen  Wochen  ist  ein  Buch  erschienen,  das  den  Finger  auf 
eine  wunde  Steife  in  der  bisherigen  Organisation  des  naturwissenschafdichen 
Hochschulunterrichtes  legt  und  sowohl  durch  seinen  Inhalt,  als  durch  die 
Persönlichkeit  des  Verfassers  und  dessen  Stellung  in  den  Reihen 
der  führenden  Naturforscher  der  Aufmerksamkeit  der  Regierungen, 
den  akademischen  Lehrkörpern  und  dem  gesamten  Kreise  der- 
jenigen Gebildeten,  welche  den  Forderungen  der  Zeit  zugänglich 
sind,  angelegentlich  empfohlen  werden  kann.  Es  ist  verfaßt  von  Prof. 
Escherich  .  .  .  Das  neue  Buch  ist  ein  brillant  geschriebener  Rapport  des- 
jenigen, was  der  Verfasser  auf  einer  speziellen  Studienreise  nach  den  Vereinigten 


Staaten  beobachten  konnte  .  .  .  Wir  schließen  wiederholend,  daß  den  Unter- 
richtsministerien im  besonderen  und  allen  denjenigen  Kreisen,  die  sich  ein 
Urteil  über  die  Möglichkeit  und  Art  und  Weise  einer  zeitgemäßen  Ausgestaltung 
des  akademischen  Lehrplanes  bilden  möchten,  die  höchst  verdienstvolle 
Propaganda-Schrift  von  Prof.  Escherich  als  bahnbrechend  aufs 
wärmste  empfohlen  ist." 

Regierungsdirektor  Dr.  Wappes  (Spe3'er)  schreibt  im  „Forstwissen- 
schaftlichen Centralblatt"  (November  1913): 

„Wenn  ich  eine  Besprechung  des  Werkes  unternehme,  so  geschieht 
es,  weil  wir  in  dem  Werke  nicht  nur  eine  literarische  Erscheinung  zu  erblicken 
haben,  sondern  eine  Tat,  die  auch  für  das  Forstfach  von  wichtigen  Folgen 
sein  wird,  die  Einleitung  eines  entomologischen  Dienstes  in  Deutschland  .  .  . 
Professor  Es  che  rieh  hat  sich  nicht  damit  begnügt,  seine  Reformgedanken 
darzulegen,  sondern  hat  sie  auch  in  die  Tat  umzusetzen  gewußt,  und  so  kann 
ich  heute  mitteilen,  daß  die  Gründung  einer  „Deutschen  Gesellschaft  für  an- 
gewandte Entomologie"  fertige  Tatsache  ist  .  .  .  Für  heute  möchte  ich 
allen  Fachgenossen,  auch  wenn  sie  kein  besonderes  Interesse  für 
Entomologie  haben,  empfehlen,  das  Escherich'sche  Werk  zu  lesen, 
schon  um  das  viele  allgemein  Belehrende  und  Anregende  aufzu- 
nehmen, das  in  so  reichem  Maße  geboten  wird.  Die  Begeisterung  für 
wissenschaftliches  Forschen  in  Verbindung  mit  dem  weitschauenden  Blick  für 
das  praktisch  Mögliche  und  Wertvolle  kann  uns  nur  zum  Muster  dienen." 

Dr.  Aulmann  vom  Berliner  Museum  schreibt  in  der  „Deutschen  Entom. 
Zeitschrift" : 

.  .  .  „Die  vorliegende  Schrift  dürfte  als  eine  der  verdienstvollsten 
Arbeiten  auf  dem  Gebiete  der  angewandten  Entomologie,  welche  in 
den  letzen  Jahren  erschienen  sind,  anzusprechen  sein  ...  Es  wäre  sehr  zu 
wünschen,  daß  die  Arbeit  Escherichs  als  ständiges  Inventar  auf  dem 
Schreibtisch  der  an  diesen  Fragen  interessierten  Kreise  liegen 
möchte  .  .  .  ." 

Prof.  Dr.  Fritz  Schwangart,  Leiter  der  Zoologischen  Station  der  Königl. 
Lehr-  und  Versuchsstation  für  Obst-  und  Weinbau  in  Neustadt  a.  Haardt,  schreibt 
in  einem  längeren  Artikel  in  der  „München  Augsburger  Abendzeitung"  betitelt 
„Die  angewandte  Entomologie,  ein  Stiefkind  der  deutschen  Kultur" : 

.  .  .  „K.  Escherich,  einer  unserer  tüchtigsten  Insektenbiologen,  ist  weiteren 
Kreisen  besonders  durch  seine  Ameisen-  und  Termitenstudien  bekannt  ge- 
worden; in  den  letzten  Jahren  hat  er  sich  ganz  den  Aufgaben  der  angewandten 
Entomologie  hingegeben;  aus  dieser  Zeit  stammen  seine  speziellen  Arbeiten 
über  die  Nonne  und  sein  vortreffliches  Reformburch  ,Die  angewandte 
Entomologie  in  den  Vereinigten  Staaten'." 

Die    „Deutsche  Tageszeitung"    schließt  ihre  Besprechung  mit  den  Worten: 
.  .  .  „So    darf    man   das   Buch   wohl    als    ein   Vollkommenes   be- 
zeichnen,   das    bei    glänzender   Stoffbeherrschung    sein    Gebiet    er- 
schöpft    und     für     die    deutsche    Landwirtschaft    beachtenswerte    Ausblicke 
eröffnet  ..." 

Geh.-Rat  von  Seelhorst  schreibt  am  Schluß  seiner  Besprechung  im 
„Journal  für  Landwirtschaft": 

.  .  .  „Jedem,  der  die  ungeheueren  Schäden  kennt,  welche  die  deutsche 
Land-  und  Forstwirtschaft  durch  Insekten  erleidet,  wird  die  Lektüre  des  an- 
regend geschriebenen  Buches  den  Wunsch  erwecken,  daß  die  Vorschläge  des 
Verfassers  von  den  maßgebenden  Stellen  berücksichtigt  werden." 

Die  „Rewiew  of  Applied  Entomology"  (London)  schließt  ihre  längere 
Besprechung : 

.  .  .  „The  book  contains  a  large  mass  of  useful  and  well  arranged 
information  and  provides  an  excellent  summary  of  the  subject." 


Verlag  von  Paul  Parey  in   Berlin  SW.   11,  Hedemannstraöe  10  u.  11. 

Die  Lehre  vom  Waldschutz. 

Von  Dr.  H.  von  Fürst, 

Königl.  Forstdirektor,  Direktor  a.  D.  der  ehem.  Forstlichen  Hochschule  in  AschaflFenburg. 

Zugleich  siebente,  neubearbeitete  Auflage  von 

Kauschingers  Lehre  vom  Waldschutz. 

Mit  5  Tafeln.  Gebunden,  PrHs  4  M.  50  Pf. 
In  leicht  faßlicher  Form  geschrieben  und  in  seiner  neuesten  Auflage  den  Fortschritten 
der  Wissenschaft  und  Praxis  entsprechend  ergänzt,  ist  das  Buch  zum  Unterricht  sowohl  wie 
auch  zum  Selbststudium  gleich  brauchbar.  Es  lehrt  alle  die  Gefahren  kennen,  welche  den 
Wald  bedrohen  (Frost,  Hitze,  Schnee,  Sturm,  Blitz,  schädliche  Pflanzen,  Tiere  Und  Menschen), 
und  gibt  die  Mittel  an,  diesen  Gefahren  vorzubeugen  oder  doch  ihre  schädlichen  Folgen 
tunlichst  einzuschränken. 

Forstliche  Zoologie. 

Von  Dr.  Karl  Eckstein, 

Professor  an  der  Königlichen  Forstakademie  in  Eberswalde. 
Mit  660  Textabbildungen.  Gebunden,  Preis  20  M. 
Das  vorliegende  Werk  soll  dem  Forstmann  eine  Übersicht  über  das  gesamte  Tierreich 
geben,  vor  allem  aber  die  den  forst-  und  landwirtschaftlichen  Kulturpflanzen  schädlichen  Tiere 
eingehender  behandeln.  Es  ist  also  in  erster  Linie  für  den  Forstmann  geschrieben,  weiterhin 
natürlich  auch  für  jeden  Zoologen,  der  sich  eingehender  mit  diesem  speziellen  Gebiete  seines 
Faches  beschäftigen  will. 

Die  Technik  des  Forstschutzes  gegen  Tiere. 

Anleitung  zur  Ausführung  von  Vorbeugungs-  und  Vertilgungsmaßregeln 
in  der  Hand  des  Revierverwalters,  Forstschutzbeamten  und  Privatwaldbesitzers. 

Von  Dr.  Karl  Eckstein, 

Professor  an  der  Forstakademie  Eberswalde,  Dirigent  der  zoologischen  Abteilung  des  forstlichen 
Versuchswesens  in  Preußen. 

Mit  52  Textabbildungen.     Gebunden,  Preis  4  M.  50  Pf. 
Die   zur   Bekämpfung   forstschädlicher  Tiere    nötigen  Maßregeln   sind  hier  so  klar  und 
praktisch  beschrieben,  daß  jedermann  die  angegebenen  Vertilgungsmittel  wird  mit  Erfolg  zur 
Anwendung  bringen  können. 

Die  Kiefer  und  ihre  tierischen  Schädlinge. 

Von  Dr.  Karl  Eckstein, 

Professor  an  der  Forstakademie  Eberswalde. 

Erster  Band:    Die  Nadeln. 
Mit  22  farbigen  Lichtdrucktafeln  nach  Zeichnungen  des  Verfassers.    Kart.,  Preis  36  M. 

Leitfaden  der  Forstinsektenkunde. 

Von  Dr.  Otto  NUßlin, 

Grol3h.  Bad.  Geh.  Hofrat,  Prof  der  Zoologie  und  Forstzoologie  an  der  Technischen  Hochschule. 
Vorstand  am  Großh.  Naturalienkabinet  in  Karlsruhe. 

Zweite,  neubearbeitete  Auflage. 
Mit  432  Textabbildungen  und  den  Bildnissen  hervorragender  Forstentomologen.  In  Leinen 
gebunden,  Preis  12  M. 
Dem  allgemein  empfundenen  Bedürfnis  nach  einem  knappen,  reich  illustrierten  prak- 
tischen Lehrbuch  der  Forstinsektenkunde  dürfte  das  vorliegende  Werk  in  der  vortrefflichsten 
Weise  entsprechen.  Seine  Vorzüge  sind  vor  allem:  möglichst  kurze  und  knappe  Form, 
didaktische  Anordnung  mit  Bevorzugung  analytischer  Tabellen,  sodann  volle  Berücksichtigung 
des  wissenschaftlichen  Charakters,  der  neuesten  Forschungsmethoden  und  Literatur. 

Zu  beziehen  durch  jede  Buchhandlung. 


Verlag  von  Paul  Parey  in  Berlin  SW.  11,  Hedemannstraße  10  u.  11. 

Illustriertes  Forst-  und  Jagd-Lexikon. 

Zweite,  neubearbeitete  Auflage. 

Unter  Mitwirkung  hervorragender  Fachmänner  aus  Wissenschaft  und  Praxis 

herausgegeben  von  Dr.  H.  von  Fürst, 

Königl.  Forstdirektor  und  Direktor  a.  D.  der  ehem.  Königl.  Forstliclien  Hochschule  Aschafifenburg. 

Mit  860  Textabbildungen.    In  Halbleder  gebunden.  Preis  23  M. 

Das  illustrierte  Forste  und  Jag-d-Lexikon  enthält  Tausende  einzelner  Artikel  und  bietet 

so  die  Möglichkeit  schneller  Orientieruno-  über  alle  nur  erdenklichen  Fragen,  die  beim  Lesen 

der  Zeitschriften  wie  draußen  im  Wald  an  den  Land-  und  Forstwirt  herantreten.     Sein  Preis 

ist  im  Verhältnis  zum  Gebotenen  außerordentlich  niedrig. 

Die  Forstbenutzung. 

Ein  Lehr-  und  Handbuch. 

Begründet  von  Geh.  Rat,  Professor  Dr.  Karl  Gayer-München. 

Zehnte,  vermehrte  Auflage, 

bearbeitet  von  Professor  Dr.  Heinrich  Mayr-München. 

Mit  1  Porträt,  356  Textabbildungen  und  1  Farbendrucktafel.     Gebunden,  Preis  15  M. 

Die  zehnte  Auflage  des  weitbekannten  Werkes  ist  die  erste  nach  dem  Tode  seines  Be- 
gründers. Herausgegeben  von  Professor  Mayr,  der  sich  bereits  an  der  Herausgabe  der  neunten 
Auflage  wesentlich  beteiligte,  stellt  sie  eine  umfassende  Neubearbeitung  dar. 

Sie  dürfte  einer  freundlichen  Aufnahme  in  weitesten  Kreisen  gewiß  sein.  Auch  die 
Besitzer  älterer  Auflagen  des  Werkes  werden  in  der  neuen  Auflage  so  viel  des  Neuen  und 
Wichtigen  finden,  daß  sie  diese  nicht  werden  entbehren  können. 

Waldi3au  auf  naturgesetzlicher  Grundlage. 

Ein  Lehr-  und  Handbuch, 
bearbeitet  von  Professor  Dr.  Heinrich  Mayr-München, 

Mit  27  Textabbildungen  und  3  Tafeln.     Gebunden,  Preis  15  M. 

Dieses  neu  erschienene  Werk,  das  erste  Lehrbuch  des  Waldbaues  auf  natu r gesetz- 
licher Grundlage,  bringt  vollkommen  neue  Gesichtspunkte  und  wird  für  jeden  Porstwirt 
und  Waldbesitzer  eine  ungemein  anregende,  hochwillkommene  Gabe  sein. 

Die  in  ihm  aufgestetlten  Grundsätze  stehen  so  im  Mittelpunkte  des  allgemeinen  forstwirt- 
schaftlichen Interesses,  daß  jeder  aus  eigenem  Studium  heraus  zu  ihnen  wird  Stellung  nehmen  müssen. 

Vorträge  über  Pflanzenschutz 

der  Abteiinng  für  Pflanzenkrankheltcn  dos  Kaiser-Williehns-Institiits  für  Landwirtschaft  in  Bromberg. 
Herausgegeben  von  Dr.  Schander. 
Erstes  Heft:   Forstschutz.    I. 
Mit  61  Textabbildungen.     Preis  1  M.  20  Pf.    25  Stück  25  M.     50  Stück  45  M. 
Inhalt:  Einfluß  der  Holzkrankheiten  auf  die  Verarbeitung  und  Verwertung  des  Holzes. 
—   Die  Nonne.  —  Die   Schüttekrankheit   der  Kiefer   und   ihre    Bekämpfung.  —   Die   Borken- 
käfer,   ihre   Schäden   und   ihre   Bekämpfung.    —  Rostkrankheiten   der  Kiefer   und  Fichte    und 
Triebschwinden  der  Kiefer. 

Zweites  Heft:    Forstschutz.     II. 
Mit  52  Textabbildungen.     Preis  1  M.  60  Pf.    25  Stück  35  M.     50  Stück  60  M. 
Inhalt:  Die  Bedeutung  der  Samenprovenienzfrage.  —  Der  forstliche  Kulturbetrieb  und 
seine  Krankheiten.  —  Forstlich  wichtige  Schildläuse. 

Tabellen  zur  Bestimmung  schädlicher  Insekten 

nach  den  Fraßbeschädigungen. 

Von  R.  Koch, 

Königlich  Baj-eriseber  Forstamtsassessor. 

Fichte  und  Tanne.     Mit  150  Textabbildungen.     Gebunden,  Preis  3  M. 

Kiefer  und  Lärche.     Mit  217  Textabbildungen.     Gebunden,  Preis  4  M.  50  Pf. 

Zu  beziehen  durch  jede  Buchhandlung. 


Verlag  von  Paul  Parey  in  Berlin  SW.   11,  Hedemannstraße  10  u.  11. 


Handbuch  der  Pflanzenkrankheiten. 

Dritte,  vollständig  neubearbeitete  Auflage, 

in  Gemeinschaft  mit 

Prof.  Dr.  G.  Lindau,  und  Dr.  L.  Reh, 

Privatdozent  an  der  Universität  Berlin,  Assistent  am  Naturhist.  Museum  in  Hamburg, 

herausgegeben  von 

Geh.  Reg.-Rat  Prof.  Dr.  P.  Sorauer,  Berlin. 


Erster  Band:    Die  nichtparasitären  Krankheiten. 

Bearbeitet  von  Geh.  Reg.-Rat  Prof.  Dr.  P.  Sorauer. 
Mit  208  Textabbildungen.     891  Seiten.     Gebunden,  Preis  36  M. 

Zweiter  Band:    Die  pflanzlichen  Parasiten. 

Bearbeitet  von  Prof.  Dr.  G.  Lindau. 
Mit  62  Textabbildungen.     550  Seiten.     Gebunden,  Preis  20  M. 

Dritter  Band:    Die  tierischen  Feinde. 

Bearbeitet  von  Dr.  L.  Reh. 
Mit  386  Textabbildungen.     774  Seiten.     Gebunden,  Preis  33  M. 

Der  Besitz  eines  umfassenden  Werkes  über  Pflanzenkrankheiten  und 
damit  die  Erwerbung  eingehender  Kenntnisse  auf  diesem  so  außerordentlich 
wichtigen  Gebiete  ist  für  jeden  gebildeten  Land-  und  Forstwirt  in  hohem 
Grade  wünschenswert  und  rein  praktisch  von  größtem  Nutzen. 

Die  neue,  dritte  Auflage  des  Handbuchs  der  Pflanzenkrankheiten  stellt 
gegenüber  der  früheren  Auflage  ein  vollständig  neues  Werk  dar. 

Seiner  ganzen  Anlage  nach  ist  Sorauers  Handbuch  der  Pflanzenkrankheiten 
in  seiner  dritten  Auflage  als  das  zurzeit  umfassendste,  in  jeder  Hinsicht  grund- 
legende Werk  des  mächtig  sich  entwickelnden  Gebietes  der  Phytopathologie  zu 
bezeichnen,  wie  es  keine  andere  Nation  besitzt  und  dessen  Anschaffung  warm 
zu  empfehlen  ist. 

Die  Forsteinrichtung. 

Von  Dr.  Friedrich  Judeich, 

weil.  Königl.  Sächsischer  Geheimer  Oberforstrat,  Direktor  der  Forstakademie  zu  Tharand. 

Sechste,  ergänzte  Auflage 
von  Dr.  Max  Neumeister, 

Königl.  Sächsischer  Geheimer  Oberforstrat,  Direktor  der  Forstakademie  zu  Tharand. 

Mit  einer  Karte  in  Farbendruck.     Gebunden,  Preis  10  M.  50  Pf. 

Daß  bereits  sechs  Auflagen   von  dem  berühmten  Judeich'schen  Buche  vorliegen,  ist  ein 

beredtes  Zeugnis  für   seine   große   Beliebtheit.     Es   ist   in  der  Tat  ein   ganz   ausgezeichnetes 

Buch,    gleich    wertvoll   für    Wissenschaft    wie   Praxis.   —   Die   Urteile   forstwissenschaftlicher 

Autoritäten  sind  durchweg  fflänzend. 


Zu  beziehen  durch  jede  Buchhandlung.