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Full text of "Niedersächsisches Jahrbuch für Landesgeschichte 2004"

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Niedersachsisches Jahrbuch fur Landesgeschichte 

Band 76 • 2004 



NIEDERSACHSISCHES 
JAHRBUCH 

FUR LANDESGESCHICHTE 



Neue Folge der 
»Zeitschrift des Historischen Vereins fur Niedersachsen« 

Herausgegeben von der 
Historischen Kommission fur Niedersachsen und Bremen 



Band 76 




2004 



VERLAG HAHNSCHE BUCHHANDLUNG • HANNOVER 



Das Jahrbuch ist zugleich Organ des Historischen Vereins fur Niedersachsen 

in Hannover 



Schriftleitung: 

Dr. Dieter Brosius 
(verantwortlich fur die Aufsatze und die kleinen Beitrage) 

Dr. Thomas Franke 
(verantwordich fiir die Buchbesprechungen und Nachrichten) 

Anschrift: 

Am Archiv f 

Niedersachsisches Hauptstaatsarchiv 

30f69 Hannover 



Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek 

Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der 

Deutschen Nationalbibliografie; 

detaillierte bibliografische Daten sind im Internet 

iiber http://dnb.ddb.de abrufbar. 



ISSN 0078-0561 
ISBN 3-7752-3376-8 

Satz: Myron Wojtowytsch, Gottingen 
Druck und Bindung: poppdruck, 30851 Langenhagen 



Inhalt 



Aufsatze 

TIERE IN DER NIEDERSACHSISCHEN GESCHICHTE. Vortrage 
auf der Tagung der Historischen Kommission fiir Niedersachsen und 
Bremen vom 23. bis 25. Mai 2003 in Verden 

1 . „ Auf den GroBmarkten des rheinisch-westfalischen Industriegebiets 
bildet das Oldenburger Schwein eine Klasse fiir sich." Viehzucht im 
Herzogtum Oldenburg wahrend der Industrialisierungsepoche 
(1871-1914). Von Bernd Mutter 1 

2. Tiere in niedersachsischen Ortsnamen. Von Jiirgen Udolph .... 27 

3. „Rechtstiere" der Spatantike im mittelalterlichen Niedersachsen. 
Pferd und Rind als Rechtsinstitutionen in der hoheitlichen Ver- 
kehrsstruktur des Mittelalters. Von Wolfgang Christian Schneider . 47 

4. Die Ausrottung eines „gefahrlichen Untiers". Wolfsjagden in Nie- 
dersachsen vom 16. bis zum 19. Jahrhundert. Von Gerd van den 
Heuvel 71 

5. Schaustellung fremdlandischer Tiere im 19. Jahrhundert in Nieder- 
sachsen und ihr Import. Von LotharDiTTRiCH 103 

6. Tierschutz zum „Besten der Menschen". Pastor Hermann Wilhelm 
Bodeker und die Griindung des hannoverschen Tierschutzvereins 
imjahr 1844. Von Claudia Kauertz 117 

Beginen - Sustern - Vrome Vrouwen. Zur Kulturgeschichte weiblicher 
religioser Bewegungen im Spatmittelalter zwischen Mystik und Welt. 
Von Gerhard Kaldewei 133 

Steinkohle als Energietrager. Herzogjulius von Braunschweig- Wolfenbiit- 
tel und der Kohlenbergbau bei Hohenbiichen am Hils in der zweiten 
Halfte des 16. Jahrhunderts. Von Hans-Joachim Kraschewski 181 

Die biirgerliche Kaufmannsfamilie Tenge im Strukturwandel der Stadt 

Osnabriick zwischen 1650 und 1850. Von Frank Konersmann 219 

Nagelungen in Niedersachsen im Ersten Weltkrieg. Von Gerhard 

Schneider 245 



VI Inhalt 

Kleine Beitrdge 

Albert oder Gervasius? Spat oder friih? Kritische Bemerkungen zu dem 

Buch vonjiirgen Wilke iiber die Ebstorfer Weltkarte. Von Armin Wolf 285 

Die Celler Elle als NormmaB fiir den hannoverschen Staat. Von Helmut 

RfJGGEBERG 319 

Die Urspriinge derKurhannoverschen Landesvermessung im Elbe-Weser- 
Dreieck und die Nutzungsgeschichte des dabei entstandenen Karten- 
werks. Von Wolfgang Dorfler 333 

Forschungsbericht 

Der Forschungsschwerpunkt „Geschichte des Berg- und Hiittenwesens im 
Harz in seinen wirtschaftlichen, sozialen, politischen und kulturellen 
Aspekten". Von Karl Heinrich Kaufhold 353 

Besprechungen und Anzeigen 

Allgemeines, S. 365. — Landeskunde, S. 369. — Volkskunde, S. 374. — Allge- 
meine Geschichte und Landesgeschichte, S. 377. — Rechts-, Verfas- 
sungs- und Verwaltungsgeschichte, S. 387. — Wirtschafts- und Sozialge- 
schichte, S. 394. — Geschichte des geistigen und kulturellen Lebens, 
S. 425. — Kirchengeschichte, S. 440. — Geschichte einzelner Landestei- 
le und Orte, S. 449. - Personengeschichte, S. 491. 

Nachrichten 

Historische Kommission fiir Niedersachsen und Bremen. Jahrestagung 
vom 14. bis 16. Mai 2004 und Mitgliederversammlung am 15. Mai 2004 
in Lingen 499 

Berichte aus den Arbeitskreisen 508 

Verzeichnis der besprochenen Werke 

Agrarmodernisierungund okologische Folgen. Westfalen vom 18. bis zum 20. 
Jahrhundert. Hrsg. von Karl Ditt, Rita Gudermann und Norwich 
RiiBe ( J. Laufer) 396 

Ahlers, Gerd: Weibliches Zisterziensertum im Mittelalter und seine Klo- 

ster in Niedersachsen (R. Colberg) 440 



Inhalt VII 

Albrecht, Uwe: Der Renaissancebau des Celler Schlosses: zur Genese des 
Zwerchhauses und zum Bildprogramm der Fassaden des 16. Jahrhun- 
derts (U. Boeck) 436 

Barnowski-Fecht, Sabine: Das Handwerk der Stadt Oldenburg zwischen 
Zunftbindung und Gewerbefreiheit (1731-1861). Die Auflosung der So- 
zialverfassung des „alten Handwerks" und ihre Transformation unter 
den Bedingungen von Stadtentwicklung und staatlicher Gewerbepoli 
tik (G. Kaldewei) 412 

Beckmann, Werner: Die Reedereien derHochsee- und Heringsfischerei in 

Bremerhaven (I. Heidbrink) 403 

700 Jahre Bremer Recht: 1303-2003. Hrsg. von Konrad Elmshauser und 

AdolfE.Hofmeister(A. Bauer) 389 

Brucken in eine neue Welt. Auswanderer aus dem ehemaligen Land Braun- 
schweig. Hrsg. von Horst-Riidiger Jarck und Elke Niewohner (U.-B. 
Dittrich) 449 

Casemir, Kirstin: Die Ortsnamen des Landkreises Wolfenbiittel und der 

Stadt Salzgitter(W. Meibeyer) 465 

Casemir, Kirstin, Uwe Ohainski und Jiirgen Udolph: Die Ortsnamen des 

Landkreises Gottingen (M. Lehmberg) 453 

Denis, Walter: Aus der Geschichte der jiidischen Gemeinde in Cloppenburg. Ein 
Beitrag zur Stadtgeschichte. Hrsg. vom Heimatbund fur das Oldenbur- 
gerMiinsterland(M. Nistal) 471 

Dahms, Thomas: Die Hagen von Salzgitter-Gebhardshagen, Braun- 
schweig, Gandersheim und des Kliitzer Ortes. Eine regionale Ver- 
gleichsstudie zur mittelalterlichen Wald- und Siedlungsgeschichte in 
Niedersachsen und Mecklenburg (B. Bei der Wieden) 373 

DoLL,Eberhard: Liebfrauenkirche inNeustadt a. Rbge. DerKlerus vorder 
Reformation und die ev.-luth. Pastoren bis 1679. Eine personenge- 
schichtliche Studie (H. Hoing) 446 

Drecktrah, Volker Friedrich: Die Gerichtsbarkeit in den Herzogtiimern 
Bremen und Verden und in der preuBischen Landdrostei Stade von 
1715 bis 1879 (W.Sellert) 387 

Der Landkreis Emsland. Geographie, Geschichte, Gegenwart. Eine Kreis- 
beschreibung. Hrsg. im Auftrag des Landkreises Emsland von Werner 
Franke, Josef Grave, Heiner Schiipp, Gerd Steinwascher (H.-H. 
Meyer) 369 



VIII Inhalt 

Das Erbe der Provinz. Heimatkultur und Geschichtspolitik nach 1945. 

Hrsg. von Habbo Knoch (I. Wilharm) 427 

Historisch-landeskundliche Ex kursionskarte von Niedersachsen - 1:50.000. 
Blatt Harsefeld-Stade. Hrsg. von Brage Bei der Wieden und Gerhard 
Streich (W. Meibeyer) 371 

Findbuch zu den Akten des Konsistoriums in Stade (1652-1903) in staatli- 
chen und Kirchlichen Archiven. Bearb. von Brage Bei der Wieden, Sa- 
bine Graf und Hans Otte (B.-Ch. Fiedler) 448 

Funke, Brigitte: Cronecken der sassen. Entwurf und Erfolg einer sachsi- 
schen Geschichtskonzeption am Ubergang vom Mittelalter zur Neu- 
zeit (G. Gleba) 425 

Goslar im Mittelalter. Vortrage beim Geschichtsverein. Hrsg. von Hans- 

georgEngelke (M. Schindler) 473 

Hillmann, Jorg: Territorialrechtliche Auseinandersetzungen der Herzoge 
von Sachsen-Lauenburg vor dem Reichskammergericht im 16. Jahr- 
hundert (Ch. Gieschen) 455 

Hirschfeld, Michael: Katholisches Milieu und Vertriebene. Eine Fallstu- 

die am Beispiel des OldenburgerLandes 1945-1965 (H.-G. Aschoff) . . 444 

Hohl, Monika: Die Pest in Hildesheim. Krankheit als Krisenfaktor im 
stadtischen Leben des Mittelalters und der friihen Neuzeit (1350-1750) . 
(C.Kauertz) 480 

Grafschaft Holstein-Schauenburg-Pinneberg: Findbuch des Bestandes Abt. 3. 

Bearb. von Malte Bischoff und Lars E.Worgull (H. Bei der Wieden) . . 385 

Industrie und Mensch in Siidniedersachsen - vom 18. bis zum 20. Jahr- 

hundert. Hrsg. von Birgit Schlegel (O. Merker) 407 

Kelichhaus, Stephan: Goslar um 1600 (M. Schindler) 475 

Knoke, Hans: Hamelner Wasserbauwerke an der Weser. Die Geschichte 
der Schleusen und Wehre, der Miinsterbriicke und des Hafens (Th. 
Krueger) 404 

Kohler, Nils: Zwangsarbeit in der Liineburger Heide. Organisation und Alltag 

des „Auslandereinsatzes" 1939-1945 (U. Reinhardt) 421 

Kruppa, Nathalie: Die Grafen von Dassel (1097-1337/38) (J. Dolle) .... 491 

Herzogtum Lauenburg: Das Land und seine Geschichte. Ein Handbuch. 

Hrsg. von Eckardt Opitz (K.-J. Lorenzen-Schmidt) 380 



Inhalt IX 

Linnemeier, Bernd-Wilhelm: Jiidisches Leben im Alten Reich. Stadt und 

Fiirstentum Mindenin der Friihen Neuzeit (Th. Bardelle) 459 

Lippe 1848. Von der demokratischen Manier eine Bittschrift zu iiberrei- 
chen. Hrsg. von Harald Pilzer und Annegret Tegtmeier-Breit (D. 
Brosius) 378 

Manns, Hergen: Das Scheitern der Weimarer Republik und die national- 
sozialistische Machtiibernahme in Wilhelmshaven-Riistringen. Zwei 
Stadte im Schatten derReichsmarine (J. Tautz) 488 

Beziehungen Mecklenburgs zu Reichsterritorien und auswartigen Machten 
(15. bis 19.Jahrhundert): Findbuch des Bestandes 2.11-2/1 Acta externa 
Bd. 3. Bearb. von Dirk Schleinert unter Mitarb. von Johann Peter 
Wurm(H. Bei derWieden) 382 

Meiners, Werner: Nordwestdeutsche Juden zwischen Umbruch und Be- 
harrung. Judenpolitik und jiidisches Leben im Oldenburger Land 
bis 1827 (J. Lokers) 463 

Mex, Jenny: Der kurhannoversche Eisenhiittenverbund und sein Markt 

(1765-1806) (M. Fessner) 399 

Justus Mdser. Politische und juristische Schriften. Hrsg. von Karl H. L. Wel- 

ker(G. van denHeuvel) 493 

Moser-Forum 3/1995-2001. Hrsg. von Winfried Woesler (Ch. van den 

Heuvel) 494 

Muller, Ulfrid: Die St. Osdag-Kirche in Neustadt-Mandelsloh. Ein repra- 

sentativerSakralbau aus friihstaufischerZeit (K. Maier) 482 

Nachkriegszeit in Niedersachsen. Beitrage zu den Anfangen eines Bun- 
deslandes. Hrsg. von Herbert Obenaus und Hans-Dieter Schmid (D. 
Brosius) 384 

Pelzer, Marten: Landwirtschaftliche Vereine in Nordwestdeutschland. 
Das Beispiel Badbergen. Eine Mikrostudie zur Vereins- und Agrarge- 
schichte im 19. und friihen 20. Jahrhundert (N. Riigge) 374 

Von der Polizei der Obrigkeit zum Dienstleister fur offentliche Sicherheit. 
Festschrift zum 100. Gebaudejubilaum des Polizeiprasidiums Hanno- 
ver 1903-2003. Hrsg. von Hans-Joachim Heuer, Hans-Dieter Klosa, 
Burkhard Lange und Hans-Dieter Schmid (H.-M. Arnoldt) 477 



X Inhalt 

Quellen zu den geschichtlichen Beziehungen Schaumburgs zu Schleswig- 
Holstein und Hamburg im Staatsarchiv Biickeburg. Ein sachthemati 
sches Inventar. Bearb. von Lars E. Worgull (H. Bei derWieden) .... 385 

Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes. Abt. II: 1830-1848. Bd. 1: 
Reformplane und Repressionspolitik 1830-1834. Bearb. von Ralf Zer- 
back (H.-G. Aschoff) 377 

Mittelalterliche Rathauser in Niedersachsen und Bremen: Geschichte, 
Kunst, Erhaltung. Hrsg. von Ursula Schadler-Saub und Angela Weyer 
(M. Ohm) 433 

Realitat und Mythos: Hexenverfolgung und Rezeptionsgeschichte. Hrsg. 

von Katrin Moeller und Burghart Schmidt (C. Kauertz) 429 

Reiter, Raimond: Sinti und Roma im „Dritten Reich" und die Geschichte 

derSinti in Braunschweig (H.-D. Schmid) 417 

Schroder, Anette: Vom Nationalismus zum Nationalsozialismus. Die Stu- 
denten der Technischen Hochschule Hannover von 1925 bis 1938 
(K.Mlynek) 423 

Schropfer, Torsten: Fundgrube. Wissenswertes iiberden WestharzerBerg- 

bau und das Hiittenwesen (H. -J. Gerhard) 394 

Servorum Dei Gaudium. Das ist Treuer Gottes Knechte Freuden Lohn. Le- 
bensbeschreibungen aus dem Umfeld des Wismarer Tribunals. Hrsg. 
und komm. von Nils Jorn (B.C. Fiedler) 419 

Siemers, Viktor-Ludwig: Braunschweigische Papiergewerbe und die Ob- 
rigkeit. Merkantilistische Wirtschaftspolitik im 18. Jahrhundert (M. 
Mende) 401 

Siemon, Thomas: Ausbiixen, Vorwartskommen, Pflicht erfiillen. Bremer 
Seeleute am Ende der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus 
1930-1939 (I. Heidbrink) 415 

Steinert, Mark Alexander: Die alternative Sukzession im Hochstift Osna- 
briick. Bischofswechsel und das Herrschaftsrecht des Hauses Braun- 
schweig-Liineburg in Osnabriick 1648-1802 (Ch. Hoffmann) 392 

Steinwascher, Gerd: Osnabriick und der Westfalische Frieden. Die Ge- 
schichte der Verhandlungsstadt 1641-1650 (Ch. van den Heuvel) .... 485 

Strathmann, Gabriele: Das ehemalige Herzogtum Braunschweig unter 
dem Aspekt der Auswanderung - bei besonderer Beriicksichtigung der 



Inhalt XI 

westlichen Landkreise Holzminden und Gandersheim - von 1750 bis 
1900 (U.-B. Dittrich) 451 

Stupor Saxoniae Inferioris. Ernst Schubert zum 60. Geburtstag. Hrsg. von 
Wiard Hinrichs, Siegfried Schutz und Jiirgen Wilke. Mit Beitragen 
vonBrageBei derWiedenu.a. (B. Kehne) 365 

Szabo, Aniko: Vertreibung, Riickkehr, Wiedergutmachung. Gottinger 

Hochschullehrerim Schatten des Nationalsozialismus (C. Becker) . . . 410 

Umschlossene Welt - geoffnete Biicher: Die Bibliotheken des Ratsgymnasi- 
ums Stadthagen im Zeitalter der Renaissance (1486-1648). Beschrei- 
bungund Analyse von Udojobst (B. Bei derWieden) 431 

Die Universitdt Hannover. Ihre Bauten, ihre Garten, ihre Planungsge- 

schichte. Hrsg. von Sid Auffahrt und Wolfgang Pietsch (R. Zittlau) . . . 438 

Die Urkunden des Neustadter Landes. Bd. 1: 889-1302. Zusammengestellt 
von Klaus Fesche. Bearb., iibers. u. eingeleitet von Annette von 
Boetticher(W. Besier) 461 

Urkundenbuch der Stadt Braunschweig. Band 6: 1361-1374 samt Nachtra- 
gen. Hrsg. von Manfred R. W. Garzmann. Bearb. von Josef Dolle (K. 
Gieschen) 468 

Urkundenbuch der Stadt Braunschweig. Band 7: 1375-1387. Bearb. vonjosef 

Dolle (K. Gieschen) 468 

Urkundenbuch des Klosters Walkenried. Bd. 1. Von den Anfangen bis 1300. 

Bearb. vonjosef Dolle nachVorarb. von Walter Baumann (S. Graf) . . 487 

Veddeler, Peter: Wappen - Siegel - Flaggen: Die kommunalen Hoheits- 
zeichen des Landschaftsverbandes, derKreise, Stadte und Gemeinden 
in Westfalen-Lippe (A. Rabbow) 367 

Voltaire et sa „grande amie". Correspondance complete de Voltaire et de 
Mme Bentinck (1740-1778). Edition de Frederic Deloffre et Jacques 
Cormier (H. -P. Schramm) 497 

Wessels, Paul: „Weiche nicht den Bosen, tritt kiihnerihnen entgegen". Der 
Historiker Onno Klopp. Eine biographische Studie auf der Grundlage 
seiner Tagebiicher (W. Deeters) 492 

Westfalisches¥>\o&terh\ic)\. Lexikon der vor 1815 errichteten Stifte und Klo- 
ster von ihrer Griindung bis zur Aufhebung. Teil 3: Institutionen und 
Spiritualitat. Hrsg. von Karl Hengst (B. Schmidt-Czaia) 441 



XII Inhalt 

Wiese, Axel: Die Hafenbauarbeiter an derjade (7853-7877). Wilhelmshaven 
als GroBbaustelle. Die Entstehung des Reichskriegshafens unterbeson- 
derer Beriicksichtigung der Lebensverhaltnisse und Arbeitsbedingun- 
gen derbeim Ausbau beschaftigten Arbeiter ( J. Tautz) 408 



Verzeichnis der Mitarbeiter 

Hans-Martin Arnoldt, Braunschweig, 477. - Prof. Dr. Hans-Georg Aschoff, Han- 
nover, 377, 444. - Dr. Thomas Bardelle, Rom, 459. - Dr. Andreas Bauer, Osna- 
briick, 389. - Dr. Claudia Becker, Lippstadt, 410. - Dr. Brage Bei der Wieden, 
Hannover, 373, 431. - Dr. Helge Bei der Wieden, Biickeburg, 382, 385. - Dr. Wer- 
ner Besier, Neustadt a.R., 461. - Dr. Urs Boeck, Hannover, 436. - Dr. Dieter Bro- 
sius, Hannover, 378, 384. - Dr. Katharina Colberg, Hannover, 440. - Dr. Walter 
Deeters, Aurich, 492. -Prof. Dr. Lothar Dittrich, Celle, 103. -Dr. Ursula-Barbara 
Dittrich, Coppenbriigge, 449, 451. - Dr. Josef Dolle, Braunschweig, 491. - Dr. 
Wolfgang Dorfler, Gyhum, 333. - Dr. Michael Fessner, Bochum, 399. - Dr. Beate- 
Christine Fiedler, Stade, 419, 448. - Dr. Hans-Jiirgen Gerhard, Hardegsen, 394. - 
Dr. Christoph Gieschen, Wennigsen, 455. - Dr. Karin Gieschen, Wennigsen, 468. 
- Prof. Dr. Gudrun Gleba, Oldenburg, 425. - Dr. Sabine Graf, Hannover, 487, 
499. - Dr. Ingo Heidbrink, Bremerhaven, 403, 415. - Dr. Christine van den 
Heuvel, Hannover, 485, 494. - Dr. Gerd van den Heuvel, Hannover, 71, 493. - Dr. 
Christian Hoffmann, Stade, 392. - Dr. Hubert Hoing, Neustadt a.R., 446. - Dr. 
Gerhard Kaldewei, Delmenhorst, 133, 412. - Dr. Claudia Kauertz, Hannover, 117, 
429, 480. - Prof. Dr. Karl Heinrich Kaufhold, Gottingen, 353. - Dr. Birgit Kehne, 
Osnabriick, 365. - Dr. Frank Konersmann, Bielefeld, 219. - Dr. Hans-Joachim 
Kraschweski, Marburg/Lahn, 181. - Thomas Krueger, Alfeld, 404. - Dr. Johan- 
nes Laufer, Gottingen, 396. - Dr. Maik Lehmberg, Gottingen, 453. - Dr. Jan Lo- 
kers, Stade, 463. - Dr. Klaus-Joachim Lorenzen-Schmidt, Hamburg, 380. - Dr. 
Konrad Maier, Hannover, 482. - Prof. Dr. Wolfgang Meibeyer, Braunschweig, 
371, 465. - Prof. Dr. Michael Mende, Hannover, 401. - Dr. Otto Merker, Hanno- 
ver, 407. - Prof. Dr. Hans-Heinrich Meyer, Erfurt, 369. - Dr. Klaus Mlynek, Han- 
nover, 423. - Prof. Dr. Bernd Mutter, Oldenburg, 1. - Dr. Matthias Nistal, Olden- 
burg, 471. - Dr. Matthias Ohm, Dortmund, 433. - Dr. Arnold Rabbow, Braun- 
schweig, 367. - Dr. Uta Reinhardt, Liineburg, 421. - Dr. Niclas Rtigge, 
Osnabriick, 374. - Helmut Riiggeberg, Celle, 319. - Dr. Margarete Schindler, 
Buxtehude, 473, 475. - Dr. Hans-Dieter Schmidt, Hannover, 417. - Dr. Bettina 
Schmidt-Czaia, Braunschweig, 441. - Prof. Dr. Gerhard Schneider, Hannover, 
245. - Prof. Dr. Wolfgang Christian Schneider, Darmstadt, 47. - Prof. Dr. Hans- 
Peter Schramm, Hannover, 497. - Prof. Dr. Wolfgang Sellert, Gottingen, 387. - Dr. 
Joachim Tautz, Oldenburg, 408, 488. - Prof. Dr. Jiirgen Udolph, Leipzig, 27. - 
Prof. Dr. Irmgard Wilharm, Hannover, 427. - Prof. Dr. Armin Wolf, Frankfurt, 
285. - Dr. Reiner Zittlau, Hannover, 438. 



TIERE IN DER 
NIEDERSACHSISCHEN GESCHICHTE 

Vortrage auf der Tagung der 

Historischen Kommission fur Niedersachsen und Bremen 

vom 23. bis 25. Mai 2003 in Verden 

1. 

,Auf den GroBmarkten des rheinisch-westfalischen 

Industriegebiets bildet das Oldenburger Schwein 

eine Klasse fur sich." 

Viehzucht im Herzogtum Oldenburg wahrend 
der Industrialisierungsepoche (1871-1914) 

Mit sieben Abbildungen 
Von Bernd Mutter 



„ Auf den GroJ&markten des rheinisch-westfalischen Industriegebiets bildet das Oldenburger 
Schwein eine Klasse fur sich, so dass die Bezeichnung ,Oldenburger Schwein 'fur den Grofi- 
stadtmetzger z.u einemfeststehendenBegrifffiireinFleischschwein bester Qualitdt geworden 
ist." 1 Mit diesen Worten charakterisierte der Landwirtschaftsrat Krogmann die 
ausgezeichneten Absatzverhaltnisse der Schweineziichter und -master im ehema- 
ligen Herzogtum Oldenburg, also der Region zwischen dem Wattenmeerim Nor- 
den, dem Osnabriicker Land im Siiden, Bremen und der Weser im Osten und 
dem Emsland und Ostfriesland im Westen. Eine solche Glanzzeit hat die olden- 
burgische Landwirtschaft nie wieder erlebt. Dies gilt nicht nur fur die Schweine- 



Vorbemerkung: 

Vortrag auf derjahrestagung der Historischen Kommission fur Niedersachsen und Bremen 
in Verden am 23. Mai 2003 und im Niedersachsischen Staatsarchiv in Oldenburg und Olden- 
burger Landesverein fur Geschichte, Natur- und Heimatkunde e. V. am 27. November 2003. 
Auf Einzelnachweise wird im Folgenden verzichtet, mit Ausnahme der Zitate. Die meisten 



2 Bernd Mutter 

produzenten auf der Geest, sondern auch fiir die Rinderhalter, vor allem in den 
Marschen. 

Die Agrarmodemisierung um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert ist ein 
weltweiter Vorgang - anders als etwa der Landesausbau im Mittelalter. Im Unter- 
schied zu alien landwirtschaftlichen Strukturwandlungsprozessen, die es natiir- 
lich friiher auch schon gegeben hat, ist sie ohne die gleichzeitig ablaufende Indu- 
strialisierung undenkbar. 

Die Industrialisierung Deutschlands erweckt in vielen Kopfen die Vorstellung 
von einer flachendeckenden Schwer- und Textilindustrialisierung des ganzen 
Landes. Davon kann in Wirklichkeit aberkeine Rede sein, wie die nun schon lan- 
ger andauernden Untersuchungen zur regionalen Differenzierung im Industriali- 
sierungszeitalter ergeben haben. 2 Die eigentliche Industrialisierung beschrankte 
sich auf wenige Ballungsraume, von denen im Nordwesten Deutschlands die rhei- 
nisch-westfalischen Industriereviere, Bielefeld, die Hansestadte, Hannover, 
Braunschweig und Wilhelmshaven am wichtigsten waren. Aberderhier erfolgen- 
de wirtschaftliche Strukturwandel veranderte die gesamtwirtschaftlichen Rah- 
menbedingungen auch fiir alle iibrigen Regionen Deutschlands - mit unter- 



Belege fiir die hier gemachten Ausfiihrungen finden sich in folgendem Band : Bernd Mutter / 
Robert Meyer: Agrarmodemisierung im Herzogtum Oldenburg" zwischen Reichsgriindung 
und Erstem Weltkrieg. Marsch und Geest im intraregionalen Vergleich (Amter Brake/Els- 
fleth und Cloppenburg). Hannover 1995 (= Veroffentlichungen der Historischen Kommissi- 
on fiir Niedersachsen und Bremen Bd. XXXIV, 18). Das Buch enthalt auch ein ausfiihrliches 
Literaturverzeichnis mit den wichtigsten Titeln zur deutschen Landwirtschaftsgeschichte 
und umfangliches statistisches Material. 

Die pflanzliche Produktion bleibt im Folgenden auBer Betracht bzw. taucht nur als 
Futterproduzent fiir die Viehzucht auf. Bei dieser stehen Rinder- und Schweinezucht ganz im 
Vordergrund - sie sind die Nutztierarten, die den Prozess der viehwirtschaftlichen Moderni- 
sierung vor allem trugen. Pferde, die in Oldenburg eine lange Zuchttradition haben, Schafe, 
von denen ganz erhebliche Zahlen auf den ausgedehnten Heideflachen und auf den Deichen 
weideten, und Gefliigel, das erst nach dem Untersuchungszeitraum eine bedeutende Rolle 
fiir die regionale Landwirtschaft gewann, werden nicht berucksichtigt. Pferde, die einen er- 
heblichen Wert darstellten, waren fiir die landwirtschaftliche Wertschopfung vor allem als 
Zugkraft von Bedeutung - und wurden in dieser Rolle langfristig durch Traktoren verdrangt. 
Hohe Schafbestande gelten geradezu als Indikator fiir landwirtschaftliche Riickstandigkeit, 
da sie groBe Flachen unbearbeiteten Landes zur Voraussetzung haben. 

1 Heinrich Krogmann: Die Tierzucht im Oldenburger Lande, in: Oldenburgische Land- 
wirtschaftskammer (Hg.) : Die oldenburgische Landwirtschaft und die oldenburgische Land- 
wirtschaftskammer. Kiel 1930, S. 25-30, dort S. 27. 

2 Vgl. Rainer FREMDLING/Richard H. Tilly (Hg.): Industrialisierung und Raum. Studien 
zur regionalen Differenzierung im Deutschland des 19. Jahrhunderts. Stuttgart 1979; Sidney 
Pollard (Hg.): Region und Industrialisierung. Studien zur Rolle der Region in der Wirtschafts- 
geschichte der letzten zwei Jahrhunderte. Gottingen 1980; Hubert Kiesewetter/ Rainer 
Fremdling (Hg.): Staat, Region und Industrialisierung. Ostfildern 1985. 



Viehzucht im Herzogtum Oldenburg (1871-1914) 







Naturrdumliche Gliederung des Herzogtums Oldenburg, 
aus: Ernst Hinrichs, Rosemarie Kramer, Christoph Reinders: Die Wirtschaft 
des Landes Oldenburg in vorindustrieller Zeit, Oldenburg 1988, S. 12. 



4 Bernd Mutter 

schiedlichem Ergebnis. Im niedersachsischen Nordwestraum fiihrte das zu einer 
ausgepragten Viehwirtschaft auf Futterzukaufbasis, die sich erfolgreich auf tieri- 
sche Produkte konzentrierte - im Gegensatz etwa zum Zuckerriibenanbau in den 
mitteldeutschen Borden- und dem Getreideanbau in den ostelbischen Gebieten. 
Das Herzogtum Oldenburg spiegelt diese Entwicklung in besonders ausgepragter 
Weise, weil hier eine einheimische Staatsregierung ganz unmittelbar am Wohler- 
gehen der heimischen Landwirtschaft stark interessiert war. 

Soviel zum gesamtwirtschaftlichen Rahmen meines Themas. Ich mochte nun 
in vier Schritten vorgehen und mich befassen mit 

1. den quantitativen Dimensionen des viehwirtschaftlichen Strukturwandels 
im Herzogtum Oldenburg 1871-1914 

2. den qualitativen Dimensionen 

3. den Ursachen und 

4. den Folgen des Strukturwandels mit einem Ausblick bis heute 

7. Die quantitativen Dimensionen des viehwirtschaftlichen Strukturwandels 
im Herzogtum Oldenburg 

Die zahlenmaBige Entwicklung der Rinder- und Schweinebestande im Herzog- 
tum Oldenburg ergibt sich aus folgendem Schaubild: 3 



D Rinder 
□ Schweine 



3 Die Graphik basiert auf den Angaben bei Friedrich Oetken : Die oldenburgische Land- 
wirtschaft im letzten Jahrzehnt, in: Oldenburgisches Landwirtschaftsblatt 62 (1914), Nr. 25 
vom 19.06.1914, S. 407. 



Viehzucht im Herzogtum Oldenburg (1871-1914) 5 

Was lasst sich daraus erkennen? 

a) Geradezu explosionsartig wachsen die Schweinebestande. Das tatsachliche 
AusmaB dieser Steigerung wird sogar noch aufgrund der statistischen Erhe- 
bungsmethode verschleiert: Die Zahlen gelten nurfiir den Stichtag 1. Dezem- 
ber und vernachlassigen so zwangslaufig die viel hohere Umsatzgeschwindig- 
keit der Schweine im Verhaltnis etwa zu den Rindern. Die Steigerung der Um- 
satzgeschwindigkeit, also der Zeitraum zwischen Wurf, Verkauf, Schlachtung 
und Neuwurf, ist nur als Schatzwert greifbar: Sie diirfte sich im Herzogtum fur 
die Schweine zwischen 1871 und 1913 etwa verdoppelt haben. 1913 waren 80% 
der Schweine bereits geschlachtet, bevor sie das erste Lebensjahr vollendet 
hatten. Gleichzeitig kam es zu einer deutlichen Erhohung des Schlachtge- 
wichts. So ist das tatsachliche Wachstum der Schweineproduktion noch weit- 
aus dramatischer, als es in den schon sehr beeindruckenden jahrlichen Stich- 
tagzahlen zum Ausdruck kommt. 

b) Demgegeniiber steigen die Rindviehzahlen nur maBig. Hier aber gilt noch star- 
ker als bei den Schweinen, dass darin der ganze Produktivitatsanstieg der Rind- 
viehhaltung nicht zum Ausdruck kommt. Die oldenburgische Rinderwirt- 
schaft ging im Untersuchungszeitraum konsequent von der Fleisch- zur Milch- 
produktion iiber, daher sind deren Steigerungen das Entscheidende, wovon 
noch naher die Rede sein wird. 

2. Die qualitativen Dimensionen des viehwirtschaftlichen Strukturwandels 

Nicht nur der Umfang, sondern auch die Qualitat des oldenburgischen Viehbe- 
standes erhohte sich - infolge verbesserter Fiitterung und planmaBiger Ziichtung 
- im ausgehenden 19. Jahrhundert auBerordentlich. 

Die alten Rinder- und Schweinerassen waren fur die Zwecke der modernen 
Viehwirtschaft wenig geeignet. Traditionell dienten Rinder sowohl der Fleisch- 
und Milcherzeugung wie auch als Zugkraft. Milchvieh ist nicht mit Rindvieh 
iiberhaupt identisch, wie vielfach unterstellt wird, sondern dafiir kommen nur die 
Kiihe in derLaktationsperiode infrage. Die mannlichen Tiere - von den wenigen 
Bullen fur Zuchtzwecke abgesehen (etwa ein Bulle pro 60-100 Kiihe) - wurden zu 
Schlachtvieh (Ochsen) herangemastet, und auch die „trockenen" Kiihe zahlen 
nicht zum Milchvieh im engeren Sinne. Die Statistiken vor 1914 differenzieren 
diese Sachverhalte nicht deutlich, man darf aber davon ausgehen, dass in den 
milchwirtschaftlich hochentwickelten Gebieten der Wesermarsch weit iiber die 
Halfte der Rinder dem Milchvieh zuzuzahlen sind. Gute Milchkiihe lebten erheb- 
lich langer als Schlachtochsen (etwa acht statt vierjahre). 

Die Marschlandwirte betrieben Rinderhaltung sowohl als Schlachtvieh- wie als 
Milchwirtschaft, obwohl sich allmahlich herausstellte, dass ein hohes Leistungs- 



6 Bernd Mutter 

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Oldenhurgifctie Wefermarfch-Herdhuch-Gerellfchaft 1 

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l[lr 4l.it fctostcit Jitilkit mil Littiitnl dttr S U'i; l: r pj-c I s Itlr tjar lit-mc Kult tLn-r Atf.iloli'iiiic;. 

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tftudaff jlcdier. JTardciitfiuiii in Cfdcnbuijl . Nofcnsliife I*. 



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Zeitungsanzeige der Oldenburgischen Wesermarsch-Herdbuch-Geselhchaft 
aus: Helmut Ottenjann, Karl-Heinz Ziessow (Hrsg.): Die Milch. Geschichte 
und Zukunft eines Lebensmittels, Cloppenburg 1996, S. 187. 

und Rentabilitatsniveau nur bei konsequenter Spezialisierung auf einen einzigen 
Zweck hin moglich war. Ob die Schlachtvieh- oder die Milchwirtschaft rentabler 
war, ist eine umstrittene Frage und wohl nur zeit- und regionalspezifisch - also un- 
ter Beriicksichtigung der jeweiligen Verhaltnisse - beantwortbar. In Oldenburg 
lag die Wertschopfung der Rinderwirtschaft aus derFleisch- und der Milcherzeu- 
gung vor 1914 in etwa auf gleich hohem Niveau, seit den zwanziger Jahren ver- 
schob sich das Verhaltnis zugunsten der Milchwirtschaft. 

Mit dem Aus- bzw. (fur Siidoldenburg) Aufbau der Milchviehbestande war es 
allerdings in der modern en Molkereiwirtschaft nicht getan. Vielmehr musste auch 
die Qualitat des einzelnen Tieres nach Menge und Fettgehalt der Milch verbessert 
werden, wenn sich die erforderlichen, fur den einzelnen Betrieb recht hohen Inve- 
stitionen lohnen sollten. Dies war unter anderem durch Ziichtung zu erreichen, 
die wiederum die Mitwirkung einer groBen Zahl von Landwirten voraussetzte. 
Neben der Ziichtung fielen natiirlich auch Fiitterung und Haltung der Tiere ins 
Gewicht. Urn die Rolle beider Faktoren bei der Steigerung der Tierleistung gab es 
lange Diskussionen, die aber beim damaligen landwirtschaftswissenschaftlichen 
Erkenntnisstand nicht entschieden werden konnten. 

Die Idee derTierzucht auf bestimmte okonomischbegriindeteZiele hin war be- 
reits im 18. Jahrhundert in England aufgekommen - gleichzeitig mit der anlaufen- 
den Industrialisierung. Die nach genau festgelegten Kriterien ausgesuchten mann- 
lichen Tiere wurden in Stierkorungen fur die Nachzucht bestimmt und - u. a. mit 
Hilfe von Pramien - vom mannlichen Schlachtvieh getrennt, um langerfristig fur 
Zuchtzwecke zur Verfiigung zu stehen. Die weib lichen Tiere wurden in Zuchtregi- 
ster (Herdbiicher) eingetragen, in die dann spater auch die jeweiligen Vatertiere 
aufgenommen wurden. Auf diese Weise lieBen sich regelrechte Genealogien 
hochqualifizierten Zuchtviehs herstellen, die einen erheblichen wirtschaftlichen 



Viehzucht im Herzogtum Oldenburg (1871-1914) 7 

Wert reprasentierten. Die gesamte Organisation und ihre Kosten iiberschritten 
aber betrachtlich die Moglichkeiten des einzelnen Landwirts. Sie waren nur ge- 
nossenschaftlich zu bewaltigen. 

Die Stierkorung, also die Begrenzung der mannlichen Zuchttiere auf eine Hei- 
ne Auswahl hochqualifizierter Exemplare, war im Herzogtum Oldenburg schon 
seit 1861 gesetzlich vorgeschrieben. Gute Stiere waren so teuer, dass sich mehrere 
Landwirte zu Stierhaltungsgenossenschaften zusammenschlossen. Spater wurde 
auch die Stierkorung den Herdbuchvereinen iibertragen. 

Der erste Herdbuchverein im Herzogtum - zugleich einer der ersten in 
Deutschland iiberhaupt - wurde 1878 nach englischen und hollandischen Vorbil- 
dern imjeverland gegriindet. Zweijahre danach kam es zurGriindung des Weser- 
marsch-Herdbuchvereins. Weitere Bezirke folgten. Zuchtziel aller Vereine war 
ein kraftiger, auch auBerlich einheitlich und formschon wirkenderTieflandschlag 
mit hoher und schnell erreichbarer Mastfahigkeit und Milchergiebigkeit. 

Auch bei den Schweinen kam es zu erheblichen Verbesserungen des Tierbestan- 
des, vor allem durch den Import englischer Eber zu Kreuzzungszwecken. Zu den 
Verhaltnissen in Siidoldenburg, die vor allem durch den Aufstieg von Ferkelzucht 
und Schweinemast gepragt wurden, berichtet ein kompetenter Autor 1907: 

„Bis Ende der fiinfziger Jahre wurde . . . noch das heimische Landschwein gehalten . . . 
Der Grund zurVerbesserung . . . wurde durch Einfiihrung grojier Yorkshireeber . . .gelegt.In 
spateren Jahren fuhrte man das Suffolk-, noch ausgedehnter das Lincolnshireschwein zu 
Kreuzungszwecken ein. Das Berkshireschwein spielte ebenfalls eine groj&e Rolle . . . Gegen- 
wdrtig wird . . . ein mehr oder weniger veredeltes Landschwein gehalten; nur ist man in der 
Dinklager Gegend zu der Zucht des grofien weifien Edelschweins ubergegangen". 4 

Schweinezuchtgenossenschaften gab es in Siidoldenburg schon seit 1894, im 
Norden erst spater, 1908 wurde der Verband der Ziichter des veredelten Land- 
schweins im Herzogtum Oldenburg gegriindet. Auf dem langen Weg vom alten 
Haus- und Landschwein iiber das veredelte Land- bis hin zum groBen weiBen 
Edelschwein veranderte sich das auBere Bild der Tiere grundlegend, vom struppi- 
gen unveredelten Landschwein hin zum hochgewichtigen, glatten Fleischschwein. 
1888 wurde im Herzogtum ein Eberkorungsgesetz erlassen, das bis 1900 in alien 
oldenburgischen Amtern eingefiihrt war. Zuchtpramien auf regionalen und na- 
tionalen landwirtschaftlichen Ausstellungen stachelten den Ehrgeiz der Ziichter 
zusatzlich an. Das spiegelte sich auch in der Wertentwicklung. Der Verkaufswert 
(nicht zu verwechseln mit der Wertschopfung) der Rinder im Herzogtum Olden- 
burg steigerte sich von 1892 37.712.000 Mark auf 1912 84.560.000, der der 



4 G. Stenkhoff: Untersuchungen iiber den Landwirtschaftsbetrieb im Oldenburger 
Munsterlande, in: G. Stenkhoff/R. Franz/R. Vogeley: Betriebsverhaltnisse der deutschen 
Landwirtschaft. Bd. 4. Berlin 1907, S. 1-73, dort S. 47. 



Bernd Miitter 




Unveredeltes Landschwein (links) und Edelschwein 
aus: Bernd Mutter: Die Modernisierung der Landwirtschaft im Raum 
Cloppenburg zwischen Reichsgriindung und Erstem Weltkrieg, in: 
Cloppenburg und die Volksbank, Cloppenburg 1995, S. 113. 

Schweine gleichzeitig von 4.686.000 auf 26.820.000. Der Schweinewert erhohte 
sich also um 472% bei einem Anstieg der Stiickzahlen „nur" um 295%, Hinweis 
auf den steigenden Wert jedes einzelnen Tieres von 1892 41 Mark auf 1912 
60 Mark. 5 



3. Die Ursachen des viehwirtschaftlichen Strukturwandels 

Die Modernisierung der Landwirtschaft auf Viehzuchtbasis war keine Selbstver- 
standlichkeit, wenn man die damalige Gesamtsituation der deutschen Landwirt- 
schaft und die entsprechenden okonomischen Entscheidungen in anderen Agrar- 
regionen ins Auge fasst, die unter dem Schutz der Getreidezolle viel starker am 
Getreideanbau festhielten. Denn das Wagnis des Ubergangs zur Marktprodukti- 
on fiel bei der intensiven Veredelungswirtschaft besonders ins Gewicht, da bei ihr 
der eng geschlossene Kreislauf von betriebseigener Diingung, Futtererzeugung 
und Fiitterung nicht nur - wie beim Getreideanbau - durch die Hereinnahme des 
Mineraldiingers, sondern auch noch durch die Entstehung eines Weltmarktes fur 
Futtermittel gesprengt wurde. Nun war man fiir die Ernahrung der Tiere nicht 
mehr nur auf selbst produzierte Futtermittel angewiesen. 

D er Futtermittelimport fiir die Schweinemast fiihrte in den Geestlandwirtschaf- 
ten zu einer volligen Umstrukturierung des Betriebs. Eine ahnliche Wirkung hatte 
die Einfuhrung der Milchwirtschaft fiir die Marschbauern an derKiiste. Das Mol- 
kereisystem griff hier tief in die bisherige Betriebsweise des Einzelhofes ein. Die 
althergebrachte Milchwirtschaft in der Marsch spielte nur eine nebensachliche 



5 Mutter /Meyer (wie Vorbemerkung) S. 56f., 180f.; dort auch zum Unterschied zwi- 
schen Verkaufswert und Wertschopfung. 



Viehzucht im Herzogtum Oldenburg (1871-1914) 9 

Rolle. Milchkiihe wurden meist nur fur den Eigenbedarf und die Jungviehauf- 
zucht gehalten. Das Jungvieh wurde spater fett geweidet oder als trachtige Que- 
nen bzw. Ochsen verkauft. Der Fleisch-, nicht der Milchwert des Rindviehs stand 
im Vordergrund. 

Damit stellt sich die Frage nach den Faktoren und Ursachen des Umbruchs. Ich 
liste im Folgenden - ohne Anspruch auf Vollstandigkeit - einige auf, unterscheide 
nach primar exogenen (a-c) und primar endogenen Faktoren (d-g). 

a) Bei den exogenen Ursachen ist vor allem auf die gewaltige Steigerung der 
Nachfrage nach tierischen Produkten seit Beginn der Hochkonjunkturphase in 
Deutschland ab etwa 1890/95 hinzuweisen. Dertiefgreifende Strukturwandel der 
oldenburgischen Landwirtschaft ist ohne sie nicht vorstellbar. Die Hochkonjunk- 
tur fiihrte einerseits zu einer fast explosionsartigen Weiterentwicklung der stadti- 
schen Ballungsraume - dies gilt vornehmlich fur das Ruhrgebiet und die linksr- 
heinischen Stadte nach derjahrhundertwende. Dadurch stieg der Kreis der Ab- 
nehmer landwirtschaftlicher Produkte enorm an. Zugleich verbesserte sich das 
Reallohnniveau der Berg- und Industriearbeiterschaft, die zu dieser Zeit etwa 
50% der erwerbstatigen Bevolkerung ausmachte. Der relative Mehrverdienst lieB 
nunmehr auch den verstarkten Kauf von einkommenselastisch nachgefragten 
Waren und Nahrungsmitteln zu, vor allem von tierischen Produkten wie Fleisch, 
Milch, Butter, Kase und Eier, die den spezifischen Bediirfnissen einer korperlich 
schwer arbeitenden Industriearbeiterschaft mit ihrem hohen Kalorienbedarf in 
besonderer Weise entsprachen. DerFleischverbrauch pro Kopf stieg in Deutsch- 
land von 25,2 kgimjahr 1871 auf 42,1 kgimjahre 1913 (+ 67,1 %). Dies alles wirk- 
te als Verstarker fur den neuen Nachfrageschub. Davon profitierten vor allem die 
viehzuchttreibenden Regionen, wahrend die GetreidegroBproduzenten, im be- 
sonderen die marktfernen Ostelbiens, weiter unter Druck gerieten. 6 



6 Dietmar Wottawa: Protektionismus im AuBenhandel Deutschlands mit Vieh und 
Fleisch zwischen Reichsgriindung und Beginn des Zweiten Weltkriegs. Frankfurt am Main/ 
Bern/New York 1985, S. 1 2 f f . , 21 ff. Heute liegt der Fleischverzehr pro Kopf in Deutschland 
bei etwa 60 kg. Fur die oldenburgische und deutsche Landwirtschaft war entscheidend, dass 
die von vielen damals befurchtete auslandische Fleischkonkurrenz auf dem deutschen Markt 
ausblieb. Dafiir gab es eine ganze Anzahl von Griinden: so den mit steigendem Wohlstand in 
Amerika wachsenden Eigenverbrauch, den Qualitatsvorsprung frisch geschlachteter Ware, 
den die oldenburgische Landwirtschaft sich konsequent zunutze machte, Zolle - wenn auch 
maBige - auf die Einfuhr von Vieh und tierischen Produkten, schlieBlich die rigide Anwen- 
dung von Seuchenschutzvorschriften, die dann praktisch wie ein Schutzzoll wirkten. Auf die- 
sem Wege wurde vor allem die anfangs starke Konkurrenz der niederlandischen Landwirt- 
schaft in den westdeutschen Industrierevieren zuriickgedrangt. So blieb der Wettbewerb auf 
dem - damals noch zusatzlich stark expandierenden - Absatzmarkt im Ruhrgebiet ertraglich, 
womit vor allem fur die Wesermarsch ein Problem gelost war: 1876 hatte GroBbritannien sei 



10 Bernd Mutter 

Die Wesermarsch hatte ihre landwirtschaftliche Produktion seit langem am 
bremischen Markt orientiert, und auch dieser Markt wuchs nun mit der Steige- 
rung der Bevolkerungszahlen gewaltig an. Die Bevolkerung Bremens stieg von 1875 
bis 1910 von 142.200 auf 299.526 Einwohner (+ 110,6 %). Allerdings reichten die 
umliegenden Marschgebiete dort nahezu vollstandig aus, um die Bevolkerung zu 
ernahren. 

Bei der Bevolkerungsentwicklung im Ruhrgebiet verhielt es sich vollig anders. 
Das Ruhrgebiet hatte 1871 723.867, 1905 bereits 2.613.897 und 1933 3.996.048 
Einwohner. In unmittelbarer Nahe des Ruhrgebiets lagen zudem weitere groB- 
stadtische Agglomerationen wie Koln, Diisseldorf, das Wuppertal. Insgesamt 
entwickelte sich das rheinisch-westfalische Industriegebiet um 1900 zum groBten 
Ballungsraum Kontinentaleuropas. 

Fiir den Viehexport aus dem Herzogtum Oldenburg schalten sich hier zwei Ab- 
satzzonen ganz deutlich heraus, und zwar die linksrheinische preuBische Rhein- 
provinz (Schlachtviehmarkt Koln) und das westliche, ebenfalls zur preuBischen 
Rheinprovinz gehorige Ruhrgebiet (Schlachtviehmarkt und Schlachthof Essen, 
Ferkelmarkt Altenessen) . 

Beim Absatzbezirk linksrheinische Rheinprovinz ist innerhalb des kurzen Zeit- 
raums von 1907 bis 1912 eine enorme Steigerung des Schweine- und Ferkelversan- 
des aus Oldenburg um 247,8 % (von 54.246 auf 134.448 Stuck) erkennbar, der so- 
gar den hohen Versand in das westliche Ruhrgebiet (Riickgang von 1907 bis 1912 
auf 87,7 %; von 117.431 auf 103.444 Stuck) mit Riesenschritten bis 1912 deutlich 
iiberholt. Diese beiden Verkehrsbezirke bezogen allein 1907 16,7 bzw. 36,2 % des 
oldenburgischen Versandaufkommens, 1912 dann 28,7 % bzw. 22,0 °/o, bei gleich- 
zeitig deutlich gestiegenen Gesamtversandzahlen (+44,5 %, von 324.220 auf 
468.497 Stuck) . Man kann hier geradezu von einem Nachfragesog sprechen, wenn 
man die im Herzogtum vorhandenen Schweinezahlen mit diesen Versandziffern 
vergleicht. 7 



ne bis dahin starken Viehimporte aus Kontinentaleuropa gestoppt, um die expandierende 
Viehwirtschaft in den groBen weiBen Siedlungskolonien zu fordern. 

7 Vgl. die Belege bei Mutter /Meyer (wie Vorbemerkung) S. 65, 190-197. Es stellt sich 
natiirlich die Frage, warum gerade das westliche Ruhrrevier und die linksrheinische Rhein- 
provinz den oldenburgischen Viehversand in solch exorbitanter Weise anzogen, im Unter- 
schied etwa zum ostlichen Ruhrrevier oder zur rechtsrheinischen Rheinprovinz (Diisseldorf, 
Wuppertal und bergische GroBstadte) . Die Antwort ist in zweierlei Richtung zu suchen. Zum 
einen war das westliche Ruhrgebiet dichter besiedelt als das ostliche, d. h. der landwirtschaft- 
liche Selbstversorgungsgrad war hier erheblich geringer. Mutatis mutandis gilt dies auch fiir 
den Vergleich von links- und rechtsrheinischer Rheinprovinz. Zum anderen verfiigten das 
ostliche Ruhrrevier und die rechtsrheinische Rheinprovinz im Miinster-, Paderborner, Sauer- 
und Bergischen Land iiber ausgedehnte landwirtschaftliche Versorgungsgebiete, wahrend 
fiir das westliche Ruhrrevier und die linksrheinische Rheinprovinz nach der entschiedenen 



Viehzucht im Herzogtum Oldenburg (1871-1914) 11 

Die groBe Industrie Westdeutschlands fiihrte abernicht nurzu einem Nachfra- 
gesog, sondern sie stellte auch ganz neue Hilfsmittel zur Verfiigung, um diese 
Nachfrage zu bedienen. Fur die Entwicklung der Viehzucht in Oldenburg wur- 
den dabei vor allem Mineraldiinger- und Futtermittelimporte (b) sowie der Eisen- 
bahnbau und die groBen Fortschritte der Milchverarbeitungstechnik um 1900 
wichtig (c). 

b) Mineraldiinger- und Futtermittelimporte begiinstigten vor allem die Vieh- 
zucht der Geestgebiete in der Mitte und im Siiden des Herzogtums. Der kosten- 
giinstige und gut transportable Mineraldiinger (z. B. Kali) stand in unbegrenzten 
Mengen zur Verfiigung. Dies machte die Geestgebiete bei der Kultivierung der 
weiten Odlandflachen zu Wiesen und Weiden fur die Viehhaltung von dem selbst 
produzierten, nur sehr begrenzt verfiigbaren Naturdiinger unabhangig. 8 Dem 
Wachstum der Viehbestande auf der Geest standen nun keine naturraumlich be- 
dingten Hemmnisse mehr entgegen. 

Imjahre 1900 betrug derjahresverbrauch des Herzogtums 19.345 dz. Kali, das 
sich unter den Kunstdiingern immer starker in den Vordergrund schob. 1910 wa- 
ren es schon 90.290, 1912 93.417 dz (+ 382,9 %) . Das Geestamt Cloppenburg hatte 
von alien oldenburgischen Amtern mit weitem Abstand den groBten Anteil an 
dieser Menge. 

Im Herzogtum Oldenburg steigerte sich der Kaliverbrauch pro km landwirt- 
schaftlicher Nutzflache von 666 kg imjahre 1900 auf 2.407 imjahre 1910 und 
3.218 imjahre 1912. Diese Durchschnittszahlen wurden im Amt Cloppenburg um 
etwa das Doppelte iibertroffen (1.739,4.538 und 6.127 kg). Im Reichsdurchschnitt 
waren es 1900 334 kg, 1912 1.322 kg. Kurz vor Ausbruch des Ersten Weltkriegs 
rangierten dann die oldenburgischen Amter Cloppenburg und Wildeshausen hin- 
sichtlich des Kaliverbrauchs auf den ersten beiden Platzen im Deutschen Reich. 

Der Kunstdiingerimport des Herzogtums betrug 1895 27.856 t, wovon allein 
Cloppenburg 8.889 erhielt. Imjahre 1913 wurden 263.535 t Diingemittel auf den 
Bahnstationen des Herzogtums empfangen. Auf die Wesermarsch entfielen da- 
von 5.335 t (2,0 %), auf das Amt Cloppenburg dagegen 39.347 t (14,9 %). 9 

In dieselbe Richtung eines Ausgleichs zwischen Marsch und Geest wirkte der 
Futtermittelimport. Auch er erreichte in den siidoldenburgischen Amtern erhebli- 
chere AusmaBe als in den nordoldenburgischen. Der Futtergersteempfang im ge- 



Zuriickdrangung des niederlandischen Exports nur der Niederrhein und die Eifel in Frage 
kamen. Beide Gebiete brauchten deshalb in erheblichem Umfang Nahrungsmittelzufuhren 
aus entfernter liegenden Landwirtschaftsregionen. In diese Marktliicke stieB die oldenburgi- 
sche Viehzucht. 

8 Vgl. Mutter /Meyer (wie Vorbemerkung) S. 72ff. 

9 Ebd. S. 73, 188f., 202. 



12 Bernd Mutter 

samten Herzogtum Oldenburg betrug 1895 26.974 t, davon gingen ganze 744 t in 
das Amt Cloppenburg. 1913 empfing das Herzogtum 388.624 t Futtergerste, da- 
von gingen allein 39.114 t (10,1 %) in das Amt Cloppenburg, die Wesermarsch er- 
hielt 22.236 t (5,7 %). 10 Die Zahlen sprechen fur sich. 

c) Der Eisenbahnbau begann in Oldenburg erst, nachdem der Krieg von 1866 die 
politischen Voraussetzungen dafiir geschaffen hatte. Das Hauptstreckennetz war 
1876 fertiggestellt, Nebenstrecken und Kleinbahnen folgten bis 1914. 

Die Eisenbahn erlaubte erstmals den schnellen Landtransport von Massengii- 
tern. Produktions- und Absatzlage der oldenburgischen Landwirtschaft wurden 
durch den Eisenbahnbau grundlegend verandert, indem man nun zum Mas- 
senimport von Mineraldiinger und Futtermitteln und zum Massenexport leicht 
verderblicher tierischer Produkte und damit zu ganz neuen landwirtschaftlichen 
Betriebsstrukturen iibergehen konnte. Diese Entwicklung wurde seitens der 
GroBherzoglich Oldenburgischen Eisenbahn (GOE) noch durch preisgiinstige 
Ausnahmetarife fur den Transport landwirtschaftlicher Produkte, von Futtermit- 
teln und Mineraldiinger unterstiitzt. 

Die infrastrukturelle Wirkung der Eisenbahn wurde erganzt durch den Kunst- 
straBenbau. Die Chausseen stellten die Verbindung zwischen Einzelhofen und 
Bahnstationen, aber auch zwischen Hofen und Molkereien sicher. Erst die Uber- 
windung der schlechten, witterungsabhangigen Wegeverhaltnisse, wie sie in 
Marsch und Geest bis dahin iiblich waren, ermoglichten eine Wirtschaftsweise, in 
der nicht mehr der isolierte Einzelhof das MaB aller Dinge war, sondern ein schnel- 
ler Produktenaustausch stattfinden konnte, der taglich funktionieren musste. 

Der Chausseenbau begann im Herzogtum Oldenburg Mitte der 1820er Jahre 
(vgl. die Karte auf S. 15 ) , kam aber infolge der geringen Wirtschaftskraft des Lan- 
des und der Neuerungsfeindlichkeit vieler Landwirte, die davon nichts Gutes er- 
warteten, nur langsam voran. Immerhin: 1930 entfielen in Oldenburg insgesamt 
auf 1.000 qkm 580 km feste StraBen. Das war sehr viel fur das vergleichsweise 
diinn besiedelte Land: Der Reichsdurchschnitt betrug nur 450 km. 11 

Speziell die Milchwirtschaft bedurfte weiterer technischer Voraussetzungen 
von auBen, vor allem der Technisierung des zeit- und kraftezehrenden Entrah- 
mungs- und Verbutterungsprozesses der Milch, denn dieser war bei den anfal- 
lenden Milchmengen in „Handarbeit" nicht mehr zu bewaltigen. Mit den durch 
Wilhelm Lefeldt und den Schweden Gustav de Laval in den 1870er Jahren ge- 
schaffenen Moglichkeiten maschineller Entrahmung durch Milchschleudern 



10 Ebd. S. 69, 189, 202. 

11 Fritz Harjehusen: Die Milchwirtschaft Oldenburgs unter Beriicksichtigung der Neu- 
ordnung 1933/34. Diss. Koln. Delmenhorst 1934, S. 55. 



Viehzucht im Herzogtum Oldenburg (1871-1914) 



13 




Ubersichtskarte der Reichsbahndirektion Oldenburg 
Beilage aus: Oldenburger Spaziergange und Ausfliige. 



14 Bernd Mutter 

(Zentrifugen) begann das technische Zeitalter der Milchverwertung. In den nach- 
folgenden Jahrzehnten wurden die Zentrifugen nach Kapazitat und Entrah- 
mungsscharfe um ein Vielfaches verbessert. 

Alle diese exogenen Faktoren erklaren den gewaltigen Quantitats- und Quali- 
tatssprung der oldenburgischen Viehwirtschaft zu einem groBen Teil, aber nicht 
hinreichend. Das ergibt sich schon aus derTatsache, dass man im Herzogtum die 
damit verbundenen Chancen vielfach kraftiger ausnutzte als dies bei den natur- 
raumlich ahnlich strukturierten Nachbargebieten der Fall war. Dies lasst sich nur 
mit Hilfe endogener Faktoren erklaren. 

d) Bei den endogenen Ursachen des viehwirtschaftlichen Strukturwandels lassen 
sich ebenfalls verschiedene Faktoren differenzieren. Aus der Vielzahl denkbarer 
Faktoren wahle ich - wiederum ohne Anspruch auf Vollstandigkeit - drei aus, 
und zwar die viehwirtschaftlichen BetriebsgroBen (e), die oldenburgische Staats- 
regierung (f) und das Genossenschaftswesen (g). 

e) Die landwirtschaftlichen Betriebsgrqfen waren im Herzogtum Oldenburg fur 
eine intensive Viehwirtschaft unter damaligen Rahmenbedingungen geradezu 
ideal. Landwirtschaftlichen GroBgrund- und Gutsbesitz iiber 100 ha, wie etwa in 
Ostelbien, aber auch in den preuBischen Nordseeprovinzen Hannover und 
Schleswig-Holstein, gab es im Herzogtum nicht. Dort dominierte vielmehr der 
Familienbetrieb in klein- und mittelbauerlichem Rahmen, der infolge des ver- 
breiteten landlichen Arbeitskraftemangels und der starken Nachfrage nach tieri- 
schen Produkten vor 1914 den hochsten Reinertrag abwarf. Dies gait, wenn auch 
mit erheblichen Unterschieden im Detail, sowohl fur die Marsch- wie die 
Geestgebiete. 12 

f ) Das Interesse des Staates an okonomischem Wachstum, das in Oldenburg vor al- 
lem viehwirtschaftliches Wachstum bedeutete, liegt auf der Hand: Es fiihrte zu 
hoheren Steuereinnahmen. Der nordwestdeutsche Kleinstaat hatte hier andere 
Prioritaten als die preuBische Regierung, die fur die Nachbargebiete zustandig 
war, sich aber vor allem am Interesse der ostelbischen Provinzen orientierte. Der 
oldenburgische Staat forderte die landwirtschaftliche Vereinsbildung und Selbst- 
verwaltungsorganisation (Landwirtschaftsgesellschaft schon 1818, Landwirt- 
schaftskammer 1900) und - durch Zuschiisse und Pramien - das Genossen- 
schaftswesen, er trug den Eisenbahnbau, das landwirtschaftliche Schulwesen und 
initiierte die moderne Odlandkultivierung. 

Auf den Eisenbahnbau bin ich schon unter den exogenen Erklarungsversuchen 
fur den viehwirtschaftlichen Strukturwandel eingegangen. Er gehort aber auch un- 

12 Dazu eenauer Mutter/Meyer (wie Vorbemerkune:) S. 77-83. 



Viehzucht im Herzogtum Oldenburg (1871-1914) 



15 




Wangerooge 



Entwicklung des 
KunststraBenbaus 



N \pBremerhaven 



Entwicklung des Kunststrajienbaus in Oldenburg 
aus: Albrecht Eckhard, Heinrich Schmidt: Geschichte des Landes 
Oldenburg, Oldenburg 1987, Karte 7a im Anhang. 



16 Bernd Mutter 

ter die endogenen Faktoren. Bei dem hohen Kapitalbedarf kam es keineswegs nur 
auf die von auBen vermittelte technische Moglichkeit, sondern auch auf den politi- 
schen Willen im Lande selbst an, diese fur einen kleinen Agrarstaat sehr hohen 
Anfangsinvestitionen auch aufzubringen. 

Die Landwirte konnten sich lange Zeit nicht vorstellen, dass die teure Bahn sich 
in dem nur diinn besiedelten, kaum industrialisierten Land rentieren wiirde. Auch 
der Staat zogerte lange: Erst 1867 begann Oldenburg, als letztes deutsches Land, 
mit dem Eisenbahnbau. Der spate Beginn hatte auch Vorteile: Man lernte aus den 
anderweitigen Erfahrungen mit Privatgesellschaften und setzte von vornherein 
konsequent auf Staatseisenbahnen. Die okonomische Wirkung gab den Optimi- 
sten recht: Durch den schnellen Anschluss an das bereits bis Bremen, Leer und 
Osnabriick vorangetriebene deutsche Eisenbahnsystem vergroBerte sich das 
Marktgebiet fur die oldenburgische Viehwirtschaft um ein Vielfaches. 

Der Staat betrieb schon seit 1862 auch den Auf- und Ausbau des landwirtschaft- 
lichen Schulwesens. Zuchtwesen und Sortenwahl, der Einsatz von Mineraldiinger 
und Futtermitteln, der Weiden- und Wiesenbau - alle diese die bisherige Betriebs- 
weise revolutionierenden Neuerungen setzten ein Know-how voraus, das bei den 
meisten Landwirten um 1900 noch kaum entwickelt war. Die Landwirtschafts- 
schulen schufen Abhilfe, vor allem in der Form der zweisemestrigen Winterschu- 
len, die im Sommer ihre fur die vaterliche Wirtschaft unentbehrlichen Schiiler 
freistellten. 1914 hatte das Herzogtum im Verhaltnis zu Flache und Einwohner- 
zahl von alien deutschen Bundesstaaten die groBte Anzahl landwirtschaftlicher 
Lehranstalten aufzuweisen. 

Auch bei der Odlandkultivierung spielte der Staat eine entscheidende Rolle - nir- 
gendwo im naturraumlich relativ homogen strukturierten Nordwesten Deutsch- 
lands wurde sie vor 1914 so intensivbetrieben wie im Herzogtum Oldenburg. Zwi- 
schen 1882 und 1918 ging das unkultivierte Land von 2.191,5 qkm auf 1.344,7 qkm 
zuriick, bei einer Gesamtflache des Herzogtums von 5.380 qkm. 13 Der Schwer- 
punkt lag in den Heide- und Moorgebieten Mittel- und Siidoldenburgs. Auf den 
neugewonnenen Flachen wurden erstmals in groBem Umfang auch Wiesen und 
Weiden angelegt. 

g) Dem landwirtschaftlichen Genossenschaftswesen, das vor 1914 in Oldenburg ei- 
ne Dichte erreichte wie sonst nirgends in Deutschland (auBer Waldeck), kommt 
unter den endogenen Ursachen des viehwirtschaftlichen Strukturwandels eine 
ganz hervorragende Bedeutung zu. Innovationen wie Schweinezucht auf Futter- 
zukaufbasis und Rinderhaltung im Molkereisystem stellten, wie schon erwahnt, 
den ganzen bisherigen Betrieb auf den Kopf und waren den notorisch traditions- 

13 Ebd. S. 110, 160 ff. 



Viehzucht im Herzogtum Oldenburg (1871-1914) 17 

bewusst wirtschaftenden Bauern nicht leicht zu vermitteln. Die landwirtschaftli- 
chen Vereine und die oft von diesen angeregten Genossenschaften waren hier 
entscheidende Impulsgeber. Die Genossenschaften betatigten sich in den Berei- 
chen Finanzierung (Spar- und Darlehnskassenvereine), Bezug und Absatz, Milch- 
verarbeitung (Molkereien) und Tierzucht - also auf den fur den viehwirt- 
schaftlichen Strukturwandel zentralen Tatigkeitsfeldern. Den einzelnen Viehbau- 
ern wurden durch den genossenschaftlichen Zusammenschluss am Markt ten- 
denziell die Vorteile von GroBuntemehmen bei Bezug und Absatz verschafft. 
Auch verfiigten die Geschaftsfiihrer meist iiber ein Verstandnis der groBen ge- 
samtwirtschaftlichen Zusammenhange und Mechanismen, das dem einzelnen 
Viehbauern notgedrungen abging. 

Die landlichen Spar- und Darlehnskassen gewohnten den Landwirt an ein 
mehr kaufmannisches Buchen und Berechnen seiner Einnahmen und Ausgaben. 
Die Konsum- und Bezugsgenossenschaften schalteten weitgehend den kostentrei- 
benden Zwischenhandel aus, der vom wachsenden Abstand zwischen Produzen- 
ten und Verbrauchern profitierte. So lieferte - um nur ein Beispiel zu nennen - 
schon 1885 der oldenburgische landwirtschaftliche Konsumverein das Diingemit- 
tel Knochenmehl fur 6,60 Mark pro Zentner, wahrend die Handler im Kleinver- 
kauf iiber 8,80 Markverlangten - also eine betrachtliche Differenz bei einem Mas- 
sengut. In umgekehrter Richtung wirkten die Vieh-Absatzgenossenschaften. 1913 
beispielsweise setzten - wiederum unter Ausschaltung des Zwischenhandels - die 
oldenburgischen Genossenschaften allein auf dem Kolner Schlachtviehmarkt 
120.000 Schweine ab - ein eindrucksvoller Beleg fur die Dimensionen der Direkt- 
vermarktung im Zuge des Auf- und Ausbaus groBstadtischer Schlachthofe. 14 Bei 
den Tierzuchtgenossenschaften ging es vor allem um die Durchsetzung des Regi- 
strierungswesens, z. B. durch Herdbiicher, und die Auswahl, Begrenzung und lan- 
gerfristige Nutzung mannlicher Zuchttiere, die der einzelne Landwirt sich bisher 
gar nicht leisten, nun aber durch Mitgliedschaft in Stier- und Eberhaltungsgenos- 
senschaften nutzen konnte. Uber dieses Problem auBerte sich Mitte derneunziger 
Jahre recht anschaulich der damalige Generalsekretar der Oldenburgischen 
Landwirtschaftsgesellschaft, Friedrich Oetken: „Eine falsche Sparsamkeit sehen wir 
. . . des dfteren hervortreten in der Auswahl der mdnnlichen Zuchttiere. Nurzu oft wird noch 
ein minderwertiges Tier deshalb vorgezogen, weil das Deckgeld ein niedriges ist . . . Der Kern 
des Ubelstandes liegtja darin, daji aus unsern hervorragenden Zuchtgebieten zu viele der be- 
stenjungen Bullen ins Ausland gehen und daji diejenigen, die zum Decken im Lande bleiben, 
nach verhdltnismajiig kurzer Decktdtigkeit schon dem Beil des Schlachters verfallen . . . Sol- 



14 Ebd. S. 94; August Linnemann: Die Bedeutung der Eisenbahnen Oldenburgs fur die 
wirtschaftliche und kulturelle Entwicklung des Landes. Ms. Diss. Minister 1924, S. 73f. 



18 Bernd Mutter 

che Verhdltnisse passen nicht mehrfiir ein Land, in welchem die Viehzucht eine so iiberaus 
grofie Bedeutung hat. " ls 

Etwas genauer mochte ich auf den enormen Einfluss der Molkereigenossenschaften 
eingehen, die den viehwirtschaftlichen Strukturwandel vor allem in den Marsch- 
gebieten vorantrieben. Denn sie machten die marktfahige Verarbeitung der jetzt 
anfallenden Milchmengen iiberhaupt erst moglich. Der soeben erwahnte Fried- 
rich Oetken ging fiir 1913 von etwa 125.000 Milchkiihen im Herzogtum Olden- 
burg (bei einer Gesamtrinderzahl von knapp 297.000) aus, die durchschnittlich 
3.000-3.200 kg Milch lieferten, so dass sich einejahresmilchmenge von 380 bis 
390 Millionen kg ergab. 16 Die selbstandige Trinkmilchvermarktung der sog. Ab- 
melkwirtschaften in den groBen Ballungsraumen wie dem Ruhrgebiet, Minden- 
Ravensberg (Bielefeld), Berlin usw. konnten die oldenburgischen Milchbauern 
wegen ihrer marktfernen Lage nicht nachahmen, auch wenn sich der Trinkmilch- 
preis erheblich giinstiger stellte als das bei Molkereianlieferung gezahlte Milch- 
geld. In Oldenburg konnte nur ein kleiner Teil des Milchanfalls als Trinkmilch fiir 
die nahegelegenen Stadte wie Oldenburg und Bremen, Wilhelmshaven und Bre- 
merhaven vermarktet werden. Die Milchverarbeitung zu Kase hatte in Oldenburg 
keine Tradition, es fehlten daher die notwendigen Erfahrungen. Zudem war die 
Konkurrenz der benachbarten hollandischen und danischen Qualitatskasepro- 
duktion iibermachtig. 

In Oldenburg blieb nur die Alternative der Milchverarbeitung zu Quahtatsbut- 
ter in groBem Stil. Dafiir aber waren die bauerlichen Betriebe weder personell 
noch technisch hinreichend geriistet, die Qualitat der sog. Bauernbutter war 
durchaus unterschiedlich und schwer kontrollierbar. Vor allem aber konnte sie 
nicht kostengiinstig in groBmarktfahigen Mengen hergestellt und abgesetzt wer- 
den. Die in der Oldenburgischen Landwirtschaftsgesellschaft 1877 gegriindete 
„Sektion fiir Milchwirtschaft" engagierte sich sehr fiir den Gedanken der Genos- 
senschafts- und Sammelmolkerei: Anfang der achtziger Jahre kam es zu den er- 
sten Griindungen, die zunachst nur zogerlich angenommen wurden. Dabei diirfte 
auch der Umstand eine erhebliche Rolle gespielt haben, dass die Genossen in vie- 
len Fallen mit ihrem ganzen Vermogen haften mussten. Manche Molkerei arbei- 
tete in den ersten Jahren mit Verlust, mehrfach wurden die Genossen zur Dek- 
kung der Unterbilanz herangezogen, was natiirlich der Ausbreitung derMolkerei- 
idee schadete. 



15 Rechenschaftsberichte der Oldenburgischen Landwirtschaftsgesellschaft fiir die Jahre 
1896-1899, S. 252 ff. Zu Oetken: Bernd Mutter: Agrarmodernisierung als Lebenserfahrung. 
Friedrich Oetken (1850-1922), ein vergessener Pionier der oldenburgischen Landwirtschaft. 
Oldenburg 1990. 

16 Friedrich Oetken: Landwirtschaft, in: Oldenburgischer Landeslehrerverein (Hg.): 
Heimatkunde des Herzogtums Oldenburg. Bd. 2. Bremen 1913, S. 63. 



Viehzucht im Herzogtum Oldenburg (1871-1914) 



19 




Butterei in der Molkerei Jaderberg, 1908 
aus: Helmut Ottenjann, Karl-Heinz Ziessow (Hrsg.): Die Milch. Geschichte 
unci Zukunft eines Lebensmittels, Cloppenburg 1996. S. 198. 

Trotzdem: 1890 gab es im Herzogtum Oldenburg bereits 20 Genossenschafts- 
und 14 Privatmolkereien, 1914 46 Genossenschafts- und 54 Privatmolkereien. An 
der Gesamtzahl von etwa 100 Betrieben hat sich auch in den folgendenjahrzehn- 
ten wesentliches nicht mehr geandert, das mengenmaBige Bediirfnis nach 
Milchverarbeitungsbetrieben war offensichtlich befriedigt. Die zehn Genossen- 
schaftsmolkereien im Bereich des Wesermarsch-Herdbuchvereins arbeiteten be- 
reits 1906 in fur damals gewaltigen, den Reichsdurchschnitt weit iibertreffenden 
Dimensionen. Die groBte von ihnen, Rodenkirchen, wurde 1893 von 31 Genossen 
gegriindet, 1910 waren es bereits 1.000. Rodenkirchen verarbeitete schon 1906 
12.725.000 Liter Milch, das waren taglich 34.863 Liter. Parallel dazu wuchs die 
tiigliche Butterproduktion von 1893 482 Pfund auf 2.768 Pfund imjahre 1910. 

Entscheidend fur den in diesen Zahlen sich spiegelnden Erfolg der Molkereige- 
nossenschaften war die Entwicklung des Milchpreises fur die Mitglieder. Bei einer 
freien Riickgabe von 80 % Mager- und 10 % Buttermilch konnten 1893 fur den Li- 
ter 5,91 Pfennig ausbezahlt werden, 1900 6,67 und 1904 bereits 7,63 Pfennig. 17 



17 Vgl. Bernd Mutter: Der Aufbau einer modernen Milch- und Molkereiwirtschaft im 



20 Bernd Mutter 

Neben dem offensichtlichen okonomischen Erfolg der Molkereigenossen- 
schaften war die Riickgabe der Magermilch fiir die schnelle Expansion entschei- 
dend, denn auf diese konnte der Landwirt wegen der Kalberaufzucht nicht ver- 
zichten. Die Bezahlung der Milch erfolgte in samtlichen Molkereien nach dem 
Fettgehalt, die entsprechenden Untersuchungen wurden entweder drei- bis vier- 
mal monatlich in der Molkerei selbst oder von der „Milchwirtschaftlichen Abtei- 
lung" der Landwirtschaftskammer in Oldenburg vorgenommen. Die Wertschop- 
fung durch die Milcherzeugung und -verarbeitung lasst sich fiir 1906 folgender- 
maBen berechnen: 18 Durchschnittlich wurden 14 kg Milch fiir die Erzeugung von 
1 Pfund Butter benotigt, das ergibtbei einerMilchmenge von 58.185.168 kg in der 
Wesermarsch einen Butterertrag von 4.156.083 Pfund. Bei einem Pfundpreis von 
1,20 Mark errechnet sich ein Gesamtbetrag von 4.987.300 Mark allein fiir die ge- 
nannten Wesermarsch-Molkereien - eine fiir damalige Verhaltnisse gewaltige 
Summe, die sich bis 1914 mit den steigenden Milchanlieferungen noch betracht- 
lich erhohte. 

Bezahlt wurde das nicht nur mit einer volligen Umstellung alter Traditionen ol- 
denburgischer Rindviehzucht, sondern auch mit der Preisgabe eines betrachtli- 
chen Stiicks bauerlicher Handlungsfreiheit. Die oldenburgische Rindviehzucht 
musste ihre Produkte flachendeckend standardisieren, um sie damit fiir einen gro- 
Ben nationalen und internationalen Markt massenhaft verfiigbar zu machen. 

Der schnelle Erfolg der Molkereigenossenschaften hing ab von einer ganzen 
Anzahl von Faktoren, die in den Marschgebieten giinstigerlagen als in Siidolden- 
burg. So musste eine Molkerei, vor allem in den ersten Jahren, nicht nur iiber ei- 
nen qualifizierten und geschickten Geschaftsfiihrer sowie eine hinreichende Ka- 
pitalbasis verfiigen (schon hier standen die Marschlandwirte meist viel solider da 
als die Geestbauern: der durchschnittliche Anschaffungswert einer guten Molke- 
rei lag vor 1914 bei etwa 50.000 Mark), sondern sie musste vor allem das Vertrau- 
en der Landwirte ihres Einzugsgebietes gewinnen, damit eine geniigend groBe 
Milchmenge anfiel, die die Amortisierung der fixen Anschaffungs- und Betriebs- 
kosten in moglichst kurzer Zeit erlaubte. Angespornt durch das Vorbild der 
Marschmolkereien erreichte aber auch die sudoldenburgische Milchwirtschaft 
bis 1914 bzw. 1930 schon ein beachtliches Niveau, das erst richtig deutlich wird, 
wenn man es nicht mit den Spitzenleistungen im Norden des Landes, sondern mit 
dem Reichsdurchschnitt vergleicht. Eine Molkerei selbst in dem milchwirtschaft- 
lich vergleichsweise zuriickfallenden Siidoldenburg erreichte 1932 eine jahrliche 



Herzogtum Oldenburg 1871-1914/32, in: Helmut OTTENJANN/Karl-Heinz Ziessow (Hg.): Die 
Milch. Geschichte und Zukunft eines Lebensmittels. Cloppenburg 1996, S. 177-208, dort 
S. 194-196. 

18 Vgl. Peter Cornelius: Das Oldenburger Wesermarschrind. Hg. vom Oldenburger 
Wesermarsch-Herdbuchverein. Hannover 1908, S. 78. 



Viehzucht im Herzogtum Oldenburg (1871-1914) 21 

Durchschnittsanlieferung von fast 1,9 Mill. Litem - auch noch bei Mitberiicksich- 
tigung der zahlreichen kleinen Privatmolkereien. Diese jahrliche Durch- 
schnittsanlieferung betrug aberim Reich insgesamt nur 1 Mill. Liter. Daraus wird 
deutlich, dass auch die verhaltnismaBig kleinen siidoldenburgischen Molkereien 
den Reichsdurchschnitt schon um das Doppelte iibertrafen. 19 

Die Molkereien waren um ein hohes einheitliches Produktionsniveau bemiiht, 
um moglichst groBe Marktanteile erobern und behaupten zu konnen. Den ersten 
bedeutenden Schritt in dieser Richtung stellt - kaum dass die eigentliche Griin- 
dungsphase der Molkereigenossenschaften abgeschlossen war - die Einrichtung 
der sog. Milchkontrollvereine dar, die im Herzogtum Oldenburg 1904 begann. Der 
Diplomhandelslehrer Fritz Harjehusen aus Delmenhorst hat den Hergang in 
seiner Kolner Dissertation von 1934 iiber „Die Milchwirtschaft Oldenburgs" anschau- 
lich dargestellt: „Die Anwendung der Mittel zur Hebungdes Milchertrages erfordert genaue 
Beobachtungen. Entspricht die Art und Menge der Futtergabe der Leistungsfdhigkeit der 
Kuh? wie harm, der Milchertrag mit geringeren Kosten gehalten oder mit den gleichen gestei- 
gert werden? Welche Kiihe verwerten wirtschaftseigenes Fuller am besten? . . . Diese und 
dhnliche Fragen stehen in unloslichem Zusammenhang mit der wirtschaftlich zvoeckmafiig- 
sten Wartung und Pf lege ..." Die Fragestellung verlange einen Vergleich zwischen 
Aufwand und Ertrag. Deshalb seien zur genauen Durchfiihrung der Erfolgsrech- 
nung der Milchviehhaltung Aufzeichnungen und Messungen, also eine Kontrolle 
der Leistungen, unerlasslich. Die systematische Kontrolle der Milch und ihres 
Fettgehalts habe erst mit der Griindung der Kontrollvereine begonnen. Je zwei 
Vereine seien imjahre 1904 in der Wesermarsch und imjeverland gegriindet wor- 
den. Die Zahl sei bis 1913 auf 21 angewachsen. 1928 auf 152 Vereine. „Das Aufga- 
bengebiet der Kontrollvereine ist grofier, als es der Name andeutet. DasMessen und Notieren 
der Milch- und Fettmengen sowie der periodische Vergleich der Ermittlungen sind selbstver- 
stdndliche Arbeiten. Sie sind aber nur Voraussetzung und Mittel zum Zweck. Wesentlicher 
ist ihre Auswertung. Auf der Grundlage der Kontrollergebnisse muss die Beratung erfolgen, 
die dem Kuhhalter die Wege iiber die zweckmdjiige Fiitterung und Pflege zur rationellsten 
Milcherzeugung weist. Dazu gehb'rt auch die Beachtung der Sauberkeit bei der Milchgewin- 
nung und Milchbehandlung Die Molkereien haben ein grojies Interesse an der Beachtung 
dieses Faktors". 20 

Anfang 1928 betrug der Anteil der Kontrollkiihe am Gesamtkuhbestand im 
ehemaligen Herzogtum Oldenburg 23,5 %. Die durchschnittlichejahresmilchlei- 
stungje Kuh betrug 1931 imLandesteil Oldenburg (bis 1918 Herzogtum) 4.430 Li- 
ter bei den Kontrollkiihen (Deutsches Reich 3.692), 2.922 Liter bei den iibrigen 
Milchkiihen (D. R. 2.413), 2.448 Liter bei den Milch- und Arbeitskiihen (D. R. 



19 Mutter: Aufbau (wie Anm. 17) S. 200. 

20 Harjehusen (wie Anm. 11) S. 2 Iff. 



22 Bernd Mutter 

1.722). Die Leistungen der Kontrollkiihe iibertreffen den Durchschnitt der nicht 
kontrollierten Kiihe um 38 %. Der Vorsprung Oldenburgs vor dem Reichsdurch- 
schnitt liegt bei alien Kuharten zwischen 20 und 42 °/o. 21 

Bei diesen Leistungen der Kontrollkiihe wurde Oldenburg von keiner anderen 
Region im Reich iibertroffen. Allerdings lag der Fettgehalt der oldenburgischen 
Milch - das gait fur die Tieflandschlage bei den Rindern iiberhaupt - mit 3,19 % 
unter dem Reichsdurchschnitt von 3,33 %. Gleichwohl: 1932 produzierten die 
Kontrollkiihe, die nur 16,1 % des gesamten Milchviehbestandes ausmachten, 
27,9 % der Milcherzeugung Oldenburgs. 

Absatzprobleme fur Milcherzeugnisse gab es im marktfernen Oldenburg schon 
vorBeginn derHochkonjunkturab 1895,aberauch in derHochkonjunkturmusste 
man sich um den Absatz kiimmern, um den steigenden Verbraucher- und GroB- 
handelsanspriichen geniigen zu konnen. Vorlaufer gemeinsamen Butterabsatzes 
gab es in Oldenburg schon in den 70erjahren des 19. Jahrhunderts, bevor sich die 
Absatzverhaltnisse dann in den SOerJahren mit Griindung derMolkereigenossen- 
schaften und dem Auftauchen von GroBabnehmern (Marinestation Wilhelmsha- 
ven, Norddeutscher Lloyd in Bremen) grundlegend wandelten. Die westdeut- 
schen Ballungsraume wurden zum bedeutendsten Absatzplatz fur die Butter aus 
Oldenburg. 

Schon 1886 wurde daher der „Verband Oldenburger Meiereien" fur die Ange- 
botszusammenfassung gegriindet, aus dem 1897 der „Verband Oldenburger Molke- 
reien" hervorging. Dieser hatte vor allem die Gewinnung eines gleichmaBigen 
Molkereiproduktes erster Giite und die Verwertung auf gemeinschaftliche Rech- 
nung zum Ziel. Aus ihm ging 1919 die „Molkerei-Zentralgenossenschaft Olden- 
burg" (MZO) hervor, die sich vor allem mit dem Butterabsatz beschaftigte, aber 
dabei fur die eingehende Ware auch Kontrollen durchfiihrte. Bei Erreichung ei- 
nes bestimmten, punktmaBig erfassten Standards wurde das Markenzeichen 
„MZO" verliehen. Dies war der Anfang der Butterstandardisierung und die erste 
eingetragene Buttermarke Deutschlands, hinter der eine Gemeinschaft von gro- 
Ben Molkereigenossenschaften stand. 

1927erfasste der Anteil derMarkenbutterin Oldenburg bereits 80 % der gesam- 
ten Butterproduktion der Molkereien (der Reichsdurchschnitt lag bei 15 %). Nir- 
gendwo im Deutschen Reich war die Stellung der Marken- zur iibrigen Molkerei- 
butter so stark wie in Oldenburg. Dies wirkte sich auch auf den Preis aus, bei dem 
Oldenburger Butter meist einige Pfennige iiber den anderen Butternotierungen 
im Reich lag. 22 

Oldenburg war 1931 an der Bevolkerung des Reiches nur mit 0,7 % beteiligt, an 



21 Ebd. S. 25. 

22 Ebd. S. 114ff. 



Viehzucht im Herzogtum Oldenburg (1871-1914) 23 

derFlache mit 1,1 %, am Gesamtkuhbestand mit 1,5 %, an der Gesamtmilcherzeu- 
gung des Reiches mit 2,1 %, an der gesamten Milchanlieferung an Molkereien mit 
3,6 %, an derProduktion von Molkereibuttermit 5,1 %. Aus diesen Zahlen geht die 
Ausrichtung der oldenburgischen Landwirtschaft auf Uberschussproduktion fur 
den iiberregionalen Milch- und Buttermarkt klar hervor - und tatsachlich wurden 
etwa 80 % der Molkereibutter auBerhalb Oldenburgs abgesetzt. 68,6 % der gesam- 
ten Milcherzeugung wurden von den Molkereien erfasst und qualitatsbewusst ver- 
arbeitet, im Reichnur40,3 %. Die qualitativniedrigerstehende Bauernbuttermach- 
te in Oldenburg nur 14,7 % der gesamten Butterproduktion aus, im Reich waren 
es 40 %. In der Butterstandardisierung wurde Oldenburg beispielgebend fur ganz 
Deutschland. 23 

4. Die Folgen des Strukturwandels mit einem Ausblick bis heute 

Die Folgen des viehwirtschaftlichen Strukturwandels im Herzogtum Oldenburg 
wie anderswo sind deswegen nicht exakt zu bestimmen, weil auf dem Hohepunkt 
des Prozesses der Erste Weltkrieg ausbrach, der wesentliche Rahmenbedingun- 
gen veranderte odergarzerstorte. Die Epoche der Weltkriege verzerrte die imma- 
nenten Folgen des Strukturwandlungsprozesses erheblich. Diese traten erst nach 
dem Ende derzweiten Nachkriegszeit deutlich hervor, als man an die 1914 unter- 
brochene Entwicklungsrichtung wieder ankniipfen konnte. 

Die Frage nach den Folgen des viehwirtschaftlichen Strukturwandels wird 
zweckmaBigerweise in zwei Teilfragen aufgespalten, der nach den kurz- und mit- 
telfristigen (a) und der nach den langfristigen Folgen (b) . 

a) Kurz~ und mittelfristig bewirkte der Strukturwandel eine erhebliche Starkung 
der in Oldenburg seit je dominierenden bauerlichen Landwirtschaft. Die 
Marschbetriebe profitierten vom Wachstum der Milchwirtschaft. Im zuriickge- 
bliebenen Siidoldenburg vermochten sich die unterbauerlichen Heuerleute infol- 
ge der Schweinezucht zu Kleinbauern emporzuarbeiten, die um die Mitte des 19. 
Jahrhunderts vor allem in Siidoldenburg erhebliche Auswanderung horte auf. 
Die Bevolkerungsentwicklung im diinnbesiedelten Siiden des Herzogtums stabi- 
lisierte sich. 

Der mit dem Strukturwandel eingehergehende Ausbau der Verkehrswege bis 
hin zu einem verhaltnismaBig dichten Netz von Kleinbahnen darf ebenfalls zu 
den kurz- und mittelfristigen Folgen gezahlt werden. Dasselbe gilt fur die Moor- 
kultivierung: Beide waren ohne die starke Profitabilitat der Viehzucht und ihres 
Wachstums nicht denkbar gewesen. Auf dem Gebiet der Moorkultivierung, der 

23 Die Zahlen ebd. S. 25, 39, 41, 56, 83, 91. 



24 Bernd Mutter 

Milchwirtschaft und der Schweineproduktion erreichte das Herzogtum schon vor 
dem Ersten Weltkrieg und noch einmal in den zwanzigerjahren Spitzenpositio- 
nen im Deutschen Reich. 

b) Die langfristigen Folgen sind weniger deutlich zu identifizieren und vor allem 
weniger positiv als die kurz- und mittelfristigen. Nach den Turbulenzen der Welt- 
kriegsepoche wurde deutlich, dass das Uberschreiten bestimmter Quantitatsgren- 
zen unerwartete qualitative Anderungen mit sich brachte. Allein im Landkreis 
Vechta gibt es beispielsweise heute viel mehr Schweine als vor 1914 im gesamten 
Herzogtum Oldenburg - heute, wo der vor 1914 ausschlaggebende Nachfrage- 
druck einer schnell wachsenden Bevolkerung mit tendenziell steigender Nachfra- 
ge nach tierischen Produkten weitgehend weggebrochen ist und auBerdem die 
Rahmendaten der landwirtschaftlichen Produktion zunehmend von der Europai- 
schen Union bestimmt werden. Die problematische Folge: Eine Ubersattigung 
des europaischen Marktes fur tierische Produkte bis hin zu den bekannten Butter- 
bergen und Milchseen, die durch eine immer intransparentere Subventionspolitik 
ausgeglichen werden sollte. Das verzerrte die realen Marktverhaltnisse und irri- 
tierte die Verbraucher, die durch den groBeren Markt eigentlich profitieren soil- 
ten, aber nun als Steuerzahler mit den Folgen konfrontiert wurden. Die langerfri- 
stigen Perspektiven der oldenburgischen Vieh- und Milchwirtschaft sind heute - 
hundert Jahre nach ihrem sehr erfolgreichen Durchbruch in Oldenburg - unsi- 
cherer denn je. 

Auf diesem Hintergrund geht es heute fur die viehzuchttreibende bauerliche 
Landwirtschaft in Oldenburg und anderswo um die okonomische Uberlebensfa- 
higkeit. Landwirte und von der Landwirtschaft abhangige Erwerbstatige bilden 
heute - im Gegensatz zurZeit vor 1914 - nurnoch einen geringen Anteil von 1-2 % 
an der erwerbstatigen Bevolkerung. Die Landwirte - gerade im Viehzuchtbereich 
- sehen sich vor die Alternative Unrentabilitat oder Wachstum gestellt, das erheb- 
liche Investitionen und damit Schulden zur Folge hat: Personaleinsparung ver- 
langt einen hohen Technisierungsgrad. Wer sich dann aber etwa fur die iiberle- 
benswichtige Aufstockung der Milchviehbestande entscheidet, sieht sich mit der 
Milchquotenregelung in derEU vor eine Wachstumsbarriere gestellt, die ihm -je 
nach den spezifischen Verhaltnissen des einzelnen Betriebs - durchaus den Ein- 
tritt in die Rentabilitatszone verwehren kann. 

Dies alles betrifft lediglich die okonomische Seite der Viehzucht treibenden 
Landwirtschaft. Daneben sind auch soziale, okologische und tierschutzerische 
Gesichtspunkte - medial wirkungsvoll inszeniert - stark in das Bewusstsein der 
Offentlichkeit eingedrungen. Die agrarindustriell betriebene Schweine- und Ge- 
fliigelhaltung, vor allem in Siidoldenburg, fiihrt heute keineswegs mehr zur Star- 
kung der klein- und mittelbauerlichen Landwirtschaft, wie die Agrarmodernisierung 
vor 1914, sondern sie ist umgekehrt zur Existenzbedrohung fur sie geworden. Da- 



Viehzucht im Herzogtum Oldenburg (1871-1914) 25 

bei ist durch den enormen Anfall von Giille ein vor hundert Jahren noch kaum 
vorstellbares Umweltproblem entstanden: Damals konnte man von Naturdiinger 
in den armen Heide- und Moorgebieten gar nicht genug bekommen. Nirgendwo 
sonst zeigt sich die Ambivalenz des Fortschritts so deutlich. 

SchlieBlich haben wir heute ein neues Problembewusstsein fiir artgerechte Tier- 
haltung mit groBer Offentlichkeitswirkung entwickelt, das vor 1914 auf Einzelper- 
sonen und kleine Kreise beschrankt war. Die heutige Agrarindustrie hat durch 
den vor hundert Jahren noch gar nicht vorstellbaren Einzug der Technik in die 
Viehstalle die unmittelbare Beziehung zwischen Mensch und Tier weitgehend 
zerstort. Hochzuchtschweine sind heute so empfindlich, dass menschlicher Be- 
such im Stall sogar unerwiinscht geworden ist. Die Folgen betreffen nicht nur die 
Tiere, sondern iiber die von ihnen gewonnenen Produkte auch unmittelbar den 
Menschen, ich brauche hier nur an den Zusammenhang von Seuchen in der Mas- 
sentierhaltung und Futtermittelskandalen zu erinnern. Der siidoldenburgische 
Heuermann von friiher pflegte seine Ferkel schon deshalb „mit groBer Sorgfalt", 
wie Paul Kollmann, der Vorstand des „GroBherzoglich Oldenburgischen Statisti- 
schen Bureaus" 1898 schrieb, 24 weil seine Existenz unmittelbar vom Gedeihen der 
Tiere abhing - ahnliches gait auch fiir die Milchbauern der Wesermarsch. 

Last but not least: Viele tierische Produkte wie Fleisch, Butter, Milch sind heute 
in den Rufvon Gesundheitsschddlichkeit geraten. Das hangt mit iibermaBigem Ver- 
zehr angesichts einer stark reduzierten korperlichen Arbeitsanstrengung und vor 
allem mit einer erheblich gestiegenen Lebenserwartung zusammen, die Krank- 
heiten zutage fordert, deren Ausbruch man friiher bei kiirzerer Lebensdauer gar 
nicht mehr erlebte. Die Folge: eine erneute Einschrankung des Marktes fiir tieri- 
sche Produkte bzw. teure Produktionsauflagen. 

Auf diesem Hintergrund ist schwer nachvollziehbar, dass heute in Geschichts- 
wissenschaft und Offentlichkeit das Interesse fiir die Landwirtschaft und ihre hi- 
storische Entwicklung stark zuriickgegangen bzw. von vornherein negativ einge- 
farbt ist. Zweifellos ist die gesamtwirtschaftliche Bedeutung der Landwirtschaft in 
den westlichen Industrielandern seit dem 19. Jahrhundert standig zuriickgegan- 
gen. Andererseits spielt aber die Qualitat ihrer pflanzlichen und tierischen Pro- 
dukte fiir eine gesunde Ernahrung der Gesamtbevolkerung nach wie vor eine zen- 
trale Rolle. In den Landern der sog. „Dritten Welt", in denen noch immer groBe 
Bevolkerungsmehrheiten von der Landwirtschaft leben, ist deren angepasste Mo- 



24 „Die hervorragende Bedeutung der Viehhaltung fiir den Heuerbetrieb liegt darin, dass 
sie die vornehmste Quelle fiir den Erwerb von Bargeld abgibt. Sie und zumal die eifrig betrie- 
bene Schweine- und Kalbermast wirft auch verhaltnismaBig viel ab und erweist sich gerade 
fiir die kleinen Wirtschaften besonders lohnend, da das Vieh von den Heuerleuten selbst und 
mit groBer Sorgfalt gepflegt wird." (Paul Kollmann: Die Heuerleute im Oldenburgischen 
Munsterland. Oldenburg 1898, S. 38 f.). 



26 Bernd Mutter 

dernisierung geradezu eine Uberlebensfrage. Unter solchen Perspektiven erhalt 
die Frage, was aus der Geschichte der deutschen und oldenburgischen Land- und 
Viehwirtschaft gelernt werden kann - und was nicht -, eine unleugbare aktuelle 
Brisanz. 



2. 
Tiere in niedersachsischen Ortsnamen 

VonJuRGEN Udolph 



7. Einleitung 

Der Nachweis von Tierbezeichnungen in Ortsnamen ist nicht so leicht moglich, 
wie man vielleicht denken konnte. Das liegt vorwiegend an der Tendenz der Spre- 
cher, Tiere in Namen hineinzudeuten, obwohl dieses verfehlt oder sogar unsinnig 
ist. Vielleicht das bekannteste Beispiel ist der Name Berlin, der heute mit dem Ber- 
liner Baren verbunden ist. Die alten Formen des Ortsnamens Berlin gehen keines- 
wegs auf dt. .SaVzuruck, sondern auf eine slavische Bezeichnung fur „Sumpf, Mo- 
rast" (ukrain. borlo „Sumpf", kroat, serb. brla, brlja „flaches, sumpfiges Wasser, 
Pfiitze") , die in drei Dutzend Orts- und Flurnamen des slavischen Siedlungsgebie- 
tes bezeugt ist, vor allem in der Ukraine. 1 Nachdem der Ortsname von deutschen 
Siedlern iibernommen worden war, erfolgte eine Umdeutung, eine sogenannte 
Volksetymologie (oder sekundare semantische Motivierung) , die zumeist danach 
strebt, einen unverstandlich gewordenen Namen mit einem neuen Sinn zu verse- 
hen. Im Fall von Berlin war es der Bar. 

Eine sorgfaltige Analyse der Namen hat daher von denjeweils altesten Belegen 
auszugehen, erst danach darf an die Deutung gegangen werden. Eben diesen Weg 
ging auch eine Kolner Dissertation, 2 eine Arbeit, die bis heute keine entsprechen- 
de Untersuchung deutscher Ortsnamen neben sich hat. 

Die folgenden Ausfiihrungen werden sich auf die niedersachsischen Ortsna- 
men im Sinne von Siedlungsnamen beschranken. In den Flurnamen, den Namen 
fiir unbesiedelte Landstiicke, finden sich weitere zahlreiche Belege fiir Tierbe- 
zeichnungen, so etwa in den Beitragen von Werner Flechsig. 3 

1 S. Jiirgen Udolph, Studien zu slavischen Gewassernamen und Gewasserbezeichungen, 
Heidelberg 1979, S. 83-87. 

2 Johann Werner Flamm, Die von Tiernamen abgeleiteten italienischen Ortsnamen, Genf 
1961. 

3 Werner Flechsig, Waren Schimmerwald und Eckertal vorchristliche Zuchtgebiete hei- 
liger weiBer Pferde?, Harz-Zeitschrift 27 (1975) S. 57-79; Ders., Ostfalische Volkstumsgren- 



28 Jurgen Udolph 

Wichtig ist dabei eine Beobachtung, die schon Heinrich Wesche gemacht hat. 
Er meinte: Im Bestimmungswort unserer Ortsnamen spielen Pflanzen und Tiere keine ganz 
geringe Rolle. Bei der Erkldrung dieser Ortsnamen mufi man davon ausgehen, dafi nicht das 
haufige Vorkommen von Tieren und Pflanzen in einem Orte zur Namengebung reizt, sondern 
vielmehr das vereinzelte Vorkommen, natiirlich auch das gehdufte,jedenf alls das auffallen- 
de. 4 Er folgt im Grunde genommen Ausfiihrungen von Edward Schroder, 5 der 
nach Adolf Bach 6 mit Recht darauf verwiesen hat, da.fi die landlaufigen Deutungen 
von Namen wie Barental, Schlangenbach als ,Tal, wo Bdren hausen' ,Bach, wo es viele 
Schlangen gibt' nicht durchaus gelten und nicht einmalfiirdie Mehrzahl der in Frage stehen- 
den Ortlichkeiten. Adolf Bach erganzte: Gewifi mogen auch Namen wie Krebs- oderBi- 
berbach aufden dauernden Standort der betr. Tiere hinweisen, kaum aber die Schwanenbak- 
he und -seen, die sicherlich aufdie einmalige Beobachtung des auffalligen grofien Zugvogels 
zuruckgehen. Die Namen sind also vielfach ,nicht okologisch, sondern historisch' zu deuten, 
und zwarjene, die die Bezeichnung eines Grofitieres enthalten. Ellwangen fiihrt seinen Na- 
men kaum deshalb, weil sich dort Elche dauernd und zahlreich aufhielten, sondern weil bei 
einer bestimmten Gelegenheit dort ein einzelner Elch gefangen oder erlegt wurde . . . Nach 
Schroder ist auch Schlangenbach in erster Linie aus dem Leben des schweifendenjagers zu 
verstehen etwa als ,Bach, an dem ich die Schlange totschlug', Barental etwa als , Tal, in dem 
ich die erste Barenspur fand' und andere Namen entsprechend als ,Berg, iiber dem derAdler 
kreiste, wo derLuchs aufbdumte'. Adolf Bach meint weiter: 7 Durch diese Erkldrung wird 
begreiflich, dafi (1.) haufig der Singular in jungen Zusammenriickungen auftritt (Ebers- 
bach, Wolfsbrunnen) , dann aber (2.), dafi neben dem mdnnlichen auch das weibliche Tier 
erscheint: Hirzberg - Hindenberg; Vofiwinkel - Vohwinkel; Hengstbach; Eburaha - 
Swinaha; Bocksbrunnen -Rehbrunnen usw. Seiner Ansicht nach 8 sind fiir die Bedeu- 
tung der Tiernamen in deutschen Ortsnamen weiterhin folgende Gesichtspunkte 
von Wichtigkeit: 

(1) Tiernamen erscheinen nicht nur als Bestimmungswort, sondern stellen selbst 
auch Ortsnamen dar. Dabei handelt es sich zumeist um Ereignisnamen, de- 
ren eigentlicher Sinn meist nicht mehr aufzuklaren ist, zum Beispiel weisen 
FluBorte wie Weififisch, Plattfisch wahrscheinlich auf gute Fangstellen hin. Be- 
stimmte Ereignisse waren wohl auch fiir die Namengebung bei Rehbock 



zen im Lichte der Dialekt-und Flurnamengeographie, Braunschweigische Heimat 36 (1950) 
S. 53-89. 

4 Heinrich Wesche, Unsere niedersachsischen Ortsnamen, Alfeld 1957, S. 43. 

5 Edward Schroder, Deutsche Namenkunde, 2. Aufl., Gottingen 1944, S. 13 If., 285. 

6 Adolf Bach, Deutsche Namenkunde. Die deutschen Ortsnamen, T. 2, Bd. 1, Heidelberg 
1953, S. 314f. 

7 Ebda., S. 315. 

8 Ebda. 



Tiere in niedersachsischen Ortsnamen 29 

oder dat Schwien verantwortlich. Auf die Form nimmt Flunder (ein langliches 
Wasserloch auf Riigen) Bezug, ahnlich der Flurname Krommer Haring. 

(2) Bei Ortsnamen aus einfachen Tiernamen liegt zumeist ein „Hineinsehen" 
vor, das aus der Volkskunde bekannt ist, etwa (nach Adolf Bach) 9 bei Hengst, 
einersteil abfallenden Felswand, oder bei derBergbezeichnung Sattelaufdem 
Hengst; oder Kamel, Name einer Dime (im ehemaligen OstpreuBen); hierher 
gehort auch der Katzenstein im ElsaB, er „fiihrt seinen Namen, weil er ein , ei- 
ner hangenden Katze ahnliches Gebilde tragt'". 

(3) In anderen Beispielen diirfte der als FluBname verwandte bloBe Tiername 
durch Vorstellungen des Volksglaubens zu erklaren sein. Allerdings trifft 
dieses wederfiirden FluBnamen Hasehei Osnabriick (dazu s. unten) noch fur 
die Elsterin Sachsen 10 zu. 

(4) Die als Grubennamen verwandten Tiernamen sind in der Regel reine Phan- 
tasiegestaltungen: Ochse, Adler, das Goldene Einhorn. 

(5) Gelegentlich bezeichnen Tiernamen Gegenstande oder technische und an- 
dere Anlagen, wie Katze und Bock. 

(6) Es konnen auch Hausernamen auf eine Ortlichkeit iibertragen werden, in 
den Niederlanden z.B. Nachtegaal, Papegaai. 

(7) Mit den Tiernamen Eber, Wolf, Bar usw. konkurrieren gleichlautende Perso- 
nennamen. 

(8) Hund und Katze konnen als Bestimmungsworter die Kleinheit oder Veracht- 
lichkeit des im Grundwort genannten Begriffs bezeichnen und brauchen mit 
dem betr. Tier unmittelbar nichts zu tun zu haben, z.B. in Katzenfurt. 

(9) Fabel- und Wappentiere spielen eine Rolle, etwa in Namen wie dem bekann- 
ten Drachenfels, 1212 Drakinvelz, 11 bei Konigswinter, dem Greif'm Greifen- 
stein, 12 Greifswald, 13 dem Lowen in Lauenstadt (Kr. Hannover), 14 Lauenburg 15 
u.a. (dazu s. unten). 

(10) Auch Namen fur Teile des tierischen Korpers dienen, primar oder sekundar, 



9 Ebda., S. 316. 

10 Zu dessen Etymologie s. Jiirgen Udolph, in: Beitrage zur Namenforschung, Neue Fol- 
ge 24 (1989) S. 271-274. 

11 Dieter Berger, Duden: Geographische Namen in Deutschland, Mannheim usw. 1993, 
S. 81. 

12 Claudia Stuhler, Die „Grundungsnamen" der mittelalterlichen Kloster, Burgen und 
Stadte in Hessen, Frankfurt 1988, S. 92. 

13 Teodolius Witkowski, Die Ortsnamen des Kreises Greifswald, Weimar 1978, S. 64ff. 

14 Uwe Ohainski, Jiirgen Udolph, Die Ortsnamen des Landkreises und der Stadt Hanno- 
ver, Bielefeld 1998, S. 282f. 

15 Vgl. Antje Schmitz, Die Ortsnamen des Kreises Hzgt. Lauenburg und der Stadt Lii- 
beck, Neumiinster 1990, S. 199 ff. 



30 Jiirgen Udolph 

zur Ortsbenennung. Meist handelt es sich um metaphorische Bildungen, et- 
wa Hundsschwanz, Hunsriick, Kiihbauch. 
(11) Die dem Menschen weniger wichtigen und die niederen Tiere treten am sel- 
tensten, die groBen vom Menschen genutzten oder gefurchteten Tiere dage- 
gen am haufigsten in Ortsnamen auf. 

Soweit die Zusammenstellung von Adolf Bach. Wenn wiruns nun Niedersach- 
sen zuwenden, so ist zunachst nachdriicklich festzuhalten, daB fast alle Ortsnamen 
dieses Landes aus dem Niederdeutschen zu erklaren sind. Das Hochdeutsche hat 
als spat eindringende Sprache kaum Gelegenheit gehabt, sich in Ortsnamen zu 
etablieren. Wir werden dabei, wie so oft in Ortsnamen, auch zu langst verschwun- 
denen Bezeichnungen fur verschiedene Tiere gefiihrt. Gelegentlich werden wir 
dabei auch auf Gewassernamen eingehen, in denen nach Heinrich Wesche 16 Tier- 
namen oft . . . [vorkommen] von diesen iibertragen auf Reviernamen und Ortsnamen. Mit 
diesen mochte ich beginnen. 

2. Mit Wasser und Feuchtigkeit verbundene Tiere 

2.1 Hierzuzahlt Aer Biber, ndt. Bever, dessen niederdeutsche Form 17 u.a. vorliegt 18 
in 

Beverbeck (Kr. Uelzen), 1326 (Kopie) in villa Beverbecke, 1374 (Kopie) to Beuerbe- 
ke: 19 in Bevermiihle (Gem. Sassenburg, Kreis Gifhorn), das am Beverbach (r.z. Al- 
ler) liegt, bewahrt im Namen einer Miihle: 1566 Beuermolle, 1569 Beuermohle; 20 Se- 
vern (Kr. Holzminden), am Beverbach gelegen, 822-826 (Abschrift 15. Jh.) in Byu- 
eran, 980-982 (A. 15. Jh.) in Byuerun; 21 Bevern (Kr. Rotenburg/Wiimme), an der Be- 
ver gelegen, 986 Biueranthorp, 22 1219 de Beueren, 1334 in Biveren; 23 Bevern (Kr. 
Cloppenburg), 1186 (Kopie 14. Jh.) Beveren. 2i Weitere niedersachsische Ortsna- 
men wie Beverbrok (Kr. Oldenburg) , Beverbruch und Beverdiek (Kr. Cloppenburg) 
diirften ebenfalls ndt. Bever „Biber" enthalten. 



16 Wesche (wie Anm. 4) S. 44. 

17 Vgl. Ulrich Scheuermann, Flurnamenforschung, Melle 1995, S. 110. 

18 So auch Wesche (wie Anm. 4) S. 44. 

19 UB. St. Mich. Liineburg Nr. 319a S. 213; UB. St. Mich. Liineburg Nr. 667 S. 408. 

20 Das Erbregister des Ambtes Gifhorn, bearb. v. Th. Bosse, Gihorn 1983, S. 27,36. 

21 Kirstin Casemir, Uwe Ohainski, Niedersachsische Orte bis zum Ende des ersten Jahr- 
tausends in schriftlichen Quellen, Hannover 1995, S. 73. 

22 Casemir/ Ohainski (wie Anm. 21) S. 101. 

23 Zufliisse zur unteren Elbe (von Seege und Stecknitz bis zur Miindung), bearb. v. Jiir- 
gen Udolph (= Hydronymia Germaniae, Reihe A, Lfg. 16), Stuttgart 1990, S. 40. 

24 Reinhold Moller, Nasalsuffixe in niedersachsischen Siedlungsnamen und Flurna- 
men in Zeugnissen vor dem Jahre 1200, Heidelberg 1998, S. 50. 



Tiere in niedersachsischen Ortsnamen 31 

2.2 In Gewasser- und Ortsnamen findet sich auch die allgemeine Bezeichnung 
Fisch, asa. fisk, mnd. visch, vis, zumeist allerdings verborgen in Bezeichnungen fiir 
den Fischer und die Fischerei, so etwa in dem Ortsteil In den Vischeren in Celle, der 
friiher von Fischern bewohnt wurde. 25 Haufig sind entsprechende Bezeichnun- 
gen in Flurnamen, etwa in Fischerwiese, Fischer Werder, unter den Fischerweiden, am Fi- 
scherstiege, die Fischhduser, hinterm Fischerhause, Fischerstiegsbreite, am Fischteich, beim 
Fischerkahn? 6 An niedersachsischen Ortsnamen konnen genannt werden Fischer- 
haus (Braunschweig), 1754 Fischerhaus am grojien Teiche, 27 Fischerhof(Kr. Stade und 
Uelzen), Fischerteich (Kr. Rotenburg/Wumme), Fischhausenbei Scharnebeck, 1341 
Vischhusen, 1343 iuxta domum piscature, 1348 Vischhusen usw. 28 

Aber es ist Vorsicht geboten, so etwa im Fall von Fischerhude (Kr. Verden) , denn 
die alten Belege weisen auf eine ganz andere Herkunft: 1124 Widagheshude, 1190 
Widigeshude, gehen auf einen Ansatz >: "Wid-dages-hude zuriick. 29 Auch der ON. 
Fischbeck (Kr. Hameln-Pyrmont) bleibt vielleicht besser beiseite, denn die ersten 
Belege 892 Uisbecchae,955 in villa que dicitur Viscbiki, 30 1004 (Falschung 12. Jh.) in 
villa que dicitur Uisbeki, 31 zeigen, daB neben Visk- (in dem gut ndt. _/w/;„Fisch" vor- 
liegen kann) auch Vis- (ohne -k-) bezeugt ist, 32 was fiir eine andere Deutung 
spricht. 

2.3 DaB alte Belege entscheidend sind, zeigen auch Ortsnamen, der ndt. Las 
„Lachs" enthalten konnten. Dieses schlugjedenfalls Heinrich Wesche fiir Lasfelde 
(Kreis Osterode) und Lajironne (Kr. Harburg) vor. 33 Im Fall von Lajironne iiber- 
zeugt diese Deutung, 34 denn es heiBt 1292 Lasrenne, 1323 Lasronne, der Gewasser- 



25 Die Kunstdenkmaler der Provinz Hannover, III. Reg. Bez. Liineburg, H. 5: Stadt Cel- 
le, Hannover 1937, S. 6. 

26 Werner Burghardt, Die Flurnamen Magdeburgs und des Kreises Wanzleben, Koln- 
Graz 1967, S. 278f. 

27 Hermann Kleinau, Geschichtliches Ortsverzeichnis des Landes Braunschweig, Teil 1, 
Hildesheim 1967, S. 191. 

28 Zu diesem Namen ausfiihrlich Jiirgen Udolph, Die Orts- und Wiistungsnamen der 
Samtgemeinde Scharnebeck. In: Scharnebeck gestern und heute, Husum 2002, S. 60. 

29 Zu weiteren Uberlegungen s. Jiirgen Udolph, Sachsenproblem und Ortsnamenfor- 
schung, in: Studien zur Sachsenforschung 13 (1999), S. 437. 

30 Casemir/Ohainski, Nds. Orte (wie Anm. 21) S. 57. 

31 Monumenta Germaniae Historica, DH II Nr. 81. 

32 Vor allem in den aus unmittelbarer Nahe von Fischbeck stammenden Belegen, die 
Hermann Durre, Origines Kaminatenses oder Quellen zur altesten Geschicht des Klosters 
Kemnade (Programm d. Herzogl. Gymnasiums zu Holzminden), Holzminden 1879, gesam- 
melt hat. 

33 Wesche (wie Anm. 4) S. 44. 

34 Vgl. Ludwig Buckmann, Orts- und Flurnamen. In: Luneburger Heimatbuch, Bd. 2, 2. 
Aufl, Bremen 1925, S. 107. 



32 Jiirgen Udolph 

name erscheint 1385 als stagnum dictum Lasrunne. 35 Bei LaJSfeldeist diese Deutung 
allerdings verfehlt, denn die altenBelegelauten: 1174-1195 silva que dicitur Laresfelt, 
1225-1226 Larsfelde,um 1226 (Abschrift 13Jh.) Lamuelde usw. 36 Ebenfalls proble- 
matisch ist eine Kombination aus „Lachs" und „dorf", die man in Lastrup (Kr. 
Cloppenburg und Emsland) vermuten konnte. Lastrup (Kr. Emsland) erscheint 
947 als Laasdorpe, um 1000 (Abschrift 15. Jh.) als Lasdorpe. 37 Eine Erklarung als 
„Lachsdorf" iiberzeugt nicht. 38 

2.4 Im ostlichen Niedersachsen ist mit slavischen Ortsnamen zu rechnen. Auch 
diese enthalten Tierbezeichnungen. Hierhergehort 39 derON. Sumteim Amt Neu- 
haus (Kr. Liineburg), deram langgestreckten Sumter Seeliegt, 1330-1352 to . . . zom- 
mete, 1399 ene houe to Sumpte, und der mit Summt, Dorf und See bei Oranienburg, 
1375 villa Czumit, Czmit, einem See im Kr. Waren, 1291 stagnum Szumit, einem wei- 
teren im Westhavelland, 1179 lacus Zumit, dem Schumke-See bei Zossen, 1583 Der 
Sommotkow, einem weiteren Seenamen bei Arnswalde in der Neumark, 1237 ad 
parvum locum Somite, sowie auch mit Somitoe, einem See bei Mozyr' (WeiBruBland) 
verwandt ist. Allen zugrunde liegt eine slavische Grundform *Somit-, zu slavisch 
so m „Wels". 

2.5 Mit dem Wasser eng verbunden sind Frosch und Krdte. In niederdeutschen 
Dialekten heiBen die Tiere auch Pogge, Padde, Pedde, im Mittelniederdeutschen 
Padde, Pedde, zum Teil auch Utze, Utsche. Hierher gehoren, vielleicht auch als Spott- 
namen, 40 Poggenhagen bei Neustadt/Rbge., 41 1312 Poggenhagen, 1336 Poggenhagen; 
Poggenhagen bei Obernkirchen (Kr. Schaumburg), 42 1315 in Pokenhaghen, 1317 in 
Poggenhagen. 7m nennen sind auch Poggenort, Gem. Hittbergen (Kr. Liineburg) ; Pog- 
genort (Kr. Osnabriick), 43 Poggenmiihle (Kr. Diepholz), 44 Poggenmoor (Kr. Ver- 

35 Zufliisse (wie Anm. 23) S. 21 1 f. 

36 S. Uwe Ohainski, Jiirgen Udolph, Die Ortsnamen des Landkreises Osterode, Biele- 
feld 2000, S. 98 ff. 

37 Casemir/Ohainski, Nds. Orte (wie Anm. 21) S. 40. 

38 Vgl. Kirstin Casemir, Die Ortsnamen des Landkreises Wolfenbiittel und der Stadt 
Salzgitter, Bielefeld 2003, S. 226. 

39 Das Folgende nach Jiirgen Udolph, Deutsches und Slavisches in der Toponymie des 
nordlichen Niedersachsen. Die Ortsnamen des Amtes Neuhaus, Kr. Liineburg, in: Onomasti- 
ca Slavogermanica 23(1998) S. 77-109, hier: S. 88. 

40 So Wesche (wie Anm. 4) S. 44. 

41 Ausfiihrlich behandelt bei Ohainski/Udolph, Ortsnamen Hannover (wie Anm. 14) S. 
362 f. 

42 Ausfiihrlich behandelt von Wolfgang Laur, Die Ortsnamen in Schaumburg, Rinteln 
1993, S. 98. 

43 Giinther Wrede, Geschichtliches Ortsverzeichnis des ehemaligen Fiirstbistums Osna- 
briick, Bd. 2, Hildesheim 1977, S. 134. 

44 Vgl. Gerhard Lutosch, Die Siedlungsnamen des Landkreises Diepholz, Syke 1983, 



Tiere in niedersachsischen Ortsnamen 33 

den). Eher zu Personennamen stellt man Poggenburg, mehrfach in Ostfriesland. 45 
Das Dialektwort Utsche, Utze findet sind zum Beispiel in Utschenpaul, Flurname in 
Sieboldshausen, im zweiten Teil steckt ostfalisch -paul, fiir ndt. pol „Sumpf", vgl. 
Liverpool, Blackpool, hdt. Pfuhl, Gottinger StraBenname Aufdem Paul. 

2.6 Die Krabbe heiBt an der Unterelbe Kraut, daher hat die Elbinsel Krautsand, 
auch ein Ort bei Drochtersen an der Elbe, ihren Namen. 46 

2.7 Nicht wenige Ortsnamen nehmen Bezug auf die Miicke, ndt. Miigge, Mugge, 
mnd. mugge, etwa Miiggenbach (Kr. Wittmund); Miiggenburg (Kr. Celle), 1466 (Kopie) 
bi der Muggenborch; 47 Miiggenburg (Kr. Diepholz); 48 Miiggenburg (Kr. Liichow-Dan- 
nenberg), 1320 (Kopie) Muckhenborch, 1350 Mugkenborch; 49 Miickenburg bei Rid- 
dagshausen, 1824 Miickenburg; 50 Miiggendorf (Kr. Cuxhaven); Miiggenkrug (Kr. Witt- 
mund); Miickenhorn (Kr. Cuxhaven); kaum aber Miicklingen (Kr. Liineburg), 1318 
Muckelinghe. 51 

2.8 Der Otter, mnd. otter, darf vermutet werden in Gewassernamen wie Otterbeck, 52 
ferner in Otterdeich 53 und Ottershorn (Kr. Wittmund), nicht aber in Otterndorf(Kr. 
Cuxhaven), in dem ein Personenname zu vermuten ist, ebenso wenig in Otternha- 
gen bei Neustadt/Rbge. (Kr. Hannover), 54 1215 Otherenhagen, 1245 Oterenhagen, 
worin eine Ableitung von dem FluBnamen Auter vorliegt. 

2.9 Die Eidechseha.be ich als deutsche Bezeichung in Ortsnamen nicht nachwei- 
sen konnen, aber als slavisches Relikt. 55 Hierzu gehort Giistrow in Mecklenburg. 
Der Name entha.lt slav. *guscer-, das u.a. bezeugt ist in bulg. glister, gusterica „Ei- 
dechse", kroat, serb. gusterica, guster, sloven, gu.si.er, guscar „Eidechse" u.a. Das 



S. 176. 

45 Gerhard Lohse, Geschichte der Ortsnamen im ostlichen Friesland zwischen Weser 
und Ems, 2. Aufl., Wilhelmshaven 1996, S. 62 ff. 

46 Bach (wie Anm. 6) S. 323. 

47 UB. Celle Nr. 253 S. 210. 

48 Lutosch (wie Anm. 44) S. 158. 

49 Antje Schmitz, Die Siedlungsnamen und Gewassernamen des Landkreises Liichow- 
Dannenberg, Neumiinster 1999, S. 134. 

50 Kleinau (wie Anm. 27), II S. 408. 

51 S. L. Schneider, Orts- und Gewassernamen im Landkreis Liineburg, Liineburg 1988, 
S. 87. 

52 Wesche (wie Anm. 4) S. 44. 

53 Lohse (wie Anm. 45) S. 128. 

54 Ausfuhrlich behandelt bei Ohainski/Udolph, Ortsnamen Hannover (wie Anm. 14) S. 
355 f. 

55 Das folgende nachjiirgen Udolph, Orts-, Gewasser- und Flurnamen des Wendlandes 
und der Altmark, in: Deutsch-slawischer Sprachkontakt im Lichte der Ortsnamen, Neumiin- 
ster 1993, S. 141-172. 



34 Jiirgen Udolph 

Wort steckt auch in dem niedersachsischen Ortsnamen GUstritz{Kx. Liichow-Dan- 
nenberg), 56 1388 Gusterisse, 1450/51 Gusteritze, und in Flurnamen, wie z.B. Im Gu- 
sternitz oder Giisternitz, 57 FlurN. bei Gansau; In den Gusterneitzen, FlurN. bei Dal- 
lahn; 58 Giisterens, FlurN. bei Kahlstorf S9 u.v.a.m. 60 

2.10 Niederdeutsch OTfl/;^„Ringelnatter, Schlange" wird in Schnakenburg an der El- 
be vermutet, 61 1231 de Snakenburg. Bemerkenswert ist, daB auch der um 1700 er- 
wahnte dravanopolabische Name Godegord, Godegur, Godegord 62 entsprechend er- 
klart werden kann: drav.-polab. god „Schlange" + gord „Stadt, Burg", 63 vgl. -gard 
und gorod in Novgorod, Belgrad, Naugard u.a. 

3. Haustiere (im weitesten Sinne) 

3.1 Die allgemeine Bezeichnung TierwirA nach A. Bach 64 in der Regel auf wilde 
Tiere bezogen, etwa bei einem Ortsnamen wie Tiergarten. In Niedersachsen fand 
ich dazu den Ortsteilnamen Tiergartenbreite in Wolfsburg. Dagegen bezieht sich 
Viehin Ortsnamen, ndt. Veh, nach Adolf Bach 65 auf Haustiere. Hierher diirften ge- 
horen: Viehbrock (Kr. Rotenburg/Wumme), Viehdamm (Kr. Ammerland) , Viehland, 
Viehspecken (Kr. Osterholz), letzterer enthalt ndt. speck „Kniippeldamm" (das auch 
in StraBennamen, z.B. als Speckstrafie, bezeugt ist). 

3.2 Der hochdeutschen Biene entspricht im Niederdeutschen Imme, auch im 
Hochdeutschen bezeugt als Imker. Dahergehoren weder der ON. Bienenbiittel (Kr. 
Uelzen) hierher, 66 noch Biene und Bienerfeld (Kr. Emsland) oder Bienrode (Braun- 
schweig), 1031 Ibanroth, 1067 in Ibanrothe, 1211 Ibenroth, 61 auch nicht Immendorf, 

56 Ausfiihrlich hierzu: Schmitz, Siedlungsnamen (wie Anm. 49) S. 78. 

57 Gerhard Osten, Slawische Siedlungsspuren im Raum um Uelzen, Bad Bevensen und 
Liineburg, Uelzen 1978, S. 121. 

58 Paul Rost, Die Sprachreste der Dravano-Polaben im Hannoverschen. Leipzig 1907, 
S. 15. 

59 Ebda. 

60 S. Schmitz, Siedlungsnamen (wie Anm. 49) S. 78; Reinhold Trautmann, Die Elb- und 
Ostseeslavischen Ortsnamen, Teil 2, Berlin 1949, S. 59. Eine Verbreitungskarte slavischer 
Ortsnamen steht bei Udolph, Wendland (wie Anm. 55) S. 160. 

61 Schmitz, Siedlungsnamen (wie Anm. 49) S. 169f. 

62 Reinhold Olesch, Thesaurus linguae dravaenopolabicae, Bd. 1, Koln-Wien 1984, 
S. 333. 

63 Schmitz, Siedlungsnamen (wie Anm. 49) S. 64. 

64 Bach (wie Anm. 6), S. 318. 

65 Ebda. 

66 Zu diesem s. Kirstin Casemir, Die Ortsnamen auf -battel (Namenkundliche Informa- 
tionen, Beiheft 19), Leipzig 1997, S. 120f. 

67 Kleinau (wie Anm. 27) I S. 63. 



Tiere in niedersachsischen Ortsnamen 35 

Wiistung im Kr. Hannover, 68 1301 Ymmendorpe, Anf. 14. Jh. Ymendorpe; Immensen 
(Kr. Northeim),9.Jh. (Abschrift 15. Jh.) Ymmanhusun, 1210 (A. 13. Jh.) Immenhusen; 
Immenrode, Ortsteil von Vienenburg; Immenrode bei Walkenried und andere, sie 
enthalten einen Personennamen Immo. Eher kann man Immenhof(Celle) hier an- 
schlieBen. Das slavische Wort fur „Biene" steckt in Prezelle (Kr. Liichow-Dannen- 
berg), 1330/52 to der Bitzelle, ca. 1368 Bitzelle, zugrunde liegt russ. pcela, poln. 
pszczoia, sorb, pcoia, co£<z„Biene". 69 Auf Bienen weist auch der ON. Schwiepke (Kr. 
Liichow-Dannenberg), 1295 Szweput, 1450/51 Swypede, er gehort zu slav. svepet 
„Waldbienenstock, hangender Bienenstock". 70 

3.3 Das hochdeutsche Wort Gans hat in bestimmten Sprachen sein -n- verloren. 
Das zeigt engl. goose, ahnlich mnd. gos, ndt. goos. 71 Wir finden die ndt. Entspre- 
chung u.a. in der Gosemiihle (Gem. Obernholz, Kreis Gifhorn), 1753 Gansemiihle, 
1777 Gosemiihle, 1837 Gansemiihle, 12 die am Gosebach liegt. Ferner sind zu nennen 
Goseriede, StraBenname in Hannover (entha.lt -riede „Wasserlauf", 73 vgl. Eilenriede 
u.a.), Gooshagen (Kr. Schaumburg), 74 Gosebrock (Kr. Emsland). 

Nicht hierher gehoren 75 Goslar und der zugrunde liegende FluBname Gose, 
(1181-89) juxtam Gosam, 1259 apud Gosam sitam, 1284 apud Oster-Gose situm, aus 
*Gaus-a, sondern zu aisl. gjosa, gaus „hervorbrechen, sprudeln", geysa „in heftige 
Bewegung bringen, aufhetzen", Geysir „heiBe Springquelle in Island", hdt. Giisse 
„W°g en ) groBe Wassermassen in starker Bewegung". Damit zusammen hangt Go- 
sewerder (Amt Neuhaus,Kr. Liineburg), 1450 Ghujie, 1450 Ghusze, 1640 Gosewarder, 
und wohl auch Goseburg bei Liineburg, in der Nahe der Ilmenau, sowie Gosehus 
(Kr. Rotenburg/ Wiimme), in der Nahe der Oste. 

Die slavische Benennung *ggs „Gans" liegt vor in 76 Ganse (Kr. Liichow-Dan- 
nenberg), 1343 Ganze, (vor 1384) to Ghantze. 

3.4 Die hochdeutsche Geifi ist vor allem aus Grimms Marchen „Der Wolf und die 
sieben GeiBlein" bekannt. Die niederdeutsche Variante Gete, Jete „GeiB, Ziege", 



68 Ausfiihrlich behandelt bei Ohainski/Udolph, Ortsnamen Hannover (wie Anm. 14) 
S. 236f. 

69 Schmitz, Siedlungsnamen (wie Anm. 49) S. 147f. 

70 Ebda., S. 172. 

71 Scheuermann (wie Anm. 17) S. 121. 

72 Jiirgen Rund, Geschichtliches Ortsverzeichnis des Landkreises Gifhorn, Hannover 
1996, S. 96. 

73 Vgl. Jiirgen Udolph, Namenkundliche Studien zum Germanenproblem, Berlin/New 
York 1994, S. 377-394. 

74 Laur, Schaumburg (wie Anm. 42) S. 93. 

75 Zum folgenden: Udolph, Neuhaus (wie Anm. 39) S. 93 ff. 

76 S. Schmitz, Siedlungsnamen (wie Anm. 49) S. 59; Trautmann, Ortsnamen (wie Anm. 
60), T. 2, S. 66. 



36 Jiirgen Udolph 

mnd. geite, gete, vgl. mnd. geite, asa. get, mua. jitt,jett „Ziege", ist nach Adolf Bach 77 
in Gietelo (Gelderland), 13. Jh. Ghettlo, bezeugt, das an Getelo (Kr. Grafschaft Bent- 
heim), 1188 Ghetlo, 78 anklingt. Auf jeden Fall gehoren hierher Jetenburg, OT. von 
Biickeburg, mua. Jetenborch, 1153-70 in Geteneburg, 79 die Jettenhohleim Kreis Ostero- 
de, 80 vielleicht auch Jettebruch (Kr. Soltau-Fallingbostel). 

Die hochdeutsche Bezeichnung Ziege liegt vorinjungen Namen wie Ziegenberg 
(Kr. Hildesheim) , Ziegenbrink, Ziegenhocken (Kr. Nienburg) , Ziegenstrajie (Kr. Olden- 
burg), Ziegenhagen, nach Heinrich Wesche 81 auch ein Spottname. 

3.5 Der Hundist mit seiner Gestalt verborgen in dem ON. Hunnesriick (Kr. Nort- 
heim), Anf. 14Jh. Hundesruge 82 1310 Hundesriicke, 1310 castrum Hundesrucke, 83 der 
mit dem Hundsriick, einem weiteren Ortsnamen Hundriickhei Steinau, 1144 Hunds- 
ruge, und anderen Namen, in denen seit Ernst Forstemann 84 eine Benennung nach 
der Form der Erhebung vermutet wird, verbunden werden kann. 

Bei anderen Ortsnamen wie Hundebreite (Kr. Holzminden), Hundehock (Kr. 
Grafschaft Bentheim), Hundehok, Hundehdvel, Hundort (Kr. Emsland), Hunden (Kr. 
Harburg), Hundewinkel und Hundsmiihlen (Oldenburg) ist der Zusammenhang 
nicht sicher. Hier sind Einzelstudien notwendig. Fern bleibt auf jeden Fall der Ge- 
wassername Hunte. 85 



77 Bach (wie Anm. 6) I S. 318. 

78 Hermann Jellinghaus, Die westfalischen Ortsnamen nach ihren Grundwortern, 3. 
Aufl., Osnabriick 1923, S. 132,135; zu -loh „Wald" s. Udolph, Studien (wie Anm. 73) 
S. 513-573. 

79 Laur, Schaumburg (wie Anm. 42) S. 84; Jiirgen Udolph, Burg in Flurnamen, in: Siid- 
niedersachsen 27(1999)102-111, hier: S. 106. 

80 Jiirgen Udolph, Nachtrag zu Jettenhohle - Ziegenhohle. In: Heimatblatter fur den siid- 
westlichen Harzrand 51(1995)136. 

81 Wesche (wie Anm. 4) S. 44. 

82 Chronicon episcoporum Hildesheimensium, Monumenta Germaniae Historica, 
Scriptores VII, S. 867. 

83 UB. Hochstift Hildesheim III S. 813,815. 

84 Ernst Forstemann, Altdeutsches Namenbuch, Bd. 2: Orts- und sonstige geographi- 
sche Namen, 1. Halfte, Bonn 1913, Sp. 1504; dagegen Wilhelm Kaspers, Beitrage zur Namen- 
forschung 1 (1949/50) 130f. und Wilhelm Schoof, Der Name Hundsriick, Beitrage zur Namen- 
forschung 14(1963)272 f. (mit Lit.), zuriickgewiesen von Ernst Christmann, Beitrage zur 
Namenforschung 2(1950/51) 109, erneut beantwortet von Wilhelm Kaspers, Beitrage zur Na- 
menforschung 2(1950/51)111. Die einfache Losung vertritt energisch Bach (wie Anm. 6, pas- 
sim), so jetzt auch Oskar Bandle, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd. 10, 
Berlin /New York 1998, S. 610. 

85 Jiirgen Udolph, Germanische Hydronymie aus kontinentaler Sicht. In: Beitrage zur 
Namenforschung. Neue Folge 24 (1989) 269-291, hier: S. 274 ff. 



Tiere in niedersachsischen Ortsnamen 37 

3.6 Das Kalb, ndt. Kalf,asa. kalf,mnd. kalf,Gen. sg. halves, Gen. pi. kalver, darf ver- 
mutet werden 86 in Calberlah (Kreis Gifhorn), 1311 Kalverlage, 1318 Kalverleghe, fer- 
ner in Kalverlage, Hofname im Kr. Grfsch. Bentheim, 87 Kohlflagge, Hofname bei 
Melle, 1246 Calflo, 1422 Kaluello, 1428 Kalveslage, 1472 die Kaluelage, 88 dort auch 
FlurN. Kaaflage, Kahlflage, 15. Jh. Kalvelage, Calvello, vor allem auch in Calveslagebei 
Vechta, 9./10. Jh. Calbesloge, 9./10. Jh. Caluaslogi 89 Die Namen enthalten germ. 
-lage, 90 das gern in Verbindung mit Tiernamen erscheint. Henning Siebel 91 bietet 
aus Orts- und Flurnamen etwa Darslage (zum Dachswort), Vos-loge, Hertlage {hirut 
„Hirsch"), Wulflage, Vincklage, Taubenlage, Immenloge, Fislage, Kuhlage, Rinderlaghe, 
Vehlage. 

3.7 Die Kuh erscheint bereits in Ortsnamenbelegen des 9. Jahrhunderts, gemeint 
ist Kaierde bei Delligsen, in den Corveyer Traditionen haufig genannt: 92 826-876 
(A. 15. Jh.) Cogardo, Cogarden, Cogardun, Cogharden. 93 Zugrunde liegt nach Ernst 
Forstemann 94 asa. ko, ahd. chuo, ko (Plur. chuoge, cuawi) „Kuh", nnd. ko, ku, mud. ko, 
ku, plur. koge, kogge, koie, koige, keie, kuge, asa. ko „Kuh" + germ, '''gardon „Garten", 
ahd. garto, as. gardo, also eine Entsprechung zu Stuttgart, 1200 Stutgarte, „Stutengar- 
ten", mhd. stuot „halbwilde Pferdeherde". 95 Der ON. hat Kohagen, eine Wiistung 
im Kr. Osterode, neben sich, 96 1337 den Koyhagen, 1488 Bertold Kohagen. 

3.8 Der Ochse, mnd. osse, nd. Osse, im Siiden aber auch = „Zuchtstier, Bulle", ist in 
Flurnamen nach Ulrich Scheuermann 97 auch vielfach Hinweis auf die Weide fur 
den Gemeindebullen, ist in niedersachsischen Ortsnamen nicht selten. Man kann 
ihn vermuten in Ossenfe Id (Kr. Gottingen), 1256 Ossenewelde, 1321 Osneuelde, 1334 
villicus de Ossenvelde; 98 fernerin Ossenbeck (Kr. Vechta), Ossenbeck (Kr. Diepholz), 99 



86 Vgl. Henning Siebel, Die norddeutschen Flur- und Siedlungsnamen auf -lage/-loge, 
Magisterarbeit Minister 1970, S. 34,136. 

87 Ebda., S. 6. 

88 Ebda., S. 52f. 

89 Casemir/Ohainski (wie Anm. 20) S. 109. 

90 Vgl. Siebel, -lage (wie Anm. 86) und Udolph, Studien (wie Anm. 73) S. 801-808 (mit 
Verbreitungskarte) . 

91 Siebel, -lage (wie Anm. 86) S. 134f. 

92 L. Fiesel, Offleben und Kaierde in den Traditiones Corbeienses, Braunschweigisches 
Jahrbuch 44 (1963) 5-41. 

93 Casemir/Ohainski (wie Anm. 20) S. 75. 

94 Forstemann, Ortsnamen (wie Anm. 84), I, Sp. 1701. 

95 Bach (wie Anm. 6) II S. 318, vgl. Berger (wie Anm. 11) S. 253. 

96 Ohainski/Udolph, Ortsnamen Osterode (wie Anm. 36) S. 95. 

97 Scheuermann (wie Anm. 17) S. 138. 

98 Kirstin Casemir, Uwe Ohainski, Jiirgen Udolph, Die Ortsnamen des Landkreises 
Gottingen, Bielefeld 2003, S. 304f. 

99 Lutosch (wie Anm. 44) S. 171. 



38 Jiirgen Udolph 

Ossenbeeke (Kr. Schaumburg) , Ossenweg (Kr. Emsland) , Ochsenbruch (Kr. Emsland) , 
Ochsenweide (Kr. Oldenburg) . 

Bei dem folgenden Namen liegt eher ein Personenname vor: Ochsendorf (Kr. 
Helmstedt), 997 Ossendorp, 100 der Personenname findet sich als Osso (aus *Anso) bei 
Ernst Forstemann. 101 

3.9 Das niedersachsische Wappentier, das Pferd, laBt sich entgegen der Ansicht 
von H. Wesche 102 in Ortsnamen nachweisen. Dabei spielt allerdings wenigerndt. 
perd eine Rolle, als vielmehr mnd., nd. Pageund asa. hers, verwandt mit engl. horse, 
afries. hors, hars, hers und hdt. Rofi. 

Ndt. Page „VierA, im besonderen altes, abgetriebenes Pferd, Hengst", mnd. page 
„Pferd", darf in der Pagelsburg (Kreis Osterode) 103 und in etlichen Flurnamen ver- 
mutet werden; es findet sich auch in Familiennamen wie Pagendarm, Pagenkopf u.a. 

Das schon angesprochene altsachsische Wort hers „Ro6, Pferd" ist verborgen in 
Hasperde (Kr. Hameln-Pyrmont), einer „Pferdefurt", wie die alten Belege erwei- 
sen: 104 (um 1150) InHersevbrde, 1293 in Hersevorde, (um 1359/63) to Hersevorde, 1569 
Hasperde. 

Vielleicht konnen hier auch Namen bei Helmstedt angeschlossen werden. Zum 
einen das Harsleber Tor und die Harsleber Torstafee, zum andern eine Flurbezeich- 
nung Hersedal, (1399-1436) (Abschrift 15. Jh.) dem Hersdael, 105 1440 by dem herse- 
dale. 106 

Aus dem ehemals slavisch besiedelten Bereich Niedersachsens ist zu nennen 
Govelin (Kr. Liichow-Dannenberg), 1360 Govelin, 1450/51 Ghabelin, Ghobelin, am 
ehesten aus slav. ""Kobylin-, zu kobyla „Stute", zu erklaren. 107 

3.10 Das Schaf findet sich als hochdeutsche Entsprechung von ndt. Schap vor al- 
lem in jungen Namen wie Schafbrink (Kr. Osnabriick), Schafdamm (Kr. Ammer- 



100 Casemir/Ohainski (wie Anm. 20) S. 66. 

101 Ernst Forstemann, Altdeutsches Namenbuch, Bd. 1: Personennamen, Bonn 1900, Sp. 
121. 

102 Wesche (wie Anm. 4) S. 44: Das Pferd fehlt im allgemeinen; weder ehu, scelch, hros, noch 
als hengst finden wir es. Einzig in einigen Flurnamen wie Pagenstall, Pagenfohrt u.a. ist ein Ausdruck 
fiir Pferd, Page, erhalten. 

103 Ulrich Scheuermann, Die Flurnamen des westlichen und siidlichen Kreises Roten- 
burg (Wumme), Rotenburg (Wiimme) 1971, S. 195. 

104 Jiirgen Udolph, Ortsnamen und Siedlungsgeschichte in Ostfalen; in: Ortsnamen und 
Siedlungsgeschichte, Heidelberg 2002, S. 285-320, hier: S. 286. 

105 Wilhelm Crecelius, Georg Friedrich Fiedeler, Zeitschrift des Historischen Vereins 
fur Niedersachsen 1874/75, S. 107. 

106 Peter Wilhelm Behrends, in: Neue Mitteilungen aus dem Gebiete historisch-antiqua- 
rischer Forschungen 4 (1839), Heft 2, S. 69. 

107 Schmitz, Siedlungsnamen (wie Anm. 49) S. 70f. 



Tiere in niedersachsischen Ortsnamen 39 

land), Schafforth (Kr. Oldenburg), Schafhaus (Kr. Friesland), Schafheide, Schafwinkel 
(Kr. Verden), Schafkoben (Kr. Osterholz), Schafkoven (Delmenhorst), Schafstall (Kr. 
Celle), Schafweg (Kr. Cuxhaven), Schafweide (Kr. Hildesheim), wobei in Einzelstu- 
dien noch sehr sorgfaltig zu klaren sein wird, ob altere Belege die hier geauBerte 
Vermutung bestatigen. So trug der heute hochdeutsch aussehende ON Schaafliau- 
sen (Kr. Liichow-Dannenberg) friiher einen niederdeutschen Namen: 1360 Scap- 
husen, Scaphuse, ca. 1368 Schaphus, to Schaphuse, es handelt sich nach Antje 
Schmitz 108 um einen „Ort bei den Schafstallen". 

Ein altes Wort fur „Furt" entha.lt Schafwedel (Kr. Uelzen), alt Scapewidele, 109 an 
der Seehalsbeeke gelegen. Wie in Salzwedel und vielen anderen Namen ist hier 
-wedel enthalten, das zu mnd. wedel, asa. widil, anord. vadhell, vadhall, vadhill 
„seichte Stelle im Fjord zum Hiniiberwaten" gehort. 110 

3.11 Ahnlich ist die Lage bei hdt. Schwein, ndt. /Sanra.Jiingere hochdeutsche Na- 
men sind etwa Schweindorf(Kr. Aurich u. Wittmund), 111 Schweinebriick (Kr. Fries- 
land), Schweinekamp, Schweineinsel 112 (Kr. Diepholz), Schweineweide (Kr. Weser- 
marsch). Niederdeutsche Entsprechungen fand ich nurin dem Gemeindenamen 
Schwienau (Kr. Uelzen), eine Ableitung von dem Gewassernamen Schwienau, 1320 
aquam que dicitur Svinouwe, 1473 uppe der Swinouwe, 113 und in der Swienmark um 
Bergen und Schnega, 1817 Swienmark. lu 

4. MittelgroJZe und grojie Tiere 

4.1 Wie bei hdt. Ochse— ndt. Ctesteht hdt. Dachs ndt. Dass gegeniiber. In Ortsna- 
men laBt sich aberkeiner der beiden Varianten nachweisen. Auch der ON. Dassel 
muB fern bleiben, denn seine alteren Belege 826-876 (Abschr. 15. Jh.) Dassila, 115 
1153, 1156 (Abschrift 16 Jh.) Dassele, Dasle, 116 weisen auf eine Ableitung mit Hilfe 
eines -/-Suffixes, und diese Form der Ortsnamenbildung kann nicht von einem 
Wort, etwa Das(s), erfolgt sein, sondern nur von einer alteren Basis, einer soge- 
nannten Wurzel. 



108 Ebda., S. 166. 

109 Udolph (wie Anm. 73) S. 898; Wesche (wie Anm. 4) S. 54 verlegt den Ort in den Kr. 
Dannenberg. 

110 Ausfiihrlich behandelt bei Udolph (wie Anm. 73) S. 892-906. 

111 Lohse (wie Anm. 45) S. 70, 71. 

112 Lutosch (wie Anm. 44) S. 196. 

113 Zufliisse (wie Anm. 23) S. 311f. 

114 Schmitz, Siedlungsnamen (wie Anm. 49) S. 20. 

115 Casemir/Ohainski, Nds. Orte (wie Anm. 21) S. 86. 

116 Urkunden Heinrichs des Lowen, bearb. von K.Jordan, Stuttgart 1960, passim. 



40 Jiirgen Udolph 

4.2 Wie im Fall von Hasperde laBt sich der Eber, ndt. Ever, gelegentlich erst nach 
dem Studium alterer Belege erkennen; hierzu gehort Esperde (Kr. Hameln-Pyr- 
mont), 117 1151 in Everesvorde, 1290 in Eversforde, 118 also eine „Eberfurt". Auch Ever- 
lohbei Gehrden (Kr. Hannover), 1016-1020 (Abschrift 15Jh.) Aewerlan, 1239 Ever- 
lo, um 1280 Everlo, 1312 Euerlo, enthalt den Eber, ndt. Ever, hier in Verbindung mit 
-M„Wald". 119 

Fern bleiben muB aber Ebergdtzen (Kr. Gottingen), 1022 (Falschung 1. bzw. 2. 
Halfte 12. Jh.) Euergoteshem, Evergothessem, 1264 Evergotzen, in dem ndt. Ever zwa,r 
enthalten ist, aber nur als Bestandteil eines Personennamens. 120 Das gilt auch fur 
Eberhausen (Kr. Gottingen), 1204 Euernhusen, 1206 Evernhosin, 121 fur Eberholzen (Kr. 
Hildesheim), 1240 in Eilbereholthusen, 1282 villa Elberholthusen; Elbereholthusen} 22 
Auch Ebersdorf(Kr. Rotenburg/Wiimme) diirfte eher einen Personennamen ent- 
halten, wahrend in Ebersheide (Kr. Diepholz) die Tierbezeichnung vermutet wer- 
den kann. 123 

4.3 Der Fuchs, ndt. Voss, erscheint haufig in hdt. Form: Fuchsberg, auch Fuchswinkel, 
die niederdeutsche Variante zeigt sich in Vosgat (Kr. Aurich; gat bedeutet „Loch, 
Offnung, DurchlaB, Durchgang 124 ), Vojibarg (Kr. Aurich; enthalt ndt. -barg 
„Berg"), auch mehrfach Vojiberg, schlieBlich auch Vbsloge (Kr. Cuxhaven). 125 

4.4 Der Hase findet sich vor allem in Flur- und Ortsteilnamen wie Hasenwinkel 
(Kr. Gottingen, Helmstedt, Stade, Liineburg und anderswo), zumeist aber wohl zu 
verstehen als Hinweis auf entfernt liegende Ortsteile, dort, wo der an und fiir sich 
scheue Hase auftaucht. 

Nicht hierher gehort Hasede, 1146 in Hasen, weiter bis Anf. 13. Jh. stets Hasen, 
noch nicht sicher gedeutet. 126 Fern bleibt auch der FluBname Hase bei Osna- 
briick. 127 



117 Vgl. J. Udolph, Orts- und Hofnamen, in: In: Reallexikon der Germanischen Alter- 
tumskunde, Bd. 22, Berlin - New York 2002, S. 233-247, hier: S. 235. 

118 UB. Hochstift Hildesheim I Nr. 275 S. 258; ebda., Bd. Ill S. 457. 

119 S. OhainskI/Udolph, Ortsnamen Hannover (wie Anm. 14) S. 145f. 

120 Casemir/Ohainski/Udolph, Gottingen (wie Anm. 98) S. 108f. 

121 Ebda., S. 104 f. 

122 UB. Hochstift Hildesheim II S. 272; III S. 317,328. 

123 Vgl. Lutosch (wie Anm. 44) S. 83 f. 

124 Scheuermann (wie Anm. 17) S. 120. 

125 Siebel, 4age (wie Anm. 86) S. 89. 

126 Reinhold Moller, Dentalsuffixe in niedersachsischen Siedlungs- und Flurnamen in 
Zeugnissen vor demjahre 1200, Heidelberg 1992, S. 59f.; Dieter Rosenthal, Zur Diskussion 
iiber das Alter der nordwestdeutschen Ortsnamen auf -heim. Die Ortsnamen des ehemaligen 
Kreises Hildesheim-Marienburg, Beitrage zur Namenforschung, Neue Folge 14 (1979) S. 361- 
411, hier: S.372f. 



Tiere in niedersachsischen Ortsnamen 41 

4.5 Sicherer laBt sich der Hirsch, ndt. Hert, mnd. herte nachweisen. Das weibliche 
Tier wird Hinde gemmxt. Niederdeutsch hert enthalt Herzberg am Harz(Kreis Oste- 
rode), 1143 [Druck 1743] Hermanni de Hirzberc, 1153 (A. 18. Jh.) Hircesberg, 1153 (A. 
13. Jh.) Hirtesberch. 128 

4.6 Das Reh wird vermutet in dem ON. Rehbeck (Kr. Liichow-Dannenberg), 1548 
Rehbeke, 1634 Rehebeck. 129 

4.7 Nicht die Krdte, sondern den Maulwurf in seiner slavischen Form krety darf 
man im ON. Krdte (Kr. Liichow-Dannenberg) sehen, 1330-1352 to Krethe, 1360 to 
Krete, to Crete. no 

5. Vdgel 

5.1 Auch Vogel&inA in niedersachsischen Ortsnamen nachweisbar. Hierzu gehort 
Vogelbeck (Kr. Northeim), 1278 Thyderici de Vogelbeke, 131 damit verbunden sind auch 
ein Flurname Vogelbach und der Burgenname Vogelsburg 132 Ferner sind hier anzu- 
schlieBen Vogelpohl, 133 Vogelpool (Kr. Osnabriick). Nicht sel ten ist der Name Vogel- 
sang, mehrfach in Niedersachsen bezeugt, u.a. im Kr. Emsland, Kr. Diepholz, Kr. 
Nienburg, Kr. Gottingen u.a.m. 134 Dazu heiBt es bei Adolf Bach: 135 Mit der Ent- 
wicklung des Naturgefiihls im 12./13.Jh. tritt der Flurname Vogelsang hervor („Ort, wo Vd- 
gel singen"). E.Jacobs hat seine Ausbreitung mit dem Einfluji des Minnesangs in Zusam- 
menhang gebracht. Der Name findet sich auch in den Rodungsgebieten, als Modenamen zei- 
tig auch im deutschen Nordosten. Adolf Bach glaubt, 136 daB Vogelsang zu den zum 
Zwecke der Anlockung von Siedlern gewahlten Namen gehort undgerade deshalb bei derBe- 
nennung ungunstigeren Gelandes Verwendung gefunden haben kann. 

5.2 Nicht selten ist auch die Eule, ndt. Uhl, Uhle, bekannt etwa aus dem ON. Uh- 
lenhorstin Hamburg. Hierkonnen u.a. angeschlossen werden Eulenkrug (Kr. Holz- 



127 Zu diesem Namen zuletztj. Udolph, Ortsnamen des Osnabriicker Raumes, in: Rom, 
Germanien und die Ausgrabungen von Kalkriese, Osnabriick 1999, S. 565. 

128 Ausfiihrlich behandelt bei Ohainski/Udolph, Ortsnamen Osterode (wie Anm. 36) 
S. 84 ff. 

129 Schmitz, Liichow-Dannenberg (wie Anm. 49) S. 157. 

130 Ebda. S. 105. 

131 Westfalisches UB IV S. 271. 

132 Vgl. Wilhelm Korber, Vogelbeck. Ein Heimatbuch, Vogelbeck 1926 S. 2 u.6. 

133 Wrede (wie Anm. 43) II S. 259. 

134 Vgl. zum ON. Vogelgesang allgemein: Felix Geisheim, Uber das Vorkommen und die 
Bedeutung des Namens „Vogelgesang", Geschichtsblatter fur Stadt und Land Magdeburg 7 
(1872) 109-111; s. auch Casemir/Ohainski/Udolph, Gottingen (wie Anm. 98) S. 97. 

135 Bach (wie Anm. 6) II S. 235. 

136 Ebda., S. 235f. 



42 Jiirgen Udolph 

minden), 1745 Uhlenkrug, 1748 Eulenkrug, 137 wahrscheinlich iiber einen Gasthofs- 
namen zu erklaren. Die niederdeutsche Bezeichnung der Eule diirften ferner ent- 
halten Eulenburg(Kr. Goslaru. Stadt Osterode), Uhlenb erg (Kr. Osnabriicku. Clop- 
penburg), Uhlenbrok (Delmenhorst), Uhlenbruch (Kr. Hannover), Uhlenbusch (Kr. 
Wesermarsch), Uhlenhorst (Kr. Liichow-Dannenberg), 138 Uhlenwinkel 139 u.a.m. 

5.3 Der Falke ist enthalten in Falkenhagen (Kr. Gottingen), 1282 (Abschrift 15. Jh.) 
Valkinhain, 1317 medietatem ville Valkenhagen, uo ein haufiger ON. in Siidnieder- 
sachsen. Zu den -hagen-N amen, die haufig mit Tierbezeichnungen kombiniert 
sind, 141 vergleiche man auch die Streuung der Namen, die eine Auswanderung 
vom Weserbergland iiber das siidliche Schleswig-Holstein bis nach Pommern er- 
kennen lassen. 142 

5.4 Zum Teil unerkannt lebt der Habicht in Ortsnamen fort, so etwa auch in Havel- 
se (Kr. Hannover), wobei von ndt. havek auszugehen ist: um 1216 Hauekesla, Anf. 
13. Jh. Havekesla, um 1225 Hauekesleue, im zweiten Teil steckt germ. *hlaiwaz„H\i- 
gel, Grabhiigel", im alteren Niederdeutschen und im Niederlandischen als (h)lewe 
erscheinend. 143 Es liegt auch vor in dem bekannten Gorleben, das mit den zahlrei- 
chen -yc/i-Namen um Eilsleben, Aschersleben, Oschersleben usw. nur scheinbar iden- 
tisch ist. 144 Havelseist also ein altes Havekes-leve „Habichts-h\igel" . U5 In der Verbin- 
dung mit -horst „Nest", alter aber wohl eher „trockene Erhebung in morastiger 
Umgebung", 146 liegt ndt. havek „Habicht", mnd. havik, havek, auch vor in Habig- 
horstbei Eschede, 147 (1255) (Abschrift 14. Jh.) Havechorst, 1258 Havekhorst, in Fern- 
havekost(Kr. Celle), 148 1438 To Verne Havichorst, und dembenachbarten Paulmanns- 
havekost, 1221 in . . . Wostehavekhorst totum, 1255 Havechorst. 



137 Kleinau (wie Anm. 27) I S. 186. 

138 Schmitz, Liichow-Dannenberg (wie Anm. 49) S. 216. 

139 Wesche (wie Anm. 4) S. 44. 

140 Casemir/Ohainski/Udolph, Gottingen (wie Anm. 98) S. 134; Wesche (wie Anm. 4) 
S. 44, s. auch Schroder (wie Anm. 5) S. 282. 

141 Laur, Schaumburg (wie Anm. 42) S. 95f. weist u.a. hin auf Krainhagen, Lauenhagen, 
Poggenhagen, Wulfhagen. 

142 Franz Engel, Das Rodungsrecht der Hagensiedlungen. Hildesheim 1949. 

143 Zu diesem Wort zusammenfassend Karl Bischoff, Germ. *hlaiw- „Grabhiigel, Grab, 
Hiigel" im Deutschen, Mainz-Wiesbaden 1979 und Udolph, Studien (wie Anm. 73) 
S. 863-868. 

144 S. Jiirgen Udolph, Namenkundliche Informationen 77/78 (2000) 237. 

145 Ohainski/Udolph, Ortsnamen Hannover (wie Anm. 14) S. 194f. 

146 Ausfiihrlich zu diesem Wort Udolph, Studien (wie Anm. 73) S. 776-796. 

147 Paul Alpers, Friedrich Barenscheer, Celler Flurnamenbuch, Celle 1952, S. 45; Wolf- 
gang Laur, Historisches Ortsnamenlexikon von Schleswig-Holstein, 2. Auflage, Neumiinster 
1992, S. 315. 

148 Alpers /Barenscheer (wie Anm. 147) S. 42; Wesche (wie Anm. 4) S. 44. 



Tiere in niedersachsischen Ortsnamen 43 

5.5 In Orts- und Flumamen ist auch die Krdhe nachweisbar, so in Krainhbpen bei 
Winsen/Aller, 149 worin ndt. kreie, mnd. kra, krage, auch kreie, kreige „Krahe" und 
hop „Erhebung, Hiigel" vermutet werden kann. Hier anzuschlieBen ist auch Krain- 
hagen (Kr. Schaumburg), 150 1223 (Abschrift) in Krekenhagen, Kregenhagen, Kreigenha- 
gen, 1444 den Kreyenberch, und wohl auch - als urspriinglicher Gewassername - Kre- 
beck (Kr. Gottingen), 1183 Lutprandus de Crebike, um 1240 Hermannus de Crebeke, 
1256 Crebeke. 151 

Eine besondere Position nimmt der Namentyp Krahwinkelein. Ihm hat Edward 
Schroder eine ausfiihrliche Darstellung gewidmet: Krahwinkel und Konsorten. 152 
Zugrunde liegt mnd. kra, krage, auch kreie, kreige „Kra.he" und winkel„Winkel, Ecke; 
Raum, Versteck". Dort wird dargelegt, daB die fast dreiBig ON in erster Linie an 
kleinen und kleinsten Siedlungen haften und von den mit -w inke I gebildeten Na- 
mentypen derjenige mit Krahe der haufigste ist (neben Fuchswinkel, Barwinkel, 
Hasenwinkel) . Erkann auch als Spottname verstanden werden, 153 etwain dem Sin- 
ne: „Dort wo sich Fuchs und Hase ,Gute Nacht' sagen". Aus Niedersachsen gehort 
hierher Krahenwinkel bei Langenhagen (Kr. Hannover), 1523 Kreyenwinkel, 1612 
Kreyenwinkell. 154 Aufgrund der Uberlieferung und der Verbindung mit -husen 
bleibt besser fern Kreiensen, 1342 to Creyenhusen, 1408 Kregensen. 155 

Unerkannt lebt aber noch ein anderes Krahenwort in Namen weiter. Es ist ae. 
hroc, mnd. rok „Kolkrabe, Krahe", und man darf es vermuten 156 in Rockwinkel (Bre- 
men) , ferner in 

Roxhiillen (Kr. Celle), 1651 Rockshulen. 157 

5.6 Den Kranich darf man suchen in Kronsberg, OT. von Scharnebeck, 158 auch 
Flurname und Ortsteil von Hannover, Kronsbruch (Kr. Diepholz), 1547 Cransz- 
brok, 159 Kronsmoor (Kr. Osterholz), vgl. mnd. krdne, kran, krdn, krdneke, nd. Kroon, 
Kraneke „Kranich". 

5.7 Unerkannt lebt im ON. Gockenholz bei Lachendorf, Kr. Celle, ein Dialektwort 

149 Wahrscheinlich identisch mit Kreienhopen bei Wesche (wie Anm. 4) S. 44. 

150 Laur, Schaumburg (wie Anm. 42) S. 95. 

151 Bernd- Ulrich Kettner, FluBnamen im Stromgebiet der oberen und mittleren Leine, 
Rinteln 1972, S. 152f.; Casemir/Ohainski/Udolph, Gottingen (wie Anm. 98) S. 232f. 

152 Schroder (wie Anm. 5) S. 288-298. 

153 In diesem Sinn aufgefaBt von Wesche (wie Anm. 4) S. 44. 

154 Ohainski/Udolph, Ortsnamen Hannover (wie Anm. 14) S. 266. 

155 Kleinau (wie Anm. 27) I S. 351. 

156 Alpers/Barenscheer (wie Anm. 147) S. 126. 

157 Ewald Schrader, Chronik von Dohnsen-Wohlde, Siddershausen, Roxhiillen, Hiinen- 
burg, und Salzmoor, Bergen 1976, S. 81. 

158 Udolph, Scharnebeck (wie Anm. 28) S. 54. 

159 Lutosch (wie Anm. 44) S. 136. 



44 Jiirgen Udolph 

fiirden „Kuckuck" weiter, 1235 in Gakenholte, 160 1248 in Gokenholte, 1248 (Kopie) in 
Gokenholte} 61 Nebenndt. -Ao/^„Wald" darf darinmnd.jaltsachsischgo/^hdt. Gauch 
„Kuckuck" gesehen werden, ein Wort, das mit Gaukel,gaukelnund Gaukeleiverbmi- 
den werden kann. Der Ortsname ware dann als „Kuckuckswald" zu verstehen. 

5.8 Der Schwanhegt nach Heinrich Wesche 162 dem ON. Schwanewede, alt Swane- 
wede, zugrunde, er vermutet ihn auch in Schwalingen (Kr. Soltau-Fallingbostel), frii- 
her Swanloh. Wie immer ist aber auch Vorsicht geboten. So ist die Schwanenmiihle 
(Kr. Osnabriick) 1541 als De swallenmollersche erwahnt, 163 wodurch die Verbin- 
dung mit dem Schwan unwahrscheinlich wird. 

6. Ausgestorbene, fremde und seltene Tiere 

6.1 Ein besonderes Problem ist der Lowe, mhd. leu, lewe, louwe,ahd. lewo, louwo, leo 
u.a., mndl. leeuwe, lewe, le(e). Mit ziemlicher Sicherheit steckt sein Name in nicht 
wenigen Ortsnamen, 164 etwa in alten Burgennamen: 165 Lauenberg (Kr. Northeim), 
1388 dat sloszLewenberg; 166 Lauenstadt (Kr. Hannover), 167 1599 Lewenstadt filr der 
Veste. Hier hat der Lowe als Wappentier und beliebtes Element in Burgennamen 
eingewirkt, worauf Claudia Stiihler in ihrer Arbeit iiber die „Griindungsnamen" 
der mittelalterlichen Kloster, Burgen und Stadte in Hessen nachdriicklich hinge- 
wiesen hat. 168 Hierhergehort wohl doch auch Lauenburg an der Elbe. 169 Etwas an- 
ders liegt der Fall wahrscheinlich bei Lowenhagen (Kr. Gottingen), 1278 ecclesie in 
Lewenhaghen, 1318 Lowenhagen. 110 



160 Christian Ulrich Grupen, Origines et Antiquitates Hanoverenses oder umstandliche 
Abhandlung von dem Ursprunge und den Alterthiimern der Stadt Hannover, Bd. 2, Gottin- 
gen 1740, S. 291 

161 Albert Hans August von Campe, Regesten und Urkunden des Geschlechtes von Blan- 
kenburg-Campe. Berlin 1892-1893, 1 Nr. 313 S. 185 bzw. Nr. 314 S. 186. 

162 Wesche (wie Anm. 4) S. 44. 

163 Wrede (wie Anm. 43) II S. 193. 

164 Vgl. etwa Wesche (wie Anm. 4) S. 44. 

165 Wolfgang Kramer, Niederdeutsches Wort 21 (1981) S. 85; Erhard Kuhlhorn, in: Hi 
storisch-Landeskundliche Exkursionskarte von Niedersachsen, Blatt Moringen am Soiling, 
Erlauterungsheft, Hildesheim 1976, S. 134. 

166 Werner Flechsig, Beitrage zur Ortsnamenforschung in den ehem. Fiirstentiimern 
Gottingen- Grubenhagen, in: Northeimer Heimatblatter 1953, H. 1/2, S. 17. 

167 Ausfiihrlich dazu: Ohainski/Udolph, Ortsnamen Hannover (wie Anm. 14) S. 281f. 

168 Claudia Stuhler, Die „Griindungsnamen" der mittelalterlichen Kloster, Burgen und 
Stadte in Hessen, Frankfurt 1988. 

169 Leichte Zweifel bei Laur, Ortsnamenlexikon (wie Anm. 147) S. 424. 

170 S. Casemir/Ohainski/Udolph, Gottingen (wie Anm. 98) S. 250. 



Tiere in niedersachsischen Ortsnamen 45 

6.2 Ausgestorben ist der Auerochse, mhd. ur, ein Wort, das gernin Ortsnamen ge- 
sucht wird, so etwa in Uehrde(Kr. Wolfenbiittel) , 888 Urithi, lO./ll.Jh. Urithiusw., 
jedoch geht Kirstin Casemir 171 mit Recht einen anderen Weg. 

Ob man mit Antje Schmitz 172 in dem ON. Thurau (Kr. Liichow-Dannenberg), 
(vor 1384) to Turowe, 1450/51 Turow, die slavische Auerochsenbezeichnung tur, 
russ. tur, poln. tur, verwandt mit lat. taurus „Stier K , sehen darf, istnurschwerzu ent- 
scheiden. Vielleicht sollte man doch einen davon abgeleiteten Personennamen 
vorziehen. 

6.3 Auch der Wolf,ndt. Wulf,hietet Probleme. Erliegt weder dem ON. Wolfenbiit- 
tel zugrunde, 173 noch in Wulften (Kr. Osterode) vor. 174 Allenfalls darf man ihn in 
der Wolfsburgvermuten, aber auch hier - wie der Lowe - wohl nurals Wappentier. 

6.4 Ein besonderes Problem stellt der ON. Alferde bei Springe dar, 175 1022 (Fal- 
schung 1. bzw. 2. H. 12. Jh.) Alacfurdi, Alecfurde, 1206 Hermannus deAlecforde, 1222- 
1227 Alicforde usw. Zweifelsfrei liegt ein -furt-/-ford-N ame vor. Im ersten Teil darf 
man - wenn auch mit einigen Problemen behaftet - den „Elch" sehen, ahd. elahho 
(9. Jh.), mhd. elch, elhe, mnd. elk, aeng. elh, eolh, engl. elk. Es muB neben diesen mit 
e- anlautenden Formen im Germanischen noch eine andere Form gegeben haben, 
denn aus einer mit A- anlautenden germanischen Form, also etwa *Alk-, sind lat. 
alces, alee, griech. alke) entlehnt. 

Man fragt sich, ob der Elch in einem niedersachsischen Ortsnamen wirklich 
vermutet werden kann. Zu bedenken ist auch, daB das germ. Elchwort auch im 
Sinne von „Hirsch" verwendet wurde. 176 Einige Nachrichten scheinen aber doch 
fur das Vorkommen des Elches in Norddeutschland, konkret sogar: in Alferde, zu 
sprechen. Zum einen informierte mich Frau Ingrid Bork-Wildhagen (Gif horn) , die 
friiher in Alferde gewohnt hat, daB bei Schachtarbeiten in Alferde ein Elchkno- 
chen gefunden wurde, zum andern ist bekannt, daB das Verbreitungsgebiet der El- 
che noch in der Romerzeit ein anderes gewesen ist (nach Joachim Reichstein 177 
lebte der Elch damals wahrscheinlich noch in der Schweiz, in Siid- und West- 
deutschland und in den Niederlanden) . Zudem weist mich R. Schoon (Gottingen) 



171 Casemir (wie Anm. 38) S. 327 f. 

172 Schmitz (wie Anm. 49) S. 184. 

173 S. Casemir (wie Anm. 38) S. 366 f. 

174 S. Ohainski/Udolph, Ortsnamen Osterode (wie Anm. 36) S. 185ff. 

175 Ausfiihrlich behandelt bei Ohainski/Udolph, Ortsnamen Hannover (wie Anm. 14) 
S. 6ff. 

176 Wilhelm Heizmann, in: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd. 14, Ber- 
lin/New York 1999, S. 595 f. 

177 In: Reallexikon der Germanischen Altertumskunde, Bd. 7, Berlin/New York 1989, 
S. 127f. 



46 Jiirgen Udolph 

freundlicherweise 178 darauf hin, daB der Elch in Niedersachsen fiir die Wiistung 
Klein Biiddenstedt, Lkr. Helmstedt nachgewiesen ist (Geweihfragment, ca. 9.-14. 
Jh.) , und daB es mindestens einen weiteren norddeutschen Fundplatz (Menzlin) in 
Mecklenburg gibt. 

7. Zusammenfassung und Ausblick 

Mit dieser vorlaufigen Zusammenstellung (die bei weiterer Aufarbeitung des Ma- 
terials erheblich erweitert werden wird) von niedersachsischen Ortsnamen, de- 
nen Tierbezeichnungen zugrunde liegen, laBt sich zeigen, daB in den Orts-, Ge- 
wasser- und Flurnamen (diese konnten nur in geringem MaBe herangezogen wer- 
den) zahlreiche Hinweise auf die Tierwelt enthalten sind, die auf anderem Wege 
kaum gewonnen werden konnten. Es muB aber nochmals betont werden, daB die 
Analyse sorgfaltig vorgenommen werden muB, da bei Namen und ihrer Verwen- 
dung immer wieder zu beobachten ist, daB Tierbezeichnungen hineingedeutet 
werden, die urspriinglich nicht enthalten gewesen sind. Daheristbei derEtymolo- 
gie immer wieder auf die historische Uberlieferung zu achten. Das betrifft auch 
die in diesem Beitrag angesprochenen Ortsnamen, zu denen noch keine urkundli- 
chen Belege ermittelt wurden oder werden konnten. Solange eine Deutung nicht 
durch den historischen Unterbau abgesichert ist, bleibt sie unsicher. 

Ich verspreche mir aber von der weiteren Aufarbeitung der niedersachsischen 
Ortsnamen 179 weitere Hinweise auf die Verwendung von Tierbezeichnungen in 
der Topo- und Hydronymie und damit weitere Erkenntnisse iiber die Tierwelt in 
diesem Bundesland. 



178 Brieflich vom 27.5.2003. 

179 Im Rahmen des Niedersachsischen Ortsnamenbuchs sind erschienen: Ohainski/ 
Udolph, Ortsnamen Hannover (wie Anm. 14); Ohainski/Udolph, Ortsnamen Osterode (wie 
Anm. 36); Casemir/ Ohainski/Udolph, Gottingen (wie Anm. 98); Casemir (wie Anm. 38). 
2005 wird erscheinen Franziska Menzel, Uwe Ohainski, Die Ortsnamen des Kreises Nort- 
heim. 



,Rechtstiere' der Spatantike im mittelalterlichen 
Niedersachsen 

Pferd und Rind als Rechtsinstitutionen in der 
hoheidichen Verkehrsstruktur des Mittelalters 

Von Wolfgang Christian Schneider 



Fur Lothar Grafzu Dohna zum 4.5.2004 

Selten wird bewuBt, daB die Menschen des friihen und hohen Mittelalters ihre 
Wirtschaft und ihren Verkehr, ihre Politik und ihre Kampfe auf dem Riicken weni- 
ger Tiere austrugen: dem Ochsen, dem Pferd, dem Esel und - freilich seltener in 
Norddeutschland - dem Maultier. Abgesehen vom Menschen selbst waren sie die 
einzigen rundum verfiigbaren „Motoren", die einzigen „Beweger". Denn Wasser 
und Wind waren unbeweglich, abhangig von Ort und Zeit, und nur fur Dauerab- 
laufe einsetzbar. Zudem hatte die technische Entwicklung des Miihlwesens lange 
Zeit auf dem antiken Stand verharrt, erst zu Beginn des 12 Jh. setzten technische 
Neuerungen ein. Auf lange Zeit hin lastete also alles auf den Tieren, dochkaumje 
ist die Rede von ihnen - und die Tiere selbst sind stumm. Gleichwohl treten sie in 
den Texten wiederholt auf, und zwar gerade auch in den prominentesten: in den 
Urkunden der Herrscher, vor allem in denen der Ottonen und Salier. Allerdings 
werden sie zumeist nicht recht wahrgenommen, da sie sich oft in den als nur for- 
melhaft geltenden Partien verbergen. 

So erscheinen sie in der Urkunde Ottos des GroBen fur das Bistum Osnabriick 
vom 18. Mai 938: Bischof Thoto erhalt darin von Otto I. unterBezug auf Vorgan- 
gerurkunden (Ludwig d. Deutschen und Arnulfs) 1 eine Reihe von Leistungsbe- 
freiungen bestatigt, und die werden erlautert: ita ut nullus iudex publicus neque alia 



1 Samtliche Urkunden werden zitiert nach der Ausgabe in den MGH DD; hier: DO. I. 20 
wiederholt in dem nur verfalscht (nach DO. I. 20 und DH.II. 8) uberlieferten DO. I. 212. Die 
Vorurkunden DLD 51 und DArn. 62 sind in ihrem Wortlaut verfalscht, weswegen nicht sicher 
gesagt werden kann, wann der Verzicht auf die parafreda erstmals beurkundet wurde. - Der 



48 Wolfgang Christian Schneider 

iudiciaria potestas aut comites aut missi dominici per tempora discurrentes in locis illius 
episcopatus placita habenda velfreda exigenda aut parafreda aut paratas faciendas velfi- 
deiussores tollendos aut servos vel liberos sive liddones et ceteros aut eos qui censum per solvere 
debent quod muntscat vocatur a nemine praesumatur constringere. 2 

Die Urkunde untersagt richterlichen Personen oder sonstigen herrschaftlichen 
Funktionstragem und Sendboten auf ihren Reisen in Orten des Bistums den 
Durchgriff auf Abhangige (verschiedenen Rechtscharakters) des Bistums, um be- 
stimmte Leistungen zu erlangen: Geldleistungen, Dienstleistungen, Versorgungs- 
leistungen. In der Mitte des gebotenen Urkundenabschnitts fallt der Begriff, der 
Tiere betrifft: parafreda; abgeleitet von dem keltisch-spatlateinischen Wort veredus, 
das mit griechischer Vorsilbe zu paraveredus erweitert wurde, faBt dieser Begriff in 
versachlichter Verkiirzung die Bereitstellung (teilweise auch Fiihrung und War- 
tung) von Pferden. 

Imjahre 1023/24 erhalt die bischofliche Kirche von Bergamo von Heinrich II. 
eine ganz ahnliche Urkunde: (. . .) nemo superioris aut inferioris rei publicae procurator 
adcausas iudiciario more audiendas conventum facer e velfreda exigere aut mansionaticum 
vel paratas exquirere, parafredos aut fideiussores violenter tollere (. . .) nee ullas publicas re- 
dibitiones vel illicitas occasiones sive angarias super imponere audeat? 

Die Unterschiede gegeniiber der Urkunde fur Osnabriick sind gering, auch 
wenn die spatere Urkunde noch teilweise in der Sprache des spatantiken Imperi- 
um spricht, was den Vorurkunden und der in Norditalien noch lebendigen anti- 
ken Formulierungsselbstverstandlichkeit geschuldet ist. Es geht insgesamt um den 
gleichen Sachzusammenhang: die Sicherung des Bistums vor Belastungen von 
Seiten herrschaftlicher Funktionstrager. Neben den Bestimmungen zum Schutz 



Text ist die Uberarbeitung des Vortrags, der auf der Tagung in Verden wegen Erkrankung 
nicht gehalten werden konnte. Fur vielfaltige Unterstiitzung danke ich Armgard und Lothar 
zu Dohna (Rheden). 

2 DO. I. 20: „(. . .) derart, daB kein offentlicher Richter noch eine andere richterliche 
Macht, seien es Grafen oder Konigsgesandte, die zu Zeiten umherreisen, befugt sei, an Orten 
dieses Bistums Gerichtstag zu halten, oder BuBgelder einzutreiben, die Bereitstellung von pa- 
raveredi oder Unterhalt zu erheben oder Biirgen zu holen, auch unfreie Knechte oder Freie 
oder Liten und dergleichen oder solche, die Zins entrichten miissen, der muntscat genannt 
wird, von jemandem zu beanspruchen." 

3 DH.II. 495: „(. . .) daB kein Verwalter hoheren oder niedrigeren Herrschaftsdienstes 
(dort) wage, einen Versammlungstag zur Anhorung von Sachen nach richterlicher Art zu ma- 
chen oder BuBgeld einzutreiben oder Herberge wie auch Unterhalt zu erheben, paraveredi 
oder Biirgen gewaltsam zu holen, (. . .) noch irgendwelche offentlichen Leistungen oderuner- 
laubte Gefalle wie auch angariae aufzuerlegen." Auch die Vorurkunde DKarl III. 89 beriick- 
sichtigte paraveredi und angariae, dariiber hinaus aber noch weiteres, was DH.II 495 nicht 
ubernahm; die Kanzlei ging bei der Fomulierung also bewuBt vor. DH.II. 495 wird bestatigt 
durch DK.II.90. 



,Rechtstiere' der Spatantike im mittelalterlichen Niedersachsen 49 

vor kostspieligen Veranstaltungen, Leistungsforderungen und Zahlungsver- 
pflichtungen der Untergebenen des Bistums findet sich wieder die Sicherung vor 
der Inanspruchnahme von paraferedi. Doch es fallt noch ein weiterer Begriff, der 
die Tiere betrifft: Parallel zum Verbot der Beanspruchung von parafredi wir d die 
Belastung mit angariae verboten, das sind Dienstpflichten mit Ochsengespannen. 

Was aber stellen parafreda oder parafredi und angariae dar, was beinhalten die - 
in der sachlichen Ausdrucksweise von DO. I. 20 angedeuteten - mit ihnen verbun- 
den Lasten, was hat es mit den davon betroffenen Tieren auf sich? 

Von der Spatantike zur Karolingerzeit 

Begriff und Rechtsgehalt der parafereda und angariae, wurzeln - wie so vieles - in 
der Antike: Sie bildeten Teile der offentlichen romischen Verkehrsinfrastruktur, 
die entsprechende Einrichtungen der hellenistischen GroBreiche nachformte, die 
ihrerseits an die aggareion genannte Dienstpflicht der Perser anschlossen. 4 Die 
Entstehung von weiten binnenlandischen Herrschaften im Osten hatte fur Rom 
die Notwendigkeit erzeugt, von Seiten des Gemeinwesens eine stehende oder 
doch zumindest jederzeit aufrufbare Struktur zu schaffen. Ein allgemeines privat- 
wirtschaftliches Fuhrwesen stand namlich nur in der Umgebung der groBeren 
Stadte zur Verfiigung. So finden sich die ersten Angaben iiber Pflichten im Rah- 
men der offentlichen Verkehrseinrichtung aus der Zeit der spaten romischen Re- 
publik. 5 Eine wirklich effektive Einrichtung aber wurde der herrschaftliche - 
oder, wie man zu diesem Zeitpunkt schon sagen kann - der staatliche Verkehr, der 
cursus publicus, erst in der Spatantike durch Diocletian. Die Rechtssammlung des 
Kaisers Theodosius aus dem 5. Jh. gibt dazu die wesentlichen Einzelheiten: Ein 
umfangreiches Kapitel im Codex Theodosianus (VIII 5) sammelt kaiserliche Be- 
stimmungen und Erlasse zum cursus publicus, die dann - unter Beriicksichtigung 
der Einschrankungen Kaiser Leos von 465 - in das Kapitel XII 50 des Codex Iusti- 
nianus eingehen. 

Den Angaben des Codex Theodosianus nach bestand der cursus publius sowohl 
fiir Reittiere als auch fur Zugtiere (iumenta) aus zwei einander erganzenden Ver- 
kehrssystemen, einerseits einem stehenden System an den HauptstraBen, von staatli- 



4 Vgl. Herodot 3,126,2; 8,98,2; Xenophon Kyr. 8,6,17. Eine vergleichbare Kontinuitat 
bietet sich hinsichtlich des StraBenwesens, vgl. dazu Thomas Szaeo: Antikes Erbe und karo- 
lingisch-ottonische Verkehrspolitik; in: Lutz Fenske/ Werner RosENER/Thomas Zotz (Hg.): 
Institutionen, Kultur und Gesellschaft im Mittelalter. Fs. f. Josef Fleckenstein zu seinem 65. 
Geburtstag, Sigmaringen 1984; S. 125T45. 

5 Livius 32,27; 42,1; vgl. Cicero de leg. Ill 8,18. Einschrankung der allgemeinen Nut- 
zungserlaubnis fiir senatorische Personen auf ein Jahr. Caesar dehnt dies wieder auf 5 Jahre 
aus: Cic. Att. XV 11,4. 



50 Wolfgang Christian Schneider 

cher Seite mit festen Einrichtungen zum Tierwechsel, Fuhrpark und Beherber- 
gung {mutationes und mansiones) ausgestattet und - bei bestimmten Verpflichtun- 
gen fur die Anwohner - aufrecht erhalten, andererseits einem Bedarfssystem an den 
NebenstraBen, das auf fallweise eintretenden Verpflichtungen der Besitzer gro- 
Berer Giiter an den StraBen beruhte: Sie hatten Pferde und Zuggespanne (fur Per- 
sonenverkehrund Transport) fur offentliche Dienste bereitzustellen, wenn von Sei- 
ten des Herrschers oder seiner Verwaltung eine Forderung erging oder eine staat- 
lich formulierte Anforderung (evectio; tractorid) vorgelegt wurde. 6 Die an Haupt- 
straBen als Begleittier und Reittier bereitgestellten Pferde hieBen veredi (oder als 
Packpferde auch avertarii und parhippi) die an den NebenstraBen paraveredi (nach 
griechisch para: ,neben'). Beide Worte bezeichnen also nicht die Tiere als solche, 
sondern die Tiere in einem besonderen Rechtscharakter: also gleichsam ,Staats- 
dienstpferd' bzw. ,Bedarfsdienstpferd'. Im selben Sinn standen bei den zumeist aus 
(zwei oder vier) Ochsen bestehenden Zuggespannen (iumenta) neben den staatlich 
unterhaltenen angariae der HauptstraBen die bedarfsweise von den besitzenden 
Anwohnern der NebenstraBen erhobenen parangariae: ,Staatszugvieh' und ,Be- 
darfszugvieh'. 7 Allerdings scheint im Verlauf des 5. Jh., vielleicht durch Kaiser 
Leo, 8 das stehende System teilweise eingeschrankt und dem Bedarfsverkehr ange- 
glichen worden zu sein - moglicherweise durch Herabstufung von , HauptstraBen' 
zu , NebenstraBen'. Die meisten StraBen in dem von den Franken beherrschten 
Raum diirften jedenfalls am Ende des Westromischen Reiches , NebenstraBen' 
gewesen sein. Dies wird auch der Grund dafiir sein, daB in den frankischen Urkun- 
den das Wort paraveredus weitaus haufiger ist als veredus. 



6 Ausgenommen von dieser Leistungspflicht waren nur die patrimonia der hochstrangi- 
gen Amtstrager (im Dienst und dann bis zum Lebensende) bis hin zum Rang eines illustris 
Cod. Theod. XI 16,15 mit 23 (durch Cod. Theod. XV 3,6 [AD 423] fur den Briickenbau auf- 
gehoben). 

7 Zum Cursus Publicus vgl. Otto Seeck, Art. angariae, RE 1, 2184-2185; Hans Georg 
Pflaum, Essai sur le cursus publicus sous le Haut-Empire romain. Memories de lAcademie 
des Inscriptions et Belles Lettres 14, Paris 1940; Wolfgang" Christian Schneider, Animal la- 
borans. Das Arbeitstier und sein Einsatz in Transport und Verkehr der Spatantike und des 
friihen Mittelalters; in: L'uomo di fronte al mondo animale nell' alto medioevo; Settimane di 
studio del centro italiano di studi sull' alto medievo XXXI, 1983, 2 Bde., Spoleto 1985; Bd. 1, 
S. 457-578 bes. 560ff.; Pascal Stoffel, Uber die Staatspost, die Ochsengespanne und die re- 
quirierten Ochsengespanne. Darstellung des romischen Postwesens auf Grund der Gesetze 
des Codex Iustinianus, Bern u.a. 1993. Lucietta Di Paola, Viaggi, trasporti e istituzioni. Studi 
sul cursus publicus, Messina 1999. Cristina Corsi, Le strutture di servizio del cursus publicus 
in Italia. Ricerche topografiche ed evidenze archeologiche, Oxford 2000. Anne Kolb, Trans- 
port und Nachrichtentransfer im Romischen Reich, Berlin 2000. 

8 Durch ihn wurde der zwischenzeitlich eingerichtete staatliche Lastverkehr [cursus clavu- 
laris) wieder eingestellt und in fallweise zu leistende Dienste aufgelost, wodurch er den paran- 
gariae gleichkam. 



,Rechtstiere' der Spatantike im mittelalterlichen Niedersachsen 51 

In diese Verkehrs- und Rechtsverhaltnisse wuchsen die merowingischen Herr- 
scher hinein, einfach deswegen, weil die Siedlung der Franken im belgisch-deut- 
schen Gallien keine schlichte Eroberung darstellte, sondern (mag dies auch milita- 
risch erzwungen worden sein) ebenso wie die vorausgehenden Einzelansiedlun- 
gen germanischer Krieger als laeti 9 auf der Grundlage kaiserlich-romischen 
Rechts erfolgte: Im Zuge der Ansiedlung der Franken als Foderaten wurden deren 
Fiihrerals duces legitime Herrschaftstrager innerhalb des romischen Staatsverban- 
des - und traten damit in die Reihe der Verfiigungsberechtigten des cursus publicus 
ein. 10 Nach dem fortschreitenden Riickzug der Romer waren es allmahlich die 
frankischen Herrscher allein, die iiberden cursus publicus verfiigten. Dementspre- 
chend gab es nichts, was ein Ende derPflichten im Rahmen des cursus publicus ver- 
anlassen konnte, fur die Seite der Leistungspflichtigen blieb alles beim alten. Denn 
die Pflichten zur Leistung von Angarien und Parafereden lagen auf den Besitzern 
der groBeren Giiter, sie waren munera. Und diese blieben unvermindert in Kraft: 
einerseits weil ein groBer Teil der Giiter bei den Romanen blieb, wahrend die 
Franken vor allem die Militarleistungen iibernahmen, andererseits weil die Fran- 
ken, wenn sie nach den Prinzipien der Foderatenansiedlung bestimmte Anteile 
von Giitern der Romanen iibernahmen, diese samt den darauf liegenden Pflichten 
iibernahmen, zumal diese j a nun auch den frankischen Herrschern und ihrer Ge- 
folgschaft zu Gute kamen. Die zunehmende Durchmischung von Franken und Ro- 
manen trug dann zur Fortdauer der iiberkommenen Rechtsverpflichtungen nach- 
haltig bei. Auch fur die alemannischen und bairischen Herrschaftsgebiete diirfte 
Ahnliches gel ten, daja auch diese zu Teilen auf dem Boden des Imperium Romanum 
lagen, Germania Superior ^xA der einen, Raetia auf der anderen Seite. 11 

Firr die Zeit der konsolidierten frankischen Herrschaft unter den Merowingern 
ist die Fortdauer des Angarien- und Paraveredwesens belegt, das offensichtlich im 
gesamten Herrschaftsbereich bestand. In den Formulae Marculfs findet sich eine 



9 Vgl. dazu Paneg. 5 [8], 21,1 und Cod. Theod. 13,11,10 (AD 399), sowie 7,20,10 (AD 369), 
wo deutlich wird, daB diese Siedler als Freie allein (wenngleich unter praepositi) dem Herr- 
scher zugeordnet sind; 7,20,12 (AD 400), wo Alamanni genannt werden, so daB wahrschein- 
lich Gebiete am Hochrhein und Oberrhein angesprochen sind. 

10 Ahnliches gilt fur die Ostgoten in Italien seit der Anerkennung Theoderichs durch Ze 
non 488 und Anastasios 497. Zu den mittelalterlichen Verhaltnissen und zu den Tieren: W. 
Ch. Schneider, Animal laborans (wie Anm. 7); Bd. 1, S. 457-578 bes. 567ff.; zu technologi- 
schen Aspekten: Walter Janssen, Reiten und Fahren in der Merowingerzeit; in: Heinrich Jan- 
kuhn Untersuchungen zu Handel und Verkehr der vor- und fruhgeschichtlichen Zeit in Mit- 
tel- und Nordeuropa, Bd. 5: Verkehr, Gottingen 1989, S. 174ff.; zu StraBen und Briicken: Th. 
Szabo (wie Anm. 4). 

11 Firr den Bereich um den Limes Raeticus ist die Pflicht zur Stellung von paraveredi und 
parangariae in Cod. Theod. XI 16,15 (Dec. 382) belegt: Sie obliegt dort selbst Hochrangigen. 
Zu Germania Superior vgl. Anm. 9. 



52 Wolfgang Christian Schneider 

formula, die ganz nach Art einer Beforderungsbewilligung des Codex Theodosia- 
nus (evectio; tractoria) fiirreisende Gesandte vom und zum Konigshof die Beforde- 
rung mit veredi und paraveredi und personliche Dienste {humanitates) anordnet. 12 
Eine weitere formula spricht iiber die Befreiung von der Stellung von paraveridi und 
deren Versorgung hinaus auch die von Verpflichtungen im Rahmen des amtli- 
chen Bedarfslastverkehrs (carrarum angaria) aus. 13 Ahnliche Befreiungen finden 
sich in zwei formulae der Sammlung von St. Denis, die auf zwei Urkunden fur das 
Martinskloster in Tours zuriickgehen, die eine von Papst Adeodatus (672-676) , die 
andere von Bischof Ibbo um 720 gewahrt. 14 Eine Urkunde Chilperichs II. von 716 
bestatigt die Nutzung dieser Einrichtungen auch in der spaten Merowingerzeit; 
der Konig gewahrt darin dem Kloster Corbie Zolle und gibt zur Beforderung der 
eingehenden Giiter die Erlaubnis, veridi, paraveridi und die iibrigen amtlichen 
Transporteinrichtungen in Anspruch zu nehmen - zweifellos im Hinblick auf die 
dort begrabenen merowingischen Herrscher als Erfiillung einer hoheitlichen 
Funktion. 15 

Auch unter den Langobarden in Italien dauerten die Pflichten des Angarialwe- 
sens fort, wie aus einer Bemerkung Paulus' Diaconus hervorgeht, der als Zeichen 
einer positiven Herrschaft das Freisein von unrechtsmaBigen Angarialverpflich- 
tungen nennt. 16 Hier sorgte der langj ahrige Kriegsdienst der Langobarden fiir den 
romischen Kaiser und die fortdauernde Nachbarschaft zu ostromischen Gebieten 
Italiens fiir die Kontinuitat und lieB die langobardischen Herren als Nutzer in die 
spatantike Verkehrsstruktur hineinwachsen. Nach der Ubernahme der Langobar- 
denkrone muBten die karolingischen Herrscher also nur die bestehenden Ver- 
pflichtungen aufrechterhalten. So liegt von Ludwig II. ein Capitular vor, das die 
Verpflichtung, Konigsboten und Gesandte zu versorgen wiederholt. 17 

Eine hoheitliche Einrichtung, getragen von Freien undfreien Siedlern auf Konigsgut 

Insgesamt setzt mit der Karolingerzeit eine breitere Uberlieferung ein, die es er- 
laubt, Beschaffenheit und Funktion der paraj re da, wie sie in der Urkunde Ottos des 



12 MGH Formulae, Marculfi formulae I, Nr. 11; p. 49. 

13 MGH Formulae, Marculfi formulae II, 1. Ein Ochsenzuggespann mit der Bundeslade 
Davids zeigt der Folchart-Psalter St Gallen (vor 872) auf p. 12; Rainer Kahsnitz, Der Werde- 
ner Psalter in Berlin Ms. theol. lat. fol. 358. Eine Untersuchung mittelalterlicher Psalmenillu- 
stration, Diisseldorf 1979, Abb. 139. 

14 MG Formulae, Form. Coll. S. Dionysii Nr. 2 bzw. 9; p. 497 bzw. 502. 

15 MGH DD I DChilp. II Nr. 86; p. 76f. 

16 Hist. Lang. Ill 16. 

17 MGH Cap. II Nr. 212 c. 9 (AD 850); p. 85. Nr. 213 c. 9 (AD 850); p. 88. Nr. 217 c. 4 (AD 
865) p. 93. 



,Rechtstiere' der Spatantike im mittelalterlichen Niedersachsen 53 

GroBen fiirOsnabriick, oderder parafredi und angariae, wie sie in derHeinrichs II. 
fiir Bergamo erschienen, genauer zu fassen. Uber den Charakter der Parafered- 
Leistungen gibt eine Urkunde Konrads I. fiir Worms genauer Auskunft (DK.I. 37): 
Dem Bischof von Worms sollen einige Giiter gehoren una cum servitoribus suis eor- 
umque possessionibus, omnique familia utriusque sexus quae parafridos et cetera utensilia 
regiae potestati quando usus exigit in servitium persolverat, quorum et nomina in praeceptis 
scripta inveniuntur, cum omni progenie ad eandem societatem parajredorum pertinente 
(. . .). Die parafreda, die Bereitstellung von parafridi (oder parafredi) ist also ein 
Dienst gegeniiber dem Konig {regiae potestati), geleistet in bestimmten Zweckzu- 
sammenhangen {quando usus exigit); erlastet auf Freien, wie derBegriff der societas 
(von Pferde-Leistungspflichtigen) anzeigt, 18 der fiir Unfreie unangebracht ist, und 
er ist erblich, die Pf lichtigen sind namentlich erfaBt (oder doch bekannt) . Capitula- 
re Ludwigs des Frommen bestatigen diese Befunde als allgemein giiltig; ein Capi- 
tular von 815 stellt fest, daB die Siedlerin Septimanien (Siidfrankreich) wie die iib- 
rigen liberi homines neben dem Kriegsdienst und Wachtdiensten mit Streifziigen 
auch zur Stellung von veredi zur Beforderung der Konigsboten verpflichtet wa- 
ren. 19 In einer erweiternden Wiederholung Karls II. wird der Ausdruck liberi homi- 
nes durch Franci homines ersetzt, ein Begriff, der die erwahnten zur Stellung von pa- 
raferedi in Septimanien Verpflichteten als frankische Militarsiedler auf Konigsland 
erweist. 20 Dementsprechend weist das edictum pistense von 862 die Grafen an, die 
paganesfrancesnicht zu bedriicken und ihnen nicht die caballi wegzunehmen, damit 
sie gegen den Feind Ziehen und dem Konig die geschuldeten paraveredi nach altem 
Brauch zur Verfiigung halten konnten, eine Bestimmung, die Unfreie aus- 
schlieBt. 21 Allerdings konnen solche Ansiedlungen mit den Pflichten zu Kriegs- 
dienst und Parafered- Stellung erst nach der frankischen Eroberung Septimaniens 
im 8. Jh. entstanden sein. Auch diirften neben solchen Neu-Verpflichteten vor al- 
lem wohl im weiteren Bereich der romanisch gepragten Stadte Alt-Verpflichtete 
gestanden haben, also solche, die als liberi homines aus der Zeit der romischen 



18 Wahrscheinlich geht diese societas auf ein consortium Leistungspflichtiger zuriick, wie 
es nach einer Anweisung Diocletians allgemein in den Stadten des Imperium zu bilden war; 
vgl. Cod. lust. 11,38. 

19 MGH Cap. I Nr. 132 (AD 815); p. 262. 

20 MGH Cap. II Nr. 256 (AD 844); p. 259; vgl. Heinrich Dannenbauer, Paraferedus - 
Pferd; in: ZRG, GA 71, 1954, S. 55-73: S. 62f. 

21 MGH Cap. II Nr. 273 c. 26; p. 321. Th. Szabo (oben Anm. 4) sieht den Verweis auf die 
antiqua consuetudo als nur beschrankt wirksam, auf ,Traditionsinseln' beschrankt an; die Tatsa- 
che aber, daB die von ihm beschriebene ,Briickenpflicht' Teil allgemeinerer, weniger lokal ge- 
bundener Pflichten und consuetudines war (etwa auch der Pflicht zur Stellung von paraveredi), 
spricht doch dafiir, daB das Verkehrsystem als Ganzes bei der consuetudo im Blick blieb - auch 
wenn sie mitunter miBachtet wurde. 



54 Wolfgang Christian Schneider 

Verwaltung herriihrende Verpflichtungen zu erfiillen hatten. 22 Denn es ist nicht 
anzunehmen, daB die westgotischen Herrscher auf die nach spatantikem Recht 
bestehenden und im benachbarten Frankenreich auch aufrechterhaltenen Lei- 
stungspflichten der Grundbesitzer verzichtet haben. Solche vielgestaltigen 
Rechtsurpriinge losten mitunter Unsicherheiten in der Rechtslage aus. So sollten, 
wie Ludwig derFromme auf eine Anfrage von mmzfestsetzte, dort, wo die Schuld- 
ner der Bereitstellung von Tieren unbekannt sind, die Pflichtigen bei denen er- 
fragt werden, die solche Leistungen nicht zu erbringen haben, eine Regelung, die 
Karl II. bekraftigt. 23 

Die Pflicht zur Bereitstellung von paraferedi, dann auch von angariae, ergibt sich 
also gegeniiber dem Herrscher und Funktionstragern des Herrschers, sie obliegt 
Freien, wie die parallele Nennung von Parafered-Stellung und Kriegfiihrung zeigt, 
hat demnach nichts zu tun mit Frondiensten gegeniiber einem Grundherren, 24 sie 
ist vielmehr Teil hoheitlicher Funktionszusammenhange. Dementsprechend wer- 
den als Empfanger der Leistungen nicht nur interne Herrschaftstrager genannt, 
sondern gerade auch Personen, die die hoheitlichen Funktionszusammenhange 
von auBen herin Anspruch nehmen: Gesandte fremderHerrschaften. Ein Capitu- 
lar Ludwig des Frommen stellte fur die Reisen von fremden Gesandten die Ver- 
pflichtung zur Stellung von veredi und paraveredi ausdriicklich fest. Aber er setzte 
damit kaum neues Recht; denn im spatantiken Italien waren entsprechende Be- 
stimmungen schon von Cassiodor eingescharft worden. 25 Wenn Karl der GroBe 
Grafen und Bischofe bestrafte, die die Gesandten Haruns ar Raschids bei ihrer 
Reise zum Kaiser nicht unterstiitzt hatten, so geschah dies zweifellos darum, weil 
diese ihnen obliegende Verpflichtungen solcher Art miBachtet hatten. 26 Natiir- 
lich standen auch den eigenen Gesandten der frankischen Herrscher veredi und 
paraveredi zu. So entspricht der Bericht der Vita Corbinians iiber Gesandte Pip- 
pins, die den ortlichen Notwendigkeiten folgend die vehicula wechseln, ganz den 
Ublichkeiten des Verkehrs mit veredi und paraveredi. 27 

Die haufigsten Nutzungsberechtigten dieser Diensteinrichtung waren nach 
Ausweis derDokumente die missi und iudices, eben daher konnte iiberhaupt eine 
Befreiung von Pflichten ihnen gegeniiber fur Osnabriick oder Bergamo attraktiv 



22 Die liberi homines von 815 und die Franci homines von 844 miissen keineswegs identisch 
sein, ja es ist wahrscheinlicher, daB es sich bei ihnen urn verschiedene, wenn auch in der frag- 
lichen Sache gleichberechtigte Teilgruppen handelte. 

23 MGH Cap. I Nr. 155 c. 10 (AD 826); p. 315. Cap. II Nr. 274 c. 8 (AD 865); p. 331. 

24 Verfehlt daher zu angaria der Verweis auf Frondienste im Lexikon des Mittelalters Bd. 
1 (1980) S. 617. 

25 Cassiodor Var. VII 33. 

26 Notker II 8 vgl. MGH Cap. I Nr. 150 c. 14 (A.D. 823/825). 

27 Arbeo V. Corbiniani MGH SS. rer. Merow. VI p. 568. 



,Rechtstiere' der Spatantike im mittelalterlichen Niedersachsen 55 

sein. Aber missiwad iudicesbesaQen diese Berechtigung allein als Trager der konig- 
lichen Herrschaftsausiibung, wie deutlich aus einer Verfiigung im Capitulare de vil- 
lis hervorgeht. Diese mahnt, daB Konigsboten nicht auf den Krongiitern zu ver- 
sorgen seien, da dies von Amts wegen die Gaugrafen zu iibernehmen hatten, oder 
solche den notwendigen Unterhalt (das sind die in derUrkunde Ottos I. fur Osna- 
briick genannten paratae) ebenso wie paraveredi zur Verfiigung stellen miiBten, die 
dies nach altem Herkommen schon friiher taten; 28 damit sind die im Kapitular 
Ludwigs des Frommen von 815 genannten liberi homines gemeint. 29 

Das Verzeichnis des Hofgutes Staffelsee (Bistum Augsburg) in den brevium ex- 
empla zeigt, wie die Stellung von paraferedi in den Bestand und die Pf lichten eines 
Besitzes einbezogen waren: Zu den freien und unfreien Untergebenen wirdjedes- 
mal angegeben, ob sie ein Tierzu stellen (donare; dare) haben, insgesamt aber wa- 
ren von den 41 zu Staffelsee gehorigen Hufen nur 20 pflichtig. 30 In spaterer Zeit 
wird die Pf licht zur Lieferung eines parafredus auch wo hi ofters von mehreren Hof- 
stellen gemeinsam getragen worden sein, wie das bei den tfragtfn<Z£iiberliefert ist, 31 
Folge von Teilungen groBerer Besitztiimer. Der Zusammenhang macht deutlich, 
daB die Tiere in Zeiten, in denen keine hoheitliche Anforderung vorlag, in den 
normalen bauerlichen Arbeitsablaufen genutzt werden konnten. Eine Bestim- 
mung Karls II. sagt ausdriicklich, daB die Beansprucher die Tiere nach der Nut- 
zung zuriickzugeben hatten. 32 GroBere Unternehmungen konnten freilich zu ei- 
ner langeren Abwesenheit der Tiere fiihren, gleichwohl waren auch in diesen Fal- 
len die Tiere nach der Nutzung zuriickzugeben. Nicht selten wurden wohl fur 
einzelne Vorgange die Parafered-Leistungen mehrerer Giiter gleichzeitig in An- 
spruch genommen. Denn in einer Sammlung von formulae aus der Zeit Ludwigs 
des Frommen ist ein Fragment erhalten, aus dem sich der Aufwand an Tieren fur 
eine (leider nicht naher bestimmte) Reise ergibt: Neben Nahrung und Futtermit- 
teln werden 50 oder 70 paraferedi in Anspruch genommen. 33 Eine solche Anzahl 
an Tieren konnte iiber die Reise hin zweifellos jeweils nur aus einem groBeren Be- 

28 MGH Cap. I Capitulare de villis 27; p. 85. 

29 MGH Cap. I Nr. 132 (AD 815) p. 262. 

30 MGH Cap. I Nr. 128 c. 8 (AD 810) p. 252. Dem Kontext der Bestimmungen nach muB 
angenommen werden, daB die Unfreien die paraferedi mittelbar (als Trager der Pf lichten ihres 
Herrn) zu stellen hatten, die Freien hingegen unmittelbar, als eigene Pflicht. 

31 Heinrich Beyer (Hg.), Urkunden zur Geschichte der [jetzt die preuBischen Regie- 
rungsbezirke Coblenz und Trier bildenden] mittelrheinischen Territorien, Bd. I Coblenz 
1860 (ND Aalen 1974), Urbar von Priim: Nr. 135 S. 142-201: XXIX; XLVI. 

32 MGH Cap. II Nr. 256 (AD 844); p. 259. Dies gait noch im Spatmittelalter (vgl. unten 
Anm. 74), war also konstitutiv. 

33 MGH Form. S. 287. Das Formular entspricht einer ,Verkehrsbewilligung' (evectio), an- 
gegeben ist also die Anzahl der bewilligten Tiere, die iiber die ganze Reise hin durch die 
pflichtigen Anlieger der Route iiber mutationes aufrecht zu erhalten war. 



56 Wolfgang Christian Schneider 

reich von Pflichtigen zusammengezogen werden. Denn einzelne Giiter verfiigten 
kaum iiber eine solch hohe Zahl an Tieren und sie waren sicherlich (wie antike 
Angaben nahelegen) nicht mit samtlichen Tieren des Besitzes pflichtig, da anson- 
sten der Gutsbetrieb kaum aufrecht zu erhalten war, worauf die Herrscher grund- 
satzlich achteten. 

Freilich setzt gerade an dieser Stelle das Problem der Uberbeanspruchung und 
des MiBbrauchs an. So verwundert es nicht, daB schon Karl derGroBe Anweisung 
gibt, Klagen in diesem Zusammenhang nachzugehen, und auch Karl II. verpflich- 
tet die iudices, die vor allem - wie auch die Osnabriicker Urkunde zeigt - die 
Pflichttiere nutzten, die Rechte der Untergebenen zu wahren. 34 

Der wichtigste Einsatzbereich der paraferedi bis in die Salierzeit wird der als 
Beipferd gewesen sein, und zwar einerseits als Reittier, je nach Qualitat fur Rang- 
hohere und Rangniedere, und als Packtier. Allerdings war der Ubergang zwischen 
Packpferd und Beipferd sicherlich flieBend und ergab sich von Fall zu Fall je nach 
den Bediirfnissen und den Verfiigbarkeiten. Denn bei langeren schwierigeren 
Reisen muBte fur den einzelnen Reisenden abgesehen von den reinen Packtieren, 
zumeist ein zweites Reittier mitgefiihrt werden, damit die Tiere abwechselnd ge- 
nutzt werden konnten. Ohne den Reitermit nurleichterLast konnten sich die Tie- 
re dann wahrend derReise etwas erholen. Der Aufwand an Tieren fiirlangere Rei- 
sen war recht erheblich. Ein Adliger mittleren Ranges benotigte im 8 Jh. fur eine 
Romreise abgesehen von den Reitpferden mindestens fiinf Lastpferde. Trotz der 
Fortschritte in der Tierzucht wird das in der Ottonenzeit nicht viel anders gewesen 
sein. Fur seine Reise nach Spanien bekommt Johannes von Gorze fiinf Reit- und 
Gepackpferde zugewiesen. 35 Zwar waren die paraveredi eigentlich keine Zugtiere, 
doch schon die wiederholten Mahnungen der spatantiken Erlasse zum cursus pu- 
blicus zeigt, daB die Scheidung nicht durchweg eingehalten worden ist (nicht ein- 
gehalten werden konnte) , vor allem wo hi im Bedarfsverkehr, zu dem die paraveredi 
ja gehorten. Zur Zuriickhaltung der mittelalterlichen Herrscher beim Verzicht auf 
Parafered-Leistungen diirften somit auch die Riicksichten auf den Lastverkehr 
beigetragen haben, in dem die Pferde allmahlich haufiger auftraten. 

Wie aus Zollen von Raffelstetten hervorgeht, tragt ein Pferd das vierfache einer 
Manneslast. 36 Uber die Ausstattung eines Saumpferdes sind wir durch das Urbar 
von Verden unterrichtet: Sie besteht aus einem filtrum, einer Filzdecke, und einem 
Lastsattel, sagma; es wird - fallweise mit mehreren weiteren Tieren - von einem 



34 MGH Cap. I Nr. 103 (AD 806/810) p. 211 und Cap. II Nr. 297c. 14 (AD 858); p. 437s. 

35 Vitajoh. Gorz. c. 117 (MGH SS IV p. 370).; auch hier ist sicherlich wiederum rmr die 
evectio, die bewilligte Anzahl der Rechtstiere angesprochen, die auf derReise durch jeweilige 
Leistungspflichten aufrecht erhalten wurde. 

36 MGH Cap. II Nr. 253. 



,Rechtstiere' der Spatantike im mittelalterlichen Niedersachsen 57 

sagmio gefiihrt. 37 Bei geringeren Lasten und zur Erhohung der Geschwindigkeit 
konnte der sagmio auch aufsitzen. Bei all dem bleiben die Pferde erheblich anfalli- 
ger als die Rinder. Die Situation Arnulfs bei seinem Romzug 896 wird keine Sel- 
tenheit gewesen sein: Auf Grund einer Seuche starb ein GroBteil der Pferde, wo- 
rauf die Ochsen - zweifellos die der angariae, die ja nun sehr viel weniger Futter- 
mittel zu befordern hatten - als sagmarii dienen muBten. 38 

Die Leistungspflicht der angariae findet sich in vergleichbarer Weise seit der 
Merowingerzeit dokumentarisch belegt, wenn auch seltener. So erwahnt das chur- 
ratische Recht den cursus publicus und die Pflicht zur Stellung von angariae und 
parangariae. Die Formulae Marculfi kennen neben Befreiungen von paraverida 
auch solche von carrarum angaria (,Wagenfuhrpflicht'). 39 Belege fur derartige Be- 
freiungen finden sich dann in den Capitularien. 40 Ein Capitular von Karl II. be- 
stimmt, daB die angariae nicht zu ungeeigneter Zeit von den Pflichtigen gefordert 
werden sollten. 41 Das kann nur die Zeiten besonderer Beanspruchung der Zugtie- 
re in der Landwirtschaft meinen, etwa in der Erntezeit. Auch die Tiere der anga- 
riae, zumeist Rinder, waren somit auBerhalb ihrer Nutzung im cursus publicus in 
den Gutsbetrieb der Pflichtigen integriert. In den Urkunden der Ottonen und Sa- 
lier finden sich dann haufigerSchutzbestimmungen zu Angarialpflichten -jedoch 
nur fur geistliche Herrschaften in Italien. 42 Die Beurkundungen folgen meist Vor- 
urkunden der italischen Karolinger und ihrer Nachfolger. In Urkunden fur Emp- 
fanger in Deutschland allerdings fehlen Bestimmungen zu Angarialverpflichtun- 
gen. Das bedeutet aber nicht, dass angariae im deutschen Raum im Hochmittelal- 
ter unbekannt gewesen waren. Denn das 1157 in Worms von Kaiser Friedrich I. 
erlassene Edictum infavorem Iudaeorum bestimmt in § 5: in domibus eorum sine consen- 
su ipsorum hospites non recipiantur; nullus ab eis equum ad profectionem regis vel episcopi 
aut angariam regie expeditionis requirat, und wenig spater - fur die Pferde genauer - 
in § 15 : et sicut praediximus, nullus ab eis exigat palefridos vel angariam vel aliquam exac- 
cionem publicam vel privatam. 4,3 Eine ahnliche RechtsauBerung erlangten 1182 die 
Domkleriker von Worms fiir ihre Untergebenen, die von den der Stadt obliegen- 
den Leistungspflichten ausgenommen werden: Nos itaque omnes huiusmodi ecclesiae 



37 Urbar von Verden (ed. Kotzschke S. 90). 

38 Ann. Fuldenses Ratisb. ad AD 896 (MGH SS. rer. Germ, in us. schol. 7). 

39 MG Form., form. Marc. 2,1; p. 72; vgl. MG Form. Collect. S. Dionysii c. 2; p. 497 und 
c. 9; p. 502. 

40 MGH Cap. I Nr. 93 c. 5; p. 196; Nr. 180 c. 26 (AD 826); p. 375. 

41 MGH Cap. II Nr. 297 c. 14 (AD 858); p. 437. 

42 DO.I. 240 (Kloster Leno, 962); DO. I. 258 (Kl. Zacharias, Venedig, 963); DO. I. 338 
(Bistum Benevent, 967: Freiheit von angariae fiir die Bewohner der Stadt Baranum); vgl. anga- 
riare: DO.I. 237 (S. Salvatore, Amiata, 962); DO.I. 262 (Montecassino 964): statuimus (. . .) ut 
nullus dux, marchio, comes (. . .) iniuste angariare audeat. 

43 MGH LL IV-1 Nr. 163; p. 227. 



58 Wolfgang Christian Schneider 

Wormaciensis ministros, qui certi et publici mercatores non sunt, ab omnibus angariis et 
parangariis ab exactionibus et collectis auctoritate imperiali absolvimus et, ut ecclesiae ac 
fratribus libere servire possint ac devote, immunes esse decernimus. u Allerdings konnten 
sich derartige Befreiungen durchaus auf das linksrheinische Gebiet und Siid- 
deutschland beschrankt haben, also auf ein Gebiet, in dem die romischen Rechts- 
bestimmungen unter den mittelalterlichen Herrschern fortdauerten. Das Churra- 
tische Recht mit seiner Beriicksichtigung der angaria spiegelt ja diese Kontinuitat. 

Spatantike in Niedersachsen 

Das Uberraschende der eingangs vorgestellten Urkunde Ottos fiir Osnabriick von 
938 ist aber, daB sie die der spatromischen Rechtsordnung entstammende Pflicht 
zur Stellung von paraferedi fiir das rechtsrheinische Gebiet anspricht: Spatantike also 
in Niedersachsen? Eine Pflicht zur parafereda war in Norddeutschland indes nicht 
allein im Bistum Osnabriick relevant, wie eine Urkunde Konrads II. von 1028 fiir 
Gernrode (DK.II. 129) belegt. Sie bestatigt dem Kloster die Unabhangigkeit von 
Quedlinburg und Gandersheim und untersagt diesen die Erhebung von Leistun- 
gen und Pflichten in Gernrode: mansiones vel paratas faciendas . . . sive parafredos ab 
ipsis hominibus (d.h. Knechte, Liten und Freie des Klosters) exigendos. Diese Urkun- 
de besitzt fiir die vorliegende Frage trotz des Zusammenhangs mit dem DK.II. 121 
fiir Essen voile Aussagekraft. 45 Denn DK.II. 129 wurde fiir Gernrode neu formu- 
liert, wofiirneben dem zeitgleich geschriebenen DK.II. 121 fiir Essen (dessen Vor- 
urkunde DO. III. 114 die Befreiung von der Parafered-Last enthielt) auch die 
DO. I. 229 und DO. III. 326 fiir Gandersheim (die diese Befreiung nicht enthielten) 
als Vorurkunden genutzt wurden. Angesichts einer von mehreren Seiten beein- 
fluBten Formulierung diirfte die nun fiir Gernrode ausgesprochene Befreiung von 
der Parafered-Leistung, die, wie der Wortlaut besagt, Pflichten im Umkreis von 
Gernrode selbst betrifft, nicht etwa nur entfernte Besitzungen, kaum einfach ge- 
dankenlos in die Urkunde hineingeschrieben worden sein. Die Angleichung der 
Rechtssituation von Gernrode an die Essens muB eine bewuBte Veranderung ge- 
wesen sein, und die war zweifellos dem Umstand geschuldet, daB die Empfanger 
der Urkunden Schwestern waren, die Abtissinnen Sophia fiir Gandersheim und 
Essen, und Adelheit fiir Quedlinburg und Gernrode. Die kaiserlichen Schwestern 
Ottos III., die beide gleichsam iiberKreuz vom Wortlaut von DK.II. 129 betroffen 
waren, wurden damit fiir die von ihnen vertretenen Einrichtungen in ihren Rech- 
ten gleichgestellt. Und das kann kaum ohne Kenntnis beider geschehen sein, was 
eine bewuBte Formulierung voraussetzt. Bei der Verpflichtung zur Stellung von 



44 MGH LL IV-1 Nr. 283 p. 389. 

45 Bestritten von H. Dannenbauer, Paraferedus (wie Anm. 20) S. 58. 



,Rechtstiere' der Spatantike im mittelalterlichen Niedersachsen 59 

parafereda muB es sich somit noch im 11. Jh. um virulente Bestimmungen gehan- 
delt haben, Obsoletes und Unnotiges wird nicht neu eingefiigt. Das bekraftigt der 
Umstand, daB im lO.Jh. ein Falscher in seine Urkunde DArn. 163 die Befreiung 
von der Parafered-Leistung einfiigte. Aber auch der um 1116/1117 tatige Falscher 
von St. Maximin in Trier beriicksichtigt in seiner Abgrenzung der Vogtsrechte 
noch das Stellen von paraveredi, ohne eine dem Wortlaut seines Textes entspre- 
chende Vorlage gehabt haben zu konnen. 

Alle diese Vorgange werden verstandlich, wenn man das Frankenreich nicht 
schlicht als Beginn des Mittelalters, sondern als spatantike Herrschaft betrachtet: 
Karl derGroBe namlich hatte die romisch gepragte VerkehrsinfrastrukturderMe- 
rowingerzeit nicht nur weitergepflegt, sondern auch ihren Anwendungsraum er- 
weitert. Denn obwohl entsprechende RechtsauBerungen fehlen, zeigen diese in 
die Karolingerzeit zuriickreichenden Rechtsbefunde, daB Karl nach seinem miih- 
seligen Sieg iiber die Sachsen die ihm vertraute spatantike Infrastruktur-Rechts- 
ordnung auf die unterworfenen sachsischen Gebiete iibertrug. Der grobe UmriB 
dieserMaBnahmen kann aus den genauer belegten Gegebenheiten in Septimani- 
en erschlossen werden. Demnach ist die Verpflichtung zur Bereitstellung von pa- 
raferedi entstanden als Folge der Ansiedlung von freien Kriegern auf ,Konigsgut', 
also auf Landereien, die der Herrscher nach derEroberung selbst in Besitz nahm. 
Tatsachlich ist nachzuweisen, daB die meisten iiberlieferten Parafered-Pflichten in 
Gebieten mit Konigsgut liegen. 46 Mehrfach handelt es sich dabei in Norddeutsch- 
land um Gebiete, die in den Sachsenkriegen besonders umkampft waren und dar- 
aufhin vom Konig mit frankischen Militarkolonien gesichert wurden. 

Es ist jedoch wenig wahrscheinlich, daB die Siedler selbst von Anfang an iiber 
die recht erhebliche Anzahl von Tieren verfiigten, die ein hoheitlicher Bedarfsver- 
kehr erforderte. So ist davon auszugehen, daB die frankischen Siedler die Tiere 
teilweise gestellt bekamen. Die Bereiche, aus denen diese in der Mehrzahl stamm- 
ten, diirften wohl die schon in spatantiken Texten hervorgehobenen Zuchtgebiete 
gewesen sein: Gallien und Thiiringen, das seit dem Sieg von 531 ja zu groBeren 
Teilen dem Frankenreich angegliedert war. 47 Die besondere Pflege der Pferde- 
zucht in Gallien spiegelt sich in den zahlreichen Pferdegrabern der Merowin- 
gerzeit, 48 erscheint aber auch in den Quellen, 49 und dabei wird auch ihre okono- 

46 Dazu Dannenbauer, Paraferedus, bes. 62 ff. 

47 Vgl. Caesar bell. Gall. IV 2; Isidor etym. XII 1,44; Vegetius III 6 (Die Deutung von 
,Toringi' als Thiiringer auch angenommen von Reinhard Wenskus: Sachsen - Angelsachsen 
- Thiiringer; in: Ders., Ausgewahlte Aufsatze zum friihen und hohen Mittelalter, Festgabe 
(. . .) Wenskus, Sigmaringen 1986, S. 138-200: S. 174. 

48 Dazu vgl. Walter Janssen 1989 (oben Anm. 7) bes. 203 ff. 

49 Vgl. MGH Cap. I: Capitulare de villis c. 14f. Nach zweijahren miissen die bis dahin 
offensichtlich verstreut auf einzelnen Konigsgiitern lebenden Hengstfohlen zur Pfalz gesandt 



60 Wolfgang Christian Schneider 

mische und technologische Bedeutung erkennbar: Denn Karl der GroBe und sei- 
ne Nachfolger untersagten auBer dem Export von Waffen auch den Export von 
Pferden, insbesondere den von Zuchthengsten. 50 Da die Sachsen lange Zeit iiber- 
wiegend zu FuB kampften, 51 diirfte die Pferdezucht dort erst spat eine verbreitete 
Erscheinung geworden sein. Schon im Jahre 758 aber wurde der Sachsentribut 
von 500 Rindern auf 300 Pferde umgestellt, 52 was das besondere Interesse der 
Franken an Pferden anzeigt, zugleich aber doch auch erweist, daB die Sachsen hin- 
reichende Moglichkeiten besaBen, dies zu erfiillen. 

Entsprechende Befunde zur Parafered-Verpflichtung im siiddeutschen Bereich 
geben AnlaB zu der Vermutung, daB auch Karl der GroBe mit seiner Einrichtung 
eines Systems von Pflichtigen in Sachsen alteren Vorgangen folgte. Denn es ist auf- 
fallig, daB im Siiden vor allem fiir den Raum um den oberrheinischen und raeti- 
schen Limes Paraferedleistungen (bzw. deren Aufhebung) iiberliefert sind, und 
zwar besonders im Bereich von ehemaligen romischen Kastellen. 53 Das kann im 
vorliegenden Umfang nicht wirklich auf die Karolinger zuriickgehen, sondern 
muB Folge des frankischen Siegs iiber die Alamannen sein, der tatsachlich in 
betrachtlichem Umfang zu Ansiedlungen von frankischen Militarkolonisten fiihr- 
te. 54 Und dies geschah offensichtlich bevorzugt an Orten, die iiber die alamanni- 
sche Zeit hin noch eine - von den alamannischen Fiihrern moglicherweise bewuBt 
aufrecht erhaltene - romische Rechtskontinuitat besaBen, in dem Sinne, daB sie als 
,staatlicher' Besitz bekannt waren und so nun frankisches ,Konigsgut' wurden. 55 



werden, wo die Ausbildung organisiert wird. Auf dem karolingischen Konigshof von Anna- 
pes stehen bei 51 Stuten drei Zuchthengste (MGH Cap. I Nr. 128 c. 28; vgl. c. 31 mit dem Ver- 
haltnis 79 zu 4; c. 33 mit 44 zu 2). Vom Ausrittjiingerer Adliger als gesellige Freude berichtet 
auch die anonyme karolingerzeitliche Imitatio Maximiani Vers 23 ff., Wolfgang Christian 
Schneider, Die elegischen Verse von Maximian, Stuttgart 2003: S. 201. 

50 MGH Cap. I Nr. 90, c. 7 (AD 781) p. 190; Cap. II Nr. 273, c. 25 (AD 864) p. 321. 

51 Noch Widukinds Bericht (III 69) iiber den Aufstand Wichmanns zeigt, daB Pferde 
auch zu dieser Zeit zumindest im lokalen Bereich noch keine Selbstverstandlichkeit waren. 

52 Lexikon des Mittelalters s.v. Pferd. 

53 Vgl. dazu Dannenbauer: Paraferedus (wie Anm. 20) bes. 66 ff. 

54 Vgl. Heinrich Dannenbauer: Hundertschaft, Centena und Huntari, Historischesjahr- 
buch 62-69 (1949) 155-219; bes. 187ff. 

55 Das kann einerseits durch Siedlungskontinuitaten im Bereich romischer Lager be- 
dingt sein, die die alamannischen Gefolgschaftsfiihrer veranlassen konnte, bestehende Pflich- 
ten aufrecht zu erhalten; insgesamt mehren sich ja bei den laufenden archaologischen Unter- 
suchungen romischer Anlagen Hinweise auf eine (beschrankte) Siedlungskontinuitat. Ande- 
rerseits kann das darauf zuriickgehen, daB die alamannischen Gefolgschaftsfiihrer ihren Sitz 
bei den friiheren romischen Lagern nahmen, die dann nach der frankischen Eroberung be- 
vorzugt merowingisches Konigsgut mit Centenen-Ansiedlung wurden (vgl. Dannenbauer: 
Hundertschaft S. 180f; 197f. mit Anm. 165), auf die dann die im Linksrheimischen iibliche 
Pflicht zur Tierbereithaltung iibertragen wurde. 



,Rechtstiere' der Spatantike im mittelalterlichen Niedersachsen 61 

Da es vor allem Konigsgut war, das zur Ausstattung der Kloster und Bistiimer 
beitrug, die im Zuge der von den frankischen Herrschern gewiinschten und vor- 
angetriebenen Christianisierung des rechtsrheinischen Deutschland neu einge- 
richtet wurden, gelangten Giiter mit der Pf licht zur Bereithaltung von paraferedi in 
kirchlichen Besitz. Nach der Konsolidierung der Verhaltnisse suchten sich dann 
die geistlichen Herrschaften von diesen Lasten zu befreien, bzw. diese zur eigenen 
Verfiigung zu gewinnen. So muB davon ausgegangen werden, daB auch bei der 
Griindung des Bistums Osnabriick in groBerem Umfang Konigsgut herangezogen 
wurde, das Karl zur Sicherung des Gebietes nach dem Sieg iiber die Sachsen an 
freie frankische Militar-Siedler ausgegeben hatte. Denn die Urkunde DO. I. 20 
nennt ja ausdriicklich aut servos vel liberos sive liddones et ceteros aut eos qui censum per- 
solvere debent quod muntscat vacatur als Untergebene des Bistums. Diese Freien aber 
sind wohl zumeist als die Nachkommen der frankischen Militarsiedler anzuspre- 
chen. 56 Ahnlich wie in Septimanien belegt, werden diese ihrLand erhalten haben 
gegen die Verpflichtung zum Heeresdienst und die Pflicht zur Bereithaltung von 
paraferedi? 1 wie sie im linksrheinischen Gebiet des Frankenreiches schon seit der 
romischen Kaiserzeit vertraut war. Tatsachlich also Spatantike in Niedersachsen. 

„Immunitas" gegeniiber Nachgeordneten bei fortdauernder Pflicht 
gegeniiber dem Herrscher 

Doch die Osnabriicker Urkunde fiihrt noch weiter. Theodor Sickel stellt DO. I. 20 
unter den Registertitel: „Otto bestatigt dem Bistum Osnabriick die Immunitat." 
Ahnliche Registertitel erhalten in der Edition viele weitere Urkunden, was dann 
auch fur die der nachfolgenden Herrscher iiblich wurde. Und man hat sich daran 
gewohnt von ,Immunitatsformeln' zu reden, innerhalb deren nahezu zufallig der 
eine oderandere Ausdruck falle oderfehle, obwohl doch insgesamt die Befreiung 
fur alle derartigen Lasten gemeint wurde. 58 Die insgesamt sehr differenzierte Aus- 
drucksweise und Wortwahl aber fiihrt zu einer anderen Bewertung, lassen doch 



56 Vgl. H. Dannenbauer Paraferedus (wie Anm. 20) S. 64, der feststellt, daB man aus dem 
Ende des 11 Jh. in der Umgebung von Osnabriick Bargilden mit ihren Freigerichten kennt, al- 
so eine breitere Besiedlung mit Freien vorlag. Die in die DO. I. 20 bestatigende Urkunde 
Heinrichs II. (DH.II. 8) fur Osnabriick neu eingeriickte Befreiung" von der Pflicht zum Briik- 
kenbau ist gleichfalls eine Freien obliegende Pflicht. 

57 Es konnte durchaus sein, daB - ahnlich wie in der Spatantike - die Herrscher den Sied- 
lern anfanglich die Tiere selbst zur Verfiigung gestellt hatten. 

58 So schon Th. Sickel, Beitrage zur Diplomatik V, Wiener Sitzungsberichte, Phil. -Hist.. 
Kl. Bd. 49, 1865, S. 38ff.; im Detail fortgefuhrt von Edmund E. Stengel, Die Immunitat in 
Deutschland bis zum Ende des 11. Jh., Forschungen zur Diplomatik und Verfassungsge- 
schichte I: Diplomatik der deutschen Immunitats-Privilegien vom 9. bis zum Ende des 1 1. Jh., 
Innsbruck 1910; ND Aalen 1964; bes. S. 578ff. 



62 Wolfgang Christian Schneider 

die Bestimmungen zu den parav ere di und angariae sehr verschiedene Anspruchszu- 
sammenhange erkennbar werden. 

Zumeist wird in den zur Frage stehenden Urkunden den Privilegierten das 
munus nur gegeniiber nachrangigen Hoheitstragern erlassen: gegeniiber den iudi- 
« samt den iibrigen richterlichen Personen, den missi und procuratores. 59 Und oft 
genug wohl nicht einmal das. Denn das Verbot parafredos aut fideiussores violenter 
tollere, die Formulierung illicitas occasiones sive angarias von DH.II. 495 fiirBergamo 
gewahren gerade keine voile immunitas in Fragen der parafreda, occasiones oder an- 
gariae, sondern schiitzen nur vor unerlaubten Anforderungen, zumal solchen, die 
von Androhung oder Anwendung von Gewalt begleitet werden. Ahnlich liegt es 
bei der Verfiigung in DH.II. 47 fiir Helmarshausen von 1003, mit dem Verbot ei- 
ner Inanspruchnahme von paraferedi ohne Zustimmung von Abt oder Konvent, 
sowie bei der Bestimmung in DK.II. 25 fiir das Kloster S. Ponziano in Lucca 
(1025) , mit dem Schutz vor Unterhaltsforderungen und Parafered-Pf lichten absque 
iusta et legali examinatione. Noch deutlicher ist Karl der GroBe in seiner Urkunde 
fiir Priim DKarl. 108 von 775: Erbefreit das Kloster von den Inanspuchnahmen 
fiir parafredi und carriago (das entspricht den carrarum angariae) durch richterliche 
Personen absque iussione nostra vel heredum nostrorum und er laBt auch die rechtliche 
Grundlage dieser Leistungspflichten deutlich werden, denn er erlaBt zugleich den 
auf dem Klosterbesitz Lebenden die Heerbannspflicht, die naturlich nur fiir Freie 
gait. 

Mittelalterliche Urkunden sind also doch offenkundig sehr differenziert formu- 
liert und miissen demnach wortlich genommen werden. Alle ihre langatmig auf- 
gereihten und verschachtelten Rechtsfeststellungen haben ja den Sinn, Genauig- 
keit zu vermitteln. Keine der Urkunden gewahrt wirklich die eine Immunitat: Die 
einschlagigen Bescheide der hier behandelten Urkunden gewahren, wenn sie 
nicht iiberhaupt nur Rechtsversicherungen aussprechen, lediglich verschiedenar- 
tige Immunitdten - etwa eben eine immunitas gegeniiber Anforderungen von Seiten 
eines koniglichen iudex oder missus. Ganz dem Gehalt von Karls Urkunde fiir Priim 
entsprechend kann in keinem der Falle angenommen werden, daB der Kern der 
Verkehrsordnung: das munus gegeniiber dem Herrscher selbst aufgehoben ist, ge- 
geniiber seinen Anforderungen im Rahmen eines Hoftags, eines Romzugs oder et- 
wa eines Kriegszugs. Denn dies ist der wesentlichste Funktionszusammenhang 
von paravered i und angariae, wie es das erwahnte Edictum infavorem Iudaeorum von 
1157 ausdriicklich auch fiir die mittelalterliche Ausformung des cursus publicus 
iiberliefert, wenn es das Pferd ad profectionem regwbestimmt und die Zugtiere der re- 
gie expeditionis pflichtig sieht. NurBefreiungen, die dergleichen einschlieBen, kon- 



59 In Italien finden sich auch Formulierungen gegen duces und marchiones sowie episcopi 
aber zumeist nur in begrenzten geistlichen Herrschaften. 



,Rechtstiere' der Spatantike im mittelalterlichen Niedersachsen 63 

nen als vollgiiltige Immunitat gelten. Eine solche aber ist nur in diesem einen Do- 
kument fiir die Juden ausgesprochen. In alien anderen Fallen, in denen Befreiun- 
gen beurkundet werden, zumal in den Herrscherprivilegien, ist demnach davon 
auszugehen, daB entweder nur fiir die erwahnten nachrangigen Herrschaftstrager 
von Seiten des Herrschers auf die Leistungspflicht verzichtet wird, oder daB - wie 
der Wortlaut wiederholt besagt - iiberhaupt keine Befreiung erfolgt, sondern nur 
der Schutz vor unstatthaften Forderungen bekraftigt wird. 

So stecken in den nur auf der Oberf lache scheinbar gleichen oder ahnlichen Be- 
stimmungen der Urkunden, in der Art und der Anzahl der ausgesprochenen Be- 
freiungen oder Nichtbefreiungen wesentliche Angaben fiir die Struktur der alltag- 
lichen Ablaufe in der Tiernutzung der mittelalterlichen Welt. Gerade dies ver- 
langt, die Urkunden jeweils in ihrer Wortlichkeit anzusehen: Fiir das Bistum 
Osnabriick besagt demgemaB (unter anderem) die von Otto dem GroBen in der 
Urkunde von 938 gewahrte und von nachfolgenden Herrschern bestatigte im- 
munitas, daB die Bischofskirche davon befreit wurde, reisende Funktionstrager des 
Herrschers, vor allem solche mit iuridischen Befugnissen {iudex publicus; iudiciaria 
potestas; comites; missi dominici) , aus dem Gut von Pf lichtigen des Bistums mit Nah- 
rung und Diensttieren versorgen zu miissen. Erhalten hingegen blieb die Ver- 
pflichtung des Bistums (bzw. genauer: der zur Stellung von paraferedi verpflichte- 
ten, dem Bistum untergebenen Freien), dem Konig und Kaiser selbst oder auch 
hochstrangigen Beauftragten, seien es nun duces oder episcopi, bei hoheitlichen 
Vorgangen Unterhalt und Diensttiere zur Verfiigung zu stellen. Das heiBt, auch 
die Pflichtigen im Bistum Osnabriick hatten weiterhin vor allem im Falle von 
Kriegshandlungen, aber auch bei Reisen des Monarchen im Rahmen des Herr- 
schaftsvollzugs, zu den Versammlungen der Hoftage oder bei Romziigen, parfreda 
zuleisten. Ebenso bestand die Pflicht fort, /egaft'desKonigs oder /ega^zfremderKo- 
nige mit dem Notwendigen auszustatten. 

Der wesentliche Vorteil des Verzichts des Herrschers auf die Nutzung der paraf- 
eredi dutch nachgeordnete Amtstrager war also nicht, daB damit das Bistum selbst 
die voile Verfiigung iiber die Tiere erlangt hatte. Die Tiere behielten die friihere 
Rechtsbindung, nach wie vor war ihre Nutzung auf hoheitliche Aufgaben be- 
schrankt, etwa wenn der Bischof zum Hoftag zu Ziehen hatte, oder ein Krieg zu 
fiihren war. In diesem Sinne iiberliefert fiir Priim, das mehrfach von den franki- 
schen Herrschern ,Rechtstiere' erhalten hatte, Abt Caesarius um 1222, daB sich 
die Pflicht zur Stellung solcher Tiere ergibt, wenn der Abt wegen kirchlicher Not- 
wendigkeiten an den Hof gehen muB, wenn der Abt mit dem Konig iiber die Al- 
pen nach Italien gehen oder nach Rom Ziehen, oder wenn er gegen Schadiger der 
Kirche zu kampfen hat. 60 Der Vorteil fiir die Empfanger lag vor allem darin, daB 

60 Urbar von Priim (wie Anm. 31) Kommentar zu X (herrepert). Auch diese Einschran- 



64 Wolfgang Christian Schneider 

die Tiere nun sehr viel seltener beansprucht wurden und daher den Haltern weit- 
gehend ungestort fiir die eigene wirtschaftliche Tatigkeit zur Verfiigung standen, 
moglicherweise die Zahl der Tiere im Gutsbetrieb sogar vermindert werden konn- 
te, wodurch die Kosten sanken. So bedeutete der ErlaB der Paraverd-Pflicht fiir 
das Bistum Osnabriick eine nicht unerhebliche okonomische Starkung. 

Der hoheitliche Verkehr mit ,Rechtstieren' 

Aus all dem, was die Urkunde fiir Osnabriick und die vergleichbaren Herrscher- 
urkunden bieten, laBt sich ein Gesamtbild der Nutzung der Tiere in den hoheitli- 
chen Verkehrsvorgangen entwerfen. Denn in den erteilten Befreiungen spiegelt 
sich die Normalitat. Die insgesamt doch recht niedrige Zahl von Urkunden mit 
Bestimmungen zur Stellung von paraferedi macht deutlich, daB die Herrscher recht 
selten auf diese Leistungen fiir ihre Amtstrager verzichteten und daB sie das diffe- 
renziert taten. Das kann wederZufall sein, noch AusfluB einer Beliebigkeit bei der 
Formulierung der Urkunden. Die wiederholten Mahnungen der karolingischen 
Herrscher namlich zum Schutz der Pflichtigen und der Tiere, die iiberliefert sind, 
zeigen, wie nachhaltig sich die Herrscher um den Bestand dieser Einrichtung 
sorgten. Das ist nur verstandlich, wenn es sich bei den ,Rechtstieren' und dem auf 
ihnen aufgebauten System um ein substanzielles Moment fiir den Herrschaftsvoll- 
zug handelte. Nichts gibt AnlaB fiir die Annahme, daB sich dies in der Zeit der Ot- 
tonen und Salier geandert haben konnte. So miissen die wenigen befreienden Be- 
stimmungen der Urkunden als Hinweis auf die Bedeutung der Rechtstiere auch in 
dieser Zeit gesehen werden. Denn obwohl (wie die Quellen sporadisch iiber- 
liefern) die Herrscher auf ihrem iiber den Herrschaftsbereich verteilten Konigsgut 
eigene Herden von Pferden hatten, aus denen sie benotigte Tiere unmittelbar be- 
zogen, so dienten diese doch vor allem zur Reproduktion des Bedarfs fiir den en- 
geren Hofstaat und die herrschaftlichen Giiter. Ein ausgebreitetes, das gesamte 
Gebiet iiberspannendes Netz fiir die mit Herrschaftsvollzug verbundene Ver- 
kehrsleistung war damit weder herzustellen, noch auf die Dauer bereitzuhalten, 
vor allem nicht in der notwendigen regionalen Spezialisierung. 

So lastete - in Fortfiihrung der spatantiken offentlichen Verkehrseinrichtung - 
das Schwergewicht des zur Herrschaftsausiibung notwendigen Verkehrs auf den 
iiber das Land verteilten und in Pflege, Wartung und Nachzucht lokal verankerten 
Rechtstieren, den paraferedi und - im rechtsrheinischen norddanubischen Raum 



kung zeigt, daB die Verpflichtungen der Inhaber solcher , Rechtstiere' strikt von den allgemei- 
nen Spanndiensten Unfreier geschieden sind; vgl. dazu die oben angesprochenen Einzel- 
heiten im Zusammenhang mit der Befreiung von der Leistung von paraferedi in DKar. 108 
(AD 775). 



,Rechtstiere' der Spatantike im mittelalterlichen Niedersachsen 65 

offensichtlich seltener - den angariae. In einer im Sachlichen nur schwach institu- 
tionalisierten und dezentral organisierten Gesellschaft ergab sich aus den nahezu 
flachendeckenden Leistungsverpflichtungen ein, wenngleich nicht stehendes, so 
doch rechts schnell verfiigbares und annahernd berechenbares Verkehrssystem. 61 
Dieses System war zudem elastisch und - wegen der Verflechtung von Herrschafts- 
interessen und Eigeninteressen der Tierhalter - auch stabil. Da die Tiere in der 
iiberwiegenden Zeit von den Haltern genutzt wurden, war denen eine gute Quali- 
tat der Pferde und eine gute Pflege ein Anliegen. Gealterte Tiere, oder solche, die 
aus anderen Griinden den Arbeitsanspriichen nicht geniigen konnten, wurden 
nach MaBgabe der Moglichkeiten bald ersetzt. 62 Denn die Fiitterung in der ar- 
beitsarmen Winterzeit verursachte erhebliche Kosten und Miihe, die man nurfiir 
leistungsfahige Tiere aufwandte. Das Eigeninteresse der Halter garantierte der 
Herrschaft somit gleichbleibend angemessene Nutzungsmoglichkeiten bei einem 
gesamtwirtschaftlich verhaltnismaBig geringen Kostenaufwand. Die Pflicht zur 
Riickgabe der Tiere lieferte dabei die Gewahr, daB die Tiere insgesamt pfleglich 
behandelt und nicht iiberbeansprucht wurden. Um keinen iibergroBen Aufwand 
fiir die Riickgabe entstehen zu lassen, werden die Tiere in den meisten Fallen nur 
bis zum nachsten Leistungspflichtigen auf der Verkehrsstrecke in Anspruch ge- 
nommen worden sein. Fiir die Tiere ergab ich damit ein sinnvoller Zeitpunkt fur 
die Auswechselung. Im ehemals romisch gepragten Gebieten konnten die in be- 
stimmten Abstanden eingerichteten ,Wechselplatze' (mutationes) und die in groBe- 
ren Entfernungen angelegten ,Rastplatze' (mansiones) die mittelalterliche Struktur 
bestimmt haben. Vielleicht ist die Uberlieferung der spatantiken Strecken-Karte, 
der tabula Peutingeriana, diesem Anwendungszusammenhang zu verdanken. 

Gefahrdet war das Verkehrssystem der Rechtstiere von seiner Struktur her vor 
allem durch die mit dem jeweiligen Erhebungsort und den Leistungspflichtigen 
interessenmaBig nicht verflochtenen nachrangigen Herrschaftstrager. Diese wa- 
ren vom wirtschaftlichen Wohlergehen des mit diesen Tieren normalerweise ar- 
beitenden Bereitstellers der , Rechtstiere' nicht abhangig, weshalb ihnen das Wohl 
und die Pflege der Tiere nicht unbedingt ein Anliegen sein muBte. Uberforde- 
rung, riichsichtsloser und nachlassiger Umgang mit den Tieren konnten die Folge 
sein. Es ist daher kein Zufall, daB in den Privilegien der Herrscher gerade diese 
nachgeordneten Herrschaftstrager haufiger von der Nutzung der Rechtstiere aus- 



61 Im privaten Bereich leisteten dasselbe die unmittelbaren und die mittelbaren Freund- 
schaftsbeziehungen: sie bedingten wechselseitige Hilfen - und eben auch Hilfe fiir Reisen. 
Hinzu kam die im friihen Mittelalter (vielleicht eben aus diesem Grund) weite Streuung von 
Besitztiimern eines Besitzers. 

62 Vgl. Capitulare de villis c. 23 nach dem lahmende aber gesunde, nicht raudige Pferde 
zur Zeit des Hofdienstes fiir die Fiitterung der herrscherlichen Hundemeute bereit gehalten 
werden sollten. 



66 Wolfgang Christian Schneider 

geschlossen werden - etwa auch in derUrkunde fiirOsnabriick. Gerade dieserZu- 
sammenhang spricht nachdriicklich dafiir, die im Rahmen der Immunitaten in 
den Urkunden ausgesprochenen Befreiungen nicht als pauschal gewahrt anzu- 
nehmen, sondern sie in ihrem Wortlaut, in der Differenziertheit des nur partiell 
Gewahrten ernst zu nehmen. 

Anders als fur den linksrheinischen Bereich, fur Italien und Raetia ist die Stel- 
lung der angariae, der Leistungspflicht mit Rindern, im rechtsrheinischen Gebiet 
nordlich derDonau unklar. Es konnte sein, daB es bei den angariae nicht zurUber- 
tragung der linksrheinischen Verhaltnisse auf die neu erworbenen Gebiete durch 
die frankischen Herrscher kam. Ein Grund dafiir konnte in den recht hohen An- 
spriichen liegen, die der vor allem mit Rindern durchgefiihrte Zuglastverkehr an 
die Wegebahnung hatte. 63 Die Anlage von Wegen, wie sie die als Saumtiere einge- 
setzten Pferde benotigten, war billiger und einfacher. 

Tiertechnologische Entwicklungen 

Dariiber hinaus konnte dies aber auch darin begriindet sein, daB die beiden Tiere 
in unterschiedlichem MaBe vom technischen Fortschritt erfaBt wurden. Wahrend 
sich bei den Ochsen und ihrem Einsatz auf lange Zeit hin keine groBeren Veran- 
derungen ergaben, kommt es bei den Pferden im friihen Mittelalter zu einschnei- 
denden Entwicklungen. Einerseits kam der Steigbiigel, der erstmals in der Spatan- 
tike bei den nordostlichen Reitervolkern auftaucht, im Laufe des 9. Jh. allgemein 
in Gebrauch. Noch in der friihen Karolingerzeit sind die Vorplatze der Gutshofe 
mit besonderen Steinen ausgestattet, iiber die man die Pferde bestieg. 64 Mit dem 
Steigbiigel wurde nicht nur ganz allgemein die Handhabe der Pferde erleichtert: 
Der nun mogliche festere Sitz auf den Tieren, der von technischen Veranderun- 
gen beim Sattel begleitet wurde, fiihrte zu einer intensiveren Nutzung der Pferde 
als Reittiere - ein Wandel, der im Verkehr ebenso wie in der Kriegstechnik zum 
Tragen kam. Die Reiterkontingente erhielten eine immergroBere Bedeutung, und 
diese machten auch eine zunehmende Zahl von Beipferden dieser Reiter notwen- 
dig, die oftmals als paraveredi requiriert wurden. 

Die zweite groBe technologische Veranderung des friihen Hochmittelalters 
sind die Hufeisen. Die Antike hatte nur den ,Hufschuh' aus Eisen gekannt, die solea 
ferrea, die den ganzen Huf umschloB und dementsprechend schwerfallig im Ge- 



63 Wie Th. Szabo (oben Anm. 4) S. 129 f. feststellt, trat unter den spaten Karolingern die 
Pflicht zur Pflege der StraBen zugunsten einer Intensivierung der Briickenpflege zuriick, was 
moglicherweise mit der Verlagerung des Giitertransports von den Rindergespannen auf die 
Saumpferde begriindet ist. 

64 Arbeo, Vita Haimhrammi c. 14. Im selben Sinne sind die von Notker, Gest. Carol. I 6 
erwahnten Treppenstufen zu verstehen. 



,Rechtstiere' der Spatantike im mittelalterlichen Niedersachsen 67 

brauch war und nur in begrenztem Umfang eingesetzt wurde, 65 etwa auch bei Er- 
krankung derHufe. 66 Die ersten Textbelege des Hufeisens fallen in das 9./ 10. Jh.: 
D er Dichter des Waltariusliedes laBt seinen Helden nach dem Klang eisenbeschla- 
generHufe von Rossen horchen (V. 1203). Und in der Vita des Johannes von Gor- 
ze (10. Jh.) wird ein Pferd erwahnt, das wegen des Verlustes eines Hufeisens lahmt 
und daraufhin beschlagen wird. 67 Im 11. Jh. erscheinen dann Lieferungen von 
Hufeisen in den Abgabeordnungen frankischer Urbare. 68 Die Hufeisen beseitig- 
ten oder minderten eine der gewichtigsten Schwierigkeiten der Pferdenutzung: 
die schnelle Abnutzung derHufe, zumal wenn diese von Feuchtigkeit aufgeweicht 
waren, was im mittelalterlichen Deutschland, das noch kaum EntwasserungsmaB- 
nahmen kannte, besonders zum Tragen kam. Noch Walahfrid Strabo von derRei- 
chenau erwahnt in seinem Hortulus (V. 39 f.) wie selbstverstandlich die wegen der 
feuchten Wege aufgeweichten Hufe der Pferde als Problem. 

Die Hufeisen ermoglichten einen entscheidenden Fortschritt in der Pferde- 
zucht, der nicht nur wesentlich zur Bildung der Reiterheere beitrug, sonder auch 
fiir die Nutzung des Pferdes im Verkehr folgenreich war. Der nun gegebene besse- 
re Schutz der Pferdehufe erlaubte die Ziichtung groBerer und schwerer Pferde. 69 
Denn die Hornzellen im Huf waren nicht einfach zu vermehren, die Ziichtung 
groBerer Tiere, die nicht ohne eine VergroBerung derHufe zu erreichen war, hatte 
daher zwangslaufig eine Auflockerung der Hornstruktur der Hufe zur Folge. Die 
damit eigentlich einhergehenden Probleme: gesteigerte Wasserempfindlichkeit 
und Weichheit der Hufe samt ihren Folgen, dem schnellen Abrieb, wurden nun 
durch die Hufeisen weitgehend entscharft. Verstarkt wurden diese positiven Ef- 
fekte des Hufeisens durch eine gehaltvollere Fiitterung und die allmahlich verbes- 
serte Wegebahnung. 70 Ein weiterer Vorteil war, daB das beschlagene Pferd wegen 
seines geschiitzteren Hufes in seinem Einsatz weniger wetterabhangig war. Als 



65 Vgl. die Anspielung Catull 17,26; Pelagonius XV (226); im Rahmen von Therapien 
gab es auch Hufschuhe aus Stroh. 

66 Mulomedicina Chironis I 14 (43). Zuweilen sind in Antiken-Sammlungen Hufeisen 
ausgelegt, doch das sind spate, bestenfalls mittelalterliche Stiicke. Bis heute gibt es nicht einen 
Hufeisenfund, der stratigraphisch fiir die rbmische Zeit gesichert ware. Vgl. auch Germain 
Carnat, Das Hufeisen in seiner Bedeutung fiir Kultur und Zivilisation, Zurich 1953. 

67 Johannes von St. Arnulf, VitaJoh. Gorz. c. lOOf. (MGH SS IV p. 366). 

68 Kitzinger Urbar: Erich von Guttenberg, Frankische Urbare; in: Zs. fiir Bayr. Landes- 
gesch. 7, 1934, S. 184-187. 

69 In der Antike hatte - wie die Angaben der spatantiken Tiermediziner zeigen - die gan- 
ze Bemiihung darauf gezielt, dichte und feste Hufe zu erreichen, aber das gelang eben nur bei 
verhaltnismaBig kleinen und schmalen Hufen, also verhaltnismaBig kleinen Pferden. Das 
Pferd Marc Aurels auf dem Kapitol in Rom etwa war fiir seine Zeit zweifellos ein groBes herr- 
schaftliches Tier, fiir den heutigen Blick ist es verhaltnismaBig klein. 

70 Zur Lage der StraBen im 10. Jh. vgl. etwa die Reise Richers, Richer Historien IV 50. 



68 Wolfgang Christian Schneider 

Reittier tritt dieses neue groBe Pferd in den Quellen um die Wende vom 11. zum 
12. Jh. als dextrarius (,Streitro6') in Erscheinung. 71 Wenngleich die paraferedi der 
deutschen Herrscherurkunden zunachst wohl nur selten die Qualitat von dextrarii 
besaBen, so ist doch davon auszugehen, daB die Veranderungen in der Zucht der 
Pferde sehr bald auch bei diesen spiirbar wurden, zumal die paraferedi ja gerade 
bei den fiir sie typischen herrschaftlichen Funktionen neben den neuen dextrarii 
Verwendung fanden, und ganz konkret mit diesen Schritt halten muBten. Denn es 
diirfte kein Zweifel daran bestehen, daB die neuartigen, beschlagenen, kraftigeren 
Pferde auch eine gewisse Beschleunigung mit sich brachten. 

Eine letzte bedeutende technische Entwicklung war die Erfindung des Kum- 
mets. Obzwar genauere Anhaltspunkte fehlen, so muB diese in das Hochmittelal- 
ter fallen, spatestens in das 13. Jh. Denn seit dem friihen 14. Jh. tauchen Darstel- 
lungen in der Buchmalerei auf, etwa in der beriihmten Bilderchronik Erzbischof 
Balduins von Trier zum Romzug Heinrichs VII. (um 1340) . 72 Auch hierbei wurde 
ein Dauerproblem der Pferdenutzung in der An tike beseitigt. Pferde wurden in 
der Antike lediglich in geringem MaBe als Zugtiere eingesetzt, weil die nur 
schwach hervortretenden Schultern keinen rechten Ansatzpunkt fiir eine hinrei- 
chend belastbare Anspannung boten. Meist erfolgte die Anspannung der Pferde 
ziemlich hoch an derBrust oder am Hals, so daB jede groBere Zuglast die Atmung 
beeintrachtigte. Zugpferde muBten daher sehr kraftig sein und waren demgemaB 
lange Zeit wertvolle Ausnahmen. 73 Durch das Kummet vermochte nun das Pferd 
seine Lasten zu , schultern', und seine nicht geringe Kraft tatsachlich zum Zug ein- 
zusetzen, um so dann auch eine hohere Zuglast zu bewegen, bei gesteigerter Ge- 
schwindigkeit. Pferde wurden darum im Lastverkehr immer haufiger und losten 
allmahlich - wie die Bilddokumente zeigen - die Zugrinder ab, was sich auch auf 
den hoheitlichen Verkehr ausgewirkt haben wird. Einige der als Zugtiere darge- 
stellten Pferde beim Romzug Heinrich VII. werden parafredi gewesen sein. 



71 Vgl. z.B. Suger von Saint Denis, Vita Ludov. Gr. c. 21 (ed. Waquet p. 160); zum Jahr 
1112. 

72 Landeshauptarchiv Koblenz Bestand 1 C Nr. 1; Franz-Josef Heyen: Kaiser Heinrichs 
Romfahrt. Die Bilderchronik von Kaiser Heinrich VII. und Kurfurst Balduin von Luxemburg 
(1308-1313), Boppard 1965, S. 65, Bild 6b (2.Vtl. 14. Jh.). 

73 Vgl. die hohe Wertansetzung des einen Wagen (carruca) ziehenden Pferdes im sali- 
schen Recht, es ist zu biiBen wie ein Zuchthengst, Pact. leg. Sal. XXXVIII 1 ff. Die Nutzung 
eines Pferdewagens ist fiir Karl Martell (Vita et Mirac. S. Maximini, AA SS torn. 20, 29. Mai 
(VII) p. 24) und die Bischofe Ulrich von Augsburg" und Giseler von Magdeburg belegt (Ger- 
hard Vita Udalrici 5f.; 21 vgl. auch 24; bzw. Thietmar Chron. IV 38; V 39). 



,Rechtstiere' der Spatantike im mittelalterlichen Niedersachsen 69 

Romische Kontinuitdt und Ruckgrat des hoheitlichen Verkehrs 

So belichtet die Urkunde Ottos I. fiir Osnabriick und ihre Nachurkunden einen 
entscheidenden Aspekt der mittelalterlichen Herrschaft - und sichtbar machen 
das die Tiere: Verteilt iiber das Reich bildeten Pferde und Rinder mit hoheitlichen 
Rechtsbindungen das Ruckgrat des Verkehrs, in dem sich der Vollzug der Herr- 
schaft der Kaiser und Konige des Mittelalters verwirklichte. Und dies auf lange 
Zeit hin, denn noch im 14. und 15. Jh. ist fiir Leute des Mainzer Peterstifts die 
Pflicht belegt, bei Reichsheeresfahrten iiber die Alpen einen „Seymer" (Saumer) 
zu stellen. 74 Da es sich dabei offensichtlich um in Kirchenbesitz geratene ehemali- 
ge Konigsfreie handelte, auf denen die Pflicht lag, ein paraveredus zu leisten, ent- 
sprechen die Umstande ganz dem, was als Folge der Urkunde Ottos I fiir Osna- 
briick (DO. I. 20) anzunehmen ist. So werden auch die friiheren Konigsfreien im 
Osnabriicker Land bis ins 15. Jh. hinein fiir die Italienziigen der deutschen Kaiser 
ihre ,Rechtstiere' zur Verfiigung gestellt haben. Die iiber die ,Teilimmunitaten' der 
Herrscherprivilegien in Kirchenbesitz gelangten Rechtspflichten blieben also auf 
Dauer fiir das mittelalterliche Reich erhalten und wirksam. So bilden die in der 
Osnabriicker Urkunde genannten paraferedi ganz unmittelbar eine bis in die Spat- 
antike reichende konkret verwurzelte romische Kontinuitat ab: gerade auch im 
Rechtsrheinischen, in Niedersachsen, einem Gebiet, das selbst nie romisch war. 



74 Niklas Kindlinger, Geschichte der deutschen Horigkeit, insbesondere der Leibeigen- 
schaft, mit Urkunden, Berlin 1819 ND Aalen 1968, S. 463; 541; 554 (hierauch naherzum Aus- 
wahlvorgang, zur Riickgabepflicht und zur Erstattung bei Verlust des Tieres auf der Reise) . 



4. 
Die Ausrottung eines „gefahrlichen Untiers" 

Wolfsjagden in Niedersachsen vom 16. bis zum 19. Jahrhundert 



Von Gerd van den Heuvel 



Esgibtnichts Gutes an diesem Tier aujier seinem Fell, das man zu groben Pelzen verarbeitet. 
Sein Fleisch ist so widerlich, daji kein anderes Tier es verzehren mag, und nur der Wolffrijit 
gerne seinesgleichen. Sein Maul verstrdmt einen iiblen Geruch. Weiler, um seinen Hunger zu 
stillen, sich iiberalles hermacht, was erfindet - verwestes Fleisch, Knochen, Haare, halbge- 
gerbte Haute, die noch mit Kalk bedeckt sind - wiirgt er das Gefressene oft wieder aus und 
entleert sich noch hdufiger, als er frifit. Er ist in jeder Hinsicht unangenehm, von nieder- 
trdchtiger Gesinnung, wildem Aussehen, seine Stimme ist furchterregend, sein Geruch uner- 
trdglich, er ist von Natur aus verdorben, von grausamen Gebaren, schadlich zu Lebzeiten 
und nutzlos nach seinem Tode. l 

In der Klassifizierung der Tierwelt durch den Menschen - im vorangehenden 
Zitat vertreten durch einen Mitbegriinder der modernen Zoologie - nimmt der 
Wolf eine Position ein, die ihn wie kaum ein anderes Tier diskreditiert und damo- 
nisiert. Die anthropozentrische Kategorisierung derTiere als niitzlich oder schad- 
lich, als zahm oder wild, als eBbar oder ungenieBbar belegte den Wolf in jeder 
Hinsicht mit den negativen Eigenschaften und stempelte ihn zum Ungeziefer oder 
Untier. 2 

Als reale physische Bedrohung fur den Menschen und seine Nutztiere, in noch 
starkerem MaBe aber als Sinnbild des Bosen, als Verkorperung des Teufels, Be- 
gleiter von Hexen und Symbol einer feindlichen, existentielle Angste auslosenden 

1 Georges Louis Leclerc, comte de Buffon, Histoire naturelle generale et particuliere, T. 
VII, Paris 1758, S. 52 (dt. Ausgabe: Allgemeine Historie der Natur, Th. IV, Bd 1, Hamburg/ 
Leipzig 1760, S. 28). 

2 Vgl. Jutta Nowosadtko, Zwischen Ausbeutung und Tabu. Nutztiere in der Friihen Neu- 
zeit, in: Paul Munch in Verb, mit Rainer Walz (Hrsg.), Tiere und Menschen. Geschichte und 
Aktualitat eines prekaren Verhaltnisses, Paderborn, Miinchen, Wien, 2. Aufl. 1999, S. 247- 
274, hier das Schema S. 255 . 



11 Gerd van den Heuvel 

Natur, 3 warund ist der Wolf im kollektiven Gedachtnis der verschiedensten Kultu- 
ren prasent. Allein der Blick auf die biblischen Metaphern im Neuen Testament 
und ihr Fortleben in Theologie, Literatur und Ikonographie, 4 der Wolfim Schafspelz 
(Matth. 7,15) oder die in der Apostelgeschichte (20, 29) vorhergesagten greulichen 
Wolfe, die iiber die Christen herfallen wiirden, zeigt, wie der Wolf als Sinnbild fur 
apokalyptische Heimsuchungen allgegenwartig war und bezeugt gleichzeitig die 
schwere Hypothek, mit der derMensch die reale Spezies cams lupus seit dem Alter- 
tum 5 bis in unsere Tage belegte. Die plautinische Sentenz, dass derMensch dem 
Menschen ein Wolf sei, 6 wurde bei Thomas Hobbes zur einpragsamen Kurzformel 
fur die Rechtfertigung des absolutistischen Staates. 7 Dieser Vergleich menschli- 
cher Aggressivitat und Destruktivitat mit den Eigenschaften eines Raubtieres 
zahlte nicht nurzum Grundwissen einerpessimistischen Anthropologie, sondern 
diskreditierte auch fortwahrend eine Tierart, ungeachtet der Tatsache, dass 
menschliche Gesellschaften und Wolfsrudel zwar einige Gemeinsamkeiten bei 
der Ausiibung von Brutalitaten in hierarchisch organisierten Sozialverbanden auf- 
weisen, der Wolf in derRegeljedoch nicht die eigene Spezies zum Gegenstand sei- 
ner Aggressionen macht. Man klagt den Wolf an, mag er schuldig sein oder nicht, so be- 
merkte schon ein antikes griechisches Sprichwort, das die Perhorreszierung eines 
Tieres, auf das man alle Ubel dieser Welt projizierte, mit einigem Gespiir fur die 
Bediirfnisse der menschlichen Psyche zum Ausdruck brachte. 8 Wenn in der adlig- 
ritterlichen Lebenswelt positive Konnotationen des Wolfs, wie Ausdauer, Mut, 
Kraft und Starke auch insofern Anerkennung fanden, als das Tier namengebend 
fur Geschlechter und Orte war und die Gestalt des Wolfes fester Bestandteil der 
Heraldik wurde, so reichten diese Eigenschaften jedoch nicht, um den realen Wol- 
fen eine Koexistenz mit dem Menschen zuzugestehen. Im Zentrum der Wahrneh- 
mung stand der Wolf als Abart der Schopfung, als GeiBel Gottes fur den Men- 
schen wie fur die iibrigen Tiere, wie ihn Zedlers Universal-Lexicon, ein weitverbrei- 
tetesjagdbuch zitierend, 9 1748 beschrieb: Unter den bekanntesten Raubtieren ist wohl 



3 Vgl. Jean Delumeau, La Peur en Occident, Paris 1978, S. 63. 

4 Vgl. S. Braunfels, Art. Wolf, in: Lexikon der christlichen Ikonographie, hrsg. von En- 
gelbert Kirschbaum SJ, Bd 4, Rom u. a. 1972, Sp. 536-539. Vgl. auch Lutz Rohrich, Das gros- 
se Lexikon der sprichwortlichen Redensarten, Bd 3, Darmstadt 2001, S. 1740-1743. 

5 Will Richter, Art. Wolf, in: Paulys Realencyclopadie der classischen Altertumswissen- 
schaft, Suppl. XV, Miinchen 1978, Sp. 960-987. 

6 Plautus, Asinaria, 495. 

7 Thomas Hobbes, De cive, London 1651 (English version ed. Howard Warrender, Ox- 
ford 1983, S. 24). 

8 Vgl. Corpus Paroemiographorum Graecorum, hrsg. von Ernst Ludwig von Leutsch u. 
Friedrich Wilhelm Schneiderwin, T. 1, Gottingen 1839, S. 431: Appendix proverbiorum, 
Centuria III, Nr. 74. 

9 Hanns Friedrich von Flemming, Der Vollkommene Teutsche Jager, Leipzig 1719, 2. 



Die Ausrottung eines „gefahrlichen Untiers" 73 

sondern Zweifel der Wolf das schddlichste und arglistigste z.u nennen, welches der weise 
Schbpfer dem menschlichen Geschlechte, auch so wohl zahmen, als wilden Thieren, zu son- 
derbarer Strafe erschaffen, indem derselbe nicht allein aufder Weide und Feldern, sonderlich 
in den Harden desNachts; sondern auch am Tage die S chafe, das Rind-Vieh, diePferde, auch 
wohl das Wildpret in Waldern,ja offt gar in Dorffern, Garten und Strassen die Menschen 
angreiffet, zerreisset und frisset. 10 

Die Geschichte der systematischen Verfolgung des Wolfs ist lang. Die Einset- 
zung von zwei luparii (Wolfsjagern) in jeder Grafschaft durch Karl den GroBen im 
Jahre 813, der von der Synode in Santiago de Compostella im Jahre 1114 ausge- 
hende Aufruf an die gesamte Christenheit, Priester, Adlige und Bauern sollten an 
jedem Samstag des Jahres, auBer vor Ostern und Pfingsten, Wolfsjagden durch- 
fiihren, die durch den Stauferkaiser Friedrich II. 1239 befohlenen Vergiftungs- 
kampagnen auf Sizilien sowie die erstmalige behordenmaBige Organisation der 
Wolfsjagd als zentralstaatliche Aufgabe unter Franz I. in Frankreich markieren 
nur einige Etappen im Krieg des Menschen gegen das Raubtier. 11 

Der synodale Aufruf an alle Stande zeigt den Ausnahmezustand, in der sich die 
Gesellschaft im Kampf gegen den Wolf sieht. Er paBt so recht in kein Schema der 
feudalen Jagdordnungen, er steht auBerhalb der Zuordnung des Jagdwildes zur 
hohen bzw. niederen Jagd, er wird mit dem gleichen Aufwand wie der weit presti- 
getrachtigere Hirsch oder das Wildschwein vom Herrscher und den zur Jagd Pri- 
vilegierten bei ausgedehnten Hetzjagden 12 erlegt, er kann aber auch straflos von 
jedem Bauern erschlagen werden, dem ansonsten in derFriihen Neuzeit selbst das 
Fangen eines Kaninchens verboten ist. Dem Wolf wird keine Schonzeit zugestan- 
den, mit Bar und Luchs teilt er das Schicksal, nicht den Jagdverboten im konigli- 
chen Bannforst zu unterliegen; so kodifiziert im Sachsenspiegel des Eike von Rep- 
gow aus dem friihen 13. Jahrhundert. 13 



Aufl. ebd. 1749, S. 106. 

10 Johann Heinrich Zedler, Grosses vollstandiges Universal-Lexicon. Bd 58, Leipzig/ 
Halle 1748, Sp. 497. 

11 Vgl. Daniel Bernard, Wolf und Mensch (frz. Ausgabe: L'homme et le loup, Paris 
1981), Saarbriicken 1983, S. 76-78; Robert Delort, Der Elefant, die Biene und der heilige 
Wolf. Die wahre Geschichte der Tiere (frz. Ausgabe: Les Animaux ont une histoire, Paris 
1984), Miinchen/Wien 1987, S. 262f.; Helmut Jager, Einfiihrung in die Umweltgeschichte, 
Darmstadt 1994, S. 137-147. 

12 Vgl. Bernard (wie Anm. 11), S. 68-72. Von einer solchen ganztagigen Parforcejagd auf 
Wolfe der Versailler Hofgesellschaft unter Ludwig XIV berichtet z. B. Elisabeth Charlotte 
von Orleans. Vgl. Hatto Zeidler, Von der Jagd, vom Gliick und von einer pfalzischen Diana, 
in: Liselotte von der Pfalz. Madame am Hofe des Sonnenkonigs [Ausstellungskatalog], hrsg. 
von Sigrun Pras, Heidelberg 1996, S. 209-214, hier S. 214. - Parforcejagden auf Wolfe bilde- 
ten in Deutschland dagegen eher die Ausnahme. 

13 Sachsenspiegel, Landrecht II 61. 2 (MGH Fontes Iuris Germanici Antiqui, Nova Series 



74 Gerd van den Heuvel 

Im gleichen MaBe wie mit der Rodung des Waldes seit dem Hochmittelalter 
dem Wolf sein angestammter Lebens- und Jagdraum genommen wurde und eine 
intensivierte Viehwirtschaft, vor allem die Schafzucht, den Wolfen leicht erreich- 
bare Beute in der Nahe menschlicher Siedlungen bereithielt bzw. die Viehhaltung 
sich auf Bruch- und Moorgebiete ausdehnte, verscharfte sich der Konflikt zwi- 
schen Mensch und Wolf. Den Bemiihungen um eine nachhaltige Dezimierung 
der Wolfsbestande waren bis in die Friihe Neuzeit hinein in Mitteleuropa nur vor- 
iibergehende und lokal begrenzte Erfolge beschieden. Kriege und Seuchen liefer- 
ten den Wolfen nicht nur reichlich Nahrung, sie unterbrachen auch die kontinu- 
ierliche Verfolgung des lastigen Nahrungskonkurrenten, der hier als Standwild 
lebte, dessen Populationen aber aus Osteuropa zudem standigen Nachschub er- 
hielten. Herrschaftliche Jagd und bauerliche Selbsthilfe vermochten die durch 
Wolfe angerichteten Schaden im Mittelalter zwar in Grenzen zu halten, doch erst 
der friihmodeme Staat schuf mit seinem umfassenderen Herrschaftsanspruch ge- 
geniiber Mensch und Natur die mentalen und mit seinem Herrschaftsapparat 
auch die organisatorischen Voraussetzungen fur eine systematische Verfolgung 
der Wolfe mit dem Endziel, die Raubtiere auszurotten. Dieser langfristige ProzeB, 
der mindestens ebenso viel iiber die (Herrschafts-)Beziehungen zwischen Men- 
schen wie iiber das Verhaltnis des Menschen zu einer Tierart widerspiegelt, soil 
im folgenden anhand niedersachsischer Beispiele erortert werden. 

Die Quellengrundlage hierfiir bilden im wesentlichen die einschlagigen Be- 
stande der niedersachsischen Staatsarchive, 14 die bisher zu diesem Thema durch 
einen alteren Zeitschriftenbeitrag zu Wolfsvorkommen in Niedersachsen 15 sowie 
durch zahlreiche kleinere Beitrage aus heimatkundlicherund lokalgeschichtlicher 
Perspektive nurzum Teil erschlossen sind. Die Beschrankung auf die Grenzen des 



T. I, ed. Karl August Eckhardt, Hannover 1933, S. 100). 

14 Fur die freundliche Hilfestellung bei der ErschlieBung der einschlagigen Quellenbe- 
stande danke ich den Mitarbeitern aller Niedersachsischen Staatsarchive. Mein besonderer 
Dank gilt dem Ltd. Direktor des Wolfenbiitteler Archivs, Herrn Dr. Horst Riidiger Jarck, der 
mir seine Vorarbeiten zum Thema betr. die Wolfenbiitteler Bestande zur Verfiigung stellte. 
Aus der Fiille des zu Tage geforderten Aktenmaterials konnten im folgenden nur ein kleiner, 
m. E. jedoch reprasentativer Teil Eingang in die Darstellung finden. Fur die einzelnen Archi- 
ve werden folgende Abkiirzungen verwandt: StAAu (Staatsarchiv Aurich), HStAH (Haupt- 
staatsarchiv Hannover), StAOl (Staatsarchiv Oldenburg) StAOs (Staatsarchiv Osnabriick), 
StASt (Staatsarchiv Stade), StAWf (Staatsarchiv Wolfenbiittel). Die Bestande des Staatsar- 
chivs Biickeburg zur Wolfsjagd sind erschlossen durch Brage Bei der Wieden, Uber die 
Wolfsjagd in Schaumburg, in: Schaumburger Heimatkalender, 60, 1988, S. 102-105. 

15 Albert Schraube, Der Wolf in Niedersachsen, in: Archiv fiir Landes- und Volkskunde von 
Niedersachsen, Heft 14, 1942, S. 303-372. Der detailreiche Aufsatz basiert auf der akribischen 
Auswertung einschlagiger Archivalien - auch solcher, die 1943 beim Brand des HStAH ver- 
loren gingen -, bietet allerdings keine genauen Quellennachweise. 



Die Ausrottung eines „gefahrlichen Untiers" 75 

heutigen Landes Niedersachsen erfolgt aus pragmatischen Griinden; eine spezifi- 
sche Ausformung der Wolfsbekampfung in diesem Raum wird damit nicht postu- 
liert. Vielmehr liegt dieser Abgrenzung die Uberlegung zu Grunde, den geogra- 
phischen Rahmen der Untersuchung einerseits groB genug zu wahlen, urn 
Uberlieferungsliicken in den Quellenbestanden einzelner Lander zu kompensie- 
ren, moglichst viele Aspekte des Themas anzusprechen und Vergleichsmoglich- 
keiten zwischen einzelnen Territorien zu eroffnen, andererseits aber so iiber- 
schaubarzu halten, dass auch die jeweils zu beriicksichtigenden spezifischen sozi- 
al-, politik- und verwaltungsgeschichtlichen Aspekte zur Sprache kommen 
konnen und die Darstellung sich nicht in der regional beliebigen Auflistung spek- 
takularer Beispiele der Wolfsjagd erschopft. 

II. 

Nachdem bekannt geworden war, dass einige Bauern am Rande des Soilings 
durch Wolfe Vieh verloren hatten, erteilte der Wolfenbiitteler Herzog Julius am 
29. Januar 1588 seinemjagermeister Carl Capaun den Befehl, eine Wolfsjagd in 
diesem Waldgebiet durchzufiihren, die dazu notigen Wolfsgarne herbeizuschaffen, 
die Jegere und Forstern des orts hinzuzuziehen, auBerdem underthanen und Hunde, so- 
viet dazu nothig, damit den armen leuthenhein weiterer Schaden an ihrem Vieh ent- 
stehe. Am 6. Februar kann der Jagermeister berichten, dass bei der Jagd 5 Wolfe 
getotet wurden, denen auf Anordnung Philipp Sigismunds, desjiingsten Sohnes 
des Herzogs, das Fell abgezogen und die zerlegt worden seien, doch anders als der 
alteste Sohn Heinrich Julius vermutet hatte, seien in den Nieren der Wolfe keine 
giftigen Schlangen gefunden worden. 16 

Derkurze, nicht in alien Teilen sofort verstandliche Briefwechsel zeigt dreierlei: 
Zum einen weist er hin auf die haufigste Form der Wolfsjagd, die Treibjagd, bei 
der zumeist mehreren hundert Bauern, gefiihrt und angeleitet von professionellen 
Jagern und unterstiitzt von der furstlichen Jagdmeute, groBe Waldgebiete nach 
vorher festgelegten Aufmarschplanen in langen Reihen durchkammten, je nach 
Beschaffenheit des Gelandes die aufgescheuchten Wolfe auch mitjagdlappen in 
bestimmte Richtungen lenkten, um die Tiere schlieBlich in Stellnetze, die soge- 
nannten Wolfsgarne 17 zu treiben, wo sie von den Jagdbediensteten zumeist mit 
Kniippeln und Axten erschlagen oder mit Forken erstochen, seltener erschossen 
wurden. 

16 HStAH Cal. Br. 23 Nr. 335 Bl. 11-12. 

17 Wolffs-Netze, Gehoren zumjagdzeug, und mussen viertzig gedoppelte Schritte stellen. Die Lein- 
chen, davon das Gam gestricket, werden von klarem Hechel-Hanff, von sechs Faden, als ein starcker Fe- 
derkiel dicke zusammen gedrehet, und die Maschen ins Vierkantige fiinff Zoll breit, und fiinff Zoll lang 
gemacht; das Netze wird zwanzig solchei Maschen hoch, dafi es also iiber drey Ellen hoch stellen kan, und 



76 Gerd van den Heuvel 

Zum andern sehen wir, dass diesejagd zum Wohl der armen leuthe nicht allein 
Sache der fiirstlichen Jager war, sondern als genuine Herrscheraufgabe begriffen 
wurde, mit der der Fiirst durch personliche Anwesenheit seine Fiirsorge fiir das 
Land demonstrierte, 18 in diesem Fall vertreten durch seine Sonne. 

Zum dritten wird in dem merkwiirdigen Interesse von Heinrich Julius an der 
Anatomie des Wolfs deutlich, dass man dieser Aufgabe nicht nur mit Erfahrungs- 
wissen, sondern, bei diesem hochgebildeten Erbprinzen nicht verwunderlich, mit 
griindlicher Vorbereitung durch die neuestenjagdbiichernachkam. Denn die Be- 
schreibung angeblicher Schlangen in Wolfsnieren findet sich m. W. nur in dem 
1564 erstmals erschienenen Standardwerk zur Wolfsjagd, der Chasse du loup von 
Jean de Clamorgan, 19 das 1579 erstmals ins Deutsche iibertragen, 1582 und 1590 
neu aufgelegt wurde und im Anhang zum Klassiker der alteren Agronomie, der 
L'Agriculture et Maison rustiquevon Charles Etienne und Jean Liebault, bis 1607 al- 
lein 7 Auflagen in deutscher Ubersetzung erlebte. 20 Von der detaillierten Be- 
schreibung der Wolfe und ihrer Verhaltensweisen iiber das Abrichten der Hunde- 
meute fiir die Jagd, das Anlegen von Wolfsfallen, das Aufstellen der Wolfsgarne 
und die Anlage von Wolfsgruben war dort der gesamte der Komplex der Wolfs- 
jagd ausfiihrlich beschrieben. 

Neben der Treibjagd mit groBem Untertanenaufgebot, auch in Kombination 
mit Saujagden durchgefiihrt, gab es auch dauerhafte Einrichtungen zur Bekamp- 
fung des Raubtiers. 



dock Busen genug hat. Die Leinen sindfast Daumens dicke, starck von achtzehn Garn-Faden, so eben- 
falls von gutem Hechel-Hanff seyn mussen. Vgl. Valentin Trichter, Curioses Reit- Jagd- Fecht- 
Tantz- oder Ritter-Exercitien Lexicon, Leipzig 1742, Sp. 2337. 

18 Auch in der zweiten Halfte des 17. Jahrhunderts nahm der Landesherr noch person- 
lich an Wolfsjagden teil; vgl. z. B. HStAH Celle Br. 61a Nr. 1450 Bl. 1 (Jagd im Amt Boden- 
teich, 1663). 

19 Welters ist vom Wolff wol zumercken /so noch von niemand so ich wiiste / gehbrt oder geschrieben 
worden / Dafi in der alten Wolfs Nieren / Schlagen erboren werden / welches ich an dreyen unnd auch 
vier Wblffen mitfleiji wargenommen / unnd etwa in einem Nieren zwo Schlangen / deren die ein / eins 
Schuchs / die ander eins Fingers lang / oder auch kiirtzer gewesen / gefunden / Welche den Wolff zu letzt 
umbs leben bringen / und sehr vergiffte Schlangen und Nattern darauji werden. Vgl. Jacques de Cla- 
morgan, Wolffsjagt (wie Anm. 20), S. 4. 

20 Die erste Ubersetzung stammte von Melchior Sebisch. Eine zweite Ubersetzung des 
kurpfalzischen Amtmannes Johann Wolff erschien erstmalig im Anhang zu der deutschen 
Ausgabe der Venerie von Jacques Du Fouilloux, Newjagerbuch [. . .], StraBburg 1590 u.d.T. 
Johannsen von Clamorgan, Wolffsjagt. Zu den deutschen Ubersetzungen von Clamorgans 
Werk vgl. Kurt Lindner, Bibliographie der deutschen und der niederlandischen Jagdliteratur 
von 1480 bis 1850, Berlin, New York 1976, Sp. 121, 198-206 u. 213-217. Eine andere speziell 
mit der Wolfsjagd befaBte Publikation befaBte sich vor allem mit juristischen Aspekten: Peter 
Muller, De persecutione luporum,Jena 1678, in deutscher Ubersetzung u.d.T. Unvorgreifli- 
che Gedancken vom Jagen iiberhaupt, insbesondere aber von der Wolfs-Jagt, ebd. 1745. 



Die Ausrottung eines „gefahrlichen Untiers" 11 

Relativ einfach war die Anlage von Wolfsgruben. In vier bis fiinf Meter tiefen 
und etwa zwei bis drei Meter breiten Erdlochern wurden die Wande glatt mit 
Holz oder Steinen ausgekleidet, um ein Entrinnen des gefangenen Tieres aus der 
Grube zu verhindern, und anschlieBend die Offnung mit Reisig oder einem Dek- 
kel aus Weidengeflecht, der leicht nach unten wegkippte, abgedeckt. Man band 
Gef liigel oder ein Schaf hinter oder iiber der Grube auf einer kleinen Plattform an, 
um so den Wolf in die Falle zu locken. In groBeren Anlagen wurden mehrere 
Wolfsgruben kleeblattformig nebeneinander angelegt und das Beutetier im Zen- 
trum plaziert. 

Als Alternative oder Erganzung zu Wolfsgruben dienten sogenannte Wolfsgar- 
ten, die besonders dann vorteilhaft waren, wenn groBere Wolfspopulationen in 
diinner besiedelten Gebieten bekampft werden sollten und umfangreiche Unter- 
tanenaufgebote fur Treibjagden nicht verfiigbar waren. In den groBen Waldgebie- 
ten von Harz, Soiling und Elm bestanden im 17. Jahrhundert mindestens ein Dut- 
zend Wolfsgarten unterschiedlicher GroBe. 21 Dabei wurden Areale mit bis zu ei- 
ner Viertelmeile im Quadrat durch Planken eingezaunt, in die die Wolfe durch 
Luder, also verendetes Vieh wie Kiihe und Pferde, gelockt und dort in Gruben ge- 
fangen oder direkt durch das Jagdpersonal erschossen wurden. Die erfolgreiche 
Jagd erforderte nicht nur eine komplizierte Logistik im Wolfsgarten selber, wo 
mehrere Jager auf getarnten Beobachtungsposten saBen, iiber Seilsysteme sich ge- 
genseitig Signale gaben und Tiiren bedienten, die ein Entrinnen der Wolfe verhin- 
derten oder die Eingange mit Netzen verhangten, 22 sie bedurfte auch der steten 
Zufuhr von Aas, zu dessen Lieferung die Abdecker, aber auch die Bevolkerung der 
umliegenden Gemeinden verpflichtet wurden. 23 Es handelte sich um eine zwar 
effektive, aber wenig prestigetrachtige Art der Wolfsbekampfung, wie Ludwig 
Stumpf, Jager im Soiling, der einen Wolfsgarten betreute und Uberlegungen an- 
stellte, wie die Anlagen verbessert werden konnten, 1629 beklagte: Wen[n] ich so 
ein allgemeine Miff und verfolg zu dem Wolff hette, als zum rotten und schwartzen Wild- 
prdtt [...], es kondte kein Wolff ufflauf en, es wirden darnach trachten, geistliche so wol als 
weltliche, mit dem Wolff aber werde ich ganz hilfflos gelassen. 24 



21 Vgl. Schraube (wie Anm. 15), S. 366. Fur Ostfriesland (Neubau einer Wolfsfalle im 
Egelser Forst, 1732) vgl. STAu Rep. 4 A II f, 113. - Auch im 19. Jh. besann man sich noch auf 
diese Art der Wolfsbekampfung" und plante erneut kleinere Anlagen. Vgl. HStAH Hann. 74 
Isenhagen Nr. 511. 

22 Eine detaillierte Beschreibung iiber Aufbau und Betrieb der Wolfsgarten gibt Zedler, 
(wie Anm. 10), Sp. 1279-1284. 

23 Vgl. HStAH Cal. Br. 23 Nr. 390 (Aufforderung an die Dorfer des Amtes Moringen so- 
wie die Stadte Moringen, Hardegsen und Dassel, verstorbenes Vieh zu liefern und die Be 
schwerden dagegen). 

24 HStAH Cal. Br. 23 Nr. 390 Bl. 5. 



78 Gerd van den Heuvel 

Die einfachere Variante bestand in der Anlage von Wolfsdsungen, Platzen an de- 
ren verstorbenes Vieh abgelegt wurde, um Wolfe anzulocken, die dann von 
Schiefehiitten aus erlegt wurden. Wolfsgarten und SchieBhiitten hatten besondere 
Bedeutung im DreiBigjahrigen Krieg, als Treibjagden durch die Kriegsereignisse 
erschwert oderunmoglich waren. 25 Die groBeren Wolfsgarten wurden noch lange 
dariiber hinaus betrieben. Henning Georg Behrens berichtet in seiner Hercynia 
Curiosa von 1703, dass allein im Jahre 1702 im Wolfsgarten zu Stiege im Harz 24 
Wolfe gefangen worden seien. 26 Diese Tiere wurden je nach Bedarf gleich getotet 
oder lebendig in die Residenzen geschafft, wo sie anlaBlich sogenannter Lustjag- 
den, oftmals zusammen mit anderen wilden Tieren, in eingezaunten Arealen, 
SchloBhofen oder ahnlichen Anlagen durch Hunde gehetzt und zu Tode gebissen 
oder von denjagdgesellschaften erschossen wurden. 27 Ein solches Spektakel wur- 
de beispielsweise anlaBlich derHochzeit Kaiser Leopolds I. mit Margarete There- 
sia von Spanien im Dezember 1666 in Wien veranstaltet, wo vier grosse Baren und et- 
liche Wdlffe [. . .] mit Hunden gehdtzt wurden, nachdem zuvor 70 Hirsche und zahl- 
reiche Gemsen abgeschlachtet worden waren und sich die Cavalliere eine ziemliche 
Zeit mit dem Fuchsprellen erlustigt hatten. 28 

III. 

In welcher Form die Ausrottung der Wolfe auch immer betrieben wurde, die Jagd 
auf den Wolf zahlte zu den von Veit Ludwig von Seckendorff beschriebenen 
Kernaufgaben des Teutschen Fiirstenstaats 29 und diente als demonstratives Exem- 
pel fur den gemeinen Nutz, 30 mit dem der Fiirst seine Herrschaft legitimierte, in- 



25 Vgl. z. B. den Befehl Herzog Friedrich Ulrichs an alle Forster und Amtsuntertanen am 
Soiling vom 26. Oktober 1628, Luderund Aas auf die Wulffs schiefehiitten zu bringen, weilen bei 
izigern leidigen Krieges [. . .] keine Wulffsjagdten angestelt und solche Raubthiere aufegereutet werden 
konnen. HStAH Cal. Br. 23 Nr. 387. 

26 Henning Georg Behrens, Hercynia curiosa oder Curioser Hartz-Wald, Nordhausen 
1703, Neuausg. ebd. 1899, S. 168-170. 

27 Vgl. zu dieser Art der Tierqualerei Stephan Oettermann, Vor seinem Lowengarten, 
das Kampfspiel zu erwarten. Tierhetzen im 17. und 18. Jahrhundert, in: Journal fur Geschich- 
te, 4, 1982, Heft 6, S. 28 u. 41-47, sowie Dietrich Stahl, Wild, lebendige Umwelt. Probleme 
von Jagd, Tierschutz und Okologie geschichtlich dargestellt und dokumentiert, Freiburg/ 
Munchen 1979, S. 76-79. 

28 Vgl. Theatrum Europaeum, 10, 1677, S. 197. 

29 Endlich mufe er [der furstliche Jagermeister] auch auf die Abschaffung der Raub-Thier wol 
bedacht seyn, die Wolffs- Gruben, und dergleichen Mittel, damit man siefanget, in gutem Wesen und Be- 
stellung erhalten, die Wolffs-Jagten zu rechter Zeit anstellen, und mit alien Benachbarten deswegen gute 
Vergleichung treffen und halten, auffdafe den schddlichen Thieren an vielen Orten zugleich nachgestel- 
let, und sie desto eher uberwaltiget werden. Vgl. Veit Ludwig von Seckendorff, Teutscher Fiir- 
stenstaat, 5. Aufl., Frankfurt a. M. 1678, S. 416. 



Die Ausrottung eines „gefahrlichen Untiers" 79 

dem er Schaden vom Land und den armen leuthen abwandte. Der Fiirst profilierte 
sich mit der Wolfsjagd als Beschiitzer seiner Untertanen 31 und rechtfertigte damit 
die Inanspruchnahme ihrer Dienste, weil, wie dem Rat zu Dassel am Soiling 1629 
beschieden wurde, als er sich iiber die Belastungen durch die Wolfsjagd be- 
schwerte, dies dem Algemeinen nutzen zum besten zureichen thut, Ihnen, auch einem jeden 
privato auch setter zum hochsten daran gelegen ist, und solch ungezieffer bei zeitten soviel 
immer miiglich auJS dem wege gereumet werde. 32 Mit der Wolfsjagd demonstrierte die 
Landesherrschaft die Interessenidentitat von Fiirst und Untertan in der Bekamp- 
fung eines gemeinsamen Gegners, der gleichermaBen die fiirstliche Wildbahn 
wie das Vieh des Bauern bedrohte. Dass die Bauern letztlich die Kosten allein zu 
tragen hatten und sie mit der Vernichtung der Wolfe auch dem Wunsch des Lan- 
desherrn nach Vermehrung des Rot- und Schwarzwilds in der fiirstlichen Wild- 
bahn Vorschub leisteten, das letztlich dann ungestraft ihre Felder heimsuchte, 
kam dabei nicht zur Sprache. Jede Form der Selbsthilfe gegen das Wild wurde als 
VerstoB gegen das fiirstliche Jagdregal angesehen und als Wilderei geahndet. 
Den Bauern warderGebrauch von SchuBwaffen gegen die Wildplage untersagt 33 
und sie waren gezwungen, ihren Hunden Kniippel oder Ketten anzulegen, 34 um 
sie alsjagdhunde unbrauchbar zu machen. 

Der Aufwand, mit dem die staatlich organisierte Wolfsjagd betrieben wurde, 
ging weit iiber das hinaus, was einzelne Bauern oder Gemeinden gegen das Raub- 



30 Zu diesem Zentralbegriff der Legitimation von Herrschaft in der friihen Neuzeit vgl. 
Winfried Schulze, Deutsche Geschichte im 16. Jahrhundert, Frankfurt a. M. 1987, S. 222-226. 

31 Die zeigt gerade fur die Wolfsjagd anhand von Akten des Reichskammergerichts 
Nordschwabens auch Alexander Schunka, Soziales Wissen und dorfliche Welt. Herrschaft, 
Jagd und Naturwahrnehmung in Zeugenaussagen des Reichskammergerichts aus Nord- 

schwaben (16.-17. Jahrhundert), Frankfurt a. M. u. a. 2000, S. 159-163. 

32 Antwort der Regierung vom 7. Dezember 1629 auf eine Beschwerde des Rates zu Das- 
sel vom 2. Dezember, nicht wider alt herkommen beschweret zu werden (HStAH Cal. Br. 23 Nr. 
390 Bl. 10). 

33 Diese Bestimmung beinhaltete im 17. Jh. noch kein generelles Waffenverbot. Die Auf- 
forderung zur Wolfsjagd im Fiirstentum Wolfenbuttel vom 5. Februar 1614 lautete, die Unter- 
tanen sollten mit Trummelern und buchsen erscheinen (StAWf 2 Alt 6310 Bl. 12), an die Vogte 
des Amtes Burgdorf ging 1628 der Befehl, sie sollten diejenigen aufbieten, so sich des schiejiens 
gebrauchen kbnnen, mit den Buchsen den Wulffen nachtrachten, (HStAH Celle Br. 61a Nr. 2529), im 
Fiirstentum Celle, Amt Ahlden, wurden die Bauern im Februar 1647 aufgefordert, Nachtbar 
bei Nachtbar zu angestelter Wolfsiagt, mit gehbrigem gewehr [. . .] 2 stunden vor tage sich [. . .] 
an[zu]finden (HStAH Hann. 78 Nr. 617 I), und noch 1653 wird anlaBlich einer Wolfsjagd in 
der Grafschaft Oldenburg von amtlicher Seite kritisiert, die Untertanen der Vogtei Wester- 
burg hatten ihr Gewehr [. . .] gantzzu Haufi vergefien (StAOl Best. 20 Tit. 14 Nr. 23 Bl. 101). 

34 Edict wegen des ungebuhrlichen WildschieJSens, und dafi die Bauren ihren Hunden Kniittel an- 
hdngen sollen (24. Mai 1645; Landes-Ordnungen (wie Anm. 41), Cap. VIII Nr. 50, S. 154f.); 
Cammer-Ausschreiben, daJS die Unterthanen auf dem Lande ihren Hunden an statt Kniittel, wie dabevor 
verordnet gewesen, kiinftig eiserne Ketteln anbinden sollen (24. August 1690; ebd. Nr. 52, S. 157f.) 



80 Gerd van den Heuvel 

tier unternehmen konnten und vor allem unternehmen durften. Das Aufstellen 
von Fallen und Schlingen, das Auslegen vergifteter Koder, die Einrichtung von 
Wolfsangeln 35 oder das Ausheben von Wolfsgruben konnte noch von bauerlichen 
Gemeinden bewerkstelligt werden, die herrschaftliche Jagd auf den Wolf, bei der 
die erwachsenen Manner eines oder mehrerer Amter aufgeboten wurden, spreng- 
te diesen Rahmen bei weitem. Der Landesherr nahm dabei nicht nur die Dienste 
seiner Amtsuntertanen in Anspruch, er griff auch massiv in die Reservatrechte der 
adligen Grundherrschaften und der Stadte ein. Bis in die zweite Halfte des 17. Jahr- 
hunderts fand ein zahes Ringen mit dem landsassigen Adel um die Teilnahme der 
Hintersassen an den Wolfsjagden statt, bei dem sich schlieBlich - zumindest dem 
Prinzip nach - der Landesherr mit dem unablassig wiederholten Argument durch- 
setzte, dass diejunckernleute [. . .] sowollalf unser eigene leute sonderlich auffwolffe jagt 
zu erscheinen hatten 36 und dass in der gleichen fallen keinervon unsern unterthanen dem 
herkommen nach sich mitfuge [ausschlieBen] kan, da solche Wulfsjagt zu auferottung der 
schddtlichen Thiere [. . .] dem gemeinen nutzen [. . .] gereicht. 37 So wurde auch im Streit 
mit derStadt Winsena. d. Luhe, ob diese verpflichtet sei, Hundebrot fur die fiirstli- 
che Jagdmeute bereitzustellen, dies 1643 fur normale Jagden auf Wildschweine 
und Hirsche verneint, fur die Wolfsjagd aber von den landesherrlichen Beamten 
eingefordert, weil es eingemein durchgehend wergk ist und der Wolff so baldt des Burgers 
alj& des Bauern Viehe beifet. 3S Die Regierung scharfte den Lokalbeamten nochmals 
ein, dass niemandt befuget [sei], seine Leutte von diesem algemeinen durchgehenden werck 
zu eximiren. 39 Im gleichen Tenor wurde 1646 eine Supplik der Einwohner von Liib- 
ben im Amt Knesebeck, sie von der Wolfsjagd freizustellen, beantwortet: Dieweill 
die supplicanten in unsern Landen wohnen, und unsre Unterthanen sein, so haben sie sich 
eben so wenigalf ander, zumahl aber der Wolffsjagten, dielhnen eben sowollals andern zum 
besten angesehen [. . .] zu entziehen. [. . .] zu andern nicht hergebrachtenjagtdiensten [. . .] 
siezu ndtigensindwir nicht gemeinet. 40 Dienste bei Wolfsjagden, so stellten noch meh- 



35 Wolfsangeln waren verdrahtete, mit Eisenstaben und Widerhaken bewehrte Fallen. 
Sie wurden mit Kodern versehen an Baumen aufgehangt und schnappten mit Federkraft zu, 
wenn der Wolf nach dem Koder sprang. Vgl. Jager (wie Anm. 11), S. 139 und Lutz Kruger, 
„Sonder Zweiffel das schadlichste Raub-Thier", in: Heimat-Kalenderfur Stadt und Kreis Uel- 
zen 1995, Uelzen 1995, S. 57-74, hier S. 62. 

36 Herzog Christian Ludwig an den Amtmann zu Medingen, 25. Mai 1661 (HStAH 
Hann. 74 Medingen Nr. 3269). 

37 StAWf 8 Alt Gand. Nr. 539 Bl. 8; desgl. 2 Alt 6310 Bl. 35: Befehl an Ambtmann zu Gan- 
dersheim wegen der ambtsunterthanen so sich der Wulffsjagt zu entziehen vermeinen, 4. Februar 1647, 
betr. Untertanen, die zu der angeordneten Wulfsjagt hiilffe zu thun sich verweigern und darinn son 
ihren gutshern vertreten und gesterket werden wollen. Zu ahnlichen Fallen in Schaumburg-Lippe 
vgl. Bei der Wieden (wie Anm. 14), S. 102. 

38 HStAH Celle Br. 64 Nr. 10, 22. Marz 1643. 

39 Vgl. ebd., 11. Oktober 1643 an die Beamten in Winsen. 



Die Ausrottung eines „gefahrlichen Untiers" 81 

rere Verordnungen in den welfischen Landern im Laufe des 17. Jahrhunderts klar, 
gehorten zur allgemeinen Landfolge; zur Teilnahme waren auch die Ausschosser, 
die von anderen Jagddiensten befreiten Angehorigen der Landmiliz, verpflich- 
tet. 41 Ein Privileg, mit dem Graf Ernst von Schaumburg-Lippe 1605 die Biirger von 
Sachsenhagen von Jagddiensten freistellte, nahm die Wolffs Jagt, dazu das gantze 
landt mufi heljfen, von diesem Vorrecht ausdriicklich aus. 42 

Umfassender noch als beim fiirstlichenjagdregal auf Rot- und Schwarzwild de- 
monstrierte der Landesherr gegeniiber dem landstandischen Adel mit der Wolfs- 
jagd seinen Monopolanspruch auf diejagddienste der Untertanen. Als gegen En- 
de des DreiBigjahrigen Krieges im Winter 1647 die Wolfsplage im Fiirstentum Lii- 
neburg iiberhand nahm, die Wolfe, so die Berichte der Amtmanner, in Rudeln von 
20 bis 30 Tieren durch die Dorferzogen und in die Viehstalle einbrachen, 43 ja so- 
gar Menschen attackierten und verletzten, griffen die Lokalbeamten der Amter 
Biitlingen, Bleckede und Liine unter Fiihrung des Abtes von St. Michael in Liine- 
burg zur Selbsthilfe. Im Abstand von wenigen Tagen wurden unter Aufbietung 



40 Ebd., 30. November 1646. 

41 Chur-Braunschweig-Liineburgische Landesordnungen Zellischen Theils, Teil 4, Liine- 
burg 1744, Cap. IX Nr. 15 (Fiirstl. Resolution und Landtagsabschied vom 20. Juli 1695), S. 58, 
60; ebd., Cap. IX Nr. 2 S. 15 (Fiirstl. Resolution und Landtagsabschied [. . .] in specie dem 
Dannenbergischen Adel ertheilet vom 28. April 1682); ebd., Teil 4, Cap. VIII, Nr. LIV, S. 
161f. (Cammer-Ausschreiben, wie bey denen Jagd-Folgen keiner vor den andern praegraviret 
werden soil, insonderheit auch was die Gutsherrlichen Leute betrift, 15. Februar 1696); 
Chur-Braunschweig-Liineburgische Landesordnungen [. . .] Calenbergischen Theils, Teil 3, 
Gottingen 1740, Nr. LXIII, S. 203-205 (Edict, wegen Befreyung der Ausschosser, 23. Juni 
1682). Die allgemeine Verpflichtung zu Wolfsjagddiensten fand im 18. Jh. Eingang in die 
jagdrechtliche Literatur: Zu denen Jagd-Frohnen gehbren ferners die Wolffs-Jagden, worzu die Bau- 
ren, und an einigen Orten auch die Burger, mit aufgebotten werden, und darzu mehrers als zu andern 

Jagd-Diensten verbunden seyn; so dajS, wann etwa die Unterthanen eines Edelmanns [. . .] zu denen 
Jagd-Frohnen ansonsten nicht obligirt waren, sie dannoch der Wolffs-Jagd, welche der Landes-Herr, oder 
dessen Bediente anstellen, ohnumgdnglich beywohnen miissen. Vgl. Johannjodocus Beck, Tractatus 
de Jurisdictione Forestali. Von der Forstlichen Obrigkeit, Forst-Gerechtigkeit und Wildbann, 
3. Aufl., Frankfurt/Leipzig 1748, S. 312. 

42 Vgl. Bei der Wieden (wie Anm. 14), S. 104. 

43 Vgl. HStAH Celle Br. 64 Nr. 10. Die hier geschilderte ungewohnliche GroBe der Ru 
del (in der Regel gehen Biologen fur mitteleuropaische Bestande von max. 6-8 Tieren aus) 
mag iibertrieben sein, die hohe Wolfsdichte in unmittelbarer Umgebung menschlicher Sied- 
lungen wahrend des DreiBigjahrigen Krieges wird z. B. aber auch durch die Chronik des 
wendlandischen Dorfschulzen Johann Parum Schulze bestatigt: Zu anno 1630, 40 bis 50zig 
sindt so viel Wolffe zu Winter Zeit im zwblften, wenn sie gerantzet, zusammen gekommen des Nachts, 
das wenn Einer des Morgens auf den Gang oder Wahlstette gekommen, so ist der Schnee ganz zertretten 
gewesen, alsz wann Einer eine Heerde Schaaffe alda gegangen hetten. Reinhold Olesch (Hrsg.) , Fon- 
tes linguae dravaeno-polabicae minores et Chronica venedicaj. P. Schultzii, Ktiln, Graz 1967, 
S. 143. 



82 Gerd van den Heuvel 

von Amtsuntertanen und mit Hilfe der Jagdmeute des Abtes im Grenzgebiet der 
Fiirstentiimer Liineburg und Wolfenbiittel drei Wolfsjagden durchgefiihrt, bei de- 
nen 14 Wolfe erlegt und drei weitere so angeschossen wurden, dass Bauern sie 
spater tot auffanden. Die unmittelbare Gefahrenabwehr, zu der die Lokalbeam- 
ten beigetragen hatten, fiihrte im Friihjahr 1647 zu einer weitlaufigen Untersu- 
chung, in deren Verlauf der Celler Herzog Friedrich nachdriicklich klarstellte, 
dass er allein berechtigt sei, diese Jagden zu veranlassen, weil Wir UnJS nicht erin- 
nern, dafi in Unsern Landen vonjemandten anders ah von Unsern Ldblichen Vorfahren und 
Uns iemals einige Wolffs Jagten angestellet worden, oder auch dieselbenjemanden anderzu 
halt en gebure. u 

Diese Auffassung entsprach kaum der Realitat im DreiBigjahrigen Krieg, hatte 
doch das Fiirstentum Liineburg in einem Edikt von 1637 gegen Wilddiebstahl die 
Jagd auf den Wolf ausdriicklich vom Jagdverbot ausgenommen und einem jeden er- 
laubt [. . .] Wolfe zu schiessen. 45 Nach dem Ende der Kriegshandlungen und dem 
langsamen Wiederaufbau einer funktionierenden Verwaltung zog die Landes- 
herrschaft jedoch schon bald die Wolfsjagd, wie die hohejagd insgesamt, in ihren 
exklusiven Zustandigkeitsbereich. Jede Eigeninitiative von Seiten der Landge- 
meinden, durch selbst organisierte Jagden schneller auf akute Attacken zu reagie- 
ren und der Wolfsplage Herr zu werden, standen stets unter dem Verdacht, die 
Wolfsjagd nur als Vorwand fur Wilddiebstahl zu benutzen. Als 1655 die Einwoh- 
ner der Grafschaft Diepholz selbst Wolfsgarne anschafften und zusammen mit lo- 
kalen Amtstragern Wolfsjagden veranstalteten, wurden die Netze vom landes- 
herrlichen Oberforster konfisziert, weil angeblich weniger Wolfe als Rehe erlegt 
worden seien. Die Petition Sembtlicher in der Grafschafft Eingesefeenen, ihnen diejagd 
als akute NotmaBnahme zu erlauben, weil allein im Sommer 1655 mehr als 1.000 
Rtl. Schaden an Kiihen und anderem Vieh durch Wolfe entstanden sei, 46 wurde 
trotz der logistischen Schwierigkeiten, in diesem abgelegenen Teil des Herr- 
schaftsgebietes Jagden zu organisieren, von furstlicher Seite abgelehnt. 47 

Der staatliche Monopolanspruch setzte seit der Mitte des 17. Jahrhunderts eine 
ganze Reihe von VerwaltungsmaBnahmen und Abgabenforderungen in Gang, die 



44 HStAH Celle Br. 64 Nr. 10, 29. Marz 1647. 

45 Vgl. Landesordmmgen Zellischen Theils (wie Anm. 41), Cap. VIII Nr. 49, S. 152f. 

46 HStAH Hann. 74 Diepholz Nr. 485. Die Klage iiber exorbitante Schaden durch Wolfe 
geht einher mit der Bitte um moderation der schweren contribution. Solche Versuche von Seiten 
der Bauern, die Steuerlast durch den Verweis auf Viehschaden durch Wolfe zu reduzieren, 
weist fur Schleswig-Holstein auch Martin Rheinheimer, Wolf und Werwolfglaube. Die Aus- 
rottung der Wolfe in Schleswig-Holstein, in: Historische Anthropologie, 2, 1994, S. 399-422, 
hier S. 402-404, nach. Die geltend gemachten Schaden entsprachen dort ziemlich exakt den 
Steuerschulden. 

47 HStAH Hann. 74 Diepholz Nr. 484, 10. Oktober 1655. 



Die Ausrottung eines „gefahrlichen Untiers" 83 

den Regelungseifer friihneuzeitlicher Territorialherrschaft ebenso deutlich wer- 
den lassen, wie die Unzulanglichkeiten bei der Umsetzung der MaBnahmen und 
den zahen Widerstand der von diesen Reglementierungen betroffenen Bauern. 

Dass die Wolfe durch ihre ungestorte Vermehrung in Kriegszeiten zum Problem 
geworden waren, steht auBer Zweifel; dafiir sprechen neben den Aussagen der 
Zeitgenossen 48 schon die AbschuBzahlen: mehrals 250 alte und mehr als 450 jun- 
ge Wolfe wurden allein im Fiirstentum Celle in denjahren 1642-47 bei offiziellen, 
von der landesherrlichen Jagerschaft durchgefiihrten Streifjagden totgeschlagen 
oder erschossen. 49 Berichte, dass 1648 im Amt Tostedt unter den Augen eines Hir- 
ten 3 Wolfe eine Ochsenherde anfielen, 7Tiere verletzten und eines an den Folgen 
der Attacke verendete, und dass in derselben Gegend kurze Zeit spater 3 Pferde, 2 
Rinder und 15 Kiihe durch Wolfe zu Schaden kamen 50 oder 1647 im Amt Harburg 
einer Frau, die morgens zu einem Nachbarn zum Backen gehen wollte, der Wolff 
[. . .] nach der Kehle gesprungen, welchen sie beim Fuefi gehalten und so lange, bif> derMan 
alf> er das Schreyengehort aufen Bette gesprungen, den Wolff in die Arme gefajiet und so lange 
gehalten, bif> das gesinde z.u gelauffen und mit Forcken ihn erstochen, machen deutlich, 
dass die Angst vor dem Wolf nicht nur eine Chimare war. 51 Die direkte Bedrohung 
fiir Leib und Leben der Menschen blieb zwar die Ausnahme, begriindet war aller- 
dings die Angst vor Viehverlusten, die kleinere Bauern in Existenznote stiirzen 



48 Vgl. z. B. den Bericht des Amtmanns zu Ahlden vom 15. September 1629, dass die 
Wulffe [. . .] den unterthanen an ihrem viehe grofien schaden zufuegen und da dahinn nicht vor Zeiten 
vorgekehret, werden die Leute von ihrem noch habenden Viehe nicht viel uhrig behalten, nachdemahl die 
Wulffe bei hellem tage das viehe wegk nehmen und verzehren. (HStAH Celle Br. 61a Nr. 38 Bl. 1). 
Die Vernachlassigung der Wolfsjagden durch die Kriegsereignisse und der Beginn einer ge- 
zielten Ausrottung nach 1648 ist z. B. auch fiir den Spessart zu verzeichnen; vgl. Heinz Stau- 
dinger, Vom Wolfsjagen im Kurmainzer Spessart, in: Aschaffenburger Jahrbuch, 19, 1997, 
S. 55-83, hier S. 57. 

49 Vgl. HStAH Hann. 78 Nr. 6171 (Nachrichten von angestelleten grofienjagden und dem dar- 
auf gefangenen Wilde) . Hinzu kamen Tiere, die auBerhalb der Jagden getotet wurden; allein im 

Jahre 1642 listet diejagdbehorde 38 alte und 125 junge Wolfe auf, die beim Oberjagermeister 
in Celle abgeliefert wurden (vgl. ebd.) . 

50 HStAH Hann. 74 Tostedt Nr. 170, 23. Juli 1648. Vgl. auch HStAH Hild. Br. 1 Nr. 
10790 Bl. 30 (im Amt Peine werden im Mai 1652 in kurzer Zeit 6 Kiihe von Wolfen getotet). 
Die Viehverluste scheinen in Niedersachsen jedoch bei weitem nicht das AusmaB wie in den 
ostpreuBischen Gebieten erreicht zu haben; vgl. dazu Friedrich Mager, Wildbahn undjagd 
AltpreuBens, Neudamm/Berlin 1941, S. 217-221. 

51 HStAH Celle Br. 64 Nr. 10, 31. Marz 1647. Allerdings muB die Schilderung in ihrer 
Dramatik auch mit einiger Skepsis betrachtet werden, diente dieser Bericht dem Amtmann zu 
Liine doch dazu, sich mit dem Argument der unmittelbaren Gefahrenabwehr fiir eine eigen- 
machtig durchgefiihrte Wolfsjagd zu rechtfertigen, die er zusammen mit dem Abt des Klo- 
sters Liine unternommen hatte, der wegen seiner Jagdrechte schon seit langerer Zeit mit der 
Landesherrschaft im Streit lag (vgl. HStAH Celle Br. 64 Nr. 10 und Klaus Gotke, Als die Ja- 
ger noch Treiber waren, in: Heimatkalender Uelzen 1996, S. 131-138, hier S. 133f.) . 



84 Gerd van den Heuvel 

konnten. Steuemachlasse wegen Wolfsschaden waren im 17. Jahrhundert selten; 
erst im 19. Jahrhundert wurden von staatlicher Seite Ausgleichszahlungen gelei- 
stet. 52 Fiir die Existenz menschenfressender, moglicherweise mit Tollwut infizier- 
ter Tiere, wie sie im 15. Jahrhundert um Paris und sogar in der Stadt selbst auftra- 
ten, 53 oder im 18. Jahrhundert den Siidwesten des franzosischen Zentralmassivs in 
Angst und Schrecken versetzten, wo zwischen 1764 und 1767 der sogenannten Be- 
stie vom Gevaudan 101 Menschen zum Opfer fielen, 54 gibt es allerdings in unse- 
rem Raum keine vergleichbaren Beispiele. Wenn Menschenverluste im Zusam- 
menhang mit Wolfen in den Akten auftauchen, handelte es sich in der Regel um 
Jagdunfalle, die von Menschen verursacht waren. ss 

AnlaB fiir staatliche MaBnahmen war also gegeben und sie wurden von bauerli- 
cher Seite auch gefordert. 56 Mit besonderer Akribie widmeten sich nach 1648 als 
passioniertejager die Herzoge Christian Ludwig in Celle 57 und Georg Wilhelm in 
Hannover 58 derjagd auf Wolfe, zumal diese nicht allein steuerzahlende Unterta- 
nen schadigten, sondern auch die fiirstlichenjagdreviere heimsuchten 59 und da- 
mit den Wildbestand dezimierten, iiber den der Landesherr durch das Exklusiv- 
recht der hohenjagd die alleinige Verfiigungsgewalt beanspruchte 60 und dessen 
Bejagung gerade in derzweiten Halfte des 17. Jahrhunderts zu den prestigetrach- 
tigsten Vorrechten fiirstlicher Herrschaftsreprasentation zahlte. Entsprechend 



52 Vgl. unten S. 95. 

53 Vgl. Bernard (wie Anm. 11), S. 32-35. 

54 Vgl. ebd., S. 35-42; Delort (wie Anm. 11), S. 269-273, u. Richard H. Thompson, Wolf- 
hunting in France in the reign of Louis XV The Beast of the Gevaudan, Lewiston/Queen- 
ston/Lampeter 1992. 

55 Vgl. z. B. HStAH Hann. 74 Isenhagen Nr. 465 (Tod einesjungen durch SchuBverlet- 
zung) und ebd., Hann. 78 Nr. 694: Bericht iiber eine 1826 durchgefiihrte Treibjagd auf einen 
Wolf, bei der auf Hasen, Fiichse und Birkhiihner geschossen wurde, wobei leider 4 Treiber mehr 
oder weniger (jedoch hoffentlich nicht gefdhrlich) mit grobem Hagel verwundet wurden. - Fiir die 
mehrfach in heimatkundlichen Arbeiten kolportierte Meldung, dass „Anfang des 18. Jahr- 
hunderts bei Menslage [Amt Fiirstenau, Hochstift Osnabriick] ein Madchen auf dem Kirch- 
gang von Wolfen zerrissen" wurde (vgl. z. B. Friedrich RiTTER,Jagd in Niedersachsen - einst 
undjetzt, in: NiedersachsischerJager, 34, 1989, S. 403), steht der Quellennachweis noch aus. 

56 Vgl. z. B. StAOs Rep. 100 Abschn. 117 Nr. 6: Bitte der Vogte von Wittlage (1679) und 
Merzen (1695) im Namen der Untertanen, etwas gegen das Unthierzu unternehmen. 

57 Vgl. Christine van den Heuvel, Christian Ludwig - Herzog von Braunschweig und Lii- 
neburg (1622-1665): Regierung und Hof, in: Brigitte Streich (Hrsg.), Stadt - Land - SchloB. 
Celle als Residenz, Bielefeld 2000, S. 87-95; Dies.: Die fiirstlichejagd, in: ebd., S. 163-168. 

58 Vgl. Georg Schnath, Der letzte Heideherzog, in: Niedersachsen, 38, 1933, S. 163-171. 

59 Zu den erheblichen Wildverlusten, die z. B. noch 1713/14 fiir den wolfenbiittelschen 
Teil des Harzes gemeldet wurden (mehr als 250 Stuck Rotwild, 117 Sauen, 91 Rehe) vgl. 
Schraube (wie Anm. 15), S. 367. 

60 Vgl. Gerd van den Heuvel, Adlige Jagd und fiirstliche Souveranitat. Eine Leibniz- 
Denkschrift zur Geschichte des Jagdrechts, in: NdSachsJbLdG, 67, 1995, S. 217-236. 



Die Ausrottung eines „gefahrlichen Untiers" 85 

groB war der Aufwand, mit dem man diesem Wilddieb in Wolfsgestalt zu Leibe 
riickte. 

DerCellerHerzog Christian Ludwig lieB im Mai 1649 ein Rundschreiben an al- 
le Beamten gehen, dafe dieselbe durch die UnterthanenfleifeigeAuffsicht ufdie Wolffe ha- 
ben solten, an w[elchen] drthern sie ihrejungen haben, damitt sothane von ihnen gefangen 
odersonst umbgebracht, undt also durch solche Beraubung derjungen, sie alle gemdhlich aus- 
gerottet werden mogen. 61 Zwecks schnellerer Durchfiihrung der Treibjagden ordnete 
erzudem 1650 an, in den Amtern Wolfsgarne vorratig zu halten, um diejagduten- 
silien nicht jedesmal iiber weite Strecken transportieren zu miissen. 62 Im Fiirsten- 
tum Celle wurden die Netze durch gestaffelte,je nach GroBe derHofstelle bemes- 
sene Umlagen, im Fiirstentum Calenberg-Gottingen unter Georg Wilhelm durch 
Abgaben gemaB dem Viehbesitz finanziert, im Hochstift Hildesheim durch eine 
Abgabe der Schafer. Eine Jagdordnung regelte 1657 im Celler Teil des Herzog- 
tums die Organisation der Wolfsjagden in den Amtern und legte den Strafenkata- 
log fest, mit dem VerstoBe der dienstpflichtigen Bauern geahndet wurden, vom 
Nichterscheinen der Treiber, das mit einem Vi Rt. bestraft wurde iiber das vorzei- 
tige Entfernen von der Jagd ( l /i Rt.) bis zu 2 Rt. fur das Wildern wahrend der 
Wolfsjagd und 3 Rt. fur denjenigen, der durch Unachtsamkeit einen Wolf entwi- 
schen lieB. Mit Geldstrafen und Gefangnis war derjenige bedroht, der sich nicht 
commendiren und straffen lajien wil und sich wiedersetzet oder unnutze wortt gibt. 63 
Gleichzeitig wurden alle Einwohner durch das Ausloben von Pramien dazu ange- 
halten, gesichtete Wolfe umgehend an die Amter zu melden und Jungwolfe aufi- 
[zu\graben und [zu] tddten, damit solch hochschddtliches Thier so viel immer miiglich aufi- 
gerottet werden muege, wie es 1656 in einem erneuten Rundschreiben an die Amter 
hieB. 64 



61 HStAH Harm. 78 Nr. 617 I. 

62 Vgl. HStAH Celle Br. 64 Nr. 10 (Christian Ludwig an die Amter Harburg, Moisburg 
und Winsen) ; desgleichen Herzog Georg Wilhelm fur Calenberg und Gottingen mit gedruck- 
tem Ausschreiben von 1655 (ebd., Hann. 74 Reinhausen C Nr. 345) . Auch im Hochstift Osna- 
briick oblag den Lokalbeamten neben der Aufsicht bei der Jagd die Verwahrung der Wolfs- 
garne; vgl. die von Bischof Franz Wilhelm von Wartenberg 1651 erlassene Vogteordnung, 
§ 13 (Codex Constitutionum Osnabrugensium, T. 1, Osnabriick 1783, S. 523). In Bremen-Ver- 
den hatte nach einer Verordnung von 1699 jeder Eingesessene 2 Pfund Hanf zur Herstellung 
neuer Wolfsgarne abzuliefern; diese Praxis der fallweisen Naturalabgabe wurde auch in han- 
noverscher Zeit im 18. Jahrhundert beibehalten. Vgl. Schraube (wie Anm. 15), S. 341-343 u. 
StASt Rep. 74 Himmelpforten Nr. 1014 (mit Abgabenlisten von 1727, aus denen hervorgeht, 
dass sowohl Hanf als auch Geld eingesammelt wurde). 

63 Puncta bei der Wulfejagt in acht zu nehmen (HStAH Hann. 74 Diepholz Nr. 484). Der im 
Fiirstentum Wolfenbiittel bereits um 1600 aufgestellte Strafenkatalog sah sowohl Zahlungen 
an die landesherrliche Kasse als auch an die Nachbarn vor (vgl. StAWf 8 Alt Schon. Nr. 199) . 

64 HStAH Hann. 74 Tostedt Nr. 170. 



86 Gerd van den Heuvel 

Wahrend die Beschaffung von Wolfsgarnen im welfischen Machtbereich trotz 
zahlreicherEinwande von Seiten des Adels und derBauern im groBen und ganzen 
durchgesetzt werden konnte, stieB diese MaBnahme im Hochstift Hildesheim auf 
erheblichen Widerstand der Stande, die diese neuerungsweise von den Schaaf-Mei- 
stern und Knechten [erhobene Abgabe] unterm Vorwand einiger dafiir verfertigter 
Wolffs- Gam ablehnten, da ohne unser der gesambten Land- Stande Verwilligung keine 
Anlage aufs Land gemachtwerden diirfe. 65 Die starke Stellung der Stande fiihrte auch 
dazu, dass argwohnisch darauf geachtet wurde, dass der Landesherr unter dem 
Vorwand der Wolfsjagd die Hintersassen nicht fur andere Jagddienste in An- 
spruch nahm und die Wolfsjagden nur unter Aufbietung eines moglichst kleinen 
Teils derbauerlichen Bevolkerung durchgefiihrt wurden.Jagergeld und Zehrungs- 
kosten bestritt man teilweise aus der landesherrlichen Kasse. 66 

In den welfischen Landern wurden diejagden dagegen direkt von den Unterta- 
nen finanziert, die neben ihrem Einsatz als Treiber sowie Hand- und Spanndien- 
sten, und iiber die Stellung von Wagen und Pferden zum Transport der Gerat- 
schaften und Wegschaffen derjagdstrecke 67 auch im Umlageverfahren die Kosten 
fur den Neubau von Wolfsgarten 68 und die Tagegelder fur die Jagdbeamten aufzu- 
bringen hatten. In Calenberg-Gottingen erhielten der Oberforster taglich 12 und 
die Forster 6 Mariengroschen, zu zahlen von alien undtjedtwern Unsern, sowoll in den 
adlichen, undt andern Gerichten, alf Unsern Ambtern gesessenen Unterthanen. 69 Die Ge- 
samtsumme dieser Spesen schwankte beispielsweise im Fiirstentum Grubenhagen 
in den 1650er Jahren zwischen 96 und 107 Rt. imjahr, wobei die Belastung fiir die 
einzelnen Amter sehr unterschiedlich ausfiel. 70 

Einen besonderen Anreiz fiir die Erlegung von Wolfen suchte im Jahre 1660 
Herzog Georg Wilhelm in Calenberg und Grubenhagen zu schaffen, nachdem er 
feststellen muBte, dass die Hoffnung sich nicht erfiillt hatte, durch oftmalige kost- 
bahre Wolffsjagten [. . .] die eingeschlichenen Unthiere, die Wolfe auszurotten, sondern 
bemeltes Unthierje langerje mehr zunehme und gleichsamb demjager entgegen wachse. In 



65 HStAH Hild. Br. 1 Nr. 10786 Bl. 3 (in Sachen Gravaminum der Landstdnde, 13. Dezember 
1669). 

66 Ebd., Hild. Br. 1 Nr. 10790. Vgl. zur geringen Bedeutung des „ Jagergeldes" im Hildes- 
heimischen auch Thomas Klingebiel, Ein Stand fiir sich? Lokale Amtstrager in der Fruhen 
Neuzeit, Hannover 2002, S. 321f. 

67 Vgl. z. B. HStAH Hann. 74 Tostedt Nr. 170 (Aufstelhing der erforderlichen Gerat- 
schaften zu einer Wolfsjagd am 18. August 1656). Daraus geht hervor, dass allein von diesem 
Amt 46 Wagen und 93 Pferde (in der Erntezeit) aufgeboten werden sollten. 

68 Vgl. StAWf 8 Alt Gand. Nr. 539 Bl. 34 (Finanzierung eines 1689 fertiggestellten Wolf- 
gartens im Amt Harzburg). Die Abgabe wurde in Relation zurjeweils festgesetzten Kontribu- 
tion erhoben. 

69 Vgl. HStAH Hann. 74 Reinhausen C Nr. 344 (6. Dezember 1650). 

70 Vgl. HStAH Hann. 74 Gottingen Nr. 1088. 



Die Ausrottung eines „gefahrhchen Untiers" 87 

einem Schreiben vom 24. August an die Jagdbediensteten der Amter lobte er des- 
halb fiirjeden getoteten alten Wolf 3 Rt. und fur jeden jungen Wolf 18 Groschen 
aus, wobei die Pramien von den angeblich alleinigen NutznieBem, den Unterta- 
nen der jeweiligen Amter, auf dem Umweg iiber die fiirstliche Kasse bezahlt wer- 
den sollten. 71 Gleichzeitig wurde in Anlehnung an die in Braunschweig-Wolfen- 
biittel geiibte Praxis 72 alien Forstern im Fiirstentum Calenberg auferlegt, wenig- 
stens einen alten Wolf pro Jahr zu schieBen und den Balg abzuliefern; andernfalls 
sollten sie wederihre Besoldung noch ihrDeputat an Naturalleistungen erhalten. 
Dass diese Art von Leistungsanreizen schon bald scheitern muBte, erklart sich aus 
der offenkundigen Tatsache, dass die Wolfe weder zeitlich noch raumlich gleich 
verteilt waren und damit nicht jedem Forstbeamten die Moglichkeit gegeben war, 
der Quotenregelung nachzukommen, die so zu zahllosen Beschwerden AnlaB 
gab. 73 Der Oberforst- und Jagermeister des Amtes Hameln hat, wie man aus Un- 
terstreichungen ersehen kann, das herzogliche Schreiben sehr gewissenhaft 
durchgearbeitet und am Blattrand die ausgelobten Pramien noch einmal sorgfal- 
tig aufgelistet. Die angedrohten Besoldungsstornierungen kommentierte ermit ei- 
nem kleiner gehaltenen Nota bene. 74. 

Die staatlich verordnete Wolfsjagd belastete die Landbevolkerung nicht nur 
durch Jagergelder, Abgaben fur Wolfsgarn und Pramienzahlungen fur erlegte 
Wolfe; mindestens ebenso schwer wogen in den Gebieten mit groBen Wolfsvor- 
kommen fur die bauerliche Wirtschaft personliche Frondienste wahrend derjagd, 
deren Anzahl und Umfang nach 1648 sprunghaft anstieg. Die Aufforderungen zur 
Jagdfolge, die iiber die Amter und Untervogte an die Dorfgemeinden weitergelei- 
tet wurden, hatten nach 1648 Formularcharakter. Auf ernstlichen Befehl des Ober- 
forst- und Jagermeisters, so lautete beispielsweise am 11. November 1659 im Amt 
Reinhausen die Anordnung, wird nachgesetzten Dorffschafften angedeutet, daft die ih- 
nen unten specificierten Manschafften undPferde, uff angestalter Sau- und Wolfsjacht am 



71 Vgl. ebd. Im Fiirstentum Wolfenbiittel hatten die Schafmeister und ihre Knechte 1 Rtl. 
bzw. 18 Mariengroschen pro Jahr als „Wolffanggeldt" abzuliefern. Vgl. STAWf 8 Alt Gand. 
Nr. 539 Bl. 36. Nach dem Prinzip die Kirchspiele miissen es bezahlen, woh die Jagd geschehen und 
welchem dieselbe zugute kommt, wurden auch im Hochstift Osnabriick die bauerlichen Gemein- 
den mit den Pramien fur die erlegten Wolfe und die ubrigen Unkosten belastet. Vgl. Schrau- 
be (wie Anm. 15) , S. 348. Fur die Herzogtiimer Bremen und Verden vgl. StASt Rep. 30 Tit. 23 
Nr. 13 (Bestimmung von 1677, dass bei regularen Wolfsjagden keine Pramien gezahlt werden, 
ansonsten wird die Erlegung eines alten Wolfs mit 5 Rt. belohnt). 

72 Vgl. Schraube (wie Anm. 15), S. 365. 

73 Gleichwohl sind in den Rechnungslegungen der Amter fur einige Jahre einzelne Be 
soldungsabschlage ebenso wie Pramienzahlungen nachweisbar; vgl. Schraube (wie Anm. 
15), S. 310f. 

74 Vgl. HStAH Hann. 74 Hameln Nr. 1499. Gleichlautend auch in Hann. 74 Gottingen 
Nr. 1088. 



88 Gerd van den Heuvel 

Soiling sich ohnauspleiblich einstellen, und zwar die Pferde mil zugehorigem geschir kiinfti- 
genMontagmittag[. . .],dieManschaftaberkunfftigenDienstagkmittags[. . ],ihrerschul- 
digkeit nach sich gebrauchen lafeen und ufvir tage sich mit lebens mittel versehen [...]. Die 
Dauer der Jagd lag in diesem Fall mit 4 Tagen etwas iiber der Norm von durch- 
schnittlich 2-3 Tagen, die MaBgabe, dass die Dienstpflichtigen ihren Proviant 
selbst mitbrachten, war durchgangig iiblich. Der organisatorische Aufwand war 
nicht nur wahrend der eigentlichen Jagd erheblich. Fiir das Fiirstentum Wolfen- 
biittel wurden summarische Listen angefertigt, wie bis zu 3.200 Mann in Klostern, 
Amtshausern und Dorfern rund um diejagdgebiete bei den zumeist mehrtagigen 
Wolfsjagden zur Ubernachtung verteilt werden soil ten. 75 Angesichts der liik- 
kenhaften Uberlieferung der Amtsakten ist es kaum moglich, fiir ein gesamtes Ter- 
ritorium die bauerlichen Belastungen durch die Wolfsjagd zu quantifizieren, fiir 
einige Regionen liefern die Archivalien jedoch ein hinreichend plastisches Bild 
iiber die Zahl derjagden und ihre Frequenz im Laufe des 17. Jahrhunderts. So er- 
ging an die Hintersassen der Familie von Bartensleben im Boldeckerland zwi- 
schen 1622 und 1700 mindestens 106 mal die Aufforderung, dass 2stunde vor Tage, 
Nachtbar bey Nachtbar, und zwar keine Kinder, sondern taugliche persohnen unausbleiblig 
[. . .] erscheinen und die angestelte Wolfsjagt verrichten helffen sollen. 76 Von diesen 106 
Jagden fanden 8 im Zeitraum 1622-1646 statt, der Rest von 98 Wolfsjagden fiel in 
die Zeit 1650-1700. Selbst wenn man iiberproportionale Uberlieferungsliicken fiir 
die friihe Zeit in Rechnung stellt, wird der Anstieg der geforderten Jagddienste 
nach 1648 deutlich und zudem von den Aussagen der Betroffenen bestatigt. Erin- 
nerten sich die Leute, zuvor einmal, hochstens zweimal pro Jahr zu Wolfsjagden 
gerufen word en zu sein, so waren in den 1650erund 1660erjahren vierjagden die 
Norm, 1662 fanden im Boldeckerland sogar acht Wolfsjagden statt, nicht nur im 
Winter, sondern auch wahrend der Erntezeit im August und September. 

Die Griinde fiir diese Zunahme der Jagdaktivitaten sind vielschichtig. Zum ei- 
nen gaben Klagen iiber Viehverluste tatsachlich AnlaB, von staatlicher Seite aktiv 
zu werden und die Wolfsbestande zu dezimieren, zum anderen bestanden handfe- 
ste Interessen, Wolfsjagden auch unabhangig von der Bedrohung durch Wolfe zu 
intensivieren. Die allgemeine Landfolge erlaubte dem Landesherrn den unbe- 
schrankten Zugriff auf die Hintersassen der adligen Gutsbezirke, so dass mit der 
Deklarierung jedweder Jagd als Wolfsjagd gerade jagdbegeisterte Fiirsten wie 
Christian Ludwig oder Georg Wilhelm ihrer Passion im groBtmoglichen Umfang 



75 Vgl. StAWf 8 Alt Schon Nr. 199 Bl. 1-9. 

76 HStAH Harm. 74 Fallersleben Nr. 1528 (2. Mai 1644). Zur Familie von Bartensleben, 
ihren Giitern und ihrem konflikttrachtigen Verhaltnis zur Landesherrschaft vgl. jetzt auch 
Martin Fimpel, Schloss Wolfsburg 1302-1945, in: NdSachsJbLdG, 75, 2003, S. 127-159, hier S. 
135-147. 



Die Ausrottung eines „gefahrrichen Untiers" 89 

nachgehen konnten. Zudem lieB sich mit der Wolfsjagd auch die Schonzeit fur die 
iibrigen Wildtiere iiberbriicken. Hinzu kam, dass durch eine iiberproportionale 
Ausweitung des ,Jagdstaats" innerhalb der Hofhaltung mit entsprechender Stel- 
lenvermehrung bei Forstern und Jagern eine wachsende Zahl von landesherrli- 
chen Beamten mit der Jagd beschaftigt war, die neben der fixen Besoldung eine 
fallweise Vergiitung ihrer Dienste vor Ort erhielten. Was lag naher als dass die Bii- 
rokratie sich ihre eigenen Aufgaben suchte und man durch intensive und haufige 
Bemiihungen, die armen leuthe von einem gefdhrlichen Untier zu befreien, Spesen 
machte und Zehrungsgelder kassierte, die fur die Dauer der Jagd von den Dorfge- 
meinden zu bezahlen waren? 1651 stellte Herzog August d. J. von Braunschweig- 
Wolfenbiittel fest, dass zwar allejahr sonderbahre Wolffes-Jagdten angestellet, damit 
aber wenig Nutzgeschaffet wiirde, weil unverandtwortliche Zehrungskosten hin und wie- 
der uffden Dorffern in den Kriigen [. . .] durch contuirlich.es freJSen undsauffen verursachet 
und dadurch[. . .] die verfolgung solches Unthiers sehr zurucke gesetzet sein soil. 7 '' Vor die- 
sem Hintergrund wird es verstandlich, dass die die Zumutungen der Obrigkeit 
hinsichtlich der Wolfsjagd zwar selten auf offenen, haufig jedoch auf den verdeck- 
ten Widerstand derBetroffenen stieBen und sowohl die Verweigerung derjagdfol- 
ge durch betrachtliche Teile der Dienstpflichtigen als auch der Widerstand gegen 
die finanziellen Forderungen fast zur Regel wurden. So fehlten bei einer Wolfs- 
jagd im Februar 1668 im Amt Reinhausen von ungefahr 150 bestellten Treibern 
80, im Marz desselbenjahres sogar 137 von 200. 78 1698 blieben im Amt Gifhorn 
nicht nur zahlreiche Bauern, sondern auch die fiir die Organisation vor Ort zu- 
standigen Lokalbeamten derjagd fern, ein Abgleich der fiir jede Vogtei gefiihrten 
Jagdrollen mit den tatsachlich Anwesenden wurde kollektiv verweigert. 79 Urn 



77 Vgl. StAWf 2 Alt 6311 Bl. 18. Ahnliche Verhaltensweisen wurden aus dem Hochstift 
Osnabriick gemeldet. Im Winter 1659 nahmen einige Vogte, ein Drost und ein Domdechant 
mitsamt ihrem Personal eine Wolfsjagd zum AnlaB, fiir Speisen, Wein und Bier, die sie in drei 
Tagen und zwei Nachten vertilgt hatten, 42 Rtl. in Rechnung zu stellen, die anschlieBend die 
Untertanen der Amter Furstenau und Vorden zu zahlen hatten. Immerhin fiihrte der massive 
Protest der Betroffenen dazu, dass man bei denen folgenden iarlich angestelt gewesenen Wolffsjagten 
mehrere Kosten nicht machen wollen, sondern ieder Vogt nach geendigter iagt schleunig mit denen Seini- 
gen sich wieder under haufi zu begeben angewiesen warden. (StAOs Rep. 150 Fii Amt Furstenau Nr. 
28 Bl. 42). Zu Auseinandersetzungen iiber die Kosten derjagd und Zehrungskosten in den 
Herzogtiimern Bremen und Verden vgl. auch Schraube (wie Anm. 15), S. 338f. 

78 HStAH Hann. 74 Reinhausen C Nr. 345. 

79 Ebd., Hann. 74 Gifhorn Nr. 2068. Das Schreiben einesjagdbediensteten aus dem Amt 
Meinersen vom Mai 1656 listet die Griinde fiir das Fehlbleiben der Bauern akribisch auf: 36 
Leute fehlten, weil ein Grundherr seine Hintersassen fiir die Jagd an diesem ort nicht freige- 
stellt habe, 25 Bauern erklarten, dass sie Fuhren leisten rmiBten und nicht als Treiber dienen 
konnten, 30 Leute gaben an, dass sie als vereidigte Steuereinnehmer unabkommlich seien, 
die ganze Hausvogtei mit 98 Dienstpflichtigen behauptete, niemals zu Jagddiensten ver- 



90 Gerd van den Heuvel 

den Unmut der Landbevolkerung hinsichtlich der Wolfsjagden zu reduzieren, hat- 
te die Wolfenbiitteler Regierung schon 1580 angeordnet, dassnurDienstpflichtige 
aus der naheren Umgebung und nicht auf 3 oder 4 meill weges dazugenommen wur- 
den, 80 im Hochstift Hildesheim sollten nicht zu der Leuthe hdchsten Beschwer- und 
Verseumung des Ihrigen]a.gAen mit vieler Manschafft angestellet werden, 81 und auch im 
Fiirstentum Celle erging am Ende des 17. Jahrhunderts eine Verordnung, dass die 
Wolfs-Jagden [. . .] durch Unseren Ober-Jdgermeister oder Ober-Forster nicht unnothiger 
Weise angestellet, und also die Leute zur Ungebiir nicht damit beschweret werden sollten. 82 
In ahnlicher Weise suchte die schwedische Regierung der Herzogtiimer Bremen 
und Verden die Wolfsjagden in geordnete Bahnen zu lenken und dem MiBbrauch 
durch diejagdbeamten gegenzusteuern. 83 Ob sich diejagdpraxis anderte, ist nicht 
zu erkennen; eine groBere Akzeptanz der Jagddienste scheint damit jedenfalls 
nicht erreicht worden zu sein. Berichte iiber ausgebliebene Gespanne, zu friih 
nach Hause gegangene Treiber, Wildereien beim Durchkammen der Forsten 84 
etc. tauchen als durchgehende Begleiterscheinungen der Wolfsjagd in den Akten 



pflichtet gewesen zu sein, mindestens 60 Leute in Diensten der Vogte und Untervogte wur- 
den von diesen landesherrlichen Beamten zuriickgehalten, hinzu kamen eine fur denjagd- 
meister nicht genau bezifferbare Anzahl von Hintersassen, die gemeinlich die von Adell zurugk 
[halten], insgesamt sind es mindestens 337 Mann, die vermeinen zu iagten nicht zu erscheinen. 
(HStAH Hann. 78 Nr. 617 I, Fasz. 6, III (Jagdbestellungen), 13. Oktober 1656. Zur Verweige- 
rung von Strafgeldzahlungen vgl. auch HStAH Celle Br. 61a Nr. 1338 (Amt Bodenteich, 
1622), ebd., Nr. 4675 (Wettmershagen, 1648), ebd. Nr. 1450 Bl. 1 (Amt Bodenteich, Oktober 
1663). 

80 StAWf2 Alt 6310 Bl. 4. 

81 HStAH Hild. Br. 1 Nr. 10790 Bl. 20-21 (Extrakt des Landtagsprotikolls vom 13. No- 
vember 1658) 

82 Landesordnungen Zellischen Theils (wie Anm. 41), Teil 4, Nr. 2, S. 15 (1682). 

83 Die Holtz- und Jagdordnung von 1692 bestimmte in § 15: Die gemeinen Wolffs-Jagten 
miissen auch billig hinfuhro nicht nach eigenem Gefallenjeden Orths, sondern damit es ordentlich zuge- 
he, mit des Ober-Jagermeisters oder der Kbnigl. Regierung Vorwissen und Gutachten angestellet, auch 
[. . .] publice abgekiindigt, auch nicht zu allzu unbequemer Zeit, angestellet, sondern denen Leuten, so 
dabey auffwarten miissen, es damit so viel mbglich, zur Bequemlichkeit, und damit sie ihre nbthige 
Feld-Arbeit beobachten konnen, gerichtet werden [. . .]. Vgl. Der Herzogthumer Bremen und VerdenPo- 
licey-, Deich-, Holz- undjagd-0rdnung[. . .]. ImAuszuge, Stade 1829, S. 67. Zu ahnlichen Verord- 
nungen in Schleswig-Holstein vgl. Hubertus Hiller, Untertanen und obrigkeitliche Jagd. Zu 
einem konflikttrachtigen Verhaltnis in Schleswig-Holstein zwischen 1600 und 1848, Neu- 
munster 1992, S. 39. 

84 Bei einer am 5. Mai 1695 angesetzten Wolfsjagd im Amt Fiirstenau, Hochstift Osna- 
briick, wollte der Geheime Rat von Moltke selbst darauf sehen, dafi nicht abermahl wie neulich 
geschehen, anstat der Wolffs- eine Haasenjagt in Ihro Churfiirstl. DM. Geheege angestellet werde. 
(StAOs Rep. 100 Abschn. 117 Nr. 6 Bl. 17). Eine weitlaufige Untersuchung, warum 1661 eine 
Wolfsjagd im nordlichen Osnabriicker Land gescheitert war, brachte zu Tage, dass die Trei- 
berketten so liickenhaft waren, dass gantze Regimenter durch marschiren konnen und ein Teil der 



Die Ausrottung eines „gefahrhchen Untiers" 91 

fast aller Amter und Vogteien auf. Subtilere Formen der Verweigerung erfolgten 
durch Bestechung der Vogte oder des Jagdpersonals, die gegen Zahlung eines 
Obulus das Fernbleiben des Dienstpflichtigen vertuschten. Letzteres fiihrte dazu, 
dass 1696 im Fiirstentum Liineburg die Regierung mit einem gedruckten Rund- 
schreiben an die lokale Beamtenschaft dariiber Auskuft verlangte, ob Beambte, Vog- 
te, Jagere und andereJagt-Bediente einigeLeute und Unterthanen bey haltenden Wolffs-Jag- 
ten von selbigen zuriick- und zu Hause lassen und von ihnen dafiir ein gewisses an Geldeneh- 
men, &5 ein sicheres Zeichen, dass es sich um eine verbreitete Praxis handelte. Und 
im Hochstift OsnabriicklieB Herzog Ernst August 1669 nachfragen, ob Amtsvog- 
ten gestattet worden [sei], einige Unterthanen von den gemeinen Wolfsjagten [. . .] zu eximi- 
ren, undtzu deren privat-diensten oder nutzen zu gebrauchen. 86 Offensiv wehrten sich an 
der Wende vom 17. zum 18. Jahrhundert gegen die Belastung durch Wolfsjagden 
nur die Marschbauern an der Unterelbe, die trotz wiederholter Berichte, dass die 
Wolffe durch die ddrffer gangen sind, nicht bereit waren, als ErbZinJi Leute und Besitzer 
von allodial Giitern neben den iibrigen Lasten, die sie aufdem Halse hatten, auch noch das 
ungewdhnliche onus der Wolfs-Jacht iiber sich zu nehmen. Wolfe seien fur sie kein Pro- 
blem, so gaben sie zu Protokoll, weil ihr Vieh im Sommer auf den AuBenweiden 
vor den Deichen und im Winter in den Stallen sei. Jagddienste zugunsten der von 
Wolfen heimgesuchten Geestbauern zu leisten seien sie nicht bereit, denn der 
Wald, in dem sich die Wolfe aufhielten, sei im Besitz der Geestbauern, sie selber 
miiBten ihr Bau- und Brennholz teuer von diesen kaufen. Wir bitten demnach hiilff 
sehnlich, so schloB die selbstbewuBte Supplik an die Regierung, dem Oberfdrster die 
Macht nicht zu lafeen, dajieruns,seinemplaisirnachsubjugiren nidge; sondern ihm seine un- 
fuge und odieuse Versuchung rechtschaffen vorzuriicken, ihn eines befern zu bedeuten, uns 
krdftiglich zu schutzenF 1 Wenn fur die fiirstliche Jagd in der friihen Neuzeit insge- 
samt festgestellt werden kann, dass sie soziale Rangordnungen und Herrschafts- 
verhaltnisse spiegelte, 88 dann bewiesen die wohlhabenden, auf ihre Freiheiten po- 
chenden Marschbauern in dem Beharren auf der Exemtion und Immunitdt von der 
Jagt und Wolffsjagt 89 dies mit umgekehrtem Vorzeichen. 

Treiber die Jagd [. . .] nicht abgewartet, sondern beim sauffen sich auffgehalten. Vgl. StAOs Rep. 150 
Fii Amt Fiirstenau Nr. 28 Bl. 7. 

85 Vgl. z. B. ein Exemplar in HStAH Hann. 74 Isenhagen Nr. 465, mit der Verneinung 
der Frage durch den Vogt, der aber zu berichten wuBte, dass ein Forster etliche Leute gegen 
Bezahlung freigestellt hatte. 

86 Vgl. StAOs Rep. 150 Fii Amt Fiirstenau Nr. 28 Bl. 66. 

87 HStAH Hann. 74 Harburg Nr. 2158, Eingabe der gesamten Untertanen in den Mars chvog- 
teyen Ower, Bullenhausen und Neuenlande an den Oberhauptmann Georg Friedrich von Spon- 
ken vom 25. Januar 1704. 

88 Hans Wilhelm Eckardt, Herrschaftliche Jagd, bauerliche Not und burgerliche Kritik, 
Gottingen 1976, S. 116ff. 

89 HStAH Hann. 74 Harburg Nr. 2158, Eingabe vom 1. Februar 1704. 



92 Gerd van den Heuvel 

Alle Erscheinungsformen einer latenten Widersetzlichkeit gegen den Zugriff 
der Obrigkeit sind nicht spezifisch fiir die Wolfsjagd und konnen ebenso an der 
Verweigerung von Steuern oder anderen Abgaben und Frondiensten festgemacht 
werden. Sie zeigen aber, dass die Wolfsjagden fiir die Landbevolkerung minde- 
stens in gleichem MaBe wie die zumeist von Historikern starker beachteten gro- 
6en herrschaftlichen Lustjagden auf Rot- und Schwarzwild gerade im 17.Jahrhun- 
dert Alltagsrealitat waren 90 und eine Belastung sowie ein Konfliktpotential dar- 
stellten, die es bei einer adaquaten Beschreibung der landlichen Sozial- und 
Herrschaftsverhaltnisse zu beriicksichtigen gilt. Und auch wenn die nur einge- 
schrankten Erfolge der staatlichen Anstrengungen zur Reglementierung der Un- 
tertanen dazu verleiten konnten, auf einem weiteren Feld die sozialdisziplinieren- 
de Wirkung friihneuzeitlicher Herrschaft 91 geringzu veranschlagen: Zur„demon- 
strativen Selbstdarstellung" staatlicher Ordnungsmacht 92 mit entsprechender 
Wirkung in der Gesellschaft reichte die Pflicht zur Jagdfolge allemal. Allein die 
detaillierte Erfassung der Dienstpflichtigen in den Jagdrollen, die Uberpriifung 
der Anwesenheit bei derjagd und die nicht unerheblichen Strafen bei Verweige- 
rung der Dienstpflicht 93 schufen sowohl gegeniiber den lokalen Amtstragern wie 
gegen die Bevolkerung Instrumente sozialer Kontrolle, denen durchaus eine sozi- 
aldisziplinierende Funktion zugesprochen werden kann, eine Kontrolle, die aller- 
dings erst langsam in einem zahen ProzeB der Herrschaftsdurchdringung in gan- 
zer Breite wirksam wurde, wahrend die Herrschaftsverhaltnisse im 17. Jahrhun- 
dert weit entfernt waren vom ,absolutistischen' Zugriff auf einen einheitlichen 
Untertanenverband. Auf der anderen Seite forderte der Anspruch der Obrigkeit, 
allein den Schutz vor dem gefdhrlichen Untier gewahrleisten und organisieren zu 
konnen, langfristig eine Erwartungshaltung der Untertanen gegeniiber dem Staat, 



90 Die Vermutung von Reinhard OBERSCHELP,Jagd und bauerliche Bevolkerung in den 
Welfenlanden in der fruhen Neuzeit, in: Jahresheft der Albrecht-Thaer-Gesellschaft, 30, 2001, 
S. 74-89, hier S. 75, dass Wolfsjagden schon zu Beginn des 17. Jhs „ein ungewohnliches Ereig- 
nis waren", beruht auf dem auch bei diesem Thema unternommenen Versuch, historische 
Fakten hauptsachlich aus den gedruckten, in der Niedersachsischen Landesbibliothek aufbe- 
wahrten Verordnungen und Ausschreiben zu erschlieBen. 

91 Zu dem von Gerhard Oestreich gepragten Begriff und zu den nachfolgend erhobenen 
Einwanden gegen das Konzept vgl. Winfried Schulze, Gerhard Oestreichs Begriff „Sozial- 
disziplinierung in der Fruhen Neuzeit", in: ZHF, 14, 1987, S. 265-302. 

92 Zu diesem symbolischen Aspekt der Gesetzgebung in der fruhen Neuzeit vgl. Jiirgen 
Schlumbohm, Gesetze, die nicht durchgesetzt werden - ein Strukturmerkmal des friihneu- 
zeitlichen Staates?, in: GG, 23, 1997, S. 647-663. 

93 HStAH Celle Br. 61a Nr. 6587 (Prozessuale Auseinandersetzung um Strafgeldzahlun- 
gen, Amt Winsen 1650ff.); ebd., Hann. 74 Tostedt Nr. 170 (Androhung der Pfandung, 1651) u. 
ebd. (Inhaftierung eines Vogts wegen Ungebuhrbei derjagd, 1653). 



Die Ausrottung eines „gefahrrichen Untiers" 93 

an den mit wachsender Selbstverstandlichkeit die Forderung herangetragen wur- 
de, den schddlichen W^o/f auszurotten. 

Die Wolfsjagd bot dem friihneuzeitlichen Territorialstaat ein symboltrachtiges 
Handlungsfeld, um die Superioritat fiirstlicherHerrschaft iiber adlige und standi- 
sche Privilegien zu demonstrieren, die Loyalitat der zwischen Bevolkerung und 
Regierung stehenden lokalen Beamtenschaft einzufordern und unter dem An- 
spruch, durch staatliches Handeln das Gemeinwohl zu befordern, gegeniiber den 
Untertanen seine Herrschaft zu legitimieren. Was schlieBlich die Bekampfung des 
, Untiers' selbst betrifft, so stellt sich trotz aller Unzulanglichkeiten bei der Organi- 
sation der in ihrer Notwendigkeit auch von den geschadigten Bauern nie grund- 
satzlich in Zweifel gezogenen Gemeinschaftsaufgabe die Wolfsjagd als ,Erfolgsge- 
schichte' des friihmodernen Staates dar: Auf kaum einem anderen Gebiet seiner 
ordnungspolitischen Vorstellungen kam erden eigenen Zielvorgaben so nahe wie 
bei der Ausrottung der Wolfe. 

IV. 

Im 18. Jahrhundert, so laBt sich generalisierend feststellen, ging die Zahl der Wolfe 
und nachfolgend auch die Zahl der Wolfsjagd en in alien niedersachsischen Terri- 
torien stetig zuriick. Nichtnurdie staatlich organisiertenjagden, sondern auch die 
systematische Totung der Nestwolfe lieBen dem Wolf als Standwild kaum eine 
Uberlebenschance. Man hatte es immer haufiger mit einzelnen zugewanderten 
Wolfen oder kleinen Rudeln zu tun, denen umso intensiver nachgestellt wurde, je 
exzeptioneller sie auftraten. GroBe, generalstabsmaBig vorbereitete, unter Aufbie- 
tung der Untertanen mehrerer Amter durchgefiihrte Treibjagden, die zum Teil in 
Abstimmung mit Nachbarstaaten organisiert wurden, sollten diesen Einzelgan- 
gern des Garaus machen. 1705 ordnete Fiirst Christian Eberhard in Ostfriesland 
eine Kesseljagd an, bei der ein Gebiet von mehr als 100 km Umfang eingekreist 
wurde, 94 im Niederstift Minister erstreckte sich 1723 eine dreitagige Wolfsjagd auf 
einen Kessel von 40 km Durchmesser, 95 im Herzogtum Bremen-Verden wurden 
1740 die Einwohner von 16 Amtern bzw. Gerichtsbezirken fiir eine Wolfsjagd auf- 
geboten, 96 in Ostfriesland stellte man nach 1766 mehr als lOJahre lang mit mehre- 
ren groBen Treibjagden erfolglos einem Wolf nach, 97 und im Hochstift Osna- 



94 Vgl. Schraube (wie Anm. 15), S. 357. 

95 Vgl. Horst-Riidiger Jarck, Pferde, Hunde und ein Fiirst. Diejagd des Bischofs Cle- 
mens August im Emsland, in: Jahrbuch des Emslandischen Heimatbundes, 33, 1987, S. 96- 
123, hierS. 117f. 

96 Vgl. StASt Rep. 74 Himmelpforten Nr. 1014 u. Schraube (wie Anm. 15), S. 344. 

97 Vgl. StAAu Rep. 6 Nr. 2143. Zur Abstimmung bei einer groB angelegten Jagd imjahre 



94 Gerd van den Heuvel 

briick wurden vom 7.-9. September 1775 nach einem minutios ausgearbeiteten 
Plan, der mit den preuBischen Behorden von Minden-Ravensberg abgesprochen 
war, Beamte und Bauern aus 13 Vogteien, insgesamt mehr als 1.000 Mann, einge- 
setzt, um schlieBlich einen einzelnen Wolf zur Strecke zu bringen. 98 

Solche GroBjagden dienten nicht zuletzt dazu, jeder Form der Selbsthilfe durch 
die betroffene Landbevolkerung vorzubeugen. 1735 beriefen sich die wegen einer 
eigenmachtig unternommenen Wolfsjagd von der hannoverschen Kammer geriig- 
ten Lokalbeamten zu Diepholz auf die Verordnung vom 4. Juni 1637 und folger- 
ten aus dieser ohngezwungen, daft [. . .] cuilibetprivato erlaubtist, Wolfe zu schiejien und 
ohne derer Forstbeamten Zuthun und Vergiinstigung die zur Tilgung der schddlichen 
RaubThiere notige[n] Mittel aus der ihnen ein vor allemahl bey ihrer Bestallung aufgetrage- 
nen autoritet [. . .] vorzukehren." Sie suchten damit ihre gemeinsam mit den Bauern 
unternommenen Jagden auf anderes Wild zu verschleiern. Und 1752 wurden die 
hannoverschen Behorden geradezu genotigt, in den Bruch- und Moorgebieten 
zwischen Neustadt und Hannover eine Treibjagd durchzufiihren, nachdem be- 
reits mehrere Dorfschaften eigenmachtig einejagd veranstaltet hatten, dabei zwar 
keinen Wolf, wohl aber einiges an Wild in den landesherrlichen Jagdrevieren er- 
legt hatten. Den wiederholten Forderungen aus den Am tern umb baldige ausrottung 
dieses hochstschadlichen mdrders entsprach die Regierung schlieBlich mit einer Jagd 
am 2. November 1752, bei der unter Aufbietung von 2-3.000 Leuten schlieBlich 
ein Wolf in die Netze getrieben, lebendig gefangen und in einen Holzkasten ge- 
sperrt wurde, um ihn vor seinem Ende noch einige Zeit herumzuzeigen. 100 

Der enorme Aufwand, mit dem die Jagd auf einzelne Tiere verbunden war, lieB 
die Regierungen im spaten 18. und in der ersten Halfte des 19. Jahrhunderts zo- 
gern, die Wolfsbekampfung in dieser Form durchzufiihren, da die Anstellung einer 
allgemeinenjagd gewohnlich mit Unordnung verbunden ist, und dadurch oft den Zweck ver- 
fehlet, dennoch aber kostbarfallt, wie die preuBische Kriegs- und Domanenkammerin 
Aurich 1795 feststellte. 101 Die Umsetzung der minutiosen Schlachtplane fur die 
Jagd scheiterte zumeist an banalen Unzulanglichkeiten. So entwischte beispiels- 



1766 zwischen Ostfriesland und der benachbarten Grafschaft Oldenburg vgl. StAOl Best. 90 
Tit. 10 Nr. 6. 

98 Vgl. StAOs Rep. 100 Abschn. 117 Nr. 21. 

99 HStAH Hann. 74 Diepholz Nr. 485. 

100 HStAH Hann. 74 Neustadt Nr. 2831. Die Wolfskasten dienten iiblicherweise dazu, 
die lebenden Tiere zu den Tierhatzen (vgl. oben Anm. 27) zu bringen: Wolffs-Kasten, ist ein ei- 
chener mit Eisen wohlbeschlagener Kasten, darinn ein gefangener Wolff, den man lebendig zur Hatze 
aufbehalten will, eingesperret, und an behorigen Ort gefiihret wird. Man macht ihn gantz und gar wie ei- 
nen Saukasten, nur dafe man von aussen, an stat der wilden Schweine, Wblffe daran zu mahlen pfleget. 
Vgl. Trichter (wie Anm. 17), Sp. 2336 f. 

101 Vgl. StAAu Rep. 6 Nr. 2142 u. Schraube (wie Anm. 15), S. 362. 



Die Ausrottung eines „gefahrlichen Untiers" 95 

weise im Jahre 1775 in Ostfriesland ein Wolf durch die Treiberketten, weil die 
Esenser Biirgerkompagnie ihren Abschnitt verlassen und - an einem kalten Ja- 
nuartag verstandlich - lieber ein am Wege gelegenes Wirtshaus aufgesucht 
hatte. 102 

Das umfangreiche Aktenmaterial aus der ersten Halfte des 19. Jahrhunderts zu 
Wolfen und Wolfsjagden steht in umgekehrt proportionalem Verhaltnis zur Zahl 
der noch vorhandenen Wolfe. 1797, 1816 und 1826 tauchen einzelne Tiere jeweils 
in Dutzenden von Akten der verschiedenen nordwestdeutschen Staaten und ihrer 
einzelnen Amter auf. Uber die Totung dieser Einzelganger, die sich meist iiber 
mehrere Jahre ihren Verfolgern entzogen und erhebliche Viehschaden anrichte- 
ten, 103 berichtete selbst die iiberregionale Presse. 104 Wo im 17. Jahrhundert pau- 
schale Angaben zu getotetem und verletztem Vieh gemacht wurden, listete man 
nun die vom Wolf verursachten Verluste minutios auf und bezifferte so den wirt- 
schaftlichen Schaden, der den Bauern teilweise ersetzt wurde. 105 

Ein Zeichen fur den drastischen Riickgang der Wolfspopulationen ist die Erho- 
hung derFangpramien. Wahrend in derMitte des 17. Jahrhunderts 1 bis 4 Reichs- 
taler fiir einen ausgewachsenen Wolf gezahlt wurden, lobten die Regierungen am 
Ende des 18. und im 19. Jahrhundert zumeist 50 Taler fiir die Erlegung aus; bei 
Tieren, die sich besonders hartnackig der Verfolgung entzogen und groBere Scha- 
den angerichtet hatten, erreichten die Pramien sogar 100 Taler. Bekanntmachun- 
gen dariiber erfolgten sowohl iiber die Amter und Vogteien als auch durch die 



102 Vgl. ebd., S. 361. 

103 Vgl. z. B. HStAH Harm. 74 Isenhagen Nr. 511 (November 1816: 33 getotete und 6 ver- 
letzte Schafe); ebd., Harm. 78 Nr. 694, Bericht aus dem Amt Nienburg vom 29. Juli 1826: In 
der Nacht vom 28 ten auf den 29 ten des M. hat der Wolf auf einer Fettweide [. . .] in Drackenburg eine 
schandliche Verwiistung angerichtet, son 82 Stuck Hammeln und Ldmmern [. . .] ist nur ein einziges 
Stiick gesund geblieben, alle ubrigen sind theils getbdtet, theils so verwundet, dafi sie bald nachher gestor- 
ben, etwa 10 Stiick sind ganzfort, ohne dafi man eine Spur davon hatfinden kbnnen. Der Burger Mische 
schlagt seinen Schaden auf 140 rthl. an. 

104 Vgl. z. B. Hamburgischer Unpartheyischer Corrspondent, Nr. 144, 1798: „Borstel im 
Amte Winsen an der Luhe den 4 ten Sept. 1798. Am l ten dieses Monats wurde im hiesigen 
Amte des Ciibberstadtschen Forstreviers endlich der Wolf geschoBen, welcher seit einigen 
Jahren besonders in dem Fiirstenthum Liineburg am zahmen Viehe und Wilde vielen Scha- 
den angerichtet hat, und auf welchem so oftejagden vergeblich angesteflet sind. Es empfing 
derselbe 5 Kugeln, ehe er sein zahes Leben endete. Nachdem der Wolf aufgebrochen worden, 
betrug deBen Gewicht noch 83 Pfund." Der Wolf wurde bei einer zufdlligenjagd auf Wildpret 
von einem Oberforster erlegt. Vgl. HStAH Hann. 74 Isenhagen Nr. 495. 

105 Vgl. z. B. HStAH Hann. 74 Burgwedel Nr. 1148: Uebersicht des durch den in der ersten 
Halfte desjahres 1826 im Bezirke dieses Amis Voigtey umhergestreiften Wolfs verursachten Schadens. 
Durch die Besitzer wird ein Viehverlust in Hohe von 84 Rtl. angegeben, behordlicherseits an- 
erkannt werden 67 Rtl. 



96 Gerd van den Heuvel 

Presse. 106 Man schuf mit den Pramien einen hinreichenden Anreiz fiir professio- 
nelle Jager und iibrigejagdliebhaber, 101 Wolfe zu schieBen, und vermied so umfang- 
reiche Treibjagden, obwohl die Untertanen mit gedruckten Rundschreiben im- 
mer noch an die allgemeine Pflicht zurjagdfolge erinnert 108 und Gutsherren er- 
mahnt wurden, ihre Leute fiir Wolfsjagden freizustellen. 109 Umfangreiche Treib- 
jagden sind auch tatsachlich noch durchgefiihrt worden, so z. B. 1826 in den Am- 
tern Winsen a. d. Aller, Burgvogtei Celle, Eicklingen, Burgdorf, Burgwedel und 
Bissendorf mit 700 Schiitzen und mehrals 1.000 Treibern, die erfolglos Jagd auf ei- 
nen einzigen Wolf machten. 110 Die letzte im 19. Jahrhundert ausgezahlte Pramie 
erhielt 1872 derForster Grunewald aus der Oberforsterei Fallingbostel, nunmehr 
allerdings nur noch von 10 Rtl. gema.6 einer preuBischen Verordnung von 1823, 
die haarklein den biirokratischen Ablauf der amtlichen Registrierung der erlegten 
bzw. im Nest getoteten Wolfe regelte. m Bei der relativ geringen Fangpramie ist zu 
beriicksichtigen, dass die Tarife gleichermaBen fiir die ostpreuBischen Gebiete 
galten, wo iibrigens an der Grenze zu Polen vor Auszahlung der Pramie die Her- 
kunft getoteter Nestwolfe nachgewiesen werden muBte. 

V. 

Auch wenn die ausgestopften Korper der vermeintlich letzten Wolfe seit der Mitte 
des 19. Jahrhunderts die Dienstzimmer der Jagdbehorden oder die Museen 
schmiickten, an den AbschuBstellen Gedenksteine errichtet wurden und der Wolf 
als heimische Tierart letztlich als ausgerottet gelten kann, gelang es auch im 20. 
Jahrhundert noch vereinzelten Tieren, bis nach Norddeutschland vorzudringen. 
Eine gewisse Beriihmtheit erlangte der sogenannte „Wiirger vom Lichtenmoor", 
der 1948 in der Liineburger Heide erhebliche Viehschaden angerichtet hatte, von 
1500 deutschen Polizisten und britischen Soldaten gejagt und schlieBlich von ei- 
nem Heidebauern erlegt wurde. 112 Uber den im Jahre 2002 aufgetauchten ,W°lf 
vom Bramwald", ein entlaufenes Gehegetier, das letztlich von einem Jager er- 

106 Vgl. z. B. Hannoversche ZeitungNr. 69 vom 22. Marz 1843 (Fiir die Erlegung und Ab- 
lieferung eines im Amt Ahlden gesichteten Wolfs wird eine Belohnung von 50 Talern ausge- 
setzt). 

107 Vgl. HSTAH Hann. 74 Neustadt Nr. 2844 (Aufforderung zur Wolfsjagd im Amt Neu- 
stadt, 28.Juli 1826). 

108 Vgl. z. B. ebd., Verordnung vom 29. September 1826 an samtliche Amter der Land- 
drostei Hannover. 

109 HStAH Hann. 74 Medingen Nr. 659. 

110 Vgl. Schraube (wie Anm. 15), S. 323f. 

111 HStAH Hann. 74 Bergen Nr. 714 Bl. 6-10. 

112 Hans Stuhlmacher, Der Wiirger vom Lichtenmoor. Der Wolfstoter von Eilte, Her- 
mann Gaatz, erzahlt, Eilte 1949. 



Die Ausrottung eines „gefahrrichen Untiers" 97 

schossen wurde, der es nicht von einem Hund zu unterscheiden wuBte, haben die 
Medien ausfiihrlich berichtet. 113 

„Untier" im 16., „Raubgeselle" oder „Morder" im 18. und „Wiirger" im 20. Jahr- 
hundert: Wollte man eine Geschichte sich verandernder Wahrnehmungen des 
Wolfes durch den Menschen anhand von Begriffen schreiben, man konnte sich 
kurz fassen. Der Wolf war der outlaw des Tierreichs schlechthin, wie kaum ein an- 
deres hoher entwickeltes Saugetier perhorresziert, verfolgt und zur Ausrottung 
freigegeben, obwohl (oder gerade weil) der Mensch aus dem Tierkorper keinerlei 
Nutzen zog. Vielleicht verliert der Wolf aber etwas von seiner Singularitat in der 
riickblickenden Wahrnehmung, wenn man mit Blick auf die friihneuzeitlichen 
Quellen der Verfolgung dieses outlaws des Tierreichs die staatliche Bekampfung 
delinquenten menschlichen Verhaltens gegeniiberstellt. 

Die friihneuzeitlichen Mandate gegen „Rauber", „Vagabunden", „Zigeuner", 
„landschadliche Leute", „umherziehendes Gesindel" und delinquente Gruppen 
insgesamt unterscheiden sich in ihrem Vokabular der „Ausrottung", „Vertilgung" 
und „Vernichtung" lu nicht wesentlich von den Aufruf zurjagd auf das gemeinge- 
fahrliche Untier, den Wolf. Auch der Wolf wurde als sozialschadlicherKrimineller 
angesehen, was sprachlich z. B. noch im Schwedischen seinen Niederschlag fin- 
det: Die schwedische Bezeichnung fiir den Wolf- varg- geht auf das germanische 
Wort vargr zuriick, den Begriff fiir den friedlosen Verbrecher. 115 

Die anthropomorphe Klassifizierung der Tierwelt wies dem Wolf den unter- 
sten Rang in der Hierarchie der Schopfung zu; als „Gei6el Gottes" und „Untier" 
stand er sogar ebenso wie der ehrlose, seine Daseinsberechtigung verlierende 
menschliche Delinquent, auBerhalb dieser Hierarchie. Die Wolfsjagd war die ein- 
zige Art derjagd, der auch die mit vielfaltigen Tabus belegten und vom geselli- 
gen Verkehr der Stadtbiirger weitgehend ausgeschlossenen Scharfrichter nachge- 
hen durften. 116 

Als gefangenes Tierstellte man den Wolf wie den menschlichen Schwerverbre- 
cher zur Schau. Wolfsgalgen, an denen bereits getotete Tiere aufgehangt wurden, 
zeugen davon, dass die bloBe Erlegung des Raubtieres als nicht ausreichend ange- 



113 Vgl. Hannoversche Allgemeine Zeitung, 20. November, 13. Dezember 2002, 22. Ja- 
miar 2003. 

114 Uwe Danker, Die Geschichte der Rauber und Gauner, Diisseldorf/ Zurich 2001, S. 
260f., 272, 302f.; Ernst Schubert, Mobilitat ohne Chance: Die Ausgrenzung des fahrenden 
Volkes, in: Winfried Schulze unter Mitarb. von Helmut Gabel (Hrsg.), Standische Gesell- 
schaft und soziale Mobilitat, Miinchen 1988, S. 113-164. 

115 Walter Koschorreck, DerWoll. Eine Untersuchung iiber die Vorstellungen vom Ver- 
brecher und seiner Tat sowie vom Wesen der Strafe in der Friihzeit, Diss. jur. Jena [1952], 
S. 62-68. 

116 Vgl. Wolfgang Schild, Alte Gerichtsbarkeit. Vom Gottesurteil bis zum Beginn der 
modernen Rechtssprechung, Miinchen 1980, S. 177. 



98 Gerd van den Heuvel 

sehen wurde, sondern man dem Feind, einem ,Wiederholungstater', der in der 
christlichen Symbolik den verstockten Siinder verkorperte, 117 einen unehrenhaf- 
ten Tod bereiten zu miissen glaubte, urn die Schwere seiner Schuld offentlich zu 
dokumentieren. Bevorzugt wahlte man fiir die Wolfsgalgen alte Eichen an mar- 
kanten Wegepunkten aus. Die Wolfe wurden dort ahnlich wie menschliche Delin- 
quenten am Galgen mit den gleichen Intentionen der Rache und Abschreckung 
ohne Bestattung den Krahen zum FraB iiberlassen. 118 Das bekannteste deutsche 
Beispiel dafiir ist der sogenannte Werwolf von Ansbach aus dem Jahre 1685, der 
mehrere Menschen angefallen und getotet hatte. Man hangte den schlieBlich ge- 
fangenen und getoteten Wolf in Menschenkleidern, mit Maske und Periicke ange- 
tan an einem Galgen auf, als vermeintlichen Werwolf, in den angeblich der Da- 
mon eines kiirzlich verstorbenen, unehrlichen Biirgermeisters gefahren war. 119 Ei- 
ne Gleichbehandlung von Mensch und Tier bei der offentlichen Zurschaustellung 
von Delinquenten ist auch in der moralisierenden Emblematik thematisiert: Ein 
am Baum hangender Wolf und ein am Galgen baumelnderVerbrecher sollen, wie 
der erlauternde Text unterstreicht, durch offentliche Zurschaustellung Mensch 
und TiergleichermaBen davor warnen, durch verbrecherische Taten ein ahnliches 
Schicksal zu erleiden. 120 

Ob die auf germanische Jagdrituale zuriickgehende Praxis des Aufhangens 
auch im 17. und 18. Jahrhundert noch bewuBter Ausdruck eines magischen Volks- 
glaubens war und man den Damon bannen wollte, indem man dem Wolf jeden 
Kontakt mit derkraftspendenden Erde verwehrte, muB dahingestellt bleiben. Aus 
dem vorliegenden niedersachsischen Quellenmaterial laBt sich nicht entnehmen, 
ob dieser mit weiteren Dutzend anderer magischer Praktiken im Handworter- 
buch des deutschen Aberglaubens 121 aufgelistete apotropaische Sinngehalt noch 
handlungsleitend fiir die erfolgreichen Wolfsjager war. 122 Doch dass ritualisierte 



117 Zedler (wie Anm. 10), Sp. 510. 

118 Zu Tierstrafen vgl. auch Wolfgang Schild, Das Strafrecht als Phanomen der Geistes- 
geschichte, in: Justiz in alter Zeit, Rothenburg o.d.T. 1989, S. 7-38, hier S. 26-35. 

119 Vgl. Bernhard Schemmel, Der „Werwolf" von Ansbach (1685). Ereignisse und Mei- 
nungen, in:Jahrbuch fur frankische Landesforschung 33, 1973, S. 167-200. 

120 Arthur HENKEL/Albrecht Schone, Emblemata. Handbuch zur Sinnbildkunst des 
XVI. und XVII. Jahrhunderts. Erg. Neuausgabe, Stuttgart 1976, S. 453. 

121 Hanns Bachthold-Staubli (Hrsg.), Handworterbuch des deutschen Aberglaubens, 
Bd IX, Berlin 1938/1941, Sp. 716-794; zum Aufhiingen vgl. Sp. 790. 

122 Diese zauberbannende Bedeutung scheint z. B. auch im kurkolnischen Hilden in der 
Mitte des 17. Jhs nicht mehr prasent, zumindest aber nicht erwahnenswert gewesen zu sein. 
Ein SchultheiB berichtete 1655 an den Kurfursten Maximilian Heinrich, dass die Wolfe von 
den dortigen Einwohnern, sobald selbige gefangen, alsobald auf die Cblnische Strafie an eine daselbst 
stehende Eiche zu Anschauung alter reisender Personen von undenklichen Jahren angeheftet warden. 
Vgl. Heinrich Strangmeier, Wolfsplagen und Wolfsjagden in Hilden und anderswo, Hilden 



Die Ausrottung eines „gefahrhchen Untiers" 99 

Zurschaustellungen der Jagdtrophaen als gefangene oder als hingerichtete Tiere 
stattfanden, der Wolf in unehrenhafter Weise seine Schandtaten zu siihnen hatte 
und die von Viehverlusten betroffenen Bauern daraus Genugtuung fiir erlittenen 
Schaden und wahrscheinlich auch die empfundene Angst zogen, ist aus der Ge- 
fangennahme des Wolfs im hannoverschen Amt Neustadt im Jahre 1752 123 eben- 
so ersichdich wie aus dem Bericht iiber eine erfolgreiche Wolfsjagd in der Graf- 
schaft Diepholz im Jahre 1735. Dort gerieten die Amter Diepholz und Lemforde, 
nachdem bereits zuvor zwei Wolfe erlegt und an einem Baum bei Diepholz aufge- 
hangt worden waren, vor der nachsten gemeinsamen Wolfsjagd dariiber in Streit, 
an welchem Wolfsbaum die noch zu machende Beute zur Schau gestellt werden 
sollte. Dem niichtern argumentierenden Amtsschreiber Tiling zu Diepholz war es 
zwar egal, ob der Wolf hier vor Diepholz oder vor Lemforde an einem Baum paradierte, der 
in Diepholz beheimatete Forstmeister Schultze und seine Gehilfen meinten je- 
doch, daflhnen dieEhre den etwa [zu] fangenden Wolfmitsich nach Diepholzim Triumpf 
zufuhren dejure allein zu komme. Die eigens in dieser Angelegenheit bemiihte han- 
noversche Kammer entschied zwar, dass der nachste getotete Wolf in Lemforde 
hangen sollte, doch inzwischen hatte der diipierte Lemforder Amtmann Strube, 
der die Angelegenheit weniger gelassen nahm, sich geracht, indem er dem Diep- 
holzer Forstmeister die blutigen Eingeweide eines weiteren erschlagenen Wolfs 
ins Haus schickte und den Balg behielt. 124 Auch unabhangig von damonologi- 
schen Vorstellungen und apotropaischen Sinngebungen hatten sich im 18. Jahr- 
hundert Rituale erhalten, die zumindest innerhalb derjagerschaft ein symolisches 
Kapital von Ehre und Prestige bildeten. 

Fiir Schleswig-Holstein ist die Vernichtung der Wolfe als Kampf des Menschen 
gegen die „bedrohlichen Eigenschaften seiner eigenen inneren Natur" sowie als 
„Kanalisierung von Angst", insbesondere wahrend des DreiBigjahrigen Krieges, 



1977, S. 23. Zu weiteren Beispielen aus dem siidwestdeutschen Raum vgl. Ernst Christmann, 
Von Wolfsgalgen und Wolfsbalgtragern, in: Oberdeutsche Zeitschrift fiir Volkskunde, 17, 
1943, S. 69-73. Von einem Wolfsbaum bei Celle war nur noch der Sage nach bekannt, dass 
friiher dort ein Werwolf erhangt worden sei. Vgl. Paul Alpers / Georg Breling (Hrsg.) , Celler 
Sagen aus Stadt und Land, Celle 1949, S. 28. 

Gegen den Werwolfglauben, der 1686 noch von Theophil Laube in einer gelehrten Ab- 
handlung Dialogi und Gesprdch von der Lycanthrophia, oder Der Menschen in Wolff -Verwandlung 
verteidigt worden war, wandte sich am Ende des 17. Jhs der Polyhistor und Arzt Christian 
Franz Paullini in einer ,naturwissenschaftlichen' Abhandlung iiber den Wolf im Rahmen der 
Veroffentlichungen der Leopoldina: Lycographia, seu de Natura et Usu Lupi, Libellus physi- 
co-historico-medicus, Frankfurt a. M. 1694; vgl. cap. II: De usu superstitioso, mechanico et 
magico lupi. Sein Fazit der angeblichen Verwandlung von Menschen in Wolfe lautet: „credat, 
qui potest." (ebd., S. 204). 

123 Vgl. oben S. 94. 

124 Vgl. HStAH Hann. 74 Diepholz Nr. 484. 



100 Gerd van den Heuvel 

interpretiert und der Beginn der gezielten Ausrottung mit einem Hohepunkt der 
Hexenverfolgung um 1640 in Beziehung gesetzt worden. 125 Anhand der nieder- 
sachsischen Quellen laBt sich ein solcher Zusammenhang nicht erkennen. Ange- 
sichts der liickenhaften Uberlieferung fiir das 16. Jahrhundert, erst recht aber fiir 
die Zeit des Spatmittelalters, scheint bei der Festlegung der intensivsten Wolfsbe- 
kampfung auf bestimmte Epochen ohnehin Vorsicht geboten. Fiir das 17. Jahr- 
hundert ist jedoch recht gut nachvollziehbar, dass die raumliche Ausweitung und 
hohere Frequenz der Wolfsjagden nicht in Zeiten der maximalen Bedrohung 
durch die Kriegsereignisse, sondern nach der Normalisierung der Verhaltnisse 
durch den FriedensschluB von Goslar (1642), der dem groBten Teil Niedersach- 
sens die andernorts zu konstatierenden Verwiistungen in der Spatphase des Krie- 
ges ersparte, in den friihen 1640erjahren einsetzte. Es ist nicht feststellbar, dass fiir 
die verscharfte Jagd auf Wolfe psychoanaly tisch zu beschreibende kollektive Ang- 
ste und magische Vorstellungen, die latent natiirlich in alien Epochen bei der Aus- 
einandersetzung mit dem Raubtier mitschwangen, von ausschlaggebenderBedeu- 
tung waren. Entscheidend fiir die Politik der Ausrottung war - trotz aller Unzu- 
langlichkeiten bei der Durchfuhrung und aller Widerstande im einzelnen - der 
Herrschaftswille und das organisatorische Potential des fruhmodernen Staates. 
Mit dem Anspruch, das Gemeinwohl zu fordern, festigte der Fiirstenstaat seine Po- 
sition als zentrale Ordnungsmacht und suchte auch dieses Feld der ,Schadlingsbe- 
kampfung' in seinen exklusiven Zustandigkeitsbereich zu Ziehen. Der bereits er- 
wahnte, 1685 in menschlichen Kleidern und Periicke an einem Galgen aufgehang- 
te „Werwolf von Ansbach" war eine Ausnahme und cause celebre, die angesichts 
von vier todlich verwundeten Opfern des Wolfs nach auBergewohnlichen Erkla- 
rungen verlangte und rational von den Betroffenen nicht zu bewaltigen war. Fiir 
die routinemaBig durchgefiihrten Jagden, bei denen die Wolfe zu Dutzenden aus 
zweckrationalen Griinden der ,Schadlingsbekampfung' abgeschlachtet und auf 
Leiterwagen abtransportiert wurden, sind solche damonologischen Deutungsmu- 
ster gegeniiber dem Tier zumindest aus niedersachsischen Quellen nicht nach- 
weisbar. 126 



125 Rheinheimer (wie Anm. 46), S. 404 u. 416. 

126 Die Notwendigkeit, bei der historischen Analyse des Mensch -Tier-Verhaltnisses ei- 
nerseits den jeweiligen konkreten gesellschaftlichen Kontext und den praktischen Lebensbe- 
zug zu beriicksichtigen und sich andererseits als HistorikerbewuBt zu sein, dass unser Wissen 
beziiglich magischer Vorstellungen iiber Tiere von „Quellen produzierenden AuBenseitern" 
stammt, betont Werner Trossbach, Von Bauern und Ochslein: Anmerkungen zum Mensch- 
Tier-Verhaltnis im 18. Jahrhundert - zugleich ein Versuch iiber die Grenzen des Verstehens 
(und des Verstanden-sein-Wollens) , in: Historie und Eigen-Sinn. Festschrift fiir Jan Peters 
zum 65. Geburtstag, hrsg. von Axel Lubinski, Thomas Rudert und Martina Schattkowsky, 
Weimar 1997, S. 361-377, hier S. 376f. 



Die Ausrottung eines „gefahrlichen Untiers" 101 

Dieser Befund verkennt nicht, dass Werwolfglaube und Damonenphantasien, 
Magie, Aberglaube und Hexenwahn in der Vorstellungswelt des friihneuzeitli- 
chen Menschen mit dem realen Wolf in Verbindung gebracht werden konnten. 
Und manche dem Wolf zugeschriebene Eigenschaft, die heute in der Rubrik 
Aberglaube angesiedelt wird, 127 konnte die Landbevolkerung friihererjahrhun- 
derte in ihrer unmittelbaren Lebenswelt kennenlernen. Die Erfahrung, dass der 
Anblick des Wolfs den Menschen stumm mache und ihn gleichsam hypnotisiere, 
machte ein Bauer aus Engensen noch 1838 am eigenen Leibe. Als er sich auf einer 
Wiese einem Misthaufen naherte, so liegt der Wolf dahinter. So stehet derselbe langsam 
auf, siehet diesen Hauswirth an und gehet langsam fort [. . .] und hat dieser Hauswirth vor 
so grofier Verzagnifien nicht wiederzu Hause kommen wust. Es erging die dringende Bit- 
te an die Obrigkeit, dafi das gefdhrliche Raubthier doch weg geschaffet wird. 128 

Dass magische Vorstellungen iiber Wolfe und Werwolfphantasien unabhangig 
vom Themenkreis der Wolfsjagd in der dorf lichen Lebenswelt auch im 19. Jahr- 
hundert noch prasent waren, zeigt ein Beispiel aus der Umgebung von Ham ein: In 
Borry hatte 1824 eine Magd in der Spinnstube von ihrer Begegnung mit einem 
Werwolf berichtet: Es sei ein Mann vor ihr hingegangen, den sie genau gekant hette, solte 
aber in dem [. . .] Holze auf einmahl verschwunden sein, und anstelle des Mannes einen 
Wahrwolffvor sich gesehen, da sie aber in den glauben gewesen, der Mann sei woll in ihrer 
Ndhe, hatte sie denselben beim Hauptnamen gerufen, darauf hin sei aus dem Wahrwolff der 
Mann geworden, den sie beim Nahmen gerufen. Wenig spater berichtete auch ein Scha- 
ferknecht, ein Wahrwolff [sei] zwischen dessen Herde Schaafe gekommen, und in dem er 
demselben gewahr geworden sey er auf das unbekannte Tihr lofigegangen, aber sein Hund het- 
te sich vor dasselbe gescheut, und zuruck gegangen, der Knecht sei aber so muthig gewesen das 
er nach den Wahrwolff geschlagen, und bei dieser Gelegenheit sei ihm derHuet abgef alien, 
welchen sich der Wahrwolff bemachtigt und entzwey gerissen, und ganfi lancksam davon 
[. . .] weggegangen. 11 Diese mit den klassischen Attributen des Werwolfglaubens ver- 
sehene Schauergeschichte schreckte den Pastor Brauns aus Grohnde auf, der Jahre 
lang[. . .] mit aller Anstrengung gegen den Aberglauben gepredigt und sonstig gelehrt hatte, 
nun in einer Stunde die Frucht langen Kampfes zerstdrt sah und als grofier Feind des alle 
wahre Aufkldrung und jedes religiosen Fortschreitens hindernden Aberglaubens den 
muthwilligen und schadenfrohen Verbreiter defielben kraftig zur Ruhe bringen wollte. Die 
Vorfalle hatten, so berichtete der Vogt von Borry, auf die hiesigen DorfBewohner [. . .] 
grofien Einflufi, und manche abergldubige Eltern ihren Kindern es so gewifi erzehlen, das 
manche Kinder sogahr sich scheuen am Tage ins Holz oder ins Feld zugehen, und am Abend 
aus ihrem Hause in des nachbahrs Haus zugehen} 29 



127 Vgl. Bachthold-Staubli (wie Anm. 121), S. 765: Fascinatio des Wolfs. 

128 Vgl. HStAH Hann. 74 Burgwedel Nr. 1892. 

129 Vgl. HStAH Hann. 74 Hameln Nr. 4382. 



102 Gerd van den Heuvel 

Eine weitere historische Untersuchung dieser Vorfalle unter volkskundlichen 
und mentalitatshistorischen Fragestellungen ginge iiber den hier gesteckten Rah- 
men der Wolfsjagd hinaus. Ihre Erwahnung kann nur ein Hinweis auf den Facet- 
tenreichtum dieses Mensch-Tier-Verhaltnisses in historischer Perspektive sein. 



Schaustellung fremdlandischer Tiere im 19. Jahrhundert 
in Niedersachsen und ihr Import 



Von L.OTHAR DlTTRICH 



Am 3.Januar 1798 schrieb Goethe in einem Brief an Schiller: Wie sehr hatte ich ge- 
wiinscht, dass Sie in diesen Tagen bey uns waren, um eine der grojiten Unformen der organi- 
schen Natur, den Elefanten, und die anmuthigste der Kunstgestalten, die Florentinische Ma- 
donna des Raphael in einer Stunde und gleichsam nebeneinander z.u sehen. 1 Goethe hatte 
die in den ersten dreijanuartagen 1798 in Weimar gastierende Menagerie des An- 
tonio Alpi besucht, iibrigens mehrmals, die von London kommend auf dem Weg 
zur Schonbrunner Menagerie Kaiser Franz II. war. Dieses Zitat mag als Beleg gel- 
ten, dass am Ende des 18. Jahrhunderts Schaulust sich auch auf exotische Tiere 
erstreckte. 

Offentlich zugangliche fiirstliche Menagerien 

In den letzten Jahrzehnten des 18. und Anfang des 19. Jahrhunderts gab es in eini- 
gen deutschen Landern offentlich zugangliche Menagerien, die von Fiirsten aus 
der Privatschatulle unterhalten wurden. Im Verlaufe des 18. Jahrhunderts hatten 
die an den Hofen bestehenden Menagerien ihre representative Rolle im Rahmen 
des Hofzeremoniells verloren. Sie wurden nicht mehr als Widerspieglung der auf 
den Herrscher ausgerichteten Schopfungs-Ordnung in der Natur empfunden, eine 
Folge der Philosophie der Aufklarung, und sie waren auch nicht mehr ein Beleg fiir 
die Bedeutung und fiir weit gespannte diplomatische Beziehungen der Fiirsten. 2 
Nicht alle Hofmenagerien wurden aufgelost. Manche dienten fortan nurnoch der 
Erbauung und naturkundlichen Bildung des Souverans und seiner Gaste. Einigen 



1 Manfred Wenzel, Die Emanzipation des Schiilers. Goethe und sein Anatomie-Lehrer 
Justus Christian Loder, S. 239-257, in: Gunter Mann und Franz Dumont (Hrsg.) : Gehirn- Ner- 
ven-Seele (Soemmering- Forschungen 3). Stuttgart, New York 1988. 

2 Annelore Rieke-Muller, Von der lebendigen Kunstkammer zur fiirstlichen Liebhabe- 
rei. Fiirstliche Menagerien im deutschsprachigen Raum wahrend des 18. Jahrhunderts. MPI 
fiir Wissenschaftsgeschichte, Praprint. Berlin 1997. 



104 Lothar Dittrich 

Fiirsten aber stand vor Augen, dass ein moderner Staat ein gebildetes, rationalem 
Denken verpflichtetes Biirgertum zur Voraussetzung hat. DerBildung konnte, wie 
die musealen Sammlungen, auch die Menagerie dienen. So offneten sie ab Mitte 
der 1760erjahre ihre Menagerie fiir den allgemeinen Besuch unter bestimmten, z. 
B. die Kleiderordnung betreffenden restriktiven Regelungen. Es wurden sogar 
neue Menagerien mit dieser Zweckbestimmung eingerichtet, so in Kassel 1764, in 
Stuttgart 1812 und auf der Pfaueninsel in der Havel bei Potsdam 1820. An den Ge- 
hegen und Kafigen waren die Namen der Tiere zu lesen, und auch ihre Herkunft 
wurde genannt. In Wien gab es ab 1799 einen gedruckten Fiihrer durch die Mena- 
gerie Schonbrunn zu kaufen, 3 1830 einen solchen fiir die Menagerie auf der Pfau- 
eninsel. 4 Den Fiirsten kam es jedoch nicht nur auf die Vermittlung von zoologi- 
schen Informationen an. Sie waren der Auffassung, dass die Beobachtung von Tie- 
ren in einer gepflegten Umgebung der Herzens- und Gemiitsbildung dient. Sie 
verboten daher im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts in ihren Landern Tierhet- 
zen, Veranstaltungen in eigens dafiir vorgesehenen Gebauden, meist aber in 
Wirtshausern und auf offentlichen Platzen. Wildtiere, deren man habhaft gewor- 
den war, wie Baren oder Wolfe, wurden aufeinander gehetzt, mit wehrhaften 
Haustieren, wie einem Stier, konfrontiert oder von Kampfhunden attackiert. Die 
Menge ergotzte sich an den blutigen Spektakeln. Leopold, der Herzog der Toska- 
na, sah in den Tierhetzen eine Schule der Rohheit. 5 Die aus dem Mittelalter stam- 
mende Auffassung, dass sich in der ungezahmten Natur ein standiger Kampf zwi- 
schen den chthonischen Kraften abspiele, dass die wild lebenden Tiere bose, 
grausam und kampfeslustig seien, war einem neuen Naturverstandnis gewichen. 

In den niedersachsischen Landern gab es keine von Fiirsten unterhaltene, of- 
fentlich zugangliche Menagerien. Hier boten in groBeren Stadten in der zweiten 
Halfte des 18. und derersten des 19. Jahrhunderts wie anderswo auch ambulante 
Tierschauen, die sich durch Eintrittsgelder finanzierten, eine Moglichkeit, exoti- 
sche Tiere lebend zu sehen und nach eigener Anschauung von Tieren iiberlieferte 
Tierinterpretationen zu hinterfragen. 



3 Lothar Dittrich, Fiirstliche Menagerien im deutschsprachigen Raum ab den 1760er 
Jahren bis zur Griindung der Zoologischen Garten Mitte des 19. Jahrhunderts, S. 61-87 in: Lo- 
thar Dittrich, Dietrich von Engelhardt und Annelore Rieke-Muller (Hrsg.) : Die Kulturge- 
schichte des Zoos. Berlin 2001. 

4 Annelore Rieke-Muller und Lothar Dittrich, Der Lowe briillt nebenan. Die Griin- 
dung Zoologischer Garten im deutschsprachigen Raum 1833-1869. Koln, Weimar, Wien 
1998. Zum Fiihrer durch die Menagerie auf der Pfaueninsel s. S. 13. 

5 Marco Masseti, Dalla „turata delle gran' bestie" alio „stanzone" degli agrumi: splendo- 
re e decadenza dei serragli faunistici del Giardino di Boboli, S. 323-337, sp. S. 336, in: Boboli 
90. Atti del convegno e la valorizzazione del giardino. Firenze 1990. 



Schaustellung fremdlandischer Tiere im 19. Jahrhundert 105 

Wandermenagerien als Vermittler von Kenntnissen iiber Tiere 6 

Die Wandermenagerien setzten die Tradition der reisenden Tierfiihrer fort, die 
seit dem Mittelaltermit einzelnen Tieren, einem Affen, einem Kamel, einem Asia- 
tischen Elefanten, gar einem Bison, Elch und mit anderen "merckwiirdigen", d. h. 
bemerkenswerten Tieren im ganzen Land umherzogen und diese gegen Entgelt 
in Gaststatten oder auf offentlichen Platzen zur Schau stellten. Auch die Wander- 
menagerien reisten von einer Stadt zur nachsten, konnten aus okonomischen 
Griinden stets aber nur ein kurzes Gastspiel geben. Lokale Ereignisse, wie groBe 
Markte und Messen oder Kirchweihfeste, waren der Anlass fur ihr Erscheinen. Ih- 
re Reisen durch ganz Mitteleuropa bis weit nach Russland hinein bedurften subti- 
ler logistischer Vorbereitungen fur den Transport der Tiere, ihre Unterbringung, 
Fiitterung und Pflege sowie fur die Schaustellung der Tiere bis tief in den Winter. 
Die meisten Menageristen entstammten Familien, die seit Jahrhunderten vor al- 
lem in Paris als Komodianten, Akrobaten, Kunstreiter, Pantomimen, Puppenspie- 
ler und Schausteller tatig waren. Sie beschafften sich ihre Tiere in den groBen eu- 
ropaischen Hafenstadten, vorwiegend aus London, in denen Agenten die von 
Uberseereisenden und Seeleuten mitgebrachten tierischen Souvenirs aufkauften 
und weitervermittelten. Noch gab es in Europa keinen professionellen Import 
von exotischen Wildtieren. Nur wenige Menageristen hatten sich ihre Tiere selbst 
aus Indien, Ceylon oder Siidafrika geholt. 

Gegen Ende des 18. und zu Beginn des 19. Jahrhunderts fuhrten die Wanderme- 
nagerien ein bis zwei Dutzend Tiere mit sich. Ab dem zweiten Dezennium des 19. 
Jahrhunderts wuchs mit der ErschlieBung immer weiterer Lander in Ubersee und 
damit auch von neuen Faunengebieten sowie der Etablierung des Uberseehan- 
dels der Tierbestand erheblich an. Mehr als hundert, sogar mehr als zweihundert 
Tiere einer Menagerie wurden iiber die oft noch unbefestigten StraBen bewegt, 
verpackt in Kisten, auf stabilen, von Ochsen oder Pferden gezogenen Wagen. Ein 
Wagen mit einem ausgewachsenen Nashorn musste von zehn Pferden gezogen 
werden. Wo immer es moglich war, geschah der Transport auf Fliissen und Kana- 
len. Ab der zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts benutzte man die Eisenbahn. Die 
groBten Wandermenagerien reisten mit einem Sondergiiterzug. Im 19. Jahrhun- 
dert sind all ein in Deutschland etwa fiinfzig reisende Menagerien nachweisbar. 

In ihrem Tierbestand spielten GroBraubtiere eine wichtige Rolle: Lowen, Leo- 
parden, seltener ein Tiger, Eis- und Braunbaren, Flecken- und Streifenhyanen, da- 
neben einige Affenarten wie Makaken, Paviane und Meerkatzen, dann Kleinraub- 
tiere, wie Wasch- und Nasenbaren, Zibetkatzen und Mungo, aber auch einige 



6 Annelore Rieke-Muller und Lothar Dittrich, Unterwegs mit wilden Tieren. Wander- 
menagerien zwischen Belehrung und Kommerz, 1750T850. Marburg 1999. 



106 Lothar Dittrich 

Huftierarten, wie Rot-, Dam- und Axishirsch, sogar einige Antilopen, wie die 
Eland oder die Hirschziegenantilope, Alt- und Neuweltkamele, seltener ein Kan- 
guru, zahlreiche GroBvogel wie StrauBe, Adlerund Geier, Pelikane, Kraniche, vie- 
le Papageienarten, Wildtauben, Hiihnervogel, einige exotische Singvogel, Kroko- 
dile, Schildkroten, Riesenschlangen und dann natiirlich in den groBen Menageri- 
en die Zugstiicke, ein Zebra, ein Asiatischer Elefant, ein Panzernashorn, ab Mitte 
des Jahrhunderts gar eine Giraffe und am Ende, wie in einigen spektakularen Aus- 
nahmefallen schon hundert Jahre zuvor, ein Orang-Utan, schlieBlich ein Schim- 
panse, gar ein Gorilla. In der zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts zeigten die gro- 
Ben Wandermenagerien vielfach einen groBeren und artenreicheren Tierbestand 
als die Zoologischen Garten. 

Unter den wenig tiergemaBen Haltungsbedingungen einer reisenden Mena- 
gerie hatten viele Tiere nur eine kurze Lebensdauer, abernicht alle. Einige GroB- 
tiere sind viele Jahre nachweisbar. Oft verkauften die Menageristen nach ein paar 
Jahren ihre Tiere an eine fiirstliche Menagerie oder spater auch an einen Zoo und 
erzielten Verkaufspreise, die die Ankaufspreise iiberstiegen. Die Tiere miissen 
sich demzufolge in einem guten Zustand befunden haben. Und es gab sogar 
Zuchterfolge, bei Lowen sogar wiederholte. Ausgestellt wurden die Tiere in Pfer- 
chen oder Kisten, in eigens mitgefuhrten Holzbuden oder Zelten. Manche Stadte 
konnten auch fest installierte Schaubuden anbieten. 

Die Menageristen waren in der Regel bemiiht, Informationen iiber ihre Tiere zu 
vermitteln. Wahrend der „Explikation" wurden zahme Tiere aus ihren Unterkiinf- 
ten genommen und ihre Eigenarten demonstriert, etwa dass eine Riesenschlange 
nicht glitschig ist, wie ein Affe klettert oder ein Zebra, an der Longe gehalten, ga- 
loppiert. Es gab die offentliche Raubtierfiitterung, noch heute in Zoos iiblich. Man 
verkaufte Informationszettel, Holzschnitte und manchmal sogar Stiche von den 
bemerkenswerten Tieren. Das zoologische Wissen bezogen die Menageristen 
meist aus der weit verbreiteten und auch in den Landessprachen vorliegenden En- 
zyklopadie „Histoire naturelle" des Grafen Buffon, die in 37 Banden zwischen 1749 
und 1789 erschienen war. Es gab von dieser Naturgeschichte auch gekiirzte Volks- 
ausgaben. Die Gastspiele der Wandermenagerien und ihr Tierbestand wurden 
vielfach in der ortlichen Presse kritisch besprochen, z. B. in Hildesheim in den 
1830erjahren von dem Padagogen Johannes Leunis. Auch auf diese Weise wurde 
im 19. Jahr hundert Zoologie popularisiert. Oft waren die zoologischen Informa- 
tionen der Menageristen allerdings recht zweifelhaft oder inzwischen iiberholt. 
Wegen solcher Mangel, vor allem aber weil die Art der Tierhaltung unter den 
Menageriebedingungen zunehmend kritisiert wurde und die Darbietungen in ei- 
ner Rummelplatzatmosphare stattfanden, verloren die Wandermenagerien in der 
zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts zunehmend an Bedeutung und gingen um 
die Jahrhundertwende als Seitenshows in den groBen Zirkussen auf. 



Schaustellung fremdlandischer Tiere im 19. Jahrhundert 107 

Leiderbin ich nicht in der Lage, darzulegen, wie oft Wandermenagerien in den 
groBen Stadten Norddeutschlands im 19. Jahrhundert zu sehen waren und wie 
die Tierschaustellung dort rezipiert wurde. Jedoch diirfte man diese Frage in den 
Archiven mancher Stadte bei der Durchsicht der ortlichen Presse und der Polizei- 
akten anhand der erteilten Auftrittsgenehmigungen ermitteln konnen. 

Griindung der Zoologischen Garten 

Ab den 1840er Jahren bis zum Ende der 1860erjahre kam es in den deutschen 
Landern wie zuvor schon in GroBbritannien, in den Niederlanden, Belgien und 
Frankreich zur Griindung Zoologischer Garten: 1844 in Berlin, 1858 in Frankfurt, 
1860 in Koln, 1861 in Dresden, 1863 in Hamburg am Dammtor - dieser Zoo be- 
steht nicht mehr- und 1865 in Hannover, Breslau und Karlsruhe. 7 Mit Ausnahme 
des Berliner Zoos, der auf koniglichem Grundbesitz, mit aus der koniglichen Me- 
nagerie in Potsdam iiberstellten Tieren gegriindet wurde und auf dessen Verwal- 
tung die Krone Einfluss nahm, waren alle anderen Zoos Griindungen des Bil- 
dungsbiirgertums und wurden als Aktiengesellschaften betrieben. Sie verdanken 
ihr Entstehen einem Biindel von Motiven, wobei die Vermittlung spezieller zoolo- 
gischer Kenntnisse, also Tierartenkenntnis, keineswegs im Vordergrund stand. 
Man wiinschte, dass die Zoobesucher Lebensvorgange beobachten konnten, Be- 
wegungsweisen, etwa das Hiipfen eines Kangurus, Ausbildung und Abwurf von 
Geweihstangen, eine Geburt, das Saugen eines Tierkindes, sein Heranwachsen 
und die Jugendentwicklung. Mit fortschreitender Urbanisierung der Bevolke- 
rung, zunehmender Industrialisierung, der Entwicklung zu einer Industriegesell- 
schaft, wurde eine Beriihrung der Stadtbevolkerung mit Natur als ein notwendi- 
ger Ausgleich angesehen, aber nicht als Riickzug aus der gesellschaftlichen Wirk- 
lichkeit im Rousseauschen Sinne zu verstehen. Geist und Gemiit sollten sich am 
Naturschonen bilden. Der Beschaftigung mit Natur sprach man auch in dieser 
Zeit eine positive Wirkung auf die moralisch-sittliche Erziehung zu. Ferner sollte 
die Entwicklung der Fahigkeit zu eigener Beobachtung, zu eigener Urteilsfahig- 
keit und zur Aufgeschlossenheit gegeniiber dem Neuen, auch gegeniiber moder- 
ner Wissenschaft undTechnikfiihren. Und die Zoos inDeutschland sollten voral- 
lem jederzeit und anders als die in den westlichen Nachbarlandern, wo man nur 
als Mitglied oder Gast der den Zoo tragenden Society Eintritt fand, fur jedermann 
zu einem moderaten Eintrittspreis zuganglich sein. Die Aktionare hatten keinen 
Gewinn aus der Zoo-Aktiengesellschaft zu erwarten, genossen aber mit ihren Fa- 



7 Annelore Rieke-Muller und Lothar Dittrich, Der Lowe briillt nebenan. Die Griin- 
dung Zoologischer Garten im deutschsprachigen Raum 1833-1869. Koln, Weimar, Wien 
1998. Zum Fiihrer durch die Menagerie auf der Pfaueninsel s. S. 13. 



108 Lothar Dittrich 

milienangehorigen freien Eintritt. Anfanglich glaubte man, auf sehr teure und bei 
derHaltung sehr anfallige Tiere verzichten zu konnen. Bald aberfiihrten die Kon- 
kurrenz der Zoos und die Erwartungshaltung der Zoobesucher dazu, dass auch 
zoologische Zugstiicke, seltene oder kostbare Tiere angeschafft werden mussten. 
Damals waren die Preise fiir fremdlandische Tiere, gemessen an denen fur Futter 
oder an den Lohnkosten sehr hoch. Fiir alle Zoos erwiesen sich die zuvor erstell- 
ten wirtschafdichen Kalkulationen als nicht zutreffend. Einen groBen Tierbe- 
stand und die notwendige Infrastruktur auf Dauer zu unterhalten war viel teurer, 
als man erwartet hatte. So waren die Zoos bald gezwungen, durch Sonderveran- 
staltungen, wie Konzerte, Balle, Volkerschauen, Ballonaufstiege, eine Rollschuh- 
bahn und andere MaBnahmen Geld einzuspielen, was sie im Kreise anderer, wis- 
senschafdich orientierter Kulturinstitute die Reputation kostete. Jedoch in dem 
MaBe, wie die wirtschaftliche Besserstellung weiter Kreise in der zweiten Halfte 
des 19. Jahrhunderts den Sonntag zu einem Tag des Familienausflugs werden lieB 
und derBesuch eines Restaurants oder Cafes und anderer Vergniigungsstatten zu 
einem Familienereignis geworden war, wurden auch die Zoos zu Brennpunkten 
des gesellschaftlichen Lebens. Dennoch kamen sie bald ohne Zuschiisse der of- 
fentlichen Hand nicht mehr aus. Nicht ganz unwichtig fiir die Zoogriinder war 
schlieBlich die dann auch zutreffende Vermutung, dass ein Zoologischer Garten 
als Magnet fiir die Bevolkerung des Umlandes und damit fiir Handel und Gewer- 
be in der Stadt nicht uninteressant sein werde. Die Griindungswelle der Zoologi- 
schen Garten in Deutschland verlief parallel mit dem Entstehen anderer kulturel- 
ler Einrichtungen des Bildungsbiirgertums, wie von Museen oderKulturvereinen. 

Der Zoologische Garten Hannover 

Vor diesem Hintergrund entstand ab 1863 der Zoo in Hannover, der am 4. Mai 
1865 auf einem ca. 4 ha groBen Waldgrundstiick im hannoverschen Stadtwald Ei- 
lenriede seine Pforte offnete. 8 Im Laufe des 19. Jahrhunderts wurde ermehrfach 
erweitert. Dass die Zoogriindung die Bedeutung der Residenzstadt vergroBerte 
und Hannover nunmehr mit den anderen schon genannten deutschen GroBstad- 
ten gleichzog, war fiir die Zoogriinder gleichf alls ein wichtiges Motiv. Der Initiator 
fiir die Griindung des Zoos Hannover und Motor war der Privatier Dr. Hermann 
Schlager (1820-1889), Sohn des Hauptpastors von Hildesheim, und der Wein- 
handlerGeorg Schultz (1809-1866), aus Dannenberg stammend, PachterdesRats- 
kellers in Hannover. Schlager hatte sich zuvor schon gesellschaftspolitisch profi- 
liert. 1847 war er, 27 Jahre alt, zum Biirgervorsteher = Ratsherr in Hannover ge- 



8 Lothar Dittrich und Annelore Rieke-Muller, Ein Garten fiir Menschen und Tiere. 
125 Jahre Zoo Hannover. Hannover 1990. 



Schaustellung fremdlandischer Tiere im 19. Jahrhundert 109 

wahlt worden. 1848/49 hatte er an der revolutionaren Bewegung in Hannover 
teilgenommen, was bei der Zoogriindung im Hinblick auf die Gewinnung der Un- 
terstiitzung Konig Georgs hinderlich war. Er hatte die Biirgerversammlung ange- 
fiihrt, die vom Marktplatz zum LeineschloB gezogen war und vom Konig biirger- 
liche Rechte einforderte. Sobald Pressefreiheit gewahrt wurde, gab Schlager die 
Zeitung „Vaterlandsblatter" heraus, die 1849 mit der „Zeitung fur Norddeutsch- 
land" vereinigt wurde, an der er mitarbeitete. In den 1850erjahren war er 2. Vor- 
sitzender des Biirgervorsteherkollegiums. Nach der Annexion Hannovers durch 
PreuBen war er 1867-1888 Abgeordneter im PreuBischen Abgeordnetenhaus, von 
1867-1870 saB er im Norddeutschen Reichstag und von 1881-1885 im Deutschen 
Reichstag. Georg Schultz war politisch nicht hervorgetreten. Seine republikani- 
schen Ansichten waren aber stadtbekannt. Beide Herren hatten ausgepragte na- 
turkundliche Interessen. Schultz warseit 1856 Mitglied derNaturhistorischen Ge- 
sellschaft, unterhielt eine Schmetterlingssammlung und lieB sich eine eigene 
Sternwarte bauen. Seine Studienreisen hatten ihn nach England, in siideuropai- 
sche Lander und bis nach Nordafrika gefiihrt. Andere bekannte hannoversche 
Personlichkeiten, die die Zoogriindung forderten, waren der Stadtdirektor Carl 
Hermann Rasch, der Rektor der hannoverschen Tierarzneischule Prof. Dr. An- 
dreas Christian Gerlach, der ehemalige hannoversche Ministerprasident und Mi- 
nister des Auswartigen Alexander Freiherr von Miinchhausen sowie die Konsuln 
Poten und Wedekind. Als Architekt wurde Wilhelm Liier verpflichtet, Schiiler 
des in Norddeutschland bekannten Architekten Konrad Wilhelm Hase. Er ent- 
warf die groBen Gebaude im Stil des Historismus neugotisch, die kleineren Un- 
terkiinfte in dem sichjahrzehnte zuvor von der Menagerie in Paris aus etablierten 
romantischen „style rustique". Liier schuf sich mit den hannoverschen Zoobauten 
in Deutschland einen Namen. 1867 baute er in Hannover fiirjohann Georg Eges- 
torff ein offentlich zugangliches Aquarium und ab 1868 in Berlin das beriihmte 
Aquarium „Unter den Linden", in dem der bekannte Zoologe und Tierschriftstel- 
ler Alfred Brehm von 1869-1873 Direktor war. Es bestand bis 1910. Mit der Ge- 
winnung eines sachverstandigen Fachmanns zur Fiihrung des Zoos hatte man in 
Hannover weniger Gliick. Erst der dritte Direktor, der Kreistierarzt Friedrich 
Christian Kuckuck (1844-1893), der 1874 die Leitung des Zoos bis zu seinem Tode 
iibernahm, und der vierte, der Zoologe Dr. Ernst Schaff (1861-1921), der dem Zoo 
von 1893 bis 1910 vorstand, waren Personlichkeiten, die dem Zoo Anerkennung 
auch im Kreise der Kollegen verschafften. 

Hinsichtlich des Tierbestandes erreichte der Zoo Hannover nicht die Bedeu- 
tung der anderen Zoos der ersten Griindungswelle. Stets war er von wirtschaftli- 
chen Sorgen geplagt. Es fehlten ihm groBe Mazene, was auch mit am Abstieg 
Hannovers von einer Residenz zu einer preuBischen Provinzhauptstadt lag. Einen 
bemerkenswerten Schritt konnte er 1881 tun, als nach dem Entwurf des Stadtbau- 



110 Lothar Dittrich 

inspektors Wilsdorff ein groBes Dickhauterhaus gebaut wurde, in dem nun stan- 
dig Elefanten und Flusspferde gehalten wurden und 1892, als ein Huftierhaus im 
Stil des Exotismus als maurische Moschee nach einem Entwurf des Architekten 
Theodor Hecht eroffnet werden konnte. Nunmehr wurden nicht nur Giraffen 
standig gehalten sondern auch die Voraussetzungen fur die Haltung fremdlandi- 
scher Huftiere geschaffen, vor allem von Antilopen, deren Sammlung im nach- 
sten Jahrhundert zu einem besonderen Glanzpunkt des Zoos Hannover werden 
sollte. Das enorm groBe und asthetisch schone Tierhaus war eines derbemerkens- 
wertesten Zoogebaude dieser Art in Deutschland auBerhalb Berlins. Ubrigens 
hatte der Zoo Hannover schon 1874 zwei Giraffen zeigen konnen, damals noch 
ein derart spektakulares Ereignis, dass Kaiser Wilhelm I. und Kronprinz Friedrich 
die Tiere anlasslich eines Besuches in Hannover besichtigten. Von dem Kaiserbe- 
such im Zoo gibt es ein Olgemalde von Theodor Weber im Historischen Museum 
Hannover. 

Ab Mitte der 1860er Jahre hatte sich auch in Deutschland ein professioneller 
Handel mit exotischen Wildtieren etabliert. Die Zoos konnten im letzten Drittel 
des 19. Jahrhunderts fremdlandische Tiere nach ihren Wiinschen und den Hal- 
tungsmoglichkeiten erwerben. Uber die Ausstellung von zoologischen Zugtieren 
hinaus wollte man nun moglichst viele Tierarten, auch nahe verwandte und sich 
nur wenig voneinander unterscheidende Spezies zeigen. Dahinter stand die Frage, 
ob die einzelnen zoologischen Spezies invariant, Produkte einer Schopfung sind, 
oder ob die Tierarten in geologischen Zeitraumen einem Wandel unterworfen wa- 
ren, der sich in lokalen Varianten eines Typus dokumentierte. Wenn auch in 
Deutschland die Evolutionstheorie von Charles Darwin, nach der Publikation von 
„The Origin of Species by Means of Natural Selection", 1859 und „The Descent of 
Man, and Selection in Relation to Sex", 1871, in Fachkreisen sofort leidenschaft- 
lich diskutiert, erst in den letzten dreijahrzehnten breiteren Kreisen bekannt wur- 
de, war die Kenntnis einer groBeren Zahl von Tierarten aus eigener Anschauung 
und die Beobachtung vielfaltiger tierischer Verhaltensweisen zu einem Bildungs- 
gut geworden. Fiir die Verbreitung und Popularisierung von Zoologie waren die 
Zoos insofern noch bedeutungsvoll, weil die Regierungen zur Abwehr evolutionis- 
tischen Denkens ein „Biologieverbot" fiir Schulen ausgesprochen hatten, in den 
preuBischen Provinzen 1879, in den anderen deutschen Landern kurz darauf. Er- 
laubt wurde den Schulen nur eine Art biologische Heimatkunde, die oft Geistli- 
che unterrichteten. Das Biologieverbot wurde erst nach 1900 nach und nach auf- 
gehoben. In dieser Zeit besuchten etwa 3 .000 Schiller per anno den Zoo Hannover 
im Klassenverband. Auch fiir die Entwicklung der Tierschutz- und der Natur- 
schutzgedanken, wie sie in Deutschland im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts 
entstanden und sich in Schutzverordnungen widerspiegelten, spielte das eigene 
Erleben von Tieren im Zoo eine wichtige Rolle. 



Schaustellung fremdlandischer Tiere im 19. Jahrhundert 111 

Eine groBe Veranderung erfuhr die Schaustellung von Zootieren mit Carl Ha- 
genbecks Tiergarten, eroffnet 1907 in Stellingen bei Hamburg. Die neue Zielset- 
zung der Zoos, den Besuchern die Tiere wie auf einer Biihne vor naturalistischem 
Hintergrund, eine Vielfalt ihrer Verhaltensweisen, insbesondere des Sozial- und 
Reproduktionsverhaltens zu zeigen, fallen in das 20. Jahrhundert, Entwicklungen, 
die sich auch im Zoo Hannover manifestieren. Der Zoo Hannover blieb im 19. 
Jahrhundert der einzige Zoo in Niedersachsen. Der Zoo Osnabriick wurde mit ei- 
nem ganzlich anderen, derZeit entsprechendem Konzept erst 1936 eroffnet, und 
auch die iibrigen heute in Niedersachsen bestehenden Tiergarten sind Kinder des 
20. Jahrhunderts. 

Alfeld/Leine, ein Zentrum des Handels mit fremdlandischen Tieren 

Die Kleinstadt Alfeld/Leine wurde im letzten Drittel des 19. Jahrhunderts zu ei- 
nem Zentrum des Handels mit fremdlandischen Tieren mit weltweiterBedeutung. 
Fiir den Import von Zootieren entwickelten sich ab Mitte des 19. Jahrhunderts 
professionelle Handelsfirmen. Wie in anderen Landern auch waren diese Unter- 
nehmen in den groBen Hafenstadten ansassig, wo man einen raschen Zugriff auf 
die mit den Uberseeschiffen eintreffenden exotischen Tiere hatte. Aus Deutsch- 
land seien die Tierhandlungen von Claes und Carl Hagenbeck in Hamburg ge- 
nannt. 9 Ab 1861 reiste der ehemalige Wandermenagerist Lorenzo Casanova nach 
Agypten und in den nordlichen Sudan, kaufte von Einheimischen als Heimtiere 
gehaltene Wildtiere auf, organisierte auch spezielle Tierfangaktionen und brachte 
seine Tiere in Europa zum Verkauf. Andere wagemutige Manner folgten ihm. Die 
Phase des gezielten, an den Bediirfnissen des Marktes in Europa orientierten 
Fangs von Wildtieren hatte begonnen. Der Tierhandel in Alfeld hatte aber einen 
anderen Ursprung. 10 

Schon im 18. Jahrhundert wurden in den Weilern des Weserberglandes und 
des Vorharzes Kanarienvogelfiirden Verkauf geziichtet. Die Spanierhatten schon 
hundert Jahre zuvor diesen sangesfreudigen Stubenvogel in groBerer Anzahl von 
den Kanarischen Inseln in den Handel gebracht, ihn aber nicht geziichtet. Dies 
geschah nun in groBem Umfang im siidlichen Niedersachsen von Personen, deren 
Familien traditionell Jungvogel von heimischen, Korner fressenden Singvogelar- 
ten, wie Buchfink, Zeisig, Stieglitz oder Dompfaff, aus dem Nest nahmen, isoliert 
aufzogen und ihnen das Pfeifen bekannter Melodien beibrachten. In Griinenplan 



9 Lothar Dittrich und Annelore Rieke-Muller, Carl Hagenbeck (1844-1913). Tierhan- 
del und Schaustellungen im Deutschen Kaiserreich, sp. S. 65-73. Frankfurt/Main u. a. 1998. 

10 Lothar Dittrich, Alfeld, hundert Jahre ein Zentrum des Handels mit fremdlandischen 
Tieren, S. 57-65, in: Jb. Landkr. Hildesheim. Hildesheim 1997. 



112 Lothar Dittrich 

im Hils bauten die Gebriider Carl, spater Charles genannt, und Heinrich, spater 
Henry Reiche, sowie Louis Ruhe ein weit gespanntes Verkaufsnetz auf. In den 
spaten 1840erjahren begannen die B ruder Reiche mit dem Export von Kanarien- 
und Waldvogeln nach Ubersee, zunachst in die USA, dann auch nach Mittel- und 
Lateinamerika, nach Siidafrika und schlieBlich nach Australien, also in Lander, in 
denen sich europaische Auswanderer niedergelassen hatten, die als Erinnerung 
an die verlassene Heimat den vertrauten Gesang eines europaischen Stubenvogels 
horen wollten. Die Verschickung der Vogel war nicht ganz einfach. Sie konnten 
nicht auf ungefederten Pferdewagen befordert werden und die Benutzung einer 
Kalesche war zu teuer. Die Vogel wurden, einzeln in ein kleines Bauer verstaut, 
von Griinenplan bis zu einem der norddeutschen Seehafen getragen. Ein Trager 
transportierte auf dem Riicken 160/170 Bauer auf einem Traggestell. Nach meh- 
reren Stunden FuBmarsch wurde Rast gemacht und die Vogel wurden mit Nah- 
rung und Wasser versorgt. Einige dieser Vogelreisenden gingen mit aufs Schiff,be- 
gleiteten die Vogel bis zu ihrem Bestimmungsort und organisierten dort den Ver- 
kauf. 1847richteten die Gebriider Reiche in New York eine Filiale ein, 1860 folgte 
die Firma Louis Ruhe. Beide Firmen verlegten 1866 ihren Sitz von Griinenplan 
nach Alfeld, weil es moglich geworden war, von dort die Vogel bis zum deutschen 
Seehafen mit derEisenbahn zu transportieren. Mitte desjahrhunderts exportierte 
allein die Firma Reiche von Alfeld aus per anno etwa 10.000 Kanarienvogel nach 
Ubersee, in den 1870erjahren zwischen 60.000 und 70.000 imjahr. Das Export- 
aufkommen der Fa. Ruhe war etwas geringer. 

Bald hatte sich ergeben, dass es wirtschaftlich interessant war, einen Teil der 
Vogel in den fernen Landern gegen dort heimische Tiere einzutauschen. Die im- 
portierten Exoten wurden nach Alfeld mitgebracht. In dieser Kleinstadt gab es auf 
den Grundstiicken Stalle und Raume, wo man sie unterbringen konnte, bis der 
Verkauf nach Listenangeboten abgewickelt war. Carl Reiche, der Sohn von Char- 
les, baute dann ab 1871 den Import von fremdlandischen Wildtieren unabhangig 
vom Kanarienvogelexport derart aus, dass ab den 1880erjahren seine Firma fur 
den Tierhandel fast die gleiche Bedeutung gewann wie die im Gedachtnis popular 
gebliebene Tierhandlung von Carl Hagenbeckin Hamburg. Carl Reiche schickte 
nicht nur Mitarbeiter aus, die in Nordostafrika den Fang von Tieren durch die ein- 
heimischen Jager organisierten. Er kniipfte, erfolgreicher als Carl Hagenbeck, 
feste Verbindungen zu sudafrikanischen Farmern und lokalen Tierhandlern in 
Siidostafrika und Australien/Tasmanien. Einige zoologische Erstimporte sind sei- 
nen Aktivitaten zu verdanken. Im Tiermuseum von Alfeld kann man in der Schau- 
sammlung an Hand der Praparate von in Alfeld verendeten, dem Museum iiber- 
lassenen Tieren einen Eindruck von dem groBen Artenspektrum bekommen, das 
Reiche nach Alfeld brachte. In den letzten beiden Dezennien des 19. Jahrhun- 
derts erreichten ganze Eisenbahnwaggons mit Tieren den Alfelder Bahnhof. Die 



Schaustellung fremdlandischer Tiere im 19. Jahrhundert 113 

Tiere wurden auf Pferdewagen weiterbefordert oder, sofern sie zahm und fiihrig 
waren, durch die StraBen Alfelds in das inzwischen zur Aufnahme groBer Tier- 
mengen umgebaute Grundstiick in derHolzerstraBe 16 getrieben. Ruhes Importe 
waren etwas weniger umfangreich. Sein Sitz war das Grundstiick Markt 8. Zoo- 
und Zirkusdirektoren aus ganz Deutschland und reiche Privattierhalter aus ganz 
Mitteleuropa kamen nach Alfeld, um die begehrten Tiere vor dem Kauf zu besich- 
tigen. Viele exotische Wildtiere, die in einem deutschen oder europaischen Zoo 
und in nordamerikanischen Tiergarten gehalten wurden, hatten die Tage oder 
Wochen ihrer Gewohnung an die europaischen Klima- und Haltungsbedingun- 
gen in Alfeld verbracht. 

Die Fa. Carl Reiche bestand bis 1910. Nach dem Freitod von Carl Reiche iiber- 
nahm Hermann I. Ruhe die Zulieferer und Kunden seiner Firma. Sein Sohn Her- 
mann II. baute in den 1920er und 1930er Jahren seine Firma zur groBten Tier- 
handlung in Europa aus, 11 was auch deswegen moglich wurde, weil die deutschen 
Zoodirektoren aus Griinden, die hier nicht naher erlautert werden sollen, die Fa. 
Hagenbeckin Hamburg ab 1910 boykottierten. Hermann II. konnte 1931 den Zoo 
Hannover zum Schaufester der Leistungsfahigkeit seiner Tierhandlung machen. 
DerZoo Hannover war 1920, als die Aktiengesellschaft bankrott war, in stadtische 
Verwaltung iibergegangen und wurde aus wirtschaftlichen Griinden 1931 an Ru- 
he verpachtet. Ich selbst war noch zehn Jahre als Leiter des Zoos Hannover Be- 
diensteter dieser Tierhandlung, ehe der Zoo 1972 wieder in stadtischen Besitz 
iiberging. In den 1970er Jahren erlosch der professionelle Handel mit Wildtieren 
weitgehend infolge der restriktiven Bestimmungen der in fast alien Landern erlas- 
senen Naturschutz- und Tierschutzgesetze. Die Zoos miissen nunmehr ihre Tiere 
selbst ziichten und austauschen. 

Geblieben ist aber, wie zu Goethes Zeiten, die Schaulust der Menschen. Trotz 
iiberwaltigend eindrucksvoller Tierfilme im Fernsehen und im Kino, trotz unzah- 
liger Bildbande und popularer Biicher iiber fremdlandische Tiere, iiber ihre Habi- 
tate und Biotope, suchen alljahrlich allein in den 25 groBen deutschen Zoos rund 
20 Millionen Menschen Entspannung und Belehrung. Und es gibt heutzutage 
nach Besucherbefragungen selbst in entlegenen Teilen Niedersachsens nur weni- 
ge Menschen, die noch niemals einen Zoologischen Garten besucht haben. 



11 Hermann Ruhe, Wilde Tiere frei Haus. Miinchen 1960. 



6. 
Tierschutz zum „Besten der Menschen" 

Pastor Hermann Wilhelm Bodeker und die Griindung des 
hannoverschen Tierschutzvereins im Jahr 1844 

Von Claudia Kauertz 



Die Anfange der Tierschutzbewegung in Niedersachsen liegen in der ersten Half- 
te des 19.Jahrhunderts. Ausgehend von England, wo bereits 1809 in Liverpool der 
erste Tierschutzverein der Welt gegriindet wurde, 1 nahm die organisierte Tier- 
schutzbewegung in den deutschen Staaten mit der Griindung des Stuttgarter Tier- 
schutzvereins im Jahr 1837ihren Anfang. Weitere Griindungen, die sich alle „Ver- 
eine gegen Tierqualerei" nannten, folgten rasch. Im Konigreich Hannover wurde 
ein solcher Verein erstmals 1844 in der Hauptstadt Hannover von Pastor Her- 
mann Wilhelm Bodeker ins Leben gerufen. Der hannoversche „Verein gegen 
Tierqualerei", der damit zu den friihen Griindungen gehort, ist bisher von der his- 
torischen Forschung nicht beachtet worden. 2 

Uberhaupt ist die organisierte deutsche Tierschutzbewegung im Wesentlichen 3 

1 Dieser Verein war der erste Tierschutzverein der Welt und nicht, wie die Forschung lan- 
ge Zeit annahm, die 1824 von dem Geistlichen Arthur Broome gegriindete „Society for the 
prevention of cruelty to animals". Vgl. dazu Arthur W. Moss, Valiant Crusade: The History 
of the Royal Society for the Prevention of Cruelty to Animals, London 1961, S. 20f. Zur Ge 
schichte der englischen Tierschutzbewegung allgemein: Dix Harwood, Love For Animals 
And How it Developed in Great Britain, New York 1928; Gerald Carson, Men, Beasts, and 
Gods. A History of Cruelty and Kindness to Animals, New York 1972. 

2 Es gibt nur zwei Festschriften, die anlaBlich des 90jahrigen bzw. des 150jahrigen Ver- 
einsjubilaums 1934 bzw. 1994 verfasst wurden und die Vereinsgeschichte chronikalisch 
nachzeichnen: Walter Mathieu, 90 Jahre Tierschutzverein Hannover und Linden, Hanno- 
ver-Linden 1934; Karin Brunke, 150 Jahre Tierschutz in und um Hannover. Festschrift zum 
150jahrigen Bestehen des Tierschutzvereins Hannover und Umgebung e.V, Hannover 1994. 

3 Es liegen auch einige altere Arbeiten, meist Dissertationen, vor, die allerdings in der 
Regel wenig rezipiert worden sind: Theodor Hans Juchem, Die Entwicklung des Tierschutzes 
von der Mitte des 18. Jahrhunderts bis zum Reichsstrafgesetzbuch von 1871, Diss. Bonn 1940; 
Ute Hahn, Die Entwicklung des Tierschutzgedankens in Religion und Geistesgeschichte, 
Diss. Hannover 1980; Hildegund Sauer, Uber die Geschichte der Mensch-Tier-Beziehungen 
und die historische Entwicklung" des Tierschutzes, Diss. GieBen 1983; Martin Scharfe, Kol- 



116 Claudia Kauertz 

erst seit den 1990erjahren in den Blick derForschung geriickt. Bislang sind ledig- 
lich einige neuere Aufsatze iiber die friihe Tierschutzbewegung und ihre geistesge- 
schichtlichen Wurzeln erschienen. In erster Linie sind hier die Arbeiten von Mar- 
tin H.Jung zu nennen, 4 die sich v. a. auf die Griindung des Stuttgarter Tierschutz- 
vereins im Zusammenhang mit dem wiirttembergischen Pietismus konzentrieren. 
Auch liegt eine Dissertation iiber den 1842 gegriindeten Miinchener Tierschutz- 
verein vor, die sich aus vereinsgeschichtlicher Perspektive hauptsachlich mit der 
Zeit nach 1871 befasst. 5 

In dem vorliegenden Beitrag sollen am Beispiel des hannoverschen „Vereins 
gegen Tierqualerei" und seines Griinders Hermann Wilhelm Bodeker die Motive 
und Ziele der friihen deutschen Tierschutzbewegung vorgestellt und ihre geistes- 
geschichtlichen Wurzeln aufgedeckt werden. AnschlieBend wird der hannover- 
sche Tierschutzverein in den Kontext der zeitgenossischen Tierschutzbewegung 
eingeordnet. 

Zunachst werden jedoch einige Informationen zur Person Hermann Wilhelm 
Bodekers vorangestellt, der die Arbeit des hannoverschen Tierschutzvereins fast 
dreiBig Jahre lang maBgeblich gepragt hat. 6 

lektaneen zu Geschichte der Tierschutzidee, in: Die Schulwarte 21 (1968), S. 826-846; Ders., 
Wider die Thierqualerei! Der Tierschutzgedanke im 19. Jahrhundert, in: Schwabische Hei- 
mat 35 (1984), S. 32-40; Erich Grasser, Das Seufzen der Kreatur (Rom 8,19-22). Auf der Su- 
che nach einer biblischen Tierschutzethik, in: Jahrbuch fur Biblische Theologie 5 : Schopfung 
und Neuschopfung (1990), S. 93-117. 

4 Jung, der die Bedeutung des wiirttembergischen Pietismus fur die friihe Tierschutzbe- 
wegung in den Mittelpunkt seiner Arbeiten stellt, bemiiht sich dariiber hinaus auch um eine 
vergleichende Perspektive: Martin H.Jung, „Der Gerechte erbarmt sich seines Viehs". Der 
Tierschutzgedanke im Pietismus, in: Bernd Janowski, Peter Riede (Hgg.), Die Zukunft der 
Tiere, Stuttgart 1999, S. 128-154; Ders., Die Anfange der deutschen Tierschutzbewegung im 
19. Jahrhundert. Mossingen - Tubingen - Stuttgart - Dresen - Miinchen, in: Zeitschrift fiir 
Wurttembergische Landesgeschichte 56 (1997), S. 205-239; Ders., Tierschutzpredigten und 
Tierschutzvereine in Dresden. Die Bedeutung Dresdens fiir die friihe Geschichte der Tier- 
schutzbewegung Deutschlands, in: Mitteldeutsches Jahrbuch fiir Kultur und Geschichte 6 
(1999), S. 83-96; Ders., Tierschutzgedanken in Pietismus und Aufklarung. Der Elberfelder 
Schriftsteller Johann Heinrich Eichholz als friiher Vertreter der Tierschutzidee in Deutsch- 
land, in: Zeitschrift des Bergischen Geschichtsvereins 97 (1995/96), S. 109-123; Ders., „Der 
Gerechte erbarmt sich seines Viehs". Der Tierschutzgedanke im Pietismus, in: Die Zukunft 
der Tiere, S. 128-154; Ders. (Hg.), Christian Adam Dann, Albert Knapp, Wider die Tierqua- 
lerei. Friihe Aufrufe zum Tierschutz aus dem wiirttembergischen Pietismus, Leipzig 2002. 

5 Miriam Zerbel, Tierschutz im Kaiserreich. Ein Beitrag zur Geschichte des Vereinswe- 
sens, Frankfurt/ Main, Berlin, Bern, New York, Paris, Wien 1993. 

6 Dass Bodeker die Vereinsarbeit maBgeblich gestaltet hat, geht aus den in seinem Nach- 
lass erhaltenen Vereinsunterlagen hervor. Er gab mit seinen Vorschlagen, die in der Regel die 
Zustimmung der anderen Vorstandsmitglieder fanden, die Richtung der Tierschutzarbeit vor. 
Vgl. StAH (Stadtarchiv Hannover) NL Bodeker Nr. 31. 



Die Griindung des hannoverschen Tierschutzvereins 117 

1. Hermann Wilhelm Bodeker 

Hermann Wilhelm Bodeker gilt noch heute als der bekannteste Vertreter der han- 
noverschen Stadtgeistlichkeit des 19.Jahrhunderts. Er wurde 1799 als Sohn eines 
Lehrers in Osnabriick geboren. Nach dem Studium der Theologie in Gottingen 
war er seit Anfang 1824 zunachst Hilfsprediger, dann seit Marz 1825 Pastor an der 
Marktkirche zu Hannover, ein Amt, das er bis 1874 fiinfzig Jahre lang innehatte. 
Bodeker starb nur wenige Monate nach seiner Pensionierung im Januar 1875. 

Obwohl er ein umfangreiches schriftstellerisches und publizistisches Werk 7 
und einen Nachlass im Stadtarchiv Hannover hinterlassen hat, ist Bodeker von der 
Forschung bisher wenig beachtet worden. Zwar liegen mittlerweile einige, auch 
neuere Artikel iiber ihn vor, 8 doch sind diese samtlich biografisch orientiert und 
stark von dem Bild bestimmt, das Bodeker in seinem posthum herausgegebenen 
Tagebuch 9 von sich zeichnet bzw. das zu seinen Lebzeiten von seinen Verehrern, 
aber auch von seinen Kritikern gepragt wurde. 10 In diesen biografischen Schriften 



7 Vgl. Bodekers Schriftenverzeichnis (StAH NL Bodeker Nr. 21), in dem er seine zwi- 
schen 1822 und 1852 erschienenen Publikationen auflistet. Es umfasst insgesamt 647 Titel, 
die meisten davon Zeitungsartikel, und wirft ein Licht auf Bodekers vielfaltige publizistische 
Tatigkeit. 

8 Art. Hermann Wilhelm Bodeker, in: Hannoversches Biographisches Lexikon von den 
Anfangen bis zur Gegenwart, hg. von Dirk Bottcher, Klaus Mlynek, Waldemar R. Rohr- 
bein, Hugo Thielen, Hannover 2002, S. 60; Waldemar R. Rohrbein, Hermann Wilhelm Bo- 
deker, in: Ders., Hans Werner Dannowski (Hgg.), Geschichten urn Hannovers Kirchen. Stu- 
dien, Bilder, Dokumente, Hannover 1983, S. 123-132; Ernst Rohde, Senior H.W. Bodeker. Pa- 
stor an der Marktkirche von 1824-1874, in: Jahrbuch der Gesellschaft fur niedersachsische 
Kirchengeschichte 55 (1957), S. 122-153; Wilhelm Rothert, Allgemeine hannoversche Bio- 
graphie: Hannoversche Manner und Frauen seit 1866, Bd. 1, Hannover 1912, S. 51-63. 

9 Bodekers Tagebuch, in dem er seit seinem Amtsantritt in Hannover bis wenige Monate 
vor seinem Tod alle fur ihn wichtigen Ereignisse notierte, wurde in stark gekiirzter Form von 
Ottojiirgens herausgegeben: Otto Jurgens (Hg.), Senior Bodekers Tagebuch, Hannover 1901. 
Ein Vergleich mit dem Originalmanuskript (StAH NL Bodeker Nr. 3) ergibt, dass Jurgens v.a. 
solche Stellen weggelassen hat, die sich auf Familienangelegenheiten und alltagliche Bege- 
benheiten beziehen. Auch wurden die haufigen, oft sehr ausfuhrlichen Krankheitsschilde- 
rungen wie auch die regelmaBigen Berichte iiber ausgedehnte Reisen in den Sommermona- 
ten nicht veroffentlicht. 

10 Vgl. die meist als Festschriften von seinen Verehren herausgegebenen Darstellungen, 
die bereits zu Lebzeiten Bodekers erschienen sind: Friedrich Voigts, Hermann Wilhelm Bo- 
deker. Pastor primarius an derKirche SSJacobi et Georgii zu Hannover. Ein Fest- Album zum 
27. November 1848, Hannover 1849; Friederike Kempner, Hermann Wilhem Bodeker. Ein 
Vorbild fur Viele, welche konnten, wenn sie sollten. Besonderer Abdruck aus den „Schlesi- 
schen Provinzblattern, Riibezahl", Breslau 1870; Caroline Irenaus (Pseud.), Hermann Wil- 
helm Bodeker. Pastor primarius und Senior ministrorum in Hannover. Ein Lebensbild, Han- 
nover 1874; Wilhelm Grotefend, Rede am Sarge des Seniors Bodeker, den 8. Januar 1875 
gehalten von seinem langjahrigen Collegen, Hannover 1875. Des weiteren vgl. Bodekers 



118 Claudia Kauertz 

wird in ersterLinie ein Bild derPersonlichkeit Bodekers entworfen, das ihn einer- 
seits als einen originellen, v. a. im liberalen Biirgertum beliebten Prediger und 
Seelsorger schildert, ihn andererseits aber auch als einen streitbaren und bei sei- 
nen Amtskollegen umstrittenen Geistlichen beschreibt. 11 

Umstritten war Bodeker wegen seiner theologischen Position, die in der rationa- 
listischen Theologie der Spa.taufkla.rung verwurzelt war und die moralische Ver- 
antwortung des Einzelnen vor Gott betonte. Die Kirche spielte dabei eine eher un- 
tergeordnete Rolle. Zudem war er ein Anhanger der Union, die die Unterschiede 
zwischen Reformierten und Lutheranern fiir gering hielt und die Gemeinsamkei- 
ten zwischen beiden protestantischen Konfessionen betonte. Uberhaupt zeichne- 
te sich Bodeker durch eine theologische Offenheit aus, die ihn auch den Dialog 
mit Katholiken und Juden suchen lieB und ihm z. B. erlaubte, Selbstmorder kirch- 
lich zu bestatten. Diese liberale theologische Haltung brachte ihm mehrfach die 
scharfe Kritik seiner Amtskollegen im Stadtministerium und in der hanno- 
verschen Landeskirche ein. Sie waren mehrheitlich dem neuorthodoxen Luther- 
tum verpflichtet, das den theologischen Rationalismus in Riickgriff auf die ortho- 
doxe lutherische Tradition des 16. und 17. Jahrhunderts zu iiberwinden suchte. Im 
Gegensatz zu Bodeker betonten die Neulutheraner die Siindhaftigkeit des Men- 
schen, der allein durch die gottliche Gnade gerechtfertigt werden konne, und stell- 
ten die Bedeutung der Amtskirche in den Vordergrund. 12 

Bekannt geworden ist Bodeker nicht nur durch die Streitigkeiten mit seinen 
Amtskollegen, sondern v. a. durch sein auBergewohnliches sozialkaritatives Enga- 
gement, mit dem er der sozialen Frage seiner Zeit begegnete und das groBe Unter- 
stiitzung im liberalen Biirgertum Hannovers fand. Bodeker trat nicht nur als Griin- 
derund Mitglied zahlreicher gemeinniitziger Vereine hervor, 13 sondern rief auch 
mehrere wohltatige Stiftungen ins Leben. 14 Sein sozialkariatives Engagement 



autobiografische Schrift: Hermann Wilhelm Bodeker, 50 Dienstjahre bei der Marktgemeinde 
zu Hannover. Eine Denk- und Dankschrift, zugleich Vermachtnis, Hannover 1873. 

11 Vgl. als Grundlage fiir das Folgende: Rohrbein, Hermann Wilhelm Bodeker (wie 
Anm. 8) 

12 Zu den theologischen Konflikten innerhalb der stadthannoverschen Geistlichkeit: 
Ernst Rohde, Das geistliche Stadtministerium Hannover im 19. Jahrhundert. Gestalten und 
Erlebnisse im alten Hannover, in: Jahrbuch fiir niedersachsische Kirchengeschichte 61 
(1963), S. 115-122. 

13 Eine eher kuriose Vereinsgriindung Bodekers ist der 1838 gegriindete Morgenprome- 
nadenverein, dessen Mitglieder sich zu morgendlichen Spaziergangen trafen und Kontakte 
pflegten, die Bodeker vielfach nutzte, um Spenden zu sammeln. Vgl. dazu Hans Brauns, Der 
Norddeutsche Morgenpromenadenbeforderungsverein in Hannover. Zur 100. Wiederkehr 
seines Griindungsjahres, in: Hannoversche Geschichtsblatter NF 5 (1938), S. 57-62. 

14 Bodeker griindete 1836 die Lehrerwitwenkasse, 1850 das Rettungshaus fiir verwahrlo- 
ste Knaben, 1843 die Marienstiftung zur Ausbildung mittelloser Madchen zu Dienstmad- 



Die Griindung des hannoverschen Tierschutzvereins 119 

fand Widerhall in einer enormen publizistischen Tatigkeit, die seine Aktivitaten 
stets begleitete und bislang nicht erforscht ist. 

2. Motiv und Ziel: Mitleid mit der gequdlten Kreatur und Abschaffung 

der Tierqudlerei 

Bodeker verfasste unter anderem mehrere Broschiiren und Zeitungsartikel zur 
Tierschutzfrage, 15 die die Grundlage dieser Untersuchung bilden. Insbesondere 
werden hier die 1843 erschienene Broschiire „Ueber Thierqualerei" 16 sowie ein 
im gleichen Jahr unter dem Titel „ Angelegentliche und dringende Bitte" 17 verof- 
fendichter Artikel ausgewertet, mit denen Bodeker zur Griindung eines Tier- 
schutzvereins in Hannover aufruft. Des weiteren werden die beiden ersten, im 
Hannoverschen Magazin 1845 und 1848 publizierten Jahresberichte des hanno- 
verschen Vereins gegen Tierqualerei 18 sowie eine weitere, 1862 unter dem Titel 
„Der Thierschutzverein in der Koniglichen Residenzstadt Hannover" 19 erschie- 
nene Broschiire herangezogen, in denen Bodeker jeweils Bilanz der bis dato er- 
folgten Vereinsarbeit zieht. 

Um Bodekers personliches Verhaltnis zu Tieren miteinzubeziehen, wurde zu- 
satzlich noch sein Tagebuch ausgewertet. 20 Es macht deutlich, dass der Pastor von 
Jugend auf ein groBer Pferdefreund war, der diese Freundschaft auch im Alltag 
lebte und seit seiner Studienzeit stets mindestens ein Pferd besaB, das er ritt und 



chen, 1851 die Saugingsbewahranstalt (Bodeker-Krippe) und 1871 das Sabbathhaus, eine Art 
Altenheim fur treue alte Dienerinnen. Vgl. dazu Rohrbein, Bodeker, S. 128. 

15 Vgl. in Bodekers Schriftenverzeichnis (StAH NL Bodeker Nr. 21) zum Tierschutz ins- 
besondere die Nrn. 391, 397, 436, 455, 458, 460, 467-468, 478, 481, 505, 538, 567, 571. 

16 Hermann Wilhelm Bodeker, Ueber Thierqualerei. Offenes Sendschreiben an die Be- 
wohner des Konigreichs Hannover, betreffend die Stiftung eines allgemeinen vaterlandi- 
schen Vereins gegen dieselbe. Zugleich Programm zur constituirenden Versammlung eines 
solchen Vereins zunachst fur die Koenigliche Residenzstadt Hannover und ihre nahere Um- 
gebung, Hannover 1844. 

17 Hermann Wilhelm Bodeker, Angelegentliche und dringende Bitte an die Bewohner 
des Konigreichs Hannover, die Stiftung von Vereinen gegen Thierqualerei betreffend, in: 
Hannoversches Magazin Nr. 92 (1843), S. 729-732. 

18 Hermann Wilhelm Bodeker, Der hannoversche Verein gegen Thierqualerei. Erster 
Jahresbericht, im Namen des Vorstandes erstattet in der Generalversammlung am 11. Mai 

1845 von dem Pastor Bodeker als zeitigem Vorsitzenden, in: Hannoversches Magazin Nr. 48 
(1845), S. 381-384 sowie Ebda. Nr. 49 (1845), S. 392; Ders., Zweiter Bericht des hanno- 
verschen Vereins gegen Thierqualerei, in: Hannoversches Magazin Nr. 17 (1848), S. 129-130. 

19 Hermann Wilhelm Bodeker, Der Thierschutzverein in der Koniglichen Residenzstadt 
Hannover: Bericht, Hannover 1862. 

20 Das von Otto Jiirgens herausgegebene Tagebuch ist gegeniiber dem Originalmanu- 
skript stark gekiirzt (vgl. Anm. 9). Weggelassen wurden haufig auch solche Passagen, in de- 
nen Bodeker iiber seine Pferde berichtet. Diese Stellen werden hier ebenfalls herangezogen. 



120 Claudia Kauertz 

anspannte. In seinem Tagebuch berichtet er regelmaBig iiber Ausfahrten, Ritte, 21 
Reit- und Fahrunfalle, 22 Pferdekrankheiten 23 sowie iiber den Erwerb und Ver- 
kauf 24 seiner Pferde. 

Pferde spielten in Bodekers Leben eine wichtige Rolle. Dies zeigt sich etwa im 
Jahr 1840, als Bodekers Frau sich nicht nur gegen die Haltung zweier Pferde aus- 
sprach, sondern von ihrem Mann die ganzliche Abschaffung der Pferdehaltung 
forderte und damit einen heftigen Ehestreit provozierte: „Betti erklart sich aus 
Sparsamkeit und Demuth ganz entschieden wider das Hal ten zweier Pferde, daher 
geb' ich nach, zumal mir das eine den Schlaf stort; nur kann ich darin trotz ihrer 
entschiedenen, eine heftige Scene veranlassenden Forderung nicht nachgeben, 
daB ich ganz ohne Pferde bleibe; ich muB ja Herr im Hause bleiben." 25 

Dass Pferde fur Bodeker mehr als ein Fortbewegungsmittel waren, wird dort 
deutlich, wo er iiber ihren Verkauf hinaus an ihrem Schicksal Anteil nimmt, 26 ihre 
treuen Dienste lobt 27 oder einfach der Freude Ausdruck verleiht, die sie ihm ma- 
chen. So schreibt er etwa im September 1834 iiber seine Stute Camilla: „Unsere 
Camilla hat diesen Sommer an 100 Meilen mit uns auf Reisen gemacht. Gott er- 
halte uns das Thier, das uns viel Freude gewahrt." 28 Allerdings gibt Bodeker die- 
selbe Camilla 1838 ohne ein erkennbares Zeichen der Trauer an seinen jiingsten 
Bruder Gustav ab, nachdem sie nach mehreren Stiirzen ihren Dienst unter dem 
Sattel und vor dem Wagen nicht mehr optimal erfiillen kann: „Am 5. Marz ver- 
tauschte ich Camilla gegen Gustavs Liese, nachdem jene uns 5Jahre gedient hatte 
und steif geworden war, wahrend diese vierjahrig und hoffentlich schlanker auf 
den FiiBen. Gott segne den Tausch!" 29 

Solche AuBerungen umreiBen die Grenzen von Bodekers Tierfreundschaft. Fiir 
Bodeker umfasst Freundschaft zu Tieren immer ein Nutzungs- und Herrschafts- 
verhaltnis. 

Auch in seinen Tierschutzschriften stellt der hannoversche Pastor die in der 
christlichen Tradition verankerte Herrschaft des Menschen iiber die Tiere nie- 



21 Jurgens, Tagebuch, S. 3, 13, 85. 

22 Jurgens, Tagebuch, S. 12, 28, 86, 104-105, 114, 115, 124. 

23 StAH NL Bodeker Nr. 3, S. 155, 205, 318-319. 

24 StAH NL Bodeker Nr. 3, S. 11, 129, 206, 221, 225-226, 242; Jurgens, Tagebuch, S. 10, 
27, 58-59, 63, 105. 

25 Jurgens, Tagebuch, S. 116. 

26 StAH NL Bodeker Nr. 3, S. 206: „Am 17. Juni kommt Gustav mit seiner Familie durch, 
meldet auch, dass Camilla am 24. April ein hiibsches Fohlen geworfen." 

27 StAH NL Bodeker Nr. 3, S. 184: „Unsere Camilla hat brav marschirt, ward aber heute 
bei der schwiilen, theils regrichten Witterung, zumal im tiefen Heidesande, ein wenig warm 
und freut sich jetzt der kiihlen Erholung." Vgl. auch ebda., S. 176, 214, 231. 

28 Jurgens, Tagebuch, S. 84. 

29 Jurgens, Tagebuch, S. 105. 



Die Griindung des hannoverschen Tierschutzvereins 121 

mals in Frage. Nach Auffassung Bodekers sind die Tiere von Gott zum Nutzen der 
Menschen erschaffen worden. Bodekers Tierfreundschaft ist also anthropozen- 
trisch bestimmt und schlieBt die Totung und Verwertung der Tiere zum Nutzen 
der Menschen ausdriicklich mit ein. Besonders deutlich zeigt dies sein Engage- 
ment fur die Pferdeschlachterei im Rahmen der Tierschutzarbeit. Der Pferde- 
freund Bodeker forderte die geregelte Schlachtung alter und unbrauchbar gewor- 
dener Pferde, 30 da sie auf diese Weise schnell von ihren Leiden erlost wiirden und 
nicht wie bisher ein qualvolles Ende - etwa angebunden in Blutegelteichen als 
Futter fiir die Blutegel 31 oder bis zum Zusammenbruch abgehetzt vor dem Wagen 
- zu erwarten hatten. Gleichzeitig betrachtete er Pferdefleisch als ein ergiebiges 
und billiges Nahrungsmittel, das er fiir geeignet hielt, die Hungersnot seiner Zeit 
zu lindern. Tierschutz und humanitare Erwagungen fallen hier zusammen. Um 
den Genuss von Pferdefleisch 32 popular zu machen, setzten Bodeker und die an- 
deren Vorstandsmitglieder des Tierschutzvereins ein Zeichen. Am 30. April 1847 
veranstalteten sie ein feierliches Pferdesouper. 33 

Wenngleich Bodeker die Herrschaft des Menschen iiber die Tiere als berechtigt 
und gottgewollt ansieht, so fordert er doch eine verantwortungsvolle und modera- 
te Ausgestaltung dieses Machtverhaltnisses. Die Grenze der menschlichen Herr- 
schaft iiber die Tiere wird durch das Gefiihl des Mitleids mit der gequalten Krea- 
tur gezogen. Mitleid mit dem gequalten Tier ist das entscheidende Motiv der frii- 
hen Tierschutzbewegung, die sich ganz dem Kampf gegen die Tierqualerei ver- 
schrieben hatte. In seiner Broschiire „Ueber Thierqualerei" schildert Bodeker mit 
den rhetorischen Kunstgriffen des geiibten Predigers in eindringlicher Weise ver- 
schiedene zeitgenossische Formen der Tierqualerei 34 und ruft den Leserim direk- 



30 Dass Bodeker sich um die Schlachtung alter und unbrauchbarer Pferde bemiihte, zeigt 
auch ein Schreiben des Vorsitzenden des Hamburger Tierschutzvereins Dr. Warburg vom 
13.08.1852. Warburg antwortete darin auf einen Brief Bodekers, der damals anscheinend ei- 
nen regelmaBigen Ankauf alter und unbrauchbarer Pferde in Hamburg und Umgebung plan- 
te, um sie in Hannover schlachten zu lassen. Warburg stand dem Projekt allerdings skeptisch 
gegenuber. Vgl. StAH NL Bodeker Nr. 31. 

31 Bodeker hat sich wiederholt gegen diese gangige zeitgenossische Praxis ausgespro- 
chen. Vgl. Jurgens, Tagebuch, S. 152, und Bodeker, Der Thierschutzverein, S. 7. 

32 Das Essen von Pferdefleisch war bis dahin nicht iiblich. Vgl. Jutta Nowosadtko, Zwi- 
schen Ausbeutung und Tabu. Nutztiere in der friihen Neuzeit, in: Paul Munch (Hg.), Tiere 
und Menschen. Geschichte und Aktualitat eines prekaren Verhaltnisses, Paderborn, Miin- 
chen, Wien, Zurich 1999 2 , S. 247-274, hier S. 265-270. 

33 Vgl. Jurgens, Tagebuch, S. 133. Die Einladungsliste ist in Bodekers Nachlass iiberlie- 
fert. Vgl. StAH NL Bodeker Nr. 31. 

34 Bodeker geht hier v. a. auf solche Tierqualereien ein, die zu seiner Zeit verbreitet wa- 
ren: Tierkampfe, Parforcejagden, die unnotig grausame Vernichtung von Schadlingen, Grau- 
samkeiten bei der Schlachtung von Klein- und GroBtieren, die MiBhandlung von Reit- und 
Arbeitspferden sowie tierqualerische Schlachtviehtransporte. 



122 Claudia Kauertz 

ten Appell zum Mitgefiihl auf: „Aber Grausamkeit ist's doch nun einmal, wenn der 
Schlachterbursche sein Kalb unter ewigem Bellen und BeiBen des Hundes, unter 
unaufhorlichem Aufdrehen des Schwanzes, unter endlosen Peitschenhieben zur 
Stadttreibt! Grausamkeit ist's doch, wenn das Schaf bei seiner Entfernung von der 
Heerde dafiir gepeitscht, am Stricke umhergerissen und sonst gemartert wird, daB 
es in natiirlichem Heimweh sich manchmal zu den Weidegenossen zuriickwen- 
det! Und wie willst Du's nennen, wenn ein Schlachter den zu todtenden Hammel 
aus der Luke des Bodens, wo das Vieh aufgestallt ist, in den Hof hinunterwirft, um 
ihn nicht tragen zu miissen? Wenn ein andrer die Kalber und Schafe zuvor Stun- 
den lang an den durchstochenen Beinen hauptlings aufhangt, damit sich das Blut 
hinunterziehe? Wenn ein dritter, freilich ein notorischer Saufer, dem eben angelie- 
ferten Kalbe nur vorlaufig die Hinterbeine abschneidet, weil er deren gerade be- 
darf, und das arme Thierbis zur demnachstigen volligen Todtung Fluchtversuche 
auf seinen Vorderbeinen und jenen Stumpfen machen laBt?" 35 

Nach Auffassung des Theologen Bodeker sind die Tiere Mitgeschopfe des 
Menschen und wie dieser Teil der gottlichen Schopfungsordnung. Ihre Nutzung 
darf nur innerhalb der von Gott festgesetzten Grenzen erfolgen, der beide, 
Mensch und Tier, zur Freude erschaffen hat und jede unnotige Grausamkeit ver- 
bietet. Tierqualerei gilt als MiBachtung des gottlichen Willens: „HeiBt das Erbar- 
men haben mit dem Vieh? HeiBt das die Grenze innehalten, binnen welcher Gott 
uns gestattet hat, das Thier des Feldes zu unserm Nutzen zu gebrauchen? HeiBt 
das lieben, wie Gott liebt? ,Herrschen' magst Du ,iiber die Fische im Meere und 
iiber die Vogel unter dem Himmel und iiber alles Thier, das auf Erden kreucht', 
wozu aber hat der Herr Dir gestattet, sie zu peinigen? Wo dir erlaubt, ihnen mehr 
Schmerzen zu bereiten, als mit der Ausiibung Deiner Herrschaft nach ihrem gan- 
zem Umfang nothwendig verbunden sind? Wo Dich berechtigt, sie um Deines 
verwohnten Gaumens, um Deiner verkehrten Lust willen zu foltern? Herrsche mit 
geistigem Ubergewicht, aber nicht mir roher Gewalt." 36 

Grundlegend fur das Mitgefiihl mit dem gequalten Tier ist die Vorstellung, dass 
die Tiere - ahnlich wie die Menschen - empfindsame Lebewesen sind, die des- 
halb eine riicksichtsvolle Behandlung verdienen, „denn eine zwar dumpfere und 
minder lebhafte, also auch weniger furchtbare, aber doch immer ahnliche Emp- 
findung, wie wir sie in ahnlicher Lage haben, muB auch bei ihnen vorausgesetzt 
werden." 37 

Gleichzeitig distanziert sich Bodeker jedoch von iibertriebener, maBloser Tier- 
liebe, die Tiere und Menschen quasi gleichsetzt und jede Nutzung und Verwer- 



35 Bodeker, Ueber Thierqualerei, S. 17. 

36 Ebda., S. 8-9. 

37 Ebda., S. 7. 



Die Griindung des hannoverschen Tierschutzvereins 123 

tung von Tieren verbieten will. Eine solche Tierliebe hat mit der von Bodeker ver- 
fochtenen Tierschutzidee nichts mehr zu tun und wird als ^Gotzendienst" 38 und 
„unverstandige Empfindelei" 39 abgelehnt. 

Den Kritikern der friihen Tierschutzbewegung, die fordern, zuerst die Men- 
schenqualerei abzuschaffen, kann Bodeker entgegenhalten, dass der Kampf gegen 
die Tierqualerei keineswegs Selbstzweck sei, sondern sehr wohl „zum Besten der 
Menschen" 40 diene. Denn fur Bodeker ist die Tierqualerei die „Hochschule zur 
Menschenqualerei" 41 und damit nicht nur als solche eine Siinde und ein Verbre- 
chen. Vielmehr bereite sie noch schlimmere Verbrechen gegen die Menschheit 
vor. Der Kampf gegen Tierqualerei wird so in den Dienst der Humanitat gestellt 
und leistet einen Beitrag zur Verbesserung der menschlichen Gesellschaft. 42 

3. Wurzeln: Aufgekldrte Theologie und „theriophile" Positionen des 18.Jahrhunderts 

Wurde eingangs darauf hingewiesen, dass Bodeker von der rationalistischen 
Theologie der deutschen Spataufklarung gepragt war, so liegen auch die Wurzeln 
seines Tierschutzgedankens in dieser theologischen Tradition, die im 18. Jahrhun- 
dert verbreitete tierfreundliche Positionen aufgriff. Die tierfreundlichen oder 
nach zeitgenossischem Sprachgebrauch „theriophilen" Stellungnahmen des 18. 
Jahrhunderts stehen in engem Zusammenhang mit der theologisch-naturphiloso- 
phischen Debatte um die Verwandtschaft zwischen Mensch und Tier, 43 die durch 
den Einfluss konkurrierender Naturauffassungen gepragt war und seit dem 17. 
Jahrhundert besonders verscharft wurde. Zum besseren Verstandnis dieser Zu- 
sammenhange erscheint hier ein Exkurs notwendig. 

Bis ins 17. Jahrhundert dominierte in Europa die christlich iiberformte aristote- 
lische Naturauffassung, die mit der Vorstellung von der Lebenstreppe (scala natu- 
rae) die Verwandtschaft aller Geschopfe betonte. Die aristotelische Stufenleiter 



38 Ebda., S. 24. 

39 Ebda. 

40 Ebda., S. 21. 

41 Ebda., S. 19. 

42 Bodeker, Der Thierschutzverein, S. 10: „Die Ruckwirkung menschlichen Verfahrens 
gegen die Thierwelt auf den Verkehr der Menschen mit einander ist eben so geschichtlich er- 
wiesen, wie die Ruckwirkung unmenschlicher Behandlung der Thiere auf das Verfahren ge- 
gen die in die Gewalt der Thierqualer gelangenden Menschen." 

43 Grundlegendhierzu: Dieter und Roland Narr, Menschenfreund und Tierfreundim 18. 
Jahrhundert, in: Studium generale 20 (1967), S. 293-303; Paul Munch, Die Differenz zwischen 
Mensch und Tier. Ein Grundlagenproblem fruhneuzeitlicher Anthropologie und Zoologie, in: 
Ders. (Hg.) , Tiere und Menschen. Geschichte und Aktualitat eines prekaren Verhaltnisses, Pa 
derborn, Miinchen, Wien, Zurich 1999, S. 323-347; Rainer Walz, Die Verwandtschaft zwi- 
schen Mensch und Tier in der fruhneuzeitlichen Wissenschaft, in: Ebda., S. 295-321. 



124 Claudia Kauertz 

der Natur erstreckte sich von den unbeseelten Dingen iiber die beseelten Lebewe- 
sen bis hin zu Gott. Zur beseelten Natur gehorten die Pflanzen, die Tiere und die 
Menschen. 44 Sie alle hatten Anteil an den verschiedenen Seelenkraften der Natur, 
wobei nach aristotelischer Auffassung die Seele (anima) allgemein als das beleben- 
de Prinzip gait und Korper und Seele in enger Verbindung gedacht wurden. Be- 
lebt wurden Pflanzen, Tiere und Menschen durch die anima vegetativa, die fur die 
Nahrungsaufnahme, das Wachstum und die Fortpflanzung verantwortlich war. 
Die anima rationalis, die Vernunft, wurde jedoch nur dem Menschen zugespro- 
chen, d. h. er allein besaB das Vermogen der Selbst- und Gotteserkenntnis. Die 
Tiere hingegen hatten keinen Anteil an der Vernunft, wohl aber - aufgrund ihrer 
anima sensitiva - die Fahigkeit zur Empfindung und eine groBe Menge an angebo- 
renen Fahigkeiten und Instinkten, die von der theriophilen Tradition seit der Anti- 
ke gepriesen wurden. 45 

Seit dem 17. Jahrhundert wurde die aristotelische Kosmologie immer starker in 
Frage gestellt, wobei die radikalste und wirkungsmachtigste Kritik von Descartes 
und seinen Anhangern vorgebracht wurde. Sie vollzogen die strikte Trennung 
zwischen Mensch und Tier und reservierten die unsterbliche Seele und damit so- 
wohl Vernunft als auch Empfindungsfahigkeit allein fur den Menschen. 46 Nach 
mechanistischer Auffassung waren die Tiere allein auf ihren Korper reduziert, 
dessen Funktionsweise mit dem eines empfindungslosen Uhrwerks oder Automa- 
ten gleichgesetzt wurde. Da man ihnen jegliches Gefiihl absprach, brauchte ihre 
Behandlung keinerlei ethischen Beschrankungen zu unterliegen. 

Mit ihrer provokativen Lehre von den Tiermaschinen losten die Mechanisten 
gerade in der deutschen protestantischen Aufklarung eine heftige Debatte aus, die 
allerdings nicht als AusdruckbesondererTierliebe oder eines eigenen Tierschutz- 



44 Vgl. zur Diskussion iiber die Tierseele in der deutschen Aufklarung: Hans Werner In- 
gensiep, Der Mensch im Spiegel der Tier- und Pflanzenseele: Zur Anthropomorphologie der 
Naturwahrnehmung im 18. Jahrhundert, in: Hans-Jiirgen Schings (Hg.), Der ganze Mensch. 
Anthropologie und Literaturim 18. Jahrhundert, Stuttgart 1994, S. 54-79; Giinter Frank, See- 
le oder Maschine? Der Streit urn die Tierseele in der deutschen Aufklarung, in: Friedrich Nie- 
wohner, Jean-Loup Seban (Hgg.), Die Seele der Tiere, Wiesbaden 2001, S. 249-266. 

45 Extreme Vertreter dieser Tradition, wie etwa der in der ersten Halfte des 16. Jahrhun- 
derts lebende norditalienische Bischof Hieronymus Rorarius, vertraten die These, dass die 
Tiere nicht nur Anteil an der Vernunft hatten, sondern dass sie diese oft besser gebrauchten 
als die Menschen. Vgl. Frank, Seele oder Maschine?, S. 253-254. 

46 Descartes, der sich in seinem Werk mehrfach mit dem Problem der Tierseele beschaf- 
tigte, wies in seinen Lehren manche Uneindeutigkeiten und Widerspruche auf. So gestand er 
den Tieren durchaus ein Schmerzempfinden zu. Seine Lehren wurden jedoch von seinen An- 
hangern in vergroberter Form rezipiert und verbreitet. Vgl. Gabor Boros, Fictum Brutum? 
Uber die ambivalente Tierseelenlehre des Decartes, in: Friedrich Niewohner, Jean-Loup Se- 
ban (Hgg.), Die Seele der Tiere, Wiesbaden 2001, S. 181-202; Munch, Differenz zwischen 
Mensch und Tier, S. 328-331. 



Die Griindung des hannoverschen Tierschutzvereins 125 

gedankens zu werten ist, sondern in ersterLinie wegen der theologischen Implika- 
tionen der Maschinentheorie und der Gefahr ihrer Ubertragung auf den Men- 
schen gefiihrt wurde. In dieser Diskussion, die sich auf die metaphysische Proble- 
matik der Tierseele konzentrierte, ging es eigentlich um die Seele des Menschen, 
seine Stellung im Kosmos sowie um das Verhaltnis Gottes zu seiner Schopfung. 
Dem Tier kam dabei nur die Rolle eines bloBen Anschauungsobjektes zu. 

In der deutschen Aufklarung war eine gemaBigte Position verbreitet, die de fac- 
to wieder eine Annaherung zwischen Mensch und Tier mit sich brachte. 47 Im Un- 
terschied zu Descartes sprachen die deutschen Aufklarer den Tieren durchaus ei- 
ne Seele zu, die sich allerdings ihrem Grad nach von der unsterblichen menschli- 
chen Seele unterscheide. Demnach waren die Tiere zwar nicht fur geistige 
Erkenntnisakte, jedoch sehr wohl fur Empfindungen zuganglich. In diesem Zu- 
sammenhang wurde insbesondere ihre Fahigkeit zum Leiden hervorgehoben, die 
sie mit den Menschen verband. Sie bildete die Grundlage fur einen von Mitgefiihl 
und Riicksicht gepragten Umgang mit den Tieren. 

Das Mitgefiihl mit dem gequalten Tier und die Ablehnung von Tierqualerei 
fiigten sich an verschiedenen Stellen in das zeitgenossische Denken ein. Zum ei- 
nen entsprach es den Prinzipien des rationalistischen Utilitarismus, der erkannte, 
dass die Leistung der Tiere, auf die die Zeitgenossen existentiell angewiesen wa- 
ren, durch schlechte Behandlung gemindert wurde. In Ubernahme einer bereits 
seit der Antike bekannten Argumentationsfigur 48 ging man zudem davon aus, 
dass der rohe Umgang mit Tieren unempfindlich mache fiir die Grausamkeit ge- 
gen Menschen. Menschenfreund und Tierfreund waren damit fiir die Aufklarer 
synonyme Begriffe. Mitleid mit dem gequalten Tier war ein erwunschtes Gefiihl, 
das fiir die Leiden der Menschheit sensibilisierte. Hieran wird deutlich, dass der 
aufklarerische Rationalismus Gefiihle durchaus zulieB, allerdings nur wenn sie ge- 
regelt, gemaBigt, also „verniinftig" waren und in den Dienst der angestrebten Ver- 
besserung der Gesellschaft gestellt werden konnten. Gewarnt wurde dagegen vor 
iibertriebener, maBloser Tierliebe, die das Tier dem Menschen gleichstellte und 
von den Zeitgenossen als „Empfindelei" charakterisiert wurde. 49 

Unterstiitzt wurde das Mitgefiihl mit dem gequalten Tier zum anderen auch 
durch theologische Erwagungen, die in der gemaBigten deutschen Aufklarung, 
die sich um eine Harmonisierung von Glauben und Vernunft bemiihte, eine gro- 
Be Rolle spielten. Zwar finden sich in der Bibel durchaus Stellen, die die Herr- 
schaft des Menschen iiber die Tiere festschreiben 50 und damit etwa auch Ansatz- 



47 Vgl. dazu Frank, Seele oder Maschine?, S. 256-261. 

48 Vgl. Jung, Tierschutzpredigten und Tierschutzvereine in Dresden, S. 88, sowie Ders., 
Tierschutzgedanken in Pietismus und Aufklarung, S. 115. 

49 Vgl. D. und R. Narr, Menschenfreund und Tierfreund, S. 303. 

50 So z. B. 1 Mos. 1,2: „Herrschet iiber die Fische im Meer und iiber alles Getier, das auf 



126 Claudia Kauertz 

punkte fiir die mechanistische Tierautomatenlehre boten. Doch konnte sich eine 
tierfreundliche Haltung ebenfalls auf einschlagige Bibelstellen stiitzen. 51 Im Zu- 
sammenhang der Schopfungstheologie wurden die Tiere als Mitgeschopfe be- 
trachtet, die mit den Menschen durch die gemeinsame Beziehung zum Schopfer- 
gott verbunden waren. Das traditionelle Herrschaftsverhaltnis wurde allerdings 
nicht in Frage gestellt. Mensch und Tier war von Gott jeweils ein anderer Platz in 
der Schopfung zugewiesen. Als untergebene, doch empfindsame Mitgeschopfe 
hatten die Tiere Anspruch auf die riicksichtsvolle Behandlung und das schiitzen- 
de Mitleid des Menschen. Unbarmherzige Harte und Vernachlassigung der Pfle- 
ge galten als Siinde und VerstoB gegen den Willen Gottes. 52 

Wahrend es in den Debatten um die Tierseele zunachst weniger um das Tier als 
urn den Menschen ging, gewann das Mitgefiihl mit dem gequalten Tier im Laufe 
des 18. Jahrhunderts immer mehr Raum und bildete die Grundlage der sich all- 
mahlich verselbststandigenden Tierschutzidee. Die meisten von der Aufklarung 
beeinflussten geistigen Stromungen der Zeit griff en tierfreundliche Positionen auf, 
die um 1800 in Kreisen des gebildeten Biirgertums allgemein verbreitet waren. 
Der groBte Teil der Autoren setzte Tierfreund und Menschenfreund gleich und 
propagierte einen mitfuhlenden Umgang mit Haus- und Nutztieren. 53 

Besondere Bedeutung erlangte der Tierschutzgedanke in den verschiedenen 
Richtungen der protestantischen Theologie. Mitleid mit dem gequalten Tier und 
Abscheu vor Tierqualerei lassen sich gegen Ende des 18. Jahrhunderts ebenso bei 
rationalistischen wie auch bei pietistischen Theologen nachweisen. 54 Protestanti- 
sche Pfarrer unterschiedlicher theologischer Couleur waren die Pioniere der orga- 



Erden kriecht." 

51 So z. B. Spriiche 12, 10: „Der Gerechte erbarmt sich seines Viehs, aber das Herz des 
Gottlosen ist unbarmherzig." 

52 Ausdruck findet eine solche Haltung" unter anderem in zeitgenossischen Kirchenlie- 
dern, die das „Burgerrecht" der Tiere dem uneingeschrankten menschlichen Nutzungsrecht 
am Tier gegeniiberstellten und in alien protestantischen Konfessionen und theologischen 
Richtungen verbreitet waren. Vgl. dazu D. und R. Narr, Menschenfreund und Tierfreund, 
S. 200-301. 

53 Als Beispiel fiir eine solche Haltung sei hier nur Adolph Freiherr von Knigge genannt, 
der seinem 1788 erschienen Werk „Uber den Umgang mit Menschen" ein Kapitel „Uber die 
Art, mit Thieren umzugehen" beifiigt. Dort befurchtet er u. a., „dass Grausamkeit gegeniiber 
unverniinftigen Wesen unmerklich zur Harte und Grausamkeit gegen unsre verniinftigen Ne- 
bengeschopfe" fiihren konne. Vgl. Adolph Freiherr von Knigge, Ueber den Umgang mit 
Menschen, Miinchen 1975 (ND der Ausgabe Leipzig 1878), S. 365. Weitere Beispiele liefert 
Jung, Die Anfange der deutschen Tierschutzbewegung, S. 223. 

54 So lasst ein Vergleich der Positionen des rationalistischen Theologen Christoph Fried- 
rich von Ammon, des Griinders des Dresdener Tierschutzvereins, mit denen der pietistischen 
Tierschutzer weitgehende Ubereinstimmungen erkennen. Vgl. Jung, Tierschutzpredigten 
und Tierschutzvereine in Dresden, S. 83-96. 



Die Griindung des hannoverschen Tierschutzvereins 127 

nisierten deutschen Tierschutzbewegung, die die ersten Werbe- und Programm- 
schriften gegen Tierqualerei veroffentlichten und die ersten Tierschutzvereine ins 
Leben riefen. 55 

4. Kontext: Diefriihe deutsche Tierschutzbewegung 

Zuletzt soil der hannoversche Tierschutzverein in den Kontext der friihen deut- 
schen Tierschutzbewegung gestellt werden. Hierzu dient ein Vergleich mit dem 
Miinchener Tierschutzverein, zu dem, wie aus Bodekers Nachlass hervorgeht, 56 
enge Kontakte bestanden. Gegriindet wurde der Miinchener „Verein gegen Thier- 
qualerei" 1842 durch denjuristen und Hofrat Ignaz Perner, 57 dem es bald gelang, 
den Verein zum groBten und einflussreichsten Tierschutzverein Deutschlands zu 
machen. 58 Hinsichtlich der Griindungsmotivation, der Vereinsziele sowie der 
praktischen Vereinsarbeit weisen beide Griindungen deutliche Parallelen auf und 
lassen zugleich typische Merkmale der friihen organisierten Tierschutzbewegung 
erkennen. Wie fur Bodeker war auch fur Perner 59 das Mitleid mit der gequalten 
Kreatur maBgebliches Motiv zur Griindung eines „Vereins gegen Thierqualerei". 

55 Dabei war insbesondere der wiirttembergische Pietismus mit seiner bis hin zu Spener 
reichenden Tradition der Ablehnung von Tierqualerei wegbereitend fur die organisierte 
Tierschutzbewegung des 19. Jahrhunderts. So wurde die erste, zur Griindung eines „Vereins 
gegen Thierqualerei" fuhrende Werbe- und Programmschrift fur den Tierschutz von dem 
pietistischen Theologen Christian Adam Dann verfasst und der erste deutsche Tierschutzver- 
ein von Danns Schiller, dem Pfarrer Albert Knapp, 1837 in Stuttgart gegriindet. Die Schriften 
beider Theologen wurden jiingst von Martin H. Jung neu herausgegeben (vgl. Anm. 4). Aller- 
dings gab es bereits seit der 2. Halfte des 18. Jahrhunderts in England und Danemark Auto- 
ren und Autorinnen, wie z. B. den englischen Geistlichen Humphrey Primatt, den danischen 
Theologieprofessor Laurids Smith (1754-1794) oderdie englische Schriftstellerin Sarah Trim- 
mer (1741-1810), die sich in ihren Schriften gegen die Tierqualerei wandten und teilweise be- 
reits die Einfiihrung von Tierschutzgesetzen forderten. Dazu Jung, Die Anfange der deut- 
schen Tierschutzbewegung, S. 227. Auch in Deutschland waren bereits vor Dann explizite 
Programmschriften fur den Tierschutz veroffentlicht worden, die allerdings nicht zur Griin- 
dung von Tierschutzvereinen fiihrten. So etwa Johann Friedrich Ludwig Volckmann, Von 
Menschenstolz und Thierqualen: eine Verteidigung der seufzenden Creatur vor dem Richter- 
stuhle der Menschlichkeit, Helmstedt 1799. 

56 Vgl. die Vereinsunterlagen (StAH NL Bodeker Nr. 31) sowie Bodekers Tagebuch (NL 
Bodeker Nr. 3, S. 251, 386, 531), die iiber den personlichen Kontakt der beiden Vereinsgriin- 
der, iiber gegenseitige Besuche und Korrespondenz Auskunft geben. Bodeker, Der Thier- 
schutzverein, S. 10, bezeichnet den Miinchener Tierschutzverein als „Mutterverein", der den 
hannoverschen Verein stets unterstiitzt habe. 

57 Vgl. fur das Folgende: Zerbel, Tierschutz im Kaiserreich, S. 57-79. 

58 Ebda., S. 62. Im Jahr 1843 besaB der Verein bereits 3000 Mitglieder in insgesamt zehn 
Filialvereinen. 1886 erreichte die Mitgliederzahl mit 11382 Mitgliedern einen absoluten Ho- 
hepunkt. 

59 Ebda., S. 78-79. 



128 Claudia Kauertz 

Vereinsziel war die Abschaffung der Tierqualerei, 60 ohne dass das menschliche 
Nutzungsrecht am Tier in Frage gestellt wurde. 

Im Einklang mit dem rationalistischen Fortschrittsglauben lag der Schwer- 
punkt der Vereinsarbeit auf der Auf klarung. Mit Hilfe einer weitverzweigten Kor- 
respondenz bauten Perner und Bodeker ein kommunikatives Netzwerk auf, dass 
auf die Werbung neuer Mitglieder und die Griindung weiterer Tierschutzvereine 
abzielte. 61 Gezielt forderten sie 62 in einer groB angelegten Kampagne nicht nur 
Mitglieder der gesellschaftlichen und politischen Eliten, sondern auch weltliche 
und geistliche Behorden, stadtische Magistrate, Lehrer und Pfarrer zur Mitarbeit 
in der Tierschutzbewegung auf. 

Gleichzeitig machten beide Vereinsgriinder 63 die Tierschutzfrage in zahlrei- 
chen Zeitungsartikeln zum Gegenstand der offentlichen Diskussion 64 und pran- 
gerten die Tierqualerei in ihren verschiedenen Erscheinungsformen an. 65 Als 



60 Vgl. Bodeker, Erster Jahresbericht, in: Hannoversches Magazin Nr. 48 (1845), S. 381, 
zur Definition von Tierqualerei in den Statuten des hannoverschen Tierschutzvereins: „Sie 
[die Mitglieder, die Verf.] verstehen aber unter Thierqualerei eine solche Handlungsweise, da 
man a) einem Thiere Das versagt, was fur dessen Leben und Gesundheit nothig ist, insbeson- 
dere Pflege und Wartung; b) einem Thiere bei dem Gebrauche oder bei der niitzlichen oder 
nothwendigen Todtung desselben ohne Noth Schmerzen zufiigt, es iiber seine Krafte an- 
strengt oder es zum Vergniigen, aus Bosheit oder leichtsinnig miBhandelt." Zu Perners Moti- 
vation, die in den Statuten des Miinchener Tierschutzvereins ihren Niederschlag fand: Zer- 
bel, Tierschutz im Kaiserreich, S. 58-59. 

61 Insbesondere ist hier auf die Arbeit Perners hinzuweisen, der im Tierschutz ein 
menschheitsumfassendes Anliegen sah und sich um die Ausbreitung der Tierschutzidee in 
ganz Europa bemuhte. Er nutzte seine europaweiten Kontakte, um die Griindung von Tier- 
schutzvereinen iiber Bayern und die anderen deutschen Staaten hinaus anzuregen. Vgl. Zer- 
bel, Tierschutz im Kaiserreich, S. 70. Bodeker dagegen bemuhte sich hauptsachlich um die 
Griindung von Filialvereinen im Konigreich Hannover. Vgl. dazu Bodeker, Der Thierschutz- 
verein, S. 9. Allerdings ist auch er an einer supranationalen Losung der Tierschutzfrage inter- 
essiert, wie seine Teilnahme am Internationalen Tierschutzkongress in Paris 1867 deutlich 
macht. Vgl. StAH NL Bodeker Nr. 3, S. 660-662. 

62 Vgl. zu Perner: Zerbel, Tierschutz im Kaiserreich, S. 70. Uber die kostenlose Versen- 
dung von Broschuren an Schulen und Magistrate berichtet Bodeker, Erster Jahresbericht, 
S. 382. Eine Ausschreibung des Koniglichen Konsistoriums vom 14.01.1845, die alle Prediger 
und Lehrer aufforderte, sich fur die Sache des Tierschutzes einzusetzen, fiihrt Bodeker, ebda., 
S. 383, direkt auf die Wirkung des hannoverschen Tierschutzvereins zuriick. Ein Exemplar 
dieser Ausschreibung" ist erhalten in: NHStAH (Niedersachsisches Hauptstaatsarchiv Hanno- 
ver) Hann. 180 Hannover E 1 Nr. 386. 

63 Vgl. zu Perner: Zerbel, Tierschutz im Kaiserreich, S. 68, zu Bodeker vgl. Anm. 15. 

64 Eine eigene Vereinszeitschrift hatten sowohl der hannoversche als auch der Miinche- 
ner Tierschutzverein nicht. Ab 1880 erklart der Miinchener Tierschutzverein die vom Tier- 
schutzverein fur das GroBherzogtum Hessen herausgegebene Zeitschrift „Allgemeine Thier- 
schutz-Zeitschrift" zum offiziellen Organ. Bodeker hingegen empfiehlt die unter dem Titel 
„Der Menschenfreund in seinen Beziehungen zur belebten Welt" wochentlich erscheinende 



Die Griindung des hannoverschen Tierschutzvereins 129 

konkrete Missstande wurden seit den 1840erjahren bis etwa 1860 hauptsachlich 
tierqualerische Praktiken bei Schlachtviehtransporten, insbesondere der gefessel- 
te und liegende Transport von Schlachtkalbern, die Misshandlung von Reit- und 
Wagenpferden sowie die Anwesenheit von Kindern und Jugendlichen beim 
Schlachten beklagt. Durch die Herausgabe padagogischerBroschiiren bemiihten 
sich Bodeker und Perner um die tierfreundliche Erziehung der Jugend. Hier ist v. 
a. auf die fiihrende Rolle des Miinchener Tierschutzvereins hinzuweisen, dessen 
Broschiiren auch von Bodeker angefordert und verteilt wurden. 66 

Allerdings beschrankten sich die Protagonisten der friihen Tierschutzbewe- 
gung, die zumeist als Pfarrer, Juristen oder Lehrer den gebildeten biirgerlichen 
Schichten angehorten, nicht allein auf die Erziehung der Jugend, sondern verfoch- 
ten ein breitangelegtes Erziehungsprogramm, das besonders auf die nichtbiirger- 
lichen Unterschichten abzielte. Sie unterstellten ihnen, in ersterLinie werden hier 
Schlachter und Mietkutscher genannt, grundsatzlich eine Affinitat zur Tierquale- 
rei, 67 die sie allein als Ausdruckeines moralischen Defizits, eines „verrohten" Cha- 
rakters bewerteten. 68 Andere als moralische Ursachen fur die Misshandlung von 
Tieren, wie etwa die schwierige wirtschaftliche Lage der meisten Mietkutscher, 
die als Erklarung fiir ein aggressives Verhalten gegen ihre Pferde hatte dienen 
konnen, wurden nicht beriicksichtigt. 69 



nende Zeitschrift des Dresdener Tierschutzvereins zur Lektiire. Vgl. Bodeker, Ersterjahres- 
bericht, in: Hannoversches Magazin Nr. 48 (1845), S. 384. 

65 Vgl. die Statuten des hannoverschen Vereins gegen Tierqualerei in Bodeker, Erster 
Jahresbericht, S. 382: „Diesen Zweck ihrer Verbindung wollen sie [die Mitglieder, die Verf.] 

dadurch zu erreichen suchen, daB sie [. . .] c) durch personliche Belehrung und Verbreitung 
von popularen Schriften auf die Schadlichkeit, Schandlichkeit und Siindlichkeit der Thier- 
qualerei aufmerksam machen, um eine bessere Behandlung der Thiere herbeizufuhren." 

66 Zerbel, Tierschutz im Kaiserreich, S. 69-70. 

67 Vgl. Bodeker, Zweiter Bericht, S. 129: „Endlich sind es besonders die niedrigen, rohen 
Classen der Bevolkerung, welche sich der Thierqualerei schuldig machen; auf diese aber ma- 
chen Vorstelllungen und Bitten weniger Eindruck als angedrohte und vollziehbare Strafen." 

68 Allerdings iibt Bodeker, Ueber Thierqualerei., S. 15-16, auch scharfe Kritik an der ex- 
pandierenden naturwissenschaftlichen Forschung, deren Vertreter, die ja den gebildeten 
Schichten angehoren, er ebenfalls der Tierqualerei bezichtigt: „Da schneidet Ihr einen Hund, 
eine Katze, ein Kaninchen bei lebendigem Leibe auf, ja, Ihr secirt sie formlich, um die Bewe- 
gung der Eingeweide, die Wirkung des Durchschneidens einer Sehne, einer Muskel oder des 
Ruckgrats zu beobachten. Gottes Eigenthum sind sie, und er schuf sie, wie Euch, zur Freude; 
und Ihrgeht so mit fremdem Eigenthum um? Bereitet ohne dringende Noth solchen Jammer, 
wo Gliick wohnen soil? Ach, Ihr Lieben, Ihr miisset in der groBen Bibliothek der Natur ja so 
viele andere Biicher mit sieben Siegeln dulden, - so lasset Euch denn in Gottes Namen auch 
verborgen bleiben, was nur mit Hintansetzung alles Menschengefiihls, unter entschiedenem 
Widerspruche Eurer bessern Natur und feierlichem Proteste des gottlichen Wortes enthullt 
werden kann." 

69 Vgl. zur moralischen Bewertung tierqualerischer Kutscher in der biirgerlichen Gesell- 



130 Claudia Kauertz 

Durch ein System von Belohnung und Bestrafung wollten die friihen Tierschiit- 
zer die Abschaffung der Tierqualerei erreichen. Als Belohmmgen wurden Ehren- 
mitgliedschaften, Medaillen und zum Teil sogar Geldpreise an aktive Tierschiitzer 
vergeben. 70 So schlagt Bodeker zum Beispiel 1853 vor, diejenigen Fuhrleute, die 
ihre Kalber auf Wagen stehend zum Schlachten nach Hannover transportierten, 
mit einer Ehrenmedaille zu belohnen. 71 

Gleichzeitig bemiihte sich die friihe organisierte Tierschutzbewegung um die 
Einfuhrung einer bis dahin in den deutschen Staaten unbekannten Tierschutzge- 
setzgebung als wirksamstes Mittel zur Abschaffung der Tierqualerei. Die Forde- 
rung der Tierschutzgesetze 72 war eines der Hauptanliegen der Vereine, 73 die in 
der polizeilichen Bestrafung von Tierqualerei ein geeignetes Erziehungsmittel fur 
die ihrer Meinung nach „verrohten" Unterschichten sahen. 74 Tatsachlich iibten 
die Tierschutzvereine, die sich mit zahlreichen Eingaben an die fiir die Gesetzge- 
bung zustandigen Institutionen wandten und meist staatlich gefordert wurden, ei- 
nen maBgeblichen Einfluss auf den Erlass von Tierschutzgesetzen in den deut- 
schen Staaten aus. 75 Deutlich wird dieser Einfluss in der moralisch-anthropozen- 
trischen Ausrichtung der ersten deutschen Tierschutzgesetze, die nur die in der 
Offentlichkeit begangene Tierqualerei unter Strafe stellten, d. h. sich nur gegen ih- 
re verrohende Wirkung auf die Moralitat der Menschen wandten. Im Konigreich 
Hannover wurde mit dem § 126 des Polizeistrafgesetzes von 1847 erstmals eine ge- 



schaft des 19. Jahrhunderts: Jutta Buchner(-Fuhs) , Kultur mit Tieren. Zur Formierung des biir- 
gerlichen Tierverstandnisses im 19. Jahrhundert, Miinster, New York, Berlin, Miinchen 1996, 
S. 29-33. Vgl. allgemein zur Bedeutung der Freundschaft zu Tieren in der biirgerlichen Gesell- 
schaft des 19. Jahrhunderts: Dies., Das Tier als Freund. Uberlegungen zur Gefuhlsgeschichte 
des 19. Jahrhunderts, in: Munch, Paul (Hg.), Tiere und Menschen. Geschichte und Aktualitat 
eines prekaren Verhaltnisses, Paderborn, Wien, Miinchen, Zurich 1999, S. 275-294. 

70 Vgl. zur Belohnungspraxis des Miinchener Tierschutzvereins: Zerbel, Tierschutz im 
Kaiserreich, S. 70. 

71 Vgl. StAH NL Bodeker Nr. 31, Umlauf vom 27.03.1853. 

72 Das erste europaische Tierschutzgesetz wurde 1822 in England erlassen. Als erstes 
deutsches Land verabschiedete Sachsen mit dem Kriminalgesetzbuch vom 30.03.1838 ein 
Gesetz gegen Tierqualerei. Vgl. dazu Zerbel, Tierschutz im Kaiserreich, S. 41-47. 

73 Vgl. die Statuten des hannoverschen Vereins gegen Tierqualerei in Bodeker, Erster 
Jahresbericht, S. 382: „Diesen Zweck ihrer Verbindung wollen sie [die Mitglieder, die Verf.] 

dadurch zu erreichen suchen, daB sie [. . .] b) dieselbe [die Tierqualerei, Verf.] auch auBer ih- 
rer nahern Umgebung auf jede erlaubte und rechtmaBige Weise verhindern und die Auf- 
rechthaltung der etwa gegen sie zu erlassenden hoheren Verordnungen moglichst fordern." 

74 Vgl. Anm. 67. 

75 Bodeker, Zweiter Bericht, S. 129, fiihrt den Erlass des Tierschutzartikels im Rahmen 
des Polizeistrafgesetzes von 1847 mittelbar auf ein Gesuch des hannoverschen Tierschutzver- 
eins an die Standeversammlung zuriick, die sich daraufhin beim Innenministerium fiir die 
Tierschutzgesetzgebung eingesetzt habe. 



Die Griindung des hannoverschen Tierschutzvereins 131 

setzliche Tierschutzbestimmung eingefiihrt. 76 Fiir das Konigreich Bayern wurde 
die erste selbststandige Strafbestimmung gegen Tierqualerei erst im Rahmen des 
Polizeistrafgesetzes von 1861 erlassen. 77 

2 . Fazit und Ausblick 

Bodekers Hauptmotiv fiir sein tierschiitzerisches Engagement war das Mitleid mit 
der gequalten Kreatur. Hauptziel war die Abschaffung der Tierqualerei, die als 
Vorschule der Grausamkeit gegen Menschen gait. In diesem Sinne leistete der 
Tierschutz einen Beitrag zur angestrebten Verbesserung der menschlichen Ge- 
sellschaft. 

Die Wurzeln von Bodekers Tierschutzgedanken liegen in der Philosophie und 
Theologie der deutschen protestantischen Aufklarung. Hauptsachlich in Reakti- 
on auf die mechanistische Tierautomatenlehre des 17. Jahrhunderts betonten die 
deutschen Aufklarer die menschenahnliche Empfindungsfahigkeit der Tiere und 
forderten auf dieser Basis zu einem riicksichtsvollen Umgang mit ihnen auf, ohne 
die in der christlichen Lehre verankerte Herrschaft des Menschen iiber die Tiere 
in Frage zu stellen. 

Die von Bodeker vorgebrachten Motive und Ziele sind typisch fiir die friihe or- 
ganisierte Tierschutzbewegung, deren Tierschutzidee noch ganz im Denken des 
18. Jahrhunderts verwurzelt war. Ein Novum des 19. Jahrhunderts ist der Zusam- 
menschluss der Tierfreunde in Vereinen, das Entstehen der organisierten Tier- 
schutzbewegung. 78 Vereine entstanden als neue Moglichkeit sozialer Gruppenbil- 
dung in der biirgerlichen Gesellschaft. Gegriindet wurden sie als Interessenverei- 
nigungen, die zumindest partiell und zielgerichtet die gesellschaftliche und 
politische Mitbestimmung anstrebten. Diese Tendenz ist auch bei den friihen 
Tierschutzvereinen zu erkennen, die mit ihren Eingaben Einfluss auf die zeitge- 
nossische Gesetzgebung zu gewinnen suchten und auch erlangen konnten. 

War die Arbeit der friihen deutschen Tierschutzbewegung in den ersten 25Jah- 
ren durch den Kampf gegen die Tierqualerei gekennzeichnet, so ist seit den 
1860erjahren ein Wandel zu erkennen, der in der sukzessiven Umbenennung der 



76 Vgl. Polizeistrafgesetz fiir das Konigreich Hannover vom 25. Mai 1847, Hannover 
1847 , § 126, S. 15. Unter den Vergehen gegen Sittlichkeit und Ordnung wird dort eine gesetz- 
liche Grundlage fiir das Vorgehen gegen die offentliche Tierqualerei geschaffen: „Rohe, Aer- 
gerniB erregende MiBhandlung von Thieren ist mit Verweis, GeldbuBe bis zu 5 Thalern oder 
verhaltniBmaBigem GefangniB zu ahnden." 

77 Allerdings war in Bayern bereits 1839 ein Ministerialreskript erlassen worden, das die 
Polizei aufforderte, gegen die offentliche MiBhandlung" von Tieren einzuschreiten. Vgl. Zer- 
bel, Tierschutz im Kaiserreich, S. 44. 

78 Vgl. allgemein zur Geschichte des Vereinswesens und insbesondere zu den vereinsge- 
schichtlichen Aspekten der Tierschutzbewegung im 19. Jahrhundert: Ebda., S. 17-56. 



132 Claudia Kauertz 

„Vereine gegen Tierqualerei" in „Tierschutzvereine" seinen auBeren Ausdruck 
fand. In Hannover erfolgte die Umbenennung 1862, in Miinchen mit der Neu- 
griindung des Tierschutzvereins 1867. AuBerer Anlass war die nach Ansicht der 
Vereinsgriinder erfolgreiche Arbeit der Tierschutzvereine. Die meisten in der 
Friihphase angeprangerten offentlichen Tierqualereien seien durch das erfolgrei- 
che Wirken der Tierschiitzer so weit zuriickgegangen, dass sich die Vereine ver- 
mehrt praventiven MaBnahmen widmen und um die artgerechte Behandlung 
von Tieren kiimmern konnten. 79 Zwar spiel te die Aufklarung und v. a. die Erzie- 
hung der Jugend zur Tierliebe auch in der zweiten Jahrhunderthalfte noch eine 
Rolle, doch trat nun die praktische Tierschutzarbeit vor Ort starker in den Vorder- 
grund. Als Beispiele sind hier die Anstellung von Tierschutzaufsehern und 
Armentierarzten, die Errichtung von Trinkbrunnen fur Tiere in den Stadten, die 
Anschaffung von Transportwagen fur verungliickte Tiere und der allerdings erst 
nach 1900 erfolgte Bau von Tierasylen zu nennen. 80 Die Tierschutzbewegung 
blieb auch in der zweiten Halfte des 19. Jahrhunderts von einem moralisch-an- 
thropozentrisch ausgerichteten Gefiihl der Freundschaft zu Tieren bestimmt. Im 
Zentrum der Tierschutzarbeit stand weiterhin der Mensch. Tiere wurden nicht 
um ihrer selbst willen, sondern v. a. in ihrer Bedeutung fiir den Menschen, als Ob- 
jekte des Besitzesund derNutzung wie auch als Projektionsflache firr menschliche 
Moralvorstellungen wahrgenommen und geschiitzt. 81 Ethischer Tierschutz, der 
das Tier um seiner selbst Willen, ohne Riicksicht auf die menschliche Nutzung 
oder die menschliche Moral unter Schutz stellt, 82 ist ebenso wie der Artenschutz 
eine Errungenschaft des 20. Jahrhunderts. 



79 Zu den Motiven der Umbenennung vgl. Bodeker, Der Thierschutzverein, S. 9: „Alles 
das sind Ausfliisse unsers hannoverschen und manches auswartigen gottgesegneten Vereins 
gegen Thierqualerei, so das wir jetzt schon einen bedeutenden Schritt weiter gehen und uns 
nicht mehr „Vereine gegen Thierqualerei", sondern „Thierschutzvereine" nennen, nicht allein 
nichts Boses soil unsern fiihlenden Mitgeschopfen mehr zugefugt, sondern sie sollen auch an- 
gemessen geliittert, getrankt, gepflegt, bedeckt, gestallt, gestreuet, gewarmt werden. Vom 
Kampfe gegen die positive Thierqualerei sind wir zum Kampfe gegen die negative fortge- 
schritten." 

80 Einen Uberblick iiber die Arbeit des Miinchener Tierschutzvereins gibt Zerbel, Tier- 
schutz im Kaiserreich, S. 75-76. Ein Abriss der Arbeit des hannoverschen Tierschutzvereins 
bis zum ersten Weltkrieg findet sich bei Brunke, 150 Jahre Tierschutz, S. 46-97. 

81 Vgl. dazu die Arbeiten vonjutta Buchner-Fuhs (Anm. 69) 

82 Allerdings sind solche Ansatze schon friiher zu finden. So betont etwa der bergische 
Aufklarer Johann Heinrich Eichholz bereits 1809, dass die Tiere nicht nur zum Nutzen der 
Menschen, sondern um ihrer selbst willen da seien. Vgl. Jung, Tierschutzgedanken in Pietis- 
mus und Aufklarung, S. 113. 



Beginen - Sustern - Vrome Vrouwen 

Zur Kulturgeschichte weiblicher religioser Bewegungen 
im Spatmittelalter zwischen Mystik und Welt 



Von Gerhard Kaldewei 



„. . . dat ze bliven unvorgheten unde unsen nakomers nicht werden vorgheten" 
(Bremer Katharinen-Beginenordnung von 1426)* 

In der niedersachsischen Landeshauptstadt Hannover existiert noch heute, am 
Historischen Museum an der Leine gelegen, der sogenannte „Beginenturm". Er 
wird erstmals 1357 in einer Urkunde genannt und lag einst in der Nahe des „Begi- 
nenhofes", dessen Grundstiick mit Haus und Garten eben am westlichen Stadt- 
rand noch innerhalb der Stadtmauer sich befand. Durch diese Nahe bekam jener 
Stadtmauerturm auch seinen Namen. Ebenso wurde derkleine Gang, der von der 
LeinstraBe abzweigt, die heutige PferdestraBe, friiher nach den hier ansassigen 
Beginen bezeichnet. Allerdings ist wohl vielen Hannoveranern, so mochte man 
meinen, die Bedeutung des Begriffs „Begine" heute nicht mehr bekannt. SchlieB- 
lich endete hier in Hannover mit der Einfuhrung der Reformation 1534 auch offi- 
ziell das weibliche Beginentum in dieser Stadt. ** 

„Ach Meister, "seufzte ich, „mirscheint, ich bin nur ein lumber Tor. Es gelingt mir nicht, die 
akzidentalen Unterschiede zwischen den zahllosen Gruppen und Kategorien von Ketzern 
herauszufinden, heijien sie nun Waldenser, Katharer, Albigenser, Humiliaten, Beginen, 
Begharden, Lollarden, Lombardenjoachimiten, Patarener, Apostoliker, lombardische Pau- 
peres, Arnoldisten, Wilhelmiten, Anhdnger der Bewegung des Freien Geistes oder Luziferia- 
ner und so weiter. Was soil ich nur tun?" „Ach, mein armer Adson," lachte William und 

* Zit. nach: Giinter Peters: Die Bremer Beginen im Mittelalter. Entstehung und Struktur 
einer stadtischen Frauengemeinschaft. In: Niedersachsischesjahrbuch fiirLandesgeschichte. 
1992. S. 131. 

** Uberarbeitetes und erganztes Redemanuskript eines Vortrages, der innerhalb der vom 
Niedersachsischen Landesmuseum Hannover veranstalteten Vortragsreihe „Umbruch um 
1400 - Kunst und Frommigkeit im spaten Mittelalter" am 20. November 2000 in Hanno- 
ver gehalten wurde. Vgl. Olaf Mussmann: Beginen - „Kommunardinnen" des Mittelalters? 
Die via media in Hannover, in: Angela Dinghaus (Hrsg.): Frauenwelten, Hildesheim 1993, S. 
19-32. 



134 Gerhard Kaldewei 

klopfte mir freundschaftlich aufdie Schulter, „du hast vielleicht gar nicht so unrecht. Sieh 
mal, man kdnnte sagen: In den letzten beiden Jahrhunderten, oder auch schon langer, wird 
diese unsere Welt immer wieder durchweht von Bden des Aufruhrs, der Hoffnung und zu- 
gleich der Verzweiflung . . . Oder nein, das ist keine gute Allegorie. Denk lieber an einen gro- 
JSen FluJS, einen mdchtigen Strom, der iiber weite Strecken zwischen festen Ddmmen einher- 
fliejlt, so daJS mangenau weijl, wo der FluJS ist, wo derDamm und wo das feste Land. An ei- 
nem bestimmten Punkt aber tritt der Strom iiber seine Ufer - aus Tragheit vielleicht, weil er 
schon zu lange unddurch zu viele Lander geflossen ist, weil ersich dem Meer nahert, das alle 
Fliisse undStrdme in sich aufnimmt - und weiji selbst nicht mehr recht, wo sein wahres Bett 
ist. Erwird zu seinem eigenen Delta." (. . .) Aber auch diese Allegorie ist unzureichend, sie 
sollte dir lediglich klarmachen, wie die Arten und Ausuferungen der Ketzerei und der diver- 
sen Reformbestrebungen sich vervielfachen und ineinanderfliejien, wenn der Strom die 
Damme durchbricht. " l 

Dieses ist ein kurzer Dialog zwischen dem jungen Franziskaner-Novizen Adson 
von Melkund dem allwissenden Bettelordensmonch, B ruder William von Basker- 
ville, aus Umberto Ecos beriihmtem Mittelalter-Krimi „DerName der Rose". In 
diesem historischen, gelehrten und spannenden Roman, der im wesentlichen im 
Jahre 1327 - wahrend des kirchenspaltenden „Abendlandischen Schismas" - in 
Norditalien spielt, geht es ja u.a. auch um die oben genannten religiosen und laizi- 
stischen Freiheits- und Armutsbewegungen und um deren Vernichtung durch die 
sog. „Heilige Inquisition". Die wird vertreten durch den realen Inquisitor Bernard 
Gui, dem Dominikanermonch, der u.a. als Hauptinquisitor der Diozese Toulouse 
in Frankreich von 1307 bis 1324 rund 930 Ketzerurteile verhangte und dabei 42 
Menschen zum Tode verurteilte. 2 Im Roman verhorte er den als Ketzer verdach- 
tigtenFraRemigius: „Also du willstbehaupten, Fra Remigius, duhabest niemals etwas zu 
tun gehabt mit den sogenannten Fratizellen oder Briidern des armen Lebens oder Beginen?" 
„Ich habe die bewegtenjahre der Minderen Briider miterlebt, als lang und breit iiber dieAr- 
mut diskutiert wurde, aberich habe niemals zur Sekte der Beginen gehdrt." „Seht Ihr," rief 
Bernard von neuem. „Er leugnet, ein Begine gewesen zu sein, weil ndmlich die Beginen, wie- 
wohlsiezum Ketzerunwesen der Fratizellen gehdren, diese als einen vertrockneten Zweig des 
Franziskanerordens betrachten und sich selbstfiir reiner und vollkommener halten als alle 



1 Umberto Eco: Der Name der Rose. Miinchen 1983. S. 250/51 und 475; vgl. Kathrin Utz 
Tremp: Zwischen Ketzerei und Krankenpflege. Die Beginen in der spatmittelalterlichen 
Stadt Bern. In: Martina Wehrli-Johns/ Claudia Opitz (Hrsg.): Fromme Frauen oder Ketze- 
rinnen? Leben und Verfolgung der Beginen im Mittelalter. Freiburg 1998. S. 169/70; Ute 
Weinmann: Mittelalterliche Frauenbewegungen. Ihre Beziehungen zur Orthodoxie und zur 
Haresie, Pfaffenweiler 1990. 

2 Daniela Muller: Ketzervorwiirfe und Beginenbewegung. In: Peter MoDLER/Stefan 
Lennartz (Hrsg.): „Zahlreich wie die Sterne des Himmels". Beginen am Niederrhein zwi- 
schen Mythos und Wirklichkeit. (BensbergerProtokolle 70). Bergisch-Gladbach 1992. S. 112 f. 



Beginen - Sustern - Vrome Vrouwen 135 

anderen. (. . ) Kannst du leugnen, Remigius, dafi du in der Kirche gesehen wurdest, wie du 
Andacht hieltest, verzuckt mit dem Gesicht zur Wand, oder auch prosterniert am Boden lie- 
gend mit derKapuze iiber dem Kopf, statt kniend und mit gefalteten Hdnden wie die anderen 
Monche?" {. . .) „So leugnest du also nicht, diese beiden Haltungen eingenommen zu haben, 
die typisch sindfiir die Beginen! Aber du bist kein Begine, sagst du? Dann sage mir nun: 
Woran glaubst du?" „Herr Inquisitor, ichglaubeanalles, woran ein guter Christ glaubt . . ." 
- Doch diese fromme Antwort bewahrte Fra Remigius - „Im Namen der Rose" - 
nicht vor dem Tod auf dem Scheiterhaufen. In diesem Bestseller-Roman taucht al- 
so der Begriff der „Begine" - hier mit mannlichem Bezug gebraucht - mehrfach 
auf: aber immer im Sinne der haretischen, freikirchlichen Bewegungen. 

„Das Beginchen von Paris" 

In einem ganz entgegengesetzten, namlich dem der kirchenfrommen, mysti- 
schen, weiblichen „minnenden Seele", die „Christus als Brautigam" ersehnte, ist 
eine Begine in dem langen, niederdeutschen Gedicht „Das Beginchen von Paris" zu 
identifizieren, welches wohl im niederlandischen Rheindelta im letzten Drittel 
des 14. Jahrhunderts entstanden ist und 1505 in Koln erstmals gedruckt wurde - 
iibrigens gibt es u.a. auch noch den Druck einer Oldenburger Handschrift aus 
dem 15. Jahrhundert. 3 

Auch Hoffmann von Fallersleben, der nachmalige Dichter des Deutschland- 
Liedes, der ja von 1830 bis 1842 Professor fur deutsche Sprache und Literatur in 
Breslau und als Germanist Mitbegriinder der niederlandischen Philologie war, 
hat dieses und andere Beginen-Gedichte schon 1838 publiziert. 4 Aber auch dieses 
Beginen-Gedicht war nicht zuletzt ein „Propagandagedicht und sollte mithelfen, 
die Ideen der Sekte ,vom freien Geiste' zu verbreiten; es gehort zu den auBeror- 
dentlich seltenen Literaturdenkmalem, die dem Scheiterhaufen der Inquisition 
des 14. und 15. Jh. entgangen sind." 5 Im Folgenden werden einige wenige, charak- 
teristische Strophen zitiert: 



3 Vgl. Heinrich Lubben: Mittelniederdeutsche Gedichte. Oldenburg 1808. S. 1-20; Rein- 
hold Segebrecht: Von dem Beghinchen zu Paris. Diss. Universitat Hamburg 1920. S. 30ff.; 
Wolfgang Stammler: Studien zur Geschichte der Mystik in Norddeutschland, in: Kurt Ruh 
(Hrsg.): Altdeutsche und altniederlandische Mystik, Darmstadt 1964, S. 402; Ders.: Geschich- 
te der niederdeutschen Literatur von den altesten Zeiten bis auf die Gegenwart (1920), Stutt- 
gart 1977, S. 37/38; Giinter Peters: Norddeutsches Beginen- und Begardenwesen im Mittelal- 
ter, in: Niedersachsisches Jahrbuch fur Landesgeschichte, Bd. 41/1969, S. 76ff.; Irene Stahl: 
Handschriften in Nordwestdeutschland: Aurich, Emden, Oldenburg. (Mittelalterliche Hand 
schriften in Niedersachsen,Kurzkatalog 3, Nordwestniedersachsen), Wiesbaden 1993, S. 181. 

4 Vgl. Heinrich Hoffmann von Fallersleben: Ubersicht der niederlandischen Volkslite- 
ratur alterer Zeit. Tubingen 1838; 

5 P. Thomas Schwickert: Das Gedicht von dem Beginchen von Paris. In: Jahrbuch des 



136 Gerhard Kaldewei 

Ein Magdlein jung war zu Paris, 
Sie trat vor ihre Mutter hin, 
Una 1 bat mit holdem Munde, 
Daf, sie um Gottes Liebe aus ihr 
Ein Beginchen mache zur Stunde. 



Die Tochter sprach: „Lieb' Mutter mein, 
Was gute Beginchen pflegen, 
Das zu halten will ichfreudig sein 
Und gehorchen Gottes wegen. (. . .) 

Diejungfrau hoch von Ehren 
Sie wandte sich um zur Hand 
Und ging zu dem Beginenhof, 
Wo sie des Hauses Mutter fand. 

Sie sprach: „Gott gruJSe euch, Fraue, Die Mutter fragte: „Du Magdlein fein 

Nun bitt ich demutiglich, Du bist noch so jung an Tagen 

Dafi ihr wollet um Gottes Liebe Und willst ein arm Beginchen sein 

Zur Begine empfangen mich," Und graue Kleider an tragen!" 

„Ja, Mutter, darum halt ich an; 
Weft gute Beginchen pflegen, 
Das will ich erfiillen, so ich kann, 
Und gehorchen um Gottes wegen!" (. . .) 

Sie zog den grauen Rock sich an, Die sollte sie auch lehren 

Ein Tuchlein um sie wand, Arbeiten, nahen, spinnen, 

Zur Hut das Magdlein wohlgetan Daft, sie mit eigenen Gliedern 

Eine alte Kammerschw ester fand. Ihre Brbtchen mbcht' gewinnen. 



Beginen - „Zahlreich wie die Sterne am Himmel" 

Wer aber waren nun diese „Beginen", wann und wo tauchten sie erstmals auf und 
wie verbreitete sich ihre Bewegung? Welche Spuren in der Kultur- und Kunstge- 
schichte, der Kirchen- und Sozialgeschichte, der Literatur- und Frauengeschichte 
beispielsweise hinterliessen sie? Und zuletzt: in welchen Kontexten ist dieses The- 
ma noch heute relevant? 

Wie fast immer findet man eine erste knappe Antwort in der Brockhaus-Enzy- 
klopadie, in der es zum Stichwort „Beginen" u.a. heiBt: „Unverheiratete Frauen 



Kolnischen Geschichtsvereins. Bd. 16/1934. S. 78-107; dem widersprach energisch Kurt Ruh, 
der diese Interpretation eine „eklatante Missdeutung" nannte; vgl. Kurt Ruh: Geschichte der 
abendlandischen Mystik des 14. bis 16. Jahrhunderts. Miinchen 1999. S. 331. 



Beginen - Sustern - Vrome Vrouwen 137 

und Witwen, die sich ohne bindendes Geliibde zu einem klosterahnlichen Ge- 
meinschaftsleben in (. . .) Beginen-Hofen zusammengefunden haben. (. . .) Die 
Beginen-Gemeinschaften entstanden Ende des 12. Jh. aus der am Ideal des apo- 
stolischen Lebens genahrten Laienbewegung (...). Ihre Bliitezeit war das 13. und 
14. Jh. in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland." Kaspar Elm betont 
weiter im „Lexikon des Mittelalters" dezidiert die Einbindung der Beginen in die 
allgemeine mittelalterliche Armutsbewegung. 6 Und spatestens seit Herbert 
Grundmann in den 1930erjahren werden die Beginen immer auch in den Kon- 
text dermittelalterlichen religiosen Frauenbewegungen gebracht. 7 Um die Entste- 
hung dieser „Beginenbewegung" und um den Begriff „Beginen" iiberhaupt ran- 
ken sich sowohl schon im Mittelalter selbst als auch in den spateren Zeiten ver- 
schiedene Erklarungsmuster, Legenden und Mythen. Da ist zuerst einmal der 
notorisch beriihmte Priester Lambert Le Begue, der um 1170 im Bistum Liittich 
wirkte und als Griinderdes vermeintlich ersten Beginenhofes iiberhaupt, namlich 
St. Christoph in Liittich, gait. Er taucht diesbeziiglich allerdings erst in einer Vita 
bzw. Chronik aus derMitte des 13. Jahrhunderts auf. Nun hat die amerikanische 
Literaturwissenschaftlerin Judith Oliver in den 1980erjahren aufgrund ihrer Stu- 
dien in Belgien plausibel nachgewiesen, 8 daB der sogenannte „Lambert-Le 
Begue-Psalter" - heute im Besitz der British Library in London - erst um 1255 im 
Zusammenhang mit einer Steuerbefreiungsaktion des Bischofs von Liittich ent- 
standen ist. Dieser Psalter ist beriihmt geworden wegen einer Miniatur, die Lam- 
bert und ein Schriftband zeigt, welches folgende Inschrift enthalt: „Ich bin Lam- 
bert, der St. Christoph gestiftet hat, haltet es nichtfiir eine Fabel, ich habe diese Tafel beige- 
fiigt. " 9 Es war aber eine Fabel! 

Die Schweizer Mittelalter- und Frauenhistorikerin Martina Wehrli-Johns be- 
zieht sich in diesem Kontext auf den protestantischen Kirchenhistoriker Paul 
Haupt, fur den dieser ominose Priester Lambert der Kronzeuge der „religiosen 
Bewegung" des 12. und 13. Jahrhunderts gewesen war. 10 Haupt hatte auch den an- 
geblichen EinfluB Lamberts auf die „Liitticher Frauenwelt" hervorgehoben und 
auf den Prolog des spateren Kardinals Jakob von Vitry zur Lebensgeschichte der 



6 Kaspar Elm: Beg(h)inen. In: Lexikon des Mittelalters. Band I. Sp. 1799-1803. 

7 Herbert Grundmann: Zur Geschichte der Beginen im 13. Jh. In: Archiv zur Kulturge- 
schichte 21/1931. S. 296-320; Ders.: Religiose Bewegungen im Mittelalter. Untersuchungen 
iiber die geschichtlichen Zusammenhange zwischen der Ketzerei, den Bettelorden und der 
religiosen Frauenbewegung im 12. und 13. Jahrhundert und iiber die geschichtlichen Grund- 
lagen der deutschen Mystik. (Berlin 1935). Neudruck Darmstadt 1970. 

8 Vgl. Judith Oliver: Gothic Manuscript Illumination in the Diocese of Liege 1250-1330. 
2 Bande. Lowen 1988. 

9 Zit. in: Martina Wehrli-Johns: Das mittelalterliche Beginentum - Religiose Frauenbe- 
wegung oderSozialidee derScholastik? In: M. Wehrli-Johns /C. Opitz 1998 (Anm. 1), S. 29. 

10 Vgl. M. Wehrli-Johns 1998 (Anm. 9). S. 35 ff. 



138 Gerhard Kaldewei 

Maria von Oignies (1177-1213) - bei Namur -, die aus Nivelles im siidlichen Flan- 
dern stammte, hingewiesen. Jakob hatte Maria im Augustinerchorherrenstift in 
Oignies kennengelernt, im „Liliengarten des Herrn". Er reiste jedenfalls 1216 zu 
Papst Honorius III. nach Rom und erwirkte von diesem die Erlaubnis, daB die re- 
ligiosen Frauen in der Diozese Liittich, in Frankreich und im ganzen Reich zusam- 
men leben diirften - dies gilt als ein entscheidender Schritt zum institutionalisier- 
ten Beginentum. 11 Fiir Jakob von Vitry war die genannte Maria von Oignies vor 
haretischem, zeitgeschichtlichem Hintergrund das Beispiel einer frommen, recht- 
glaubigen, mystischen Frau, die somit die positive Idealfigur einer Begine darstell- 
te: 12 „Im Glauben reifundfest, in Werken erfolgreich." 13 

Wie schon erwahnt, war die friihe weibliche Beginenbewegung 14 im spaten Mit- 
telalter nur eine von vielen religiosen Bewegungen, die auBerhalb Klostern, Stif- 
fen und Orden zu verschiedenen Gemeinschaften gefiihrt haben. Diese Gemein- 
schaftsbildungen erreichten dann im 13. und 14.Jahrhundert ein solches AusmaB, 
„daB die regulierten von den nichtregulierten Gemeinschaften zahlenmaBig ein- 
geholt, wenn nicht gar iiberholt wurden". 15 Die amerikanischen Historikerinnen 
Bonnie Anderson undjudith Zinsser bemerkten in ihrer Geschichte der Frauen in 
Europa zu diesem Kontext: „Tausende von Frauen, weit mehr, als die alten und 
neuen Orden zusammen aufzunehmen imstande waren, wurden von Glaubensei- 
fer erfaBt; sie nannten sich selbst Beginen und strebten nach einem frommen, spi- 
rituell erfiillten Leben, das sich nicht nur auBerhalb der Familie, sondern auch au- 
Berhalb der institutionellen Kirche abspielte." 16 

Der Berliner Mediavist Kaspar Elm spricht in diesem skizzierten Zusammen- 



11 Vgl. Christine Ruhrberg: Der historische Korper der Heiligen. Leben und Viten der 
Christina von Stommeln (1242-1312). Tubingen /Basel 1995; Amalie FossEL/Anette Hettin- 
ger: Klosterfrauen, Beginen, Ketzerinnen. Religiose Lebensformen von Frauen im Mittelal- 
ter. (Historisches Seminar- Neue Folge. Band 12). Idstein 2000. S. 1261T.; Iris Geyer: Maria 
von Oignies. Eine hochmittelalterliche Mystikerin zwischen Ketzerei und Rechtglaubigkeit. 
Frankfurt/ Main 1992. 

12 Vgl. Danielle Regnier-Bohler: Literarische Stimmen, mystische Stimmen. In: Ge- 
schichte der Frauen. Hrsg. von Georges Duby und Michelle Perrot. Band 2. Mittelalter. 
Hrsg. von Christiane Klapisch-Zuber. Frankfurt/ Main 1993. S. 478/79. 

13 C. Ruhrberg 1995 (Anm. 11). S. 32. 

14 Vgl. Joseph Greven: Die Anfange der Beginen. Ein Beitrag zur Geschichte der Volks- 
frommigkeit und des Ordenswesens im Hochmittelalter. Minister 1912; L.J.M. Philippen: De 
begijnhoven. Oorsprong, geschiedenis, inrichting. Antwerpen 1918; Alcantara Mens: Oor- 
sprong en betekenis van de Nederlandse Begijnen- en Begardenbeweging. Antwerpen 1947. 

15 Kaspar Elm: Mittelalterliches Ordensleben in Westfalen und am Niederrhein. Pader- 
born 1989. S. 219. 

16 Bonnie S. Anderson /Judith D. Zinsser: Eine eigene Geschichte. Frauen in Europa. 
Band 1. Verschiittete Spuren. Fruhgeschichte bis 18. Jahrhundert. Zurich 1988. S. 294. 



Beginen - Sustern - Vrome Vrouwen 139 

hang von einer allgemeinen Ausbildung eines mittleren Standes, des „status me- 
dius" und von einer „via media", auf der sich die semireligiosen Gemeinschaften 
damals bewegten. Dem entspricht die Herausbildung der sogenannten Drittor- 
den im 13. Jahrhundert im AnschluB an die Bettelorden: die mannlichen Orden 
waren die 1. Orden, die weiblichen die 2. Orden. Die Tertiarinnen als Vereini- 
gungen von religiosen Laien in der Welt strebten im Geiste eines kirchlichen Or- 
dens ebenfalls nach Vollkommenheit und unterstellten sich der Leitung eines re- 
gulierten Ordens. Auch diese weiblichen Bewegungen sind natiirlich vor der - 
schon bei Umberto Eco dargestellten - zeitgeschichtlichen Kulisse jener aufre- 
genden Jahrhunderte zu sehen, als „Europa im Aufbruch" war - so Karl Bosl in 
seinem Standardwerk iiber diese historische Epoche. 17 Er bemerkt, daB in jener 
Zeit „in einer gewaltigen Anstrengung alle die individuellen und gesellschaftli- 
chen, materiellen und geistigen Krafte entbunden und alle Bewegungen ausgelost 
worden sind, die Europas eigenes Gesicht, seine spezifische Gesellschaft und Kul- 
tur geschaffen und gepragt haben". 18 Weitere Stichworter in diesem Kontext sind 
„neue wirtschafdiche, gesellschaftliche, geistige, religiose Energien", „Mobilitat 
auf alien Gebieten", Horizonterweiterung, Aufklarung, Individualismus und Soli- 
daritat zugleich - insgesamt die Entstehung eines modernen „Ordogedankens" in 
dieser „Aufbruchsgesellschaft". 19 Die „sehr lebendige Frauenbewegung" 20 der 
Beginen war ein wichtiger Teil davon. 

Die im 12. Jahrhundert noch recht zahlreichen, einzeln vagierenden Beginen, 
die also insbesondere „inmitten der Welt" lebten, erregten oft den Zorn von Kir- 
che und Obrigkeit: sie wurden der Bettelei, der Haresie, gar der Prostitution und 
lesbischer Beziehungen verdachtigt und angeklagt. 21 Ihnen vor allem galten dann 
auch verschiedene papstliche Verordnungen, wie z.B. die von Papst Clemens V. 
1311 auf dem Konzil von Vienne, der festhielt: „Sie haben niemandem Gehorsam ge- 
lobt, verzichten nicht aufBesitz, nochfolgen sie irgendeiner approbierten Kegel. Sie tragen, 
obwohl sie keineswegs Nonnen sind, ein besonderes Gewand, das das der Beginen genannt 
wird, und hdngen gewissen Religiosen an, von denen sie sich in ihren Herzen besonders hin- 
gezogenfiihlen. " 22 Im Verlauf des 14. Jahrhunderts kam es dann auch immer wie- 
der zu regelrechten Verfolgungen der Beginen, wie z.B. 1317 in StraBburg 23 oder 



17 Karl Bosl: Europa im Aufbruch. Herrschaft, Gesellschaft, Kultur vom 10. bis zum 14. 
Jh. Munchen 1980. 

18 K. Bosl 1980 (Anm. 17). S. 13. 

19 Vgl. K. Bosl 1980 (Anm. 17). S. 314ff. 

20 K. Bosl 1980 (Anm. 17). S. 301; vgl. Edith Ennen: Die weibliche Frommigkeitsbewe- 
gung. In: Brigitte Hellmann (Hrsg.): Frauen-Geschichte(n). Munchen 1997. S. 110-119. 

21 Vgl. K. Utz Tremp 1998, (Anm. 1), S. 171ff. 

22 D. Muller 1992 (Anm 2), S. 109. 

23 Vgl. Dayton Phillips: Beguines in Medieval Strassburg. (Stanford University Califor- 



140 Gerhard Kaldewei 

um 1320 in Konstanz. 24 Dort am Bodensee 25 - und auch in dernahen Schweiz 26 - 
hatte dies dann u.a. zur Folge, daB die Beginenbewegung schwacher wurde und 
zudem sich von der Stadt auf das Land verlagerte. 

Dies gilt nun aber keineswegs fur alle Regionen in der Schweiz und Deutsch- 
land, in denen Beginen zuhause waren, nicht fur den Mittelrhein 27 und insbeson- 
dere nicht fur Norddeutschland, 28 den Niederrhein, 29 und auch nicht fur die siid- 
lichen und nordlichen Niederlande sowie fur die Stadt Zurich. 30 Dieses hing dort 
vor allem mit den so verbreiteten und noch heute bekannten, ja fast sprichwortli- 
chen Statten der Beginengemeinschaften, namlich den Beginenhofen und Begi- 
nenkonventen, zusammen. 31 Hieraus wird auch deutlich, daB die Ausbildung und 
Ausdehnung des Beginenstatus seit dem 13. Jahrhundert einher geht mit der ra- 



nia 1941); Alexander Patschovsky: StraBburger Beginenverfolgungen im 14. Jahrhundert, in: 
Deutsches Archiv fur Erforschung des Mittelalters 30/1974, S. 56-198; Isabel Grubel: Bettel- 
orden und Frauenfrommigkeit im 13. Jahrhundert. Das Verhaltnis der Mendikanten zu Non- 
nenklostern und Beginen am Beispiel StraBburg und Basel, Miinchen 1987. 

24 Vgl. Andreas Wilts: Beginen im Bodenseeraum. Sigmaringen 1994. 

25 Vgl. A. Wilts 1994, (Anm. 24). 

26 Vgl. Brigitte Degler-Spengler: Die Beginen in Basel, in: Basler Zeitschrift fur Ge- 
schichte und Altertumskunde 33/1934, S. 195-303, 34/1935, S. 107-259; I. Grubel 1987, 
(Anm. 23); Die Beginen und Begarden in der Schweiz (Redaktion: Cecile Sommer-Ramer), 
(Helvetia Sacra IX/2), Basel 1995; Magdalen Bless-Grabher: Die Beginen in Zurich, in: Bar- 
bara Helbing (u.a.) (Hrsg.) : Bettelorden, Bruderschaften und Beginen in Zurich, Zurich 2002, 
S. 251-263. 

27 Eva Gertrud Neumann; Rheinisches Beginen- und Begardenwesen, Meisenheim am 
Glan 1960. 

28 Giinther Peters: Norddeutsches Beginen- und Begardenwesen im Mittelalter, in: Nie- 
dersachsisches Jahrbuch fur Landesgeschichte 41/42, 1969/70, S. 50-118; E.M. Wermter: 
Die Beginen im mittelalterlichen PreuBenlande, in: Zeitschrift fur Geschichte und Altertums- 
kunde des Ermlandes, Band 33/1969, S. 41-55; C. Greiffenhagen: Die Beginen Niedersach- 
sens, in: Hannoverland. Zeitschrift fur Freunde unserer niedersachsischen Heimat, Jg. 1911, 
August, S. 117-181, 195-197. 

29 Peter MoDLER/Georg Molich (Hrsg.): „Zahlreich wie die Sterne des Himmels". Begi- 
nen am Niederrhein zwischen Mythos und Wirklichkeit. (Bensberger Protokolle 70). Ber- 
gisch-Gladbach 1992. 

30 Vgl. Florence W.J. Koorn: Begijnhoven in Holland en Zeeland gedurende de middel- 
eeuwen, Assen 1981; Dies.: „Von der Peripherie ins Zentrum. Beginen und Schwestern vom 
Gemeinsamen Leben in den nordlichen Niederlanden, in: M. Wehrli-Johns/C. Opitz 
(Hrsg.) 1998, (Anm. 1), S. 95-118; Walter Simons: Een zeker bestaan: De zuid-nederlandse be- 
gijnen en de Frauenfrage. 13de-18de eeuw, in: Tijdschrift voor sociale geschiedenis 17/ 1991, 
S. 125-146; Martina Wehrli-Johns: Geschichte des Ziircher Predigerkonvents (1250- 1524). 
Mendikantentum zwischen Kirche, Adel und Stadt, Zurich 1980, S. 104 ff. 

31 Vgl. F.W. Koorn 1998, (Anm. 30), S. 100ff.; L.J.M. Philippen 1918, (Anm. 14), S. 
89ff.; Felix Timmermans: Die sehr schonen Stunden von Jungfer Symforosa, dem Beginchen, 
(Insel-Bucherei Nr. 308), Leipzig o.J. (1917). 



Beginen - Sustern - Vrome Vrouwen 141 

schen und bemerkenswerten Entwicklung der deutschen und europaischen Stadt 
im Mittelalter iiberhaupt. 

Das Beginentum in der mittelalterlichen Stadt war wichtiger Teil nicht nur der 
religiosen, sondern auch der sozialen Bewegungen jener Epoche. 32 Karl Gruber 
sprach vom „stadtebauenden 12. Jahrhundert" und postulierte: „Die Zeit des Biir- 
gers kommt herauf, und es versinkt die Zeit des Monchs und des Ritters." 33 Und 
auch der GroBmeister der Architektur der Moderne des 20. Jahrhunderts, Le Cor- 
busier, sagte 1937: „Die Kathedralen waren weiB, weil sie neu waren. Die Stadte 
waren neu: sie wurden in alien GroBen gebaut - geordnet, regelmaBig, geome- 
trisch, nach einem festgelegten Plan." 34 Die Beginenhofe oder -konvente waren 
integrierte Bestandteile dieser mittelalterlichen Stadte. 

Die Auf- und Umbruchszeit der mittelalterlichen Stadt wird eingangig faBbar 
in dem so beriihmten Wort „Stadtluft machtfrei!"Dieses war aber nun keineswegs 
„ein echtes historisches Sprichwort" oder „eine dokumentarische Rechtsregel", 
sondern eine gelehrte Doktrin aus der Auf klarungszeit des 18. Jahrhunderts - wie 
der Miinsteraner Stadthistoriker Christian Gellinek festgestellt hat. 35 Doch der 
mit diesem auf die Neubiirger der Stadt bezogene „Begriff der Freiheit" korres- 
pondiert zwangslaufig negativ mit dem noch heute gebrauchlichen Schimpfwort 
vom „finsteren Mittelalter". Natiirlich gab es diese beklagenswerten „mittelalterli- 
chen Zustande", die „fehlende Hygiene, grausame Justiz und Ungerechtigkeiten 
jeglicher Art" - so der GottingerHistorikerHartmut Boockmann. 36 Auf der ande- 
ren Seite war aber auch die mittelalterliche Stadtwelt „von einem lichteren Glanze 
einfacher Heiterkeit, einem Schatz von Innigkeit erfiillt", wie der hollandische 
Kulturhistoriker Johann Huizinga in seinem epochalen Werk iiber den „Herbst 
des Mittelalters" schon 1924 festgestellt hat. 37 Insbesondere das romantisierende 
19. Jahrhundert und die Zeit des „Fin de siecle" tragen dann ein geriittelt MaB an 
„Schuld" im Hinblick auf die einerseits verteufelnde, andererseits verklarende 



32 Vgl. Otto Nubel: Mittelalterliche Beginen- und Sozialsiedlungen in den Niederlan- 
den. Ein Beitrag zur Vorgeschichte der Fuggerei, Tubingen 1970; M. Bless-Grabher 2002, 
(Anm. 26), S. 257 ff. 

33 Karl Gruber: Die Gestalt der deutschen Stadt, Miinchen 2/1976, S. 46. 

34 Zit. in: Leonardo Benevolo: Die Geschichte der Stadt, Frankfurt am Main 2/1984, 
S. 355. 

35 Christian Gellinek: Stadtkultur und Kulturstadt Munster, Koln/Wien 1990, S. 18; 
vgl. Hans Planitz: Die deutsche Stadtgemeinde, in: Carl Haase (Hrsg.): Die Stadt des Mittel- 
alters, Zweiter Band, Darmstadt 1976, S. 1 1 4 f f . ; Gerhard Kaldewei: „Eine Stadt von wirklich 
stadtischer Geschichte". Das Beispiel Kalkar am Niederrhein als Stadt des Mittelalters, in: 
Ders. (Hrsg:): Die Stadt im Mittelalter. Kalkar und der Niederrhein, (Schriften der Heres- 
bach-Stiftung Kalkar Band 1), Bielefeld 1994, S. 127-173. 

36 Hartmut Boockmann: Die Gegenwart des Mittelalters, Berlin 1988, S. 7. 

37 Johann Huizinga: Herbst des Mittelalters, Stuttgart 11/1975, S. 357. 



142 Gerhard Kaldewei 

Sicht derZeitgenossen auf die Stadt des Mittelalters - was zum Teil eine historisie- 
rende Rezeptionsgeschichte vieler Aspekte jener Epoche bis in die Moderne be- 
inhaltet. Die heute belgischen Kommunen Briigge und Gent konnen beispielswei- 
se als vor allem touristisch beriihmte mittelalterliche Stadtsymbole in dieserHin- 
sicht angefiihrt werden. 

„Belgische Beginenhofe" 

So haben sich der Kolner Jurist, Zentrumspolitiker und katholische Kultur- und 
Kunsthistoriker August Reichensperger (1808-1894) 38 1880 und der ebenfalls ka- 
tholische Miinsteraner Kirchenhistoriker Josef Greven 39 1916 je in sehr typischer 
Manier einmal mit dem „Gro6en Beghinenhof bei Gent" und iibergreifend mit 
„Belgische(n) Beginenhofe(n)" eingehend und absichtsvoll befaBt. Zwei jeweilige 
entsprechende Textpassagen mogen dies illustrieren. 

August Reichensperger beginnt seinen Artikel mit den Worten: „Der Gegen- 
stand gegenwartiger Besprechung gehort so recht der alten Welt sowohl als der 
neuen an, letzterer freilich in weit geringerem MaBe, als ersterer." Spater be- 
schreibt er den historischen Beginenhof selbst: „Wenn nicht alien niederlandi- 
schen Instituten voran, so dochjedenfalls in der vordersten Reihe stand vonjeher 
der, die heilige Elisabeth als Schutzpatronin verehrende GroBe Beghinenhof in 
Gent. Imjahre 1234 durch die Grafinjohanna von Flandern und deren Schwester 
Margaretha gegriindet, oder doch dotirt, wuchs er im Laufe der Zeit zu einem 
formlichen Stadtviertel an, ja er bildete gewissermaBen eine Stadt fur sich, umge- 
ben von einer Mauer und einem Wassergraben, iiber welchen sechs Briicken fiihr- 
ten. Die Umwallung beschloB 340 kleine Hauser, 18 Conventsgebaude, eine gro- 
Be und eine kleinere Kirche, erstere den gemeinsamen Andachtsiibungen die- 
nend. Die Bewohnerinnen, zwischen 700 und 800, aus alien Standen, an derZahl, 
mit einer aus freier Wahl hervorgegangenen Oberin (la Grande Dame) an der 
Spitze, bewohnten meist zu je zwei und zwei ein Hauschen mit eigenem Herde 

38 August Reichensperger: Der GroBe Beghinenhof bei Gent, In: Ders., Die Kunst Je- 
dermanns Sache, Wegberg 2/1891, S. 152-158; vgl. Ludwig Pastor: August Reichensperger 
1808-1895, Band 1+2, Freiburg 1899; Hans-Jiirgen Becker: August Reichensperger (1808- 
1895), in: Rheinische Lebensbilder, Band 10, Koln 1985, S. 141-158; August Reichensperger 
und die Kunst des 19. Jahrhunderts. Ausstellungskatalog zum 90. Todesjahr, Stadtbibliothek/ 
Stadtarchiv Koblenz 1985; Gerhard Kaldewei: „Das Auge derjetztzeit" - Gotik und Photo- 
graphie im 19. Jahrhundert. „Fingerzeige" auf August Reichensperger und seinen katholi- 
schen Kunstfreundeskreis, in: G. Kaldewei / Rolf Sachsse (Hrsg.): C. F. Brandt. Der St. Vic- 
tors-Dom zu Xanten 1868 in Photographien, Kleve 1991, S. 5-29; Ders.: „Gothikund Katholi- 
zismus" im 19. Jahrhundert am Niederrhein. Im Spiegel fruher Photographien und 
Privatsammlungen christlicher Kunst, in: Geldrischer Heimatkalender 1999, S. 180-192. 

39 Vgl. J. Greven 1912 (Anm. 14). 



Beginen - Sustern - Vrome Vrouwen 143 

und beschaftigten sich mit Handarbeiten, insbesondere mit Spitzenkloppeln, so 
daB sie in gesunden Tagen derart ihren Lebensunterhalt erwarben. Soweit die 
Einkiinfte der Genossenschaft den Ausfall nicht zu decken hatten, wurden diesel- 
ben zu wohlthatigen Zwecken verwendet. Die Tracht unsererBeghinen besteht in 
einem schwarzen Gewande und weiBer Kopfbedeckung. Mehr als sechs Jahrhun- 
derte hatte die fromme, harmlose Colonie an sich voriiberziehen gesehen, unbe- 
riihrt oder doch unerschiittert durch die Stiirme, welche iiber die vormals so 
machtige wie freiheitsstolze Stadt Gent von innen und auBen her ergingen." 

Dieser grosse Beginenkonvent in Gent existierte damals also schon iiber 600 
Jahre, woraus deutlich wird, daB er auch die Zeit der Reformation iiberstanden 
hatte; ja vielmehr dann in der Gegenreformation im 17. Jahrhundert eine wichtige 
Rolle spielte, die Aufklarungszeit des 18. Jahrhunderts iiberdauerte und erst im 
19. Jahrhundert in politisch entgegenstromendes Fahrwasser geriet, was ihm die 
Existenz hier kostete. Reichensperger beklagte namlich wortreich und kampfe- 
risch zugleich, daB dieser „GroBe Beghinenhof " - ebenso wie der noch heute er- 
haltene „Kleine Beginenhof " - im Zuge des „Kulturkampfes" im letzten Drittel 
des 19. Jahrhunderts von den regierenden liberalen Kommunalpolitikern in Gent 
„als Schopfung des christlichen Geistes" auf Grund vorgeschobener „Gesund- 
heitsriicksichten" zuerst leergeraumt und 1874 schlieBlich unmittelbar vor dem 
AbriB von den noch verbliebenen Beginen verlassen werden muBte. Im selben 
Jahr stiftete allerdings - quasi als Ersatz - der katholische, deutsch-belgische Her- 
zog von Arenberg den neuen groBen Beginenhof Sint Amandsberg bei Gent. 40 
Josef Greven hat in seinem Artikel - der iibrigens mitten im Ersten Weltkrieg in ei- 
ner deutsch-belgischen Zeitschrift erschienen ist - zu Anfang auch einen stim- 
mungsvollen Eindruck von einem flandrischen Beginenhof gegeben: „Betritt 
man in einer Stadt von Flamisch-Belgien den Beginenhof (flamisch: de begijnhof, 
franzosisch: le beguinage), so sieht man sich an einem halb beschaulich, halb be- 
haglich wirkenden Ort: ,Het is ergelijkop een begijnhof ', sagt der Flame, wenn es 
irgendwo recht sittig und sauber, ruhig und schlicht zugeht. Bald glaubt man in 
dem Innenhof eines Nonnenklosters, bald auf dem baumbestandenen Platz einer 
vertraumten Kleinstadt zu sein. Um einen geraumigen Hof mit Baumwerk und 
Rasen bilden niedrige, wohnlich ausschauende Hauschen mit malerischen Gie- 
beln und blanken Fenstern ein Viereck. In der geschlossenen Anlage dieser Bau- 
gruppe, in dem AusmaB des von ihr umfaBten Raumes und in den reizvollen Um- 
riBlinien des ehrwiirdigen Gemauers lebt das unbeirrte Stilempfinden friiherer 
Jahrhunderte. Dort heben sich aus einer Stille, die kein StraBenlarm stort, die flii- 
sternden Stimmen vergangener Tage und umstricken den Besucher mit ihrem 



40 Vgl. A. Reichensperger 1880, (Anm. 38) S. 155ff.;Jean Bethune: Cartulaire du Be- 
guinage de Sainte-Elisabeth a Gand, Brugge 1883. 



144 Gerhard Kaldewei 

Zauber; Dichter wie Georg Rodenbach haben diese Stimmung in Versen einge- 
fangen, und zahllose Maler haben sie auf die Leinwand gebannt. Durch Lage und 
Architektur besonders anziehend ist der Beginenhof in Lowen. Namentlich aber 
in Brugge bietet der alte Beginenhof am Minnewater so kostliche Bilder, daB er zur 
Sommer- und Herbstzeit nie von Malern und Zeichnern frei wird (. . .)." 41 

Beginen in Koln 

Doch wie sah jenseits dieses romantisierenden Riickblicks die Wirklichkeit in Be- 
ginenkonventen des Mittelalters aus? Wie und wovon lebten Beginen, was waren 
ihre Regeln? Zur Beantwortung dieser Fragen versuchen wir zuerst die deutsche 
„Hauptstadt" des Beginentums, namlich Koln am Rhein, in den Blick zu bekom- 
men. Als 1164 der Kolner ErzbischofRainald von Dassel die heiB begehrten Reli- 
quien der Heiligen Drei Konige von Mailand nach Koln brachte, wurde diese mit- 
telalterliche Metropole auch noch zu einem hochst bedeutenden und viel besuch- 
ten Wallfahrtsort. Als dann 1248 vom Erzbischof Konrad von Hochstaden der 
Grundstein zum Dombau gelegt worden war, wurde diese GroBstadt, die zu jener 
Zeit mit 35.000 Einwohnern auch eine der groBten des Abendlandes war, das 
sprichwortliche „Heilige Koln". Ungefahrzurselben Zeit, imjahre 1243,berechnet 
der englische Benediktinermonch Matthaus von Paris (1200-1259) die Anzahl der 
in Koln lebenden Beginen mit iiber 2000 ! 42 Wenngleich diese Zahl sicher viel zu 
hoch gegriffen ist, so belegt sie doch anschaulich die weite Verbreitung der Begi- 
nen in der Stadt Koln und im ganzen Rheinland zu jener Zeit. Die erste urkundli- 
che Erwahnung von Beginen in Koln - und damit iiberhaupt in Deutschland - 
fallt in dasjahr 1233 im Zusammenhang mit einer Vermogensiibertragung. Darin 
wird als erste namentlich bekannte Begine Sophia de Cervo genannt, die aus al- 
tem Kolner Stadtpatriziat stammte. Bis weit ins 14. Jahrhundert hinein stammen 
die meisten Beginen aus Kolner Patriziergeschlechtern - bis um 1330 reicht dann 
auch die „Bliitezeit des idealen Beginentums", wie Johannes Asen in seiner grund- 
legenden Studie iiber die Beginen in Koln formuliert hat. 43 Der erste, 1230 er- 



41 Josef Greven: Belgische Beginenhofe, in: Der Belfried, l.Jg.1917, 8. Heft; vgl. Georges 
Rodenbach: Brugge. Tote Stadt, Bremen 2003. 

42 Vgl. Christine Ruhrberg: Einleitung, in: P. Modler/G. Molich (Hrsg.) 1992, (Anm. 
29), S. 103-116. 

43 Johannes Asen: Die Beginen in Koln, in: Annalen des Historischen Vereins fur den 
Niederrhein, Nr. 111/1927, S. 81-180, Nr. 112/1928, S. 71-148, Nr. 113/1929, S. 13-96; Vgl. 
Frederick M. Stein: The Religious Women of Cologne 1120-1320, (Diss. Yale University 
1977); Gerhard Rehm: Beginen am Niederrhein, in: P. Hodler/G. Molich 1992, (Anm. 29), 
S. 57-84; Bernhard Neidiger: Die Bettelorden im spatmittelalterlichen Rheinland, in: Rheini- 
sche Vierteljahrsblatterjg. 57/1993, S. 56 ff. 



Beginen - Sustern - Vrome Vrouwen 145 

wahnte, Beginenkonvent in Koln ist das Haus Sele in der Stolkgasse, ganz in der 
Nahe des Klosters der Dominikaner. 44 Insgesamt hat es in Koln im Mittelalter 
rund 170 Beginenkonvente gegeben. Die alteste erhaltene Lebensregel eines Be- 
ginenkonvents - in lateinischer Sprache - ist die vom Konvent Brunstein in der 
UrsulastraBe, eine Stiftung des Kolner Patriziers Hermann von Brunstein von 
1298. 45 Alle Kolner Konvente waren nur von relativ wenigen Beginen bewohnt - 
wirklich grosse Beginenhofe wie z. B. in Flandern oder am Niederrhein gab es 
hier nicht. 46 Bis ungefahr um 1400 zeigten fast alle Beginenkonvente - nicht nur in 
Koln - eine besondere Nahe zu den Bettelorden, d.h. den Franziskanern und den 
Dominikanern, und zwarraumlich und geistig. Erst spatergewannen die Gemein- 
depfarrer immer mehr EinfluB. 47 Die Konvente besaBen selbst in der Regel nicht 
viel, bekamen aber relativ hohe Schenkungen. 48 

Die Aufnahme in einen Beginenkonvent war friiher unentgeltlich, spater dann 
nicht mehr: 1459 z. B. muBte jede Frau im Konvent Oedenkoven u. a. eine Flasche 
Wein und einen Pfannkuchen stiften. 49 Nach den Statuten 50 waren die Beginen zu 
Ruhe und Ordnung angehalten; sie soil ten keine Fremden beherbergen und selbst 
nicht auBerhalb des Konvents schlafen - sie sollten also, kurz gesagt, keusch sein 
und selbstverstandlich taglich mehrmals beten, insbesondere fur den Konvents- 
griinder, dessen Nachkommen und Verwandte; sie sollten ein schlichtes Beginen- 
gewand von grauer, brauner, blauer oder schwarzer Farbe tragen, keinesfalls rote, 
grime oder sonst ungewohnliche Kleidung oder „englische Stoffe", vielmehr nur Ge- 
wander aus Wolle oder Leinen. Oft hatte eine Begine eine eigene Kammer, in der 
sie schlief, daneben gab es einen Gemeinschaftsraum, u. a. auch zum Essen, wahr- 
scheinlich der einzige Raum im Haus, der im Winter beheizt werden konnte, wei- 
ter eine Kiiche und eine Betkammer; manche Konvente hatten auch eine eigene 
Kapelle, in der taglich die Messe gelesen wurde. Falls die Beginen kein eigenes 
Vermogen hatten, von dessen Zinsen sie leben konnten, muBten sie fur ihren Le- 
bensunterhalt zum groBen Teil selbst aufkommen, da die Einnahmen der Konven- 



44 J. Asen 1927, (Anm. 43), S. 93. 

45 Vgl. Frederick M. Stein: Einige Bemerkungen zuj. Asens „Die Beginen in Koln", in: 
Annalen des Historischen Vereins fur den Niederrhein, Bd. 178/1976, S. 169. 

46 Joseph Greving : Protokoll iiber die Revision der Konvente der Beginen und Begarden 
zu Koln im Jahre 1452, in: Annalen des Historischen Vereins fur den Niederrhein, Heft 
73/ 1902, S. 27. 

47 Vgl. F. Koorn 1998, (Anm. 1), S. 103 ff. 

48 Vgl. Johannes Asen: Die Beginen in Koln, in: Annalen des Historischen Vereins fur 
den Niederrhein, 111. Heft/1927, S. 96ff. 

49 J. Asen 1927, (Anm. 48), S. 98. 

50 J. Asen 1927, (Anm. 48), S. 101f; vgl. A. Fossel/ A. Hettinger 2000, (Anm. 11), S. 130- 
135 (Statuten des Beginenhauses zum Turm in StraBburg von 1276 und der Beginengemein- 
schaft bei St. Jacob in Hamburg von 1360). 



146 Gerhard Kaldewei 

te zumeist gering waren. Manche Beginen waren in der Graberpflege auf Friedho- 
fen tatig oder als quasi professionelle Gedenkbeterinnen; im Vordergrund ihrer 
Tatigkeiten stand jedoch die Handarbeit: namlich das Spinnen, Weben, Sticken, 
die Anfertigung von Paramenten usw. Christina Ruhrberg schreibt dazu - mit Be- 
zug auf Frederick Stein, daB schon „dererste direkte Belegfiir Handarbeit in Koln 
(. . .) auch gleich der Versuch (gewesen sei), die gewerbliche Tatigkeit der Beginen 
einzuschranken." Schon um 1300 gab es demnach ein starkes Interesse der stadti- 
schen Kolner Ziinfte und Innungen die vermeintliche oder auch tatsachliche lasti- 
ge Konkurrenz der Beginen im Handwerk zu verhindern. 51 Im schon erwahnten 
Konvent Brunstein durften deshalb z.B. die Beginen nur fur sich selbst und ihre 
Verwandten Textilien herstellen, nicht aber fur den Verkauf. 

Im sogenannten „MiihlenstraBenconvent" im niederrheinischen Goch, der 
erstmals 1414 erwahnt und von 9 Beginen bewohnt wird, wird in jenem Jahr vor 
den Schoffen der Stadt eine Erklarung von diesen abgegeben; sie betraf die ge- 
werblichen Tatigkeiten der Beginen: „Wie die Beginen sich meistens von ihrer 
Hande Arbeit ernahrten, so wurde auch im Miihlenstrassenconvent ein Gewerbe 
betrieben, die Leinenweberei. In dem genannten Jahre nun wurden den Beginen 
hinsichtlich des Umfanges ihrer Production bestimmte Beschrankungen aufer- 
legt. Sie sollten kiinftig nur mit zwei Webstiihlen arbeiten und die Auftrage, die sie 
selbst nicht erledigen konnten, den Webern in der Stadt zukommen lassen. Ja, sie 
mussten sogar versprechen, den ganzen Betrieb einzustellen, sobald es sich erge- 
ben sollte, (. . .) dass die anderen Weber durch sie in ihrem Erwerbe benachthei- 
ligt wurden. Diese Bestimmungen, zu denen die Beginen in der erwahnten Schof- 
fensitzung ihre Zustimmung geben mussten, verrathen deutlich die Unzufrieden- 
heit der Gocher Biirgerschaft mit dem Gewerbebetrieb der Beginen." 52 Auch in 
dem 1444 gegriindeten Niesing- Konvent im westfalischen Miinster kamen spater 
die Sustern in Konflikt mit dem Rat und der Stadtbevolkerung, denn einige Auf- 
wiegler aus Kreisen der Ziinfte erregten iibertriebene Vorstellungen von dem dem 
Biirgertum schadlichen Gewerbebetrieb der Nonnen, die Rede war von iiber 100 
Webstiihlen im Konvent, wahrend es in Wirklichkeit nur elf waren. Im Mai 1525 
kam es dann zu einem Aufruhr: Das Volkforderte vom Magistrat die Auslieferung 
aller im Kloster aufbewahrten Rentbriefe und die Zerstorung der Arbeitsgestelle. 
Der Magistrat verhaftete zwar die Radelsfiihrer der Revolte, beugte sich aber dem 
Druck des Volkes und lieB die aufgefundenen elf Webstiihle auseinandergenom- 



51 Chr. Ruhrberg 1992, (Anm 29), S. 56; vgl. zu den einzelnen Kolner Beginenkonven- 
ten: J. Asen 1927, (Anm. 48), S. 17-180; Ders. in: 112. Heft/1928, S. 71-148; Ders. in: 113. 
Heft/ 1928, S. 13-96. 

52 Ferdinand Schroeder: Die Beginen in Goch, in: Annalen des Historischen Vereins fur 
den Niederrhein, 75. Heft 1903, S. 23; vgl. Dr. Schmitz: Der ehemalige Beginenkonvent zu 
Goch, in: Niederrhein, 4. Jg., Nr. 43/1932, S. 169-176. 



Beginen - Sustern - Vrome Vrouwen 147 

men auf das Rathaus bringen : „ Ock w olden se unse worcke stelle to brecken, up dat wy em 
ere neeringe nicht en solden benemen. "Eine Pliinderung des Konvents konnte aber ver- 
hindert werden. Nach der Beruhigung des Volkes befahl der Bischof die Riickga- 
be der Webstiihle, was dann auch am 8. September 1525 geschah. 53 

Margret Wensky hat die Bedeutung der Frauenarbeit im Textilgewerbe nicht 
nurin Koln hervorgehoben und dabei auch erwahnt, daB das Leinenamt, d. i. die 
Leineweberzuft, „immer schwer zu leiden (hatte) unter der Konkurrenz von Non- 
nen und Beginen, die in ihren Konventen groisse naronge mit lijnendoichern zu wei- 
ven" verdienten. So wurden den Beginen des Schelenkonvents 1421 nur noch 
sechs Webstiihle zugestanden, auf denen sie ihrLeinen weben konnten, 1437 durf- 
ten sie nur noch drei Webstiihle bedienen und 1452 wurde ihnen sogar vorge- 
schrieben, nurmehr „lijnendoch umb loin"i\ir den eigenen Bedarf zu weben; 1495 
verbot der Rat den Kolner Beginen auch das Besticken von Filzhiiten, 1470 hatte 
man ihnen schon die Ausiibung des Wappenstickens verboten und 1504 wurde 
den Angehorigen des Seidenamtes verboten, Seide an Beginenkonvente zum Auf- 
bereiten zu liefern. 54 Allerdings ist festzuhalten, daB die Kolner Situation der Be- 
ginen bzw. der Frauen im Handwerk eine besondere war: hier wurden in den mei- 
sten Ziinften Frauen in den Satzungen ausdriicklich erwahnt; hier wurden auch 
weniger Arbeitsbeschrankungen oder -verbote ausgesprochen als in anderen 
Stadten und hier kam es sogar zur Griindung von vier eigenen Frauenziinften. Ins- 
gesamt gesehen nehmen die Kolner Frauen eine Sonderstellung ein, wie iiber- 
haupt die Frauenarbeit ein wichtigerBestandteil des Wirtschaftslebens diesermit- 
telalterlichen GroBstadt war. Wohl in keiner anderen deutschen Stadt haben Frau- 
en in dieser Zeit mehr Rechte, Freiheiten und wirtschaftliche Moglichkeiten 
gehabt. 

53 Ingrid Sonnert: „Die Welt verlassen und Gott dienen". Die friihen klosterlichen Frau- 
engemeinschaften in Munster, in: Arbeitskreis Frauengeschichte (Hrsg.): FrauenLeben in 
Miinster, Munster 1991, S. 124f.; vgl. Dies.: „Zahlreich wie die Sterne des Himmels". Die Be- 
ginenbewegung in Munster, in: s.o. S. 130-141; C. A. Cornelius: Chronikdes Schwesternhau- 
ses Marienthal, genannt Niesing in Miinster, in: Ders. (Hrsg.): Berichte der Augenzeugen 
iiber das Miinsterische Wiedertauferreich, Munster 1853, S. 421-441; Wilhelm Eberhard 
Schwarz: Studien zur Geschichte des Klosters der Augustinerinnen Marienthal genannt Nie- 
sing zu Munster, in: Zeitschrift fur vaterlandische Geschichte und Altertumskunde, 72. Band, 
Munster 1914, S. 47-151; Karl Zuhorn: Die Beginen in Munster, in: Westfalische Zeitschrift, 
91. Band, Munster 1935, S. 1-149; Wilhelm Kohl: Das Bistum Munster 1: Die Schwesternhau- 
ser nach der Augustinerregel. (Germania Sacra Neue Folge 3: Die Bistumer der Kirchen-pro- 
vinz Koln), Berlin 1968, S. 167. 

54 Margret Wensky: Die Stellung der Frau in der stadtkolnischen Wirtschaft, Koln 1981, 
S. 40, 50, 94, 172; vgl. Dies.: Die Frau in der mittelalterlichen Stadtgesellschaft, in: G. Kalde- 
wei (Hrsg.) 1994, (Anm. 35), S. 81-99; Dies.: Erwerbstatige Frauen in der mittelalterlichen 
Stadt - ein Vergleich der europaischen Metropolen Paris, London und Koln, in: Geschichte 
in Kolnjg. 49/2002, S. 47-61; J. Greying 1902, (Anm. 46), S. 29. 



148 Gerhard Kaldewei 

Die Kolner Begine Christina von Stommeln 

Die namentlich bekannteste Kolner Begine war wohl die selige Christina von 
Stommeln. 55 Uber sie sind mehrere Viten und andere Dokumente der Frauen- 
frommigkeit im Mittelalter iiberliefert. Den wichtigsten Text schrieb ihr Zeitge- 
nosse, der schwedische Dominikanermonch Petrus von Dacien um 1280, wovon 
eine Pergamenthandschrift im Bischoflichen Diozesanarchiv in Aachen existiert. 
Christina wird 1242 als Bauerntochterin Stommeln im Erzstift Koln geboren, wo 
sie auch aufwachst. Schon in ihrer Kindheit, erstmals 1252, hatte Christina Chri- 
stusvisionen. Christus sagte zu ihr, daB sie sich den Beginen anschlieBen sollte. 
Dreijahre darauf, also mit 13 Jahren, ging sie dann von Stommeln nach Koln und 
wurde eine Begine - ahnlich wie das „Beginchen von Paris". Allerdings blieb sie 
dort nur zwei Jahre. Wegen ihrer demonstrativen Askese erfuhr sie von den Kol- 
ner Beginen massive Ablehnung, so daB sie dann quasi als Einzelbegine wieder 
zuhause bei ihren Eltern auf dem Bauernhof lebte. Sie lernt ihren spateren Hagio- 
graphen Petrus kennen und ein Magisterjohannes schreibt fur sie ihre Briefe und 
Leidensvisionen auf. 1312 stirbt die schon zu Lebzeiten beriihmte Begine dann in 
ihrer Heimat in Stommeln. Schon bald nach ihrem Tode beginnt Christinas Le- 
gendenmythos und ihre Verehrung als „Heilige" z\i wirken, so daB um 1350 ge- 
schrieben wurde: „Nach ihrem Tod leuchtete sie undleuchtet nochfiir alle Zeit durch viele 
Wunder." 1912 schlieBlich wurde Christina von Stommeln von Papst Pius X. selig- 
gesprochen. 

Neben den erwahnten, hauptsachlich im Handwerk liegenden Erwerbstatig- 
keiten, waren Beginen an vielen Orten auch im Bildungsbereich 56 und im Ge- 
sundheitsdienst tatig. Eva Gertrud Neumann berichtet iiber erzieherische Tatig- 
keiten - auch im Sinne der Verwirklichung eines christlich-apostolischen Lebens 
- in Mainzer, Johannes Asen in Kolner Beginenkonventen. In einem Mainzer 
Konvent unterrichtete 1294 die Begine Sophia junge Madchen im Lesen und 
Schreiben; auch fur einen weiteren Konvent im Mainzer Raum ist Unterrichtung 
und Erziehung von Kindern belegt. 57 In Kolner Konventen ist Erziehungsarbeit 
in mehreren Beginenhausern allerdings erst fur das 15. und 16. Jahrhundert nach- 
zuweisen. Der Beginenkonvent Busse-Eigelstein war sogar „zur Besserung gefallener 
Madchen bestimmt". 58 Auch in Hannover haben beispielsweise Beginen im 16. 
Jahrhundert „junge Madchen im Lesen und Schreiben und in allerlei Handarbeit 



55 Vgl. Chr. Ruhrberg 1995, (Anm. 11). 

56 Vgl. J. Asen 1927, (Anm. 43), S. 101; Hedwig Rockelein: Hamburger Beginen im 
Spatmittelalter - „autonome" oder „fremdbestimmte" Frauengemeinschaft?, in: M. Wehrli- 
Johns/C. Opitz (Hrsg.) 1998, (Anm. 1), S. 131. 

57 E. G. Neumann 1960, (Anm. 27), S. 95. 

58 J. Asen 1927, (Anm. 48), S. 102. 



Beginen - Sustern - Vrome Vrouwen 149 

unterwiesen und zu brauchbaren Dienstmadchen erzogen". 59 Im Gesundheitswe- 
sen waren zahlreiche Beginen in vielen Stadten tatig. Nicht nur in Koln, wo sie 
Kranke pflegten, 60 auch in Hildesheim um 1440 widmeten sich die Beginen im 
Johannishaus den Kranken und armen Pilgern; 61 dies gilt auch fur die Beginen in 
Essen, 62 in Ulm, wo 1284 ein erster Beginenkonvent erwahnt wird; 63 oder im 
schweizerischen Bern, wo in einer papstlichen Bestatigung fur den Beginenkon- 
vent des Browen- undjordanhauses - gegriindet 1331 - diese Beginen als „Frauen 
und treue Personen, welche zeitweise den in diesem Armenspital" (das sog. „Niedere Spi- 
tal") Jiegenden Armen und Kranken dienen und aufwarten". 6 * 

Die Begine Elisabeth von Thuringen 

Gerade in dieser Hinsicht vorbildhaft waren fur die Beginenbewegung insgesamt 
Leben und Werkderheiligen Elisabeth von Thuringen (1207-1231), die einmal ihr 
eigenes Leben mit dem „Leben der Schwestern in der J4^"verglich und deshalb „als 
Poenitentin, Hospitahchw ester oder Begine"hezeichnet wurde. 65 Elisabeth war fiirstli- 
cher Herkunft, Tochter des Konigs Andreas II. von Ungarn, heiratete 1221 Lud- 
wig IV., den Sohn des Landgrafen von Thuringen, auf der Wartburg. Nach dem 
Kreuzfahrertode ihres Mannes und unterdem EinfluB ihres Beichtvaters Konrad 
von Marburg sowie der Eisenacher Franziskaner ging sie 1227 nach Marburg und 
griindete dort ein Hospital, das dem hi. Franz von Assisi geweiht wurde. In zeitge- 
nossischen Berichten von ihr dienenden Hospitalschwestern wird geschrieben, 
daB Elisabeth selbst die Armen, Schwachen, Behinderten, Pilger und Kranke be- 
diente, behandelte und mit eigenhandig zubereiteten Speisen verkostigte. 66 Elisa- 



59 O. Mussmann 1993, (Anm. 1), S. 28. 

60 Vgl. J. Asen 1928, (Anm. 43), Nr. 112, S. 90ff., 103ff.; Nr. 113, S. 65-69, 76ff. 

61 Vgl. Brigitte Hotz: Beginen und willige Arme im spatmittelalterlichen Hildesheim, 
(Schriftenreihe des Stadtarchivs und der Stadtbibliothek Hildesheim Bd. 17), Hildesheim 
1988, S. 52f. 

62 Vgl. Julius Heidemann : Die Beguinenconvente Essens, in: Beitrage zur Geschichte von 
Stadt und Stift Essen, 9/1886, S. 5-196; Kanonisse, Zimmerfrau und Begine. Frauen im mittel- 
alterlichen Essen, Essen 1990; Gertrud HoFMANN/Werner Krebber: Barmherzige Samarite- 
rinnen. Beginen - gestern und heute. Verwirklichung einer Idee, Kevelaer 1991, S. 98-102. 

63 Use Schulz: Schwestern. Beginen. Meisterinnen. Hygieias christliche Tochter im Ge 
sundheitswesen einer Stadt. Ein Beitrag zur Geschichte der Pflege und Heilkunde, Ulm 1992, 
S. 26f. 

64 K. Utz Tremp 1998, (Anm. 1), S. 190. 

65 Kaspar Elm: Die Stellung der Frau in Ordenswesen, Semireligiosentum und Haresie 
zur Zeit der Elisabeth, in: Sankt Elisabeth. Furstin, Dienerin, Heilige. (Kat. zur Ausstellung 
zum 750. Todestag d. hi. Elisabeth in Marburg), Sigmaringen 1981, S. 8. 

66 Vgl. Werner Moritz: Das Hospital der heiligen Elisabeth in seinem Verhaltnis zum 
Hospitalwesen des fruhen 13. Jahrhunderts, in: Sankt Elisabeth 1981, (Anm. 65), S. 101 ff. 



150 Gerhard Kaldewei 

beth engagierte sich in der stadtischen Armen- und Krankenpflege in Marburg 
eben auch als bedeutende und mit enormer Breitenwirkung tatige „Begine", die 
erkannt hatte, daB - im Zusammenhang mit der starken Vermehrung der Bevol- 
kerungszahlen in ganz Europa seit dem 1 1 . Jahrhundert und der gesteigerten Mo- 
bilitat - in den mittelalterlichen Stadten eine kaum vorstellbare Armut entstan- 
den war. Diese Armut wurde aus dem Land gespeist, doch die stadtischen „paupe- 
r&s" wurden schnell mehr und mehr. 67 Nach ihrem Tode 1231 wurde Elisabeth 
schon 1235 - genau wie ihr Vorbild Franz von Assisi 1228 - von Papst Gregor 
IX.heiliggesprochen. Im selben Jahr begann der Deutsche Orden mit dem Bau 
der St. Elisabethskirche in Marburg, in der ab 1236 ihre dort aufgebahrten Gebei- 
ne zu einer der beriihmtesten Wallfahrtsstatten des Mittelalters vor allem fur Ar- 
me und Kranke wurden. 

Beginen am Niederrhein 

Wenden wir uns nun, wieder von der Beginenhochburg Koln aus, rheinaufwarts 
nach Norden, so stoBen wir zuerst auf eine Region, in der ebenfalls schon seit dem 
13. Jahrhundert diverse Beginenkonvente in vielen Stadten gegriindet worden 
sind: die Rede ist vom Niederrhein, der in dieserHinsicht selbstverstandlich auch 
einmal von der Nahe zum friihen Zentrum Koln, als auch zu den siidlichen und 
nordlichen Niederlanden beeinfluBt worden ist. 68 Hier laBt sich weiter besonders 
gut auch der stadtebauliche und kulturgeschichtliche Aspekt der schon erwahn- 
ten „Beginenhofe" darstellen und ebenso die Uberformung und das Aufgehen der 
urspriinglichen Beginenkonvente in die Institutionen der Schwestern vom Ge- 
meinsamen Leben im Kontext der Devotio moderna. 69 So wurden im niederrhei- 
nischen Neuss z. B. 1308 erstmals Beginen erwahnt und 1328 ein Konvent in der 



67 Vgl. Otto Gerhard Oexle: Armut und Armenfiirsorge um 1200. Ein Beitrag zum Ver- 
standnis der freiwilligen Armut bei Elisabeth von Thiiringen, in: Sankt Elisbeth 1981, (Anm. 
65), S. 88. 

68 Vgl. Friedrich Gorissen: Land am Niederrhein. Eine Heimatkunde fur das Grenzland 
zwischen Maas und Ruhr, Kleve 1949; Jutta Prieur: Frommigkeit am Niederrhein vor fiinf- 
hundert Jahren, in: Barbara Romme (Hrsg.): Gegen den Strom. Meisterwerke niederrheini- 
scher Skulptur in Zeiten der Reformation 1500-1550. (Kat. Suermondt-Ludwig-Museum Aa- 
chen), Berlin 1996, S. 57-66; Barbara Romme: Der Niederrhein und seine westlichen Kultur- 
raumbeziehungen um 1500. Kiinstler und Vorbilder fur das Kalkarer Hochaltarretabel, in: 
Dieter Geuenich (Hrsg.): Koln und die Niederrheinlande in ihren historischen Raumbezie- 
hungen (15.-20. Jahrhundert), Monchengladbach 2000, S. 207-237. 

69 Vgl. R. R. Post: The Modern Devotion. Confrontation with Reformation and Huma- 
nism, Leiden 1968; Gerhard Rehm: Die Schwestern vom gemeinsamen Leben im nordwestli- 
chen Deutschland. Untersuchungen zur Geschichte der Devotio moderna und des weibli- 
chen Religiosentums, Berlin 1985; Ders. 1992, (Anm. 43); F. Koorn 1998, (Anm. 30). 



Beginen - Sustern - Vrome Vrouwen 151 

OberstraBe genannt; 70 in Kempen wird erstmals 1342 eine Begine und 1347 ein 
Beginenkonvent erwahnt; 71 der alteste Beginenkonvent am Kirchhof in Goch 
wird 1358 erstmals genannt, insgesamt gab es dortfiinf Beginenkonvente im Spat- 
mittelalter; 72 in Kleve wird erst 1428 eine „Vereinigung von Beghinen gebildet", 
der Konvent auf dem Berg Sion; 73 in Wesel sollen aber schon um 1290 rund 40 
Beginen zusammengelebt haben, doch die erste bekannte Stiftung eines Beginen- 
konvents erfolgte 1309. 74 

Im mittelalterlichen Kalkar am Niederrhein, 75 das 1230 mit seiner Griindung 
zugleich die Stadtrechte vom Kolner Erzbischof und dem Grafen von Kleve ver- 
liehen bekam, 76 wird erstmals fiir dasjahr 1401 von einem „huys bij het Baghijnen- 
huys teegen den Kerkhof" 77 gesprochen. Wohl schon im 14. Jahrhundert wird dort 
der spater so genannte Grosse Beginenkonvent St. Ursula als Biirgerstiftung des 
Arnt Snoick gegriindet. 1430 gestattete Herzog Adolf von Kleve den „baguttis in 
Kalker", die eben dort im gestifteten Hause des mittlerweile verstorbenen Arnt 
Snoick wohnten, „datsie moichten een cappel myt eenen altair bij hem selven hebn". 1413 
stiftete ein weiterer Kalkarer Burger, Albert Paepe, zusammen mit seiner Frau Eva 
den sogenannten Kleinen Beginenkonvent St. Cacilia, der 1438 ebenfalls die Er- 
laubnis zum Bau einer eigenen Kapelle bekam. Dem Cacilien-Konvent gehorten 
eine Reihe von Frauen aus dem Kalkarer Stadtpatriziat an. Er breitete sich zwi- 
schen Kessel- und WallstraBe aus. In der Braun/Hogenbergschen Stadtansicht 

70 Vgl. Erich Wisplinghoff: Geschichte der Stadt Neuss. (Teil 4: Das kirchliche Neuss 
bis 1814, Pfarrverhaltnisse und geistliche Institute), Neuss 1989, S. 323 ff. 

71 Vgl. G. Rehm 1992, (Anm. 43), S. 61 f. 

72 Vgl. Anm. 52. 

73 Vgl. G. Rehm 1992, (Anm. 43), S. 74; Robert Scholten: Der Schwesternconvent auf 
dem Berg Sion, in: Ders.: Die Stadt Cleve, Kleve 1879, S. 470ff.; Gregor Hovelmann/ Wolf- 
gang Teigelkotter /Josef Ruhl: Besloten susteren van sinte Augustinus regel. Uber das Le 
ben in niederrheinischen Augustinessen-Konventen, in: Kalender fiir das Klever Land auf 
dasjahr 1967, S. 76-81; 

74 Vgl.Jutta Prieur-Pohl: Schwesternhauser in Wesel, in: P. Modler/G. Molich (Hrsg.) 
1992, Anm. 29, S. 85-106; Julius Heidemann: Die Beguinenhauser Wesels, in: Zeitschrift des 
Bergischen Geschichtsvereins,Jg. 4/1867, S. 85-114. 

75 Vgl. J. A. Wolff: Geschichte der Stadt Calcar wahrend ihrer Bliithe mit Berucksichti- 
gung der friiheren und der spateren Zeit, Frankfurt am Main 1893; Richard Klapheck: Kal- 
kar am Niederrhein. (Rheinischer Verein fiir Denkmalpflege und Heimatschutz) , Diisseldorf 
1930; Friedrich Gorissen: Kalkar. (Niederrheinischer Stadteatlas. I. Reihe - Klevische Stad- 
te. 2. Heft), Kleve 1953; Helmut Rotthauwe gen. Lons: Kostbarkeit Kalkar, Kleve 1980; G. 
Kaldewei 1994, (Anm. 35); Margret Wensky: Kalkar. (Rheinischer Stadteatlas, Lieferung 
XIV Nr. 76, 2001), herausgegeben vom Landschaftsverband Rheinland, Arnt fiir Rheinische 
Landeskunde Bonn, Koln 2001. 

76 Vgl. Klaus Flink (Hrsg.): Klevische Stadteprivilegien (1241-1609). (Klever Archiv 
Band 8). Kleve 1989, S. 38ff u. 152ff.; Ders. (Hrsg.): Das Stadtrecht von Kalkar, Kleve 1993. 

77 Zit. in: F. Gorissen 1953, (Anm. 75), S. 51; vgl. M. Wensky 2001, (Anm. 75), S. 26/27 



152 Gerhard Kaldewei 

Kalkars von 1572 sind beide Konvente mit ihren jeweiligen Einzelbauten, den o.g. 
Kapellen, den Garten und den umgebenden Mauern sehrgut zu erkennen. 78 Zum 
Kleinen Beginenkonvent gehorte - wie in Hannover - auch ein Turm in der mit- 
telalterlichen Stadtbefestigung an der WallstraBe, der spater der „Bagijnentoirn" 
genannt wurde. Der Kleine Beginenkonvent war eine Stiftung des Kalkarer Biir- 
gers Albert Paepe (gest. 1408) und seiner Frau Eva (gest. 1418); erste Vorsteherin 
des mit Unterstiitzung des Deventer Schwesternhauses gegriindeten Konventes 
war deren Tochter Aleit (gest. 1466) - 1429 schlieBt dann die Stadt Kalkar mit 
Lambert Paep(e) und dessen Schwester Al(e)it einen Vertrag wegen „den toirne, den 
sie in der stat mueren op her Sewels erve getymmert hevet" , den diese zusammen mit ih- 
ren Mitschwestern nutzen durfte. 79 

Die Kalkarer Beginenkonvente entsprachen also in ihrer auBeren, stadtebauli- 
chen und architektonischen Form durchaus den fur den iibrigen Niederrhein, die 
Niederlande und Flandern so typischen Beginenhofen. Florence Koorn nannte 
einen solchen Beginenhof „eine kleine, in sich abgeschlossene Stadt, die von der 
iibrigen Welt durch einen Graben oder eine Mauer getrennt war, aber durch ein 
Torbetreten werden konnte. (. . .) Die Beginen in den Beginenhofen bildeten eine 
Gemeinschaft in dem Sinn, daB sie alle Mitglieder derselben Institution waren 
und deren Regeln befolgten; gleichzeitig fiihrten sie aber auch ihr eigenes Leben, 
sorgten allein fur den Erwerb und die Zubereitung von Nahrung, fur den Unter- 
halt und die Reinhaltung der Hauser und so weiter." 80 Auch in diesem Sinne kon- 
nen die beiden Kalkarer Beginenhofe geradezu als Prototypen angesehen werden 

- dies ebenso, wenn man an die zuvor schon zitierten Beschreibungen der Begi- 
nenhofe in Gent und Brugge denkt. Gleichfalls in Bezug auf ihre Erwerb statigkei- 
ten sind die Kalkarer Beginen z.B. mit denen in Koln oder Miinster durchaus ver- 
gleichbar: die Insassinnen ernahrten sich u.a. auch durch „spinnen, naeien, weven, 
bleiken" bzw. „spinnen, doeckblycken en andere handarbeydt". 81 

Wie schon Reichenspergerund Greven hat sich auch derrheinische Stadtebau- 
und Architekturhistoriker Hans Vogts - ebenfalls mitten im Ersten Weltkrieg 1917 

- in einem grundlegenden Aufsatz Gedanken iiber die Geschichte und Zukunft 
der Beginenhofe in diesem Kontext gemacht: „Wahrend der malerische Reiz der 
alten niederlandischen Beginenhofe Kiinstler und Reisende in ihren Bann lockte, 
sind diese Anlagen als Musterbeispiele alten Stadtebaus bisher noch wenig gewiir- 
digt worden, obwohl die Anregungen, die sie fur das Gebiet der Baukunst und des 



78 Vgl. F. Gorissen 1953, (Anm. 75), S. 47; M. Wensky 2001, (Anm. 75), Tafel 5; 

79 PfA St. Nicolai/BA Miinster, Nr. 170, 1429 Oktober 31; Vgl. F. Gorissen 1953, (Anm. 
75), S. 51 u. 68; M. Wensky 2001, (Anm. 75), S. 7 u. 26/27. 

80 F. Koorn 1998, (Anm. 30), S. 100 

81 Zit. in: M. Wensky 2001, (Anm. 75), S. 27. 



Beginen - Sustern - Vrome Vrouwen 153 

Stadtebaues bringen, heute von besonderem Wert sind (. . .)." 82 Vogtsbelegt diese 
These mit einigen Photographien und Zeichnungen aus den flandrischen Begi- 
nenhofen in Gent, Kortrijkund Dendermonde. Er vergleicht diese mit den so typi- 
schen „H6fen" und „Gangen" in Norddeutschland, speziell in Liibeck und Moti- 
ven in Danzig und Elbing - nicht aber mit der doch beriihmten mittelalterlichen 
Augsburger „Fuggerei", so wie es dann 1970 Otto Niibel in seiner vergleichenden 
Studie tat. 83 Einer der besagten Kiinstler, die den Zauber und Reiz der flandri- 
schen, niederlandischen oder niederrheinischen Beginenhofe Ende des 19. Jahr- 
hunderts einzufangen suchte, war der aus Hannover- Linden stammende Diissel- 
dorfer Kunstakademieprofessor Eduard Claus-Meyer (1856-1919), der lange in 
Kalkar am Niederrhein lebte, und den eine langere Studienfahrt in die Niederlan- 
de mit diesen Beginenhof-Motiven weiter vertraut gemacht hatte - so malte erum 
1900 das Olbild „Bei den Beguinen", welches im Besitz der Neuen Pinakothek 
Miinchen ist; ein anderes tragt den historisch nicht ganz korrekten Titel „Begui- 
nenkloster". 84 Aber auch kein Geringerer als Albrecht Diirer (1471-1528) hat sich 
auf seiner niederlandischen Reise 1520/21 mehrfach der Darstellung von „Begi- 
nen" gewidmet. 85 In dem reichhaltigen Aktenbestand des Stadtarchivs in Kalkar 
bzw. des Pfarrarchivs St. Nicolai und des Bistumsarchivs Miinster sowie des Nach- 
lasses des friiheren Kalkarer Vikars und Stadthistorikers Jacob Anton Wolff tau- 
chen die „Beginen in Kalkar" ziemlich haufig auf- allerdings erst seit dem Beginn 
des 15. Jahrhunderts und in aller Regel im Zusammenhang mit Grundstiicksge- 
schaften oderRentenverschreibungen. 86 Im Besitz der Beginen bzw. derBeginen- 
konvente zu Kalkar waren auch Grundstiicke auBerhalb der Stadtmauern in der 
Feldmark, so daB westlich der Stadt spater sogar eine Erhebung „Beginenberg" ge- 
nannt wurde. 87 Heute befindet sich dort iibrigens sinnigerweise eine groBe Bun- 
deswehrkaserne ! 



82 Hans Vogts: Die Beginenhofe als Vorbilder fur den Stadte- und Kleinwohmmgsbau, 
in: Der Stadtebau, Nr. 14/1917, S. 18-22 u. Tafel 12-16; 

83 O. Nubel 1970, (Anm. 32). 

84 Vgl. Paul Hohstadt: Zum 100. Geburtstag des Malers Prof. Eduard Claus-Meyer. Ei- 
ne Erinnerung an seine Klever Zeit, in: Kalender fur das Klever Land auf das Jahr 1956, 
S. 63-64; Guido de Werd: Gezeichnete und gemalte Darstellungen von St. Nicolai, in: Hans 
Peter Hilger: Stadtpfarrkirche St. Nicolai in Kalkar, Kleve 1990, S. 351-368. 

85 Vgl. J. Veth u.a.: Albrecht Diirers niederlandische Reise, Berlin /Utrecht 1918. 

86 Vgl. z.B. PfA/BA Miinster Nr. 484, 1463 Januar 25 („Ordinancie des Herzogs Johann 
v. Cleve-Mark iiber die Erwerbung von Erben und unbeweglichen Giitern durch die Konven- 
te oder Beghinenhauser nebst weiteren Bestimmungen"). 

87 Vgl. Friedrich Gorissen: Urkunden und Regesten des Stiftes Monterberg- Kleve, 1. 
Band, Kleve 1989, S. 740, Nr. 2602, 1516 November 12 („. . . einerseits Land der Beghijnen in 
dat kleyn huys zu Kalker"), S. 789, Nr. 2801, (um 1525), („Oberends gegen die Stadt Kalker der 
Kamp der Schwestern des groBen Konvents . . ., einenends die Weide der Schwestern des gro- 



154 Gerhard Kaldewei 

Devotio moderna und Schwestern vom Gemeinsamen Leben 

In den Quellen festgehalten ist auch, daB 1463 der Klever Herzog Johann den 
GroBen Beginenkonvent St. Ursula auf 60 Mitgliederinnen und den Kleinen Begi- 
nenkonvent St. Cacilia auf 50 beschrankt. 88 1456 wird dann in diesem schon „auf 
Wunsch der Schwestern die Clausur eingefiihrt" und die Augustinerinnenregel 
angenommen. 89 Dieses war selbstverstandlich im Hinblick auf die schon erwahn- 
te Umformung bzw. Weiterentwicklung der Kalkarer Beginenkonvente hin zu ei- 
nem regulierten Frauenkloster der Schwestern vom Gemeinsamen Leben der 
wichtigste und endgiiltige Schritt. In einer Kalkarer Urkunde im Bistumsarchiv 
Minister wird dieser Schritt fur dasjahr 1503 anschaulich dokumentiert: der Kal- 
karer Burger Aelbert van Haeghen verschreibt eine Rente an „den devoten Pater ind 
materssen van S. Cecilien-Convent". Am Ende dieses Prozesses stand dann 1578 die 
Auflosung des Grossen Konvents - angeblich „in Folge unzureichenderExistenz- 
mittel und mangelhafter Disziplin" 90 - und dessen Inkorporation in den Kleinen 
Konvent auf Anordnung des klevischen Herzogs Wilhelm. 

Der Cacilienkonvent stand unter der Aufsicht des Priors des beriihmten Augu- 
stiner-Chorherrenklosters Gaesdonckbei Goch. Erhalten hat sich in der Alten Bi- 
bliothek der Gaesdonck eine Inkunabel-Handschrift aus der Zeit um 1490 mit den 
Statuten der beiden nunmehrigen Schwesternkonvente zu Kalkar sowie der Kon- 
vente zu Kleve und Grieth nach der Regel „Sunte Augustinus". 91 Darin heiBt es u.a., 
die Sustern „sollen aufihrerHaut Leinen von geziemender Grobheit tragen und keine soil 
ohne Nachthemd auf den einfachen Federbetten schlafen". (!) Die Augustinerinnen soil- 
ten eben nicht mit Kleidung, sondern mit Sitten gefallen, „denn aller Ruhm der Kb - 
nigstochter ist innerlich". 

Das Kalkarer Augustinerinnenkloster - der vormalige Beginenkonvent - ge- 
horte also - wie oben schon erwahnt - spatestens seit der Mitte des 15. Jahrhun- 
derts zur machtigen semireligiosen Bewegung der Briider und Schwestern vom 
Gemeinsamen Leben, wobei in den Quellen einerseits auch weiterhin die Be- 



Ben Konvents, einerseits das KalkerscheYelA"); F. Gorissen 1953, (Anm. 75), Karte 29, S. 62. 

88 Vgl. NachlaB Pfr. J.A. Wolff (W3) im PfA St. Nicolai/BA Minister, handschriftl. Ab- 
schrift der „Verordnung des Herzogs Johann I. von Cleve . . . "vom 25. 1. 1463; vgl. das „Memorien- 
buch des Cacilien- Konvents" mil dem Verzeichnis der Schwestern 1413-1831, PfA St. Nicolai/BA 
Minister fr. C3 (Hs 458); vgl. J.A. Wolff 1893, (Anm. 75), S. 37; F. Gorissen 1953, (Anm. 75), 
S. 51; M. Wensky 2001, (Anm. 75), S. 26/27. 

89 J.A. Wolff 1893, (Anm. 75), S. 37. 

90 J.A. Wolff 1893, (Anm. 75), S. 37; vgl. PfA St. Nicolai/BA Miinster, Nr. U 61b, 1503 
November 7. 

91 G. Hovelmann u.a. 1967, (Anm. 67), S. 79/80; vgl. Ders.: Die Handschriften der Klo- 
sterbibliothek Gaesdonck, in: Zur Landesgeschichte am unteren Niederrhein. Gesammelte 
Beitrage. Geldern (1987), S. 56-81. 



Beginen - Sustern - Vrome Vrouwen 155 

zeichmmg „Beginen" verwendet wird, andererseits jetzt auch der Begriff „Schwe- 
ster" bzw. ^zufe^'auftaucht. Die Briider- und Schwestern-Bewegung war Ende 
des 14. Jahrhunderts in den Niederlanden entstanden und hatte sich von dort aus 
auch nach Nordwest- und Norddeutschland ausgebreitet. Der aus Deventer stam- 
mende, in Paris ausgebildete, Diakon Geert Grote (1340-1384) , griindete in seiner 
Heimatstadt im Elternhaus 1374 ein erstes Schwesternhaus - das sog. „Meester- 
Geert-Huis" - , in dem von 16 Frauen die erste Vereinigung von Schwestern vom 
Gemeinsamen Leben eingerichtet wurde. Rudolf van Dijk betont, daB das Begi- 
nenwesen „der erste und wichtigste Nahrboden fur die devoten Frauen, die sich 
von Geert Grote in dessen Geburtshaus in Deventer wie in einer spitalartigen 
Freiwohnung zu einem gottesfiirchtigen Leben in Armut und Stifle, in Demut und 
Innerlichkeit hinfiihren lieBen", gewesen ist. 92 Nach dem Tode Geert Grotes fiihr- 
tejohannes Brinckerinck (1359-1419) dieses erste „Susternhuis"xmA brachte die se- 
mireligiose Frauenbewegung der Schwestern vom Gemeinsamen Leben zur Blii- 
te. 93 Allein am Niederrhein zahlte Gerhard Rehm 19 Schwesternhauserund kon- 
statierte, daB es „ohne Frage einen enormen Andrang von Frauen nach dieserreli- 
gios bestimmten Lebensform im 15. Jahrhundert" gegeben hat. 94 In den Nieder- 
landen existierten zur Mitte des 15. Jahrhunderts iiber 80 Schwesternhauser, das 
bekannteste war das von Brinckerinck 1391 gegriindete Diepenveen. 95 

1387 schon hatten einige Briider vom Gemeinsamen Leben unter Fiihrung von 
Florens Radewijns das Kloster Windesheim bei Zwolle gegriindet, „eine Frucht 
des semireligiosen Devotentums" (R. van Dijk), weitere Griindungen folgten. Die 
Briider lebten nach der Augustinerregel und dem Ordensmodell der regulierten 
Chorherren. 1395 schlossen sich einige Fraterhauser zur „Windesheimer Kongrega- 
£z'ow"zusammen, zu der spater u. a. die Augustiner-Chorherrenstifte Frenswegen 
bei Nordhorn in der Grafschaft Bentheim (von 1394) , 96 und Gaesdonck bei Goch 



92 Rudolf van Dijk: Die Devotio moderna als geistlicher Raum des Klosters Frenswegen, 
in: Kloster-Leben. Vom Augustiner-Chorherrenstift zur okumenischen Begegnungsstatte, 
Nordhorn 1994, S. 7-32. 

93 Vgl. F. Koorn 1998, (Anm. 30); G. Rehm 1992, (Anm. 43). 

94 G. Rehm 1992, (Anm. 43), S. 74. 

95 Vgl. „Van den doechten der vuriger ende stichtiger susteren van Diepenveen", Hand 
schrift D, hrsg. von DA. Brinkerink, (Bibliotheek van middelnederlandsche letterkunde) , 
Groningen 1904. 

96 Vgl. Johann Heinrich Richter: Geschichte des Augustinerklosters Frenswegen in der 
Grafschaft Bentheim. (Beitrage fur die Geschichte Niedersachsens und Westfalens, 39. Heft) . 
Hildesheim 1913; Klemens Loffler: Quellen zur Geschichte des Augustinerchorherrenstifts 
Frenswegen (Windesheimer Kongregation) , Soest 1930; Wilhelm Kohl: Marienwolde gen. 
Frenswegen, in: Das Bistum Minister 2. Die Kloster der Augustiner-Chorherren. (Germania 
Sacra. Neue Folge 5. Die Bistiimer der Kirchenprovinz Koln), Berlin 1971, S. 1-190. 



156 Gerhard Kaldewei 

am Niederrhein (von 1401) 97 gehorten. Grundlage der Lebensweise der Schwe- 
stern und Briider vom Gemeinsamen Leben war die Devotio moderna: nach dem 
Vorbild der christlichen Urgemeinden wollten Fratres und Sustern in ihren Zel- 
len, aber mitten in der Stadt und der Welt des Mittelalters, ihr Leben Gott und 
dem bediirftigen Nachsten widmen. Entscheidenden Anteil dabei hatte ihre be- 
deutende Schriftlichkeit auch in den Volkssprachen. Die modernen Devoten be- 
zogen sich dabei auf die weit verbreiteten mystischen Schriften Meister Eckharts 
(1260- 1328), Johannes Ruusbroecs (1293-1381), Heinrich Seuses (urn 1295-1366), 
Johannes Taulers (um 1300-1361) und vor allem Thomas von Kempens (1379- 
1471) sowie Johannes Veghes (1431-1504). 98 

Thomas a Kempis, der aus dem niederrheinischen Kempen stammte, war 
selbst 1399 Augustinerchorherr im Stift Agnietenberg bei Zwolle geworden und 
schuf mit seiner „Nachfolge Christi" das einfluBreichste Werk der Devotio moder- 
na, was seit dem 15. Jahrhundert ungeheuere Verbreitung fand. Johannes Veghe 
war ebenfalls ein fiihrender Vertreter der Briider vom Gemeinsamen Leben in 
Deventerund spaterin Miinster, wo erim „Weingarten der Seele"xmA im „Geistlichen 
Blumenbeet" seine niederdeutschen Predigten und Traktate veroffentlichte. Auch 
sein Werk hatte besonderen EinfluB auf die Laienmystik seiner Zeit." 

„Beginenmystik" 

Kaspar Elm hat betont, daB die Devotio moderna nicht nur „als Ausdrucklaikaler 
Kritik an der hierarchisch strukturierten Kirche und Wurzel des neuzeitlichen 
Geistes" bzw. als „Vorspiel der Reformation" des 16.Jahrhunderts betrachtet wer- 
den sollte ; 10 ° er pladiert vielmehr dafiir, sie „in die Tradition eines weit in das Mit- 
telalter zuriickreichenden eigenen Status", zu dem u.a. auch die „Humiliaten, Be- 
ginen und Begarden" gehorten, einzuordnen. 101 Auf dieser Basis sind auch die 



97 Vgl. Bernhard Windeck: Die Anfange der Briider vom gemeinsamen Leben in 
Deutschland. (Diss. Universitat Bonn 1951); R. Stupperich: Briider und Schwestern vom ge- 
meinsamen Leben, in: Lexikon des Mittelalters, Bd. II, Miinchen/Ziirich 1983, S. 734/35; 
Kaspar Elm: Die Bruderschaft vom gemeinsamen Leben. Eine geistliche Lebensform zwi- 
schen Kloster und Welt, Mittelalter und Neuzeit, in: J. Andriessen/P. Bange/A.G. Weiler 
(Hrsg:): Geert Grote & Moderne Devotie. (Ons Geestelijk Erf Jg. 59/1985), Nijmegen 1985, S. 
470-496; Gregor Hovelmann: Gaesdonck, in: Ders. 1987, (Anm. 91), S. 3-113; 

98 Vgl. Wilhelm Oehl (Hrsg.): Deutsche Mystikerbriefe des Mittelalters 1100-1550, 
(Miinchen/Wien 1931), Nachdruck Darmstadt 1972; Kurt Ruh (Hrsg.): Altdeutsche und Alt- 
niederlandische Mystik, Darmstadt 1964. 

99 Vgl. W. Stammler 1964, (Anm. 3), S. 386-436; Hubert Hoing: Kloster und Stadt. Ver- 
gleichende Beitrage zum Verhaltnis Kirche und Stadt im Spatmittelalter, dargestellt beson- 
ders am Beispiel der Fraterherren in Miinster. (Westfalia Sacra Bd. 7), Miinster 1981. 

100 K. Elm 1985, (Anm. 97), S. 471/72. 



Beginen - Sustern - Vrome Vrouwen 157 

Versuche und Studien zu bewerten, die Kurt Ruh seit den 1970erjahren anstellte, 
eine spezielle „Beginenmystik" schon im 13. und 14. Jahrhundert zu identifizie- 
ren. Vor allem an den Beispielen der Beginen Hadewijch aus Brabant in den siid- 
lichen Niederlanden, Mechthild von Magdeburg aus Mitteldeutschland und 
Marguerite Porete aus Nordfrankreich und mit Bezug auf Meister Eckhart hat 
Ruh diese „Beginenmystik" dargestellt. Ursula Peters und Christine Ruhrberg ha- 
ben allerdings diesen Begriff in ihren entsprechenden Arbeiten abgelehnt. 102 

Von Hadewijch, die um 1250 lebte und moglicherweise die Leiterin eines Begi- 
nenkonventes in Nivelles war - wo ja auch Maria von Oignies gelebt und gewirkt 
hatte - gibt es praktisch keine Lebenszeugnisse. Sie war aber mit der Mystik ihrer 
Zeit vertraut und hatte auch eine gewisse theologische Schulung. Ruh vermutet, 
daB sie „eine umfassende Ausbildung durch Hauslehrer erhielt, ehe sie sich ins ge- 
fahrdete Leben des Beginentums begab". 103 Hadewijchs „Brieven" sind das, „was 
man im Spatmittelalter ,Sendbriefe' nannte, personlich gehaltene Erorterungen 
bzw. Erfahrungen iiber religiose Gegenstande (. . .) an wirkliche oder fiktive 
Adressaten." Dabei hat Hadewijch wohl sicher auch „eine konkrete, ihre eigene 
Beginengemeinschaft angesprochen". 104 

Mechthild von Magdeburg 105 gilt als eine Hauptfigur des deutschen Beginen- 
tums und der Frauenmystik iiberhaupt. Mit ihren Offenbarungen im „Fliefeenden 
Licht der Gottheit" schuf sie nicht nur ein mystisches Hauptwerk in der Zeit schon 



101 K. Elm 1985, (Anm. 97), S. 477/78. 

102 Vgl. Kurt Ruh: Beginenmystik. Hadewijch, Mechthild von Magdeburg, Marguerite 
Porete, in: Zeitschrift fur deutsches Altertum und deutsche Literatur, Bd. 106/1977, S. 265- 
277; Ders.: Meister Eckhart und die Spiritualitat der Beginen, in: Rudolph Berlinger u.a. 
(Hrsg.): Perspektiven derPhilosophie, Neuesjahrbuch Band 8, Hildesheim 1982, S. 323- 334; 
Siegfried Ringler: Viten- und Offenbarungsliteraturin Frauenklostern des Mittelalters. Quel- 
len und Studien. (Munchener Texte und Untersuchungen zur deutschen Literatur des Mittelal- 
ters Band 72),Miinchen 1980; Peter Dinzelbacher/ Dieter R. Bauer (Hrsg.): Religiose Frauen- 
bewegung und mystische Frommigkeit im Mittelalter, Koln/Wien 1988; Ursula Peters: Reli- 
giose Erfahrung als literarisches Faktum. Zur Vorgeschichte und Genese frauenmystischer 
Texte des 13. und 14. Jahrhunderts, Tubingen 1988; DanielaMuLLER: Beginenmystik als ketze- 
rische Frauentheologie? In: Bea Lundt (Hrsg.): Auf der Suche nach der Frau im Mittelalter. 
Fragen, Quellen, Antworten. Miinchen 1991, S. 213-232; Chr. Ruhrberg 1995, (Anm. 11). 

103 K. Ruh 1977, (Anm. 102), S. 269. 

104 K. Ruh 1977, (Anm. 102), S. 271. 

105 Vgl. Ulrich Muller: Mechthild von Magdeburg und Dantes ,Vita Nuova' oder eroti- 
sche Religiositat und religiose Erotik, in: Rudiger Krohn (Hrsg.): Liebe als Literatur. Aufsat- 
ze zur erotischen Dichtung in Deutschland, Miinchen 1983, S. 163-176 ; Margot Schmidt: „die 
spilende minnevlut". Der Eros als Sein und Wirkkraft in der Trinitat bei Mechthild von Mag- 
deburg, in: M. Schmidt /Dieter R. Bauer (Hrsg.): „Eine Hohe, iiber die nichts geht": spezielle 
Glaubenserfahrung in der Frauenmystik? Stuttgart 1986, S. 71-133; Mechthild von Magde- 
burg: Das FlieBende Licht der Gottheit, herausgegeben von Gisela Vollmann-Profe, Frank- 
furt am Main 2003. 



158 Gerhard Kaldewei 

vor Meister Eckhart, sondern auch eine der ersten volkssprachlichen Veroffentli- 
chungen in niederdeutscher Sprache. Mechthild „auBert erotisch Gewagtes, aber 
auch Blasphemisches, theologisch Bedenkliches mit einer befreienden Unbefan- 
genheit". 106 Sie wurde um 1210 im Erzbistum Magdeburg geboren, mit 20 verlaBt 
sie ihr Elternhaus und begibt sich in eine Beginengemeinschaft nach Magdeburg, 
wo sie dann drei Jahrzehnte lang lebt und in dieser Zeit, um 1250, ihre Offenba- 
rungen niederschreibt. 1271 zieht sie sich ins Zisterzienserinnenkloster Helfta in 
Thiiringen zuriick und stirbt dort um 1282. 

Das Leben der Marguerite Porete liegt ebenfalls wesentlich im Dunkeln. Nur in 
ihrem beruhmt-beriichtigten „Spiegel der einfachen Seelen", der um 1300 in altfran- 
zosischer Volkssprache entstanden ist, scheint ihrDenken und Fiihlen auf. 107 Die- 
ser „Spiegel" wurde zwischen 1296 und 1306 nach offiziellen Gutachten des Bi- 
schofs von Cambrai offentlich in Valenciennes wegen haretischer Gedanken und 
Aussagen verbrannt. 108 Dies war der Ausgangspunkt auch der personlichen Ver- 
folgung der moglichen Begine Marguerite, die in die Nahe der Sekte der Briider 
des Freien Geistes geriickt und 1307 schlieBlich angeklagt wurde: angelastet wur- 
den ihr 15 als Ketzereien bewertete Aussagen in ihrer umfassenden Schrift, in der 
sie mit einer fur die beginische Frauenmystik typischen, spirituellen Gedanken- 
welt und Diktion den geistlichen Weg zur Liebesgemeinschaft mit Gott dargestellt 
hat. Marguerite Porete wurde dann in schrecklicher inquisitorischer Konsequenz 
als Ketzerin zum Tode verurteilt und am 1. Juni 1310 zusammen mit ihrem Buch 
auf der Place de Greve in Paris auf dem Scheiterhaufen verbrannt. Im AnschluB 
daran brachte Kurt Ruh vor allem Marguerite Porete in geistige Verwandtschaft 
zu Meister Eckhart und stellte die weitergehende These auf, daB „Eckharts speku- 
lative Mystik in der Volkssprache der Versuch (ist), die religios wertvollen, aber 
zumeist theologisch ins Unreine gesprochenen Gedanken derBeginenmystik spe- 
ziell iiber die Vollkommenheit, Gottesliebe und geistliche Armut theologisch ab- 
zusichern und damit als spirituelle Kraft zu bewahren". 109 

„Dyt boeck hoer toe suster ..." 

Die schon oben mehrfach angesprochene Volkssprachlichkeit sowohl im Kontext 
der „Beginenmystik" als auch der Devotio moderna fand ihren Niederschlag in ei- 



106 K. Ruh 1977, (Anm. 102), S. 276. 

107 Vgl. K. Ruh 1982, (Anm. 102), S. 323ff.; Ulrich Heid: Studien zu Marguerite Porete 
und ihrem ,Miroir des simple ames', in: P. Dinzelbacher/D. R. Bauer (Hrsg.) 1988, (Anm. 
102), S. 185-214. 

108 Vgl. K. Ruh 1977, (Anm. 102); D. Muller 1992, (Anm. 2), S. 117ff.; U. Weinmann 
1990, (Anm. 1), S. 229ff. 

109 K. Ruh 1982, (Anm. 102), S. 326. 



Beginen - Sustern - Vrome Vrouwen 159 

nerentsprechenden, reichen Literaturproduktion als auch in der-rezeption durch 
Beginen und Schwestern. Die spezifischen „Weiblichkeitskonzepte der Beginen" 
sind beispielsweise nicht nur in Archivalien und Quellen festgehalten, „sondern 
auch in Andachts- und Gebetbiichem, geistlichen Traktaten und Briefen". 110 P. 
Dinzelbacher spricht in diesem Kontext von einem „religiosen Programm", wel- 
ches „wohl vorrangig durch die Predigt in den Volkssprachen" und durch „eine 
katechetische und unterhaltsam-religiose Literatur in den Volkssprachen (. . .) zur 
Nachfolge der Heiligen, aufrief". 111 Im Hinblick auf Terminus und Thesen der 
„mittelalterlichen Frauenbewegung" (Grundmann 1935/1970), speziell der„Begi- 
nenbewegung", betontUte Weinmann aber, daB „heftige Individualisierungspro- 
zesse diesen nicht durchgangig sichtbaren gemeinsamen Aufbruch von Frauen" 
begleiten: „Die tradierten Texte z. B. mittelalterlicher Mystikerinnen aus dem 
Umfeld der Beginenbewegung dokumentieren dies unmiBverstandlich." 112 Auch 
Christine Ruhrberg merkte in Bezug auf diese „Beginenliteratur" mit Recht kri- 
tisch an, daB jetzt nicht nur hagiographische odermystische Texte unterucht wiir- 
den, sondern „die bislang fehlenden Indizien fur eine Literaturproduktion von 
und fur Beginen" auch „im Urkundenmaterial der Beginengeschichte, in der Su- 
che nach Belegen fiir Buch- und Kunstproduktion, Auftrage zur Herstellung, Be- 
sitz und Gebrauch" gesucht werden miiBten. Entsprechende Hinweise „auf Begi- 
nenschulen" bzw. auf „Daten zum Besitz volkssprachiger Legendenbiicher, Er- 
bauungsliteratur, Psalter und Bibeln aus dem 14. Jahrhundert und sparer, stehen 
mithin unter dem Zeichen einer gewachsenen Laienbildung und sich noch viel 
weiter ausdifferenzierender frommer Laiengruppen vor allem in den Stadten". 113 
Hinzuweisen ist hierbei exemplarisch z.B. auf charakteristische spatmittelalterli- 
che Handschriftenbestande von weiblicherreligioserProvenienz aus dem Schwe- 
sternhaus derniederrheinischen Stadt Sonsbeckbei Xanten - heute im Besitz der 
Hessischen Landesbibliothek in Darmstadt; auf eine ebenfalls spatmittelalterli- 
che Handschrift aus dem Schwesternhaus in Schiittorf in derGrafschaftBentheim 
- heute im Besitz der Gemeentebibliothek in Rotterdam in den Niederlanden - 
und auf einen Hamburger Bestand von Beginenhandschriften - heute im Besitz 



110 Hedwig Rockelein: Hamburger Beginen im Spatmittelalter - „autonome" oder 
„fremdbestimmte" Frauengemeinschaft? In: H. RocKELEiN/Hans-Werner Goetz (Hrsg.): 
Frauen-Beziehungsgeflechte im Mittelalter, in: Das Mittelalter, (Zeitschrift des Mediavisten- 
verbandes). Band 1/1996, Heft 2, S. 74/75; vgl. Dies, in M. Wehrli-Johns/C. Opitz (Hrsg.) 
1998, (Anm. 1), S. 120. 

111 Peter Dinzelbacher: Rollenverweigerung, religioser Aufbruch und mystisches Erle- 
ben mittelalterlicher Frauen, in P. DiNZELBACHER/Dieter R. Bauer (Hrsg.) 1988, (Anm. 102), 
S. 17. 

112 U. Weinmann 1990, (Anm. 1), S. 174; vgl. M. Wehrli-Johns in: P. Modler/St. Len- 
nartz (Hrsg.) 1992, (Anm. 2), S. 11/12. 

113 Chr. Ruhrberg 1995, (Anm. 11), S. 174/175. 



160 Gerhard Kaldewei 

der Staats- und Universitatsbibliothek Hamburg. Bei dem o.g. ersten Hand- 
schriftenkonvolut handelt es sich urn 18 Gebetsbiicher aus dem Sonsbecker 
Schwesternhaus, einem spateren Franziskanerinnenkloster, die alle im letzten 
Drittel des 15. Jahrhunderts entstanden sind. 114 Diese Biicher sind im Dunstkreis 
derDevotio moderna am Niederrhein geschrieben worden. 115 Zu diesem Bestand 
gehort z.B. die typische Handschrift Nr. 14, die ein Psalterium und Andachten 
enthalt und um 1470 von einer kundigen Hand in geldrischer Volkssprache ge- 
schrieben wurde. Sie enthalt auf der ersten Seite sogar einen Besitzervermerk, der 
mit den Worten beginnt: „Dyt boeck hoer toe suster lysbeth van wyllich"; Schwester 
Lysbeth stammte aus der bekannten niederrheinischen Adelsfamilie van Wylich 
aus Wesel. Als weitere Besonderheit enthalt diese spatmittelalterliche Hand- 
schrift auf Seite 30 auch noch eine gezeichnete Miniatur, die ein weiBes Lamm 
auf blau-rot gemustertem Hintergrund mit Schriftzeilen darstellt. 116 

Bei der zweiten Susternhandschrift handelt es sich um das sogenannte „Boec van 
der Joncfrouscap" aus dem Schwesternhaus Sankt Mariengarten zu Schiittorf. 117 Die 
Handschrift wurde anfangs des 15. Jahrhunderts im westlichen Miinsterland ge- 
schrieben und ist eine Ubersetzung aus dem Lateinischen in die niederdeutsche 
Volkssprache. 118 „D as Buck von derjungfrauschaft" ist eine Kompilation von Texten 
dervierKirchenvater Ambrosius, Hieronymus, Augustinus und Gregorius. 119 Das 
Schiittorfer Schwesternhaus ist, wie so viele andere in Niederdeutschland, aus ei- 
nem schon im 14. Jahrhundert bestehenden Beginenhaus 1418 im Zuge der Devo- 
tio moderna in ein Haus der Schwestern vom Gemeinsamen Leben nach der Au- 
gustinerregel uberfiihrt worden. In jenem Jahr iibertrug Graf Bernhard zu Bent- 
heim seine Rechte an dem bestehenden Beginenhaus zu Schiittorf an den Prior des 
Klosters Frenswegen bei Nordhorn, Heinrich Loder, der darin eben weiterhin eine 
„gheystlike vergadderinge van juncvrouwen und megheden" fiihren sollte. 120 1423 wird 



114 Vgl. Gerard Achten/ Hermann Knaus: Deutsche und niederlandische Gebetbuch- 
handschriften der Hessischen Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt. (Die Hand- 
schriften der Hessischen Landes- und Hochschulbibliothek Darmstadt), Darmstadt 1959. 

115 Vgl. G. Achten/H. Knaus 1959, (Anm. 114), S. 14ff. 

116 G. Achten/H. Knaus 1959, (Anm. 114), S. 71. 

117 Vgl. Erik Bergkvist: Dat boec van der Ioncfrouscap, (Diss. Goteborg 1925). 

118 E. Bergkvist 1925, (Anm. 117), S. XVI und XXI. 

119 Vgl. Conrad Borchling: Schriften in Wolfenbuttel . . . (Wernigerode, Furstlich Stol- 
bergische Bibliothek), in: Nachrichten von der Koniglichen Gesellschaft der Wissenschaften 
zu Gottingen und der Georg August Universitat, Philologisch-Historische Klasse, Gottingen 
1902, S. 225/26. 

120 Zit. in: Alfred Bruns/ Wilhelm Kohl: Inventar des Furstlichen Archivs zu Burgstein- 
furt. (Bestand A), (Inventare der Nichtstaatlichen Archive Westfalens, Neue Folge Band 5), 
Munster 1971, S. 157 (Urk. 168, 1418 Juli 8); vgl. Arnold Noldeke: Die Kunstdenkmaler der 
Provinz Hannover. IV Regierungsbezirk Osnabruck. 4. Die Kreise Lingen und Grafschaft 



Beginen - Sustern - Vrome Vrouwen 161 

diesen „geistlichenjungfrauen"- um die Zeit lebten immerhin rund 20 Schwestern 
dort - der Gebrauch einer Hauskapelle gestattet. Der Schiittorfer Schwesternkon- 
vent erlebte einen relativ groBen Aufschwung, so daB von dort aus 1435 in Eldag- 
sen bei Hildesheim und 1444 in Miinster weitere Schwesternhauser gegriindet 
werden konnten. Dieses - schon erwahnte - volkstiimlich Niesing-Kloster 121 ge- 
nannte Miinsteraner Susternhaus stand Ende des 15.Jahrhunderts unter derRek- 
to- renschaft des ebenfalls schon genannten Fraters Johannes Veghe. In der Wie- 
dertauferzeit in Miinster um 1534/35 kamen die Schwestern des Niesing-Konvents 
auch in schwere Bedrangnis. 122 Schon 1416 hatte besagter Graf Bernhard dem 
KlosterFrenswegen „um Gottes willen" einen „Bauplatz fiirein Frauenkloster" ge- 
schenkt, 123 um dort „ener Woninghe erer Susteren" zu errichten: um 1500 sprach man 
dann vom „alten Schwesternhaus oder Susternhaus" auf der Frensweger Hove- 
saat. 124 In derberiihmten Frensweger Klosterhandschriftenbibliothek, dieim We- 
sentlichen seit 1874 zu der StraBburger Universitatsbibliothek gehort, 125 befinden 
sich auch zwei deutsche Handschriften, die entsprechende Besitzvermerke aufwei- 
sen - im Evangeliar (Nr. 2103) aus dem 15.Jahrhundertsteht: „Ditboec hoert int Che- 
ster toe Marienwolde by Noerthorn den susteren "; im Lektionar (Nr. 2105) , ebenfalls aus 
dem 15.Jahrhundert: „Ditboeckhort int susteren hues ten Vrensweghen by Northorn." 126 
Das spatmittelalterliche „Buch von derjungfrauschaft", das vorn die Besitzvermer- 

Bentheim, Hannover 1919, S. 203 ; Ludwig Sager: Im Kloster. Geschichtliches vom Siisterklo- 
ster zu Schiittorf, in: Jahrbuch des Heimatvereins der Grafschaft Bentheim 1954, S. 19-25; 
Ludwig Edel: Von der Lateinschule oder dem stadtischen Gymnasium in Schiittorf, in: Jahr- 
buch des Heimatvereins der Grafschaft Bentheim 1961, S. 34-60; W. Kohl 1969, (Anm. 53), 
S. 67-83; Wilhelm Steggewentz: Die Klosterkirche zu Schiittorf, in: Jahrbuch des Heimatver- 
eins der Grafschaft Bentheim 1970, S. 51-55; Bernd-Ulrich Hergemoller: Frenswegen und 
Nordhorn - Kloster und Stadt, in: Clemens von Looz-CoRSWAREM/Michael Schmitt (Hrsg.): 
Nordhorn. Beitrage zur 600jahrigen Stadtgeschichte. Nordhorn 1979, S. 64. 

121 Vgl. H. Hoing 1981, (Anm. 99), S. 32/33 u. 153/54; Wilhelm Schulte: Maria Rose. 
Aus der Geschichte des Augustinerinnenklosters in Ahlen, in: Beckumer Heimatkalender 
1958, S. 27-33. 

122 Vgl. C. A. Cornelius 1853, (Anm. 53), S. 42 Iff. 

123 Albert Wilkens: Genealogische Geschichte der alten Reichsedeln und Dynasten von 
und zu Steinfurt, Miinster 1826, S. 94/95; vgl. K. Loffler 1930, (Anm. 96), S. 73f. 

124 J. H. Richter 1913, (Anm. 96), S. 70; vgl. Gerhard Kaldewei: Vom Bentheimer Schaf 
uber die Vechte zu Ruisdael - Stationen der Geschichte des „Museums der Grafschaft Bent- 
heim" 1910-1994, in: Bentheimer Jahrbuch 1996, S. 221-239; Heinrich Voort: Von derHove- 
saat zur Gutsgemeinde: Frenswegen im 19. Jahrhundert, in: Bentheimer Jahrbuch 1997, 
S. 153-164. 

125 Vgl. Bernhard Nonte: Untersuchungen iiber die Handschriften des Augustiner- 
Chorherren-Stiftes Frenswegen bei Nordhorn, in: Westfalische Forschungen, Bd. 14/1961, S. 
133-148; Irene Stahl: Die Rekonstruktion der Klosterbibliothek Frenswegen, in: Bentheimer 

Jahrbuch 1992, S. 37-48. 

126 Zit. in: K Loffler 1930, (Anm. 96), S. 320; W. Kohl 1969, (Anm. 53), S. 62. 



162 Gerhard Kaldewei 

kung „dit boeck hoert den sustern to schuttorpe in sancte Mariengarden" enthalt, hatte - 
gemaB dem alten lateinischen Spruch „Habent sua fata libelli" - seine ganz eigene, 
schicksalhafte Geschichte, die an anderer Stelle einmal ausfiihrlicher dargestellt 
werden soil. Hier nur soviel: von Schiittorf in der Grafschaft Bentheim gelangte 
diese wertvolle Handschrift vielleicht schon in nachreformatorischer Zeit im 16. 
Jahrhundert in die einstmals hochst bedeutende Handschriftensammlung der 
Grafen von Stolberg nach Wernigerode im Harz. 127 Nach dem Verkauf der Graf- 
lich-Stolbergischen Biichersammlung kam das Buch dann 1931 in die Gemeente- 
bibliothek nach Rotterdam in die Niederlande. 128 

W. Stammler hat weiter festgestellt, daB „Monche aus Mitteldeutschland" nie- 
derdeutsche Handschriften u.a. mit Texten Meister Eckharts auch „nach Norden 
gebracht" haben: „Auf dem gleichen Wege sind bis nach Hamburg und weiter 
nach Ostelbien mystische Ideen gelangt, wie handschriftliche Funde aus dem 
KlosterEbstorf, aus dem Hamburger Beginenhaus und aus GreifswalderKlostern 
bezeugen." 129 Uber den Handschriftenbestand des Hamburger Beginenkonvents 
St. Jacobi schreibt C. F. Gaedechens 1868, daB damals noch im Besitz des Kon- 
vents „eine kleine Anzahl theils auf Pergament, theils auf Papier geschriebener 
Biicher, welche Gebete, Evangelien, Legenden und Heiligengeschichten aus der 
Zeit vor der Reformation enthalten, von denen einige als das Eigenthum friiherer 
Schwestern bezeichnet sind", erhalten sind. 130 Insgesamt gesehen, kann festgehal- 
ten werden, daB in vielen Beginen- und Schwesternhausern nicht nur volks- 
sprachliche Gebetsbiicher und andere geistliche Literatur gelesen und benutzt 
wurde, sondern diese mitunter sogar iiber eigene Schreibstuben verfiigten, in de- 
nen „eifrig Biicher abgeschrieben wurden". Viele Konvente besaBen auch zum 
Teil „stattliche Bibliotheken", in denen sich u.a. „die Schriften groBerMystikerne- 
ben Heiligenbiographien und eklektischen Ergiissen kleinerer Geister" 131 wie- 



127 Vgl. Ernst Forstemann: Die Graflich Stolbergische Bibliothek zu Wernigerode, 
Nordhausen 1866; Eduard Jacobs: Uebersichtliche Geschichte des Schtiftthums und des Bii- 
cherwesens in der Grafschaft Wernigerode, Wernigerode 1877; Hildegard Herricht: Die 
ehemalige Stolberg-Wernigerodische Handschriftenabteilung. Die Geschichte einer kleinen 
feudalen Privatsammlung, Halle 1970. 

128 P. Dalm van Heel: Middeleeuwse Handschriften op godsdienstig gebied in het bezit 
van de Bibliotheek der Gemeente Rotterdam, Rotterdam 1948, S. 14 1 ff. ; Sigrid Kramer: 
Handschriftenerbe des deutschen Mittelalters (Mittelalterliche Bibliothekskataloge Deutsch- 
lands und der Schweiz, Erganzungsband 1), Miinchen 1989, S. 718. 

129 W. Stammler 1964, (Anm. 3), S. 390/91. 

130 C. F. Gaedechens: Der Convent der Beguinen in Hamburg und seine Umwandelung 
in einjungfrauenstift, Hamburg 1868, S. 22/23; vgl. H. Rockelein 1998, (Anm. 56), S. 133, H. 
Rockelein plant seit langerem die Katalogisierung dieser Hamburger Beginenhandschriften. 

131 M. Bless-Grabher, in: Die Beginen 1995, (Anm. 26), S. 581 f.; vgl. Dies. 2002, (Anm. 
26), S. 254/55. 



Beginen - Sustern - Vrome Vrouwen 163 

derfinden lassen - so fiihrte Magdalena Bless-Grabher bezogen beispielsweise 
auf Appenzeller Beginen- und Schwestemhauser in der Schweiz aus. 

„Christus auf dem kalten Stein" und ,Jesuskindlein" - 
Andachtsbilder der Beginen 

Wenn man nun diese vielfaltig ausgepragte volkssprachliche Schriftlichkeit in Be- 
ginen- und Schwesternkonventen im Spatmittelalter feststellen kann, so laBt sich 
dieses in ahnlicher Weise auch fur die spatmittelalterliche bildende Kunst in eben 
solchen Frauenkonventen oder Nonnenklostern sagen. Auch hierbei gibt es - ver- 
gleichbar dem „beginenmystischen" Literaturschaffen bzw.der Literaturrezeption 
- ganz spezielle volkskiinsderische und „beginentypische" Kunstproduktionsfor- 
men und Rezeptionsmusterin Bezug auf solche Kunstwerke. Dieses istjedoch im- 
mer auch eingebettet in den breiten Strom der spatmittelalterlichen Formen von 
religiosen Kunstwerken und der Frauenfrommigkeit iiberhaupt in Konventen und 
Klostern hier in Nordwesteuropa. 132 So wurde schon beispielsweise die Entste- 
hung der Pieta-Skulpturen sowie der Christus-Johannes-Gruppen auf die 'religi- 
ose Frauenbewegung' des 13.Jahrhunderts zuriickgefiihrt, die eine neuartige Hin- 
wendung der einzelnen Nonne oder Begine und ihrer Seele zu Gott ausgestaltet 
und auch in die entsprechende religiose Kunst eingebracht hat; in der zeit- 
genossischen Bildhauerkunst tritt so ein neuer psychologisierender Stil. 133 So 
stammt z.B. ein Glasbildfragment mit der so typischen und „merkwiirdigen" Dar- 
stellung der Muttergottes mit dem Jesuskind im Strahlenkranz aus dem letzten 
Drittel des 14. Jahrhunderts aus der Kirche des GroBen Beginenhofes zu Lo- 
wen. 134 In diesem Kontext ist auch ein niedersachsisches Tafelbild aus der Zeit um 
1430/40 in der Landesgalerie des Niedersachsischen Landesmuseums Hannover 
von Interesse, das eine Kreuzigung Christi auf derlnnenseite des Fliigels eines frii- 
heren Altarretabels zeigt und auf der AuBenseite die recht eigentlich seltene Dar- 
stellung des auf dem offenen Grabe sitzenden Christus als Schmerzensmann, um- 



132 Vgl. J. Prieur 1996, (Anm. 68), S. 57-66; Frank Matthias Kammel: Imago pro domo. 
Private religiose Bilder und die Benutzung im Spatmittelalter, in: Spiegel der Seligkeit. Priva- 
tes Bild und Frommigkeit im Spatmittelalter (Kat. Germanisches Nationalmuseum Niirn- 
berg), Niirnberg 2000, S. 10-33; Ders.: Devotio postmoderna. Religiose Zeichen und Bilder 
im „Life after God", in: Spiegel der Seligkeit 2000, (Anm. 132), S. 137-160; Helen Hemel. De 
Middeleeuwen in het Noorden (Kat. Groninger Museum), Groningen 2001. 

133 Vgl. Horst Appuhn : Mystische Andachtsbilder und der Fronleichnamskult, in: Ders., 
Einfuhrung in die Ikonographie der mittelalterlichen Kunst in Deutschland, Darmstadt 
4/1991, S. 75 ff.; Hans Peter Hilger: Das Jesuskind mit der Weintraube. (Bayerisches National- 
museum Bildfuhrer 19), Munchen 1991, S. 18ff. 

134 Heute im Besitz des Stedelijk Museum van der Keulen-Mertens in Lowen. 



164 Gerhard Kaldewei 

geben von den „Arma Christi", den Leidenswerkzeugen der Passion. 135 Dieser 
Altarfliigel stammt aus einem Hildesheimer Frauenkloster, vermutlich dem Mag- 
dalenenkloster. Brigitte Hotz hat genau diese Institution in ihrer Studie iiber die 
Beginen in Hildesheim an den Anfang ihres Kapitels zur „Bedeutung des Begi- 
nenlebens als einer Lebensform der weiblichen Bevolkerung" gestellt und er- 
wahnt, daB das Magdalenenkloster schon in der ersten Halfte des 13. Jahrhun- 
derts gegriindet worden ist und die Konventualinnen dort eben nach der so weit 
verbreiteten Augustinerinnenregel lebten. 136 Dem entspricht ein weiteres Tafel- 
bild im HannoveranerLandesmuseum, das auf derVorderseite die „Heilige Fami- 
lie in der Werkstatt" und auf der Riickseite eine „kulturhistorisch interessante 
Darstellung" einer „im Sterbebett liegenden Augustinernonne vor der Heilstrep- 
pe" zeigt. 137 Es ist um 1460/70 moglicherweise im Schwabischen entstanden. Die 
zuvor schon erwahnte Darstellung des am offenen Grabe sitzenden, leidenden 
Christus im Landesmuseum Hannover findet in einem kleinen Diptychon im 
Westfalischen Landesmuseum in Minister ein interessantes Gegeniiber. Hier sitzt 
der gefesselte, leidende Christus auf seiner „letzten Rast" vor der Kreuzigung. Die- 
ses Tafelbild malte einniederdeutscherMeisterebenfalls in der zweiten Halfte des 
15. Jahrhunderts. Angelika Lorenz bezieht sich bei ihrer kurzen Beschreibung auf 
niederlandische Kiinstler wie ,Jan van Eyck und Dieric Bouts, die in ihrer The- 
menwahl (. . .) die private Andacht, wie sie in der Devotio moderna gefordert 
wurde, umsetzen halfen." Das kleine Andachtsbild, das erst 1991 fur Miinster er- 
worben wurde, sei „eine auBerordentliche Raritat", was „sowohl fur den Bildtypus 
wie fur das Thema, welches sonst kaum in der niederdeutschen Malerei begeg- 
net", gelte. 138 

Bezogen auf die Bildgattung der spatmittelalterlichen Tafelmalerei ist dem 
wohl beizupflichten - allerdings gibt es insbesondere in der niederdeutschen Bild- 
schnitzerkunst seit dem 14. Jahrhundert diesen Bildtypus doch in relativ zahlrei- 
chen Exemplaren. Gert von der Osten lokalisiert die Verbreitung dieses Bildtypus 
des „Christus im Elend" von Frankreich, Mittel- und Nord- bis nach Osteuropa 
und bringt seine Entstehung mit Bezug auf Thomas von Kempen ebenfalls in den 
Kontext der Devotio moderna und der Frauenmystik des Spatmittelalters. 139 Zu 



135 Vgl. Niedersachsisches Landesmuseum Hannover Landesgalerie (Hrsg.): Die deut- 
schen und niederlandischen Gemalde bis 1550, bearbeitet von Michael Wolfson, Hannover 
1992, S. 164/65. 

136 B. Hotz 1988, (Anm. 61), S. 84. 

137 Ns. Landesmuseum 1992, (Anm. 135), S. 205/06. 

138 Angelika Lorenz: Westfalisches Landesmuseum fur Kunst und Kulturgeschichte 
Miinster, Neuerwerbungen 1991, in: Wallraf-Richartz-Jahrbuch. Westdeutsches Jahrbuch fur 
Kunstgeschichte Band LIII, Koln 1992, S. 292/93. 

139 Gert von der Osten: Christus im Elend, ein niederdeutsches Andachtsbild, in: West- 



Beginen - Sustern - Vrome Vrouwen 165 

dem bekannten Exemplar des Christus im Elend aus dem Ende des 15. Jahrhun- 
derts im Braunschweiger Dom schreibt Anton Legner: „Unter den zahlreichen 
Bildwerken des Typus in Norddeutschland ist die ergreifende Braunschweiger 
Skulptur das eindrucksvollste Gegenstiick zur wenige Jahrzehnte jiingeren siid- 
deutschen Version des Christus in der Rast von Hans Leinberger." 140 Doch vor al- 
lem am Niederrhein und in den siidlichen Niederlanden war der dort so genannte 
Bildtypus als „Christus auf dem Kalten Stein" weit verbreitet. So befindet sich 
heute in der St. Nicolai-Pfarrkirche zu Kalkar ein solcher ebenfalls fast lebensgro- 
Ber, in Eichenholz geschnitzter, ungefaBter „Christus auf dem Kalten Stein" aus 
der Zeit um 1500, der von der Hand des sogenannten „Meisters des Annenaltars" 
in derselben Kirche stammt. 141 Altar und Christus-Bildwerk waren aber urspriing- 
lich im Kalkarer Dominikanerkloster beheimatet, welches 1455 von Herzog Jo- 
hann I. von Kleve und dessen Mutter Maria von Burgund gestiftet worden war. 142 
Kloster und Klosterkirche wurden bis um 1480 direkt gegeniiber dem schon er- 
wahnten Grossen Beginenhof St. Ursula am Mittelgraben in Kalkar errichtet. 

Insbesondere in den friiheren siidlichen Niederlanden, dem heutigen belgi- 
schen Limburg, haben sich eine ganze Reihe Bildwerke vom Typus des „Christus 
auf dem Kalten Stein" erhalten: allein ein Inventar der spatgotischen Bildschnitz- 
kunstwerke aus Limburg und dem Maasland, das 1990 in einer umfassenden, re- 
prasentativen Ausstellung 143 im Provinzial-Museum fur Religiose Kunst in Sint- 
Truiden gezeigt wurde, sind immerhin 15 solcher Skulpturen versammelt. Kunst- 
historisch am wertvollsten ist wohl der Christus aus der ehemaligen Beginenhof- 
kirche in Sint-Truiden, derum 1520 von einem maaslandischen Meisterin Eichen- 
holz geschnitzt wurde. Besonders charakteristisch ist aber der „Christus op de 
Koude Steen" aus der St. Catharinakirche des Beginenhofes in Tongern, der um 
1530 im Maasland geschnitzt und polychromiert wurde: „Was dieses Christusbild 
so besonders macht, ist die Darstellung einer betenden Begine. Sie muB die Auf- 
traggeberin sein, was die Hypothese von der Zuschreibung an einen ortlichen 
Meister verfestigt und vermuten laBt, daB die Darstellungen vom Christus auf 
dem Kalten Stein, das herausragende Andachtsbild iiberhaupt, die Antwort auf 



falen, Band 30/1952, S. 185-198. 

140 Anton Legner in: Cord Meckseper (Hrsg.): Stadt im Wandel. Kunst und Kultur des 
Biirgertums in Norddeutschland 1150-1650. Landesausstellung Niedersachsen 1985. (Aus- 
stellungskatalog Band 2), Stuttgart 1985, S. 1277-79; vgl. das Schweriner Exemplar aus dem 1. 
Drittel des 16. Jahrhunderts, das aus dem Zisterzienserinnenkloster Heiligkreuz in Rostock 
stammt, in: Spiegel der Seligkeit 2000, (Anm. 132), S. 186/87. 

141 Vgl. H. P. Hilger 1990, (Anm. 84), S. 134 u. 238. 

142 Vgl. F. Gorissen 1953, (Anm. 75), S. 52; M. Wensky 2001, (Anm. 75). 

143 Laat-gotische beeldsnijkunst uit Limburg en Grensland, (Kat. Provinciaal Museum 
voor Religieuze Kunst Begijnhof Sint-Truiden), Sint-Truiden 1990. 



166 Gerhard Kaldewei 

die mystische Verehrung durch die religiosen Gemeinschaften derBeginen 1st." - 
So Christina Ceulemans im o.e. Katalog. 144 Diese, unsere These unterstiitzende 
Feststellung, wird noch dadurch unterstrichen, daB alle diese besonderen Bild- 
werke nachweislich fast ausschlieBlich aus Beginenhofen oder -kirchen oder, wie 
z.B. in Lowen, aus dem Frauenkloster der Zwartsusters stammen. 145 

Neben diesem also speziell fur die spatmittelalterliche Frauenfrommigkeit so 
charakteristischen Bildwerktypus des „Christus auf dem Kalten Stein" gibt es zu- 
mindest noch einen zweiten, ebenso sprechenden - namlich den des kleinen, 
nackten ,Jesuskindes". Derfriihere General direktor des Bayerischen Nationalmu- 
seums in Miinchen, Johann Georg Prinz von Hohenzollern, hat dazu ausgefiihrt, 
daB „die Verehrung des isolierten, zumeist mit Segensgestus und Weltkugel darge- 
stell ten nackten Jesuskinds (. . .) sich zurZeit derMystikim 14. Jahrhundert voral- 
lem in den Frauenklostern der Bettelorden" entwickelte. Selbst Meister Eckhart 
besuchte einmal - so wird berichtet - Christus als „schoner nackender Bube" auf, 
der mit ihm „vertrauliche Zwiesprache halt". 146 Hans Peter Hilger stellte ein ent- 
sprechendes, nacktes, aber gefaBtes „ Jesuskind mit der Weintraube" vor, das er 
um 1460 datierte und dem Umkreis der StraBburger Werkstatt des aus Leiden in 
den Niederlanden stammenden Bildhauers Niclaus Gerhaert zuschrieb. 147 Auch 
er betonte, daB solche ,Jesuskinder" als Andachtsbilder „vor allem in den Frauen- 
klostern der Bettelorden aus dem Geist der Mystik" verehrt wurden, wie z.B. das 
um 1340 entstandene Bildwerk des „Christuskindes" aus dem Kloster Modingen 
in Schwaben. Ein weiteres ,Jesuskind mit Weltkugel", dem Ulmer Bildschnitzer 
Gregor Erhart zugeschrieben und um 1500 datiert, befindet sich im Hamburger 
Museum fur Kunst und Gewerbe. Es soil aus dem badischen Zisterzienserin- 
nenkloster Heggbach bei Biberach stammen. Auch ein „ Jesuskind" aus dem 
schon erwahnten Rostocker Heiligkreuz-Kloster (heute im Schweriner Landesmu- 
seum) entspricht diesem Typus. Es wurde in Mecheln in Brabant angefertigt. 148 

Aber auch im niederlandischen und niederdeutschen Raum begegnet man dem 
„ Jesuskinde" als mystischem Objekt der Andacht eben nicht nur in Frauenklo- 
stern sondern auch in vielen Beginen- oder Schwesternkonventen. So befindet sich 
heute im Stadtischen Museum von Lowen in Flandern ein solches nacktes „ Jesus- 
kind", was friiher im dortigen Grossen Beginenhof verehrt wurde und um 1500 im 
weit exportierenden Bildschnitzerzentrum Mecheln gefertigt worden ist. 149 

144 Christina Ceulemans: Iconografie van de laat-gotische beeldsnijkunst in Belgisch- 
Limburg, in: Kat. Sint-Truiden 1990, (Anm. 143), S. 23 u. S. 72/Kat. Nr. 93. 

145 Kat. Sint-Truiden 1990, (Anm. 143), S. 51, Nr. 506, Abb. S. 144. 

146 In: H. P. Hilger 1991, (Anm. 133), S. 7; W. Stammler 1964. (Anm. 3), S. 406. 

147 H. P. Hilger 1991, (Anm. 146), S. 35/36. 

148 H. P. Hilger 1991, (Anm. 146), S. 9 u. 20/22. 

149 Vgl. Schatten der Armen. Het artistiek en historisch Bezit van het O. C. M. W. - Leu- 



Beginen - Sustern - Vrome Vrouwen 167 

Aus Koln stammt ein nacktes, polychromiertesjesuskind mit goldener Weltkugel, 
heute im Besitz des Germanischen Nationalmuseums Niirnberg. 150 Hans Holbein 
derjiingere hat in seinem Baseler Totentanz von 1523/25 in einem kleinen Holz- 
schnitt u.a. eine Nonne in ihrer Zelle kniend vor einem Reliquienaltar dargestellt, 
auf dem sogar zwei - hier unbekleidete - „Jesuskinder" stehen. 

Ebenfalls in Mecheln um 1500 wurde eine „Christkindfigur" gefertigt, die aus 
dem Benediktinerinnen-Frauenkloster Walsrode in der Liineburger Heide 
stammt. Die Besonderheit bei diesem Exemplar ist, daB das „Jesuskind" vollstan- 
dig mit einem reich geschmiickten wertvollen Umhang bekleidet ist, welcher in 
diesem Heidekloster von den Nonnen selbst angefertigt worden ist. Ein weiteres 
solches „Mechelner Christkind" mit Kleid und Krone aus der Zeit um 1500 wird 
im Liibecker St. Annen-Museum ausgestellt. 151 Ebenfalls in Schleswig-Holstein, 
namlich im Dom zu Schleswig, befindet sich nun noch ein hochst interessantes 
Exemplar eines ,Jesuskindes", das aus einem ganz besonderen Kontext heraus- 
sticht: diese „sehrschone Figur eines Christkindes, eine Briisseler"- oderMechel- 
ner- „Arbeit vom Ende des 15.Jahrhunderts", 152 stehtim Mittelfach derPredella 
des beriihmten und exzeptionellen „Bordesholmer Altars" des Hans Briigge- 
mann, den dieser bis 1521 fur die Klosterkirche des Augustiner-Chorherrenstifts 
in Bordesholm geschaffen hat. 153 Dieses seit 1290 in Bordesholm ansassige Stift 
trat 1490 der Windesheimer Kongregation bei. Zu der Erneuerungsbewegung in 
diesem Kloster im Zusammenhang mit der Devotio moderna gehorten auch der 
Umbau der Klosterkirche und deren Neuausstattung, die eben 1521 mit der Auf- 
stellung des gewaltigen Fliigelaltars ihren Hohepunkt und AbschluB fand. Dieser 
Altar wurde zu einem „Zeichen in einer Krise" zwischen Reformation, Devotio 
moderna und Humanismus. 154 1666 wurde der riesige Altar auf landesherrliche 
Veranlassung von Bordesholm in den Dom zu Schleswig uberfiihrt. Auch das 



wen. (Kat. Stedelijk Museum van der Keulen-Mertens), Lowen 1988, S. 62 ff. 

150 Vgl. Spiegel der Seligkeit 2000, (Anm. 132), S. 175. 

151 Vgl. Horst Appuhn: Private Andachtsbilder, in: Ders., Einfiihrung in die Ikonogra- 
phie der mittelalterlichen Kunst in Deutschland, Darmstadt4/1991, S. 91 u. Tafel 21. 

152 Fritz Fuglsang/ Alfred Ehrhardt: Der Bordesholmer Altar des Hans Briiggemann, 
Schleswig 1959, o.S.; vgl. zum Fotografen A. Ehrhardt: Alfred Ehrhardt. Herausgegeben 
von Christine Hopfengart und Christiane Stahl. (Kat. Kunsthalle Bremen). Ostfildern-Ruit 
2001; vgl. Ernst Schlee: Die Christkindfigur im Dom zu Schleswig, in: Kunst in Schleswig- 
Holstein 1951, S. 156-166. 

153 Der Bordesholmer Altar des Hans Briiggemann. Werk und Wirkung. Herausgegeben 
von Uwe Albrecht, Gerhard Kaldewei, Hartmut Krohm, Uta Lemaitre und Ursula Lins, 
Berlin 1996. 

154 Ingeborg Kahler: Der Bordesholmer Altar. Zeichen in einer Krise. Ein Kunstwerk 
zwischen kirchlicher Tradition und humanistischer Gedankenwelt am Ausgang des Mittelal- 
ters. (Studien zur schleswig-holsteinischen Kunstgeschichte 14), Neumiinster 1981. 



168 Gerhard Kaldewei 

„Christkind" in der Predella des Briiggemannschen Altar kann als frommes An- 
dachtsbild in den Kontext derDevotio moderna eingeordnet werden, wenngleich 
es hier sichernicht seinen urspriinglichen Standort hatte - vielleicht stammt es ja 
aus einem der Liibecker Beginenkonvente. Das Mittelfach der Predella 155 des 
„Bordesholmer Altars" diente urspriinglich wohl als Reliquienbehalter; 156 spater 
dann in der Liturgie der Vergegenwartigung des Altarsakramentes: hinter einem 
kunstvoll vergitterten Tabernakel war die „Monstranz mit der geweihten Hostie" 
eingeschlossen. 157 Dietrich Ellger stellte dazu fest, es sei keinesfalls ausgeschlos- 
sen, „da6 das jetzige Christkind bereits in Bordesholm dem Altar eingefiigt war, 
(. . .) wenn auch wohl nicht von Anfang an". 158 Auch das Bordesholmer bzw. 
Schleswiger „Christkind" wurde „seit alters mit einem Hemdchen bekleidet (...), 
das alljahrlich zu Weihnachten erneuert wird". 159 

Ein ahnliches Brauchtum, namlich das „Kindleinwiegen", 160 wurde zu Weih- 
nachten in vielen Frauenkonventen gepflegt: dieses Wiegen gait „als wesentlicher 
Bestandteil eines ,geistigen Besuchs in Bethlehem'. Um eine besonders intensive 
Vergegenwartigung zu erreichen, wurde dazu zunachst in Frauenklostern eine 
Holzfigur als Christkind gewiegt und z.T. auch gebadet, symbolisch gestillt und 
zum KuB gereicht. Vielerorts entwickelte sich dieses Kindleinwiegen zu einem 
Brauch, an dem, entweder schon im Advent oder zwischen Weihnachten und 
LichtmeB (2. Februar) die ganze Gemeinde teilhatte." 161 Fur das Benediktinerin- 
nenkloster Kemnade an der Weser z.B. ist dies fur die Zeit um 1520 belegt. Eine 
solche „Christkindwiege" mit Silberglocklein aus dem GroBen Beginenhof zu Lo- 
wen befindet sich heute z. B.im Metropolitan Museum in New York. 162 Ebenso 
hat sich eine solche „Christkindwiege" aus derMitte des 15.Jahrhunderts im Ant- 
werpener Museum Mayer van den Bergh erhalten; Frank M. Kammel ordnete 
dieses reichverzierte und mit einer prachtigen Farbfassung versehene kleine spat- 
gotische Mobelstiick in die uberkommene Reihe popularer Andachtsobjekte des 
14. bis 16. Jahrhunderts ein, die „wohl in Frauenklostern, insbesondere der Fran- 

155 Vgl. Horst Appuhn : Der Bordesholmer Altar und die anderen Werke von Hans Briig- 
gemann, Konigstein 2/1987, S. 14ff. und 26/27. 

156 Vgl. Freerk Haye Hamkens (Hrsg.): Der Bordesholmer Altar Meister Briiggemanns. 
(Insel-Biicherei Nr. 495), Leipzig o.J., S. 52. 

157 H. Appuhn 1987, (Anm. 155), S. 14. 

158 Dietrich Ellger: Der Dom und der ehemalige Dombezirk. (Die Kunstdenkmaler der 
Stadt Schleswig. 2. Band), Miinchen 1966, S. 337/38. 

159 D. Ellger 1966, (Anm. 158), S. 338. 

160 Vgl. Hans Wentzel: Ein Christkindbettchen in Glasgow, in: Pantheon, Bd. 20/1962, 
S. 1-7. 

161 Christine Aka: „LaBt uns das Kindlein wiegen". (Faltblatt zur Ausstellung im Stadt- 
museum Minister vom 17. 11. 1992-6. 1. 1993), Munster o.J. (1992) 

162 Vgl. W. A. Olyslager: 750 jaar Begijnen te Antwerpen, Kapellen 1990, S. 145 ff. 



Beginen - Sustern - Vrome Vrouwen 169 

ziskaner und Dominikaner, bzw. diesen Orden nahestehenden Beginengemein- 
schaften" benutzt wurden: „Man darf annehmen, daB die prachtigen Exemplare 
in den Andachtsiibungen der Konvente eine Rolle spielten, daB weniger aufwen- 
dige Stiicke aber auch der privaten Devotion dienten." 163 Und fiir das westfalische 
Miinster ist solch ein „Kindleinwiegen" im dortigen Armenhaus, das der hi. Elisa- 
beth geweiht war und 1354 gestiftet worden ist, bezeugt - eine entsprechende 
Wiege, die allerdings erst um 1630 entstanden ist und eine Jesuskindfigur aus 
Wachs mit Spitzenbekleidung aufhimmt, haben sich im Miinsteraner Stadtmuse- 
um erhalten - seit dem 19. Jahrhundert wechselte jedoch hier die ungeklarte Be- 
deutung hin zu einer sogenannten „Johanneswiege". 164 

„Besloten hofjes" und „Paradiesgdrtlein" 

Einen direkten Bezug zu dem vorhin schon erwahnten flandrischen Mecheln 
weist auch noch ein weiteres entsprechendes Betatigungsfeld von Beginen bzw. 
Nonnen auf: namlich die Anfertigung von „Besloten hojjes" eh entails als Andachts- 
bilder fiir „vrome vrouwen". Hier in Mecheln fertigten die Beginen gegen 1500, 
„langst ehe sie Spitzen kloppelten, aus Seide bunte Kunstblumen (. . .)," um „diese 
dann zu bezaubernden Besloten Hofjes" aufzubauen. 165 In dem friiheren Begi- 
nenhof zu Mecheln befinden sich noch heute sieben solcher groBen und kleinen 
verglasten Schreine, ebenso im Beginenhof zu Herentals oder im St. Elisabeth- 
Beginenhof zu Gent, aber auch im heutigen westfalischen Museum im ehemali- 
gen Kreuzherrenkloster Bentlage in Rheine in Form eines 1499 entstandenen 
Schadelschreins. 166 

Auch im niederrheinischen Kalkar finden wir solche spatmittelalterlichen 
„Besloten hofjes". In der dortigen St. Nicolaikirche stehen u.a. der Dreifaltigkeitsal- 
tar (von Meister Arnt van Tricht um 1535 geschaffen) und der Johannes- Altar 
(ebenfalls von Meister Arnt um 1540 geschaffen). 167 Die Schreine dieser Altare 
stehen jeweils auf einer Predella aus Eichenholz, deren verglaste Biihnenkasten 
insgesamt sechs „Besloten hofjes "umfassen. Hierbei handelt es sich - so Hans Peter 
Hilger- um „liebenswiirdige Arrangements aus Seidenblumen, Gold- und Silber- 
flitter und anderen Materialien, in die mit Beschriftungen versehene Reliquien 
eingelassen sind. In derMitte eines solchen kiinstlichen Gartens steht in derRegel 
ein kostbar gefaBtes Bildwerk." - Im Kalkarer Dreifaltigkeitsaltar sind dies eine 



163 F. M. Kammel in: Spiegel der Seligkeit 2000, (Anm. 132), S. 174/75. 

164 Vgl. Chr. Aka 1992, (Anm. 161). 

165 H. Appuhn 1991, (Anm. 133), S. 92. 

166 Vgl. Das Kreuz im Garten des Paradieses. Der Bentlager Schadelschrein von 1499, 
herausgegeben vom Forderverein Kloster/SchloB Bentlage e.V., Rheine 1998. 

167 Vgl. H. P. Hilger 1990, (Anm. 84), S. 173/74. 



170 Gerhard Kaldewei 

Statuette der Muttergottes im Strahlenkranz und derhl. Agnes. - „Der Charakter 
des verschlossenen Paradiesgartens wird durch einen niedrigen Zaun im Vorder- 
grund betont, in dessen Mitte oft ein Torchen eingelassen ist. Besloten hofjes wur- 
den nicht nurin Predellen eingebracht, sondern fiillen auch die verglasten Schrei- 
ne kleiner Fliigelaltare: in time Gegenstiicke zu den reprasentativen Reliquien- 
respositorien in groBen Altarretabeln. An die Stelle kostbaren Materials sind 
anspruchlose Materialien getreten, Surrogate gewissermaBen, deren Reiz gleich- 
wohl in der zierlichen Anordnung liegt. Entsprechend wurden sie vor allem in 
niederlandischen Beginenhausern angefertigt." 168 Diese „Besloten hofjes" sind also 
quasi didaktisch-volkskiinstlerisch aufbereitete Reliquien- und Andachtsschreine 
speziell fur die Frauenfrommigkeit im spaten Mittelalter. 

In den Frauenheideklostern Walsrode und Ebstorf befinden sich ebenfalls heu- 
te noch mehrere Varianten dieser spatmittelalterlichen „Paradiesgdrtlein". 16g In 
dem seit der Reformation dort 1528 - genau wie Ebstorf- als evangelisches Da- 
menstift gefiihrten Kloster Walsrode gibt es solch' einen mittelgroBen verglasten 
Reliquienschrein mit Kunstblumen, Kunstobst, Eicheln etc. und den Holzstatuet- 
ten des Auferstandenen Heilands und des Unglaubigen Thomas. Im Kloster Ebs- 
torf gab es friiher wohl insgesamt 24 „Paradiesgdrtlein" - entstanden um 1480 in 
Mecheln und Walsrode - von denen eins 1932 der Abtei Frauenworth im Chiem- 
see in Oberbayern geschenkt wurde; die restlichen sind erst 1966 wiederaufge- 
funden worden, drei wurden restauriert und weitere zehn rekonstruiert. In der 
Klosterchronik von 1487 heiBt es dazu: „Die Reliquienschreine liefi er" - d.h. der da- 
malige Probst Matthias von dem Knesebeck - „durch Bretter vom Chore abschliej&en. 
Sie sind wie eine Wand kunstvoll hergerichtet und mit einem zierlichen Gitter mit Kronlein 
von durchbrochener Arbeit dariiber geschmiickt, so daji man das ganze fur einen Wandtep- 
pich halten kann. In den Kdstchen werden Reliquien der Heiligen aufbewahrt." 170 Die 
niederlandische Bezeichnung „Besloten hofjes" erinnert zuerst einmal an die be- 
kannten - mehr oder weniger - geschlossenen Beginenhofe bzw. -konvente dort 
oder am Niederrhein. Zum anderen an den „hortus conclusus" im Hohen Lied Sa- 
lomos als Allegorie der Unbefleckten Jungfrau Maria und damit an die morali- 
sche Forderung auch an die Beginen und Schwestern, ihr Leben als „Brdute Chri- 
sti" der Jungfraulichkeit zu widmen. Eine noch weitergehende Bedeutung hatte 
die Bezeichnung „Paradiesgdrtlein", die sich auch auf den „Rosengarten" der Maria 



168 H. P. Hilger 1990, (Anm. 84), S. 173/74. 

169 Horst Appuhn : Die Paradiesgartlein des Klosters Ebstorf. In: Liineburger Blatter, Bd. 
19/20, 1968/69, S. 27-36; Ders.: Drei Paradiesgartlein, in: Stadt im Wandel. Kunst und Kul- 
tur des Biirgertums in Norddeutschland 1150-1650. Landesausstellung Niedersachsen 1985. 
(Ausstellungskatalog Band 1), Stuttgart 1985, S. 476 ff. 

170 Zit. in: H. Appuhn 1968/69, (Anm. 169), S. 35. 



Beginen - Sustern - Vrome Vrouwen 171 

bzw. auf die „Blumenwiese" in der mystischen Literatur des Spatmittelalters be- 
zieht, welche dann eine Allegorie des Frauenkonventes insgesamt darstellt. 171 

Hugo van der Goes, Rogier van der Weyden und die Devotio moderna 

Wenn im vorherigen von der so typischen „Andachtskunst" in Beginenkonventen 
oder Frauenklostern die Rede war, so muB an dieser Stelle auch noch auf die reli- 
giose Kunst im Kontext der Devotio moderna kurz eingegangen werden. 172 Ver- 
bunden ist dieses Thema mit zwei der bedeutendsten flamischen Maler des Spat- 
mittelalters: Hugo van der Goes (gestorben 1482) und Rogier van der Weyden 
(gestorben 1464). H. van der Goes trat nach 1475 in das Rookloster bei Briissel 
ein, welches der Bewegung der Devotio moderna angehorte. 173 In seinem dort 
entstehenden kiinstlerischen Spatwerk - vor allem der „Geburt Christi", (um 
1480), seit 1903 im Kaiser- Friedrich-Museum Berlin, heute Gemaldegalerie Ber- 
lin SMPK - erblickt Bernhard Ridderbos die malerische Umsetzung wichtiger 
spiritueller Ideen der Devotio moderna, insbesondere von Traktaten Geert Gro- 
tes. Dabei weist er zum SchluB seines Aufsatzes vergleichsweise noch auf eine Il- 
lustration in einem Antwerpener Biichlein von 1488 aus dem Kreis der Devotio 
moderna hin: „Van die gheestelijker kindsheytjesu", in der die Andacht vor dem Chri- 
stuskind dargestellt ist: „Zwei Frauenfiguren mit Textbandern iiber dem Kopf, 
worauf links Meditatio und rechts Oratio geschrieben ist, stehen zu beiden Seiten 
einer Wiege mit dem Christuskind. Meditatio halt das Kind fest, Oratio hebt eine 
Hand auf die gleiche Weise, wie dies der linke Hirte in der ,Geburt Christi' von 
Hugo van der Goes tut." 174 

Der „Dreikonigsaltar" des Rogier van der Weyden - aufgrund seines friiheren 
Standortes in derKolnerPfarrkirche St. Columba auch „Columba- Altar" genannt 
- hatte einen immensen EinfluB auf spatere Altarwerke von der Spatgotik bis zur 
Renaissance. 175 1458 wurde beim Kloster Mariengarten in Koln eine „Kluse" ge- 
griindet, in der 6 Klausnerinnen nach der Regel des hi. Augustinus leben wollten; 
visitiert wurden sie durch den Prior der Kreuzbriider oder durch Mitglieder der 

171 Vgl. W. Stammler 1964, (Anm. 3), S. 410ff. 

172 Vgl. K. Smits: De moderne Devotie en de Kunst, in: Historisch Tijdschript, Nr. 14/ 
1935, S. 331-341. 

173 Vgl. Jochen Sander: Hugo van der Goes. Stilentwicklung und Chronologie, (Berliner 
Schriften zur Kunst Band 3), Mainz 1992, S. 1 6 f f . und 261 ff.; Bernhard Ridderbos: Die „Ge- 
burt Christi" des Hugo van der Goes. Form, Inhalt, Funktion, in: Jahrbuch der Berliner Muse- 
en, Bd. 32/1990, S. 137-152. 

174 B. Ridderbos 1990, (Anm. 173), S. 152. 

175 Vgl. Angela Kulenkampff: Der Dreikonigsaltar (Columba-Altar) des Rogier van der 
Weyden. Zur Frage seines ursprunglichen Standortes und des Stifters, in: Annalen des Histo- 
rischen Vereins fur den Niederrhein, Heft 192/193/1990, S. 9-16. 



172 Gerhard Kaldewei 

Kanonie Herrenleichnam, die ab 1451 der Windesheimer Kongregation angehor- 
te, was eine enge Verbindung zur Devotio moderna dokumentiert. Dariiberhin- 
aus bezeichnet Angela Kulenkampff die Griindung der Kluse „als Folge der For- 
derung nach Reform des Beginen- und Begardenwesens in Koln vom Jahre 1452 
zu sehen". 176 Deraus eineraltenKolnerPatrizierfamilie stammendeJohannDasse 
d. J. erneuert 1458 die Fundation des Marienaltars in der Marienkapelle dieser 
Klause, den hochstwahrscheinlich sein Vaterjohann Dasse d. A. gestiftet hatte. 
Dieser lieB wohl um 1455 das Columba-Triptychon von dem hochbedeutenden 
BriisselerMalerRogier van der Weyden anfertigen, mit dem ihn der Geist der De- 
votio moderna verband. 177 Denn: „Kunstgeographisch gesprochen ist das Erzbi- 
stum Koln mit seinen Stiften und Pfarrkirchen eine burgundische Provinz, die ge- 
pragt ist vom Geiste Rogiers und seiner Schiiler. Anonym wie die Werke Rogiers 
sind auch die seiner Schiiler. Damit legen sie zugleich Zeugnis ab fur die , devotio 
moderna', der sie verhaftet sind." 178 Ubrigens haben die Kolner Gebriider Bois- 
seree den Columba- Altar 1808 quasi wiederentdeckt, bevor sie ihn zusammen mit 
vielen weiteren Spitzenwerken aus den 1802 sakularisierten rheinischen Kirchen 
und Klostern an den bayerischen Konig Ludwig I. verkauften - seit 1834 befindet 
sich der Altar als Glanzstiick der Sammlung der friihen flamischen Kunst in der 
Miinchner Alten Pinakothek. 

Spatm ittelalterliche „ Totentanze " 

Auch ein weiteres kultur- und kunstgeschichtliches Phanomen des Spatmittelal- 
ters, in dem Beginen teilweise eine wichtige Rolle spielten, gilt es noch zu erwah- 
nen: die Rede ist von den einst und bis in unsere Zeit hinein so popularen „Toten- 
tanzen" in Malerei, Grafik, Literatur und Musik. 179 Der „tanzende Tod" ist darin 
der Sensenmann des Pestzeitalters: der Tod macht alle gleich, alle Stande, alle 
Menschen. „Der Kosmos des mittelalterlichen Totentanzes" war „immer auch 
Bannung und Beschworung: war es in der schlichten magischen Form des Bild- 



176 A. Kulenkampff 1990, (Anm. 175), S. 10; vgl. J. Greving 1902, (Anm. 46), S. 25 ff. 

177 Vgl. A. Kulenkampff 1990, (Anm. 175), S. llff.; Anne Markham Schulz: The Co- 
lumba Altarpiece and Roger van der Weyden's stylistic development, in: Miinchner J ahrbuch 
der Bildenden Kunst, 3. Folge Bd. XXII/1971, S. 106. 

178 A. Kulenkampff 1990, (Anm. 175), S. 16; vgl. Wolfgang Schmid: Stifterund Auftrag- 
geber im spatmittelalterlichen Koln. (Veroffentlichungen des Kolnischen Stadtmuseums 11), 
Koln 1994. 

179 Vgl. „Ihr miiBt alle nach meiner Pfeife tanzen". Totentanze vom 15. bis 20. Jahrhun- 
dert aus den Bestanden der Herzog August Bibliothek Wolfenbiittel und der Bibliothek Otto 
Schafer Schweinfurt, Wolfenbiittel /Wiesbaden 2000; Der tanzende Tod. Mittelalterliche To- 
tentanze, herausgegeben von Gert Kaiser, Frankfurt am Main 1983; Reinhold Hammerstein: 
Tanz und Musik des Todes. Die mittelalterlichen Totentanze und ihr Nachleben, Bern 1980. 



Beginen - Sustern - Vrome Vrouwen 173 

und Abwehrzaubers gegen die Pest und war es als Bannung von Angst, eben in- 
dem zu Kunst geworden (. . .)". 180 Besonderen Eindruck hinterliessen immer die 
heute groBten Teils nicht mehr erhaltenen monumentalen Totentanzfolgen z. B. 
in Bern, Basel, Liibeck oderReval. 181 So entstand um 1445 von einem unbekann- 
ten Zeitgenossen des Malers Konrad Witz der GroBbasler Totentanz am Domini- 
kanerkloster. Die Tanzreihe dieses Freskos bestand wohl aus 39 Standepaaren, al- 
le mit eigenen Texten. Dazu gehorte u. a. neben dem Juden, der Heidin und der 
Jungfrau auch die Begine. 182 Im Laufe der Zeit wurde dieser monumentale Basler 
Totentanz mehrfach restauriert oder verandert: so wurden nach der Reformation 
in Basel 1529 mehrere Standepaare ausgewechselt und durch neue ersetzt - so 
weicht z. B. der Bischof der Herzogin und die Begine dem Kramer. 183 Diese mo- 
numentalen, aber auch die Buchtotentanze, entstanden in aller Regel „im stadti- 
schen klerikalen Milieu, im Umfeld der groBen Predigerorden", wodurch der 
Charakter der Totentanze als BuBpredigten erkennbar ist. 184 Es verwundert also 
nicht, daB neben dem allgegenwartigen Tod das Personal der Totentanze u. a. den 
Papst und den Kaiser, den Kardinal und den Konig, den Bischof und den Ritter, 
den Abt und den Burger, den Monch und den Arzt, aber auch die Nonne, die 
Jungfrau und oftmals ebenso die Begine umfaBt. Im Gegensatz zu dem oben ange- 
fiihrten spatmittelalterlichen Gedicht vom „Beginchen von .Pi2ra"taucht in diesem 
Kontext jedoch die Begine zumeist als mehr oder weniger zwiespaltige Beispielfi- 
gur auf. In der 1489 in Liibeck veroffentlichten Inkunabel „Des dodes dantz" - ein 
Exemplar dieses Buches befindet sich heute im Niirnberger Germanischen Natio- 
nalmuseum -, eines der bedeutendsten Werke der mittelniederdeutschen Litera- 
tur und in Rezeption des 1463 durch die kiinstlerische Hand Bernd Notkes ent- 
standenen monumentalen Totentanz-Gemaldes in der Liibecker Marienkirche 185 



180 G. Kaiser 1983, (Anm. 179), S. 13. 

181 Vgl. Tanz derToten - Todestanz. Der monumentale Totentanz im deutschsprachigen 
Raum, (Kat. Museum fur Sepulkralkultur Kassel), Dettelbach 1998. 

182 Vgl. R. Hammerstein 1980, (Anm. 179), S. 184; Franz Egger: Der Basler Totentanz, 
in: Kat. Wolfenbiittel/ Wiesbaden 2000, (Anm. 179), S. 43-56. 

183 Vgl. R. Hammerstein 1980, (Anm. 179), S. 185. 

184 Irmgard Wilhelm-Schaffer: „Ir mufiet alle in diB dantzhus". Zu Aussage, Kontext 
und Interpretation des mittelalterlichen Totentanzes, in: Kat. WolfenbutteL/Wiesbaden 
2000, (Anm. 179), S. 13. 

185 Vgl. Der Todtentanz in der Marienkirche zu Liibeck, Neudruck der Ausgabe Liibeck 
1866, herausgegeben von Hartmut Freytag, Liibeck 3/1997; Hartmut Freytag (Hrsg.): Der 
Totentanz der Marienkirche in Liibeck und der Nikolaikirche in Reval (Tallinn) , (Niederdeut- 
sche Studien 39), Wien 1993; MaxFRiEDLANDER (Hrsg.): Des Dodes Dantz. Liibeck 1489, Ber- 
lin 1910; Hermann Baethcke (Hrsg.): Des Dodes Danz. Nach den Liibecker Drucken von 
1489 und 1496, Tubingen 1876; zu B. Notke vgl. Kerstin Petermann: Bernt Notke. Arbeits- 
weise und Werkstattorganisation im spaten Mittelalter, Berlin 2000. 



174 Gerhard Kaldewei 

gedruckt, werden die 24 Reprasentanten der spatmittelalterlichen Gesellschaft 
um 5 weitere Figuren erganzt: Werkmeister, Handwerksgeselle, Reiter, Nonne 
und wieder die Begine: „Bemerkenswert ist hierbei, daB in den Reigen weitere 
stadtbiirgerliche Vertreter, darunter auch zwei weibliche Figuren, einbezogen 
sind." 186 Dass die Figur der Begine nun einbezogen wird, fiihrt Irmgard Jaeger 
darauf zuriick, daB gerade in Liibeck mehrere Beginenkonvente seit dem 13.Jahr- 
hundert existierten. 187 Zu Beginn des Liibecker Totentanztextes stellt sich die 
nachmalige Begine als arme Spinnerin und Strickerin vor (Verse 1210-1212): 

Sus lange hebbe ik mi erneret mit der spillen, 

Darto hebbe ik geknuttet unde gewracht 

Unde mit klenen sorgen min levent hengebracht. 

Dieser Frau blieb demnach nichts anderes iibrig, als Begine zu werden, wobei 
sie auch weiterhin ihren Lebenserwerb mit Textilarbeiten erwirkte (V. 1213-1214) : 

Do mine vrunde mi nicht konden rike beraden, 
Do makeden se van mi eine beginen draden. 

Als junge Begine benotigte sie aber einige Zeit, um sich an ihr neues Leben zu 
gewohnen, da sie sich ja von den weltlichen Interessen abwenden und den geisti- 
gen zuwenden muBte. Ihr Beichtvater muBte sie deshalb auch des ofteren ermah- 
nen, auf dem richtigen Weg zu bleiben (V. 1215-1222): 

Got heft mi nu in dessem state so gesterket, 

Nu ik ok der werlde stat rechte hebbe gemerket, 

Dat ik mi in Got wol hebbe gegeven tovrede, 

Wente min bichtvader mi ok korten sede, 

Dat de here in dem evangelio heft gesecht, 

Dat alle, dede sine hant an de ploch lecht, 

Sut he to rugge na der wertliken ere, 

He is Godes rikes nicht werdich, sprikt unse leve here. 

Als dann der Tod auch der Begine naht, wird noch einmal ihre bescheidene 
Kleidung erwahnt (V. 1233-1238): 



186 Hartmut Freytag, Brigitte Schulte (Recklinghausen), Hildegard Vogeler: Der To- 
tentanz der Marienkirche in Liibeck von 1463 und seine Weiterwirkung bis in die Gegenwart, 
in: Kat. Wolfenbuttel/Wiesbaden 2000, (Anm. 179), S. 112, (Kat. Nr. 17). 

187 Irmgard Jaeger: „Speygel des dodes". Der spatmittelalterliche Totentanz von Liibeck 
(1489), (Diss. Technische Universitat Aachen 1989), S. 190ff.; vgl. G. Peters 1969, (Anm. 3), 
S. 82ff.; W. Brehmer: Die Liibeckischen Beginenhauser, in: Zeitschrift des Vereins fiirliibek- 
kische Geschichte und Altertumskunde, Heft 4/1884, S. 83-89; J. Hartwig: Die Frauenfrage 
im mittelalterlichen Liibeck, in: Hansische Geschichtsblatter 1908, S. 35-94. 



Beginen - Sustern - Vrome Vrouwen 175 

Vorver di nicht, suster kornute efte bagineken, 

Dat is mi like vele, wer du hetest Wobbeke efte 

Kristineken. 

Dattu bist ein bagine unde hefst sodan namen, 

Des en schaltu di nenerleie wis schamen. 

Ein afgesneden otmodich klet schaltu dragen, 

Dattu nicht der werlde, men Gode scalt behagen 

und ihre guten Taten in der Krankenpf lege, ihre „guten Worte und Werke" beson- 
ders hervorgehoben (V. 5976-5985): 

Mit wachen, vasten und betten, 
Der siechen pflegen an alien stetten, 
Mengen boesen stank emphahen: 
Damit tuot si dem himelrich nahen. 
Mit irguoten worten und wercken 
Tuond si die sterbenden sterken, 
So er sol von der welt schaiden, 
Daz wir in nit mugend verlaiden. 
Das schaffend als irguote wort 
Die der siechen sind ain hord. 

Im Mittelpunkt der eher verhaltenen Kritik an diesen Beginen - so I.Jaeger - 
„steht ihre Beschaftigung mit weltlichen Angelegenheiten, woriiber sie ihre karita- 
tiven Aufgaben vernachlassigen. Auch ihr religioses Leben muB standiger Kon- 
trolle von Seiten der Kirche {„bichtvader") unterliegen, da der Vorwurf der sektie- 
rerisch-mystischen Abirrung nie ganz auBer Kraft gesetzt wird. (. . .) Der Schritt 
zum Vorwurf der Ketzerei ist dann relativ klein (. . .)." 188 

„Mittelalterliche Frauenbewegung" und heutige „Beginen-Projekte" 

Zum SchluB soil noch kurz auf zwei aktuelle Aspekte der Beginen-Thematik - die 
allerdings jeweils auch eine ausfuhrlichere Behandlung verdienten - eingegangen 
werden: einmal auf den Aspekt der„Mittelalterlichen Frauenbewegung" 189 heute 
und zum anderen auf die modernen „Beginen-Projekte" in unserer Zeit. 

In den vergangenen zwei Jahrzehnten vor allem erlebte die intensive Beschafti- 

188 I.Jaeger 1989, (Anm. 185), S. 194/95; vgl. Shulamith Shahar: Die Frau im Mittelal- 
ter, Konigstein 1981, S. 67/68. 

189 Vgl. u. a.: Rebekka Habermas: Die Beginen - eine andere Konzeption von Weiblich- 
keit?, in: Wiener Historikerinnen (Hrsg.): Die ungeschriebene Geschichte. Historische Frau- 
enforschung, Wien 1984, S. 199-207; U. Weinmann 1990, (Anm. 1); Bea Lundt (Hrsg): Auf 
der Suche nach der Frau im Mittelalter, Miinchen 1991; A. Fossel/A. Hettinger 2000, 
(Anm. 11). 



176 Gerhard Kaldewei 

gung mit dem Thema der mittelalterlichen Frauenbewegungen im allgemeinen 
als auch mit den Beginen im speziellen sowohl in den Wissenschaften als auch in 
interessierten Laiengruppen aller Art einen regelrechten Boom. Dies hing u.a. da- 
mit zusammen, daB z.B. in der Theologie feministische Lehrstiihle (wie z. B. in 
Nimwegen in den Niederlanden) und in den Geschichtswissenschaften ebenfalls 
feministische Professuren mit entsprechend qualifizierten Wissenschaftlerinnen 
besetzt wurden (wie z.B. an der Universitat Bielefeld) und - wie z. B. an der Uni- 
versitat Oldenburg - sogar regelrechte, interdisziplinare Studiengange „Frauen- 
und Geschlechterstudien" bzw. Aufbaustudiengange wie „Kulturwissenschaftli- 
che Geschlechterstudien" ins Leben der Alma mater gerufen wurden; an der Uni- 
versitat Bremen gibt es weiter z. B. seit 1998 auch ein „Zentrum fur feministische 
Studien". Selbstverstandlich steht dies alles im Kontext der sich seit den 1970er 
Jahren etablierenden modernen Frauenbewegung, die sich auch immer mehr fur 
die Geschichte und Wurzeln ihrer Bewegung und fur vielleicht vergleichbare tat- 
sachliche oder vermeintliche Frauenbewegungen in der Geschichte interessierte. 
Von daher ist die intensive Beschaftigung mit den mittelalterlichen Frauenbewe- 
gungen und hier speziell mit den Beginen auch ein Ausdruck der Selbstvergewis- 
serung moderner Frauenemanzipationsbewegungen vor allem in Mitteleuropa 
und Nordamerika. 

Allerdings haben diese feministischen Wissenschaftlerinnen auch prompt und 
vehement Widerspruch von entsprechenden Kolleginnen gegen ihre speziellen 
Forschungsansatze bekommen. So nimmt es nicht wunder, daB auf diesen Gebie- 
ten insbesondere Frauen selbst - Historikerinnen, Literaturwissenschaftlerinnen, 
Theologinnen, Volkskundlerinnen, Padagoginnen usw. - pro und contra forsch- 
ten und publizierten. Dafiir stehen dann u.a. die Namen von Brigitte Degler- 
Spengler bis Rebekka Habermas, von Bea Lundt bis Claudia Opitz, von Ursula 
Peters bis Hedwig Rockelein oder von Christine Ruhrberg bis Ute Weinmann. So 
spricht beispielsweise Ute Weinmann als feministische Historikerin in ihrer dies- 
bezuglich sicher grundlegenden Studie, die 1987 als Dissertation an der Universi- 
tat Bremen angenommen wurde, iiber einen „mittelalterlichen Geschlechteranta- 
gonismus", der „deutlich in der Beginenbewegung sichtbarund faBbar" geworden 
ware und meinte damit u.a., daB in dieser Bewegung „sich von Anfang an eine 
Konkurrenz zwischen Autonomiebestrebungen von Frauen und Herrschaftsan- 
spriichen von Mannern iiber Frauen" abzeichneten. 190 Fur sie war die Beginenbe- 
wegung „die ,eigentliche' Frauenbewegung des Mittelalters". 191 Claudia Opitz 
sprach allerdings noch 1992 davon, daB „iiber eine , Frauenbewegung' im Mittel- 
alter zu sprechen" immer noch irritieren wurde, da dieses doch weithin „als Epo- 



190 U. Weinmann 1990, (Anm. 1), S. 3/4. 

191 U. Weinmann 1990, (Anm. 1), S. 262 ff. 



Beginen - Sustern - Vrome Vrouwen 177 

che statischer Gesellschaftsstrukturen" gelte. 192 Sie wendet sich auch gegen die 
Gleichsetzung der „Neuen Frauenbewegung" unserer Zeit mit der „ ,religiosen 
Frauenbewegung' des Mittelalters", die „sich keinesfalls irgendwelchen Riickpro- 
jektionen weiblicher Wiinsche und Sehnsiichte in die Vergangenheit" verdanke. 
Und auch die Germanistin Christine Ruhrberg betont 1995 noch einmal, daB „in 
den Forschungen zur Frauengeschichte im Bereich des Mittelalters (. . .) die Begi- 
nen zu einem der prominenten Themen geworden" sind. Sie stellt dann aber un- 
miBverstandlich - contra „Feministische Frauengeschichte" - fest: „Gerade im 
Fall des Beginentums ist die Frauengeschichte der Ideologiepolitik verpflichtet 
und nicht dem Verlangen nach riickwartsgewandter Utopie in der Frauenbewe- 
gung, denn im Beginentum hat man es mit einer zutiefst kirchlich-ideologischen 
Konstruktion von weiblicher Religiositat zu tun, der - um MiBverstandnisse zu 
vermeiden - derBewegungscharaktergerade von Seiten der Frauenforschung ab- 
gesprochen werden muB." 193 

Einschrankend muB aberhierzu auch gesagt werden, daB diese kritischen Wor- 
te so allenfalls auf die Zeit des 13. Jahrhunderts zutreffen - wenn man das Begi- 
nentum des 14. Jahrhunderts und dann die Ausbreitung der dieses iiberformen- 
den tatsachlichen Bewegung der Schwestern vom Gemeinsamen Leben im Zu- 
sammenhang mit der Devotio moderna bis ins 16. Jahrhundert betrachtet, dann 
kann man schon - mit und nach Grundmann 194 - von „sozial-religiosen Frauen- 
bewegungen" im Spatmittelalter z.B. in Nordwestdeutschland sprechen. Beizu- 
pflichten ist aber Christine Ruhrberg im Blick zuriick, wenn sie betont, daB diese 
Frauen im Mittelalter „beim AnschluB an das Beginentum nicht etwa in einen 
herrschaftsfreien Raum autonomer Frauengriippchen" eintraten, „sondern in ei- 
ne vielfaltig mit dem weltlichen Stadtleben und der kirchlichen Organisation ver- 
kniipfte regelgeleitete Einrichtung". 195 

In jedem Fall kann festgehalten werden, daB dermoderne feministische Ansatz 
das Thema der „Mittelalterlichen Frauenbewegungen" und in Sonderheit das der 
Beginen aus der vorherigen fast ausschlieBlichen Alleinbeschaftigung durch Kir- 
chen- und Ordenshistorikerherausgelost und in den popularen Diskurs der allge- 
meinen wissenschaftlichen und der interessierten Offentlichkeit eingebracht hat. 
Dieses war auch ein Punkt, der dazu gefiihrt hat, daB seit einigenjahren das The- 
ma „Beginen heute" - eigentlich eine Contradictio in adjecto - immermehranBe- 
deutung gewann. Wenn man im Internet Informationen zum Thema Beginen 



192 Claudia Opitz: Die , religiose Frauenbewegung' des Mittelalters und ihre Auswirkun- 
gen, in: Bea Lundt (Hrsg.): Vergessene Frauen an der Ruhr. Von Herrscherinnen und Hori- 
gen, Hausfrauen und Hexen 800-1800, Koln/Wien 1992, S. 175-193. 

193 Chr. Ruhrberg 1995, (Anm. 11), S. 47 u. 51. 

194 Vgl. H. Grundmann 1970 (Anm. 11). 

195 Chr. Ruhrberg 1995, (Anm. 11), S. 50. 



178 Gerhard Kaldewei 

sucht, dann werden allein von der Suchmaschine „Google" iiber 2.140 „Ergebnis- 
se" angezeigt! Das beginnt an ersterStelle mit den historischen „Beginen in Frank- 
furt", 196 die auf der Homepage der Frankfurter Journalistin und Feministin Antje 
Schrupp auftauchen. Weiter stellt sich z. B. der „Beginenhof Thiiringen e.V." der 
„Frauenstiftung Lieselotte Pohl geb. Henn" im SchloB Tannich vor, der seit dem 
Friihjahr 1998 die „Tradition der Beginen" aufnimmt und „eine moderne Form 
der Begegnung, des Zusammenlebens, Arbeitens" etc. schaffen will, u.a. durch 
Oko-Gartenbau und -Landwirtschaft. 197 Dann informiert das „BeginenWerk e.V." 
aus Berlin, das in Kreuzberg bis Ende 2004 einen Wohnhof baut, „exklusiv fur 
Frauen. Selbstbestimmtes Wohnen. Zusammenleben, anregendes Miteinander, 
Gesundheits- und umweltfreundliche Bausubstanz." Das Wohnprojekt orientiert 
sich dabei an der „Mittelalterlichen Lebensgemeinschaft" der Beginen und deren 
„gro6e Beginenhofe" in Flandern. 198 Auch in der Hansestadt Rostock gibt es seit 
1990 den Frauenkulturverein „Die Beginen e.V.", der mit seiner Namensgebung 
„bewusst an die Tradition dermittelalterlichen Frauenbewegung der Beginen" an- 
kniipft, aber deren Grundideen so definiert: „(. . .) die Unabhangigkeit von fami- 
liarer Macht, von kirchlichen und weltlichen Machtstrukturen und ideologischen 
Dogmen; eine solidarische Gemeinschaft, in der Frauen und ihre Kinder lebten 
und arbeiteten in Alternative zu den hierarchisch organisierten Ziinften, aber oh- 
ne Abschottung von der Welt (. . .)". 199 Weiter gibt es ein „Beginennetzwerk", in 
dem sich mehrere Beginenwerke, -hofe, -vereine etc. zusammengeschlossen ha- 
ben. 200 Dazu zahlt u.a. das Kolner „FrauenUnternehmen Beginen e.V", eine 
Dienstleistungsagentur fur selbstandige Frauen, die auch eine Galerie und einen 
Second-Hand-Shop betreibt. Neben den oben erwahnten Beginenprojekten gibt 
es in mehreren deutschen Stadten mittlerweile eine vielfaltige Reihe mehr oder 
weniger serioser Beginenprojekte - so z.B. in Hannover, Hamburg und nicht zu- 



196 www.antjeschrupp.de/beginen.htm; vgl. Martina Spies: Beginengemeinschaften in 
Frankfurt am Main. Zur Frage der genossenschaftlichen Selbstorganisation von Frauen im 
Mittelalter, Dortmund 1998; Dies.: Stiftungen fur Beginengemeinschaften in Frankfurt am 
Main - ein Austausch zwischen Beginen und Biirgerschaft, in: M. Wehrli-Johns/C. Opitz 
1998, (Anm. 1), S. 139-167. 

197 www.beginenhof-thueringen.de; vgl. Martin ERBSTOSSER/Ernst Werner: Ideologi- 
sche Probleme des mittelalterlichen Plebejertums. Die Freigeistige Haresie und ihre sozialen 
Wurzeln, (Forschungen zur mittelalterlichen Geschichte Bd. 7), Berlin 1960; Georg Liebe: 
Das Beginenwesen der sachsisch-thiiringischen Lande in seiner sozialen Bedeutung, in: Ar- 
chiv fur Kulturgeschichte Bd. 1, Berlin 1903, S. 35-49. 

198 www.beginenwerk.de/beginen.htm. 

199 http://die-beginen-rostock.de; vgl. F. Wigger: Urkundliche Mitteilungen iiber die 
Beghinen- und Beghardenhauser zu Rostock, in: Jahrbiicher des Vereins fur mecklenburgi- 
sche Geschichte und Altertumskunde, 47. Jg. 1882; G. Peters 1969, (Anm. 3), S. 56f. 

200 www.beginenhof.de/basics/netzwerk. 



Beginen - Sustern - Vrome Vrouwen 179 

letzt in Bremen. Die „Initiativgruppe Beginenprojekt Hannover" wurde im Marz 
1999 begriindet und mochte „generationsiibergreifendes gemeinschafdiches 
Wohnen" mit einer „Lebensqualitat bis zum letzten Atemzug" verbinden, die 
„Isolation und Einsamkeit alleinlebenderFrauen iiberwinden" sowie „autonomes 
Wohnen und zusammen Leben gleichermaBen" ermoglichen. Dabei bezieht man 
sich dezidiert auch auf den hier schon erwahnten historischen Hannoveraner Be- 
ginenhof, mochte aber das „Leben nach selbstgegebenen Regeln" in zeitgemaBer 
Weise und nicht nach dem iiberlieferten Statut von 1441 fiihren. 201 Der „Initiativ- 
kreis fiir ein Beginen-Projekt in Hamburg" griindete sich im November 1999 bei 
den 3. Hamburger Wohnprojektetagen. Mit Bezug auf die „historischen Beginen" 
in Hamburg soil „eine Mischung von Miet- und Eigentumswohnungen, ein Mix 
von Wohnungen, Gewerberaumen und Platz fiir Kultur und Begegnung" geschaf- 
fen werden. 202 

Beide geplanten Beginen-Projekte in Hannover und Hamburg sowie ebenso 
das alternative Beginenhof-Projekt in Tubingen 203 nennen als Vorbild den „Bre- 
merBeginenhof-Modell e.V.", der schon 1997 als Arbeitskreis innerhalb derloka- 
len Agenda 21 der Hansestadt ins Leben gerufen wurde. Die hieraus entstandene 
„Bremer Beginenhof Wohnungsbau Kooperative" realisierte seit Sommer 1999 
im Buntentor-Viertel der Bremer Neustadt ein umfangreiches, architektonisch 
und stadtebaulich innovatives Neubauprojekt, das sogar als eines der „Weltweiten 
Projekte" der EXPO 2000 Hannover registriert wurde. Das oberste Ziel des Bre- 
mer Projektvereins „ist die Renaissance der Beginenkultur, u. a. die Entwicklung 
von generationsiibergreifenden Wohn- und Wirtschaftsprojekten fiir Singlefrau- 
en". Dafiir haben „die Initiatorinnen des Modellprojektes (. . .) die mittelalterli- 
chen Beginen als Vorfahrinnen des eigenen Konzeptes neu entdeckt." 204 Dieses 
anspruchsvolle soziale, stadtebauliche, architektonische und kulturpadagogische 
Beginen-Projekt in Bremen muBte zwar wirtschaftliche Insolvenz anmelden, 
konnte aber 2002/03 trotzdem zu Ende gefiihrt werden. Mittlerweile leben dort 
80 Frauen im Alter von Anfang 20 Jahre bis Ende 70, dazu kommen noch 23 Kin- 
der. Das Bremer Beginen-Projekt wurde somit zu dem Referenzprojekt der mo- 
dernen stadtischen Beginenbewegung in Deutschland. 

Doch auch der Bezug dieses Bremer Projekts - und ebenso dermeisten anderen 
modernen Beginenprojekte - zur historischen sozialreligiosen Beginen- und Su- 
stern-Bewegung - in Bremen z. B. zum Katharinen-Beginenkonvent von 1259 205 - 



201 Vgl. O. Mussmann 1993; G. Peters 1969, (Anm. 3). 

202 Vgl. G. Peters 1969, (Anm. 3); H. Rockelein 1998, (Anm. 56). 

203 Vgl. www.stuttgarter-zeitung.de, (Mechthild Klein: „Alternative Wohnprojekte. Bei 
den Beginen sind Manner nur Gaste. Frauen und Kinder unter einem Dach - Tubingen in der 
Planungsphase"; Stuttgarter Zeitung vom 7. 3. 2003). 

204 www.beginenhof.de; vgl. G. Peters 1992. 



180 Gerhard Kaldewei 

bleibt eher eindimensional und dadurch auch problematisch. Zwarbeziehen sich 
die Bremer Protagonistinnen durchaus nachvollziehbar auf die historischen Begi- 
nenhofe als „wirtschaftlich autonome Wohn- und Wirtschaftsgemeinschaften von 
allein stehenden Frauen und Witwen, die nicht in den Stand der Ehe noch in ein 
Kloster eintreten wollten." Doch wenn sie dann erklaren, daB die Beginen „ohne 
mannliche Bevormundung und ohne mannlichen Schutz arbeiteten" und weiter 
die „personliche Autonomie" der Beginen in der standischen Gesellschaft beto- 
nen, die „eine Modernitat" dargestellt hatte, welche „erst heute von Frauen voll 
gelebt werden kann", so ist dies eine unstatthafte Ubertragung moderner femini- 
stischer Ideen auf eine feme Vergangenheit, die in vollig anderen sozialen, reli- 
giosen und gesellschaftlichen Kategorien dachte und lebte. Insbesondere das fast 
immer zu konstatierende vollige Ausblenden der religiosen Dimension des histo- 
rischen Beginentums befremdet bei den modernen Beginen-Projekten. Trotzdem 
ist dieses Bremer Beginenhof-Modell ein interessantes soziales und auch stadte- 
bauliches Experiment gerade in derheutigen Stadt derModerne - „Beginen wol- 
len eine lebendige Stadtkultur" 206 -, das aber mehr als bisher der historisch wirk- 
lich fundierten Legitimation und Transmission bedarf. 



205 Vgl. G. Peters 1992. 

206 www.beginenhof.de 



Steinkohle als Energietrager 

Herzog Julius von Braunschweig-Wolfenbuttel 

und der Kohlenbergbau bei Hohenbiichen am Hils 

in der zweiten Halfte des 16. Jahrhunderts 

Von Hans -Joachim Kraschewski 



1. Voraussetzungen 

Das Bevolkerungswachstum im Fiirstentum Braunschweig- Wolfenbiittel betrug in 
derzweiten Halfte des 16. Jahrhunderts durchschnittlich 0,6% p. a., eine starke Zu- 
wachsrate, die tendenziell der im Deutschen Reich entsprach. Zwangslaufig ver- 
bunden war damit eine Reduzierung der Waldbestande durch Rodung und Nut- 
zung als Brenn- und Baustoff fur Haushalt und Handwerk, so dass es zu spiirbaren, 
wenngleich regional begrenzten Erscheinungen von Holzmangel kam. Wald- und 
Forstordnungen sowie offentliche Aufrufe zum Holzsparen lassen ein sensibili- 
siertes BewuBtsein fur diese Problemlage erkennen. Mangelnde forstpolizeiliche 
Uberwachung schrankte allerdings die Durchsetzung solcher Bestimmungen in 
aller Regel ein. 1 Neben den Haushalten und Handwerken benotigten zahlreiche 
Gewerbe Prozesswarme fiir die Erzeugung ihrer Produkte. Hinzu kam das Fak- 
tum, dass fiir die Verwendung von Holz eine unelastische Nachfragesituation vor- 
lag, da fiir diesen Rohstoff nur geringe Moglichkeiten der Substitution bestanden. 
Betroffene Walder konnten daher nur selten der Nutzung entzogen werden. 2 

Massenhafte Holzverbraucher aber waren - abgesehen vom Brennholzbedarf 
derHaushalte - die Berg- und Hiittenwerke, die neben Bauholz besonders Holz- 
kohle als Treibholz, Rostholz oder Kohlholz (bei Schmelzverfahren) verwende- 
ten, dann auch die Salzsiedereien, Glashiitten, Alaun- und Vitriolwerke sowie 
Ziegel- und Kalkbrennereien. Es waren die Meilerstatten der Kohler, die seit Wie- 

1 Albrecht Jockenhovel (Hg.), Bergbau, Verhiittung und Waldnutzung im Mittelalter. 
Auswirkungen auf Mensch und Umwelt (Vierteljahrschrift fiir Sozial- und Wirtschaftsge- 
schichte [VSWG] Beiheft 121), Stuttgart 1996. - Franz Selmeier, Eisen, Kohle und Dampf. 
Die Schrittmacher der industriellen Revolution. Reinbek 1984, S. 56-59. 

2 Hans-Jiirgen Gerhard, Holz im Harz. Probleme im Spannungsfeld zwischen Holzbe- 
darf und Holzversorgung im hannoverschen Montanwesen des 18. Jahrhunderts, in: Nieder- 
sachsisches Jahrbuch (NJb) fiir Landesgeschichte 66, 1994, S. 47-77. 



182 Hans-Joachim Kraschewski 

deraufnahme des Bergbaus am Rammelsberg im Unterharz nach 1460 das junge 
Schlagholz der Waldbestande in unterschiedliche Qualitaten von Kohle verwan- 
delten. Die Unterscheidung nach harter oder weicher bzw. Tannenkohle verweist 
auf spezielle Herstellungsverfahren oder die Giite nach verschiedenenen Holzar- 
ten. Die erwahnten regionalen Engpasse betrafen vor allem den Harzraum. In 
dieser verdichteten Bergbau- und Gewerbelandschaft war neben dem Reichtum 
an Wasser der Wald das zentrale Energiepotential, das intensiv genutzt wurde. 
Bergmannische Holzkohlennutzung iibertraf alle andersgeartete Holznutzung. 
Geschlossene Bestande, Haie, wurden abgeholzt, um weiterhin als Kohlhaie in et- 
wa 12-, 24-, schlieBlich 30-jahrigem hiebreifen Unterholz durch die Kohler ge- 
schlagen und gemeilert zu werden. Unberiihrt blieb dabei der ganze Oberstand 
auf den Haien, die fruchttragenden Baume. Insbesondere Eichen kamen nicht ins 
Kohlholz, die Bauern waren bis zur Einfuhrung und Verbreitung der Kartoffel 
nach 1700 auf die Eichelmast angewiesen. 3 

Die Notwendigkeit, durch rationelle Forstwirtschaft den fur Berg- und Hiitten- 
werke, Salinen, Amtshauser, Hofhaltung und Baustellen benotigten Grundstoff zu 
sichern, hatte schon Herzog Heinrich derjiingere von Braunschweig- Wolfenbiit- 
tel (1514-1568) durch seine zahlreichen Forstordnungen belegt, deren Ziel ein re- 
gulierter Holzverbrauch war, um Fichtenwald und Harzkieferbestande vor Kahl- 
schlag zu bewahren. 4 Wichtigstes Instrument der Forstwirtschaft waren die Forst- 
bereitungen, durch fiirstliche Beamte vorgenommene Besichtigungen und Erkun- 
dungen des Forstzustandes, um die Abnutzung gleichmaBig auf die vorhandenen 
Bestande zu verteilen und mit dem natiirlichen Zuwachs in Einklang zu bringen. 

3 Marie-Luise Hillebrecht, Der Wald als Energielieferant fur das Berg- und Hiittenwe- 
sen; in: Christiane Segers-Glocke (Hg.), Auf den Spuren einer friihen Industrielandschaft. 
Naturraum - Mensch - Umwelt im Harz (Arbeitshefte zur Denkmalpflege in Niedersachsen 
21). Hannover 2000, S. 83-86. - Dies., Die Relikte der Holzkohlenwirtschaft als Indikatoren 
fur Waldnutzung und Waldentwicklung. Untersuchungen an Beispielen aus Siidniedersach- 
sen. Gottingen 1982. - Rolf-Jiirgen Gleitsmann, Der EinfluB der Montanwirtschaft auf die 
Waldentwicklung Mitteleuropas. Stand und Aufgaben der Forschung; in: Werner Kroker, 
Ekkehard Westermann (Bearb.), Montanwirtschaft Mitteleuropas vom 12. bis 17. Jahrhun- 
dert. Forschungsprobleme (Der Anschnitt, Beiheft 2). Bochum 1984, S. 24-39. - Vgl. auch 
die Arbeit von Peter-Michael Steinsiek, Der Wald in der Bergwirtschaft des westlichen Har- 
zes 1550-1810: Nutzung, Steuerung, okosystemare Entwicklung; in: Hans-Jurgen Gerhard, 
Karl Heinrich Kaufhold, Ekkehard Westermann (Hg.), Europaische Montanregion Harz 
(Montanregion Harz 1). Bochum 2001, S. 307-322. 

4 So hieB es in der Freyheit Herzog Heinrich desjiingern uberden Ramelsberg, Hertzberg und an- 
dern Bergwerck de Anno 1556, dass die Bergleute ihr benotigtes Brenn- und Bau-Holz zinsfrei 
in den fiirstlichen Waldern schlagen diirfen, doch nach Anweisung unser Fbrster (Niedersachsi- 
sches Bergarchiv [fortan: NBA] Clausthal-Zellerfeld, Fach 808, Nr. 2). - In derzweiten Half- 
te des 16. Jahrhunderts wurde mehr als Dreiviertel der Holzkohle aus Fichten-, ein Zehntel 
aus Mischholz (Fichte und Laubholz) gewonnen. 



Herzog Julius und der Kohlenbergbau bei Hohenbuchen 183 

Das al teste Forstbereitungsprotokoll im Land Braunschweig datiert aus demjahre 
1546, als es um den Uberschuss der Holz- und Kohlenzinsen in den Harzburgi- 
schen, Seesischen und Lutterschen Forsten ging. Infolge starken Verhaus sei 
Forstbereitung durch Sachkenner dringend geboten, hieB es darin. Diese sollten 
die Forsten durchreiten, ein Hey nach den andern in schriftliche ordnung bringen, also 
wie gross jeder hey sei, wie lange die zugestanden, und welches jahrs die wiederzu holen sein 
wollen. 5 Es seien schriftliche Verzeichnisse anzufertigen, an welchem Ort oder in 
welchem Abschnitt man zuerst kohlen und welche Teile zu spaterem Zeitpunkt 
anzugreifen seien, damit die abgekohlten Segmente wiederzu Wachstum gelang- 
ten und gehegt werden konnten. 

2. Herzog Julius 

Der Nachfolger im Amt des regierenden Fiirsten, Herzog Julius von Braun- 
schweig- Wolfenbiittel (1568-1589), setzte diese Politikfort. Auch erhatte gesehen, 
das die Holtzungen in unserm Furstenthumb Wolfenbuttelschen teils diefusse sehr nach sich 
gezogen und diinne warden und derwegen leichtlich zu vermuthen gehabet, daji, wo dieselben 
nicht durch sonderliche Mittel wiederumb gehegt und erspart, man dadurch kunftig einen 
unwiederbringlichen schaden erwarten mussen. 6 Aufgrund dieser Erkenntnis belieB er 
es nicht bei der tradierten Holzkohlennutzung des Waldes und damit bei dessen 
moglicher Ubernutzung. Er entwickelte insgesamt durch effiziente Organisation 
und iibergreifende Struktur ein erfolgreiches okonomisches System in seiner an 
gutem Geld armen Wirtschaft. 7 Weit mehr noch als sein Vater gestaltete Julius 
dank seiner unternehmerischen Risikobereitschaft und innovativen Fahigkeiten 
das Land Braunschweig zu einem wirtschaftlichen Zentrum in Norddeutschland 
aus, das fur das 16. Jahrhundert kennzeichnend blieb. 8 Ein Schliissel fiir die wirt- 
schaftliche Produktivitat in seinem Territorialstaat war die Kombination von Un- 
ternehmertum und Verlagssystem. Der Verlag 9 namlich ermoglichte seinen Fern- 
handelsgeschaften eine elastische Angliederung diversifizierter Giiterproduktion 



5 Hess. StA Marburg, Best. 3 PA (Kiich), 4 f Br.-W., 138. 

6 Nieders. StA Wolfenbiittel, 40 Slg 785. 

7 Hans-Jiirgen Gerhard, Ein schoner Garten ohne Zaun. Die wahrungspolitische Situa- 
tion des Deutschen Reiches um 1600; in: VSWG 81, 1994, S. 156-177. -Ders.: Ursachen und 
Folgen der Wandlungen im Wahrungssystem des Deutschen Reiches 1500-1625. Eine Studie 
zu den Hintergriinden der sogenannten Preisrevolution; in: Eckart Schremmer (Hg.), Geld 
und Wahrung vom 16. Jahrhundert bis zur Gegenwart. Stuttgart 1993, S. 69-84. 

8 Hans-Joachim Kraschewski, Wirtschaftspolitik im deutschen Territorialstaat des 16. 
Jahrhunderts. Herzogjulius von Braunschweig-Wolfenbiittel. Koln/Wien 1978. 

9 Rudolf Holbach, Formen des Verlags im Hanseraum vom 13. bis zum 16. Jahrhun- 
dert; in: Hansische Geschichtsblatter 103, 1985, S. 41-73. 



184 Hans-Joachim Kraschewski 

in der Landwirtschaft 10 und im Montansektor bei Erprobung neuer Absatzwe- 
ge. 11 Ein groBerTeil derauf Verlagsbasis produzierten Montanerzeugnisse wurde 
nicht nur gegen Bargeld, sondern vor allem auf den Messen in Leipzig, Naumburg 
und Frankfurt auf Wechsel-Kreditbis zum nachsten Messetermin oder als Stichhan- 
del, das heiBt im Realtausch, vertrieben. 12 Den in diesem Zirkulationssystem er- 
zeugten Gewinn konnte der fiirstliche Unternehmer-Verleger auch in neue Montan- 
Unternehmungen investieren. So war er bereit, auf einen Brennstoff zuriickzu- 
greifen, der schon langst bekannt war, aber - im Unterschied zur Situation in Eng- 
land - auf dem Kontinent nur vereinzelt Verwendung gefunden hatte: die Mine- 
ral- oder Steinkohle. 

Bereits im 12. Jahrhundert wurde Steinkohlenbergbau bei der Stadt Liittich be- 
trieben, wobei der Abbau der Kohle schon vor 1350 in Teufen von 120 m umging, 
d.h. ohne funktionstiichtige Entwasserungssysteme war keine Kohlengewinnung 
moglich. 13 Fur London ist ein starker Kohlenverbrauch bereits fiir das hohe Mit- 
telalter belegt. Er nahm schlieBlich dort solche AusmaBe an, dass infolge der ex- 
tremen Rauchbelastigung zeitweilige Verbote gegen die Verwendung der Stein- 
kohle erlassen wurden. Als es nach den Pestwellen des 14. Jahrhunderts und der 
Friihneuzeit erneut zu starkerem Bevolkerungswachstum und Aufschwung stadti- 
scher Gewerbe kam, sorgte die teure Mangelware Holz wiederum fiir einen un- 
umganglich notwendigen Anstieg des Kohleverbrauchs. Seit Mitte des 16. Jahr- 
hundert lagen die Hauptzentren der englischen Steinkohlenforderung in New- 
castle und Wales. Die Fordermenge stieg von 1560 mit 35.000 Tonnen auf iiber 
200.000 Tonnen Steinkohle zu Beginn des 17. Jahrhunderts. 14 Infolge dieser er- 

10 Hans Joachim Kraschewski, Provisioner und Commisse. Zur Deputatsreichung und 
Getreideversorgung im Harzer Bergbau in der zweiten Halfte des 16. Jahrhunderts; in: NJb 
fiir Landesgeschichte 63, 1991, S. 251-281 (auch in: Ekkehard Westermann [Hg.], Bergbaure- 
viere als Verbrauchszentren. VSWG Beiheft 139, Stuttgart 1997, S. 11-144). 

11 Ders., Quellen zum Goslarer Bleihandel in der friihen Neuzeit (1525-1625). Hildes- 
heim 1990. - Ders.: Quellen zum Goslarer Vitriolhandel in der friihen Neuzeit (16. Jahrhun- 
dert). St. Katharinen 1995. 

12 Markus A. Denzel, Wechselplatze als territoriale Enklaven an der europaischen Peri- 
pherie: Von der Anbindung zur Integration von Finanzmarkten im System des bargeldlosen 
Zahlungsverkehrs (Spatmittelalter bis beginnendes 20. Jahrhundert); in: Hartmut Zwahr, 
Uwe Schirmer, Henning Steinfuhrer (Hg.), Leipzig, Mitteldeutschland und Europa. Fest- 
gabe fiir Manfred Straube und Manfred Ungerzum 70. Geburtstag. Beucha 2000, S. 545-560. 

13 Horst Kranz, Liitticher Steinkohlenbergbau im Mittelalter. 2 Bde. (Aachener Studien 
zur alteren Energiegeschichte 6,7). Aachen 2000. - Herzog Julius von Braunschweig- Wol- 
fenbiittel war iiber das Liitticher Steinkohlevorkommen gut informiert, wie ein Protokollno- 
titz von 1580 zeigt: Sfg wissen, wo im im Stift Liittich, ehnlich Schiefer, ist solche zu verwertende 
Steinkohle. Darzu brauchen sie eiserne Bohrer und suchen nach Steinkohlen (NBA Clausthal-Zeller- 
feld, Histor. Nachr., Fach 3a, Nr. 15, 9. Juni 1580). 

14 Fernand Braudel, Sozialgeschichte des 15.-18. Jahrhunderts, Bd. I, Aufbruch zur 



Herzog Julius und der Kohlenbergbau bei Hohenbuchen 185 

hohten Inlandsnachfrage wird England stets an erster Stelle genannt, wenn es urn 
den gewaltigen Aufschwung beim Verbrauch von Steinkohle und die massenhaf- 
te Verwendung von Koks beim Hiittenwesen geht. 15 

Der okonomische Fiirst Herzog Julius begann mit iStemkohle als Brennstoff be- 
reits kurz nach seinem Regierungsantritt, namlich nach 1572, systematisch zu ex- 
perimentieren. Damit war er einer der ersten Unternehmer-Verleger iiberhaupt, 
die sich nachdriicklich dieser fossilen Energie zuwandten. Vor ihm hatte das be- 
reits Landgraf Wilhelm IV. von Hessen-Kassel versucht, auf den noch naher ein- 
zugehen sein wird. Uber erste Versuche im Jahr 1584 in Mansfelder Kupferhiit- 
ten Steinkohle zu entschwefeln, also Koks daraus zu gewinnen, und 1583/84 in 
Kursachsen berichtet Hans Otto Gericke mit dem Hinweis, derartige Erkenntnis- 
se seien weder systematisch erforscht noch von der historischen Wissenschaft re- 
zipiert worden. 16 Ursache dessen sei u.a., dass man in Deutschland erst dreihun- 
dertjahre spater von intensiver Ausbeutung vorhandenerMineral-Kohlevorkom- 
men sprechen kann. 17 Denn ungeachtet der ansteigenden Verwendung bei 
praktikabeler Verbesserung des Einsatzes von Steinkohle kam es nicht zur Um- 
stellung auf dieses Brennmaterial. Das Holz blieb bis weit in das 19. Jahrhundert 
hinein der Hauptlieferant von thermischer Energie. 18 Noch 1837 erschmolzen in 
PreuBen die Eisenhiittenwerke 90% des Roheisens auf Holzkohlenfeuern und 



Weltwirtschaft. Miinchen 1986, S. 618. - Vgl. dazu auch Propylaen Technikgeschichte, Bd. 
II: Akos Paulinyi, Ulrich Troitzsch, Mechanisierung und Maschinisierung 1600 bis 1840. 
Berlin 1991, S. 32. 

15 Im ersten Drittel des 16. Jahrhunderts forderten die Kohlenbergwerke GroBbritanni- 
ens bereits 200.000 Tonnen Steinkohle p. a. Vgl. dazu Akos Paulinyi, Der Kohlenbergbau, 
wie Anm. 14, S. 369-382. 

16 Hans Otto Gericke, Die Verwendung von Koks bei der Erzverhuttung im mitteldeut- 
schen Raum um 1584; in: Technikgeschichte 66, 1999, S. 87-113. HerzogJulius wird in die- 
sem Aufsatz mehrfach zitiert. - Ders., Monopolprivilegien conra Bergbaufreiheit. Wirt- 
schaftspolitik und friiher Braunkohlenbergbau im Magdeburger Revier; in: Der Anschnitt 
48, 1996, S. 166-177. - Vgl. auch Michael Fessner, Der Steinkohlenbergbau in der Grafschaft 
Mark und seine konjunkturelle Entwicklung im 17. und 18. Jahrhundert; in: Christoph Bar- 
TELs/Markus A. Denzel (Hg.), Konjunkturen im europaischen Bergbau in vorindustrieller 
Zeit. Festschrift fur Ekkehard Westermann zum 60. Geburtstag. VSWG Beiheft 155, Stuttgart 
2000, S. 103-120, bes. S. 107. 

17 So z.B. Herbert Dennert, Das Eisengewerbe im Bereich des Harzes von 1500 bis 
1650; in: Hermann Kellenbenz (Hg.), Schwerpunkte der Eisengewinnung und Eisenverar- 
beitung in Europa 1500-1650. Koln, Wien 1974, S. 233-240, bes. S. 239. 

18 Hans-Jiirgen Gerhard, Holz im Harz. Probleme im Spannungsfeld zwischen Holzbe- 
darf und Holzversorgung im hannoverschen Montanwesen des 18. Jahrhunderts; in: NJb fur 
Landesgeschichte 66, 1994, S. 47-77. - Vgl. auch Dirk Neuber, Energie- und Umweltge- 
schichte des Niedersachsischen Steinkohlenbergbaus. Von der Friihen Neuzeit bis zum Er- 
sten Weltkrieg (Veroffentlichungen der Historischen Kommission fur Niedersachsen und 
Bremen 206), Hannover 2002. 



186 Hans-Joachim Kraschewski 

nur 10% mit Koks odergemischtem Material. 19 Wie Emil Kraume berichtet, wur- 
den im Harz seit 1863 vom Kommunion-Bergamt gegen die ausschlieBliche Ver- 
wendung von Koks als Brennstoff keine Bedenken mehr erhoben, ab 1866 ver- 
wendeten die Hiittenwerke dann nurnoch Koks beim Schmelzverfahren. 20 Uber- 
all dort, wo die Verbrennungsgase (Rauch, RuB, Schwefel) nicht direkt mit dem 
Produkt in Beriihrung kamen oder keinen nennenswerten nachteiligen Einfluss 
auf sie ausiibten, konnte Mineralkohle statt der Holzkohle als Brennstoff effizient 
eingesetzt werden. Dennoch verdrangten Steinkohle und Koks die Holzkohle in 
der deutschen Metallurgie im Vergleich zu westeuropaischen Landern mit erheb- 
licher Verzogerung. 

Allerdings war die Verwendung von Steinkohle als Energietrager eine Reihe 
Voraussetzungen gebunden 

- Aufsuchen und AufschlieBen einer Lagerstatte 

- leichte Aneignung und reiche Ausbeute der Ressource 

- Zusammenstellen einer neuen Bergbau-Belegschaft 

- giinstige Relation von Transportkosten und Wert der Kohle 

- Entwicklung technischer Losungen fiir die Verwendung durch 
spezielle Brennofen, und 

- Standort ohne Umweltverschmutzung (ohne stinckende, schwefelichte 
Rauchgasbelastung 21 ) . 

3. Steinkohle - Braunkohle 

Den konkreten, innovativen AnstoB zu praktischen Versuchen mit Steinkohle 
hatte Landgraf Wilhelm IV. von Hessen-Kassel (1567-1592) gegeben. In einem 
Schreiben vom 17. Dezember 1571 berichtete er Herzogjulius iiberdas Auffinden 
eines neuen Kohlenflozes, namlich eines Steikohlenflozes am MeiBner 5 



19 Von der Braunkohle wurde fiir metallurgische Feuerungen im Eisenhiittenwesen bis 
in die Zeit um 1840 iiberhaupt kein Gebrauch gemacht. Vgl. dazu Akos Paulinyi, Das Pud 
deln. Ein Kapitel aus der Geschichte des Eisens in der Industriellen Revolution. Munchen 
1987, S. 75. 

20 Emil Kraume, Uberblick iiber die Geschichte des Unterharzer Hiittenwesens von 
1635 bis zur Neuzeit; in: Franz Rosenhainer, Die Geschichte des Unterharzer Hiittenwesens 
von seinen Anfangen bis zur Griindung der Kommunionverwaltung im Jahre 1635 (Beitrage 
zur Geschichte der Stadt Goslar 24). Goslar 1968, S. 167-188, hier S. 178. 

21 Vgl. dazu Michael Mende, Bereits vor 1800 . . . als eigentliche Fabrikstadt zu betrach- 
ten: Osterodes Sonderrolle in der Industrialisierung Hannovers; in: NJb fiir Landesge- 
schichte 66, 1994. S. 105-127, hier S. 108. 

22 Hess. StA Marburg, 57. Bilstein, P. 3, 171/172, Lehnsbrief fiir Magdeburger Gewerken 
von Wilhelm IV. von 1572 Oktober 12, mit der Klausel, den Kupferschieferbergbau im Amt 
Bilstein so zu betreiben, dass sie sich unser Steinkohlen am Meifiner gegen geburliche bezalunge ge- 



Herzog Julius und der Kohlenbergbau bei Hohenbuchen 187 

Einzelheiten: Es ist aber an dem, dafe wir ein neues Stein kohlen Bergwerck antroffen, ist 
dasselbige Gottlob so mechtig und herlich, das wir daraus sovil Kohlen als wir wunschen 
und bedurfen haben konnen, denn dasFlez ist 44 Schuh hoch und wol einerMeil wege lang, 
auch nicht viel schmeler, wie wir solches am Ausgehen sehen. 23 Auch iiber den multi- 
funktionalen Einsatz dieser Steinkohle unterrichtete er den Herzog, namlich beim 
Einsparen von Holzkohle als Brennstoff in Kupfer-Schmelzhiitten und beim 
Brennen von Kalk: So haben wir auch die Kunst gefunden, daJS wir mit den Stein kohlen 
die Kupfer Schiefern schmeltzen und nicht den vierten Theil soviel Steinkohlen als Holtz- 
kohlen darzu bedurfen und darzu mehr als mit den Holtzkohlen ausbringen konnen. Die 
spezifischen Verwendungsmoglichkeiten der Steinkohle sollten aber noch breiter 
angelegt werden. 

Landgraf Wilhelm IV. betrieb zu Sooden bei Allendorf an der Werra ein um- 
fangreiches Salzwerk. 24 Es war Johannes Rhenanus, Pfarrer, Salzgrafe und Berg- 
meister zu Allendorf, der unter landesherrlichem Druck den Auftrag iibernom- 
men hatte, die dortige Saline bei Verwendung der durch systematisch betriebe- 
nen Bergbau entdeckten Steinkohle zu einem rentablen Werk zu entwickeln. 
Erste Versuche waren mit teurer Steinkohle aus Liittich unternommen worden 
(Transportkosten) und scheiterten. Erst als in der zweiten Halfte des Jahres 1571 
am MeiBner das erwahnte Steinkohlenbergwerk. aufgenommen wurde, setzte 
Rhenanus mit diesem Energietrager seine Arbeit erfolgreich fort. 25 Folglich 
konnte Wilhelm IV. an Julius schreiben, so konnen wir auch mit 12 maJS Stein kohlen 
ein Wergk Saltzsieden, darzu sonst 3 Clafter Holtzgehoren. Desgleichen konnen wir mit 25 
Wagen Stein kohlen so vielKalks von Kalkstein brennen, als sonsten mit 300 Bauwern Fu- 
der Holtzes geschehen kan. Rhenanus war nicht der einzige Bergsachverstandige, der 
mit Steinkohle als Brennstoff operierte. Hiittenrechnungen aus dem hessischen 
Bilstein-Revier von 1574 und 1583 zeigen, dass auch Bergvogt Georg Beck in al- 
ien moglichen Variationen Versuche unternehmen lieB, Stein- und Holzkohle zu- 
mindest im Mischungsverhaltnis 1:1 beim Kupfer- Schmelzverfahren einzusetzen, 
was offensichtlich bei Proben zur Messingherstellung zu befriedigenden Erfolgen 
fiihrte. 26 Auch Kurfiirst August von Sachsen ist in diesen Kreis innovativer Fiir- 

brauchen werden. Weiterhin erwartete der Landesherr, das die Gewerken kein Holtz, so unserm 
Saltzwerk in Soden zu Allendorf gelegen und darzu genutzt werden kann, von denen vom Adel, Burgern 
oder Bauwern an sich bringen sollen. 

23 Hess. StA Marburg, 4a 32, 10, Landgraf Wilhelm an HerzogJulius, 1571 Dezember 17. 

24 Hess. StA Marburg, 4 f Br.-W., 118, Schreiben Landgraf Wilhelms IV. an HerzogJuli- 
us, 1569 Januar 30. 

25 Peter Piasecki, Das deutsche Salinenwesen 1550-1650. Invention, Innovation, Diffusi- 
on. Idstein 1987, qualifiziert Rhenanus ohne weitere Differenzierung als einen der Wegberei- 
ter des Steinkohlenbergbaus in Deutschland (S. 164). 

26 Zur Verwendung von Steinkohle in hessischen Kupferhiitten des 16. Jahrhunderts vgl. 
Hans Strube, Der Kupferbergbau im Niederfiirstentum Hessen. Seine Geschichte von den 



188 Hans-Joachim Kraschewski 

sten einzubeziehen, denn 1583 lieB er Rohkupfer aus Mansfeld (Sangerhausen) in 
eine neu errichtete Saigerhiitte nach Dresden bringen, um es dort auf verschiede- 
ne Weise und mit unterschiedlichen Zuschlagen ausschmelzen zu lassen. 27 

Diese fiir das 16. Jahrhundert typischen, weil durch rege Kommunikation auf 
konstruktive Veranderung und produktive Erneuerung angelegten Vorgange sind 
um so bemerkenswerter, als z.B. im siiddeutschen Raum Holz kontinuierlich als 
Energietrager bis 1855 fiir den Salz-SiedeprozeB an erster Stelle stand, wobei der 
Waldreichtum siidlich Schwabisch Hall sicherlich eine hinreichende Vorausset- 
zung war, um zur guten wirtschaftlichen Stellung der Salinen beizutragen. 28 Mit 
Nachdruck muB allerdings auf folgendes Faktum hingewiesen werden: Bei der am 
MeiBner gewonnenen Mineralkohle handelte es sich nicht um Steinkohle im her- 
kommlichen Verstandnis {Schwarzkohle mit einem Reinkohlengehalt von 80- 
85%), sondern ausschlieBlich um hoch veredelte Braunkohle, namlich Glanzkohle 
aus den Aufstiegszonen der Lava mit hohem Heizwert von 4.000-6.000 kcal/kg, 
die oft stengelig nach Basalt ausgebildet war, wahrend die Heizkraft derHolzkoh- 
le bei 2.000-3.000 kcal/kg lag. 29 Die vorliegenden Quellenbezeichnen, in sinnfal- 
liger Anti these zur Holzkohle, alle brennbaren Minerale als Steinkohle. Eine termi- 
nologische Unterscheidung erfolgte erst in der zweiten Halfte des 18. Jahrhun- 
derts. 30 Der Fachbegriff Braunkohle wurde 1816 von den PreuBischen Bergbe- 
horden eingefiihrt, bis dahin war stets die Rede von Torf (Turff) oder Steinkohle. 

Anfangen bis zum Ausbruch des DreiBigjahrigen Krieges; in: Zeitschrift des Vereins fiir 
Hessische Geschichte und Landeskunde 87, 1978/79, S. 35-204, bes. S. 45 f., 102, 176f., 198. 

27 Sachs. HStA Dresden, Dresden 184 Rep. A 24a I, N° 1470 b, Das Bergwerk zu Sanger- 
hausen 1520-1610 (freundlicher Hinweis von Prof. Dr. Ekkehard Westermann, Karlsruhe). 
Zwischen August von Sachen und Heinrich dem Jiingeren und Julius von Braunschweig- 
Wolfenbiittel gab es intensive Handelsbeziehungen mit einerReihe von Vertragen iiberBlei- 
lieferungen fiir die sachsischen Hiittenwerke, da im Erzgebirge kaum erfolgreicher Bleiberg- 
bau betrieben werden konnte, obwohl kiesige Bleigange um Freiberg und Marienberg ge- 
funden wurden (vgl. Kraschewski, wie Anm. 11, Quellen zum Bleihandel). - Vgl. auch Da- 
nuta Molenda, Polski olow na rynkach Europy Srodkowej w XIII XVII wieku [Polnisches 
Blei auf den mitteleuropaischen Markten vom 13.-17. Jahrhundert], Warschau 2001. 

28 Theo Simon, Salz und Salzgewinnung im nordlichen Baden-Wiirttemberg. Geologie, 
Technik, Geschichte. Sigmaringen 1995, bes. S. 136f. - Vgl. auch Hans Otto Gericke, Der 
Ubergang zur Kohlenfeuerung in den Salinen im ehemaligen Herzogtum Magdeburg". Halle 
(Saale), Schonebeck (Elbe) und StaBfurt; in: Der Anschnitt 52, 2000, S. 2-19. 

29 Erwin Braun, Zur Geschichte des Braunkohlebergbaus in Hessen; in: Magistrat der 
Stadt Borken/Hessen (Hg.), 3. Montanhistorisches Kolloquium. Zur Geschichte der Braun- 
kohle in Deutschland und Tschechien. Borken/Hessen 1999, S. 247-256, bes. S. 248. 

30 Eine scharfe definitorische Abgrenzung zwischen Braun- und Steinkohle bestand 
auch dann noch nicht. Als Regelaussage gait, dass jede fossile Kohle, die jiinger als Kreide 
war und in den geologischen Formationen iiber dieser abgelagert war, Braunkohle war, dage- 
gen jede Kohle, die sich in Formationen fand, die alter als Kreide waren, mit Steinkohlehe- 
zeichnet wurde. 



Herzog Julius und der Kohlenbergbau bei Hohenbiichen 



189 




190 Hans-Joachim Kraschewski 

Braunkohle lieB wegen ihrer wechselnden chemischen und physikalischen Ei- 
genschaften eine eindeutige Abgrenzung gegeniiber anderen festen Brennstoffen 
nicht zu. Noch 1746 beschrieb der Hallesche Professor Johann Gottlob Kriigers 
Braunkohle als unreife Steinkohle? 1 Aufgrund ihrer auBeren Beschaffenheit wird 
vor allem zwischen Erdbraunkohle und Glanzbraunkohle unterschieden. Auch 
die Einteilung der Braunkohle nach der geologischen Entstehungszeit besitzt kei- 
ne Allgemeingiiltigkeit. Dagegen sind in der chemischen Zusammensetzung 
brauchbare Erkennungsmerkmale zu finden. Die Inkohlung ist bei der Braunkoh- 
le erst so weit fortgeschritten, dass bei asche- und wasserfreier Kohle der Gehalt 
an Kohlenstoff (C) zwischen 58 und 73%, an Sauerstoff (O) zwischen 21 und 36% 
und Wasserstoff (H) zwischen 4,5 und 8,5% liegt. 32 DerHeizwert der Braunkohle 
ist von den genannten Werten abhangig, bei asche- und wasserfreier Kohle 
schwankt er zwischen 5700 bis 6800 kcal/kg, Werte, die im 16. Jahrhundert tech- 
nisch nicht erreicht werden konnten. 

Die Braunkohle (Reinkohlengehalt 30-35% mit einem Wasseranteil von 50%) 
wurde schon im 14. Jahrhunderts als sogenannte Steinkohle von Alaunsiedern 
und in Schmiedefeuern verwendet, 33 da sie beim Brechen von Basaltsteinen oder 
beim Schiirfen von Ton an den Randern oder unter dem Geroll der Basaltkuppen 
oberflachennah leicht aufzufinden war. Die feuchte Erdbraunkohle mit ihrer 
geringen Energiedichte war technisch noch nicht nutzungsfahig, wegen ihres ho- 
hen Wassergehalts besaB sie nur einen geringen Heizwert ohne thermische Trock- 
nung, hierfiir fehlten die entsprechenden Voraussetzungen. 

D.h. bei der Hiittenarbeit (z.B. auf Blei, Kupfer oderEisen) ermoglichte einge- 
setzte Steinkohle im Vergleich zur Holzkohle mehr als die dreifache Durchsatz- 
zeit (100 : 380), abgesehen von hoherer Temperaturleistung, starkerem Feuer und 
geringerem Wasser- und Aschegehalt. Damit erhohten sich die Reduktion und 
Aufkohlung der Metalle durch die aufsteigenden Kohlengase: die Metalle wur- 
den bei steigenden Ofentemperaturen und fortschreitender Aufkohlung leichter 
fliissig. Das bedeutete insofern einen technischen Produktionsfortschritt, als in- 
folge der besseren Trennung der Erze und Schlacken eine hohere Ausbeute des 
Erzes erreicht werden konnte. 



31 Klaus-Dieter Bilkenroth, Geschichte des Braunkohlenbergbaus in Mitteldeutsch- 
land bis 1989; in: Magistrat der Stadt Borken/Hessen (Hg.), 3. Montanhistorisches Kollo- 
quium, Zur Geschichte des Braunkohlebergbaus in Deutschland und Tschechien. Bor- 
ken/Hessen 1999, S. 117-140, hier S. 121. 

32 Wirtschaftvereinigung Bergbau e.V. Bonn (Hg.), Das Bergbauhandbuch. Essen, 1994 5 , 
S. 181-183. 

33 Vgl. dazu Michael Fessner, Steinkohle und Salz. Der lange Weg zum industriellen 
Ruhrrevier. Bochum 1998, S. 31. 



Herzog Julius und der Kohlenbergbau bei Hohenbuchen 191 

Tab. 1: Holz~, Braun- und Steinkohle im Vergleich 





Holzkohle 


Braunkohle 


Steinkohle 


Wassergehalt 


0% 


50% 


4-10 % 


Reinkohlengehalt 


20-25 % 


30-35 % 


80-85 % 


Heizwert (kcal/kg) 


1500-2500 


3000-5000 


5000-8300 


Schwefelgehalt 


0% 


1% 


2% 


Durchsatzvermogen 








Volumen/cbm 


150-200 kg 


200-300 kg 


500 kg 


Chargenzeiten 


100 


150 


380 


(Durchsatz/Beschickung) 









Diese Qualitaten erforderten allerdings 

- eine VergroBerung des Hochofens, wenn nicht gar dessen 
Neukonstruktion aus hitzebestandigerem Material, 

- ein starkeres Geblase und 

- eine groBere Antriebskraft 

- bei veranderter Zusammensetzung der Beschickungsmasse eines 
Schmelzofens. 

In der Realisierung dieser technischen Mindest-Anforderungen lagen die ei- 
gentlichen Schwierigkeiten beim Einsatz von Mineralkohle. Versuche, im Hiit- 
ten- oder Salinenwesen die Holzkohle durch Steinkohle zu ersetzen, waren an die- 
sen Problemen bis in die zweite Halfte des 17. Jahrhunderts gescheitert. 

Auch im Fiirstentum Braunschweig- Wolfenbiittel sollten die Substitutionsver- 
suche beim Salzsieden und im Hochofen aufgenommen werden, in derUberzeu- 
gung, dass /Sfemkohlevorkommen in Standortnahe vorhanden sei. 34 Den Speziali- 
sten Rhenanus lieB Landgraf Wilhelm IV. auf Bitten Herzogs Julius fur einen zeit- 
lich begrenzten Auftrag von Mitte September bis Ende Oktober 1571 nach Wol- 
fenbiittel Ziehen, um vom Fachmann die Ressourcenlage und damit Moglichkeit 
priifen zu lassen, Brennmaterial beim Salzsieden einzusparen und Holzkohle 
durch Steinkohle nicht nur in den Salinen Liebenhall (Salzgitter) und Juliushall 

34 Vgl. dazu Karl-Heinrich Kaufhold, Die Wirtschaft (Niedersachsens) in der friihen 
Neuzeit: Gewerbe, Handel und Verkehr; in: Christine van den Heuvel/ Manfred von Boet- 
ticher (Hg.), Geschichte Niedersachsens, Bd. 3, T. 1. Politik, Wirtschaft und Gesellschaft 
von der Reformation bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts. Hannover 1998, S. 351-574, hier 
S. 422 f. 



192 Hans-Joachim Kraschewski 

(Biindheim) , sondern vor allem beim Rosten der Erze, in den Schmelzhiitten des 
Harzes, Kalkbrennereien, Alaunwerken und Ziegeleien im Land Braunschweig 
zu ersetzen. Besonders auf diesen Punkt konzentrierten sich die ehrgeizigen, von 
groBartigen Planen erfiillten Erwartungen des Herzogs. 35 Holzkohle blieb nur 
beim Frischen und Schmelzen der Erze unersetzbar. 

4. Die Lagerstdtte Hohenbiichen 

Die Herkunftsorte der Mineralkohle fur die herzoglichen Hiittenwerke am Harz 
konzentrierten sich auf vier raumlich, zeitlich und rechtlich voneinander abge- 
grenzte Gebiete, deren Nutzung aber verschiedenen Landesherrschaften gemein- 
schaftlich vorbehalten blieb, da sie gegenseitig auf Abbau und Vertrieb dieser 
Ressourcen angewiesen waren: 

- Hohenbiichen am Hils/Amt Greene 

- Amt Lauenstein am Osterwald 

- Grafschaft Schaumburg (Revier Beckedorf/Obernkirchen) 
und - prospektiv - 

- Diiderode-Kalefeld. 

Diese Vielfalt der Bezugsquellen von Steinkohlen war erforderlich, weil mit Be- 
ginn und Ausweitung des zum Abbau anstehenden Grubenfeldes Hohenbiichen 
(1572 ff.) es zu Wasserzufliissen kam, was zu Arbeitsunterbrechungen fiihrte. Die 
Phasen zwischen 1572 und 1578, 1579/1583 dienten dem systematischen Auf- 
schluss dieses Bergbaus, wahrend zwischen 1585 und 1589 lebhafter Betrieb um- 
ging und anschlieBend bis 1592/93 relativ kontinuierlich gearbeitet und gefordert 
wurde. Das Aufsuchen weiterer Bezugsmoglichkeiten iiber den Umkreis von Ho- 
henbiichen hinaus hatte erst nach wiederholten Riickschlagen und Stillstand vor 
Ort Anfang 1577 begonnen (Grafschaft Schaumburg und Diiderode-Kalefeld). 
Die nutzbaren, den starken Holzverbrauch kompensierenden Mineralkohlenab- 
lagerungen am Hils bildeten aberunbestritten die Hauptmenge an Brennstoff mit 
dem Zielort und Stapelplatz Langelsheim (Frau-Sophien-Hiitte). 

Zum ersten Mai visitierten Oberberghauptmann Burghard von Steinberg und 
Bergmeister Peter Adner zusammen mit den Geschwornen auf dem Zellerfeld Va- 
lentin Fleischer und Georg Richter im Mai 1572 die Lagerstatte Hohen Buchen am 



35 Zum Arbeitsaufenthalt des Rhenanus im Fiirstentum Braunschweig-Wolfenbiittel vgl. 
Friedrich Tenner, Der Pfarrer und Salzgrafe Rhenanus aus Allendorf und seine Beziehun- 
gen zu Herzog Julius von Braunschweig und zum Salzwerk Juliushall; in: Braunschweigi- 
sches Magazin, 1913, S. 141-149. - Hans-Henning Walter, Der Allendorfer Salinistjohannes 
Rhenanus und seine Salinenreise in Mitteldeutschland im Jahre 1568; in: Der Anschnitt 49, 
1997, S. 16-22. 



Herzog Julius und der Kohlenbergbau bei Hohenbuchen 193 

Kreidesandstein-Hohenzug des Hils. Weitere Inspektionen folgten. Dabei ging es 
um technische Probleme einer Schachtabteufung und eines Stollenvortriebs. 
Uber einem alten flachen Gang muBte ein Schacht niedergebracht werden, um 
einen Stollen zu waltigen und eine Reihe von Strecken aufzufahren und zu Mine- 
ralkohlenablagerungen zu gelangen. Bei dieser Gelegenheit stieBen die Beamten 
auf eine Gewerkschaft in Herzog Erichs Gebiet (kurtz eben ahn der landtscheidunge 
im Duiner Walde 36 ), die gleichfalls auf Steinkohle Abbau betrieb. Die Forderung 
sollte in einem 8 Lachter (16 m) tiefen Schacht erfolgen. Zu diesem Zweck wurde 
1582 im Stollen ein Haspelort (ein Hornstatt) gebrochen und 6 Lachter (11,50 m) 
tief abgesenkt, 37 um bis zum harten, tonigen Gestein zu gelangen. Wann das durch- 
sencket, wirdt sich endlich was ereugen, so was vorhanden. 

Um die Wasser der Kohlenfloze zu waltigen, sollte der neue Schacht als ge- 
meinsamer Schacht in hoher gelegenen Partien des Flozes bis zur Stollensohle 
6 V& Lachter (13,25 m) abgeteuft werden, der mit einer Wasserkunst zu versehen 
sei. Der Stollen lag oberflachennah, so dass seine Wasserfiihrung durch Nieder- 
schlage und Schneeschmelze direkt beeinflusst wurde. Folglich waren Wasserhal- 
tung und Wetterfiihrung notig. Die Grundwassersituation in den abgebauten La- 
gerstattenbereichen kann nicht mehr rekonstruiert werden. Auch iiber die Teufe 
jenseits des Stollens (nach derTiefe) ist aus derErschlieBungsperiode dieses Berg- 
baus (spatestens bis 1581) nichts bekannt. Die Mehrzahl der Gruben befand sich 
jedoch unter dem Hauptstollen, der zum Bach Gleene fiihrte, so dass die Wasser 
aus den tieferliegenden Gruben gehoben werden muBten, wenn sie nicht regel- 
maBig absaufen sollten. Die Vorbereitungen zum Teufen des Schachts hatten be- 
reits begonnen, damit dessen Bau verhaltnismaBig kurze Zeit in Anspruch neh- 
men konne (vier Wochen). Wie Bergmeister und Geschworne des Oberen Ber- 
gamts berichteten, wurde im Mai 1572 der Bau einer Wasserkunst ziigig in Angriff 
genommen, da die Verfertigung der entsprechenden Teile - Rader, Zapfen und 
Ringe etc. - in Auftrag gegeben worden war. Dennoch gelang es zunachst nicht, 
das tief gelegene Floz zuverlassig zu siimpfen, so dass die Bergleute (iiber ihre An- 
zahl liegen keine verlaB lichen Angaben vor 38 ) immer wieder vom Wasser ausge- 

36 Es handelt sich um die Duinger Flozgruppe im Nord-Westen des Hils, wahrend in 
Hohenbuchen zeitgleich Aufschlussarbeiten im Siid-Osten betrieben wurden. Die Coppen- 
graver Flozgruppe, deren Mundlocher gleichfalls auf Braunschweiger Territorium lagen, be- 
gann wohl erst nach 1750 mit dem Abbau. Diese drei Reviere der Berrias-Kohle forderten, 
witterungsabhangig, in Kleinbetrieben Glanz- und Mattbraunkohle. 

37 NBA Clausthal-Zellerfeld, Fach 3a, Nr. 17, Mitteilung Christoph Sanders vom 5. Sep- 
tember 1582. Sander hatte bereits im Juli 1582 an den Wolfenbiitteler Kammersekretar Ma- 
gister Christoph Wolff unter dem Tirtel Wie aber die Steinkohle zu Hohenbuchen sich anlassen 
dariiber berichtet. 

38 Zur Zeit der Betriebsaufnahme arbeiteten nur wenige Bergleute vor Ort: vermutlich 
waren es 2-3 Hauer, 2 Karrenlaufer, ein Anschlager und 2 Haspeler, also zwischen 6 bis ma- 



194 Hans-Joachim Kraschewski 

trieben wurden. Fiir den Fall, dass Herzog Julius eine eigene Kunst einzurichten 
gedachte, fiigte Markscheider Wolf Seidel einen separaten Vorschlag bei. 39 Selbst 
ein Jahrzehnt nach Beginn der Aufschlussarbeiten gab es bei einer Teufe von 42 
Lachtern (81 m) Probleme mit der Wasserwaltigung: Die Bergleute gaben zu be- 
denken, bei einem Durchsinken der Potterde (Tongestein) wurden die Wasser mit 
Gewalt aufsteigen und mit einer Kunst nicht zu halten sein, denn kein tiefer Stollen 
dahin kommen kann, so sein auch keine Wasserkiinste des Orts vorhanden, wobei selbst 
Christoph Sander verwundert war, dass eine derartige Teufe ohne Zeuck (ohne Ma- 
schinen), d.h.ohne weiterfiihrenden Ausbau des Kunstschachts mit zusatzlichem 
Pumpensatz, hatte erreicht werden konnen. 40 PlanmaBiger Abbau konnte hier 
vorerst nicht betrieben werden. Die Steinkohlenvorkommen befanden sich nicht 
nur in einer Reihe geringmachtiger Floze (groBe f lachenhafte Ausdehnung bei ge- 
ringem Vo lumen), sondern diese waren teilweise tektonisch stark gestort (Spalten 
mit Absenkungen) . 

Dieser Steinkohlenbergbau ging - wie im Osterwald, am Deister und im 
Schaumburger Revier - in den Lagerstatten der Berrias-Formation um (friiher 
Wealden/Walderton-Formation), 41 die dem Hils, deruntersten Stufe derKreide, 
angehorte. Sie waren dadurch entstanden, dass in der jiingeren Erdgeschichte, in 
die auch die Eiszeit fallt, auf groBen Flachen die kohlebildende Flora (vor allem 
Fame und Koniferen) vom Bereich der heutigen Nordsee aus sowie von Fliissen 
(Leine, Weser) iiberflutet wurden. Mit dem Wasser wurden grosse Mengen Sand, 
Kies und Ton herangespiilt. Es kam zur Bildung von Brackwasser und Moorge- 
bieten mit Schiefertonen und Sandsteinen mit eingelegten Steinkohlenflozen. 
Ausschlaggebend fiir die Umwandlung der Torfe zu Kohle war die starke Erhit- 
zung der Torfe bzw. der Kohle bei ihrer Absenkung. Unterschiede im Warmefluss 
der oberflachennahen Schichten verursachten verschieden starke Metamorpho- 
sen. Es entstanden im Hils-Gebiet nur Steinkohlen, die noch an der Grenze zum 
Braunkohlenstadium lagen, wahrend am Rande und im Inneren der Schaumbur- 
ger Mulde sich Fettkohlen bildeten. 42 



ximal 10 Arbeiter. Diese im Riickschlussverfahren aus Verhaltnissen des 18./19. Jahrhun- 
derts abgeleiteten Zahlenangaben werden sich in der Folgezeit nur geringfugig erhoht ha- 
ben. Vgl. dazu Michael Fessner, Das Huttenwesen am Rammelsberg nach dem Riechenber- 
ger Vertrag; in: Der Anschnitt 54, 2002, S. 26, Anm. 59. 

39 NBA Clausthal-Zellerfeld, Fach la, Nr. 7. 

40 NBA Clausthal-Zellerfeld, Fach 3a, Nr. 18, Schreiben Christoph Sanders an Herzog" 
Julius vom 23. Mai 1583. 

41 Armin Graupner, Der Berrias-Steinkohlenbergbau in Niedersachsen 1945-1963 (For- 
schungen zurniedersachsischen Landeskunde 116). Gottingen 1980, S. 12-17. - WaltherHEi- 
dorn, Der niedersachsische Steinkohlenbergbau; in: Jahrbuch der Geographischen Gesell- 
schaft Hannover 1927. Hannover 1927, S. 1-43. 

42 Armin Graupner, wie Anm. 41, S. 79. 



Herzog Julius und der Kohlenbergbau bei Hohenbiichen 



195 



Abb. 2: 
Normalprofil der Mineralkohle des Hils 



E 2 




Sand 



(Schwefel)Kies 



Ton 



Schiefer 

Kreide („Dach 
der Steinkohle") 

Mineralkohle 



^ 




v , „ 


Schieferzone 




4 


. 




c 
o 


• ■ 


• 


Sandstein 




• 


_ 





Die tonige Glanz- bzw. Mattbraun- 
kohle des Hils (hier stets subsumiert un- 
ter Steinkohle), durchsetzt mit Schwefel- 
kies oder schwefel- und eisenhaltigem 
Sand bzw. Kies, die teilweise bergman- 
nische abgebaut ( gebrochen) wurden, war 
zwar fla.chenma.6ig ausgedehnt, doch 
nur von geringer Machtigkeit (0,25- 
0,60m). Selbst das starkste Floz er- 
reichte giinstigenfalls 0,70-1,00 m {ufei- 
nen halben Lachter mechtig). Die Sohle 
quoll wegen ihres spezifischen Gehalts 
im Tonstein einerseits stark auf, anderer- 
seits war harter Tonstein in der Teufe 
schwer zu durchstoBen. Dadurch war 
der Abbau nicht eindeutig zu effektivie- 
ren. Die flachenhafte Ausdehnung der 
Berrias-Formation war kleinraumig an- 
gelegt, muldenformige Lager gab es sel- 

ten. Sie trat an den Randern des Hils, am Osterwald und an den Randern der 
Schaumburger Senke zutage aus. In Hohenbiichen war nur reiner Flachenabbau 
mit verhaltnismaBig langen Wegen moglich, folglich waren Aus- und Vorrich- 
tung dieses Bergbaus teuer ( was die Kosten betrifft, wollte Sein Furstlich Gnaden sie uf- 
zalen), vor allem aberzeitraubend und arbeitsintensiv (vgl. Abb. 2). Doch iiber die 
Hoffigkeit der Lagerstatte und die Qualitat der Steinkohle gab es klare Vorstel- 
lungen. Die Kenntnis derLagerungsverhaltnisse innerhalb des gebauten Teils der 
Kohlenfloze nahm standig zu und war gut. 43 Unzulangliche Vorstellungen gab es 
wohl nur iiber die Einsatzmoglichkeiten des Produkts Steinkohle. 

Herzog Julius bemiihte sich nachdriicklich, den Fortgang der Arbeiten zu be- 
schleunigen. Allein der Schriftwechsel zwischen ihm und seinem auBerordent- 
lich umsichtigen, sachkompetenten und weitblickenden Oberverwalter der wol- 

43 NBA Clausthal-Zellerfeld, Fach 3a, Nr. 16, Schreiben Christoph Sanders an Herzog 
Julius: Zu Hohenbuchen ereugen sich die Steinkohlen nach dermassen wie zuvorn eine Zeit mechtiger 
dann die andere, wollen mit dem Stollen fortfahren, darnach in die Tiefe niedersincken, hoffen sie [die 
Bergleute] auf besserung, dieweil sie den weifien Stein [Kreide] antreffen, welchs das Dach von den 
Steinkohlen (21.Juni 1581). 



196 Hans-Joachim Kraschewski 

fenbiittelschen Berg- und Hiittenwerke des Harzes, Christoph Sander, legt davon 
beredtes Zeugnis ab: ohne den Sachverstand und die gebiindelte Kompetenz die- 
ses Mannes hatte der Unternehmer-Verleger Julius seine Vorstellungen von einer 
verdichteten Wirtschafts- und Gewerbezone des Landes Braunschweig, wozu 
auch der Einsatz von Steinkohlen gehorte, nicht realisieren konnen. 44 

Christoph Sander hatte immer wieder veranlaBt, Geschworne beider Berg- 
wercke 45 zum Amt Hohenbiichen abzufertigen, um iiber erwartete Antrage auf 
Verleihung von Grubenfeldern (Muthungen) iiber dem vorhandenen alten Gange 
(bis hin zu Herzog Erichs Teil: nach dem Streichenden und Hangenden) auf neue 
Steinkohlenfloze, eine Hand machtig, informiert zu werden. Namen von Gewer- 
ken wurden allerdings keine mitgeteilt, ganz offensichtlich konnten nur wenige 
gewonnen werden. Da auch Schwefelkies vorhanden war, sollten die Geschwor- 
nen diese Orter erneut befahren und besichtigen und unter den Bergamts-Siegeln 
Bericht erstatten, mit welcher Hoffnung aus ihrer fachlichen Sicht und unter den 
fortgeschrittenen Bedingungen in dieser inzwischen wohlbekannten Lagerstatte 
zu bauen und welch guter Gewinn zu erwarten sei. Denn dieweil wir hirbevor durch 
unsern Grojivogt Carl Capaunen von Zwiekaw und Ernst Garjien diese Steinkohlen: und 
Schwefelbergwerck besichtigen, auch vor zweienjahren eine Prob alhie von dem Schwefel- 
kies machen lassen, so thun wir hiemit die Besichtigung und angestelte Proben uberschicken, 
damit Vergleichsmoglichkeiten vorlagen. 46 

Ein Befahrungs-Bericht des Oberbergmeisters Peter Adner mit Wolf Seidel 
und Valentin Fleischer iiber ihren erneuten Aufenthalt im Revier Hohenbiichen 
vom 3.Juni 1581, also knapp zehnjahre nach ihrem ersten Besuch, gibt verlaBlich 
Auskunft iiber den Entwicklungsstand der Arbeiten. Ihr Befund besagte, dass vor 
dem Hauptstollen, wo sich ein graw Gestein anholet, keine Potterden mehr wie vorhin am 
Anbruch vorhanden. Potterde meint hier das Nebengestein (Tonstein), dessen 
Machtigkeit zwischen 1 und 7 m betrug und den Abbau in erheblichem Umfang 
behinderte. Der Vortrieb war fortgesetzt worden, die Arbeiter erhielten fiir das 
Auffahren eines Gedinges von acht Lachtern (15 m) und vier Lachter zuriick vom 
Ort (Abbaupunkt) eine Lohnzusage von 16 Mark. Das waren Pramien, wie sie 
diesem Umfang im Bergbetrieb des Unterharzes zur gleichen Zeit auch gezahlt 
wurden. Denn Gedingearbeiten verlangten im Vergleich zu den im Schichtlohn 
von den Hauern ausgefiihrten Arbeiten ein hoheres MaB an Kenntnissen und 
Kompetenz bei der Bewertung der Abbauverhaltnisse der anstehenden Grube. 

44 Vgl. dazu Ekkehard Henschke, Sozialer Aufsteiger und erfolgreicher Bergbeamter - 
Christoph Sander der Altere 1518-1598; in: Harz-Zeitschrift 31, 1979, S. 57-64. 

45 Gemeint sind die Beamten des Oberen (Clausthalschen) und Unteren (Goslarschen) 
Bergwerks. 

46 NBA Clausthal-Zellerfeld, Fach 2a, Nr. 13, Schreiben Herzogs Julius an Oberzehntner 
Christoph Sander, Der Steinkohlenbergbau im Amt Hohenbiichen (7. Marz 1578). 



Herzog Julius und der Kohlenbergbau bei Hohenbuchen 197 

Gedingenehmer waren stets altere Bergleute, die als Hauer nicht mehr iiber die 
voile Arbeitskraft verfiigten. Auf der unteren Sohle brach ein Floz bei, mit Fdule 
vermenget, d.h. mit Schwefelkies vermischt. Da dieses Mineral weiter verarbeitet 
werden sollte, hatte der Amtmann zu Greene ein Fuder nach Wolfenbiittel zur 
Probe transportieren zu lassen. 47 

Das Fordervorhaben folgte dem Einfallen des zunachst aufgeschlossenen Flo- 
zes und drang in tiefere Regionen vor. Das Weiterteufen erforderte, den Stollen 
zwischen zwei Lichtlochern auf 44 Lachter neu auszubauen, welchs dann solle ins 
vierden gerichtet werden, d.h. der Stollen musste in angemessene Proportionen ge- 
bracht und durch Holzausbau gesichert werden (vergleichbar mit Pfeilerbruch- 
bau). Steiger Peter Vielspelliger war dieser Aufgabe nicht gewachsen, er wurde 
von seiner Pflicht entbunden, und seindt bedacht, es mit einem andernzu versuchen und 
was neues auszurichten. Die Wetterbedingungen waren schlecht (bose Wetter) und 
behinderten den Abbau stark. Die zwei Wetterschachte (Lichtlocher) wurden als 
ausziehende Bauwerke angelegt. Als der Durchschlag in solch einem Lichtloch 
bis auf den Stollen niedergebracht war, konnte das bergmannische Absinken fort- 
gesetzt werden und dadurch, was des Orts zu tun, erfahren und viel dinges innen wer- 
den. Von dem Lichtloch aus wurde weitergeteuft, iiber den Schwefelkies hinaus, 
der zur oberen Ablagerung gehorte. Die Weite betrug insgesamt 21 Lachter (40 
m). Dieser Tiefbau erschwerte und verteuerte in den schlagwettergefahrdeten 
Gruben auch die Wetterfiihrung. In Kombination mit der problematischen Was- 
serhaltung waren das endogene, flozeigene Ursachen fur die schleppende Ent- 
wicklung des Reviers. Die Darstellung der Kohle als gute Steinkohlen ging wohl 
eher auf eingelegte Glanzkohlen-Lagen zuriick, die jedoch der haufigsten Koh- 
lenbeschaffenheit (Mattkohle: stumpf glanzend, aus holzartigen Substanzen: Du- 
rit) nicht entsprachen. 

Abgesehen von der Teufe des zweiten Wetterschachts mit 7 Vs Lachter (14,25 
m) lag ein Betriebspunkt der Grube 1581 bei 21 Lachtern (40 m) unterhalb der 
Sohle. 1583 erreichte er die Tiefe vor Ort mit 42 Lachtern. Das waren beachtliche 
Kohlenaufschliisse, die eigentlich zu einer langfristigen Planung und Realisie- 
rung von Neuaufschliissen hatten fiihren konnen. Warum das nicht geschah, wird 
abschlieBend zu diskutieren sein. Das metallische Mineral Schwefelkies (Eisen- 

47 Oberbergmeister Peter Adner war informiert worden, dass das Steinkohlenfloz sich 
um einen halben Lachter (0,96 m) abgesenkt hatte und nicht visitiert werden konnte. Deswe- 
gen hielt er es zunachst nicht fur notig, dort versuchsweise einen kleinen Schacht (Gesencke) 
auffahren zu lassen, ran eine Verbindung zwischen Floz und Hauptstollen herzustellen, son- 
dern er hielt es fiir ratsam, mit der Arbeit im Hauptstollenort fortzufahren bis an das Licht- 
loch, so oben albereit abgesuncken, darinnen sich auch ein Floz thut beweisen mit guten Steinkohlen 
handtdick, offt mechtiger auch geringer, felt ab und zu. Auf diese Weise konnte die Arbeit vor al- 
lem sicher, aber auch zielgerichtet vonstatten gehen. 



198 Hans-Joachim Kraschewski 

kies oder Pyrit = FeS 2 ) konnte besonders zur Gewinnng von Schwefelsaure ver- 
wendet werden. 

So hat auch der Schichtmeister angefangen, den Schwefelkies zu treiben und ist in willens, 
denselben her nachmals zu leuttern. Berichtet aber, daft er dasselbe mit itzigem verordenten 
gelde nicht werde vorrichten konnen, sondern begheret daraufein sonderlichen Verlagk, des 
voir dan zu E.F. gestalt haben, welchs E.Fich zum Bericht nicht habe vorhalten sollen. 

Es ging in Hohenbiichen um nicht ganz einfache Abbauverhaltnisse, die aber 
im Stollenbau zu bewaltigen sein sollten, auch wenn nur geringe Erfahrungen in 
diesem Sektordes Bergbaus vorlagen. 1582 teilte Christoph Sander Herzogjulius 
mit, aufdem Steinkohlebergwerck bei der Hochen Buchen habe man 6 Lachter zu sincken 
verdinget, welche in 5 Wochen aufgefahren werden. Mit dem 6-Lachter-Stollen sollte 
das inzwischen aufgeschlossene zweite grossere Floz von Steinkohlen iiberfahren 
werden. Das obere Floz des Orts war 2 Spannen machtig (0,48 m), das andere gut 
ein Spann (0,24 m). Beide waren mit Schiefer vermischt. 1585 (29. Dezember) la- 
gen 1.000 Balgen reine Steinkohle ausgestiirzt in Vorrat. 48 Die anderen gemeinen 
Kohlen umfassten 13.000 Balgen. 

Voraussetzung der Arbeit war allerdings, dass Gewerken und Bergleute nicht 
dauernd auseinanderliefen, da dieser Bergbau als gefahrlich gait. So konnte ein 
Lichtloch des Hauptstollens nicht ausgebaut werden, da sich Storungen nicht nur 
durch bose Wetter, sondern an den querschlagigen Suchstrecken zeigten: Ursach, 
das des bdsen Wetters halber und das sich das Ort immer anstecket und verbrennet, d.h. es 
kam zu Selbstentziindungen im Floz. Die Arbeiter weigerten sich daraufhin an- 
zufahren. 

Bereits im Sommer 1578 wurde im Protokoll einerBesprechung zwischen Her- 
zogjulius und Oberzehntner Christoph Sander die Belegschaftssituation erortert: 
Die Steinkohle im Amt Hohenbiichen sei noch nicht belegt, es mangele nuranArbeitern. Der 
Goslarischen kdnne man nicht entraten. Die aus dem Unterharz angeworbenen Berg- 
leute sollten am Hils eingesetzt bleiben und den Grundstock einer Betriebsbeleg- 
schaftbilden. Das qualifizierte Arbeitsvermogen derErzhaueraus Goslarwarund 
blieb fur die avisierte Forderleistung der Grube bestimmend. Nur marginal konn- 
te sich eine eigenstandige Bergbautradition mit entsprechenderBerufserfahrung, 
immer wieder durch Betriebsstillstand unterbrochen, in diesem Revier herausbil- 
den: Ein Interesse am Bergbau war in der landwirtschaftlich gepragten Umwelt 
des Hils kaum nachzuweisen und offensichtlich unter den spezifischen, namlich 
schwierigen Bedingungen des Kohlenabbaus auch nicht zu vermitteln. Es lagen 
hierganz andere Bedingungen vor als am Rammelsberg bei Goslar, wo die Sonne 
von Bergarbeitern schon in friiher Kindheit durch den vaterlichen Beruf gepragt 
wurden. Herzogjulius drangte darauf, Gewerken verschrieben zu bekommen, die 



48 1 Balge o 1 ctn (50 Liter), 1 Fuder o 40 Balgen. 



Herzog Julius und der Kohlenbergbau bei Hohenbiichen 



199 



.-**''*, d 



Abb. 3: Grubenrifi vom Hils 

(Rekonstruktion 16. Jahrhundert) 
Knippsleck-Stollen / Hohenbiichen 




— fc — £ 



Die Glcnc 




a / Die Glene 



A Stollenmundloch 
B Flozanfang 



a Ende der Tagesrosche 
b I.Lichtloch (5 '/a L tief) 



b 2. Lichtloch (7 '/a L tief) 

d Wasserschacht (6 '/a L tief) 



20 



30 Lachter 



im Fiirstentum nach Steinkohlen suchten, in derUberzeugung, dass Lagerstatten 
vorhanden seien, man kdnne sie aber nicht finden, wobei Sander auf Diiderode bei 
Kalefeld verwies, denn man habe Wasserkies heraus gebaut, habe wie Alaun geschmeckt. 
Man sage der Kies liege uf den Steinkohlen, wolle Gewercken bekommen und es anfangen. 
Bis 1581 war alledings noch immer nicht eindeutig geklart, ob zu Diiderode Stein- 
kohle zu vermuten sei. 49 Investitionsbereite Interessenten im notwendigen Um- 
fang zu finden gelang jedoch nicht. So ist es nicht verwunderlich, dass Herzogju- 
lius erklarte, in Hohenbiichen Mit-Gewerke sein zu wollen, wenn es auch den we- 
nigen Gewerken allein iiberlassen sein sollte, den wasserfiihrenden Stollen zu 



49 NBA Clausthal-Zellerfeld, Fach 3a, Nr. 16, Aussage des Bergmeisters Peter Adner It. 
Bergamtsprotokoll vom 4. Januar 1581. - Zur Kohlensituation bei Diiderode-Olderode Mit- 
te des 18.Jahrhunderts vgl. Jorg LEUSCHNER/Heinz Kolbe, Steinkohlenbergbau in Salzgitter 
von 1764 bis 1766; in: Salzgitter-Jahrbuch 15/16, 1993/1994, S. 115-135. 



200 Hans-Joachim Kraschewski 

bauen, jedoch vorbehaltlich der furstlichen Hoheit: Bei ihm hatte das Vorkaufsrecht 
auf die gewonnene Steinkohle zu bleiben, die er dann zu Marktpreisen absetzte. 50 

Ein ausgefahrener Kohlenwegiuhrte von Hohenbiichen iiber Greene, Ganders- 
heim, Seesen zurFrau-Sophien-Hiitte in Langelsheim. Konkrete, quantifizierbare 
Angaben iiber Transportleistungen lassen sich nur fiir die Zeit nach 1585 gewin- 
nen. Diese Fuhren mit Wagen und Karren betrafen Ackerleute mit ihren Gespan- 
nen aus dem Amt Greene. Der Kohlentransport war Teilen der bauerlichen Be- 
volkerung vorbehalten, die von amtswegen zu dieser beschwerlichen Dienstlei- 
stung herangezogen und entlohnt wurden. 51 Die Lagerstatte Hohenbiichen wies, 
bezogen auf den Zielort Langelsheim, zumindest einen Vorteil auf: es war ein na- 
heliegendes und somit von den Transportkosten giinstiges, wenn auch von seinen 
Ressourcen ein in einem wirtschaftlich vertretbaren Rahmen wenig effektives Re- 
vier. Es gab keine Nebenabgaben wie StraBen- und Geleitsgebiihren oder Zolle. 
Und doch benotigte dermiihsame Transport einer Kohlenladung zwei Arbeitsta- 
ge, unter schlechten Wetterbedingungen drei. 

Zwischen 1579 und 1581 lagen 500 ctn Steinkohlen aus Hohenbiichen in Lan- 
gelsheim auf Halde, da sie nicht abgehen wollten. Denn die Schmiede kauften 
und brannten selbst ihre benotigten Kontingente in der Herrschaft Schaumburg, 
den Batten umb 16 gr alien bekommen. Herzog Julius verlangte zwar den gleichen 
(Markt)Preis fiir seine Kohlen, doch zusatzlich war von den Kaufern ein Groschen 
Waagegeld zu entrichten, darum sie niemand keuffen will, pleiben also liggende 52 . San- 
der schlug vor, die Balge um 15 Groschen und 1 gr Waagegeld anzubieten, die 
Nachfrage wiirde steigen. Ihm war bekannt, dass der Landesherr die Balge (ist ein 
halber goslarscher Humbten 53 ) zum Vorkaufspreis von 5 Groschen in Hohenbiichen 
iibernahm, also die Preisgestaltung im Rahmen der iiblichen Gewinnspanne, der 
Nebenkosten und unter Marktgesichtspunkten Spielraum zulieB. 

Die sinnfallige Alternative zum Kohlenbezug aus Hohenbiichen wurde schon 
friih entwickelt, es sollte dahin gedacht werden, wie man Steinkohlen gegen Tafelblei 
aus der Grafschaft Schaumburg bekommen mochte. 5i Denn das Schaumburger Revier 
wies wesentlich giinstigere Abbauverhaltnisse auf. 55 Auch bei diesem Standort 



50 NBA Clausthal-Zellerfeld, Fach 2a, Nr. 12, Protokoll einer Besprechung zwischen 
Herzog Julius und Christoph Sander: Bedencken, wie man Vorratsheusser in der Heinrichstadt 
[Wolfenbiittel] zu Stein- und Holzkohle so wohl auch zu Bawholtzanrichten Aoranc(24.Januar 1577). 

51 Vgl. dazu Anhang V-VII. 

52 NBA Clausthal-Zellerfeld, Fach 3a, Nr. 16, Schreiben Christoph Sanders an Herzog 
Julius, 28. Dezember 1581. 

53 1 Goslarscher Humbten entsprach 2 Balgen o 2 ctn. 

54 NBA Clausthal-Zellerfeld, Fach 2a, Nr. 13, Protokoll einer Besprechung zwischen 
Herzog Julius und Oberzehntner Christoph Sander (24. Januar 1577). 

55 Helge Bei der Wieden, Fiirst Ernst, Graf von Holstein-Schaumburg, und seine Wirt- 



Herzog Julius und der Kohlenbergbau bei Hohenbuchen 201 

handelte es sich um ein 0,25-0,60 m machtiges, flach nach Norden einfallendes 
Floz, das im Unterschied von zwei im Hangenden und Liegenden vorhandenen 
schwacheren Flozen als Hauptflo'zbezeichnet wurde. Wassereinbriiche sind hier - 
wie im Osterwald - offensichtlich nicht vorgekommen. AuBerdem waren Stollen 
vorhanden, die das oberflachennahe Wasserabfiihrten. Unterhalb dieser Wasser- 
stollensohlen fand kein Abbau statt. Die auBerordentlich regelmaBige Ablage- 
rung in Kombination mit der qualitativ guten bis sehr guten Beschaffenheit der bi- 
tuminosen, schwarzen, stark glanzenden Kohle sicherten diesem Bergbau gute 
Entwicklungschancen bei reger Nachfrage bis hin zum Stift Loccum, nach Hil- 
desheim und Bremen. Christoph Sander verwies auf eine weitere Eigenschaft der 
Schaumburgischen Steinkohlen, die ihren Einsatz beim Schmelzverfahren sinn- 
voll machte: Die Kohlen eigneten sich ausgezeichnet als Zuschlage beim 
Schmelzprozess, da sie viel Spadt enthielten, wodurch die Metalle fliissig wurden 
und sich besser scheiden lieBen, ein Verfahren, das auch in Kursachen als dien- 
lich angewandt wurde. 56 Allerdings konnte die Steinkohlen aus Hohenbuchen in- 
sofern auch als Flussmittel eingesetzt werden, als sie Salpeter aufwiesen, deswegen 
sie diesen Ertzen [aus dem Rammelsberg] zuzuschlagen dienlich sein. 

Auch in derNahe vonjuliushall wurde im November 1584 zweimal Steinkohle 
angeschlagen, die sichjedoch nicht als abbauwiirdig erwies. Auch die Steinkohlen 
beiHelmstedterwiesen sich durch ihren Wassergehalt fur die Schmelzwerke als un- 
tauglich. Als Braunkohlen konnten sie nur zum Kalk- und Ziegelbrennen genutzt 
werden. 57 Spatestens seit 1584 waren aber die Steinkohlenvorkommen im Oster- 
wald bekannt, die ab 1588 auf Anordnung Herzogs Julius am Plattenbrink abge- 
baut wurden. Die Kohlen wurden zum Betreiben der Saline Salzhemmendorf 
eingesetzt. 58 Wochentlich wurden 12 Balgen (12 ctn) gewonnen und fur 3 mgr 
bzw. 2 gr 2 d 59 die Balge an den Bergschmied in Kalenberg verkauft, zumal 1585 
noch 124 Balgen in Vorrat lagen. Mit dieser moderaten Preissetzung sollten vor 



schaftspolitik. Biickeburg 1961 (zur Ausbeute der Steinkohlengruben s. S. 122-127). - Ders., 
Ein norddeutscher Renaissancefiirst. Ernst zu Holstein-Schaumburg 1569-1622. Bielefeld 
1994, S. 80. - Karl Heinz Schneider, Schaumburg in der Industrialisierung, Bd. 1, Vom Be 
ginn des 19. Jahrhunderts bis zur Reichsgriindung. Melle 1994. 

56 NBA Clausthal-Zellerfeld, Fach 4a, Nr. 20, Schreiben Christoph Sanders an Herzog" 
Julius von 1585 (o.D.). Spat war die alte Bezeichnung der Bergleute fur Minerale, die sich 

durch deutlich hervortretende Spaltbarkeit auszeichneten (Feldspat, Kalkspat, Schwerspat 
etc.). 

57 Im Revier Helmstedt begann die systematische Braunkohlenforderung 1794. 

58 Vgl. dazu Ernst Tacke, Uber die Aufnahme des Wealden-Steinkohlebergbaus am 
Osterwald durch Herzogjulius von Braunschweig im Jahre 1588; in: Neues Archiv fur Nie- 
dersachsen 1953, S. 264-269. 

59 Groschen, Mariengroschen (Rechnungsmunze 12 Pfennige); Pfennig (1 denarius 2 
Heller). 



202 



Hans-Joachim Kraschewski 



Tab. 2: Arbeiten am Stollen in Hohenbuchen 7572-1585 

(Angaben aus dem Schriftwechsel zwischen Herzog Julius und Christoph Sander; 
Quelle: NBA Clausthal-Zellerfeld) 



Datum 

Mai 1572 

Juni 1572 
1572-1577 
1578 

Miirz 1578 

April 1578 

Juli 1578 
Miirz 1580 
Juni 1581 

Juni 1581 

Juli 1582 
Juli 1582 

September 1582 



Mai 1583 
November 1584 

1585 



Bemerkungen 

Visitation der Lagerstatte durch Oberberghauptmann von 
Steinberg, Bergmeister Adner und den Geschwornen Valentin 
Fleischer und Georg Richter 
Abteufarbeiten fur einen Forderschacht 
Vorschlage zum Bau einer Wasserkunst 

Tonstein und Schwefelkies behindern die ErschlieBungsarbeiten 
Herzog Julius ist bereit, sich als Mit Gewercke in Hohenbuchen 
zu beteiligen 

Erneute Visation der Lagerstatte, da ein zweiter Floz mit 
Steinkohlen entdeckt wurde 

Sander: Man befinde, do an hundert orten angeschlagen, finde man 
Steinkohle (uf einen halben Lachter mechtig) 
Die Steinkohle stehe unter dem Schwefelkies 

Das Steinkohlenbergwerk im Amt Hohenbuchen sei noch nicht 
belegt, es mangele nur an Arbeitern 

Aus Herzog Erichs Landen sollten Fuhrleute gedungen werden, 
dass sie die Landgreenschen Steinkohlen zufuhren sollten 
Abteufschwierigkeiten: Es ist aber solchs Gestein noch wol zu erwei- 
sen, dan man den Arbeitern itzo acht lachter doruff fortzulegen verdinget 
und darzu 18 Mk zu geben zugesagt 

Zu Hohenbuchen ereugen sich die Steinkohlen wie zuvorn eine Zeit 
mechtiger dann die andere. Mit dem Aufwaltigen des Stollens soil 
fortgefahren werden 

Brechung einer Hornstatt: Anlage eines Haspelorts fur das Ausfor- 
dern der Kohle 

Stollenbruch mit Schachtaufwaltigung: Stillstand der Arbeit. 
Deren Fortsetzung werde dann viel kosten und schwerlich zu vermuten, 
das es efg einigen Nutzen schaffen konnte 

Bei einem 6 Lachter tiefen Gesenke ist man in diesem harten 
tonigen Gestein 

Bei weiterem Absinken um 6 Lachter wurde der Schacht 25Vz Lach- 
ter tief [49 m] und wird vor ratsam eracht, das dieses Gestein must 
durchsincket werden, do dan der Orter Steinkohlen vorhanden 
Teufe von 42 Lachter (81 m) erreicht 

Das Stollenwasser brennt wie Brantewein in die 52 Lachter (100 m) 
verbunden mit einer Schwefel- oder Salpeter-Explosion 
Beginn der regelmaBigen Kohlenabfuhr. Sander: Diese Wochen habe 
ich sechs Rosten auffem obern Bergwerck mit hohenbuchischen Steinkohlen 
arbeiten lassen 



Herzog Julius und der Kohlenbergbau bei Hohenbiichen 203 

allem die Schaumburgischen Kohlen geschont und nicht unter ruinosen Absatz- 
druck gesetzt werden. 60 

Zeitgleich wurde die Torfgewinnung auf dem Roten Bruch, unterhalb des 
Brockens zwischen Warmer und Kalter Bode, fortgesetzt: es muBte gepriift wer- 
den, wie die Torffe liegen, d.h. ihre Lage und Inhaltsstoffe beschaffen waren. Dieses 
Hoch- oder Regenwassermoor laBt sich nicht nur sinnvoll fur die Rekonstruktion 
historischer Erzverhiittung nutzen, sondern weist auch hin auf den Zusammen- 
hang von Torf und Braunkohlenbildung durch Entwasserung, Verdichtung und 
chemische Umwandlung der Torfinhaltsstoffe. Der Zehnter sollte weiterhin Torf 
stechen lassen. Angesichts seines fehlenden Engagements sei es notig, das er unter 
droge [Druck] gesetzt werde. Torftstecher sollten wieder, wie bereits zu Zeiten Hein- 
richs des Jiingeren geschehen, angelegt werden. Wie beim Projekt Steinkohle 
ging es um Einsparung von Feuerung. 61 Eine Salz-Probe mit drei Fudern Torf zu 
sieden machte Schwierigkeiten, da der Torf bei seiner Verwendung nicht trocken 
war und nicht hatte brennen wollen. Zudem erwies sich der eigens zu diesem 
Zweck gefertigte neue Brennherd als zu eng und zu hoch. Um groBere Mengen 
Torf trocken zu halten, sollte dieser Brennstoff auf der Schlittenbahn in den Un- 
terharz zur Harzburg heruntergebracht werden, um ihn in Salzkoten zu trocknen. 
Der Herd muBte umgebaut werden, um zum halben Sieden geeignet zu sein, je- 
doch gehet es uffernere Proben, so Sander an Herzog Julius, denn die beim weiteren 
Betrieb aufgetretenen technischen Probleme erforderten eine Unterbrechung der 
Versuche. Der Siedevorgang wurde eingestellt. 62 

Seit Herbst 1571 lieB Herzogjulius das Furstentum systematisch nach Torf ab- 
suchen, denn erhoffte, fahige Leute zu finden, die in der Lage seien, aus demselbi- 
gen Torffmachen Schmiedekohlen zu machen, so derDrost zurFiirstenau und Voerden, 
Franz Liming, der von dieser Absicht gehort hatte und mit einem Schreiben an 
den Berghauptmann Burghardt von Steinberg 63 dem Herzog Hilfe anbot: ihm sei 
dan dieser orts Landes hero einen des arbeids von Torffmachen Schmiedekohlen zu brennen 
und zu machen wolgelerntbekarmt, namlich der Schmiedjohann Mestmach, den er 
an die Ortere des Torffmachens abzufertigen anbot. 64 Der Verwendungszweck des 

60 Die Schaumburgischen Kohlen sollten nicht steckig gemacht werden (Christoph Sander an 
Herzogjulius, 29. Dezember 1585). 

61 NBA Clausthal-Zellerfeld, Fach 2a, Nr. 10, Protokoll einer Besprechung Herzogs Juli- 
us mit Christoph Sander und Wilhelm de Raet, 6. Mai 1575. 

62 NBA Clausthal-Zellerfeld, Fach 2a, Nr. 10, Schreiben Christoph Sanders an Herzog 
Julius vom 17. Dezember 1575. 

63 Statthalter Burghard von Steinberg war 1571/72 Oberberghauptmann auf dem Ober- 
harz. - Vgl. dazu Ekkehard Henschke, Landesherrschaft und Bergbauwirtschaft. Zur Wirt- 
schafts- und Verwaltungsgeschichte des Oberharzer Bergbaugebietes im 16. und 17. Jahr- 
hundert. Berlin 1974, S. 45. 

64 NBA Clausthal-Zellerfeld, Histor. Nachr., Fach 58, Schreiben Franz Liinings, Drost zu 



204 Hans-Joachim Kraschewski 

Torfs lag klar auf der Hand, zumal Herzog Heinrich der Jiingere Torf als Brenn- 
stoff hatte einsetzen lassen: Bei Herzog Heinrichen Zeiten hab einer die Ertze mit Torfen 
schmeltzen wollen. Da diese Versuche gescheitert waren, sollte eine andere Varian- 
te gewahlt werden, man konne es mit dem Schmieden versuchen. Herzogjulius wollte 
sich auf diese Alternative nicht einlassen, wann die (Schmelz)Ofen angerichtet, kann 
man es [das Schmelzen] mit Steinkohlen versuchen. 65 

5. Schwefelkies und Salpeter 

Neben der Steinkohle gait der erwahnte Schwefelkies zu Hohenbiichen als be- 
deutsam und abbauwiirdig, SFG es wollte angehen, mit dem newen Bergwerck uff 
Schwefel were es ein grosses. Jedoch lage es am Engagement der Fachleute, welche die 
sachen treiben und befurdern helffen, wie beispielhaft Oberzehntner Christoph San- 
der und Gabiel von Donop. 66 Von dem beibrechenden Schwefelkies nahm Georg 
Richter etliche Stufen 67 zur Probe mit, d.h. dieserKies wurde von Oberzehntner 
Christoph Sander in seiner Bedeutung dem Erz gleichgesetzt. So hatte auch der 
Schichtmeister des Reviers angefangen, den Schwefelkies zu treiben und ist willens, 
denselben her nachmals zu leuttern. 6& Allerdings erforderte diese Verbundforderung 
weitere Verlagsvorschiisse, da das bereits verordnete Geld hierzu nicht ausreich- 
te. Aus Schwefelkies (Pyrit, FeS 2 ) konnte etwa die Halfte seines Schwefelinhalts 
bei Luftabschluss in Destillationsvorrichtungen freigesetzt und niedergeschlagen 
werden. Dieses schon von Agricola fur das 16. Jahrhundert beschriebene Gewin- 
nunsgverfahren wurde jedoch am Rammelsberg nicht angewandt. 69 Vielmehr 
wurde stiickiges Roherz in den Hiittenbetrieben einer dreistufigen Haufenro- 
stung im Freien unterzogen, zu deren Befeuerung Steinkohle als Energietrager 
eingesetzt wurde (vgl. Abb. 4). Nach Lazarus Ercker (1565) 70 hatte Christoph 



Furstenau und Voerden, an Herzogjulius (18. August 1571). 

65 NBA Clausthal-Zellerfeld, Fach 3a, Nr. 15, Protokoll einer Dienstbesprechung zwi- 
schen Herzogjulius und Oberzehntner Christoph Sander (7. Marz 1580). 

66 Gabriel von Donop war Rat und Haushofmeister in Wolfenbiittel. Vgl. Helmut Sam- 
se, Die Zentralverwaltung in den siidwelfischen Landen vom 15. bis zum 17. Jahrhundert 
(Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens 49). Hildesheim, Leipzig 1940, 
S. 253. 

67 Handstiick von Gestein oder Erz. 

68 NBA Clausthal-Zellerfeld, Fach 3a, Nr. 16, Schreiben des Oberbergmeisters Peter Ad- 
ner an Christoph Sander (3. Juni 1581). 

69 Georgius Agricola, Vom BergwerkXII Biicher. Deutsch von Philippus Bechius. Ba- 
sel 1557, 12. Buch, S. 477 (Reprint, Leipzig 1985). 

70 Lazarus Ercker, Drei Schriften. Vom Rammelsberg und dessen Bergwerk, ein kurzer 
Bericht von 1565. Bearb. von Paul Reinhard Beierlein, hg. von Heinrich Winkelmann. Bo- 
chum 1968. 



Herzog Julius und der Kohlenbergbau bei Hohenbiichen 



205 




Abb. 4: Rosthaufen im Freien 
(Georg Engelhard von LohneyB, Griindlicher und auBfiihrlicher Bericht von Bergwerken, 1617) 
A Das erste Feuer der Roste, welches man rohe Roste nennet 
B Werden die Roste von dem ersten Feuer zum andern geschiittet 
C Das Schwefel fangen von dem ersten Feuer 
D Das Schwefel fangen auf eine andere Art 
E Die Schmelzhutten F Die Roste wenden 



206 Hans-Joachim Kraschewski 

Sander bereits nach 1560 bei der ersten Rostung (und nurbei dieser) Mulden in 
die waagerechte Oberflache der Rosthaufen eingetieft. In denen sammelte sich 
fliissiger Schwefel. Dieser mit Kellen ausgeschopfte Rohschwefel gelangte in der 
Regel zur Lauterung (Reinigung) durch Umschmelzen. Auf diese Weise wurden 
am Rammelsberg jahrlich etwa 200 Zentner Schwefel gewonnen. 

Im November 1584 brannte das Stollenwasserin Hohenbiichen auf einer Lan- 
ge von 52 Lachter (100 m) wie Brantewein, begleitet von einer anschlieBenden Ex- 
plosion, also auch das die bretter iiber dem Loch abgefallen und dahero vermutlich, das es 
schweflige oder salpeterischer Natur sein miiBte. Durch eine Probe sollte geklart wer- 
den, ob die Wasser zum Salpetersieden geeignet seien oder eine andere Eigen- 
schaft in sich hatten, welche durch ordentliche Processus herauser gebracht werden much- 
ten. 71 Steinkohlen waren bis dahin nur in geringen Mengen gefordert worden. 

Bei derSalpetergewinnung stellten Christoph Sander und Herzogjulius prakti- 
sche Aspekte der Durchfiihrung in das Zentrum ihrer Uberlegungen. Der fiir die 
Anfertigung von Brandsatzen und die SchieBpulverbereitung sowie die Edelme- 
tallurgie (Metallscheidung) unentbehrliche Salpeter, Kaliumnitrat (KN0 3 ), wur- 
de in Salpeterhiitten aus Salpeterwasser bzw. Salpetererde gewonnen. Die durch 
Auslaugen (Aschelaugen) der Salpeterminerale bereitete Losung wurde mit ge- 
brandtem Kalckund Holzasche versetzt, um Kalium und Carbonat zuzufiihren und 
damit Calciumcarbonat zu gewinnen, das zu einer bedeutenden Reinigung der 
Losung fiihrte. 72 

Die Produktion von Salpetersaure erforderte griindliche Methoden der Tren- 
nung und Reinigung von Salzen, wobei die Verfahren des Losens und Kristallisie- 
rens - wie bei der Vitriolgewinnung - eine besondere Rolle spielten. 73 Da die Ko- 
sten fiir die Gewinnung relativ hoch waren (infolge hohen Ernergieverbrauchs) , 
muBten vorhandene Anlagen moglichst vielseitig genutzt werden. Es sei aber Sfg 
an Kalck viel gelegen. Nuhn hab der Oberzehntner Sfg eine Gelegenheit z.u Langelsheim 
Kalckbrennen vorgeschlagen. AuBerdem sollten dann auch die Fuhrleute, welche Wa- 
ren anhero [nach Langelsheim] bringen, Steinkohlen wieder abfuhren, welche zu Sfg 
Schmiedewerk am Harzgebraucht werden sollen. Und daraufzu denken, indie Vitriolfesser, 



71 NBA Clausthal-Zellerfeld, Fach 3a, Nr. 18, Herzogjulius an Oberverwalter Christoph 
Sander (21. November 1584). 

72 NBA Clausthal-Zellerfeld, Fach 3a, Nr. 15, Aus dem Protokoll einer Bergamtsbespre- 
chung, 7. Marz 1580: Herzogjulius: Der Landgrave [Wilhelm IV. zu Hessen] rbste Kupfererze mit 
Steinkohlen, brenne auch GlajS damitt. Item Kalck. - Vgl. dazu Hans-Henning Walter, Chemi- 
sch-technische Verfahren im Buch XII von „De re metallica"; in: Friedrich Naumann (Hg.), 
Georgius Agricola - 500 Jahre. Basel, Boston, Berlin 1994, S. 267-274. 

73 Hans-Joachim Kraschewski, wie Anm. 11, Quellen zum Goslarer Vitriolhandel, 
S. 23-28. 



Herzog Julius und der Kohlenbergbau bei Hohenbiichen 207 

welche noch genug (vorhanden) , Steinkohle zu packen. 7 * Auf diese Weise konnte eine 
sinnvolle Auslastung der vorhandenen Transportkapazitaten erreicht und die ab 
1585 von Hohenbiichen zum zentralen Stapelplatz Langelsheim verfrachtete 
Steinkohle weiterer Verwendung, besonders dem Schmiedehandwerk, zugefiihrt 
werden. Da zudem bei Helmstedt seit Herzog Heinrich des Jiingeren Zeiten ein 
Bergwerk auf Alaunschiefer bzw. Alaunerde betrieben wurde, hatte das Fiirsten- 
tum breite empirische Kenntnisse in der Abfolge der einzelnen Verfahrsschritte 
bei der Gewinnung von Mineralsauren: durch Abkiihlungskristallisation in Holz- 
fassern an eingelegten Rohrstengeln konnte ein sehr reiner Alaun gewonnen wer- 
den. 1582 muBte Christoph Sander dem Landesherrn allerdings mitteilen, so viel 
das Alaun-Bergwerck zu Helmstedt betrafe, sein efg. vor nun gehaltener Rechnunge in 
Underthenigkeit beredt, das daselbst efg aufNutz, weil der Alaun also [im Preis] gefallen, 
nichts auszurichten, viel weniger efg weiter raten zu bauen. 75 Der Alaun wurde ebenso 
wie das Vitriol fur die Farberei und Gerberei benotigt. Mit Beginn der regelmaBi- 
gen Steinkohlenforderung in Hohenbiichen 1585 (bis 1592/93) verordnete Her- 
zogjulius den Schmieden des Fiirstentums, nur Stein- und keine Meilerkohlen zu 
verwenden, und er selbst verfaBte eine Anweisung, wie bei den Schmelzhiitten, 
Vitriolsiedereien und Salzwerken Steinkohle einzusetzen sei. 76 

6. Fazit 

Der Zeitraum fiir die Aufschlussarbeiten des Reviers Hohenbiichen umfasste na- 
hezu die gesamte Regierungszeit Herzogs Julius (1572-1585) - eine bemerkens- 
wert ausdauernd betriebener energiepolitischer Pragmatismus, um den Holzver- 
brauch beim Schmelzwerk kontrolliert einzuschranken. Eine effiziente Kosten- 
einsparung bei der Silber- oder Bleiproduktion auf den Hiitten am Rammelsberg 
konnte dabei allerdings nur zeitweilig in der Phase nach 1586 erreicht werden. 
Beim dreimaligen Haufenrosten von Erzen (im Freien) auf der Frau-Sophien- 

74 NBA Clausthal-Zellerfeld, Fach 2a, Nr. 13, Protokoll einer Besprechung iiber die 
Steinkohle im Amt Hohenbiichen (17. Juli 1578). 

75 NBA Clausthal-Zellerfeld, Fach 3a, Nr. 17, Schreiben des Oberverwalters Christoph 
Sander an Herzog Julius (5. September 1582). 

76 Hess. StA Marburg, 4a Landgraf Wilhelm IV., 32, Nr. 10: Nach umfangreichen Vorar- 
beiten iiber mehrere Jahre, so Herzogjulius, sei es gelungen, daji nunmehr gute reine Steinkoh- 
len die menge gewonnen werden konnen, wie wir sie dan aslbald so wol zum Schmiedehandwerek als 
zum Kalck: und Ziegelbrennen versuchet und sie just und gut befunden haben. Begeren demnach gnedig, 
daji ihr den Schmiedegilden in unsern Stedten, Flecken und Dor fern wolfenbuttelschen und calenbergi- 
schen Teils, auch in der Grafschaft Hoya, dieses kunt tut und sie vermanet, das sie hinfurder solcher Ho- 
henbuchischer Steinkohlen gebrauchen (Verordnung vom 22.Juni 1585). - Vgl. auch NStAWol- 
fenbiittel, 40 Slg 848, 31. Mai 1588, Ausschreiben und Befehl an alle Amtleute, Steinkohlen- 
berg- und Salzwerck im Furstentum fur Fremden in acht zu haben. 



208 Hans-Joachim Kraschewski 

Hiitte wurde zwischen 1585 und 1593 wiederholt Holzkohle durch jahrlich bis zu 
1.200 Balgen Steinkohle ersetzt. Doch das waren marginale Mengen fur den 
Brennstoffverbrauch, gemessen an dem Volumen, das die Schmelzofen an Ener- 
gie benotigten. Es fehlte vorwiegend die Einfiihrung einer geeigneten Schmelz- 
ofentechnik im Hiittenwesen, die eine konsequente, wirtschafdich vertretbare 
Verwendung von Steinkohlen ermoglicht hatte. Schon jede Veranderung der Ab- 
messungen der Schachtofen in Hohe und Breite stellte die Schmelzer vor neue 
metallurgische Probleme, deren Losungen empirisch zu erarbeiten waren. Denn 
der Durchsatz von groBeren Mengen an Erz, Kohle und Zuschlagen als der durch- 
schnitdichen Quote von 3 t Erz /Tag bewirkte eine Veranderung der chemischen 
Reaktionen im Inneren der Ofen. Und diese waren bis in die Mitte des 19. Jahr- 
hunderts nurunzureichend bekannt. Vor allem durch Erfahrungswissen, mit dem 
hiittenmannischen Probieren oder Probeschmelzen wurden die Vorgange in den 
Ofen gesteuert. Ob solch ein Ofen rentabel arbeitete oder nicht, hing nicht von 
den weitgehend fixen innerbetrieblichen Kosten oder Investitionen der Hiitten- 
werke ab, sondern von den auBerbetrieblichen Aufwendungen fiir Erz und Holz- 
oder Steinkohlen, der Entfernung der Hiittenbetriebe von den Lagerstatten und 
der Qualitat der Kohle. In dieser Relation traten die Transportprobleme von Ho- 
henbiichen nach Langelsheim nicht iiberproportional hervor, die Wegstrecke 
wies bei einer Entfernung von iiber 50 km eine mittlere Distanz auf, die zwar ko- 
stenaufwendig, aber wirtschaftlich ohne iibermaBige Anstrengungen zu bewalti- 
gen war. 

Jedoch besaB die Steinkohle am Hils nur geringen Heizwert, da sie viel Bei- 
mengungen (Tonstein, Schiefer) und Wasser enthielt. Ihre geringe Machtigkeit 
war fiir eine kontinuierliche wirtschaftliche Gewinnung unzureichend. Konrad 
Schermer, Amtmann zu Greene, qualifizierte die Steinkohle von Hohenbiichen 
in einem Schreiben an Christoph Sander mit dem Satz: IchsollEgauch nicht vorhal- 
ten, daft mir die Leute, so bevorn Stein Kohle darhin auf die Hiitten gebracht, von den 
Schmeltzern oder wer die sein muchten, ubel abgerichtet undsagen sollen, was das Zeug ma- 
chen sollte, dor ligge bereit Drecks genug, sie wissen darmit nichts zu machen. 77 Zweifellos 
standen Berg- und Hiittenleute jeder Neuerung skeptisch gegeniiber, wenn sie ih- 
nen zusatzlichen Arbeitseinsatz abforderte. Und da Berg- und Hiittenarbeit 
schwere korperliche Anstrengung bedeutete, war Zuriickhaltung stets geboten. 
Problematisch war aber die geringe Lagerfahigkeit dieser Steinkohle, da sie durch 
Vergrusen 78 schnell an Heizwert verlor. Insofern wollten die Schmelzer keine 
groBeren Lagerbestande auf den Hiittenhofen anlegen. 



77 Vgl. AnhangV(1585). 

78 Nun werden gleich woll die besten Stein Kohlen, und nicht die kleinen (welche gantz und gar zu 
gruwen und Aschen werden) dor hin gebracht, sollten die nicht Nutz sein, wollte meinem gf und Herrn 



Herzog Julius und der Kohlenbergbau bei Hohenbiichen 209 

Teilweise wurden Kohlen und Schwefelkies im Verbund ausgebracht, um die 
Forderung rentabel zu gestalten. Dieser Bergbau erforderte laufend erhebliche 
Zuschiisse, da die gewonnene Kohle schlecht absetzbar war. Schmelzhiitten und 
Salzwerke verweigerten ihre Annahme. Wenn sie Steinkohle verwendeten, grif- 
fen sie eher auf Schaumburger Glanzkohle zuriick. Die Steinkohle aus Hohenbii- 
chen wurde zu iiblichen Marktpreisen angeboten (15 mgr fur den Balgen), zuziig- 
lich 1 gr Waagegeld, was bei den Abnehmern auf Ablehnung stieB, da sie im Ver- 
gleich zu der aus Schaumburg als zu teuer gait. 

Die Schmiede des Landes bevorzugten die Steinkohle vom Osterwald, die fur 
eine lang vorhaltende Energieleistung sorgte, aber nur in geringen Mengen zur 
Verfiigung stand. Geeignet war die Kohle aus Hohenbiichen zum Kalk- und Zie- 
gelbrennen auf den Baustellen des Landes Braunschweig. Vom Erz-Bergbau am 
Rammelsberg wurde die Vorstellung iibernommen, Steinkohle zu entschwefeln, 
so wie es auf derFrau-Sophien-Hiitte beim Abrosten sulfidischerErze geiibte Pra- 
xis war, damit bei kleinem Feuer der dunst und spritus sulphuris mit verrauche. 79 Mit 
dieser entschwefelten Kohle als Brennstoff sollten in Wolfenbiittel Stuben, Kami- 
ne und Schornsteine ohne giftige Gase, Rauch- und Gestankbelastigung beheizt 
werden. Auch dieser beabsichtigte Verwendungszweck der Mineralkohle konnte 
nicht realisiert werden: Die Feuerungstechnik der Herde und Ofen entsprach 
nicht den Anforderungen fossiler Brennstoff e, sie zersprangen, die Kohle verruB- 
te und verbrannte nicht zu Asche. Bei der Arbeit mit Steinkohle fehlten begleiten- 
de technische Veranderungen der Ofenkonstruktion. AnstoBe zu Modernisie- 
rungsprozessen fur die Hiittenwerke erfolgten erst in der zweiten Halfte des 18. 
Jahrhunderts. 

Wenn zur Zeit Herzogs Julius Steinkohlen durch das Verfahren der Verkokung 
veredelt sein sollten, wie Hans Otto Gericke berichtet, 80 dann miiBte zumindest 



die zu weinig und furdem zu mercklichem Schaden gereichen: Grusbildungen entstanden als Anhau- 
fung von erbsengroBen Kohlenstiicken durch Verwitterung. Bei Verfeuerung der kleinen 
Steinkohlen verruBten die Ofen, insofern war sie wertlos. 

79 Beim Rostverfahren erfolgte ein starkes Erhitzen sulfidischer Erze unter Luftzutritt, 
wobei der Sulfidschwefel zu Schwefeldioxid (S0 2 ) verbrannte und in dieser Form gasformig 
entwich. Grobstiickige Rammelsberger Erze wurden in der Haufenrostung im Freien, fein- 
kornige Konzentrate wie der Oberharzer Bleischlieg in Rostofen abgerostet. Am Rammels- 
berg wurde das Roherz, so wie es aus der Grube kam, ohne besondere Aufbereitung an die 
Hiitten zur Verarbeitung abgegeben. Auf den Hiittenhofen wurde das Erz einer dreimaligen 
Haufenrostung im Freien unterzogen: Die ersten beiden Rostungen dauerten jeweils 4-5 
Wochen, die dritte 12-14 Tage. 

80 Hans Otto Gericke, Die Verwendung von Koks bei der Erzverhuttung im mitteldeut- 
schen Raum um 1584; in: Technikgeschichte 66, 1999, S. 93: Gericke zitiert aus einem 
Schreiben, das die Salpetergewinnung darstellte: „Item IFG expracticiret, das man soil 
Steinkolen nehmen, dieselben mit verdembten Feuer wohl verlutiret gliien, damit der Dunst 



210 Hans-Joachim Kraschewski 

geklart werden, um welche Kohlen aus welchem Revier es sich dabei handelte, 
denn unbrauchbar fur dieses Verfahren war die Mattbraunkohle aus dem Hils- 
Revier, sowohl aus Hohenbiichen wie aus Duingen: Der Wassergehalt dieser 
Kohle lag weit iiber dem Limit von 7%, und die fliichtigen Bestandteile betrugen 
mehr als 20-40% des Vo lumens. Wenn es zur Verkokung kommen sollte, musste 
sorgfaltig ausgewahlte Kohle vorhanden sein, die geeignet war, z.B. im Meilerver- 
fahren unter Luftabschluss bei Temperaturen von iiber 900° C (die also wesent- 
lich hoher lagen als bei der Holzkohlengewinnung) oder in einem Koksschacht- 
ofen zum Schwelen gebracht zu werden. 81 Doch bereits diese Voraussetzung war 
eindeutig nicht gesichert. 

Die Grenze der Bauwiirdigkeit dieser Lagerstatte als Tiefbau wurde nur zur 
Zeit Herzogs Julius iiberschritten. Schon kurze Zeit nach dessen Tod (1589) wur- 
de die Forderung eingestellt. Die Bedeutung dieses Reviers blieb zunachst punk- 
tuell begrenzt. Eine iiber langere Zeit bedeutsame Steinkohlenforderung erfolgte 
dagegen im Schaumburger Revier, die dortige Glanzkohle erfiillte Qualitatskrite- 
rien und lieB sich aufgrund ihrer giinstigen Verkehrslage preisgiinstig auf dem 
Landweg zu den Zentren des Bedarfs transportieren. 

Dennoch bleibt zu wiirdigen, dass Herzogjulius den AnstoB gab, dieses Revier 
am Hils mit seiner Mineralkohle als Alternative zur teuren Holzkohle fiir die Hiit- 
tenwerke bei Goslarin die Bergbau- Region Harz einzubinden. Die Bemiihungen, 
zwischen 1764 und 1766 Steinkohlenbergbau bei Diiderode aufzunehmen, wei- 
sen auf die Vorformen des 16. Jahrhunderts zuriick, desgleichen die 1794 bei 
Helmstedt einsetzende Braunkohlenforderung, nachdem bereits 1725 der erste 
Kohlenfund nach dem DreiBigjahrigen Krieg registriert wurde. Die innovativen 
Versuche in derzweiten Halfte des 16. Jahrhunderts, eine Wechselbeziehung zwi- 
schen Erz und Kohle herzustellen, um die Energiesituation fiir das Hiittenwesen 
und Gewerbeleben zu verbessern, hatten richtungweisende, impulsgebende Be- 
deutung. Die historische Entwicklung des Mineralkohlenbergbaus wies in den 
genannten Revieren eine Reihe von Parallelen auf, dennoch verlief sie nicht 
gleichformig, abermitEinschnitten nahezu kontinuierlich: Das Direktionssystem 



und Spiritus dem sulphuris mit verrauche". Dieses Zitat wertet er als deutlichen Beweisfiir die 
Kenntnis der Entgasungvon Steinkohle bei grofier Hitze, wobei u.a. der fiir die metallurgischen Prozesse 
schddliche Schwefelgeha.lt entwichen sein diirfte. Und seine Schlussfolgerung lautet dann: Zwei- 
felsfrei war damit experimentell die Verkokung von Steinkohle bekannt und geldufig- in der Tat eine 
kiihne Konsequenz auf relativ schmaler Quellenbasis. 

81 Wird Kohle unter Luftabschluss von Umgebungstemperatur auf iiber 900° C er- 
warmt, so finden im und um das Kohlekorn herum Umwandlungen statt, die von einem 
komplizierten Warme- und Stofftransport begleitet sind, ein Prozess, der als Verkokung" be- 
zeichnet wird. Es entweichen fluchtige Zersetzungsprodukte (Fliichtige Bestandteile), als fe- 
ster Riickstand verbleibt der Koks. Vgl. Michael Farrenkopf (Hg.) , Koks. Die Geschichte ei- 
nes Wertstoffes, Bochum 2003, Bd. 1, S. 4f. 



Herzog Julius und der Kohlenbergbau bei Hohenbiichen 211 

mit seinem effektiven Verbund von Zentralisierung und Vereinheitlichung er- 
leichterte Landesherren mit ihren Bergbehorden den Kenntnis- und Technik- 
transfer vom Erzbergbau auf die Kohlegewinnung - vorausgesetzt, sie hatten ein 
okonomisches Interesse an der vielfaltigen Nutzung von Mineralen und Fossilien. 
Das wiederum fiihrte dann zu weitreichenden Veranderungen im Braun- und 
Steinkohlenbergbau insgesamt. 



ANHANG 



1. Wolfenbuttel, 1578 Marz 7 

Vermerk Herzogs Julius fur den Oberzehntner Christoph Sanderbetr. Steinkohle in 
Hohenbiichen. 

NBA Clausthal-Zellerfeld, Fach 2a, Nr. 13 

Wir wollen auch, das du wegen unsern bevehlzu volge etliche Geschworne von beiden unsern 
Bergwercken nach unserm Ambt Hohenbuchen abfertigest, und dieweil doselbst am Muhten 
iiber dem vorigen alien Gange (nach HertzogErichen teils nach dem Streichenden undHan- 
genden) uffs newe Steinkohlen, einerhandt mechtig, ereuget, auch Schwefelkies daselbst vor- 
handen ist, sie diese beide orter befahren und besichtigen lassest, und darnach uns unter 
beiden Geambten Siegell berichtest, mit was Hoffnung alda zu bauen. Und dieweil wir hir- 
bevordurch unsern Grofvogt Carl Capaunen von Zwiekaw und Ernst Gar fen diese Stein- 
kohlen: und Schwefelbergwerck besichtigen, auch vor zweienjahren eineProb alhie von dem 
Schwefelkies machen lassen, so thun wir hiemit die besichtigung und angestelte Proben 
uberschicken. 



2. Goslar, 1582 September 13 

Schreiben des Oberverwalters Christoph Sanderan Herzog Juliusbetr. Steinkohle in 
Hohenbuchen. 

NBA Clausthal-Zellerfeld, Fach 3a, Nr. 17 

Gnediger Furst und Herr, ich habe diese Woche den Geschwornen Valentin Fleischer nach 
der Hohenbuchen gehabt und den Stollen und Gesencke befahren lassen, dieselbe mit beige- 
warten Handstein mit ein wenig Steinkohlen mit gebracht, und beredt, das der Stollen des 
Oris von der Warp nidder 13 Vi Lachter tief und sein daselbst ein Hornstadt 82 gebrochen 



82 Haspelort. 



212 Hans-Joachim Kraschewski 

undein Gesencke 83 angefangen, welchs itzfi in die 6 lachter und 7 Viertel 84 tief, daselbst in 
dem Gesencke habes siilchen zanigen drucken Stein und z.u zeiten mit sulchen nestlein Stein- 
kohlen vermenget, und habe gantz keine Grundwasser und habe dem Steigernoch 6 Lachter 
zu sincken verdinget. Wann die ufgefahren, wurde der Schacht 25 Vi Lachter tief 85 und 
wird vor ratsam eracht, das dieses Gestein must durch gesincket werden, 86 do dann der Ort- 
ter Steinkohlen vorhanden. Miifiten sichjefinden lassen, denn die Leutichschen haben alzeit 
gesagt, solcher Stein were der Steinkohlen ir Dach. 

3. Wolfenbuttel, 1583 November 15 

Vermerk Herzogs Julius fur Oberzehntner Christoph Sander hetr. Steinkohlenvor- 
kommen in Hohenbiichen. 

NBA Clausthal-Zellerfeld, Fach 3a, Nr. 18 

Lieber Getreuer, voir befehlen hiermit gnedig, du wollest ufunsern Steinkohlen zurHohen- 
buchen die Versehung thun, damit die groben und kleinen Steinkoln, nach Steinkoln berg- 
wercks gebrauch geredet und nach balgen Zahlgemessen, uns auch dieselben unterschiedlich, 
wie denn daneben auch die vermischten Steinkohlen, welche wir dann zuverbrauchen wi- 
sten, gleichfalls gemessen und anhero geschickt werden. 

Dieweilauch an der Greinitzzwischen der Seesischen und StaufenburgischenForst, in der 
Schnackengrund am Schwalenberge, eine gewaltige Lette 87 und darin ein Kief angetroffen 
sowohl auch in der Walmischen Holzungen, welche zu unsern Rammelbergischen Hutten 
verkolet werden, unter einem Brunnen bei einem alten Teiche ein Schieffer angetroffen, wel- 
cher gebrant ein lichte Flammen gebe und wie Steinkoln riechet. 88 So wollest du diese beiden 
orter unterschiedlich belegen undversehen lassen, was Gottdas uns vor gluck geben mochte. 

4. Zellerfeld, 1586 November 29 

Schreiben des Zehntners, Ober- und Unter Bergmeisters, Geschwornen und andereriJg- 
amten der Oberen Zellerfeldischen und Wildemannischen Bergwerke an Ober- 



83 Kleiner Schacht (ohne Verbindung zur Erdoberflache). 

84 12 m. 

85 49 m. 

86 Durchsinken o einen Schacht niederbringen. 

87 Lette, Latte Tonschicht (Letten sind wenig verfestigte, oft schieferschuppig zerfallende Tone. 
Im Gegensatzzu echtem Schiefer [Dachschiefer] quillt Lettenton bei Wasserzugabe und bildet getrock- 
nete Schuppen, Heinz Kolbe, wie Anm. 49, S. 115). 

88 Olschiefer, bituminoser Schiefer, reich an Bitumen und tierischem 01, in der Regel 
weist er zahlreiche Fossilien auf. 



Herzog Julius und der Kohlenbergbau bei Hohenbiichen 213 

zehntner Christoph Sander betr. Visitation des Schaumburgischen Steinkohlen- 
bergwerks. 

NBA Clausthal-Zellerfeld, Fach 4a, Nr. 21 

Ehrntvester und Erbarer Herr Oberster Verwalter. 

Ufffurstlichen befehlich, so voir sub dato den 30. Octobris mit geburlicher reverentz ent- 
fangen, haben voir den Geschvoornen Hans Detzeln beneben ChristoffDobitzern,Markschei- 
dern, ins Stift Luckem 89 abgefertiget und das Steinkohlenbergvoerck, so sich doselbsten an 
der Schaumburgischen Grentze bey dem Knick ereuget, in Augenschein nehmen und befahren 
auch beratschlagen lassen, voie in dem alten Schacht sonder grojie Uncosten gut Wetter zu 
fuhren sein voolle. 

Undt haben itzgedachte bey den abgeschickte zu ihrer voieder alhier kunft Bericht getan, 
das sie 

7. im Schacht, so eylfLachter 90 vom tage nieder gesuncken, oben ein schmal Fletz Steynkol- 
len einer Handtbreyt, welches aber gar unartig, undfolgents noch einFletz, bei 3 tiLachter 
dick 91 so auch mit Unart vermenget befunden, auch unter denselben noch ein FletzKol- 
len einer guten Handt breyt, darvon sie etzliche zurProba mitgenohmen, so e.e. hiermit 
zuentpfangen. 

2. Ferner unter diesem ereuge sich im 3. Lachter 92 noch ein Fletz, eine Querhandt dick, so 
auch mit Kohlen und Schiefer vermengt, und unter demselben sey der Schacht nochfunf 
Lachter 93 abgeteuft und befinde sich ein Schwartz schiefrig Gebirge mit einem schwart- 
zen Kollenmul(d)en. 

3. Undt nach deme vermutlichen, daji undter demselben noch ein Fletz vorhanden, sinte- 
mahl im Schacht kein Wasser vorhanden, man aber Welters halber nicht tieffer nieder 
kommen kann, als sehen sie fur ratsam an, das man noch einen Schacht neben diesen al- 
ten angefangenem und niedergesuncken, wie dan des Oris ihrem bericht nach, leichtlich 
geschehen kann. Undt alsdan mit einem Durchschlag Wetter herein gefiihret hette, damit 
man so tief kommen und sonder grojie Uncosten erfahren kondte, wie sich solche Stein- 
kohlen Fletz in der Teufe anlassen und ereugen wollten. So alsdann gute Kollen verhan- 
den, alsdann kondte ein Stolln angefangen und diesem Bergwercke nutzlichen geholfen 
werden. 

4. Was dann auch ferner den Eisenstein, 94 so sich auch des Orts ereugen solle, belangen 
thut, denselben haben wir durch Paul Schleusing an etzliche Ortern entblojien lassen und 



89 Stift Loccum (am Steinhuder Meer) 

90 21 m. 

91 1,44 m. 

92 Teufe von 5,77 m. 

93 9,60 m. 

94 Toniger Siderit. 



214 Hans-Joachim Kraschewski 

wird dessen % Lachter 95 unter der Dammerde nur nieren: und fletzweise zweier und 
drey er Finger mechtig, wie gegenwertige Handsteine 96 ausweisen, befunden. Wie solches 
dann auch beyde Geschwornen auch selbsten gesehen und weil solcher am Anbruch gar 
geringe, ah wissen sie daruf Uncosten zuwenden U.G. Fund Herrn nicht zuraten, wie 
denn hiervon ChristoffDobitzere.e.fernerallerseits mundtlichen bericht thuen wirdt. 

Und haben es e.e. unvormeldet nicht lassen sollen und sindt denselben zu dienen iederzeit 
willig und gefliefen. 

Geben Zellerfelt dem 29. Novembris A" :86 
E.E. dienstwillige 
(ut supra) 

5. Greene, 1585Juli 5 

Schreiben Konrad Schermers, Amtmann zu Greene, an Oberzehntner Christoph 
Sanderbetr Kohlenfuhren von Hohenbiichen nach Langelsheim 

NBA Clausthal-Zellerfeld, Fach 4a, Nr. 22 

Mein freundtlich dienst zuvorn. 

Ernvester, Erbar und wolgeachter grofgunstiger Herr und guter freundt. 

Hierbei uberschicke ich noch 24 Fuder Stein Kohle, und habe ihnen befohlen, daji sie der 
grobsten und bestenjeder 40 Balgen, 97 auf laden und auch zu stett bringen sollen, in massen 
ich mir thu vorsehen, dafi es auch geschehen wirdet. 

Und soil Eg nicht vorhalten, dafi ich injungst meiner gethanen Ambts rechnung von mei- 
nem gf und Herrn vorstanden, daji Sfg etwas ungeduldig gewesen sein, dafi die Ambts Un- 
terthanen des Ambts Hohenbuchen und Green umb das frachtlohn nicht mehr Stein Kohle 
gefurt hetten, dan geschehn, und weil Ich hochgedachte Sfg in underthanigkeit nicht allein 
berichtet, ich hette bei den Greenschen Ambts Underthanen, sondern auch bei den Ganders- 
heimbschen angehalten, daji sie Stein Kohle fur en mochten und doch nicht dahin bereden 
konnen, sondern allerhant beschwerung eingewandt, haben hochgedachte Sfg damit stillege- 
schwiegen. 

Wan ichgleich woll der selbigen beste und gemeinen Nutzgern gefurdert sehen mochte, als 
habe ich diese Wagen der stercksten Ackerleute, welche nicht haben konnen allein fahren, 
zween lassen zusammenspannen, daf ich obgedachte 24 Fuder aufgebracht, diese Fuer zu 
thun. Und muf in Wahrheit bekennen (wie Eg auch selbst wissen), dafi die armen Leute im 
Ambt Hohenbuchen und Green vor den holtzern schwache Fuerleute sein, haben Karren und 



95 1,44 m. 

96 Belegstiick fur einen neuen Kohlenfund (faustgroB). 

97 40 Zentner (ctn). 



Herzog Julius und der Kohlenbergbau bei Hohenbiichen 215 

holtzern Wagen, konnen kein reife Fuer thun, die besten Ackerleute aber im Gericht Green 
wohnen in seeks Dorffern bei derLeine, haben von Haus aus bis dar die Stein Kohle gewon- 
nen dritte halbe Meile, 98 das sein kin und herfiinfMeile, das thut in alles kin und her 15 
Meile, thun sich die Leute beclagen, mussen also 3 Tage darzu haben und danach 2 Tage im 
Herrendienste sein, ah sein ein Woche fast darhin, konnen sich selbst alsdan nichts thun, 
konnen ihren Pferden kein Korn geben, dafi die Tag fur tage arbeiten konnen, wie die stetigen 
Fuerleute thun. 

Als bin ich vorursacht, solche der armen leute beschwernuf hochgedacht, unserm gfund 
herrn zuzuschreiben, auch dar beneben, dafi etliche Dorfer im Ambt Witzenburg," Gan- 
dersheim, Sesen, Bilderla, auch Woldenberg, von die richte 10 ° von Hohenbuchen ab gein 
Langelsheim gerechnet, besser und neher Weges gelegen, von den geringen Leuten im Ambt 
Greene. Do nuje Sfg die Stein Kohle dor hin haben wollten, wer mein gut bedenckent, daf 
jedem Ambt nach gelegenheit ein Tag umb billig frachtlohn, wie diesen gegeben, auferlecht 
wurde, wer villeichte den Leuten mit dem gelde gedienet, und noch von diesen Ambten ein 
gantz anzall Kohle dor hin gebracht und von die weiter statt bestellt, solchs abermal geschen 
konnte, sonsten were es weniglich, das die Kohle durch die Greenschen konten dor hin ge- 
bracht werden. Was nu Sfg gnediges Bedenken darauf sein und erfolgen wirdet, kann ich 
nicht wissen, Eg aber konnen es bei Sfg also zu wercke richten, sonsten werden weinig Stein 
Kohle darhin kommen konnen. 

Ich soil Eg auch nicht vorhalten, dafi mir die Leute, so bevorn Stein Kohle darhin aufdie 
Hiitten gebracht, von den Schmeltzern oder wer die sein muchten, ubel abgerichtet undsagen 
sollen, was das Zeug machen sollte, dorligge bereit Drecks genug, sie wissen darmit nichts zu 
machen. Nun werden gleich woll die besten Stein Kohlen, und nicht die kleinen (welche 
gantz und gar zu gruwen und Aschen werden) dor hin gebracht, sollten die nicht Nutz sein, 
wollte meinem gfund Herrn die zu weinig undfurdem zu mercklichem Schaden gereichen. 

Weil ich nu des keinen gruntlichen Vorstant habe, lasse ichs in seinen werden bleiben, 
welchs Eg ich, der erheischeten Notdurft nach, dienstlich nicht habe mussen, guter getreuer 
wolmeinung, denen ich alzeit ungesparts fleifi noch bests meines vormugens gem dienen 
mag, neben Befehlung in Gotts gnedigen Schutz und Schirm, nicht wollen verhalten. 

Datum Green, den 5.Julij A [15] 87 

EFG 

dienstwillger 

Cunrad Schermer 



98 2 1/2 Meilen (1 Meile ca. 7,400 km). 

99 Wittenburg am Osterwald. 

100 Aus der Richtung. 



216 Hans-Joachim Kraschewski 

6. Greene, 1587 September 7 

Schreiben Konrad Schermers, Amtmann zu Greene, an Oberzehntner Christoph 
Sander betr. Kohlenfuhren von Hohenbuchen nach Langelsheim durch Hand- 
und Spanndienste. 

NBA Clausthal-Zellerfeld, Fach 4a, Nr. 22 

Mein freundtlich dienst zuvorn. 

Ernvester und Erbar gunstiger Hen und guter freundt. 

Euergunste abermalige Schreiben der Steinkohlen fuer habe ich entpfangen undeinhalts 
vorstanden. Gebe Eg hiemit freuntlich zuerkennen, daji ich gantzgerne die befurderung an 
der Stein Kohlenfuer thun wollte, alles, was muglich wehre, aberjetzt tuht mgfund Herrn 
Korn, ah vor Greene Habern, Erbissen und Wicken, vorm Furwerck 101 Nantzen Weitzen 
aufm Halm, Gersten, Habern, so woll auch vor dem Furwerck Merckel, Dissen und Hohen- 
buchen Gersten und Habern, alles im Dreck. 

Und ist die Ursachen, daft der Herr Bischoffvon Halberstat hier die gantze vorige Wo- 
chen, von einem Sontage aufden andern, Wagen und Fujivolck gebrauchet gehabt, undleider 
so vielgerechent, daji man mit einernten und Saat zu bestellen vorhindert wirdet. Do der al- 
mechtige Gott nicht b aide gut Wetter gibt, daji alsdan hochgedachtem Sfgso woll auch den 
Ambts Underthanen mercklichen Schaden bringen wirdt, dann das Korn reifet vor den Hol- 
zern nicht so bait als an andern Ortern. 

So ist auch vihel Regens, als daji ichjetzt keinen Wagen mit Stein Kohle konnte darhin 
bringen, wan ich Ime zehen Gulden geben wollte. Die armen Leute konnen auch Mgfund 
Herrn und ihres eigenen Korns halben nicht abkomen. Es were dan, daji man sie mit aller 
Gewalt dor hin truge und zwinge, wie dan Eg als ein vorstendiger Acker: und Baumann 
woll wissen, daji es jetzt den armen Leuten, in solch Ungelegenheit mit iren Wagen und 
Pjerden ein gantz Wochen absein solten, keinen geringen Schaden bringen wolte. 

Und weil in diesem Gerichte als bei der keine 14 Ackerleute, die allein jahren konnen, 
und dan zu Nutzen 10 Ackerleute, die zusammen spannen mussen, wan sie Reise jahren sol- 
len, sein, und doch sonsten vihel Ackerbaues zum Ambte haben, dormit die Leute beschwert 
werden, solches hochgedachten Mgfund Herrn so woll auch Eg gruntlich zugeschrieben, do 
Sjgje haben wollte, daji die Stein Kohle darhin aujdie Hutten sollen gejurt werden, weren 
die Ambter Gandersheim, Witzenburg, Woldenberg, Sesen und Bilderla neher und dergli- 
cher darzu dan Green und hetten die selbigen (denen es gelegen undjuren konnen) do auch 
gejahren als diese theten. Wer vor den Ambten ein Vorradt zusammen gejurt, daji dergenug 
bis auj gelegener Zeit zu gebrauchende gewesen. 

Nun kann ich nicht wissen, was Ursachen, daji diese geringen Leute, die doch ein Meile 
jerner haben dan die andern und allein aujsie gedrungen wirdt, do es doch inen unmoglich, 



101 Vorwerk. 



Herzog Julius und der Kohlenbergbau bei Hohenbiichen 217 

die Stein Kohle darhin zu bringen, konnteje wol ein ander Verordnung darin gemacht wer- 
den, weil es den Leuten unmbglich und beschwerlich. 

So sein sie auch ungeduldig, dafjedemjungst 30 groschen abgezfigen sein, do dochjeder40 
Balgen sichtlich aufgeladen gehabt, als daji ich warlich nicht woll weifi, sintemal Mgf und 
Herr haben will, daft die Stein Kohle aufdie Hutten sollen gefurt und diesen armen Leuten 
allein auferlegt werden, wie ich dem thun soil. Umb Geld konnen sie es nicht thun, zu Herrn- 
dienst ist es inen zu vihel und beschwerlich, so kann man sie auch vom Ambt nicht entraten 
oder der Acker und ander Arbeit mufi liegen bleiben. Mochte deshalben wolgonnen, dafi hoch- 
gedachte Mgf und Herr ander Herrn Rethe darzu deputiren, die in betracht nehmen, wie man 
dan thun mochte, darmit ich aus der Vordacht kerne, dafi der Mangel nicht bei mir were. 

Wolte Gott, wan es wiederumb von diesen Ungewitter abliefe und die eiligste Arbeit we- 
re geschehen, wolte ich bei den Leuten anhalten, ob ich noch etlich Wagen darzu ausbringen 
konnte, welchsEg ich hochnotturftig in eil, denen ich mit bevehlung Gotts freuntlich zu die- 
nen, nicht habe sollen vorhalten. 

Datum Green, den 7. Septembris A" [15] 87 

EG 

dienstwilliger 

Cunradt Schermer 

7. Goslar, 1587 September 8 

Schreiben des Oberverwalters Christoph Sander an Herzogjulius betr. Steinkohlen- 
fuhren von Hohenbiichen nach Langelsheim. 

NBA Clausthal-Zellerfeld, Fach 4a, Nr. 22 

Gnediger Furst und Herr. 

Efg haben jungest den abgeordneten Reten und Dienern zu der Beschwerunge befolen, die 
Ambten zu vorschreiben und mit inen dieser wegen zu reden und handlen, wie geschehen, 
aber weinstich ausgericht, und haben die Ambten alle diese endtschuldigunge vorgewandt. 

Gnediger Furst und Herr. Wan dan sich die Ackerleute in den gerichten also hoch be- 
schweren, diese Fuhr zuthunde, do sie doch nicht umb sonstfuren, sondern kriegen vom Fu- 
der 6flMunz, do doch die Schaumburgischen die kohlen in diese Landefuren, und wan man 
nachrechnet, nicht viel meher an dem fader Kollen haben. 

Und soil efg derwegen diesen Vorschlag thun, wan 

- das Gericht Woldenberg zwo Wagen dazu ausmachte, 

- dazu etzlich Dorffer ein Pferd zu austete und ordneten einen furmann dazu, 
die in guter zeit, wans trocken were, auch bei grosse feme kunnte, 

- ingeleichen Greene zwo, 

- Ganderssem einen, wo nicht zwo, 

- Witzenburg zwo, 



218 Hans-Joachim Kraschewski 

da.fi also sechs oderacht Wagen dazu verordenet, konnten dieKollen umb die Gebure ohne 
grosse Beschwerunge zu den Hutten liefern. 

So haben auch efg in gnedigem Gewissen, daji die Closter Wolfenbuttelschen Teils die 
wagen zu dem Huttenwerck halten mussen, die Erze zu furende, die nun nicht allein dieErt- 
zefuren mussen, sonder auch alle Wochen die Schlacken, als stediglich die Wochen in die 20 
Holen, 102 und haben den weiten Weg nicht neher dan von der Holen im Ball, dazu mussen 
sie die Rosten, das sie in die 200 abfuren, welchs inen auch fast hoch und beschwerlich, und 
sulches mit Schwerheit verrichten mugen. 

Derwegen zu efg und derselben furstlichen Reten gnediges underthanstiges Bedencken, ob 
nicht sollte bei den Clostern Kalenbergischen Teils zurhalten sein, dafi denselbenjedes Clo- 
ster des Jars vier oder funfFuder Kollen umb die Gebur vom Fuder 6fl angefurett hetten, daji 
dan den Dorffern und Gerichten zu Erleichterunge kerne, dan wan efg des Jars anderhalb 
hundert Fuder 103 hetten, jedes Fuder zu 40 Ballwen, 104 weren 6.000 Ballwen, vielmehr 
dann alle Zeit nicht gleich das Huttenwerck treibet, kunte man damit zukommen. 

Whan nhun 20 Closter jedes funfFuder furen Hesse, weren 100 Fuder, so hetten die Ge- 
richte 50 Fuder, werden sechs oderacht wagen, jedern ungeferlich 6 Fuder, wan die angefurt, 
neme jedes sein Pferd wedder und liessen die wagen in Vorradt stehen, wente des sie widder- 
umbfurten, undkonte Clostern und den armen Leuten zu keiner sonderlichen Beschwerunge 
gereichen, dan vielhende machen leicht Arbeit. Doch alles zu efg und derselben furstliche Re- 
te gnediges und gonstiges erwegen und Bedencken. 

Gnediger Furst und Herr, beigewartt uberschicke efg ich einjudenhammer, 105 wies die 
Alten genennt, damit sie die Ertze im Berge geertzet und vorschramet, damit die feuer heb en 
konnen. Denselben hat der Alte Mann in dem alten Schacht, so in diefeseinjiemswollange- 
droffen und nham in die 6Vz Lachter abgeweldiget, abert die dieffe ist noch nicht do, und ist 
dieserjudenhammer den 6. Septembris in dem Schacht also gefunden, der etzlich hundert Jar 
wol da gelegen. Das Eisen zunicht wurden oder zur Erde, abert das Holz nochfrisch und das 
eisern ausgewart, 106 wie efg in gnaden zuersehende, welchs sich dan zuvorwenden, das Ei- 
sen und Stal also verwesen soil. Das Blei ist gefunden, ist zu schwer, soil efg ich bei erster 
Fuhr zuschicken. 

Das sollte vielhochgedacht efg, der ich gehorsamer und ganz williger Dienste bin, nicht 
verhalten. 

Christoph Sander 

102 Zweiradrige Ho(h)lwagen (dem Inhalt nach genormterPferdekarren fur den Schlak- 
ken- und Kohlentransport zur Hiitte in Langelsheim). 

103 150 Fuder. 

104 1 Fuder o 40 Balgen o 40 ctn, 1 Balge o 50 Liter. 

105 Schwere Keilhaue als Gezahe der Bergleute: Arbeitsgerat aus eisernem Blatt mit ge- 
harteter {verstdhlter) Spitze zum Herstellen von Schramen und Schlitzen, d.h. schmalen Ein- 
schnitten im Floz parallel oder rechtwinklig zur Flozebene. Auch beim Feuersetzen verwandt. 

106 Dienlich. 



Die biirgerliche Kaufmannsfamilie Tenge 

im Strukturwandel der Stadt Osnabriick 

zwischen 1650 und 1850 * 



Von Frank Konersmann 



7. Bemerkungen zur Forschung und zu den leitenden Fragestellungen 

Im folgenden soil der auBergewohnliche soziale Aufstieg der vormaligen Hand- 
werker- und Kramerfamilie Tenge des 17. Jahrhunderts in den kleinen Kreis der 
GroBkaufleute im Verlauf des 18. Jahrhunderts 2 mit dem strukturellen Wandel in 
der Handels- und Bistumsstadt Osnabriick in Beziehung gesetzt und erlautert 
werden. Zu untersuchen sind die individuellen, familiaren und stadtischen Bedin- 
gungen, die diese bemerkenswerte Positionsveranderung der Familie Tenge in- 
nerhalb der Stadtgesellschaft begiinstigt haben konnten. Weiterhin stellt sich die 
Frage, ob auch bei anderen Familien in Osnabriick eine vergleichbare Entwick- 
lung zu beobachten ist. Insofern diese Frage positivbeantwortet werden kann, ge- 
he ich im Unterschied zu Olaf Spechters Ergebnis von einem relativ geschlosse- 
nen Kreis bildungs- und wirtschaftsburgerlicher Familien davon aus, 3 daB sich in 

1 Der Beitrag beruht auf meinen Forschungen zur Familien- und Unternehmensgeschich- 
te Tenge, die als Monographie 2004 im Verlag fur Regionalgeschichte erscheinen wird. Carl 
Friedrich Tenge-Rietberg danke ich fur die langjahrige gute Zusammenarbeit und die Forde- 
rung meiner Forschung. Fur den Aufsatz konnten weitere Quellenbefunde Dieter Veldtrups 
genutzt werden, dem ich daher zu besonderem Dank verpflichtet bin. Er und mein Kollege 
Stefan GoriBen von der Fakultat fur Geschichtswissenschaft, Philosophie und Theologie der 
Universitat Bielefeld haben die erste Fassung Korrektur gelesen, die am 14.2.2004 dem Ge 
nealogischen Arbeitskreis Osnabriick vorgetragen wurde. Eine iiberarbeitete Version wurde 
der Westfalischen Gesellschaft fiir Genealogie und Familienforschung in Munster am 10.3. 
2004 prasentiert. 

2 Denn nach Ansicht Olaf Spechters gelang nur wenigen Kramern der Aufstieg" in den 
Kreis der „geachteten Kaufleute". Vgl. Olaf Spechter, Die Osnabriicker Oberschicht im 17. 
und 18. Jahrhundert. Eine sozial- und verfassungsgeschichtliche Untersuchung, Osnabriick 
1975, S. 131. 

3 Spechter geht von der Auspragung eines „patrizischen Honoratiorentums" im spaten 
17. Jahrhundert aus, das einen mehr oder geschlossenen „engen Heiratskreis" ausbildete und 
sich vor allem aus „Akademiker- und GroBkaufmannsfamilien" zusammensetzte. Vgl. ebd., 
S. 133 f. 



220 Frank Konersmann 

der Stadtgesellschaft Osnabriicks im 18. Jahrhundert ein bisher nicht beachteter 
Strukturwandel vollzog, der die Zusammensetzung der standisch-korporativen 
Gruppen und auch ihr Verhaltnis zueinander veranderte. Neben dieser Rekon- 
struktion des sozialen Wandels ist nach den ihn beschleunigenden und den ihn 
hemmenden wirtschaftlichen und politischen Faktoren zu fragen. 

Die unterstellte Annahme eines Strukturwandels in Osnabriick zwischen 1650 
und 1850 beruht nicht nur auf den Befunden zur Geschichte der Familie Tenge, 4 
sondern griindet auch auf allgemeinen Beobachtungen in der neueren Stadtge- 
schichte, in der Sozialgeschichte des Biirgertums und in der Gesellschaftsge- 
schichte. In seinem Forschungsiiberblick setzt sich Heinz Schilling kritisch mit der 
alteren Stadtgeschichte auseinander, die von einem generellen Niedergang der 
Stadte seit dem Spatmittelalter im Alten Reich ausgegangen war. 5 Er differenziert 
dieses negative Bild durch Hinweise auf spezifisch friihneuzeitliche Urbanisie- 
rungsprozesse. Sie waren zum einen von dem internationalen Handel induziert, 
in den protoindustrielle Gewerberegionen durch den Anbau von Handelspflan- 
zen und deren Verarbeitung eingebunden waren. 6 Zum anderen forderten die 
entstehenden Territitorialstaaten den Auf- und Ausbau von Residenz-, Festungs-, 
Exulanten- und Universita.tssta.dten. 7 In diesem UrbanisierungsprozeB verdop- 
pelte bis verdreifachte sich die Zahl der GroB- und Mittelstadte im Alten Reich, 
wahrend die Anzahl der Landstadte unverandert blieb. 8 Zu den Mittelstadten 
zahlt Schilling die Handels- und Bistumsstadt Osnabriick, die im Mittelalter von 
dem Hansehandel und in der Friihen Neuzeit „von der landlichen Leinenproduk- 
tion ihres Umlandes und der steigenden Nachfrage auf dem Weltmarkt" profitiert 
habe. 9 DaB diese Feststellung mit Einschrankungen fur die gesamte Friihe Neuzeit 
Giiltigkeit beanspruchen kann, obwohl sich die europaischen Haupthandelswege 



4 Einen ersten kurzen chronologischen AbriB iiber die Familie Tenge veroffentlichte Ilse- 
traut Lindemann, Die Osnabriicker Tengefamilie, in: Osnabriicker Heimat-Jahrbuch (1990), 
S. 202-211. Den sozialen Aufstieg dieser Familie in Osnabriick systematisch zu erklaren, habe 
ich erstmals unternommen in: Frank Konersmann, Die Familie Tenge und ihre sozialen Ver- 
flechtungen vom 16. bis zum 19. Jahrhundert, in: Osnabriicker Mitteilungen 106 (2001), 
S. 145-167. 

5 Vgl. Heinz Schilling, Die Stadt in der Friihen Neuzeit, Miinchen 1993, S. 2. 

6 Vgl. ebd., S. 20-29, 61-66. 

7 Vgl. ebd., S. 29-37, 67-72. 

8 Denn nach Schilling" lassen sich um 1500 26 Stadte mit mehr als 10.000 Einwohnern, bis 
zu 200 Stadte mit 2.000 bis 10.000 Einwohnern und etwa 3.000 Stadte mit maximal 1.000 
Einwohnern nachweisen. Bis 1800 hatte sich die Zahl der groBeren Stadte auf 61 und die der 
mittleren Stadte auf 400 vergroBert, wahrend die Kleinstadte konstant bei 3.000 verharrten. 
Ebd., S. 8. Neuere Ergebnisse zur Entwicklung der Kleinstadte bietet Katrin Keller, Klein- 
stadte im 18. Jahrhundert zwischen Stagnation und Dynamik. Pladoyer fur die Revision eines 
historiographischen Topos, in: Geschichte und Gesellschaft 29 (2003), S. 353-392. 

9 Ebd., S. 27, 23. 



Die biirgerliche Kaufmannsfamilie Tenge 221 

im 16. Jahrhundert von der Siid-Nord-Richtung in die Ost-Westrichtung und auf 
den Transadantikhandel verlagerten, laBt sich mit Einschrankungen - wie zu zei- 
gen sein wird - an den auf den Leggen im 18. und friihen 19. Jahrhundert vorge- 
legten Leinwandmengen nachweisen. 

Die erwahnten dynamischen wirtschaftlichen und staatlichen Faktoren in der 
Friihen Neuzeit verschafften bestimmten Gruppen in den Stadten und in ihrem 
Umland neue Einnahmequellen und einen groBeren wirtschaftlichen Handlungs- 
spielraum. Zu diesen Gruppen gehorten zum einen Handwerker wie beispiels- 
weise Tuchmacher, Weber und Schmiede im Textil- und Eisengewerbe, unterbau- 
erliche Heuerlinge sowie GroB- und Fernhandelskaufleute und zum anderen das 
„Juristen- und Pfarrerbiirgertum". 10 Die Vertreter dieser Gruppe des neuen Bil- 
dungsbiirgertums iibernahmen im Zuge des Ausbaus stadtischer, staatlicher und 
kirchlicherVerwaltungneue Amter. Fiirdie Stadt- und die Bistumsverwaltung Os- 
nabriicks haben Luise Wiese-Schorn und Christine van den Heuvel einen admini- 
strativen Ausbau und auch eine VergroBerung des Personals nachgewiesen. 11 

In diesen vom Fernhandel, von der Staatsbildung und vom verobrigkeitlichten 
Stadtregiment profitierenden Gruppen wird in verschiedenen Zweigen der So- 
zial- und Gesellschaftsgeschichte einhellig das ausschlaggebende Potential gese- 
hen, das die iiberkommene standisch-korporative Gesellschaftsordnung immer 
weiter differenzierte und auch unterminierte. 12 Sowohl GroBkauf leute und Vertre- 
ter neuer Gewerbe als auch akademisch geschulte Amtstrager forderten die Ein- 
schrankung oder Aufhebung der Zunftverfassung, drangen auf hohere Ausbil- 
dungsmaBsta.be bei der Besetzung von Am tern, setzten sich fur die Liberalisierung 
des Handels ein und waren an der ErschlieBung neuer Erwerbsquellen interes- 
siert. Insbesondere den GroBkauf leu ten wird in derRegel eine aktive Rolle in dem 



10 Ebd., S. 35. 

11 Vgl. Luise Wiese-Schorn, Von der autonomen zur beauftragten Selbstverwaltung. Die 
Integration der deutschen Stadt in den Territorialstaat am Beispiel der Verwaltungsgeschich- 
te von Osnabriick und Gottingen in der friihen Neuzeit, in: Osnabriicker Mitteilungen 82 
(1976), S. 29-59, hier 41-43, 51 f.; Christine van den Heuvel, Beamtenschaft und Territorial- 
staat. Behordenentwicklung und Sozialstruktur der Beamtenschaft im Hochstift Osnabriick 
1550-1800, Osnabriick 1984, S. 160-184; Dies., Stadtisch-biirgerliche Freiheit und furstlicher 
Absolutismus. Verfassung und Verwaltung der Stadt Osnabriick in der Friihen Neuzeit, in: 
Michael Stolleis (Hrsg.), Recht, Verfassung und Verwaltung in der fruhneuzeitlichen Stadt, 
Koln/Wien 1991, S. 159-171, hier 165 und 167. 

12 Vgl. Hans-Ulrich Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte, 1. Bd., Vom Feudalis- 
mus des Alten Reiches bis zur Defensiven Modernisierung der Reformara, 1700-1815, Miin- 
chen 1989", S. 177-193, 202-217; Lothar Gall, Vom alten zum neuen Biirgertum. Die mittel- 
europaische Stadt im Umbruch 1780-1820, in: Ders. (Hrsg.), Vom alten zum neuen Biirger- 
tum. Die mitteleuropaische Stadt im Umbruch 1780-1820, Miinchen 1991, S. 1-18, hier 10; 
Schilling, Die Stadt (wie Anm. 5), S. 34f. 



222 Frank Konersmann 

sozialen und wirtschaftlichen Strukturwandel der Stadtgesellschaften des 17. und 
18. Jahrhunderts zugeschrieben. 13 Denn sie beanspruchten fiir ihre Produktion in 
Manufakturen und fiir ihren weitlaufigen Handel einen von fiirstenstaatlichen Pri- 
vilegien geschiitzten Sonderstatus, der sie weitgehend von dem Regelwerk der 
Zunft- und Gildenordnungen befreite. 14 Diese rechtlich herausgehobene Position 
von Minderheiten provozierte unausweichlich den Protest sowohl der Ziinfte 
bzw. Gilden, die die Mehrheit der ansassigen Handwerker und Kramer in den 
Stadten vertraten, als auch der Landstande auf Territorialebene. Denn diese neue 
Art institutionalisierter Konkurrenz verletzte eklatant das bisher geltende altstan- 
dische Ordnungsprinzip, das auf die Sicherung „auskommlicher Nahrung" bzw. 
der „Hausnotdurft" der Standesvertreter zielte. ls Jedoch waren insbesondere die 
Territorialobrigkeiten wegen ihres wachsenden Finanzbedarfs von der zweiten 
Halfte des 1 7. Jahrhunderts an immer weniger gewillt, die iiberkommenen Rechte 
und Interessen der standisch-korporativen Krafte zu schiitzen. Derartige Konflik- 
te sind sowohl zwischen der Stadt Osnabriick, dem Domkapitel und der bischofli- 
chen Regierung 16 als auch zwischen Tuchmachern, Kramern und GroBkaufleu- 
ten im Tuch- und im Leinengewerbe aus dem 1 7 . und 1 8 . Jahrhundert bekannt. ' 7 

Ausgehend von dieserknappen Skizze der Strukturveranderungen und der von 
ihnen beeintrachtigten oder profitierenden Gruppen in Stadten der Friihneuzeit 
sollen im folgenden erstens die Bevolkerungsentwicklung, die wirtschaftlichen 
Schwerpunkte und die Wirtschaftspolitik in Osnabriick erlautert werden. Im An- 
schluB wird zweitens an Beispielen aus der Kramer- und Kaufmannsfamilie Tenge 
und der mit ihr verwandten Familien zu zeigen sein, inwiefern und mit welchen 
Mitteln sie sich diese Rahmenbedingungen fiir die Erweiterung ihres wirtschaftli- 

13 Vgl. Gall, Vom alten zum neuen Biirgertum (wie Anm. 12), S. 10f., 15; Schilling, 
Die Stadt (wie Anm. 4), S. 35, 6 1 f., 67; Robert v. Friedeburg/ Wolfgang Mager, Learned 
Men and Merchants: The Growth of the Biirgertum, in: Sheilagh Ogilvie (Hrsg.), Germany. 
A New Social and Economic History, Bd. 2, 1630-1800, London/New York /Sydney /Auck- 
land 1996, S. 164-195, hier 180-183. 

14 Vgl. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte (wie Anm. 12), S. 207f.; Friedeburg/ 
Mager, Learned Men (wie Anm. 13), S. 181. 

15 Vgl. ebd., S. 203. Ich verweise auf den informativen Essay von Renate Blickle, Nah- 
rung und Eigentum als Kategorien in der standischen Gesellschaft, in: Winfried Schulze 
(Hrsg.), Standische Gesellschaft und soziale Mobilitat, Munchen 1988, S. 73-93. 

16 Vgl. Reinhard Renger, Landesherr und Landstande im Hochstift Osnabriick in der 
Mitte des 18. Jahrhunderts. Untersuchungen zur Institutionengeschichte des Standestaates 
im 17. und 18. Jahrhundert, Gottingen 1968, S. 112, 125; Wiese-Schorn, Von der autonomen 
(wie Anm. 11), S. 47-49, 55, 58. 

17 Vgl. Konrad Machens, Die Tuchmacherei des Osnabrucker Landes im 17. und 18. 
Jahrhundert. Ein Uberblick, in: Osnabrucker Mitteilungen 69 (1960), S. 48-61; Ders., Der Os 
nabriicker Leinenhandel (Manuskript in der Amtsbibliothek des Staatsarchivs Osnabriick), 
1971. 



Die biirgerliche Kaufmannsfamilie Tenge 223 

chen und sozialen Handlungsspielraums zu Nutze machten. Die Befunde iiber 
diese Familien dienen drittens als empirische Gmndlage, um die Spezifika des 
sozialen, wirtschaftlichen und politischen Wandels im stadtischen Umfeld Osna- 
briicks darzustellen. Vor dem Hintergrund der zu erlauternden Strukturbedin- 
gungen und des zu beschreibenden Wirtschaftsverhaltens ausgewahlter Familien 
sollen schlieBlich die Chancen und Grenzen der okonomischen Entwicklungspo- 
tentiale in der Stadt Osnabriick im Ubergang vom 18. auf das 19. Jahrhundert 
erortert werden. In Anbetracht der geringen Anzahl sozial- und wirtschaftsge- 
schichdicher, insbesondere auch prosopographischer Studien iiber Osnabriick 
haben diese Ausfiihrungen allerdings einen stark hypothetischen Charakter. 

2. Schlaglichter auf die soziookonomische Entwicklung und auf wirtschaftspolitische 
Konstellationen in der Handels- und Bistumsstadt Osnabriick (1650-1850) 

Die folgende Darstellung der Bevolkerungsentwicklung in der Stadt Osnabriick 
beruht auf den wenigen Angaben in der Literatur, die teilweise nur mit groBer Ein- 
schrankung als verlaBlich anzusehen sind. Das gilt insbesondere fur einige Anga- 
ben zum 15. und 16. Jahrhundert, denn ihre Quellengrundlage wird nicht immer 
ausgewiesen. 18 LaBt man diese Unwagbarkeiten einmal auBer acht, nahm die Be- 
volkerungsgroBe den in Graphik 1 (auf der folgenden Seite) veranschaulichten 
Verlauf: 

Zwischen Spatmittelalter und Mitte des 16. Jahrhunderts lebten etwa 8.000 bis 
10.000 Einwohner in Osnabriick. Gut ein Jahrhundert spater lassen sich fiir das 
Jahr 1658 etwas iiber 8.500 Einwohner errechnen; trotz des DreiBigjahrigen Krie- 
ges war demnach die Einwohnerzahl einigermaBen konstant geblieben. 19 Ein 

18 Rothert geht fur das Jahr 1487 von 8.000 und fiir das Jahr 1500 von 10.000 Einwohnern 
aus; vgl. Hermann Rothert, Geschichte der Stadt Osnabriick im Mittelalter, 2. Teil, 
Osnabriick 1937 (ND 1966), S. 6f.;Jurgen Bohmbach orientiert sich an den Berechnungen 
Rotherts, vgl. Jiirgen Bohmbach, Die „Giitliche Kontribution" von 1487. Eine quantitative 
Analyse der Sozialstruktur Osnabriicks am Ende des 15. Jahrhunderts, in: Osnabriicker Mit- 
teilungen 79 (1972), S. 37-54, hier 38. Fiir das Jahr 1543 geht Gerd Steinwascher von „ca. 
8.000 Einwohnern" aus, ohne daB er seine Quellengrundlage nennt; vgl. Gerd Steinwascher, 
Stadt und Hochstift zu Beginn der friihen Neuzeit, in: DERS./Karl Georg Raster (Hrsg.), 450 
Jahre Reformation in Osnabriick, Bramsche 1993, S. 29-38, hier 32. Die Angaben zum 18. 
Jahrhundert (1772, 1789, 1801) beruhen auf Quellen; vgl. Carl Bertram Stuve, Zur Geschich- 
te der Stadtverfassung von Osnabriick, in: Osnabriicker Mitteilungen 8 (1866), S. 1- 210, hier 
206 und Franz Sunder, Das Finanzwesen der Stadt Osnabriick von 1648-1900, Halle 1904, 
S. 9. Den Angaben zum 19. Jahrhundert liegen zumeist Volkszahlungen zugrunde; vgl. Sun- 
der, Das Finanzwesen, S. 10. 

19 Nach Darstellung Hermann Schroters soil die Einwohnerzahl bis 1600 auf 5.500 Ein- 
wohner gesunken sein. Das entsprache einem Riickgang um 32% in knapp 60 Jahren, wenn 
man mit Gerd Steinwascher davon ausgeht, daB 1543 noch ca. 8.000 Menschen in Osnabriick 



224 



Frank Konersmann 



Graphik 1: Bevolkerungsentwicklung in Osnabruck (1487-1875) 





JJUUU 

30000 - 






25000 - 




= 

S3 

o 

a 






20000 - 




15000 - 




E 


10000 - 






5000 - 






- 


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Jahre 

deutlicher Riickgang setzte allerdings in der zweiten Halfte des 17. Jahrhunderts 
ein, so daB die Anzahl der Burger 1712 mit 6.500 Personen einen der niedrigsten 
Werte erreichte. 20 Ein deutlicher Zuwachs zeichnete sich augenscheinlich erst im 
letztenDritteldes 18.Jahrhundertsab,als 1789 knapp 7.000 Einwohner erfaBt wur- 
den. Damithatte sich die Einwohnerschaft zwischen 1712 und 1789 um gut 7°/o ver- 
groBert. Im Verlauf des 19. Jahrhunderts nahm sie nach Ausweis von Volkszah- 
lungslisten unaufhorlich zu. 1815/16 sollen etwa 9.000 Einwohner in Osnabruck 
gewohnt haben, womit sich das Besiedlungsniveau der Mitte des 17. Jahrhunderts 
wieder einstellte. Demnach verschaffte offenbar der schwunghafte Leinenhandel 
nach Niirnberg und auch der lukrative Tuchhandel nach Skandinavien bis zu Be- 
ginn des DreiBigjahrigen Krieges der Stadtbevolkerung geniigend Einnahmen, 
um ihre GroBe von acht- bis zehntausend Einwohnern aufrecht erhalten zu kon- 
nen. Derim letzten Drittel des 17. Jahrhunderts zu beobachtende deutliche Riick- 
gang der Stadtbevolkerung konnte auf Strukturkrisen im stadtischen Tuch- und 
Leinengewerbe zuriickgefiihrt werden, da beispielsweise zunehmend mehr Tuch- 



lebten. Fur diesen dramatischen Riickgang gibt es in der Stadtgeschichte keine Erklarung, 
vgl. Hermann Schroter, Handel und Industrie des Osnabriicker Landes bis zur Griindung 
der Industrie- und Handelskammer. Ein Beitrag zur Wirtschaftsgeschichte, in: Industrie- und 
Handelskammer Osnabruck (Hrsg.), Die Industrie- und Handelskammer zu Osnabruck. Ihre 
Entstehung und geschichtliche Entwicklung, Osnabruck 1954, S. 13. 

20 Die in der Graphik 1 wiedergegebenen Einwohnerzahlen zwischen 1658 und 1755 be- 
ruhen auf Berechnungen auf der Basis der in den Heberegistern angegebenen Haushaltszah- 
len. Diese wurden durchgehend mit dem Faktor 5 multipliziert. 



Die biirgerliche Kaufmannsfamilie Tenge 225 

macher nach Bremen und Oldenburg abwanderten. 21 Dariiber hinaus beklagten 
zum einen stadtische Kaufleute den expandierenden Leinwand- und Tuchhandel 
auf dem Land und zum anderen der Stadtrat die sich ausweitenden Kommissions- 
geschafte auswartiger Kaufleute innerhalb der Stadt Osnabriicks. 22 

Diese Beobachtungen legen den SchluB nahe, daB sich Ende des 17. Jahrhun- 
derts im Tuch- und Leinengewerbe ein gravierender Strukturwandel zuungunsten 
der Stadt Osnabriick vollzog, der die Einkommensverhaltnisse der stadtischen Be- 
volkerung zunehmend belastete. Hingegen konnte die das Leinen produzierende 
Landbevolkerung von diesem strukturellen Umbruch im Handel profitiert und 
demzufolge sich eher vergroBert haben. Diese Uberlegung kann allerdings erst fur 
die zweite Halfte des 18.Jahrhunderts aufgegriffen werden, da iiberdie Gesamtbe- 
volkerung des Bistums in den Jahrhunderten zuvor keine Angaben vorliegen. So 
lebten 1772 in dem gut 2.000 qkm umfassenden Fiirstbistum Osnabriick etwa 
120.000 Menschen; die Einwohnerdichte betrug demnach 59 Personen/qkm. 23 
Jedoch ist fur das stadtische Umland Osnabriicks um 1800 eine Besiedlungsdichte 
von lediglich 40 Personen/qkm bekannt. 24 Diese Unterschiede verleihen der Ver- 
mutung eine gewisse Berechtigung, daB neben den stadtischen GroBkaufleuten 
vor allem die landliche Bevolkerung im Bistum von der sich in den 1770erjahren 
belebenden Konjunktur in der Leinenproduktion profitierte, da dort die Bevolke- 
rungsdichte um fast ein Drittel hoher lag. Diese spekulativen Uberlegungen fin- 
den einen Riickhalt in den Arbeiten Jiirgen Schlumbohms iiber das nordostlich 
von Osnabriick gelegene Kirchspiel Belm. Durch erhebliche Zuwachse gerade 
der Heuerlingshaushalte verdreifachte sich dort die Bevolkerung zwischen 1651 
und 1833. 25 Insbesondere die Heuerlinge lebten von den Einnahmen der von ih- 
nen in Heimarbeit hergestellten groben Leinwand; ihr Leinen verkauften sie zu 
4 1 % an die in Osnabriick ansassigen Gebriider Schwartze. 26 



21 Vgl. Machens, Die Tuchmacherei (wie Anm. 17), S. 50. 

22 Vgl. Carl Bertram Stuve, Der Handel von Osnabriick, in: Mitteilungen des histori- 
schen Vereins zu Osnabriick 6 (1860), S. 80-168, hier 118; Machens, Der Osnabriicker Lei- 
nenhandel (wie Anm. 17), S. 39-53. 

23 Die Angabe und die Berechnung finden sich bei Christine van den Heuvel, Beamten- 
schaft (wie Anm. 11), S. 54. 

24 Die Angabe findet sich bei Christian Pfister, Bevolkerungsgeschichte und historische 
Demographie, Miinchen 1994, S. 20. 

25 Vgl. Jiirgen Schlumbohm, Lebenslaufe, Familien, Hofe. Die Bauern und Heuerleute 
des osnabriickischen Kirchspiels Belm im protoindustrieller Zeit, 1650-1860, Gottingen, 
zweite durchgesehene Auflage 1997, S. 47. 

26 Vgl. Jiirgen Schlumbohm, Agrarische Besitzklassen und gewerbliche Produktionsver- 
haltnisse: GroBbauern, Kleinbesitzer und Landlose als Leinenproduzenten im Umland von 
Osnabriick und Bielefeld wahrend des friihen 19.Jahrhunderts, in: Rudolf Vierhaus (Hrsg.), 
Mentalitaten und Lebensverhaltnisse. Beispiele aus der Sozialgeschichte derNeuzeit, Gottin- 



226 Frank Konersmann 

Die Briider Rudolf und Erich Schwartze waren GroBkaufleute und Bankiers. 27 
Sie wohnten in der KrahnstraBe in unmittelbarer Nahe der Familie Tenge und er- 
richteten wie diese ein representatives Wohnhaus in klassizistischem Stil. 28 Beide 
Kaufmannsfamilien gehorten zu den etwa 25 hochstbesteuerten Familien in der 
Stadt OsnabriickEnde des 18. Jahrhunderts, 29 die sieben Reichstalerund mehrfiir 
ihren Hausbesitz und andere Liegenschaften zu zahlen hatten. Der Anteil der 
Hochstbesteuerten an alien Steuerzahlern verringerte sich im Verlauf des 17. und 
lS.Jahrhunderts zunehmend, so daB von einer wachsenden sozialen Differenzie- 
rung in der stadtischen Bevolkerung ausgegangen werden kann. Diesen Trend be- 
legt die in Graphik 2 veranschaulichte Entwicklung: Wahrend bis Ende der 
1660erjahre immerhin iiber3°/o aller Steuerzahler zur Gruppe der Hochstbesteu- 
erten gehorte, blieb ihr Anteil seit den 1670er Jahren nahezu einjahrhundert lang 
zumeist unter 2%. Ende des 17. Jahrhunderts und Mitte des 18. Jahrhunderts 
erreichte sie ihren geringsten Wert bei weit unter 1%. Komplementar zu dieser 
Entwicklung verringerte sich der Anteil der Steuerzahler an alien Osnabriicker 
Haushalten bis Mitte der 1750er Jahre, und das in Anbetracht einer durchgehend 
hohen Verschuldung der Stadt zwischen 1675 und 1804. 30 Einen konkreten Nie- 
derschlag dieser sozialen Differenzierung ist insbesondere bei den Handwerks- 
zweigen im Textilgewerbe zu beobachten. So verkleinerte sich die Zahl der vor- 
mals steuerkraftigen Tuchmachermeister von 189 im Jahre 1656 auf 30 im Jahre 
1725 und auf 12 imjahre 1801, das war ein Riickgang von zunachst fast 84 und spa- 
ter um genau 60°/o. 31 Die Zahl der Schneider hatte sich mehr als halbiert von 159 
imjahre 1667 auf 73 imjahre 1801, die Zahl der Leinenweber war im gleichen 
Zeitraum von 68 auf 20 um mehr als zwei Drittel geschrumpft. 32 

Der Graphik 3 ist zu entnehmen, daB in den 1740erjahren sogar eine entgegen- 
gesetzte Entwicklung einsetzte: Wahrend die Zahl derHaushalte wiederzunahm, 
verringerte sich die der Steuerzahler. Dieser Trend konnte eine zunehmende so- 



gen 1982, S. 315 335, hier 333. 

27 Rudolf Schwartze war einer der ersten Bankiers in Osnabriick, vgl. Spechter, Die Os- 
nabriicker Oberschicht (wie Anm. 2), S. 68. 

28 Vgl. ebd., S. 98. 

29 Die seit 1658 iiberlieferten Heberegister der Stadt Osnabriick hat Dieter Veldtrup fur 
eine Reihe von Jahren ausgewertet. Die Heberegister befinden sich in folgenden Akten des 
Staatsarchivs Osnabriick (= StAOs) Dep. 3 b II Nr. 542-578. 

30 1675 betrug die Schuldenlast 196.725 Mark und 1804 203.403 Mark, vgl. Sunder, Das 
Finanzwesen (wie Anm. 18), S. 181. 

31 Vgl. Machens, Die Tuchmacherei (wie Anm. 17), S. 52 f. und Max Bar, AbriB einer 
Verwaltungsgeschichte des Regierungsbezirks Osnabriick, Hannover /Leipzig 1901, S. 71. 

32 Fiir das Jahr 1667 habe ich die Angaben entnommen: Das Gewerbswesen und Ziinfte 
in Osnabriick, in: Mitteilungen des historischen Vereins zu Osnabriick 7 (1864), S. 23-227, 
hier 162. 



Die biirgerliche Kaufmannsfamilie Tenge 



227 



Graphik 2: Anteil der Hochstbesteuerten an den Steuerzahlern 
in Osnabruck (1658-1805) 




Jahre 



ziale Polarisierung in der Stadtbevolkerung indizieren, denn einer kleiner werden- 
den Anzahl begiiterter Haushalte stand eine sich vergroBerende Anzahl besitzar- 
mer oder mittelloser Haushalte gegeniiber. Welche GroBenordnung diese soge- 
nannte ,stadtische Armut' in Osnabriick Ende des 18. Jahrhunderts erreichte, ist 
nicht bekannt. 33 In derbenachbarten groBeren Residenzstadt Miinster sollen ihr 
1802 ca. 63 % der stadtischen Bevolkerung angehort haben. 34 Aus der Graphik 3 
geht hervor, daB zwischen 1712 und 1760 die Zahl der nicht steuerfahigen Haus- 
halte von 314 auf 573 anstieg, seit den 1740erjahren mit deutlich steigender Ten- 
denz. Lag ihr Anteil in der ersten Halfte des 18. Jahrhunderts bei knapp 25 °/o, er- 
hohte er sich in der zweiten Halfte dieses Jahrhunderts auf iiber 33 %. Zu Beginn 
des 19. Jahrhunderts bezogen fast 10 % der Einwohner Osnabriicks Almosen aus 
der stadtischen Armenkasse, 35 in deren GenuB freilich nur ein Teil der stadti- 
schen Armut' kam. 36 Die meisten der nicht steuerfahigen Haushalte lassen sich 



33 Wenig ergiebig sind die Ausfiihrungen Franz Sunders iiber das Armenwesen der Stadt 
im Ancien Regime, vgl. Sunder, Finanzwesen (wie Anm. 18), S. 52-69; vgl. auch die kursori- 
schen und impressionistischen Darlegungen Ludwig Hoffmeyers, Die Fursorge fur die Ar- 
men, Kranken und Waisen in Osnabruck, in: Osnabriicker Mitteilungen 51 (1929) S. 1-82. 

34 Vgl. Wehler, Deutsche Gesellschaftsgeschichte (wie Anm. 12), S. 193. 

35 Diese Berechnung geht von geschatzten 8.600 Einwohnern und von 829 Almosen- 
empfangern aus, vgl. Sunder, Finanzwesen (wie Anm. 18), S. 10 und 68. 

36 Ein Anteil von 5-10 % unterstiitzungsberechtigter Armer an der ansassigen Stadtbevol- 



228 



Frank Konersmann 



1755 in der Neustadter Leischaft nachweisen, in der auffallend wenige Hochstbe- 
steuerte wohnten. Zu ihnen zahlte bis in die 1760er die in derJohannisstraBe woh- 
nende Kaufmannsfamilie Tenge. 



Graphik 3: Steuerzahler und Haushalte Osnabrucks (1658-1805) 




Jahre 



- Haushalte 



" Besteuerte Haush. 



- Hochstbesteuerte 



Die Familie Tenge gehorte zwischen 1658 und 1807 stets zu den hochstbesteuer- 
ten Haushalten in Osnabriick. Diesen gehobenen Status diirfte sie in denjahr- 
zehnten zuvor wahrscheinlich noch nicht eingenommen haben, da sie iiber zwei 
Generationen hinweg im Schmiedehandwerktatig war. Von den 1680er Jahren an 
belegte die Familie dann einen derbeiden ersten Platze innerhalb der Gruppe der 
Hochstbesteuerten in der Neustadter Leischaft, seit 1765 war das auch in der Bu- 
tenberger Leischaft der Fall, nachdem sie dort ihren Hauptwohnsitz in der Krahn- 
straBe bezogen hatte. Zu dieser Gruppe von 40 bis 50 Familien in den 1660er Jah- 
ren gehorten die Kramer- und Kaufmannsfamilien Meuschen, Lindemann und 
Vieregge, in deren Heiratskreis 1660 der Kramer Johann Tenge IV aufgenommen 



kerung entspricht offenbar dem Durchschnitt groBerer Stadte. Vgl. Wolfgang von Hippel, 
Armut, Unterschichten, Randgruppen in der Friihen Neuzeit, Munchen 1995, S. 21. 



Die biirgerliche Kaufmannsfamilie Tenge 229 

wurde, als er die Tochter Gerd Vieregges heiratete. 37 Spatestens von diesem Zeit- 
punkt an verheirateten sich die mannlichen Vertreter der Familie Tenge immer 
mit Tochtem aus Familien, die ebenfalls diesem kleiner werdenden Kreis der 
Hochstbesteuerten angehorten. Es waren dies die Familien Suttemeyer, Gosling, 
von Giilich, Schwender, Jager, Ehmbsen, Quirll und Beissner. Dank ihrer neuen 
Verwandtschaftsbeziehungen zu den mit Leinwand handelnden GroBkaufleuten 
Gerhard Heinrich Meuschen 38 undjohann Lindemann wurde die Familie Tenge 
in den spaten 1680er Jahren allmahlich im Leinen- und auch im Tuchhandel 
aktiv. 39 

Die Herstellung einfachen Tuchs, Garns und grober Leinwand sowie deren 
iiberregionaler Verkauf bildeten die wesentlichen Einnahmequellen der Stadt Os- 
nabriick seit der zweiten Halfte des 14. Jahrhunderts. 40 Wahrend die Qualitat der 
Tuche auch von Ziinften in den Amtern Bramsche, Melle, Iburg, Haste und Schle- 
dehausen gepriift wurde, 41 war fiir diese Aufgabe im Fall der Leinwand aus- 
schlieBlich die stadtische Legge in Osnabriickzustandig; sie ist im Prinzip seit et- 
wa 1404 nachweisbar. 42 Soweit bekannt, lag der Absatz von Tuch und Leinwand 
stets in der Hand von Kaufleuten und Kramern, welche die Waren von Tuchma- 
chern und Webern aufkauften. Im Osnabriicker Raum herrschte demnach bis in 
das 19. Jahrhundert das Kaufsystem vor, auch wenn einige Kaufleute im letzten 
Drittel des 18. Jahrhunderts erste Betriebe im Verlagssystem begriindeten. 43 Be- 
reits aus dem friihen 16. Jahrhunderts sind sowohl im Tuch- als auch im Leinenge- 
werbe Falle bekannt, daB einzelne Kaufleute die Bestimmungen der Leggeord- 
nungen miBachteten und Produkte minderer Qualitat verkauften; 44 derartige 
OrdnungsverstoBe hauften sich an der Wende vom 17. auf das 18. Jahrhundert. 

Der Hohepunkt im Tuch- und Leinwandhandel der Stadt Osnabriick diirfte 
zwischen 1620 und 1670 gelegen haben, obwohl sich in diesem Zeitraum die inter- 



37 Vgl. Konersmann, Die Familie Tenge (wie Anm. 4), S. 152. 

38 Gerhard Heinrich Meuschen war in den 1670er Jahren als Leinenfaktor der Stadt Os- 
nabriick tatig. Vgl. Machens, Der Osnabriicker Leinenhandel (wie Anm. 17), S. 50. 

39 So wurde Johann Tenge IV am 29.11.1688 neben Meuschen, Lengerke und Wehrkamp 
um ein Gutachten iiber den gegenwartigen Zustand des Leinenhandels gebeten, in: StAOs 
Dep. 3 b VNr. 998, fol. 20f. 

40 Vgl. Rothert, Geschichte (wie Anm. 18), S. 184-188, 206; Machens, Der Osnabriicker 
Leinenhandel (wie Anm. 17), S. 4f. 

41 Vgl. Machens, Die Tuchmacherei (wie Anm. 17), S. 48 f. 

42 Vgl. Hermann Wiemann, Die Osnabriicker Stadtlegge, in: Osnabriicker Mitteilungen 
35 (1910), S. 1-76, hier8. 

43 Um 1790 sollen die beiden Kaufleute Gosling und Sunsbeck in Neunkirchen eine Lei- 
nenfabrik errichtet haben, fiir die 225 Weberfamilien arbeiteten. Vgl. Machens, Der Osna- 
briicker Leinenhandel (wie Anm. 17), S. 108. 

44 Vgl. ebd., S. 7f. 



230 



Frank Konersmann 



nationale Konkurrenz weiter verscharfte und einige Kaufleute gegen den Protest 
stadtischer Tuchmacher feinere Tuche aus England, Sachsen und Schlesien im- 
portierten. 45 Hinsichtlich der Leinwand laBt sich eine zweite Bliite von den 
1770erjahren an feststellen. 46 Sie ist allerdings in erster Linie auf die Errichtung 
der vier neuen Landleggen in Melle, Iburg, Bramsche und Essen/ Ostercappeln 
zuriickzufiihren. 47 Dies ergibt sich aus der Verteilung der Mengen einerseits auf 
der Osnabriicker Stadtlegge, andererseits auf den vier Landleggen inklusive der 
Stadtlegge, die in der Graphik 4 wiedergegeben ist. 



Stiicke 



Graphik 4: Leinwandstiicke auf der Stadtlegge Osnabriick und 
auffunfLeggen (1624-1840) 




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Jahre 



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- Lcinwand/Stadtlcggc -■- Leinwand auf 5 Leggcn 



45 Nach Konrad Machens' Darstellung erreichte die Anzahl der in Osnabriick vorgeleg- 
ten Lakentiicher bis 1679 mehr als tausend Stiick. Danach verringerte sich ihre Anzahl deut- 
lich. Vgl. Machens, Die Tuchmacherei (wie Anm. 17), S. 50 f. Die Angaben iiber die vorgeleg- 
ten Ellen Leinwand in den 1620er und 1630erjahren finden sich bei Machens, Der Osna- brii 
ker Leinenhandel (wie Anm. 17), S. 25 und 41 f. Nach Stiive hatte der Leinenhandel die 
„groBte Ausdehnung" in den Jahren zwischen 1602 und 1618, vgl. Stuve, Der Handel (wie 
Anm. 22), S. 118. Urn die mit unterschiedlichen MaBen versehenen Mengenangaben in der 
Literatur vergleichen zu konnen, wurden alle EllenmaBe auf Leinwandstiicke umgerechnet (1 
Leinwandstiick = 100 m). Geht man bei einer Leggeelle von 1,22m aus, entspricht ein Lein- 
wandstiick 81,96 Leggeellen. 

46 Die Mengenangaben sind der Habilitationsschrift von Jiirgen Schlumbohm entnom- 
men. Vgl. Schlumbohm, Lebenslaufe (wie Anm. 25), S. 634-638, vgl. auch 76. 

47 Die Informationen iiber die auf den vier Landleggen vorgelegten Leinwandstiicke in 



Die biirgerliche Kaufmannsfamilie Tenge 231 

Demnach iibertrafen die in den 1620er und 1630er Jahren auf der Stadtlegge 
vorgelegten Mengen Leinwand die dort in der zweiten Halfte des 18. Jahrhundert 
registrierten Mengen teilweise urn mehr als Doppelte. Selbst wenn man die auf 
privaten Leggetischen vermessenen Leinwandstiicke mit einbezieht, wie das im 
Fall der Witwe Margaretha Tenge moglich ist, die nachweislich zwischen 1745 und 
1752 ein Drittel der gekauften Stiicke der Stadtlegge vorenthielt, 48 und dariiber 
hinaus diesen OrdnungsverstoB als eine unter den GroBkaufleuten verbreitete 
Praxis annimmt, 49 erga.be sich nur eine geringfiigig hohere Anzahl Leinwandstiik- 
ke auf der Stadtlegge. Offenbar hatte sich in der zweiten Halfte des 18. Jahrhun- 
derts der Schwerpunkt des Leinenhandels von der Stadt Osnabriick auf die vier 
Amtsstadte verlagert. Damit hatte die Stadtlegge ihren Ruf als „die groBe Lein- 
wandborse . . . fur Norddeutschland" bereits im 18. Jahrhundert faktisch verlo- 
ren, 50 hundert Jahre friiher als das Hermann Wiemann angenommen hatte. Auf 
den neuen vier Landleggen wurden nicht nur teilweise sogar mehr Leinwandstiik- 
ke als auf der Osnabriicker Stadtlegge vorgelegt, 51 sondern in diesen Amtern - 
wie beispielsweise in Iburg - wohnten Konrad Machens zufolge mittlerweile auch 
„mehr und bedeutendere Leinenhandler als in der Stadt Osnabriick". 52 Zu diesen 
GroBkaufleuten gehorten beispielsweise Konig, Werlemann, Cock, Steinhage, 
Cordes, Meyer, die Briider Schwartze und Anton Friedrich Schroder, 53 die teil- 



denjahren 1773 bis 1783 sind folgendem Aufsatz entnommen: Jiirgen Schlumbohm, Der sai- 
sonale Rhythmus der Leinenproduktion im Osnabriicker Lande wahrend des spaten 18. und 
der ersten Halfte des 19. Jahrhunderts: Erscheinungsbild, Zusammenhange und interregiona- 
ler Vergleich, in: Archiv fur Sozialgeschichte 19 (1979), S. 263-298, hier 277. 

48 Diese Mengen sind aus den Geschaftsbiichern der Familie Gosling erschlossen wor 
den, in: StAOs Dep. 44 Nr. 560, 564. 

49 Diese Vermutung legt die Darstellung Konrad Machens nahe, der davon ausgeht, daB 
die fiinf Leinhandler aus Osnabriick auBerhalb der Stadt Leggetische aufgestellt hatten. Vgl. 
Machens, Der Osnabriicker Leinenhandel (wie Anm. 17), S. 93. 

50 Wiemann, Die Osnabriicker Stadtlegge (wie Anm. 42), S. 65. Noch Hans Heinrich 
Blotevogel ist dieser Einschatzung Wiemanns gefolgt. Vgl. Hans Heinrich Blotevogel, Zen- 
trale Orte und Raumbeziehungen in Westfalen vor der Industrialisierung (1780-1850), Mini- 
ster 1975, S. 82. Eine meiner Einschatzung entsprechende Interpretation bietet hingegen 
Sunder, Finanzwesen (wie Anm. 18), S. 129. 

51 Das gilt allerdings nur fur die Landlegge in Iburg, wo zwischen 1773 und 1783 im 
Durchschnitt jahrlich 7.031 Leinwandstiicke vermessen worden sein sollen. Vgl. Schlum- 
bohm, Der saisonale Rhythmus (wie Anm. 47), S. 277. 

52 Machens, Der Osnabriicker Leinenhandel (wie Anm. 17), S. 93. 

53 Anton Friedrich Schroder begriindete 1730 in Ojuakenbriick eine Handelskompagnie, 
die sich auf den Kommissionshandel konzentrierte und sowohl im interregionalen als auch im 
transatlantischen Handel tatig war. Vgl. Richard Roberts, Merchants & Bankers, Hound- 
mills /Basingstoke /Hampshire 1992, S. 5. Sein Sohn Christian Matthias hatte eine Tochter 
namens Johanna Luise Adele, die 1856 den Osnabriicker Tabakfabrikanten Friedrich Mo- 
ritz Tenge heiratete. Vgl. Artikel: Tenge, in: Deutsches Geschlechterbuch (Genealogisches 



232 Frank Konersmann 

weise auch in benachbarten Leinenregionen private Leggetische unterhielten und 
teilweise fiir auswartige Handelshauser arbeiteten. Nur ganz wenige dieser Kauf- 
leute - wie etwa die Briider Schwartze - diirften mit Familien in Osnabriick ver- 
wandt gewesen sein oder wohnten noch in der alten Hansestadt Osnabriick. Ende 
des 18., zu Beginn des 19.Jahrhunderts hatten nur noch fiinf Leinenhandler in der 
Stadt ihren Wohnsitz. 54 

Aber nicht nur diese auf dem Land agierenden Leinenhandler, sondern auch ei- 
nige Kaufleute aus Osnabriick errichteten in unterschiedlichen Branchen kleine 
Fabriken in den Amtsstadten des Bistums wahrend derzweiten Halfte des lS.Jahr- 
hunderts. Das gilt fiir Mitglieder der Familien Gosling in Neuenkirchen, Quirll in 
Oesede, Striive und Schroder in Vorden und Bramsche sowie fiir die Briider 
Schwartze in Melle. 55 Diese bemerkenswerte Schwerpunktverlagerung des Lei- 
nenhandels und dergewerblichen Massenproduktion auf das Land diirfte als Re- 
aktion zum einen auf das hartnackige Insistieren der Stadt auf ihrem Leggeprivileg 
und zum anderen auf den Widerstand der Gilden gegen die Errichtung von Fabri- 
ken in der Stadt, die sie als eine neue Konkurrenz beurteilten, 56 zuruckzufiihren 
sein. So wurde der 1747 eingereichte Vorschlag der Briider Johann Caspar und 
Gerhard Friedrich von Giilich, in Osnabriick eine Tuchfabrik und ein Wollmaga- 
zin einzurichten, von der Stadt abgelehnt. 57 Gleichwohl vermochten die Briider 
Giilich ihren Betrieb zu eroffnen und auch aufrecht zu erhalten, indem sie „eine 
Anzahl fremder Arbeitskrafte mit Frau und Kind in die Stadt kommen" lieBen. 58 

Abgesehen von diesem erstaunlichen, freilich auch einmaligen Ereignis vermit- 
telt der Vorgang den Eindruck eher ungiinstiger wirtschaftspolitischer Rahmenbe- 
dingungen fiir gewerbliche Innovationen in Osnabriick wahrend des 18.Jahrhun- 
derts. Diesem Eindruck scheint die Errichtung von drei Tabakfabriken zu wider- 
sprechen. Er laBt sich aber weitgehend auflosen, wenn die naheren Umstande der 
Griindung der ersten Tabakfabrik von Gerhard Friedrich von Giilich und Johann 
Anton Tenge 1747 und die Zusammensetzung der dort verarbeiteten Rohtabake 
beriicksichtigt werden. 59 DaB diese Fabrik in Osnabriick zu diesem Zeitpunkt 



Handbuch Biirgerlicher Familien), Bd. 108, Bernhard Koerner (Hrsg.), Gorlitz 1940, S. 425- 
464, hier 443. 

54 Vgl. Bar, AbriB (wie Anm. 31), S. 71; Machens, Der Osnabriicker Leinenhandel (wie 
Anm. 17), S. 93. 

55 Vgl. Schroter, Handel und Industrie (wie Anm. 19), S. 14-18; Machens, Der Osna- 
briicker Leinenhandel (wie Anm. 17), S. 108. 

56 Vgl. Hermann Schroter, Handel, Gewerbe und Industrie im Landdrosteibezirk Os- 
nabriick 1815-1866, in: Osnabriicker Mitteilungen 68 (1959), S. 309-358, hier 350. 

57 Vgl. Schroter, Handel und Industrie (wie Anm. 19), S. 19. 

58 Machens, Die Tuchmacherei (wie Anm. 17), S. 53; vgl. auch Schroter, Handel, Ge- 
werbe (wie Anm. 56), S. 351. 

59 Vgl. Claus Friedrich Tenge-Rietberg, Entstehung und Entwicklung der ersten Tabak- 



Die biirgerliche Kaufmannsfamilie Tenge 233 

errichtet werden konnte, ist erstens mit dem regen landlichen Tabakhandel zu er- 
klaren, den der Stadtrat unterbinden wollte; 60 insofern muBte er diese Initiative 
von Seiten ansassiger Kaufleute begriiBen. Zweitens wurde der Bruder Gerhard 
Friedrich von Giilichs, Johann Caspar, 1746 zum Agenten des Kurfiirsten Cle- 
mens August von Koln ernannt. 61 In den Auseinandersetzungen mit dem Stadtrat 
um die Errichtung der Tuchfabrik berief sichjohann Caspar auf seine Privilegien 
als Hofagent, wonach er von alien biirgerlichen Lasten und Beschrankungen be- 
freit sei. Obwohl die Stadt beim Reichskammergericht eine Beschwerde gegen 
ihn einlegte, konnte sich von Giilich durchsetzen. Diese beeindruckende Macht- 
demonstration seines Bruders machte sich offenbar Gerhard Friedrich von Gii- 
lich mit Unterstiitzung Johann Anton Tenges zu nutze, die gemeinsam die erste 
Tabakfabrik in Osnabriick errichteten. Drittens diirfte die seit 1761 die Landes- 
herrschaft iiber das Bistum Osnabriick ausiibende Regierung in Hannover unter 
dem englischen Konig Georg III. die Tabakfabrik ebenfalls positiv beurteilt ha- 
ben, da nachweislich vor allem Rohtabake aus der englischen Kolonie Virginia in 
der Tabakfabrik verwendet wurden. 62 

Eine das Gewerbe fordernde Wirtschaftspolitik in der Stadt und im Bistum Os- 
nabriick ist unter dem EinfluB des Regierungskonsulenten Justus Moser von den 
1760erjahren an festzustellen, der mit Johann Caspar von Giilich verschwagert 
war. Auf seine Initiative wurden 1770 die Landleggen eingerichtet und damit das 
Leggeprivileg der Stadt Osnabriick abgeschafft. 63 Moser forderte dariiber hinaus 
die Errichtung einer Seifenfabrik in Osnabriick, einer Tuchfabrik in Bramsche 
und einer Baumwollmanufaktur in Schiitthoff. 64 Zudem errichteten die Kauf- 
mannsfamilien Thorbecke und Schwartze im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts 
zwei weitere Tabakfabriken in Osnabriick. 65 Weiterhin bestanden in der Stadt um 
1800 eine Leinen- und eine Garnbleiche, eine Papierfabrik, ein Strumpfmanufak- 
tur und je eine Seifensiederei, Starkefabrik und Essigbrauerei. 66 Der gewerbliche 
Aufschwung in Osnabriick und seiner landlichen Umgebung war jedoch nicht 
von langer Dauer. Denn wahrend der Zugehorigkeit des Bistums zum Konigreich 



fabrik zu Osnabriick im 18. Jahrhundert (Diplomarbeit in Maschinenschrift) Koln, 1988, 
S. 17. 

60 Vgl. Konrad Machens, Beitrage zur Wirtschaftsgeschichte des Osnabrucker Landes 
im 17. und 18. Jahrhundert, in: Osnabrucker Mitteilungen 70 (1961), S. 86-104, hier 86-90. 

61 Vgl. Schroter, Handel, Gewerbe (wie Anm. 56), S. 351. 

62 Vgl. Tenge-Rietberg, Entstehung und Entwicklung (wie Anm. 59), S. 53. 

63 Vgl. Wiemann, Die Osnabrucker Stadtlegge (wie Anm. 42), S. 39; Machens, Der Os- 
nabriicker Leinenhandel (wie Anm. 17), S. 90-92. 

64 Vgl. Schroter, Handel und Industrie (wie Anm. 19), S. 18-21. 

65 Vgl. Machens, Beitrage zur Wirtschaftsgeschichte (wie Anm. 60), S. 93-95. 

66 Vgl. Bar, AbriB (wie Anm. 31), S. 71. 



234 Frank Konersmann 

Westfalen (1807-1813) wurden das Manufakturgewerbe und der iiberregionale 
Handel infolge der die franzosische Wirtschaft begiinstigenden Gesetze Napole- 
ons - wie beispielsweise durch Errichtung eines Tabakmonopols - stark beein- 
trachtigt. Auch trat nach Ubernahme der Regierungsverantwortung durch das Ko- 
nigreich Hannover 1813 keine Besserung ein. Zum einen errichteten die Nieder- 
lande hohe Eingangszolle, zum anderen weigerte sich die Regierung in Hannover, 
dem Deutschen Zollverein unter preuBischer Fiihrung bei zu treten. 67 Dariiber 
hinaus betonten sowohl die englische Regierung als auch der liberale Reformer 
Carl Bertram Stiive 68 den landwirtschaftlichen Charakter des Osnabriicker Ge- 
bietes. Das fiihrte dazu, daB schon bald das ganze Land von billigen englischen 
und amerikanischen Waren „geradezu iiberschwemmt" wurde, 69 gegeniiber de- 
nen sich die einheimischen Produkte nichtbehaupten konnten. Diese negative ge- 
werbliche Wirtschaftlage vermochte auch die in Graphik 4 wiedergegebene Men- 
genkonjunktur auf den Leggen im Landdrosteibezirk Osnabriick bis zu Beginn 
der 1840er Jahre nicht wesentlich zu relativieren, da der Preis fur grobes Lein- 
wand seit 1819 deutlich fiel. 70 

3. Bedingungen, Mittel und Wege des sozialen Aufstiegs der biirgerlichen 
Familie Tenge und der mit ihr verwandten Familien (1671-1864) 

Die Anfang des 19. Jahrhunderts zu den wohlhabendsten biirgerlichen Familien 
Osnabriicks zahlende Kaufmannsfamilie Tenge 71 kann als Beispiel fur einen aus- 
sergewohnlichen sozialen Aufstieg innerhalb der standisch-korporativen Hierar- 
chie der Stadtgesellschaft angesehen werden. Denn erstens vermochte sie inner- 



67 Vgl. Schroter, Handel, Gewerbe (wie Anm. 56), S. 309-315. 

68 Walter Achilles stellt iiber die Reformziele Stiives fest: „Da Stiive eine Ausweitung der 
Gewerbe skeptisch beurteilt und auch vom Handel keine Besserung der gegenwartigen Not 
erwartet, gewinnt die bestmogliche Gestaltung der Agrarverfassung fur ihn absolut vorrangi- 
ge Bedeutung." Walter Achilles, Waren die Stein-Hardenbergischen Reformen Vorbild der 
hannoversch-braunschweigischen Ablosegesetze? In: Niedersachsisches Jahrbuch fur Lan- 
desgeschichte 46/47 (1975), S. 161-194, hier 180. 

69 Schroter, Handel und Industrie (wie Anm. 19), S. 25. Dieser Beobachtung entspricht 
auch der Befund, daB zu Beginn des 19. Jahrhunderts nur sehr wenige Markttage im Jahr in 
Osnabriick abgehalten wurden. Vgl. Blotevogel, Zentrale Orte (wie Anm. 50), S. 77 f. Ahn- 
lich schon F. Thimme, Die inneren Zustande des Kurfiirstentums Hannover unter der franzo- 
sisch-westfalischen Herrschaft, Bd. 1, Hannover /Leipzig 1893, S. 18ff. 

70 Vgl. Schroter, Handel, Gewerbe (wie Anm. 56), S. 329. Die auf den Osnabriicker 
Leggen zwischen 1819 und 1863 vermessenen Mengen Leinwandstiicke hat Schroter aufgeli- 
stet, ebd., S. 331. 

71 Nach einem Verzeichnis von 1811 verfiigte Ernst Friedrich Tenge iiber das groBte Ver- 
mogen unter den Einwohnern der Stadt Osnabriick, vgl. Spechter, Die Osnabriicker Ober- 
schicht (wie Anm. 2), S. 74. 



Die biirgerliche Kaufmannsfamilie Tenge 235 

halb von vier Generationen den kleinbiirgerlichen Status eines Schmiedemeisters 
zu verlassen, denjohann Tenge III in der ersten Halfte des 17. Jahrhunderts inne- 
hatte, um schlieBlich mit Ernst Friedrich Tenge am Ende des 18. Jahrhunderts in 
den kleinen Kreis der GroBkaufleute aufzuriicken sowie einen Spitzenplatz unter 
den Hochstbesteuerten einzunehmen. Zweitens gelang ihren Vertretern im Ver- 
lauf dieses sozialen Aufstiegs ein bemerkenswerter gesellschaftlicher Positions- 
wechsel innerhalb des von Olaf Spechter beschriebenen neuen patrizischen Ho- 
noratiorentums der Stadt Osnabriick. Wahrend sie bis Mitte des 18. Jahrhunderts 
noch als Klient der Protektion und Unterstiitzung der einfluBreichen Kramer- 
und Kaufmannsfamilien Vieregge, Meuschen, Gosling und von Giilich bedurfte, 
vermochte sie zu Lebzeiten des Kaufmanns und Tabakfabrikantenjohann Anton 
Tenge im letzten Drittel des 18. Jahrhunderts allmahlich ein eigenes verwandt- 
schaftliches Netzwerk auszubilden, in dem sie eher als Patron gegeniiber den Fa- 
milien Schwender, Beissner, Ehmbsen, Quirll und Jager in Erscheinung trat. 72 

Diese exponierte gesellschaftliche Stellung in Osnabriick vermochte die Fami- 
lie jedoch nach dem Tod Ernst Friedrich Tenges 1824 nicht weiter aufrecht zu er- 
halten, da weder sein Sohn Bernhard Gustav noch auch dessen Sohn Friedrich 
Moritz iiber die hierfiir notigen okonomischen Potentiale verfiigten. Das war teil- 
weise eine Folge der veranderten Vermogensverhaltnisse der Familie. Denn Ernst 
Friedrich Tenge hatte ein Teil seines Vermogens durch den Erwerb mehrerer Gii- 
ter (Borgwedde, Niederbarkhausen) in groBeren Grundbesitz angelegt, um seinen 
drei iiberlebenden Kindern eine finanziell abgesicherte Existenz zu verschaffen. 
Zudem verringerten sich die Handlungsspielraume fur Kaufleute in der ersten 
Halfte des 19. Jahrhunderts, da Hermann Schroter zufolge der vormalige GroB- 
handel „in die engen Grenzen des Detailhandels" gedrangt worden sei. 73 Diesem 
Trend entsprach der erheblich verkleinerte Geschaftsradius und das geringere 
Handelsvolumen des Tabakgeschafts und der 1845 errichteten Kerzenfabrik der 
Familie Tenge. Dariiber hinaus fehlten Friedrich Moritz das notige kaufmanni- 
sche Geschick und der niichterne Blick auf seine Geldgeschafte, um unter den er- 
schwerten Bedingungen der Weltwirtschaftskrise zwischen 1857 und 1859 beste- 
hen zu konnen. 74 Denn unter dem Eindruck einer sich in den 1850erjahren ab- 
zeichnenden allgemeinen Geldknappheit vertraute er auf die Beratung des mit 
ihm verwandten Bankiers Wilhelm von Giilich und beteiligte sich an Spekulatio- 
nen mit Staatspapieren. Die rapide Geldentwertung und sich haufende Bankenzu- 
sammenbriiche 1857 fiihrten schnell zur Illiquiditat seines Geschafts, weil sich 

72 Vgl. Konersmann, Die Familie Tenge (wie Anm. 4), S. 158. 

73 Schroter, Handel, Gewerbe (wie Anm. 56), S. 311. 

74 Uber die Zusammenhange dieser ersten modernen Weltwirtschaftskrise infor- 
miert Hans Rosenberg, Die Weltwirtschaftskrise 1857-1859, Gottingen 1974, insbesondere 
S. 105-137. 



236 Frank Konersmann 

Friedrich Moritz Tenge 1863 mit Forderungen in Hohe von iiber 165.000 Reich- 
stalern konfrontiert sah, die er nicht bedienen konnte, so daB er Konkurs anmel- 
den muBte. Nur Dank der Hilfe verwandter und befreundeter Kaufleute wie Carl 
Gosling, Wilhelm Schwartze und C. Henrici, die der Familie Tenge groBziigig 
Biirgschaften zusicherten, 75 konnte das Tabakgeschaft wieder aufgenommen wer- 
den. 76 Demnach erwiesen sich in dieser groBten wirtschaftlichen Krise der Fami- 
lie Tenge in Osnabriick die iiberjahrzehnte zuvor gekniipften Verwandtschaftsbe- 
ziehungen und Freundschaftsverbindungen zu gleichrangigen Kaufmannsfamili- 
en als solide und verlaBlich genug, um den sozialen Absturz des in Osnabriick 
verbliebenen Familienzweigs zu verhindern. 

Fur den sozialen Aufstieg der Handwerkerfamilie Tenge, die 1572 von dem 
Flecken Ibbenbiiren nach Osnabriick eingewandert war und sich zunachst als 
Zimmerleute zu etablieren suchte, 77 spielten ihre Eheverbindungen von Anfang 
an eine ausschlaggebende Rolle. DaB die Familie - retrospektiv gesehen - auf die- 
sem Wege immer wieder erfolgreich war, indiziert eine gewisse soziale Durchlas- 
sigkeit zwischen den hierarchisch gestaffelten standisch-korporativen Gruppen 
der Stadtgesellschaft, die Olaf Spechter in seiner sozialgeschichtlichen Untersu- 
chung wahrscheinlich deshalb nicht in den Blick genommen hat, weil er in erster 
Linie die Konstitutionsbedingungen der politisch aktiven Oberschicht untersuch- 
te. Inwiefern diese bemerkenswerte soziale Mobilitat auch bei anderen in Osna- 
briick ansassigen Familien zu beobachten ist, muB hier offen bleiben, da fur die 
Beantwortung dieser Frage eingehende genealogische und sozialgeschichtliche 
Studien iiber das Klein- und das Wirtschaftsbiirgertum erforderlich sind, die nicht 
zur Verfiigung stehen. 

Bereits in der dritten Generation lassen sich in den 1640er Jahren bei dem 
Schmiedemeisterjohann Tenge III erste entfernte Verwandtschaftsbeziehungen 
zu Kaufmannsfamilien nachweisen, die sich durch seine Heirat mit Regina Dalde 
1634 ergeben haben diirften, die zwar nur einer Pelzerfamilie entstammte, deren 
Mutter aber der GroBkaufmannsfamilie Eiffeler angehorte. 78 Sein Sohn, der Kra- 
mer Johann Tenge IV, heiratete in erster Ehe 1660 Anna Margaretha Vieregge 



75 Uber diese Vorgange informiert die Akte in: Archiv Tenge-Rietberg (= ATR) Best. 
Verwaltungssachen (= V) Nr. 1941. Dariiber hinaus untersriitzte der in der westfalischen 
Kleinstadt Rieberg lebende Industrielle Carl Friedrich Tenge 1865 die Ehefrau seines Vetters 
Friedrich Moritz mit einem zinslosen Darlehen in Hohe von 2.000 Reichstaler, vgl. ATR 
Best. VNr. 1534. 

76 Vgl. Konersmann, Die Familie Tenge (wie Anm. 4), S. 154. 

77 Vgl. ebd., S. 145. 

78 Everd Eiffeler gehorte 1627 zu den „bedeutendsten Leinenhandlern" Osnabriicks, vgl. 
Stuve, Der Handel (wie Anm. 22), S. 118. Er war der Bruder von Anna Eiffeler, der Mutter 
Regina Daldes. 



Die biirgerliche Kaufmannsfamilie Tenge 237 

und in zweiter Ehe 1671 Gertrud Lindemann. Beide Ehefrauen entstammten eta- 
blierten Kaufmannsfamilien, iiber die Johann Tenge IV in den engeren Kreis der 
auch wirtschaftspolitisch in der Stadt Osnabriick aktiven Leinenkaufleute aufge- 
nommen worden sein diirfte, wo erbeispielsweise auf den einfluBreichen Leinen- 
faktor und Ratsherrn Gerhard Heinrich Meuschen traf. In dieser vierten Genera- 
tion zeichnet sich eine Heiratsstrategie ab, die in den nachfolgenden Genera- 
tionen ein noch geziel teres Vorgehen zu erkennen gibt. Denn Johann Tenge IV 
verheiratete immerhin zwei seiner drei Tochter mit Sohnen aus den Familien Hol- 
stein und Gosling, zu denen bereits verwandtschaftliche Beziehungen bestanden. 
Dariiber hinaus ging sein Sohn, der Leinenhandler Johann Jobst Tenge, 1711 eine 
Ehe mit der Kaufmannstochter Margaretha Gosling ein. Insofern wurde in der 
funften Generation eine doppelte Eheverbindung zwischen den Familien Tenge 
und Gosling geschlossen, von der die Familie Tenge erheblich profitieren sollte, da 
die beiden Geschwister Gosling in der ersten Halfte des 18. Jahrhunderts einen be- 
sonders lukrativen Leinenhandel betrieben. 

In einer spateren Phase der funften Generation wurde diese Strategie der 
Kniipfung von Verwandtenehen noch konsequenter verfolgt, indem Margaretha 
Tenge geb. Gosling einige Kinder mit Verwandten zweiten Grades (Vettern und 
Basen) aus den Familien von Giilich und von Bippen verheiratete. Diese nach An- 
sicht Olaf Spechters in der Osnabriicker Oberschicht weit verbreitete Heiratsstra- 
tegie, 79 die auch bei GroBkaufleuten anderorts zu beobachten ist, 80 hatte mehrere 
Funktionen, zumal dann, wenn die beteiligten Familien auch geschaftlich koope- 
rierten, wie das bei den Familien Gosling, von Giilich und Tenge der Fall war. Die- 
se Strategie diente zum einen der Sicherung des erwirtschafteten Familienvermo- 
gens, das durch Erbschaften nicht verloren ging, sondern nur in einem kleinen 
Kreis von Familien umverteilt wurde. 81 Sie stabilisierte zum anderen die beste- 
henden Geschaftsverbindungen und sie erlaubte zum dritten die Verteilung wirt- 
schaftlicher Risiken auf mehrere Schultern. Diese vermuteten Ziele der Hei- 
ratspraxis von Johann Tenge IV und seinen Nachfolgern korrespondieren mit 
ihrem Wirtschaftsverhalten. Denn sowohl er als auch seine Frau und schlieBlich 
ihr Sohn, der Tabakfabrikant Johann Anton Tenge, griindeten mit Verwandten 
Kompanien, um ihren Leinen-, Tuch- und Tabakhandel auf eine breitere Ge- 
schaftsgrundlage stellen zu konnen. 

79 Vgl. Spechter, Osnabriicker Oberschicht (wie Anm. 2), S. 56 f. 

80 Vgl. Stefan Gorissen, Vom Handelshaus zum Unternehmen. Sozialgeschichte der Fir- 
ma Harkort im Zeitalter der Protoindustrie (1720-1820), Gottingen 2002, S. 139-168. 

81 In diesem Sinne auBerte sich Margartetha Tenge geb. Gosling in ihrem Testament, 
daB „sie (es) gerne sahe, daB die ihr von Gott bescherte(n) mittel in ihrer Familie conserviret 
und nicht auBer derselben an Fremde gebracht wiirden." In: StAOs Dep. 3 b IV Nr. 4935. Ich 
danke Herrn Veldtrup fur den Hinweis auf diese AuBerung. 



238 Frank Konersmann 

An dem Kramerjohann Tenge IV istnichtnur seine geschickte Heiratsstrategie 
und die Erweiterung seines Geschaftsradius durch den Handel mit Leinwand und 
Tuchen bemerkenswert, sondern auch die Ubernahme hoher stadtischer Amter, 
die er von 1695 an bis zu seinem Tod 1710 bekleidete. 1695 wurde er als „quae- 
stor" in den Stadtrat gewahlt, 82 in dem erbis 1699 tatig war. 83 Danach wurde ihm 
eines der drei Lohnherrenamter iibertragen, das er bis 1710 innehatte. Zwischen 
1708 und 1710 nahm er sogar das Amt des Ratsseniors wahr, infolgedessen er „in 
Vertretung des Biirgermeisters" den Vorsitz im Stadtrat iibernahm. 84 Diese lang- 
jahrige Akzeptanz der herausgehobenen politischen Position Johann Tenges IV 
durch die anderen Vertreter des Osnabriicker Stadtrates, ohne deren Bestatigung 
und Zuspruch eine solche lange Amtszeit nicht denkbar ist, 85 diirfte in erhebli- 
chem MaBe zur sozialen Konsolidierung derFamilie Tenge und zu ihrer Aufnah- 
me in die fiihrenden Kreise Osnabriicks beigetragen haben. Von keinem der 
nachfolgenden mannlichen Familienmitglieder ist ein vergleichbares politisches 
Engagement in der Stadt Osnabriick bekannt. Das wurde von ihnen offenbar 
auch nicht mehr fur erforderlich gehalten, da nunmehr ihre Kontakte zur Land- 
kanzlei der Regierung an Bedeutung gewannen. 

Denn dank des engen verwandtschaftlichen und geschaftlichen Netzwerks zwi- 
schen den Familien Gosling, von Giilich und Tenge wurden jetzt die personlichen 
Beziehungen zu Mitgliedern der Kanzlei in Streitfallen und Konflikten mit dem 
Stadtrat erfolgreich aktiviert. Hierfiir mag der spektakulare LeggeprozeB zwi- 
schen 1747 und 1763 als Beispiel dienen. In den spaten 1740er Jahren wurde die 
Witwe Margaretha Tenge geb. Gosling beim Stadtrat denunziert, einen privaten 
Leggetisch aufgestellt und damit die Leggeordnung nicht eingehalten zu haben. 86 
Als der Stadtrat den Leggetisch und die Winde beschlagnahmte und die Witwe zu 
einer Geldstrafe von 100 Reichstalern verurteilte, appellierte sie bei der Landkanz- 
lei. Als die Kanzlei ihrerseits die Stadt wegen der rechtswidrigen Konfiskation 
verurteilte, wandte sich der Stadtrat an das Reichskammergericht. In dem lang- 
wierigen LeggeprozeB verwiesen die Rechtsvertreter der Stadt zwar auf den ge- 
meinsamen Handel zwischen den Familien von Giilich und Tenge. 87 Sie vermoch- 
ten aber der Witwe Tenge den ihr vorgeworfenen illegalen Leinenhandel nicht 



82 StAOs Dep. 3 b IV Nr. 318, fol. 490 v . 

83 Vgl. Spechter, Die Osnabriicker Oberschicht (wie Anm. 2), S. 151. 

84 Olga Tenge-Rietberg, Chronik der Familie Tenge, SchloB Holte 1965 (Maschinen- 
schrift), S. 22. 

85 Denn nach Olaf Spechter wurden die Ratsherren von den Wahlmannern gewahlt und 
muBten jedes Jahr in ihrem Amt erneut bestatigt werden, vgl. Spechter, Die Osnabriicker 
Oberschicht (wie Anm. 2), S. 16 und 23 Anm. 107. 

86 Vgl. Wiemann, Die Osnabriicker Stadtlegge (wie Anm. 42), S. 12 f. 

87 Notata zum Bericht vom 18.9.1753, in: StAOs Rep. 900 RKG Nr. 775. 



Die biirgerliche Kaufmannsfamilie Tenge 239 

nachzuweisen. Dies verwundert auch nicht, da die Witwe die von ihr an der Legge 
vorbei verkaufte Leinwand nicht in ihre Geschaftsbiicher, sondern in die ihres 
Bruders eintragen lieB. In dem ProzeB erfuhr Margaretha Tenge Unterstiitzung 
von Seiten ihres Bruders Johann Hermann Gosling und ihres Schwiegersohnes 
Gerhard Friedrich von Giilich. Uber den Rechtsstreit diirfte iiberdies der Bruder 
Gerhard Friedrich von Giilichs, der kurkolnische Hofagent Johann Caspar von 
Giilich, informiert gewesen sein, der mit einer Schwester des Rechtskonsulenten 
der Regierung Justus Moser verheiratet war. Diese engen verwandtschaftlichen 
Kontakte in das Zentrum politischer Macht werden die Witwe sicherlich ermun- 
tert haben, an die Landkanzlei zu appellieren. Da die Kanzlei in dem ProzeB iiber- 
dies die Legitimitat des stadtischen Leggeprivilegs in Zweifel zog, 88 konnte der 
ProzeB den Rechtskonsulenten Justus Moser veranlaBt haben, eine neue Legge- 
ordnung zu entwerfen, die seit 1770 den landlichen Leinwandhandel begiinstigten 
sollte. 

Die sowohl in der Tabakverarbeitung und im Tabakhandel als auch im Leinen- 
und Tuchhandel tatigen Kompagnons Johann Anton Tenge und Gerhard Fried- 
rich von Giilich diirften den Wandel in der Wirtschaftspolitik des Bistums Osna- 
briick unter dem EinfluB Justus Mosers generell begriiBt haben, da nunmehr die 
Arbeits- und Handelsbeziehungen der GroBkaufleute in das landliche Umland 
der Stadt Osnabriick weniger als bisher reglementiert waren. Diese Politik scheint 
sowohl die Einfuhrung des Verlages als eines neuen Betriebssystems als auch die 
Etablierung neuer Betriebe begiinstigt zu haben. Im letzten Drittel des 18. Jahr- 
hunderts entstanden zwei weitere Tabakfabriken in Osnabriick. Die um 1808 be- 
stehenden drei Tabakfabriken beschaftigten mehr als 400 Tabakspinner im Ver- 
lagssystem, 89 die von den Kaufleuten mit Rohtabaken und den notigen Gerat- 
schaften versorgt wurden. Infolge der erhohten Konkurrenz vor Ort fielen aller- 
dings die von der Familie Tenge verkauften Mengen Schnupf- und Rauchtabak 
geringer aus als zuvor. 90 Immerhin pendelte sich das Handelsvolumen der 1782 
von Ernst Friedrich Tenge und seinen Sohnen neu gegriindeten Tabakfabrik auf 
einem einigermaBen gleichbleibenden Niveau ein, so daB dieses Geschaft bis zum 
Beginn des 19. Jahrhunderts eine sichere Einnahmequelle bildete. 

Dariiber hinaus erschlossen sich Johann Anton Tenge und sein Sohn Ernst 
Friedrich durch ihr Engagement im Tuchhandel einen weiteren Erwerbszweig. 91 

88 Stellungnahme Mosers und Sickermanns, in: StAOs Dep. 3 b VNr. 1007, fol. 2-11. 

89 Vgl. Machens, Beitrage zur Wirtschaftsgeschichte (wie Anm. 60), S. 93. 

90 Das zeigt der Vergleich produzierter Mengen in den Jahren 1755 bis 1771 mit denen in 
denjahren 1782 bis 1810. Vgl. Tenge-Rietberg, Entstehung und Entwicklung (wie Anm. 59), 
S. 22, 57. 

91 Johann Anton Tenge wurde bereits 1754 in die Wandschneidergilde aufgenommen. 
1791 bekleidete er sogar das Ehrenamt eines Altermannes dieser Gilde; vgl. StAOs Dep. 3 b X 



240 Frank Konersmann 

Sie gehorten seit 1754 zu dem kleinen Personenkreis der Wandschneidergilde, in 
dem die Vertreter der Familie Gosling nachweislich bis zum Beginn des 19. Jahr- 
hunderts numerisch und wohl auch okonomisch dominierte. 92 Noch lukrativer 
diirfte fiirdie Familie Tenge aberihr Engagement in Geldgeschaften gewesen sein. 
Verliehen sie in den 1760erund 1770erjahren zunachst noch Betrage von maxi- 
mal einigen hundert Reichstalern, 93 erhohten sie ihre Kredite in den 1780erjah- 
ren zuweilen auf mehrere tausend Reichstaler. 94 Auch Obrigkeiten gehorten zu 
den Schuldnern von Vater und Sohn Tenge. Im Juni 1792 stellte Ernst Friedrich 
Tenge dem Bischof vonPaderborn 60.000 Reichstaler zurVerfiigung. 95 Zu Beginn 
des 19. Jahrhunderts scheint er selbst der Stadt Osnabriick betrachtliche Summen 
geliehen zu haben, wie aus einem Schreiben an den Stadtrat vom 1. August 1808 
hervorgeht. 96 Einer Aufstellung iiber sein 1813 bestehendes Vermogen ist zu ent- 
nehmen, daB er zu diesem Zeitpunkt beachtliche 101.132 Reichstaler verliehen 
hatte, das entsprach etwas weniger als der Halfte seines Gesamtvermogens. 97 Die 
Kaufmannsfamilie machte sich den allenthalben wachsenden Geldbedarf in der 
stadtischen, aber auch in der landlichen Bevolkerung des Bistums Osnabriick im 
letzten Drittel des 18. Jahrhunderts zu nutze. Denn die Geldleihe versprach au- 
genscheinlich hohe Renditen, wie das Christine van den Heuvel auch am Beispiel 
des Amtsvogtes zu Neuenkirchen Johann Gabriel Niemann nachgewiesen hat. 98 
Kennzeichnend fur den weiteren sozialen Aufstieg der Kaufmannsfamilie Ten- 
ge im 18. Jahrhundert war demnach neben ihren Verwandtschaftsbeziehungen zu 
GroBkaufleuten und ihren guten Kontakten zur Landkanzlei die ErschlieBung 
neuer lukrativer Einnahmequellen, um nicht von den Konjunkturschwankungen 
eines einzelnen Handelsprodukts abhangig zu sein, zumal es in den 1750er und 
1760er Jahren wahrscheinlich noch vollig offen war, in welche Richtung sich das 
Leinengewerbe im OsnabriickerRaum entwickeln wiirde und welche wirtschafts- 
politischen MaBnahmen von Seiten des Stadtrates zu erwarten waren. Ohnehin 

Nr. 389, fol. 10, 16 v . Im gleichen Jahr wurde sein altester Sohn Justus Johann in die Gilde auf- 
genommen, zwei Jahre spater trat auch sein zweitaltester Sohn Ernst Friedrich in diese Gilde 
ein; ebd. fol. 15 v und 16 v . 

92 Dies geht aus dem Protokollbuch der Wandschneidergilde fur den Zeitraum von 1726 
bis 1818 hervor, vgl. ebd. Nach Max Barlassen sich 1801 lediglich sieben Personen als Tuch- 
handler nachweisen, vgl. Bar, AbriB (wie Anm. 31), S. 71. 

93 Vgl. Schreibebuch I in ATR, passim. 

94 Vgl. Schreibebuch III in ATR, passim. 

95 Dies geht aus der Akte im ATR Best. V Nr. 1522 hervor. 

96 Vgl. StAOs Rep. 230 Nr. 587, fol. 6. 

97 Vgl. Tenge-Rietberg, Chronik (wie Anm. 84), S. 54. 

98 Vgl. Christine van den Heuvel, Landliches Kreditwesen am Ende des 18. Jahrhun- 
derts im Hochstift Osnabriick. Das Anschreibebuch des Johann Gabriel Niemann, in: Osna- 
brticker Mitteilungen 91 (1986), S. 163-192. 



Die biirgerliche Kaufmannsfamilie Tenge 241 

sahen sich die offenbar zur Oligarchic neigenden Vertreter des Stadtrates einer 
wachsenden Kritik von Seiten der Biirgerschaft ausgesetzt." In Anbetracht der 
Konflikte um die Errichtung einer Tuchfabrik 1747 durch die Briider von Giilich 
und des noch unentschiedenen Leggeprozesses zwischen 1747 und 1763 muBten 
GroBkaufleute damit rechnen, daB sich die Gilden und Amter mit ihren restaura- 
tiven wirtschaftspolitischen Vorstellungen wiirden durchsetzen konnen. Ahnlich 
wie die Familie Tenge beschritten daher auch andere Kaufmannsfamilien wie die 
Goslings, von Giilichs, die Schwartzes, Schroders und Thorbeckes neue Wege, 
griindeten teilweise auBerhalb der Stadt Fabriken und Geschafte, kniipften Kon- 
takte zu auswartigen Handelshausern und favorisierten in der Produktion das 
neue Betriebssystem des Verlages. Diese Strategie zur Erweiterung des okonomi- 
schen Handlungsspielraums iiber die Stadtgrenzen hinaus ist auch bei den Kauf- 
leuten im friihen 19. Jahrhundert zu beobachten. 

4. Soziookonomische Differenzierung der biirgerlichen Oberschicht im 
strukturellen Wandel Osnabriicks zwischen 1650 und 7850 

Die vorgestellten Befunde zum einen iiber den strukturellen Wandel in der Stadt 
Osnabriick, zum anderen iiber die Bedingungen und Wege des bemerkenswerten 
sozialen Aufstiegs der Familie Tenge sind AnlaB, die dynamischen Prozesse in der 
Stadtgesellschaft Osnabriicks und in ihrem weiteren landlichen Umfeld eingehen- 
der zu untersuchen. Zu diesem Zweck bieten die Konflikte sowohl zwischen den 
standisch-korporativen Gruppen innerhalb der Stadt als auch zwischen den Stan- 
den und der Landesregierung Anhaltspunkte, um auf mogliche Strukturverande- 
rungen aufmerksam zu werden. Denn veranderte Produktionsstrukturen und 
Handelswege schlugen sich nicht zuletzt auch in Auseinandersetzungen zwischen 
stadtischen Kramern und landlichen Tuchmachern, aber auch innerhalb der Stadt 
zwischen Vertretern des Handwerks und der Kaufmannschaft nieder; letztere ka- 
men anlaBlich der Wahl von Ratsherren und Biirgermeisterzum Ausbruch. 100 Auf 
veranderte Wirtschaftsstrukturen sowohl in der Tuch- und Leinenproduktion als 
auch im Tuch- und Leinenhandel haben bereits Konrad Machens und Jiirgen 
Schlumbohm verschiedentlich hingewiesen und sie auch teilweise bereits einge- 
hend erschlossen. 

Je eindringlicher der von Heinz Schilling beschriebene UrbanisierungsprozeB 
im Umfeld der Stadte in den Blick genommen wird, 101 was im Fall einer protoin- 
dustriellen Region wie dem OsnabriickerRaum geradezu unumganglich ist, desto 



99 Vgl. van den Heuvel, Stadtisch-biirgerliche Freiheit (wie Anm. 11), S. 169. 

100 Vgl. Spechter, Die Osnabriicker Oberschicht (wie Anm. 2), S. 28f. 

101 Vgl. Schilling, Die Stadt (wie Anm. 5), S. 56-72. 



242 Frank Konersmann 

eher kann auch den Veranderungen in den Stadt-Land-Beziehungen Rechnung 
getragen werden, wozu fur den Osnabriicker Raum m.W. bisher kaum Studien 
durchgefiihrt wurden. Aus der Perspektive auf friihneuzeidiche Urbanisierungs- 
prozesse riicken Fragen nach dem stadtischen Verhalten und Denken auf dem 
Land in den Mittelpunkt, das gilt insbesondere fur das demographische Verhalten 
(Heiratsalter der Frauen, Kinderzahl) und die Haushaltsstrukturen, aber auch fur 
das Konsumverhalten und die Entwicklung der Preise und Lohne. In diesem Zu- 
sammenhang ist ein besonderes Augenmerk sowohl auf die Verlagerung von Pro- 
ductions- und Handelsschwerpunkten auf das Land und in die Amtsstadte als 
auch auf die Aufwertung der Amter infolge der inneren Staatsbildung zu richten, 
insofern die Amtsstadte - wie beispielsweise in PreuBen - zu Akzisestadten auf- 
gewertet wurden. 102 Inwiefern Schilling zufolge die mit diesen Vorgangen ver- 
bundenen Funktionsverluste der alten Handelsstadt Osnabriick durch einen „Zu- 
gewinn an organisatorischer und unternehmerischer Kapazitat" dankeines „stadt- 
sassigen Verleger-Biirgertums" kompensiert werden konnten, 103 bleibt allerdings 
fur Osnabriick noch zu untersuchen. In dieser Hinsicht vermitteln die Befunde 
iiber die Bevolkerungs entwicklung, die Leinwandproduktion, die Wirtschaftspra- 
xis der Kauf leute, die Situation des stadtischen Handwerks und die Wirtschaftspo- 
litik in der Stadt und im Hochstift sowie im Landdrosteibezirk Osnabriick aller- 
dings eher einen ambivalenten Eindruck. 

Die veranderte Wirtschaftslage in der Stadt Osnabriick seit dem Ende des 17. 
Jahrhunderts veranlaBte offenbar einige Kaufleute spatestens zu Beginn des 18. 
Jahrhunderts, neue Einnahmequellen zu erschlieBen, indem sie sich auf den Han- 
del mit anderen Handelspflanzen (Tabak) konzentrierten, teilweise sich auch um 
deren Weiterverarbeitung in Fabriken kiimmerten und neue Arbeitsverhaltnisse 
begriindeten. So stellten einige von ihnen ihre Betriebe vom Kauf- auf das Ver- 
lagssystem um, was zur Entwicklung einer fruhmodernen Lohnarbeiterschaft auf 
dem Land fiihrte. 104 Diese aktive Minderheit unter Handwerkern, Kramern und 
GroBkaufleuten in der Stadt Osnabriick und in ihrem landlichen Umfeld hat bis- 
her kein Interesse auf sich Ziehen konnen, weil man offensichtlich von ihrer Wirt- 
schaftspraxis keine Kenntnis hatte. Dieser Minderheit ist die Mehrheit der Kauf- 



102 Dies war aber bei den Amtsstadten des Hochstiftes von Osnabriick offensichtlich 
nicht der Fall; vgl. Renger, Landesherrund Landstande (wie Anm. 16), S. 104-126. Denn nur 
in der Stadt Osnabriick wurde die Akzise erhoben, vgl. Sunder, Das Finanzwesen (wie Anm. 
18), S. 137-149. 

103 Schilling, Die Stadt (wie Anm. 5), S. 61. 

104 Dieser Wandel im Betriebssystem ist in der Forschung bisher nicht gewiirdigt wor- 
den. Auch Jiirgen Schlumbohm geht fur den gesamten Osnabriicker Raum uneingeschrankt 
von dem Prinzip des Kaufsystems im Leinengewerbe aus. Vgl. Schlumbohm, Agrarische Be 
sitzklassen (wie Anm. 26), S. 331. 



Die biirgerliche Kaufmannsfamilie Tenge 243 

leute und Kramer gegeniiber zu stellen, von der Olaf Spechter noch fur das friihe 
19. Jahrhundert feststellen zu konnen glaubte: „Wie wenig sich im Laufe derZeit 
die Art der Giiter wandelte, mit denen gehandelt wurde, wird aus der Aufstellung 
der franzosischen Besatzungszeit ersichtlich. Danach betrieben die bedeu- 
tendsten Kaufleute ihr Geschaft durch den Verkauf von Stoffen aller Art, Gewiir- 
zen, Getreide, Wein, Eisen, Porzellan und Olprodukten." 105 

Diese Einschatzung ist beispielsweise fur die Kaufmannsfamilie Tenge schlicht- 
weg als falsch zu bezeichnen. Diese iiberfallige Korrektur diirfte auch bei den Fa- 
milien Gosling, von Giilich, Quirll, Thorbecke, Schwartze und Schroder vorzu- 
nehmen sein. Es ist auffallend, daB sich am Ende des 18. Jahrhunderts offenbar 
nur noch wenige Leinen- und Tuchhandler wie beispielsweise die Familie Tenge 
in der Stadt Osnabriickzu behaupten vermochten, wahrend die meisten Vertreter 
dieser Gruppe ihren Geschaftsmittelpunkt in die Amtsstadte verlagerten. Anfang 
des 19. Jahrhunderts war auch fiireinen Zweig der Familie Tenge derZeitpunkt ge- 
kommen, in einer benachbarten Region friihindustriell aktiv zu werden, wo die 
Gewerbegesetzgebung derartige Initiativen eher begiinstigte als im Landdrostei- 
bezirk Osnabriick. So erwarb Friedrich Ludwig Tenge mit Hilfe seines Vaters 
Ernst Friedrich seit 1814 im preuBischen Teil Ostwestfalens groBeren Grundbesitz 
und errichtete dort in der ersten Halfte des 19. Jahrhunderts drei Glashiitten, eine 
Papiermiihle und eine Eisenhiitte. 106 

Dariiber hinaus skizziert Spechter mit seiner Beschreibung ein recht statisches 
Bild von der Wirtschaftslage und von dem Wirtschaftsverhalten der Kaufleute in 
Osnabriick und nimmt es als Charakteristikum fur das gesamte 18. Jahrhundert. 
Mit dieser Einschatzung kolportiert er nicht nur das iiberkommene negative Urteil 
iiber den Verfallszustand der Stadte am Ende des Alten Reiches, sondern eriiber- 
tragt es auch auf die gesamte Oberschicht Osnabriicks. DaB seine offenbar in er- 
ster Linie an den politischen Honoratioren sich orientierende Interpretation mit- 
nichten auf alle Vertreter der Oberschicht iibertragbar ist, sollten die Ausfiihrun- 
gen insbesondere iiber die Kaufmannsfamilie Tenge deutlich gemacht haben. Die 
zwischen 1650 und 1850 voranschreitende soziale Differenzierung in der Stadtge- 
sellschaft Osnabriicks, insbesondere innerhalb der Oberschicht, kann durch die 
Beriicksichtigung bisher nicht genutzter Quellen, wie beispielsweise der Hebere- 
gister und der umfanglichen Bauakten, erschlossen werden. Dariiber hinaus 
diirften prosopographische und sozialgeschichtliche Untersuchungen iiber Ver- 
treter des Klein- und des Wirtschaftsbiirgertums Osnabriicks und iiber ihre ver- 
wandtschaftlichen Beziehungen in die Amtsstadte des Hochstiftes den bisherigen 
Kenntnisstand iiber die veranderten okonomischen Funktionen der Stadt Osna- 



105 Vgl. Spechter, Die Osnabriicker Oberschicht (wie Anm. 2), S. 64. 

106 Vgl. Konersmann, Die Familie Tenge (wie Anm. 4), S. 159. 



244 Frank Konersmann 

briick erweitern. Derartige Untersuchungen werden die Forschungsperspekti- 
ven der neueren Stadtgeschichte im Sinne Heinz Schillings erganzen und weiter 
differenzieren. 



Nageln in Niedersachsen im Ersten Weltkrieg' 

Mit sechs Abbildungen 



Von Gerhard Schneider 



7. Aufkommen, Verbreitung und Sinn des Nagelns 

Das Nageln holzerner Symbole, der sog. Kriegswahrzeichen, begann ein gutes 
halbes Jahr nach Beginn des Krieges. In Wien nagelte die Bevolkerung am 6. 
Marz 1915 erstmals ihren Eisernen Ritter, eine Holzfigur, die einem mittelalterli- 
chen Ritter in voller Wappmmg nachgebildet war. Mit dem Epitheton „eisern" 
wird (wie spater in alien anderen Stadten auch) bereits jener Zustand beschrie- 
ben, in den das holzerne Objekt durch seine flachendeckende Benagelung erst 
noch versetzt werden sollte. Das Nageln des Wiener Eisernen Ritters loste eine 
wahre Epidemie aus, die groBe Teile Osterreich-Ungarns und Deutschlands er- 
fasste und auch in deutschtiimelnden Vereinen in den USA, ferner in Istanbul, der 
Hauptstadt des mit Deutschland und Osterreich-Ungarn verbiindeten osmani- 
schen Reiches, Nachahmung fand. Auch an der Front wurde genagelt, so etwa 
nachweislich in Reims ein Eiserner Adlerund in Liittich ein EisernerEmmich, so- 
wie auf einigen deutschen Kriegsschiffen auf hoher See. 

Warum begann alles in Wien? Hier glaubte man mit dem sagenumwobenen 
„Stock im Eisen" iiber ein Vorbild des jetzt wiederbelebten Nagelbrauchs zu ver- 
fiigen. Ziemlich im Zentrum der Stadt, ganz in der Nahe des Stephansdoms, war 
damals 1 noch in einer Mauernische ein eigenartiger Baumstumpf zu sehen, der 
iiber und iiber mit Nageln beschlagen war. Um ihn rankte sich eine in der Bevol- 
kerung bekannte Legende. 2 Diejenigen, die an den alten Nagelbrauch jetzt wie- 

* Das Ms. geht auf ein Referat zuriick, das ich am 13. 3. 2004 im Arbeitskreis „Geschich- 
te des 19. und 20. Jahrhunderts" der Historischen Kommission fur Niedersachsen und Bre- 
men gehalten habe. 

1 Das Original des „Stock im Eisen" befindet sich heute im Historischen Museum der 
Stadt Wien. 

2 Zu dieser Legende wie zum Brauchnageln, ferner zum Nageln als Handlung im Rah- 
men des heidnischen Schad- und Bannzaubers s. Gerhard Schneider: Zur Mobilisierung der 
„Heimatfront": Das Nageln sogenannter Kriegswahrzeichen im Ersten Weltkrieg, in: Zeit- 
schrift fur Volkskunde 95 (1999), S. 32-62; hier bes. S. 33-37; ferner die Legende um den 
Stock im Eisen bei Heinrich Lessmann: Der deutsche Volksmund im Lichte der Sage, Berlin 



246 Gerhard Schneider 

der ankniipften, waren allerdings darauf bedacht, das Nageln der Kriegswahrzei- 
chen im Ersten Weltkrieg von jedermagischen Bedeutung frei zu halten, um es erst 
garnicht dem Odium des heidnischen Schad- und Bannzaubers auszusetzen. Dies 
gelang nicht immer und nicht iiberall. Es fallt nicht schwer nachzuweisen, dass das 
feierliche Einschlagen der Nagel in die Kriegswahrzeichen von vielen Zeitgenos- 
sen tatsachlich als kultischer Akt wahrgenommen wurde und dass den holzernen 
Symbolen, vor allem den groBen Vollplastiken, auch magische Bedeutung zuge- 
schrieben wurde. Insofern kann das Nageln auch zu jenen Erscheinungsformen 
popularerReligiositatbzw. von Kriegsaberglauben gerechnet werden, die sich fast 
von den ersten Kriegstagen an sowohl an der Front als auch in der Heimat 
auszubreiten begannen. Hierzu zahlten etwa die vielen Gliicks- und Schutzbrin- 
ger aller Art, also etwa geweihte Amulette, Rosenkranze und Heiligenbilder, die 
die Soldaten auf dem Herzen trugen und die sie gegen feindliche Kugeln schiitzen 
sollten; Zahlenrabulistik sollte dazu verhelfen, das Kriegsende gleichsam zu er- 
rechnen; Himmels- und Kettenbriefe, die auch schon in fruheren Kriegen aufge- 
taucht waren, kamenjetzt ebenfalls wiederin Umlauf usw. Das Nageln hatte aber, 
wie noch zu zeigen sein wird, auch andere Konnotationen (s. Abschnitt IV). 

Sieht man einmal von all diesen Aufladungen des Nagelaktes ab, bedeutete das 
Nageln zunachst nichts weiter als eine andere, wegen der aktiven Beteiligung der 
Bevolkerung vielleicht starker mobilisierende Sammelaktion, von denen es in die- 
sem Krieg ja so viele gab. Organisatoren der Nagelungen waren nicht immer die 
politischen Gemeinden; oft ging die Initiative von karitativ tatigen Vereinen (z.B. 
Rotes Kreuz, lokale Kriegshilfe) und ortlichen Komitees vaterlandischer Verban- 
de (z.B. Vaterlandischer Frauenverein, Deutscher Frauendank) aus. Wer immer 
Nageln wollte, Mann, Frau oder Kind, kaufte sich fur geringes Entgelt einen oder 
mehrere Nagel - die schwarz angemalten waren die billigsten, teurer waren die 
silberfarbenen, wahrend sich die goldfarbenen nur die reichere Bevolkerung lei- 
sten konnte - und schlug diese an einer vorbezeichneten Stelle in das Symbol ei- 

2. unv. Aufl. 1937 und Julius Lasius: Kriegswahrzeichen in rheinisch-westfalischen Industrie- 
stadten, in: Stahl und Eisen. Zeitschrift fur das deutsche Hiittenwesen 36. Jg. Nr. 6 v. 10. Fe- 
bruar 1916, S. 133 f. Varianten der Legende finden sich bei Leander Petzoldt: Historische 
Sagen, Schorndorf 2001, Nr. 49, S. 36 (nach: Otto von Graben zum Stein: Unterredungen 
von dem Reiche der Geister, Leipzig 1731, II, S. 248-250) und im Internet: http://www.in- 
ode.at/sagen/wien/stock.htm, http://www.gutenberg.spiegel.de/sagen/austria/wien/stock- 
eis.htm und http://www.ihs-lp.at/sagenwanderung/html/stock_im_eisen.html. August Neu- 
haus: Der „Stock-im-Eisen" in Wien und sein Gegenstiick aus Kiel im Germanischen Natio- 
nalmuseum in Niirnberg, in: Niedersachsen 21 (1915/16), Nr. 9, S. 145-147; Alfred Burger- 
stein: Der Stock im Eisen der Stadt Wien, Wien 1893. Prof. Dr. Burgerstein war Pflanzen- 
physiologe und hat seinerzeit herausgefunden, dass es sich bei dem Stock um einen Kiefern- 
stamm handelt, der mit den Wurzeln nach oben aufgestellt worden war. Nur seine Vordersei- 
te war benagelt worden und zwar mit identischen Nageln. 



Nageln in Niedersachsen im Ersten Weltkrieg 247 

genhandig ein. Die Nagellocher waren meist bereits schon vorgebohrt, so dass 
die Nagel auch von Kindern und Frauen „sauber" eingeschlagen werden konn- 
ten. Das auf diese Weise eingenommene Geld sollte den Kriegsversehrten und 
den Kriegshinterbliebenen der eigenen Gemeinde zugute kommen. Urn das Na- 
geln neu zu beleben, erweiterten manche Gemeinden schon nach kurzer Zeit ihr 
„Angebot", indem man jetzt auch kleine, mit Spriichen, mit dem Namen der 
Spender oder mit den Symbolen von Handwerkerorganisationen oder Vereinen 
versehene Metallplattchen zum Nageln ausgab. Auch die zum Verkauf angebote- 
nen Postkarten mit der Wiedergabe des lokalen Nagelungssymbols sollten das 
Spendenaufkommen steigern. Broschen und Anstecknadeln dienten als sichtba- 
rer Beweis dafiir, dass man bereits genagelt hatte und so seiner patriotischen 
Pflicht nachgekommen war. Fur all jene, die noch nicht genagelt hatten, enthielt 
diese Praxis einen stillen Vorwurf, sich nicht langer dieser „Pflicht" zu entziehen. 
Mit dem Nageln Moral zu beweisen und Solidaritat mit der Bevolkerung zu Hau- 
se und den Soldaten an der Front zu demonstrieren, war fur Staats- und Kommu- 
nalbeamte, Vereinsvorsitzende, Schuldirektoren und Lehrer, aber auch Fabrikbe- 
sitzerund Geschaftsinhaber, also fur all jene, die als Reprasentanten des Staats, als 
Vorbilder oder als Profiteure des Krieges galten, ein MuB, das ohne Verlust an 
Ansehen kaum zu umgehen war. Es war daher naheliegend, dass diese Nagelnden 
Wert darauf legten, ihre Namen als Spender oft bedeutender Summen in den lo- 
kalen Zeitungen fur alle lesbar verzeichnet zu sehen. 

Dass Spenden auf diese Weise iiberhaupt eingeworben werden mussten, macht 
deutlich, dass die staatlichen Sozialfonds bei Kriegsbeginn nicht iiber ausrei- 
chende Finanzmittel verfiigten, um die mit Fortgang des Krieges immer zahlrei- 
cher werdenden Kriegsinvaliden und Kriegshinterbliebenen angemessen zu ver- 
sorgen. Zum anderen brachten die Menschen den nationalen Spendenaktionen 
offensichtlich kein allzu groBes Vertrauen entgegen, dass namlich die eingehen- 
den Spenden den Betroffenen auch wirklich zugute kamen. Lokale Aktionen, de- 
ren Ertrage direkt an die Opfer in der eigenen Gemeinde verteilt wiirden, erschie- 
nen ihnen sicherer. Hier, so glaubte man wenigstens, konnte man iiberpriifen, ob 
und wie die Gelder verteilt wiirden. Dass diese Hoffnung in den meisten Fallen 
trog, steht auf einem anderen Blatt. Nur selten erfahren wir, wer etwas (und wie 
viel) aus dem Spendentopf erhielt. Es ist zu vermuten, dass die Spendengelder 
nicht selten dazu verwendet wurden, Kriegsanleihen zu zeichnen, und dies sicher 
oft mit dem ehrenwerten Argument, dass diese j a in absehbarer Zeit gut verzinst 
zuriickbezahlt werden wurden und dann den Kriegsopfern weit mehr ausbezahlt 
werden konnte, als mit der Nagelaktion jetzt aufgebracht wurde. 

Der sich schnell abzeichnende Erfolg des Nagelns veranlasste staatliche und 
nichtstaatliche Institutionen, sich an die Spitze dieser Bewegung zu stellen. Am er- 
sten Jahrestag des Kriegsbeginns erhielten alle Gemeinden einen Aufruf zuge- 



248 Gerhard Schneider 

stellt, mit dem die „Nationalgabe Nagelung von Kriegswahrzeichen in alien Gau- 
en Deutschlands zu Gunsten der Nationalstiftung fiir die Hinterbliebenen der im 
Kriege Gefallenen" - so derumstandliche Name dieser Institution - neue Quellen 
zur Einwerbung von Spendengeldern zu erschlieBen versuchte - „den gefallenen 
Helden zur Ehre, den Hinterbliebenen zum Trost und zur Unterstiitzung, den 
Stadten und Gemeinden zum Ruhm und derjugend zur Nacheiferung." General- 
feldmarschall von Hindenburg, dessen Ruhm ein Jahr nach Kriegsbeginn bereits 
irrationale AusmaBe angenommen hatte und der allein den siegreichen Ausgang 
des Krieges zu garantieren schien, hatte das Ehrenprasidium dieser Nationalstif- 
tung iibernommen. Der Aufruf erschien gleichzeitig in fast alien deutschen Tages- 
zeitungen. 3 Es war vor allem die Bestimmung der „Nationalgabe", dass der Erlos 
des Nagelns „zu 3 /4 der , Nationalstiftung' und auf Wunsch Vi den ortlichen Wohl- 
fahrtseinrichtungen, die sich auf den Krieg beziehen", 4 zuf lieBen solle, die in zahl- 
reichen Gemeinden Widerspruch provozierte. Zu fragwiirdig erschien den loka- 
len Initiatoren des Nagelns diese Verteilungspraxis, bei der man nicht absehen 
konnte, was iiber das besagte Viertel des Spendenaufkommens hinaus noch auf 
die Bediirftigen der eigenen Gemeinde zukommen wiirde. Tatsachlich haben nur 
wenige Stadte der Vorgabe der „Nationalgabe" voll entsprochen. Man wollte in 
den nagelnden Gemeinden iiber die Spenden, die die Einwohner aufbrachten, 
selbstandig und unabhangig verfiigen - sicherlich ein Zeichen dafiir, dass die viel 
beschworene Volksgemeinschaft dort an ihre Grenzen stieB, wo es urns Geld ging. 
So unbeliebt die Vorgabe der „Nationalgabe" iiber die Aufteilung der Spenden 
bei den Gemeinden auch gewesen sein mag, eines hat der Aufruf doch bewirkt: 
dass namlich das Nageln holzerner Symbole nunmehr iiberall in Deutschland be- 
kannt wurde und sich in der Folgezeit zu einer wahren Epidemie entwickelte. 
Zwar hatten schon bald nach der Wiener Erstnagelung vom 6. Marz 1915 auch 
mehrere deutsche Stadte ihr Kriegswahrzeichen erhalten - so zunachst am 23. 

3 Um ein Beispiel zu nennen: Die Cellesche Zeitung, die im iibrigen dem Nageln kaum 
Bedeutung beimaB, veroffentlichte den Text des Aufrufs als Paraphrase, gut anderthalb Wo- 
chen nach dessen Bekanntmachung (Cellesche Zeitung Nr. 184 v. 9. 8. 1915). Vom 1. August 
1915 bis zum 1. August 1916 erschien in dieser meist zweimal taglich erscheinenden Zeitung 
nicht ein Bericht iiber eine in Celle oder im Celler Umkreis stattgefundene Nagelung. Selbst 
die spektakulare Nagelung Heinrichs des Lowen in Braunschweig im Dezember 1915 blieb 
ohne Erwahnung. Nur mit einigen Zeilen wird auf die bei der Nagelung des Eisernen Micha- 
els zu Hamburg schon nach wenigen Tagen erzielten Spenden hingewiesen; auch die Nage- 
lungen in Emden und in Bremen, nicht aber jene in Hannover, werden erwahnt. 

4 Diese Passage aus dem Aufruf wird hier zitiert nach dem von der „Nationalgabe" her- 
ausgegebenen Musterbuch „Entwurfe von Kriegs-Wahrzeichen zum Benageln", Charlotten- 
burg o J. (1915, S. 5), wie es sich im Stadtarchiv Hannoversch Miinden 1X4, 53 („Errichtung 
eines Kriegs-Wahrzeichens [Eisernes Kreuz] in hiesiger Stadt") befindet. Der urspriingliche 
Aufruf ist in zahlreichen Stadtarchiven erhalten geblieben. 



Nageln in Niedersachsen im Ersten Weltkrieg 249 

April 1915 Darmstadt sein „Kreuz in Eisen", danach am 7. Mai Heilbronn seinen 
„Eisenhart", der ersten auf dem Boden des deutschen Kaiserreichs errichteten 
vollplastischen Figur -, in Niedersachsen scheint aber zunachst keine Gemeinde 
und auch keine Privatinitiative das iiber die Presse sicher auch hier in manchen 
Kreisen bekannt gewordene Nageln 5 aufgegriffen zu haben. Samtliche nieder- 
sachsischen Nagelungen fallen erst in die Zeit ab dem 1. August 1915. Die letzte 
von mirnachgewiesene Erstnagelung fand am 27. 1. 1918 in Aerzen statt, wo man 
ein Eisernes-Kreuz-Symbol zur Nagelung einweihte. Dies ist auch im Vergleich 
mit anderen deutschen Landschaften eine sehr spate Erstnagelung. Die Hochzeit 
des Nagelns liegt in Deutschland wie in Niedersachsen im zweiten Kriegsjahr, al- 
so in einer Zeit, in der die Bevolkerung allgemein noch mit einem siegreichen 
Kriegsausgang rechnete. Nachdem aber die Menschenverluste im Zuge der gro- 
Ben Materialschlachten des Jahres 1916 um Verdun und an der Somme in eine 
bisher nicht vorstellbare Hohe gestiegen waren und diese Kriegsopfer auch nicht 
mehr mit einem kriegsentscheidenden Sieg legitimiert werden konnten, f laute die 
Nagelepidemie ab. Sicher, die meisten GroBstadte hatten bereits friiher ihr 
Kriegswahrzeichen aufgestellt, aber manche Stadte, von denen man es aufgrund 
ihrer GroBe und ihrer Bedeutung hatte erwarten konnen, dass sie sich der Nagel- 
bewegung anschlossen, hatten sich bis dahin noch nicht fur das Nageln entschei- 
den konnen. Dort, wo Kriegswahrzeichen standen und - wie etwa in Hannover - 
taglich oder - wie in den meisten anderen Gemeinden - nur sonntags oder zu be- 
stimmten Anlassen genagelt werden konnten, ging die Bereitschaft des Nageln 
und damit des Spendens merklich zuriick. Die Initiatoren sahen sich veranlasst, 
in den Tageszeitungen immer wieder zum Nageln aufzurufen, ohne damit spa- 
terhin noch durchschlagenden Erfolg zu haben. Tatsachlich wurden zahlreiche 
Kriegswahrzeichen nicht zu Ende genagelt, da eine offentliche Bekundung pa- 
triotischer Begeisterung angesichts der sich dramatisch verschlechternden Lage 
an der Front und den sich einstellenden Versorgungsengpassen in derHeimat wi- 
dersinnig erschien. Um den deprimierenden Eindruck eines nicht voll benagel- 
ten Symbols zu vermeiden, entfernte man vielerorts die Kriegswahrzeichen aus 
der Offentlichkeit. Der Plan, die Symbole als sichtbaren Ausdruck des Gemein- 
sinns der Burger und deren Solidaritat mit „der Front" in der Gemeinde fiir alle 
sichtbar auf Dauer zu stellen, wurde mit dem Riickgang der Nagelbereitschaft in 
den meisten Orten aufgegeben. Das Kriegswahrzeichen kam ins Museum, in den 
Rathaussaal oder - wie vielfach in kleinen Gemeinden - in die Kirche. Die Nage- 



5 Die Liineburgschen Anzeigen Nr. 57 v. 9. 3. 1915 erwahnen in einem 19zeiligen Be- 
richt die „Aufstellung des ,Eisernen Wehrmanns' in Wien." Auch die Chemnitzer „Volks- 
stimme" Nr. 55 v. 9. 3. 1915 berichtet iiber die Wiener Nagelung". 



250 Gerhard Schneider 

lungsobjekte wurden musealisiert bzw. sakralisiert. Wurde gelegentlich auch spa- 
ter noch genagelt, erhielt das Kriegswahrzeichen eine neue Konnotation: vom 
Sinnbild fiir die Solidaritat und Opferbereitschaft der „Heimatfront" wurde es 
zum Gedachtnismal fiir die Gefallenen. 

Es wirft ein bezeichnendes Licht auf das Nageln als vorgeblichen Akt der Soli- 
daritat, dass es in dem Augenblick aufgegeben wurde, als Geldmittel fiir die im- 
mer groBer werdende Zahl der Kriegsopfer gerade besonders notwendig wurden! 
Dies lasst vermuten, dass der Sinn und Zweck des offentlichen Nagelns von 
Kriegswahrzeichen sich nicht darin erschopfte, nur auf eine andere und spektaku- 
larere Art und Weise Spenden einzuwerben. Das Nageln war fiir jene, die dazu 
Veranlassung hatten, immer auch ein demonstrativer Akt, Gesinnung zu demon- 
strieren. Wer ein offentliches Amt als Biirgermeister, Landrat, Offizier, Vereins- 
vorsitzender, Innungsmeister, Lehrer, Pfarrer usw. innehatte, glaubte, falls er dies 
nicht aus echter Uberzeugung heraus ohnehin zu tun beabsichtigte, zum Nageln 
genotigt zu sein. Die Biirgerinnen und Burger nicht nur zum Spenden zu veranlas- 
sen, sondern mit dem patriotischen Akt des Nagelns auch auf ihre Siegeszu- 
versicht stabilisierend einzuwirken und sie in ihrer Durchhaltebereitschaft zu be- 
starken, wurde von manchen, die als Initiatoren des Nagelns auftraten, als Amts- 
pflicht verstanden. Indem sie bei der feierlichen Erstnagelung des lokalen Sym- 
bols den ersten Nagel einschlugen, demonstrierten sie Volksnahe und erwiesen 
sich als Teil der unerschiitterlichen Volksgemeinschaft. Dies gait auch fiir jene 
Fiirstlichkeiten und Personlichkeiten aus dem Adel, die vor dem Krieg in ihrer be- 
wussten Volksferne ein Mittel zur Wahrung ihres Bediirfnisses nach Distinktion 
sahen. Jetzt beteiligten sie sich demonstrativ an den Nagelungen, schlugen einen 
Nagel ein, der, um ihre Beteiligung fiir alle sichtbar zu machen, mit ihren Initialen 
geziert war 6 und verbanden damit oft eine ansehnliche Geldspende. Dadurch, 
dass sie sich freiwillig zu den Waffen meldeten, bekundeten sie ihren Willen, 
sichtbar der so oft beschworenen Volksgemeinschaft angehoren zu wollen. 7 Bei 
jenen, die staatlichen Amtern vorstanden oder Fiihrungsfunktionen ausiibten, 

6 In Braunschweig wurden die vom dortigen Herzogspaar, dem Staatsministerium und 
dem Stadtmagistrat gestifteten Ehrennagel im Schaufenster des Hofgoldschmieds ausgestellt. 
„Der groBte goldene Nagel, den die Frau Herzogin nageln wird, tragt auf seinem Kopfe die An- 
fangsbuchstaben der Vornamen Ihrer Koniglichen Hoheiten, der zweite, vom Staatsministeri- 
um geschenkte, die Namen der Herren Minister. . ., der dritte, vom Stadtmagistrat darge- 
brachte, das Stadtwappen (Neueste Nachrichten [Braunschweig] Nr. 285 v. 5. 12. 1915). 

7 Dies auch weiten Kreisen der Bevolkerung bekannt zu machen, diirfte ein Bericht in 
der Gifhorner Tageszeitung Nr. 222 v. 21. 9. 1915 beabsichtigt haben. Darin wird aufgezahlt, 
wer aus dem Adel (freiwillig) in die Armee eingetreten ist bzw. wo er Dienst tut und welche 
Auszeichnungen er erhalten hat, auch ob er verwundet wurde oder gefallen ist. Unter der 
Uberschrift „Vom kbnigstreuen Adel" finden wir die Namen bekannter althannoverscher Fa 
milien (von Hodenberg-Hudemiihlen; von der Decken, Adendorf; von Hodenberg, Celle; 



Nageln in Niedersachsen im Ersten Weltkrieg 251 

mogen gelegentlich auch opportunistische Griinde mitgespielt haben, wenn sie 
bei Erstnagelungen die Weiherede hielten oder als Vereins- und Verbandsfunk- 
tionare ihre Mitglieder zum geschlossenen Nageln fiihrten. Forcierte offentliche 
Propaganda fur das Nageln konnte gleichsam als Wechsel auf die Zukunft dermal- 
einst Friichte tragen, allerdings wohl nur dann, wenn der Krieg mit einem Sieg der 
„deutschen Waffen" enden wiirde. Als der Krieg sich immer weiter in die Lange 
zog und die Bevolkerung in ihrer Siegesgewissheit schwankend wurde, erlahmte 
auch das Engagement all derer, die zuvor nicht miide wurden, das Nageln als 
einen patriotischen Akt zu deklarieren, an dem teilzunehmen eigentlich jeder an- 
standige Burger verpflichtet sei. So erwies sich das Nageln als eine Art Schonwet- 
teraktion, die dann zusehends an Dynamik einbiiBte und schlieBlich gar ein- 
schlief, als die Zeiten harter wurden. Was in der friihen Phase des Krieges mog- 
lich war, namlich bei den wiederholten kollektiven Nagelakten das Gemiit jener 
aufzuhellen, die daran teilnahmen, funktionierte nunmehr in der Phase der Peri- 
petie des Krieges offensichtlich nicht mehr. Symbolische Handlungen machten 
auf Dauer weder satt noch forderten sie gute Stimmung! 

Anzahl und Motive der niedersachsischen Kriegswahrzeichen 

In Niedersachsen war es die Stadt Goslar, die am 1. August 1915, amjahrestag des 
Kriegsausbruchs, als erste ihrNagelobjekt einweihte. In der Folgezeit nagelte die 
Bevolkerung von nachweislich annahernd 90 Gemeinden. In manchen Stadten 
wurden gleich mehrere Symbole genagelt (z.B. Hannover, Hameln, Wilhelmsha- 
ven) . Mit einer groBen Dunkelziffer ist zu rechnen, da Akten iiber erfolgte Nage- 
lungen nicht in jedem Fall in den Stadt- und Gemeindearchiven niedergelegt 
wurden oder in Zeitungsberichten ihren Niederschlag fanden. Vielfach ging das 
Nageln von Vereinen aus, die, falls sie iiberhaupt Akten fiihrten, diese nicht im- 
mer an die kommunalen Archiven abgaben. Manche Zeitungen verfiigten in den 
Flecken und Dorfern iiber keine lokale Berichterstatter, so dass Berichte iiber er- 
folgte Nagelungen iiberhaupt nicht an die Redaktionen der Zeitungen gelangten 
oder diese es nicht fiir notwendig erachteten, iiber das Nageln in unbedeutenden 
Agglomerationen iiberhaupt zu berichten. Manchmal, wenn etwa Vereine ein auf 
eine Tischplatte im Vereinslokal mit Nageln vorher aufgezeichnetes Eisernes 
Kreuz ausnagelten, war das Objekt nicht spektakular genug oder der eingegange- 
ne Spendenbetrag zu unbedeutend, als dass eine Notiz in der Lokalzeitung ge- 
rechtfertigt gewesen ware. Zu dergenannten Anzahl der Nagelungen miissten fer- 
ner noch die sog. Schulnagelungen hinzugezahlt werden, die sich systematisch 



von Hammerstein, Gamsen-Gifhorn; v. Meding, Uelzen; v. Meding-Schnellenberg), deren 
Konigstreue jetzt Konig Wilhelm II. gait. 



252 Gerhard Schneider 

aber kaum erfassen lassen, weil sie von einzelnen Schulen bzw. gar von einzelnen 
Klassen durchgefiihrt wurden, ohne dass hieriiber - auBer vielleicht in den sog. 
Schulschriften - berichtet worden ware. 8 

Welche Symbole wurden in Niedersachsen genagelt? 9 Wie iiberall in Deutsch- 
land dominierte auch hier das Symbol des Eisernen Kreuzes. Von den bisher 
nachweisbaren 94 Nagelungen in 86 Gemeinden sind mindestens 10 35 Eiserne- 
Kreuz-Nagelungen. Das Eiserne Kreuz war das in alien Schichten der Bevolke- 
rung vertraute Kriegssymbol, das iiberdies mit dem geringsten kiinstlerischen 
Aufwand und damit mit den geringsten Kosten hergestellt werden konnte. Es war 
das Symbol der kleinen Leute und der kleinen Gemeinden, was nicht heiBt, dass 
es nicht auch in GroBstadten genagelt worden ware (z.B. Niirnberg, Potsdam). 
Aufgrund seiner Strukturbot es iiberdies die Moglichkeit, an bestimmten Stellen 
(Rand, Zentrum) Nagel unterschiedlicher Farbe zu plazieren, so dass sich, sofern 
das Symbol zu Ende genagelt wurde, ein harmonisches Gesamtbild ergab. Auch 
was das zweithaufigste niedersachsische Nagelsymbol angeht, das Stadtwappen, 
entsprach die regionale Vorliebe dem nationalen Trend. Mindestens zehn Ge- 
meinden nagelten dieses Symbol. Motive, die auf das diejeweilige Gemeinde pra- 
gende Gewerbe bzw. an den dort vorherrschenden Industriezweig anspielten, wie 
sie etwa im Ruhrgebiet mit den Eisernen Schmieden von Hagen, Bochum und Es- 
sen besonders haufig waren, 11 sind hierzulande selten. In Elsfleth hat man, wie es 
scheint, einen Anker genagelt, was auf die Verbundenheit der Gemeinde mit der 
See hinweist; in Wittingen sollte das Hufeisen, das man dem Stadtwappen hinzu- 
gefiigt hat, moglicherweise an die dort betriebene Pferdezucht erinnern; in Mun- 
ster nagelte man einen Bienenkorb, vielleicht ein Symbol fur die in der Liinebur- 
ger Heide betriebene Imkerei. Zweimal lasst sich der Adler, ein nationales Ho- 
heitszeichen und zugleich ein Sinnbild deutscher Starke, als Kriegswahrzeichen 
nachweisen (Badbergen und Harburg). Ebenfalls zweimal wurden Kriegswahr- 
zeichen aufgestellt, die Heilige abbildeten: in Bad Pyrmont den Heiligen Michael, 



8 S. zu den Schulnagelungen: Gerhard Schneider: Uber hannoversche Nagelfiguren im 
Ersten Weltkrieg, in: Hannoversche Geschichtsblatter N.F. 50 (1996), S. 247-253 und den 
Nachtrag auf S. 258. - Die Essener Schulwandtafelfabrik Glasmachers vertrieb mit Hilfe ei- 
nes Farbkatalogs unterschiedliche Nagelschilde und lieferte auch Postkarten der Schilde, auf 
die dann der Name der nagelnden Schule bzw. Klasse gedruckt wurde. 

9 S. hierzu die Auflistung der niedersachsischen Nagelungen im Anschluss an diesen 
Artikel. 

10 Hier sind nur jene Nagelungen beriicksichtigt worden, bei denen das Eiserne Kreuz 
Hauptsymbol ist. Nicht gezahlt wurden jene zahlreichen Falle, bei denen das Eiserne Kreuz 
als Accessoire des Hauptsymbol auftaucht. 

11 S. hierzu Stefan Goebel: „Kohle und Schwert". Zur Konstruktion der Heimatfront in 
Kriegswahrzeichen des Ruhrgebiets im Ersten Weltkrieg, in: Westfalische Forschungen 51 
(2001), S. 257-281. 



Nageln in Niedersachsen im Ersten Weltkrieg 253 

an den deutschen Nationalheiligen, und in Sottrum, heute ein Ortsteil von Holle/ 
Kr. Hildesheim, den Heiligen Georg. Relativ haufig, und zwar nicht nur in GroB- 
stadten, sind in Niedersachsen vollplastische Personenfiguren genagelt worden: 
Krieger- und Ritterfiguren in Bremervorde („DeutscherKrieger"), Melle („Eiser- 
ner Feldgrauer") und Quakenbriick („Eiserner Burgmann"); lokale Helden aus 
Geschichte und Mythologie in Braunschweig („Heinrich der Lowe"), Liineburg 
(„Hermann Billung"), Oldenburg („Isern Hinerk"), Osnabriick („Karl der Gro- 
Be") und Weener („Isdern Hinnerk bi de Kake"); eine Rolandfigur wurde am 5. 
Marz 1916 in der hannoverschen Siidstadt erstgenagelt, lange, nachdem man in 
dieser Stadt im August 1915 mit dem Benageln des „Eisernen Sachsenrosses" und 
der ersten von zwei holzernen Feldkanonen begonnen hatte. 12 Das „Eiserne Sach- 
senroB" in Hannover und eine Eichentafel ebenfalls mit dem SachsenroB in Twi- 
stringen gehoren in die Gruppe der popularen heraldischen Traditionssymbole. 

Emden und Wilhelmshaven 13 

Auf zwei vollplastische Kriegswahrzeichen soil hier besonders hingewiesen wer- 
den, zum einen, weil sie deutschlandweit eine Besonderheit darstellten, zum an- 
deren, weil sie schon von Zeitgenossen heftig kritisiert wurden. Da ist zunachst in 
Emden der „Isdern Keerl", das ist das Ebenbild des seinerzeit beriihmten Fregat- 
tenkapitans Karl von Miiller, des Kommandanten des Hilfskreuzers „Emden" 
(Erstnagelung am 2. 9. 1915). Das andere Kriegswahrzeichen wurde in Wilhelms- 
haven errichtet. Es hieB „Die hohe Wacht", stellte aber in Wirklichkeit den dama- 
ligen Staatssekretar im Reichsmarineamt, Admiral von Tirpitz, dar (Erstnagelung 
am 12. 12. 1915). In Deutschland gab es nur ein weiteres Beispiel dieser Art und 
zwar den „Eisernen Hindenburg" zu Berlin (Erstnagelung am 4. 9. 1915). 

Vielleicht blieben die Emdener von jeglicher Kritik an der Wahl ihres Nage- 
lungssymbols verschont, weil sie betonten, ihr Kriegswahrzeichen sei kein Denk- 
mal fur den Kommandanten der „Emden", auch wenn es dessen Gesichtsziige tra- 
ge. Ein solches wolle man erst nach Ende des Krieges errichten. Vielmehr soil es 



12 Nachdem die erste Feldkanone in der fur die Bevolkerung Hannovers und Umgebung 
errichteten Musterschiitzengrabenanlage voll genagelt worden war und rund 50.000,- Mark 
an Spenden erbracht hatte, wurde dort Ende April eine zweite Kanone zur Benagelung auf- 
gestellt. Wie die erste Kanone wurde auch diese von Oberingenieur Schbrling von der Han- 
noverschen StraBenbahn gestiftet; s. Die Harke Nr. 96 v. 25. 4. 1916; identischer Bericht in 
den Liineburgschen Anzeigen Nr. 97 v. 26. 4. 1916. 

13 Hierzu ausfuhrlich Gerhard Schneider: „Der scheme Gedanke ins Groteske ver- 
kehrt"? - Das Ebenbild lebender Personlichkeiten als Nagelobjekt im Ersten Weltkrieg, in: 
Gottfried Korff (Hrsg.) : Alliierte im Himmel. Populare Religion und Kriegserfahrung, Tu- 
bingen 2004 (im Druck). 



254 



Gerhard Schneider 




Abb. 1: 
De Isdern Kerl van Emden 



ein „ Symbol der Tapfer- 
keit und des unerschrok- 
kenen Mutes" sein, „ein 
Sinnbild deutscher Man- 
nestugend, wie sie sich in 
Kampf und Todesgefahr 
grade in dieser Zeit so 
glanzend bewahrt" u ha- 
be. Diese Erlauterung 
schien notwendig, da 
diese Figur eines mittel- 
alterlichen Ritters mit 
Panzer, Helm, Schwert 
und Schild die Gesichts- 
ziige eines Seehelden der 
Gegenwart trug, und die- 
se Kombination doch et- 
was seltsam anmutete. In 
Emden storte dies nie- 
manden. Das Standbild 
evoziere die Erinnerung 
an heldische Tugenden, 
wie sie Kapitan von Miil- 
lerund vorihm - so in ei- 

nem in die Einweihungsrede eingefiigten Gedicht - Bismarck und Zeppelin vor- 
gelebt haben. „Es leben Gestalten, erhaben und hehr - / So eisern die Stirne, so ei- 
sern die Wehr - / Urn die uns die Feinde beneiden." Und schlieBlich soil der 
„Isdern Keerl van Emden" ein Zeichen der Erinnerung sein „an die groBte Zeit, 
die das deutsche Volkjemals durchlebt hat und die es gegenwartig durchlebt nicht 
nur in der festen Zuversicht auf seine sieghafte Kraft, sondern zugleich in einem 
edlen Zusammengehorigkeitsgefuhl, wie es nur ein solcher Krieg erzeugen kann." 
In Emden war man stolz auf sein einzigartiges Kriegswahrzeichen und nagelte 
mit groBem Eifer. Fast taglich erschienen in der lokalen Presse Hinweise darauf, 
welche Korporation gerade ein Schild annagelte, welche Schulklassen den „Is- 



14 Hannoverscher Kurier Nr. 31979 v. 3. 9. 1915; dort auch die folgenden Zitate. 



Nageln in Niedersachsen im Ersten Weltkrieg 255 

dern Keerl" besuchten und wie hoch die taglichen Nagelspenden waren. Als die 
Spendenfreudigkeit der Bevolkerung abflaute, begann man zur Belebung des 
Spendenaufkommens Postkarten und „Kiinstlerphotographien" vom „Isdern 
Keerl", mit Namen gravierte Nagel und eine Erinnerungsplakette als Uhranhan- 
ger, Armband oder Halsschmuck zu verkaufen. ls Nachdem - wo hi in der Silve- 
sternacht - eine „frevelhafte Beschadigung" des „Isdern Keerls" 16 veriibt worden 
war, wurde er von seinem urspriinglichen Standplatz am Rathaus entfernt und in 
der Riistkammer (Museum) untergebracht. Fortan wird es still um die Statue. Ob 
die Figur iiberhaupt voll genagelt wurde, was nach dem Krieg aus ihr wurde und 
wo sie sich in der Folgezeit befand, ist nicht bekannt. Falls sie nicht schon friiher 
beseitigt wurde, diirfte sie den Bombardements im Zweiten Weltkrieg zum Opfer 
gefallen sein. 

Obwohl Wilhelmshaven als wichtiger Marinestandort jenes Personal beher- 
bergte, das andernorts zu den eifrigsten Naglern zahlte, fasste man dort erst recht 
spat den Plan, ein Kriegswahrzeichen zu errichten. Das unbedeutendere benach- 
barte Riistringen hatte bereits am 24. November 1915 seinen „RiistringerFriesen" 
genagelt, eine Art Relief, das einen mit Lanze und Schwert bewaffneten, nach vor- 
ne stiirmenden Friesen darstellte. Die Stadt Wilhelmshaven folgte erst drei Wo- 
chen spater. Auf einem 2 Meter hohen, mit dem Stadtwappen geschmiickten Sok- 
kel erhob sich eine 2 l /i Meter hohe mannliche Gestalt, die aufgrund ihre Beklei- 
dung mit Olzeug und Siidwester unschwer als Seemann erkannt werden konnte. 
Der Blick in die Feme gerichtet, das Fernrohr in der rechten Hand schien diese 
Gestalt Wache an der Kiiste zu stehen - daher auch der Name des „Wehrmals": 
Die treue Wacht. 17 Insoweit entspricht dieses Kriegswahrzeichen gangiger Pra- 

15 Kiinstlerphotographie: Emder Zeitung Nr. 211 v. 9. 9. 1915; Plakette: Emder Zeitung 
Nr. 220 v. 20. 9. 1915; gravierte Nagel: Emder Zeitung Nr. 225 v. 25. 9. 1915. 

16 Emder Zeitung Nr. 1 v. 3. 1. 1916. - Auch andernorts kam es zu Beschadigungen der 
Kriegswahrzeichen. So wurden im Februar 1916 in Hannover „sechs z. T. wertvolle Schil- 
der" vom Sockel des Sachsenrosses abgerissen (s. Braunschweigische Landeszeitung Nr. 43 
v. 18. 2. 1916). - In Liineburg befiirchte man bereits vor der Einweihung des Eisernen Her- 
mann Billung Beschadigungen des Kriegswahrzeichens und appellierte vorsorglich an „die 
Eltern und Erzieher der Kinder, die Am Sande zu spielen pflegten." Sie „werden gebeten, ih- 
rem Nachwuchs einige Ehrfurcht vor unserem Nagelungsstandbilde beizubringen. Es ist ge- 
stern abend bereits Unfug mit dem Anstrich der Holzteile des Unterkunftsbaues fur den Na- 
gelungswart veriibt" worden. Man miisse mit Beschadigungen der Figur rechnen, weshalb 
Anwohner und Polizeibehorde „ein Auge auf den Platz haben" mogen. „Fiir die Folge wird 
man die Figur eingittern miissen" (Liineburgsche Anzeigen Nr. 249 v. 23. 10.1915). Eine sa- 
krale Aura, wie sie Kriegerdenkmaler eigen war (und teilweise heute noch ist), hatten die 
Kriegswahrzeichen offensichtlich nicht. 

17 Die Beschreibung entnehme ich dem Hannoverschen Kurier Nr. 32 166 v. 14. 12. 
1915. Eine Abbildung der Plastik findet sich bei Oberschelp/Grotian; auch im Ausland 
nahm man die Wilhelmshavener Nagelung wahr und publizierte dieselbe Photographie; s. 



256 



Gerhard Schneider 



xis: Wie auch andernorts wahlte 
man in Wilhelmshaven eine regio- 
nale Symbolgestalt. Kritikloste die- 
ses Nagelungsstandbild allerdings 
schon vor seiner Einweihung aus, 
weil die Figur des Seemanns fur alle 
erkennbar die Gesichtsziige des 
GroBadmirals von Tirpitz trug, je- 
ner Personlichkeit, die seit dem En- 
de des 19. Jahrhunderts maBgeb- 
lich den Aufbau einer deutsche 
Kriegsflotte forciert hatte und da- 
mit bewusst die Konkurrenz der 
Seemacht England herausforderte. 
Wahrend Hindenburg erst mit den 
siegreichen Kampfen in Ostpreu- 
Ben zum Volkshelden aufstieg, war 
Tirpitz auch aufgrund der Propa- 
ganda derzahlreichen Flottenverei- 
ne schon vor dem Krieg in weiten 
Kreisen der Bevolkerung auBerst 
popular. 

Auch wenn in Wilhelmshaven 
selbst niemand das Kriegswahrzei- 
chen mit dem Namen Tirpitz' in Verbindung brachte und auch in den Einwei- 
hungsreden niemand den Namen des Staatssekretars im Reichsmarineamt in den 
Mund nahm, auBerhalb Wilhelmshaven hieB die Figur schon bald „Der Eiserne 
Tirpitz". Dadurch auch iiberregional bekannt geworden, regte sich in Fachkreisen 
die Kritik an dieser Art von Kriegswahrzeichen. Die Berliner Akademie der Kiin- 
ste richtete ein Schreiben an den Wilhelmshavener Oberbiirgermeister. 18 Die 
Akademie halte es fur ihre Pflicht, die Stadt Wilhelmshaven „im kiinstlerischen 
Interesse vor der Ausfiihrung eines solchen Plans zu warnen". Es sei zwar wenig 
gegen den Brauch des Nagelns einzuwenden. „Etwas kiinstlerisch ganz Unmogli- 
ches ist aber die Benagelung von Portratstatuen. Das Beispiel des Hindenburg-Ko- 
losses in Berlin sollte alien anderen Stadten warnend vor Augen stehen." Die Kri- 




Abb. 2: „Die treue Wacht" 



Le Miroir 6. Jg. Nr. 118 v. 27. 2. 1916, S. 5. 

18 Zit. nach dem Abdruck in: Kunst und Kiinstler. Illustrierte Monatsschrift fur Kunst 
und Kunstgewerbe XIV (1916) , S. 209. Der Wortlaut der Akademie-Kritik ist auch in den Lii- 
neburgschen Anzeigen Nr. 287 v. 8. 12. 1915 abgedruckt. 



Nageln in Niedersachsen im Ersten Weltkrieg 257 

tik der Akademie wird nicht weiter substantiiert. Offensichtlich sind es in erster 
Lime kiinstlerisch-asthetische Gesichtspunkte und die Dimension solcherKriegs- 
wahrzeichen - die Hindenburg-Statue in Berlin mit ihren 13 m Hohe wird 
ausdriicklich abwertend als „Koloss" bezeichnet -, die der Akademie ins Auge ste- 
chen. Es handele sich bei solchen Portratstatuen um „minderwertige Erzeugnisse 
untergeordneter kiinstlerischer Krafte", die der groBen Zeit, die Deutschland ge- 
rade durchlebte, nicht angemessen seien. Wenn sich die Berliner Akademie 
schlieBlich besorgt zeigte, das „Ansehen unserer deutschen Kunst und Kultur" 
konne durch derartige Schopfungen Schaden nehmen, dann mag diese Besorgnis 
durch entsprechende AuBerungen in der franzosischen und englischen Presse, 
die in deutschen Fachkreisen nicht ungehort geblieben waren, ausgelost worden 
sein. Natiirlich verwahrte man sich in Wilhelmshaven gegen diese Kritik am eige- 
nen Kunstgeschmack und kiinstlerischen Vermogen. Der dortige Lyzeumsdirek- 
tor sah in dem Schreiben der Berliner Akademie der Kiinste eine unbefugte Ein- 
mischung in eine Angelegenheit, „die sie gar nichts angehe." Niemand habe mit 
diesem Kriegswahrzeichen „kiinstlerische Ziele" verfolgt. Jetzt wolle man „den 
Anforderungen des Krieges" gerecht werden, und das hieBe Beschaffung von Gel- 
dern zur Unterstiitzung von Kriegsbeschadigten und Hinterbliebenen. 19 

Der Herausgeber der Zeitschrift „Kunst und Kiinstler", in der die Kritik der 
Akademie erschienen war, ersparte den Berliner Kritikern nicht die siiffisante Be- 
merkung, „dass sich das Gewissen der Akademie der Kiinste nicht schon ebenso 
entschieden geregt hat, als der ,Hindenburgkoloss' vor der Siegessaule aufgestellt 
wurde." Vielleicht sei ihr der Protest jetzt leichter gefallen, weil es hier um Tirpitz 
und nicht um Hindenburg ginge. Und spottisch fiigte er hinzu, daB man sich mit 
seiner Kritik „nicht zuerst an die Oberbiirgermeister weitabliegender Kleinstad- 
te" wenden solle, „sondern vor allem an jene Bildhauer aus dem weiteren Kreise 
der Berliner Akademie der Kiinste, die, unmittelbar und mittelbar, an den Schrek- 
ken derNagelplastik Anteil haben. Charity begins at home!" 20 Auch der„Hanno- 
versche Kurier", der das Nageln uneingeschrankt befiirwortete und durch zahl- 
reiche Berichte Nagelungen in Niedersachsen propagiert hatte, fliichtet sich an- 
gesichts der Kontroverse um den „Eisernen Tirpitz" und den „Eisernen Hinden- 
burg" ebenfalls in Ironie. Dort heiBt es einleitend zu einem Bericht iiber die Kri- 
tik der Berliner Akademie der Kiinste an dem Wilhelmshavener Kriegswahrzei- 
chen: „Wir Hannoveraner sind doch bessere Leute, wir vernageln nur eine 
Kanone und einen Gaul, die Berliner dagegen muBten sich fur ihren eisernen 
Hindenburg manch bitteres Wort einstecken." 21 



19 Hannoverscher Kurier Nr. 32170 v. 16. 12. 1915. 

20 Kunst und Kiinstler (Anm. 18), S. 209. 

21 Hannoverscher Kurier Nr. 32156 v. 8. 12. 1915. Die Zeitung spielt hier aufzwei hanno- 



258 Gerhard Schneider 

Stade 

Auch in Stade nagelte man mit dem „Eisemen Goeben" das Ebenbild eines 
Kriegshelden, allerdings eines nichtmehrlebenden. August von Goeben, 1816 als 
Sohn eines hannoverschen Offiziers in Stade geboren, trat 1833 ins preuBische 
Heer ein. In den Kriegen von 1864, 1866 und 1870/71 hatte er hohe Komman- 
deursstellen inne, zuletzt als Oberbefehlshaber der 1. Armee im Deutsch-Franzo- 
sischen Krieg von 1870/71, in dem er sich besonders auszeichnete. 22 Seine Ver- 
bindung zu Stade beruhte ausschlieBlich auf der Tatsache, dass er dort geboren 
wurde. Allerdings hatte es dort bereits vor dem Krieg eine Initiative zur Errich- 
tung eines Goeben-Denkmals gegeben. 23 Die Realisierung dieses Denkmals 
musste nach Ausbruch des Krieges zunachst zuriickgestellt werden, obwohl 
schon 7.000 Mark zu diesem Zweck angesammelt worden waren. Nachdem das 
Nageln seit dem erstenjahrestag des Kriegsausbruchs auch in Niedersachsen ei- 
nen machtigen Aufschwung genommen hatte, sah man in der Errichtung eines 
„Eisernen Goeben" die Moglichkeit einer „Ehrung, die unserer jetzigen groBen 
Zeit angepaBt" sei. 24 Zugleich fasste das bereits existierende Denkmals- Komitee 
den Beschluss, neben der Errichtung des Nagelstandbildes eine Goeben-Stiftung 
zugunsten von Kriegsbeschadigten zu griinden, der alle Spenden zuflieBen soil- 
ten, die beim Nageln eingenommen wurden. Schopfer des am 24. Oktober 1915, 
dem Hohenzollerntag, eingeweihten „Eisernen Goeben" war der Lehrer an der 
Hamburger Kunstgewerbeschule Anton Kling, der bereits auch schon den „Eiser- 
nen Michael" in Hamburg geschaffen hatte. Bis zum ersten Tag der Nagelung wa- 
ren bereits 53.000 Mark fur die Goeben-Stiftung gezeichnet worden. 25 

Der Stader Nagelung kann man eine gewisse Fortschrittlichkeit oder doch Ein- 
zigartigkeit nicht absprechen. Wahrend die meisten Geldmittel, die bei Nagelun- 
gen eingingen, wenn sie wahrend des Krieges iiberhaupt noch zur Verteilung ka- 
men, den Charakter von Almosen hatten, ging man in Stade einen anderen Weg. 
Man wollte den Kriegsbeschadigten, deren Unterstiitzung die Goeben-Stiftung 
sich verschrieben hatte, „Kapital geben, womit sie sich ansiedeln konnen". Dies 



versche Kriegswahrzeichen an; vgl. hierzu Schneider: Uber hannoversche Nagelfiguren 
(wieAnm. 8), S. 207-258. 

22 S. zu seiner Person das etwas emphatische Lebensbild von Karl Ochenius: August v. 
Goeben - Der groBe Feldherr aus Hannover, in: Archiv fur Landes- und Volkskunde von 
Niedersachsen, Heft 3/1940, S. 131-146. 

23 S. zum folgenden Fritz Danner: Die Goeben-Stiftung 1915-1991, Stade 1991. Die Stif- 
tungsurkunde datiert vom 28. Oktober 1915. 

24 Hannoverscher Kurier Nr. 32003 v. 16. 9. 1915; dort auch der Hinweis auf die Goe- 
ben-Stiftung. 

25 Hannoverscher Kurier Nr. 32077 v. 26. 10. 1915. 



Nageln in Niedersachsen im Ersten Weltkrieg 



259 



konnte natiirlich nur fur solche Kriegsbescha- 
digten eine Hilfe sein, deren Kriegsverletzung 
ihnen iiberhaupt noch die Moglichkeit zu kor- 
perlicher Arbeit lieB. Gedacht war, vom Land 
stammende Kriegsbeschadigte in einer Ge- 
miisebauschule zu Gemiisebauern auszubil- 
den und diese dann auf einem Gelande anzu- 
siedeln, das die Goeben-Stiftung zur Verfii- 
gung stellte. 26 Zu einer Realisierung dieses 
Vorhabens kam es aber im Verlauf des Krie- 
ges nicht. Vergleichbare Plane hat es auch an- 
dernorts gegeben; doch nicht immer waren 
diese Plane an Ertrage aus Nagelungen ge- 
kniipft. 27 In Abweichung von ihrem urspriing- 
lichen Plan begann die Stader Goeben-Stif- 
tung im Jahr 1919, Mehrfamilienhauser fiir 
Kriegsbeschadigte zu errichten. Diese Bauta- 
tigkeit wurde bis in die fiinfzigerjahre des vo- 
rigen Jahrhunderts fortgesetzt. Der urspriing- 
liche Stiftungszweck, ausschlieBlich Kriegsbe- 
schadigten Wohnraum zu verschaffen, wurde 
dann aber fallen gelassen: In die 1953/1954 
mit Unterstiitzung der Bezirksregierung er- 
richteten Hauser zogen Staatsbedienstete, vor 
allem Polizisten, ein. 28 Es ist dies einer der we- 
nigen Falle, in denen Nagelspenden Kriegsop- 




Abb. 3: 

Der ..Eiserne Goeben" 



26 Hannoverscher Kurier Nr. 32088 v. 1. 11. 1915. 

27 In Einbeck hat die Fa. Heinrich Stuckenbrock „eine groBe Parzelle Ackerland nahe der 
Stadt kauflich erworben und darauf 154 kleine Garten gemacht (sic!).Jeder dieser Garten ist 
ein viertel Morgen groB und mit Gartenhauschen, Beerenobst und einigen Obstbaumen verse- 
hen . . . Diese Garten werden den Arbeitern und Angestellten der Firma sowie auch den Fami- 
lien derer, die im Felde stehen, fiir die Dauer des Krieges und noch einjahr dariiber hinaus gra- 
tis zur Verfugung gestellt" (Die Harke [Nienburg] Nr. 277 v. 25. 11. 1916). Vergleichbar damit 
ist die furRotenburg/Wumme geplante „SiedelungfiirKriegswaisen". Auf einem Grundstiick 
von ca. 400 Morgen sollen je 15 evangelischejungen und Madchen ab dem 6. Lebensjahr, ge- 
trennt, unter der Aufsicht von Pf legeeltern und einer Hausmutter, in kleinen Familienhausern 
untergebracht werden (Die Harke Nr. 92 v. 20. 4. 1917). Vgl. auch Hubertus Adam: Hinden- 
burgring und Grabmal Hohmeyer. Zwei Projekte Bernhard Hoetgers fiir Hannover aus den 
Jahren des Ersten Weltkriegs, in: Hannoversche GeschichtsblatterN.F. 43 (1989), S. 57-84; das 
Hindenburgring-Projekt umfasste auch eine Kriegersiedlung. 

28 Danner (wie Anm. 23), n.p. 



260 Gerhard Schneider 

fern (wenngleich nur einigen wenigen) auf Dauer zugute kamen und nicht wie 
sonst iiblich als Kleinspenden verteilt wurden, falls nicht die Spenden in toto zur 
Zeichnung von Kriegsanleihen Verwendung fanden. Die Hoffnung, man konne 
nach Riickfluss der verzinsten Einzahlungen dann einer groBeren Zahl von 
Kriegsopfern groBere Hilfen gewahren, trog. Die Kriegsanleihen gingen in der 
Inflation unter. Tatsachlich half man mit den Nagelspenden, den Krieg zu finan- 
zieren! 

Braunschweig, Liineburg und Osnabriick 

Wie es scheint, war zum Zeitpunkt erster Planungen fiir ein Kriegswahrzeichen in 
Braunschweig nicht sogleich an Heinrich den Lowen gedacht worden, denn in frii- 
hen Veroffentlichungen heiBt es noch, man wolle einen „Wehrmann hi Eisen" 
bzw. „eine groBe Ritterfigur" nageln. 29 Dass man schlieBlich keine namenlose 
Skulptur errichtete, sich vielmehr fiir Heinrich den Lowen entschied, korrespon- 
diert mit der verbreitete Nagelpraxis, wonach iiberall dort, wo die Entscheidung 
fur eine Vollplastik fiel, man meist eine historische oder mythologische Gestalt 
auswahlte, die in enger Beziehung zur nagelnden Stadt stand. Zwar bedurfte es in 
vielen Fallen einer Art wiederholenden Geschichtsunterrichts, um der Bevolke- 
rung die lokale Bedeutung der zur Benagelung auserkorenen Symbolgestalt in Er- 
innerung zu rufen, der heimatliche Bezug solcher Gestalten schien dem Zweck 
aber allemal angemessener als ein Motiv, das wie etwa das Eiserne Kreuz durch 
Massengebrauch (und im Krieg durch Massenverleihung) eine gewisse Abnut- 
zung erfahren hatte. Im allgemeinen besorgten entsprechende Artikel in den Ta- 
geszeitungen diesen Nachhilfeunterricht. So auch in Braunschweig, wo die „Neue- 
sten Nachrichten" und der „Braunschweiger Allgemeine Anzeiger" unmittelbar 
vor der Einweihung des Kriegswahrzeichens langere Berichte iiberdie historische 
Bedeutung Heinrichs des Lowen abdruckten. 30 Heinrich der Lowe wird dort als 
„einer der GroBten der Geschichte deutschen Mittelalters" bezeichnet, als eine 
Personlichkeit, in der „doch ein gut Teil, man mochte sagen, moderner Realpoli- 
tik" steckte, dessen Politik „erstaunlich viele und iiberraschende Uebereinstim- 
mungen" mit jener Bismarcks offenbarte und dessen Herrschaft iiber „gewaltige 
Landesgebiete" ihm Pflichten auferlegte, „die sich nicht immer mit seiner Le- 

29 Gifhorner Zeitung Nr. 195 v. 21. 8. 1915; Gifhorner Tageszeitung Nr. 224 v. 23. 9. 
1915. Anlasslich der Einweihung Heinrichs des Lowen brachte die Braunschweigische Lan- 
deszeitung Nr. 338 vom 6. 12. 1915 in Erinnerung, dass in dieser Zeitung immer wieder iiber 
andernorts erfolgte Nagelungen hingewiesen und auch „bemerkt wurde, daB sich fiir die Be- 
nagelung eines Ritters in Eisen die Figur Heinrichs des Lowen eignen wurde." 

30 Die nachfolgenden Zitate entstammen dem Braunschweiger Allgemeinen Anzeiger 
Nr. 284 v. 4. 12. 1915 und den Neuesten Nachrichten [Braunschweig] Nr. 285 v. 5. 12. 1915. 



Nageln in Niedersachsen im Ersten Weltkrieg 



261 



Abb. 4: 
„Heinrich 
der Lowe 

in Eisen" 




henspflicht gegen den Kaiser deckten." Spater sollte sich erweisen, dass das Schei- 
tern der „deutschen Politik Heinrichs", die „der welschen der Hohenstaufen" hatte 
weichen miissen, dazu fiihrte, dass „eine Reihe von Jahrzehnten spater die deut- 
sche Kaisermacht in Triimmer (fiel)". Heinrich habe bereits „an einen deutschen 
Einheitsstaat wie spater etwa der groBe Kurfiirst und der alte Fritz" gedacht, er ha- 
be „den Weg beschritten, der zu einem geschlossenen Gemeinwesen hatte fiihren 
konnen." Und er habe „das Unsinnige der Stauferpolitik" erkannt, die in Italien 
„das Heil Deutschlands" erblickte, wahrend dies Heil fiirHeinrich „im Osten" lag. 
Die Analogie mit der Gegenwart liegt auf der Hand, wenn von Heinrich dem 
Lowen berichtet wird, er habe sich „eine[r] Welt tiickischer, neidischer Feinde, 
trostlose[r] Unkultur, weglose[m], sumpfige[n] Land, Heidentum" gegeniiber ge- 
sehen. Mit ihm, der gleichermaBen „groB als Kriegsheld wie als Kolonisator" ge- 
wesen sei, habe die „Zivilisation Gewalt iiber die Herzen der heidnischen Gegner" 
gewonnen. Es klingt wie ein Kriegsprogramm, wenn es im Anschluss daran heiBt: 
Den unterworfenen Volkern habe er „die Segnungen der Zivilisation" geschenkt 
und seine Herrschaft auf „Klugheit und riicksichtslose Gewalt" aufgebaut. 

Bei seiner Einweihung durch die Herzogin Viktoria Luise am 5. Dezember 
1915 31 stand „Heinrich der Lowe" vor dem Residenzschloss unter einem Saulen- 
pavillon, der die Figur vor Witterungseinfliissen schiitzen sollte. Oben war iiber 
die gesamte Breite des Pavilions das Motto „Braunschweigs Dank an seine Hel- 



31 Urspriinglich war geplant worden, die Figur am 17. November 1915, dem Geburtstag 
des Herzogs Ernst August, einzuweihen (Aller-Zeitung Nr. 239 v. 12. 10. 1915). 



262 Gerhard Schneider 

densohne" zu lesen. 32 Entworfen hat das 3,90 m hohe und 3,15 t schwere Stand- 
bild aus afrikanischem WeiBholz derBraunschweigerBildhauer Professor Arnold 
Kramer. 33 Die Figur Heinrichs des Lowen steht auf einem Sockel mit der Jahres- 
zahl 1915 in Ritterriistung, umgiirtet mit einem bis zum Sockel reichenden 
Schwert, das teilweise von einem ebenfalls auf dem Sockel aufstehenden Schild 
verdeckt wird. Den Schild halt Heinrich der Lowe mit der rechten Hand am obe- 
ren Rand fest, wahrend seine linke Hand zur Faust geballt ist. Sein Blick ist in die 
Feme gerichtet. Das Braunschweiger Kriegswahrzeichen ahnelt einerseits den in 
Norddeutschland seit dem Spatmittelalter verbreiteten Rolandfiguren. Anderer- 
seits ist die Ahnlichkeit mit dem imjahr 1906 eingeweihten monumentalen Ham- 
burger Bismarckdenkmal 34 von Hugo Lederer und Emil Schaudt uniibersehbar. 
Die Physiognomie der Figur, die der Kiinstler der Heinrich-Figur im Tympanon 
des Residenzschlosses nachgebildet hat, wie iiberhaupt das gesamt Erscheinungs- 
bild der Figur driicken Entschlossenheit und Starke aus. Beides sollte die nagelnde 
Bevolkerung mit Zuversicht hinsichtlich des Kriegsausgangs ausstatten. Die Bein- 
stellung suggeriert Standhaftigkeit und Unbeugsamkeit; Schwert, Schild und Pan- 
zerung verheiBen Schutz derHeimat. Als Garant dafiir gilt Heinrich der Lowe, der 
einst unter schweren Kampfen Teile seines Herzogtums zuriickerobert und be- 
hauptet hat. Mehr noch! In seiner Weiherede spielte der Domprediger Dr. von 
Schwarz auf Heinrichs des Lowen Eroberung Mecklenburgs und Vorpommerns 
an, der Christianisierung und deutsche Besiedlung folgten. Heinrich habe „einst 
mit gewaltiger Kraft einen Wall . . . gegen den Feind im Osten, einen Schutzwall 
fiir das Deutschtum wider das Slawentum" geschaffen. 35 Was lag den Teilnehmern 
dieser Weihestunde da naher, als den Hinweis aufzugreifen und zu aktualisieren: 
der jetzt bereits iiber ein Jahr tobende Weltkrieg war auch ein Rassenkrieg, ein 



32 Erne kurze Beschreibung mit zwei Abbildungen des Kriegswahrzeichens findet sich 
in: Heinrich der Lowe und seine Zeit. Herrschaft und Representation derWelfen 1125-1235. 
Katalog der Ausstellung, Bd. 3, hrsg. v.Jochen Luckardt u.a., Miinchen 1995, S. 215f.; wei- 
tere Abb. in: Braunschweigische Heimat 6 (1915), Nr. 4; s. a. Wulf Otte: Heinrich der Lowe 
- in Eisen, in: Informationen und Berichte aus dem Braunschweigischen Landesmuseum 3/ 
1987, S. 34-42; die Sachangaben zur Figur sind diesen beiden Schriften entnommen. Erganzt 
wurden sie durch Angaben, die mir das Braunschweiger Stadtarchiv am 13. Juli 1995 iiber- 
mittelte. 

33 Zur kiinstlerischen Gestaltung der Figur s. Braunschweigische Landeszeitung Nr. 338 
v. 6. 12. 1915. 

34 S. hierzu Reinhard Alings: Monument und Nation. Das Bild vom Nationalstaat im 
Medium Denkmal - Zum Verhaltnis von Nation und Staat im deutschen Kaiserreich 1871- 
1918 (=BeitragezurKommunikationsgeschichte,Bd. 4), Berlin/New York 1996, S. 246-254. 

35 Braunschweigische Landeszeitung v. 6. 12. 1915 (dort auch die folgenden Zitate); der 
Wortlaut der Rede ebenfalls in: Braunschweiger Allgemeiner Anzeiger Nr. 285 v. 6. 12. 1915, 
Neueste Nachrichtern [Braunschweig] Nr. 286 v. 7. 12. 1915 und Braunschweigische Anzei- 
gen Nr. 286 v. 7. 12. 1915. 



Nageln in Niedersachsen im Ersten Weltkrieg 263 

Krieg zum Schutz des „Deutschtums" im Osten. „Den Bahnen folgend, die der 
groBe Herzog wies, hat jetzt ein gut Teil Kraft des deutschen Volkes gen Osten 
sich gewandt. Und wenn wir an die Feinde ringsum denken in Nord und West und 
Siid, die sich mit dem Slawentum vereinten in HaB gegen uns, wenn wir daran 
denken, daB sie alle in 16 Kriegsmonaten nichts gegen uns vermochten, so erfiillt 
demiitiger Dank gegen Gott, den Herrn, unsere Seele; aber zugleich empfinden 
wir eine stolze Freude iiber den Lowenmut und die Widerstandskraft unserer Tap- 
feren, die das Erbe der Vater uns schiitzen, in unvergleichlichem Heldenmut." 
Heinrich der Lowe soil den Zeitgenossen Vorbild sein; seine damalige Politik gilt 
der Gegenwart als Lehrstiick. Beim Anblick der gepanzerten Figur sollen sich spa- 
tere Generationen an die „eiserne Zeit" erinnern, „die Deutschland zusammen- 
schmiedete zu einem Block aus Stahl, an dem moskowitische Machtgier und galli- 
sche Rachsucht, an dem Albions Neid und welsche Tiicke sich den Schadel einge- 
rannt haben". 

Dass es wohl auch andere Gesinnungen in der Bevolkerung gab, geht aus dem 
sehr kurzen Einweihungsbericht des „Volksfreundes", einer in Braunschweig er- 
scheinenden sozialdemokratischen Zeitung, hervor. Darin heiBt es: „Die Nage- 
lung Heinrichs des Lowen hat gestern Mittag unter den iiblichen Feierlichkeiten 
auf dem Schlosshofe begonnen. Viele Nagel wurden allerdings gestern in die 
iibermannshohe Figur des alten Welfenfiirsten noch nicht eingeschlagen. Man er- 
hofft einen klingenden Erfolg erst vom Laufe der nachsten Wochen. Es ist be- 
dauerlich, dass man erst zu solchen Mitteln greifen muB, zu dem Mittel der Er- 
weckung der Eitelkeit, um die Markstiicke bei den Besitzenden fur wohltatige 
Zwecke loszueisen." 36 Angesichts der zu diesem Zeitpunkt von der Fiihrung der 
Sozialdemokratie noch weitgehend unterstiitzten Kriegspolitik scheint der Autor 
des Berichts sich genotigt gesehen zu haben, seine Kritikin reichlich gewundenen 
Formulierungen zu verstecken: Er enthalt sich einer genauen Beschreibung der 
Figur und der Einweihungsfeierlichkeiten, die er distanzierend als „iiblich" be- 
zeichnet; er kritisiert das nur geringe Spendenaufkommen am Tag der Einwei- 
hung; indem er das Nageln als „Mittel der Erweckung der Eitelkeit" charakteri- 
siert, zielt er auf die bisher zutage getretene groBe Zuriickhaltung des Besitzbiir- 
gertum, wenn es darum ging, fur wohltatige Zwecke zu spenden. Erst jetzt, da das 
offentliche Nageln diesem Teil der Bevolkerung die Moglichkeit bietet, mit groBer 
Geste und begleitet von patriotischen Bekenntnissen aufzutreten, seien die Besit- 
zenden bereit, ihre Spenden in einem demonstrativen Akt tatsachlich auch zu er- 
bringen. Hier wie in anderen Stadten verschaffte die Veroffentlichung der Spen- 
dernamen in derPresse bzw. deren Einzeichnung in ein Eisernes Buch, ferner das 
Einschlagen eines besonders teuren Nagels, in dessen Kopf der Name des Spen- 



36 Der Volksfreund v. 6. 12. 1915; zit. nach Otte (wie Anm. 32), S. 27. 



264 



Gerhard Schneider 



ders eingraviert war, Renommee oder war, wenn man so will, das sichtbare Zei- 
chen dafiir, dass die betreffende Person jetzt in die „Heimatfront" eingetreten war. 
SchlieBlich darf man hinter dem erklarten Bedauern des „Volksfreund"-Reda- 
kteurs, dass iiberhaupt eine derartige Nagelaktion notig wurde („daB man erst zu 
solchen Mitteln greifen muB") , eine verhaltene Kritik an der Obrigkeit vermuten, 
die es versaumt hatte, Gelder bereitzustellen, um die Opfer des Krieges wirksam 
zu unterstiitzen. 

Ein Tag vor der Einweihung hatte der „Volksfreund", dessen Erscheinen zeit- 
weise durch Zensur verhindert worden war, 37 ein langes Gedicht veroffentlicht, 
in dem Kritik an der gangigen Nagelpraxis deutlich zum Ausdruck kommt. Darin 
heiBt es: 38 

Da morgen nun gekommen der Tag, „Wozu solcher Trodel mit meiner Person?" 

An dem man mich vernagelt, Hier geriet der Heinrich in Rage, 

An dem man mir wuchtige Hiebe versetzt, „Ich sage euch, dieses ganze Spiel 

DaB es man so bloB hagelt, 1st fur mich eine Blamage! 



Richt' ich an euch die Bitte hier: 
O, bringt es zu Papiere, 
DaB ich gegen diese Nagelei 
Energisch protestiere. 



LaBt, die es machen konnen, nur 
Recht tief in die Taschen fassen, 
Doch sollen sie ihre Hande week 
Von meinem Korper lassen!" 



Die Kritik ist hier zunachst asthetischer Natur und ahnelt jenen Einwanden, die 
gegen die Nagelung des „Eisernen Hindenburg" und des „Eisernen Tirpitz" vor- 
gebracht wurden, also der Nagelung von Portratstatuen, die noch lebenden Per- 
sonlichkeiten nachgebildet waren. Im Anschluss daran kritisiert der Autor den 
larmenden Patriotismus der okonomisch besser gestellten Kreisen, hinter deren 
demonstrativer Gebefreudigkeit er kiihle Berechnung vermutet. Denn: 

„Dann empfangt ein Buch ihren Namenszug, 

Denn fiir die Nagelgaben, 

Ja, fiir ihr Geld, fiir ihr schweres Geld 

Da woll'n sie doch auch was haben." 

Tatsachlich sind den Berichten iiber die Einweihung des Braunschweiger 
Kriegswahrzeichens eine Liste jener Personlichkeiten - Beamte, Vereinsvorsit- 



37 So hatte der Kommandierende General des X. Armeekorps das Erscheinen des 
„Volksfreunds" fiir den Zeitraum vom 20. bis 29. 1. 1915 verboten und das Wiedererscheinen 
erst wieder zugelassen, „nachdem die Geschaftsinhaber des ,Volksfreund' die erforderlichen 
Zusagen zur Vermeidung einer Wiederholung von VerstoBen gegen die bestehenden Be- 
stimmungen und zurWahrung des Burgfriedens gegeben" hatten (Aller-Zeitung Nr. 17 v. 21. 
1. 1915 und Nr. 25 v. 30. 1. 1915). 

38 „Der eiserne Heinrich", in: Volksfreund, Heft 12/1915, 1. Beilage. 



Nageln in Niedersachsen im Ersten Weltkrieg 265 

zende und Geschaftsleute - angefiigt, die aufgrund ihrer Stellung in der lokalen 
Gesellschaft Wert darauf gelegt haben mogen, dass ihre Namen und die ebenfalls 
verzeichnete Hohe ihrer Nagelspende offentlich bekannt gemacht wurden. Ihnen 
werden die Arbeiter gegeniibergestellt, die von Beginn des Krieges an ohne laut- 
starke Demonstration die Last des Krieges mitgetragen hatten: 

„Zwar opfert der Arbeiter auch sein Geld 
Schon die ganze Kriegsepoche, 
Stillschweigend aber besorgt er dies, 
Ohne Pomp, in jeder Woche." 

In Liineburg nagelte die Bevolkerung ein Reliefbild des Welfenfiirsten Her- 
mann Billung. „Hermann Billung, Herzog zu Sachasen 936-973", so der Schrift- 
zug am Sockel der Figur, war - wie Heinrich der Lowe fiir Braunschweig - eine lo- 
kale Heldengestalt. Er stammte wohl aus dem um Liineburg gelegenen Barden- 
gau und hatte sich, wie spater Heinrich der Lowe, im Kampf gegen slawische 
Stamme ausgezeichnet. In Braunschweig wie in Liineburg wahlten die Initiatoren 
derNagelungjeweils eine Personlichkeit aus, die unterBezug auf eine jetztbeson- 
ders akzentuierte lokale Uberlieferung fiir die Verteidigung des „heimatlichen 
Bodens" stand. Es muss hier offen bleiben, inwieweit Hermann Billung den Liine- 
burgern als heimatliche Heldengestalt tatsachlich vertraut gewesen ist. Ein langer 
Artikel in den „Liineburgschen Anzeigen" 39 sorgte jedenfalls dafiir, dass der Be- 
volkerung Leben und Taten Hermann Billungs wieder in Erinnerung gerufen 
wurden. Auch iiber den Sinn des Nagelns selbst scheinen in Liineburg zu diesem 
Zeitpunkt noch recht unklare Vorstellung bestanden haben: „Vielfach herrscht 
die Meinung, daB die Sache ja wiist und scheuBlich aussehen miisse. Aber die Na- 
gel werden nicht nach Belieben eingeschlagen, sondern unter Aufsicht nach den 
durch Bemalung des Bildnisses angedeuteten Vorschriften des Kiinstlers [der das 
Objekt geschaffen hatte; G.S.]. Auch wird natiirlich nicht das Gesicht genagelt 
. . ., sondern Schild und Panzer, Hals-, Arm- und Beinschienen, Helm und 
Schwert werden genagelt mit schwarzen, silbernen, goldenen, bronzenen und 
blauen Nageln, fiir die derPlatz genau angewiesen ist. Das Schwarz des Eisens ist 
die machtig dominierende Grundfarbe . . ." „Eisen" ist der in vielen Varianten im- 
mer wiederkehrende Leitbegriff des Nagelns. In Liineburg ist er auch der beherr- 
schende Begriff eines Gedichts, 40 das einem sog. Nagelungsbuch eingefiigt wur- 
de, in das sich jeder Nagler eintragen sollte: 



39 Nr. 218 v. 17.9. 1915. - Unter ausdriicklichem Bezug auf die bevorstehende Nagelung 
erschien eine ausfuhrliche Lebensbeschreibung Hermann Billungs auch im Hannoverschen 
Kurier Nr. 32 047 v. 10. 10. 1915. 

40 Liineburgsche Anzeigen Nr. 246 v. 20. 10. 1915. 



266 Gerhard Schneider 

,,Wir nageln dem Sachsenherzog Ein Sinnbild unseres Willens: 

Aus alter eiserner Zeit Wir wollen wie Eisen stark 

Im eisenklirrenden Jahre Vor Sklaven und Welschen schiitzen 

Ein neues Panzerkleid. Die heimatliche Mark." 

Ein weiterer Heimatbezug wurde dadurch hergestellt, dass die iiberlebensgro- 
Be, gepanzerte Ritterfigur, die sich mit derHerzogsfahne in derrechten Hand auf 
einen mit dem Wappen Liineburgs geschmiickten Schild stiitzt, in eine nach der 
Art der Liineburger Backsteinbauten aufgemauerte und iiberdachte Nische einge- 
fiigt wurde. Aufgestellt wurde die Figur, die vom Begriinder der Liineburger Diin- 
gekalkwerke, Georg Pieper, gestiftet und von dem Altonaer Kiinstler Siegfried 
Moller geschaffen wurde, am westlichen Ende des Platzes „Am Sande". 41 Zu- 
nachst war die Errichtung einer Figur „in dreifacher LebensgroBe" 42 geplant. 
Noch in der Planungsphase nahm man hiervonjedoch Abstand und begniigte sich 
mit einem Reliefstandbild, das „eine Hohe von drei Metern erreichen" sollte. Da- 
mit sei „eine Nagelungsf lache geboten, die mit unseren Verhaltnissen im Einklang 
steht". 43 Offensichtlichbefiirchtete man von dem Anblick einer nichtvoll genagel- 
ten Figur eine negative Auswirkung auf die Stimmungslage der Bevolkerung. Zur 
Nagelung waren eiserne Nagel zu 1 Mark, kleine zu 50 Pfennig, kupferne zu 
2 Mark, messingene zu 5 Mark, silberne zu 10 Mark und goldene zu 100 Mark vor- 
gesehen. Schulklassen, Vereine, Innungen und andere Gruppen sollten die Mog- 
lichkeit erhalten, eiserne Schildchen anzunageln. Die auf diese Weise eingehen- 
den Gelder waren zum groBeren Teil fiir die stadtische Kriegsfiirsorge, zum an- 
deren Teil fiir die „Nationalstiftung fiir die Hinterbliebenen der im Kriege Gefalle- 
nen" bestimmt. Damit entsprach man im Prinzip, wenn gleich nicht ganz den Vor- 
gaben der Nationalstiftung. 

Die Einweihung des „Eisernen Billung" fand am 24. Oktober 1915 statt. Es war 
iiblich, die Erstnagelung moglichst auf einen Tag mit besonderer Bedeutung zu le- 
gem So hatten zahlreiche Stadte die Nagelung ihres Kriegswahrzeichens auf den 
Sedantag 1915 (2. September) gelegt; in Baden begannen viele Stadte am 19. oder 
20. September 1915 mit der Nagelung, an zwei Tagen also, die der GroBherzog 
zum Badischen Opfertag bestimmt hatte. Gemeinden, die sich erst geraume Zeit 
spater fur die Nagelung eines eigenen Objekts entschieden hatten, verlegten die 
Erstnagelung auf Kaisersgeburtstag am 27. Januar 1916. Der 24. Oktober 1915 war 

41 Das Reliefbild wurde spater in der Rathaushalle am Treppenaufgang zum Fiirstensaal 
in die Wand eingelassen (s. die Photographie im StA Liineburg II b 5-3a). Am 22. 12. 1959 
fiel es an seinem neuen Aufstellungsort im Kaufhaus einem Brand zum Opfer (s. Adolf Breb- 
bermann: Liineburg in alten Ansichten, Zaltbommel 1976, n.p.) 

42 Magdeburgische Zeitung Nr. 701 v. 20. 9. 1915. 

43 Hannoverscher Kurier Nr. 32034 v. 3. 10. 1915; eine Beschreibung auch in:. Allge- 
meinen Zeitung der Liineburger Heide Nr. 295 v. 25. 10. 1915. 



Nageln in Niedersachsen im Ersten Weltkrieg 



267 



Abb. 5: 

^Hermann 

Billung" 




vom Kaiser zum preuBischen Gedenktag erhoben worden. 500 Jahre war es her, 
dass Konig Siegmund dem Burggrafen Friedrich von Niirnberg die Mark Bran- 
denburg verliehen hatte und dieser dort die Herrschertatigkeit der Hohenzollern 
begriindete. 

Die Einweihung 44 selbst verlief in Liineburg nach dem iiblichen Ritual: Auf- 
marsch der ortlichen Vereine, der Behorden, der Schulkinder, der mehrere hun- 
dert Kopfe starken Jugendwehr und der hier garnisonierenden Dragoner am 
Denkmalsort. Dieser war mit den Fahnen Deutschlands, Osterreichs, der Tiirkei 
und Bulgariens und mit den Medaillonwappen des Reichsadlers und des Liine- 
burger Lowen geschmiickt; dadurch erhielt die Feier eine iiber den ortlichen Rah- 
men hinausreichende Bedeutung. Nach dem Abspielen eines patriotischen 
Musikstiickes durch die Dragonerkapelle und einem Liedvortrag der Liineburger 
Mannergesangvereine folgte die Weiherede des Garnisonsgeistlichen. Ihm oblag 
es, der versammelten Bevolkerung eine Interpretation des Eisernen Billung zu lie- 
fern. Denn nichtjedem Bewohner wird sich dieses Sinnbild sogleich erschlossen 
haben. Der Redner verglich Hermann Billung mit Hindenburg, dessen Ruf nach 
dem Sieg der von ihm kommandierten deutschen Truppen in OstpreuBen bereits 
legendar geworden war. Beide dienten ihrem Herrn mit ganzer Kraft: Was Her- 
mann Billung Otto dem GroBen war, das sei heute Hindenburg Kaiser Wilhelm IE 
„Als Kaiser Otto der GroBe einst hinauszog zum Kampf, vertraute er den Schutz 



44 Die nachfolgenden Angaben einschlieBlich der Redenzitate entstammen, wenn 
nichts anderes angegeben wird, dem ausfuhrlichen Bericht des Hannoverschen Kuriers Nr. 
32075 v. 25. 10. 1915 



268 Gerhard Schneider 

der Sachsenmark dem Markgrafen Hermann Billung an, genau wie Kaiser Wil- 
helm II. den Schutz der Ostmark dem Generalfeldmarschall von Hindenburg an- 
vertraut hat. Gegen wendische Einfalle hatte Billung die Sachsenmark zu verteidi- 
gen. Erbaute auf dem Kalkberge eine feste Burg und griindete zu deren FiiBen im 
Vertrauen auf den deutschen St. Michael ein Kloster, das diesem Schutzpatron ge- 
weiht war. Gegen slawische Wildheit und welsche Tiicke hatte erzu kampfen, wie 
auchjetztwieder Hindenburg. Otto belohnte die TreueBillungs,indem erihm das 
Herzogtum Sachsen zum erblichen Lehn gab." Die Analogie erschopfte sich al- 
lerdings nicht in der gleichen Zielsetzung des Handelns der beiden Personen; 
auch das Geschehen damals und heute wird gleichgesetzt. „Weltkrieg dort, Welt- 
krieg hier, die gleichen Feinde dort, die gleichen Feinde hier, und dort wie hier die- 
selbe trotzige germanische Kraft, die sich siegreich behauptet." 45 Wahrend der 
Kaiser an der Westfront kampft, legt er den Schutz OstpreuBens „gegen die Rus- 
senhorden" in die Hand Hindenburgs . „Und wie sich vor kurzem die Russen unter 
Hindenburgs Hieben bei Tannenberg und bei den Masurischen Seen blutige 
Kopfe holten, so gelang es vor 1000 Jahren einem Hermann Billung, gestiitzt auf 
das Bollwerk der von ihm erbauten herzoglichen Burg und im Vertrauen auf die 
Hiilfe des Erzengels Michael . . . den Anprall des wendischen Heidentums . . . 
siegreich niederzuwerfen." Hier wie in Braunschweig erinnert das Kriegswahrzei- 
chen an einen siegreichen Vorkampfer des Deutschtums gegen das Slawentum. 
Hermann Billung und Heinrich der Lowe haben in Hindenburg einen modernen 
Nachfolger gefunden. In Liineburg wird noch die Treue der Paladine Hermann 
Billung und Hindenburg ihrem jeweiligen Herrscher gegeniiber betont, sicher 
gedacht als Vorbild fur die jetzt kampfenden Soldaten. In Braunschweig konnte 
man aber angesichts der problematischen Haltung Heinrichs des Lowen gegen- 
iiber Kaiser Friedrich Barbarossa gerade diesen Aspekt nicht eigens herausstellen. 
„Slawische Wildheit" - mit Fortgang des Krieges meist als Charakterzug der 
„russischen Barbaren" deklariert - und „welsche Tiicke" sind die immer wieder 
herangezogenen Versatzstiicke patriotischer Reden. Ex post lasst sich fragen, wel- 
che Pragekraft diese immer wieder betonte kulturelle, gelegentlich auch rassisch 
begriindete Uberlegenheit der Deutschen vor allem gegeniiber den Slawen hatte 
und ob nicht die umstandslose Grausamkeit, wie sie bei deutschen Soldaten im 
Zweiten Weltkrieg an der Ostfront gelegentlich anzutreffen war, durch Reden be- 
griindet wurde, wie sie bei der Einweihung von Kriegswahrzeichen gehalten wur- 
den. Diesen rohen bzw. verschlagenen Soldaten der Kriegsgegner stehen die ei- 

45 Liineburgsche Anzeigen Nr. 250 v. 25. 10. 1915; dort auch das folgende Zitat. - Auch 
der Autor des nur kurzen Benefits iiber die Einweihung in der Allgemeinen Zeitung der Lii- 
neburger Heide Nr. 295 v. 25. 10. 1915 versaumt es nicht, auf den Verteidigungskampf Hein- 
rich Billungs fur „deutsche Sitte und deutsche Art gegen welsche Tiicke und slawische Gier" 
hinzuweisen. 



Nageln in Niedersachsen im Ersten Weltkrieg 269 

nen gerechten Kampf ausfechtenden edlen deutschen Soldaten gegeniiber. Wohl 
wissend, so der Liineburger Oberbiirgermeister als nachste Redner, dass 
Deutschland „sich nur unter den Segnungen des Friedens" habe entwickeln kon- 
nen, habe der Kaiser den Frieden zu erhalten versucht. „ Aber England, dem diese 
Tat nicht unvergolten bleiben solle, habe den Frieden gestort und den Kaiser ge- 
zwungen, zu den Waffen zu greifen." 46 Mit dem Nagelspruch „ Allen Gewalten - 
Zum Trutz sich erhalten, - Nimmer sich beugen - Kraftig sich zeigen - Rufet die 
Arme - der Gotter herbei! " 47 schlug der Oberbiirgermeister sodann einen golde- 
nen Nagel ein. Wie in vielen Einweihungsreden geschehen, mussten auch in Lii- 
neburg zunachst die Hauptgegner Deutschlands - Russland, England und Frank- 
reich - als Kriegsverursacher gebrandmarkt werden, bevor man ans Nageln ging. 
Denn wie anders hatte man den Krieg legitimieren konnen, als dass man einen 
gerechten, oder wie der Kaiser Deutschland unmittelbarzu Kriegsbeginn feststell- 
te, einen uns aufgezwungenen Krieg fiihrte?! Und wie hatte es gelingen konnen, 
von der Bevolkerung immer mehr Opfer und Entbehrungen abzuverlangen, wenn 
man die Menschen an der „Heimatfront" nicht immer wieder in dieser Uberzeu- 
gung bestarkt hatte?! Diese den Nagelakt begleitende Uberzeugungsarbeit war 
mindestens ebenso wichtig wie die Spenden, die man auf diese Weise einwarb. 

Es hat den Anschein, als habe man schon bald nach dem Erscheinen des Auf- 
rufs der Nationalstiftung zur Errichtung von Kriegswahrzeichen auch in Osna- 
briick den Plan gefasst, ein Nagelungssymbol zu errichten. Doch ist man hier ei- 
nen recht unkonventionellen Weg gegangen. Wahrend fast iiberall im Reich die 
Ausgabe der Nagel und dem zufolge auch die Einnahme der Spendengelder erst 
mit dem Tag derEinweihung des Kriegswahrzeichens begannen, verkaufte man in 
Osnabriick schon Wochen vor diesem Ereignis Gutscheine, die zur Entgegennah- 
me einer entsprechenden Anzahl an Nageln und zum Nageln selbst berechtigten. 
DerErfolg dieses Verfahrens muss so iiberwaltigend gewesen sein, dass man selbst 
im fernen Magdeburg iiber die erstaunliche Hohe der schon vorab erzielten Spen- 
deneinnahmeberichtete. 48 VierTage vor derEinweihung beliefen sich die Einnah- 
men aus Gutscheinen, aus dem Verkauf von Postkarten mit dem Bild des Eisernen 
Karl und dem offiziellen Abzeichen auf iiber 88.000 Mark. Angesichts dieses 
iiberraschenden Erfolges glaubte man bereits zu diesem Zeitpunkt vorhersagen zu 
konnen, dass die Nagelung nur drei Wochen dauern wiirde. 49 Tatsachlich beno- 
tigte man dann doch etwas mehr Zeit, bis der „Eiserne Karl" vollstandig benagelt 



46 Hannoverscher Kurier Nr. 32 075 v. 25. 10. 1915. 

47 Liineburgsche Anzeigen Nr. 250 v. 25. 10. 1915. 

48 Magdeburgische Zeitung Nr. 668 v. 8. 9. 1915: „Die noch gar nicht begonnene Nage- 
lung" des , Eisernen Karl' zeigte schon annehmbaren Erfolg. Fur den Verkauf der Gutscheine 
sind fast 30,000 M eingekommen." 

49 Osnabrucker Tageblatt Nr. 9409 v. 22. 9. 1915. 



270 



Gerhard Schneider 




97/iijefn wtv dtcfy jefyt in {^ifen.. 



Abb. 6: 

„Karl der Grosse " 



war; aber schon Ende 
November 1915 erschien 
in den Osnabriicker Zei- 
tungen eine Anzeige des 
Roten Kreuzes, mit der 
die Nagelung als be- 
endet erklart wurde. 50 
Auch die vorlaufige Fest- 
stellung des Gesamter- 
trags der Nagelung lag zu 
diesem Zeitpunktbereits 
vor: Rund 117.000 Mark 
hatten die Bewohnervon 
Osnabriick und einiger 
benachbarter Gemein- 
den gespendet, so dass 
dem Roten Kreuz nach 
Abzug der Ausgaben ein 
Uberschuss von rund 
110.000 Markverblieb. 51 
Keine deutsche Stadt 
von vergleichbarer Gro- 
Be konnte einen ahnli- 
chen Erfolg verzeichnen 
und nirgendwo sonst ist 
das Nageln so flott von- 



statten gegangen wie in Osnabriick, wo man vom Setzen des ersten Nagels bis zur 
vollstandigen Benagelung der Figur gerade mal zwei Monate benotigte. Als be- 



50 Osnabriicker Tageblatt Nr. 9465 v. 27. 11. 1915. 

51 Diese Zahl war offensichtlich so beeindruckend, dass sie sogar von der Gifhorner Al- 
ler-Zeitung bereits am 11. 11. 1915 (Nr. 265) iiberliefert wird. Uber das Ergebnis der offiziel- 
len Schlussrechnung (Reinertrag: 111.419, 91 Mark) s. Osnabriicker Tageblatt Nr. 9518 v. 31. 
1. 1916; Allgemeine Zeitung der Liineburger Heide Nr. 32 v. 3. 2. 1916; Liineburgsche An- 
zeigen Nr. 30 v. 5. 2. 1916; Braunschweigische Anzeigen Nr. 27 v. 2. 2. 1916. - Insgesamt sind 
in Osnabriick wahrend des Krieges „etwa 1 Million Mark an Liebesgaben zusammengekom- 
men" (L. Hoffmeyer: Chronik der Stadt Osnabriick, Osnabriick 1925, S. 178). 



Nageln in Niedersachsen im Ersten Weltkrieg 271 

kannt gemacht wurde, dass das Nageln bald eingestellt wiirde, weil der Eiserne 
Karl den vorgesehenen Panzer erhalten hatte, nagelten rund 6.000 Personen in ei 
ner Woche! 52 Woher die auBergewohnliche Teilnahme- und Spendenfreudig- 
keit der dortigen Bevolkerung herriihrte, lasst sich nur ahnen. Sicher, die Osna- 
briicker Bevolkerung gait als wohlhabend, aber dies traf auch auf viele andere 
deutsche Stadte zu, die weit mehr Zeit benotigten, um ihr Kriegswahrzeichen zu 
benageln; Osnabriick war eine Garnisonstadt mit zahlreichen Soldaten, die in 
groBer Zahl nagelten; aber auch dies unterschied Osnabriick nicht von anderen 
Garnisonstadten. Von betrachtlicher propagandistischer Wirkung war sicherlich 
das Gemeinschaftsnageln der zahlreichen Osnabriicker Vereine und Schulen, fur 
das der Vorsitzende des Roten Kreuzes, Oberbiirgermeister Rissmiiller, sich mit 
dem ganzen Gewicht seines Amtes einsetzte und dem sich kaum ein Verein und 
keine Schule entziehen konnte. Indem die Osnabriicker Lokalpresse regelmaBig 
liber Gemeinschaftsnagelungen berichtete, erhohte sich der Druck auf solche 
Vereine und Schulen, die noch nicht genagelt hatten. Uberhaupt mag es den Er- 
folg des Nagelns begiinstigt haben, dass der Vorsitzende des Vereins, der die Auf- 
stellung des Kriegswahrzeichens betrieben hat, zugleich Oberbiirgermeister der 
Stadt gewesen ist. In dem eine Woche vor der Einweihung des Eisernen Karl in 
der Presse erschienenen Aufruf appellierte er an die Osnabriicker Bevolkerung: 
„Opfert! Beweist eure Liebe durch die Tat! Folgt dem groBen gottlichen Vorbilde 
dessen, der sich fiir seine Briider dahingab ! " 53 Auch mehrere Umlandgemeinden 
konnten fiir das Nageln gewonnen werden. 54 SchlieBlich ging man in Osnabriick 
besonders professionell zu Werke: Nicht nur, dass man, wie erwahnt, schon lange 
vor der Einweihung des Eisernen Karl Nagelgutscheine verkaufte, man richtete in 
der Stadt auch mehrere Verkaufsstellen 55 fiir die Nagel ein, so dass die Bevolke- 
rung taglich an ihre patriotische Spendenpflicht erinnert wurde. Indem man die 
Moglichkeit schuf, Nagel mit seinen Initialen oder mit einem Sinnspruch gravie- 
ren zu lassen, kam man dem Bediirfnis nicht weniger Bewohner der Stadt nach, ih- 
rer patriotischen Pflichterfiillung auch sichtbar Ausdruck zu verleihen. Man hat 

52 Osnabriicker Zeitung Nr. 13376 v. 25. 10. 1915. 

53 Osnabriicker Tageblatt Nr. 9406 v. 18. 9. 1915. 

54 So erwarb die Gemeinde Rahne drei Nagel im Wert von 100, 50 und 20 Mark, ferner 
mehrere weitere preiswertere Nagel. Unter Teilnahme der Ortsbewohner und der Schulkin- 
der wurden diese Nagel in einer Gemeinschaftsaktion genagelt (Osnabriicker Tageblatt Nr. 
9430 v. 16. 10. 1915). Die Kirchengemeinde Achelriede stiftete zwei Nagel zu je 150 Mark; 
sie „sollen auf dem Kreuz iiber dem Reichsapfel eingeschlagen werden, wo auch noch Platz 
fiir Nagel anderer Kirchengemeinden zur Verfiigung steht" (Osnabriicker Zeitung Nr. 13374 
v. 22. 10. 1915). An der feierlichen Gemeinschaftsnagelung der Kriegervereine nahmen von 
auswarts die Kriegervereine Schledehausen, Melle, Belm, Hellern, Bad Essen, Boxtrup, Sutt- 
hausen und Piesberg teil (Osnabriicker Zeitung Nr. 13356 v. 1. 10. 1915). 

55 Sie werden im Osnabriicker Tageblatt Nr. 9409 v. 22. 11. 1915 genannt. 



272 Gerhard Schneider 

damit offensichtlich eine besonders stark spradelnde Spendenquelle angesto- 
chen, denn der mit dem Gravieren der Nagel beauftragte Graveur wurde mit Auf- 
tragen dermaBen iiberhauft, dass er diesen kaum nachkam. Immer wieder muss- 
ten die Auftraggeber fiir gravierte Nagel vertrostet werden. 56 

Nach mehreren Vorberichten in den lokalen Zeitungen wurde der Eiserne 
Karl am 26. September 1915 enthiillt. Man mag sich fragen, warum man sich in 
Osnabriick gerade fiir die Gestalt Karls des GroBen als Nagelungsfigur entschie- 
den hat, denn angesichts der zunehmend nationalistischeren Stimmung in Teilen 
der Bevolkerung war diese Symbolgestalt nicht ganz unproblematisch. Sicher, 
Karl der GroBe gilt als Grander Osnabriicks,zudem alsjenerHerrscher, der- wie 
Oberbiirgermeister RiBmiiller in seinem Aufruf formulierte - als erster alle deut- 
schen Stamme geeinigt habe. Karl der GroBe war aber auch derjenige, der - folgt 
man den sog. Reichsannalen - mehrere Tausend Sachsen hatte ermorden lassen, 
also Menschen, die man in Niedersachsen als direkte Vorfahren betrachtete und 
wertschatzte. In einer Zeit, in der volkisch-germanisches Gedankengut sich im- 
mer starker ausbreitete und das Heidnische im Nageln durchaus akzeptiert wur- 
de, musstenjene, die der Bevolkerung die Wahl des Nagelungsmotivs zu erklaren 
suchten, manche geistige Volte schlagen, um Karl den GroBen, der das Heil des 
Christentums ins Sachsenland gebracht und die „deutschen" Stamme vereinigt 
habe, mit Karl „dem Sachsenschlachter" zu versohnen. In dem Festgedicht, das 
eine Schauspielerin des Stadttheaters am Tag der Einweihung vortrug, hieB es: 

„Karol, groBer Sachsensieger! Unsre Vater, rauh von Sinne, 

Mit dem Schwerte in der Hand Wehrten lang dir trutziglich, 

Hast erkampft du unser Land Beugten doch dem Kreuze sich, 

Und bezwungen unsre Krieger. Tranken glaubig Gottes Minne, 

Doch es war zu unsrem Heil, Schmuckten mit dem Kreuz ihr Schwert. 

LieBest Blut dein Schwert du trinken. Jetzo wollen, Mann von Eisen, 

Durch das Kreuz in deiner Linken Wir durch Taten dir beweisen, 

Wurde Rettung uns zuteil. DaB wir unsrer Vater wert . . . 

Etwa 60 lokale Vereine mit ihren Fahnen und „eine vieltausendkopfige Menge 
festlich gestimmter Menschen von Nah und Fern" waren zur Enthullung des Eiser- 
nen Karl zum Stadttheater gekommen, vor dessen Haupteingang die Plastik, ge- 
schutzt unter einem kleinen Pavilion, Aufstellung gefunden hatte. Die Figur hatte 
der Bildhauer Heinrich Wulfertange „aus uraltem und kernfestem Lindenholz" 
geschaffen, das von einer Linde stammte, die friiher auf dem Klosterhof der Jo- 

56 Osnabriicker Zeitung Nr.13369 v. 16. 10. 1915; diese Klage bereits friiher: Ebd. Nr. 
13351 v. 25. 9. 1915. 

57 Osnabriicker Tageblatt Nr. 9413 v. 27. 9. 1915 und Osnabriicker Zeitung Nr. 13352 v. 
27. 9. 1915. 



Nageln in Niedersachsen im Ersten Weltkrieg 273 

hanniter-Kommende in Malgarten stand und „die in ihrerjugend wohl noch das 
Ende des DreiBigjahrigen Krieges geschaut hatte." Das Standbild - 2, 45 m hoch 
und sieben Zentner schwer - war auf einem eichenen Sockel aufgerichtet, der die 
ausgenagelte Inschrift tragt: „Karl der GroBe - In eiserner Zeit - In Eisen dein 
Kleid - Den Helden geweiht!" Zeitgenossen beschreiben den „Eisernen Karl" als 
„stolz, majestatisch, ehrfurchtgebietend . . . Tief ernst, doch milde ist der Aus- 
druck des hehren Antlitzes. Der Blick des groB aufgeschlagenen Auges ruht auf 
dem Dom, der ersten Griindung Karls des GroBen auf sachsischem Boden. In der 
Rechten halt der Kaiser das gewaltige Reichsschwert, in der Linken den Reichsap- 
fel mit dem Kreuz, seiner machtigeren Waffe . . ." Fur die Gestaltung des gekron- 
ten Hauptes nahm der Kiinstler das bekannte Bild von Albrecht Diirer zur Vorla- 
ge, wahrend die Muster der Prunkgewander, in die Karl gehiillt ist, an die byzanti- 
nischen Kaiserornate erinnern. Urn das Muster mit der Nagelung deutlich 
hervortreten zu lassen, durfte die Figur nicht wahllos flachendeckend benagelt 
werden; vielmehr mussten die Nagel genau in die vorgelochten Stellen einge- 
schlagen werden. 58 In Osnabriick war man iiberzeugt davon, „eine derschonsten 
Figuren" aufgestellt zu haben. 59 

In den folgenden Wochen wurde kraftig genagelt, wobei man in den Zeitungen 
die oft arg gesinnungstiichtigen Nagelspriiche lesen konnte, mit denen die loka- 
len Honoratioren ihre Nagel in den Eisernen Karl einschlugen. Wiederholt kam 
es zu Gemeinschaftsnagelungen, die von den Beteiligten als besonders erhebend 
empfunden wurden. Im Abstand von jeweils einer Woche nagelten zunachst die 
Krieger- und Regimentsvereine aus Stadt und Umland, danach die Vereinigten 
Liedertafeln von Osnabriick und schlieBlich die OsnabriickerTurnvereine.Jeder 
Redner beschwor die Solidaritat der Heimat mit der Front, die sich im Nageln und 
Spenden dokumentiere, und ebenso oft wurde der „Opfer" gedacht, die die Sol- 
daten an der Front erbracht hatten. „Aus der blutigen Saat aber, die jetzt gesaet 
werde, miisse hervorgehen ein Friede, geeignet, Deutschland einer glucklichen 
Zukunft entgegenzufiihren." 60 Anlasslich der Nagelung der Turnvereine erinner- 
te Reichstagsabgeordneter Wamhoff, daran, dass schon „viele Tausende deut- 
scher Turner ihre Treue zum Vaterland mit ihrem Herzblut besiegelt" hatten. Mit 
dem Tod furs Vaterland - einen schoneren gabe es nicht - sei „ihnen doch der 
schonste Siegespreis geworden, der schonste Lorbeerzweig geflochten um ihre 



58 Samtliche Zitate aus dem Bericht iiber die Einweihung, in: Osnabriicker Zeitung Nr. 
13352 v. 27. 9. 1915. Ein ausfiihrlicher Bericht iiber die Einweihung erschien auch im Hanno- 
verschen Kurier Nr. 32023 v. 27. 9. 1915. Vgl. auch Ilsetraut Lindemann: Der „Eiserne Mann" 
von Osnabriick, in: OsnabriickerLand-Heimatjahrbuch 1985,Quakenbruck 1985, S. 25-30. 

59 Osnabriicker Tageblatt Nr. 9413 v. 27. 9. 1915. 

60 Osnabriicker Tageblatt Nr. 9420 v. 5. 10. 1915. 



274 Gerhard Schneider 

bleiche Stirn". 61 Als unmittelbar vor der Feier der Vereinigten Liedertafeln die Er- 
oberung Belgrads bekannt geworden war, nahm dies der Festredner und Vorsit- 
zende des Nationalliberalen Vereins, Prof. Dr. Dieckmann, zum Anlass, seinen 
alldeutschen Phantasien freien Lauf zu lassen. Nicht nur miisse Serbien „gebiih- 
rend geziichtigt" werden, damit es nie wiederzum „Brutofen europaischer Wirren 
und Gefahren" werden konne; er denke indes „weit iiber Serbien hinaus bis zu 
den Dardanellen,ja bis Bagdad und Agypten". 62 Dass solche Ideen in Kreisen des 
GroBbiirgertums und der Intellektuellen gangiges Gedankengut waren, beweist 
der Festredner, ein Arzt, anlasslich der Turnerfeier: Am Suezkanal wolle man der 
englischen Seemacht „den TodesstoB versetzen". 63 

Nachdem die Nagelung bereits im November 1915 abgeschlossen worden war, 
fand der „Eiserne Karl" seinen Platz in der Vorhalle des Rathauses. Warum es in 
Osnabriicknach dem groBen und schnellen Erfolg der Nagelung zu keiner weite- 
ren Nagelung kam, entzieht sich unserer Kenntnis. Zwar wurden in der ersten 
Halfte des Jahres 1916 noch iiberall in Deutschland zahlreiche Kriegswahrzei- 
chen genagelt; nachdem aber nach den beiden groBen Schlachten von Verdun 
und an der Somme die riesige, vorher nicht vorstellbare Zahl an Menschenopfern 
bekannt geworden war und sichim Winter 1916/17 eine Versorgungskrise einstell- 
te, nahm die Neigung der Bevolkerung ab, sich an einem patriotischen Akt wie 
dem Nageln zu beteiligen, der so eindeutig von Kriegs- und Siegesenthusiasmus 
getragen war. Dies mag auch in Osnabriick den Ausschlag dafiir gegeben haben, 
dass kein zweites Kriegswahrzeichen zum Benageln aufgestellt wurde. Nach dem 
Krieg 64 wurde der Eiserne Karl „in Verkennung des wahren Materialwertes" sei- 
ner versilberten und vergoldeten Nagel sowie allermit Sinnspriichen bzw. den In- 
itialen gravierten Nagel beraubt; die Figur wurde mehrfach beschadigt; sie verlor 
Schwert, Reichsapfel und linke Hand. Spater geriet sie in Vergessenheit. Den 
Zweiten Weltkrieg iiberstand sie auf dem Dachboden einer Osnabriicker Schule. 
Nach der Wiederentdeckung und Restaurierung wurde die Figur im Wallenhor- 
ster Rathaus aufgestellt, wo sie sich noch heute befindet. 



61 Osnabriicker Tageblatt Nr. 9431 v. 18. 10. 1915 

62 Osnabriicker Tageblatt Nr. 9425 v. 11. 10. 1915. 

63 Osnabriicker Tageblatt Nr. 9431 v. 18. 10. 1915. 

64 Vgl. Lindemann (wie Anm. 58), S. 28f.; ferner: DerTod als Maschinist. Derindustria- 
lisierte Krieg 1914-1918, hrsg. v. Rolf Spilker und Bernd Ulrich, Bramsche 1998, S. 305. 
Der „Eiserne Karl" wurde anlasslich der gleichnamigen Ausstellung gezeigt (vgl. Neue 
Osnabriicker Zeitung v. 2. 5. 1998). 



Nageln in Niedersachsen im Ersten Weltkrieg 275 

Nicht nagelnde Stddte 

Es erstaunt, dass Stadte wie Biickeburg, Celle, Gottingen oder Helmstedt offen- 
sichtlich nicht genagelt haben, obwohl diese Stadte aufgrund ihrer GroBe, Bedeu- 
tung und Bevolkerungsstruktur fur die Idee des Nagelns eigentlich hatten emp- 
fanglich sein miissen. Die Griinde fiir diese Abstinenz erfahren wir leider nicht. 
Eine Ausnahme stellt Hildesheim dar. Im Protokoll der gemeinschaftlichen Sit- 
zung der stadtischen Kollegien vom 16. 11. 1915 heiBt es, dass auf „Antrag des 
Ortsausschusses zur Errichtung eines Nagelungswahrzeichens" beschlossen wur- 
de, „in der unteren Rathaushalle, die entsprechend umgestaltet werden soil, auf 
Kosten der Stadt nach den vorgelegten Planen benagelte Schilder anzubringen. 
Mit der Ausfiihrung wurde Direktor Sandtrock betraut und wurden dazu aus dem 
Ueberschuss der Kammereikasse von 1914/15 12.000 M zur Verfiigung ge- 
stellt." 65 Einjahr spater, am 23. 11. 1916, nimmt die Kammerei-Kasse eine Art 
Schlussrechnung der im Zusammenhang mit der geplanten Aufstellung eines 
„Nagelungsgwahrzeichens" entstandenen Kosten in Hohe von M 611,20 vor. Dar- 
in heiBt es: „Dem Vernehmen nach wird der Plan nicht zur Ausfiihrung kom- 
men." 66 Was war in der Zwischenzeit geschehen, was die Stadt von ihrem ur- 
spriinglichen Plan, fiir den sie schon betrachtliche Mittel bereitgestellt hatte, hat 
Abstand nehmen lassen? Es gab in der Stadt einige Diskussionen um den im Spat- 
jahr 1915 bekannt gewordenen Plan. 67 Wirklich abgelehnt hat ihn aber niemand. 
SchlieBlich heiBt es in den Akten ganz lapidar: „Anstelle eines Nagelungswahr- 
zeichens haben wir vor unserem Rathaus einen Kriegs-Opferstock aufgestellt." 68 
Er enthielt die Inschrift: „Gott bewahre uns vor Krieg!" 69 - ein StoBseufzer, der 
zum Zeitpunkt, da der Krieg bereits zweijahre andauerte, etwas eigenartig anmu- 
tete. Der wahre Grund fiir den nicht realisierten Plan, in Hildesheim ein Kriegs- 
wahrzeichen zu errichten, wird darin gelegen haben, dass die urspriinglich ins 
Auge gefasste Errichtung einer Ruhmeshalle als zu groB(spurig) und zu kosten- 



65 StA Hildesheim Best. 102 Nr. 5907. Uber diesen Beschluss berichteten auch die Ta 
geszeitungen, z.B.: Hildesheimer Allgemeine Zeitung v. 23. 11. 1915; Hannoverscher Kurier 
Nr. 32128 v. 23. 11. 1915. 

66 StA Hildesheim Best. 102 Nr. 3015. 

67 S. etwa die Berichte in der Gerstenberg'schen Zeitung Nr. 73 v. 14. 3. 1916 und Nr. 74 
v. 15. 3. 1916. 

68 StA Hildesheim Best. 102 Nr. 3015; frdl. Mitt, des Stadtarchivdirektors Dr. Herbert 
Reyer vom 14. 11. 1995. Dieser Opferstock ist abgebildet in: Erich Heinemann: Fiir Kaiser 
und Vaterland. Hildesheim im Ersten Weltkrieg, Hildesheim 1989, S. 59. 

69 Liineburgsche Anzeigen Nr. 180 v. 3. 8. 1916; in diesem Bericht heiBt es weiter, dass 
auf dem Deckel der Kassette ein Schild mit der Inschrift angebracht werden sollte: „Fiir die 
Kriegswaisen". Dieses Schild sei auswechselbar, „um dem Opferstock, der dauernd erhalten 
werden soil, spater anderen Zwecken dienstbar machen zu konnen." 



276 Gerhard Schneider 

trachtig erschien, und diese Kosten, je langer die Planungen sich hinzogen, umso 
weniger gerechtfertigt werden konnten. Hinzu kommt, dass eine Ruhmeshalle ja 
nur dann gebaut werden konnte, wenn der Ruhm (d.h. der Sieg) sicher war. Im 
Herbst 1915 war man in derHeimat noch mehrheitlich davon iiberzeugt, dass die- 
ser Sieg unmittelbarbevorstand. Als sich im Laufe desjahres 1916 aber abzeich- 
nete, dass das siegreiche Kriegsende in immer weitere Entfermmg riickte, mag 
man den Plan einer etwas voreiligen Ruhmeshalle ad acta gelegt haben. Ein Op- 
ferstock, in den der demiitige, vielleicht auch reuige Christ sein Scherflein einleg- 
te, schien jetzt ein passenderes Kriegswahrzeichen zu sein. 

Sinnstiftungen 70 

Bekanntlich wurden dem Nagelakt von Ort zu Ort unterschiedliche Bedeutungen 
und Sinnstiftungen beigelegt. Die nachstehend genannten unterschiedlichen 
Sinnstiftungen sind natiirlich nur in den seltensten Fallen in „reiner Form" nach- 
weisbar. In den meisten Fallen kommt es zu einer Durchmischung und Uberlage- 
rung einzelner Sinnstiftungen. Gar sechs symbolischen Zwecken sollte der Eiser- 
ne Heinrich der Lowe dienen: Er sollte „zeugen von den Heldentaten deutscher 
Manner im gewaltigen Weltkriege, den gefallenen Helden zur Ehre, den Hinter- 
bliebenen zum Trost, den Kriegsbeschadigten zur Unterstiitzung, der Opferwil- 
ligkeit der Bevolkerung Braunschweigs zum Ruhme und der Jugend zur Nach- 
eiferung." 71 

Allgemein diente das Nageln der patriotischen Gesinnungsbildung: Dies war 
an sich nichts Besonderes, unterstiitzte doch im Verlauf des Krieges fast jeder of- 
fentliche Akt,jede offizielle Veranstaltung diesen Zweck. So wie viele andere pa- 
triotische Veranstaltungen auch war das Nageln zugleich eine gemeinschaftsstif- 
tende Aktion. Die oft beschworene „Volksgemeinschaft im Krieg", der „Geist 
vom August 1914" - hier, beim Nageln, konnte sich erweisen, ob eine derartige 
Gesinnung noch lebendig war. Zusammenzustehen, auch an der „Heimatfront" 
alles zu tun, um den Sieg zu erringen, zugleich sich mit den Hinterbliebenen soli- 
darisch zu erweisen, ihnen beizustehen und sie auch materiell zu unterstiitzen, das 
alles lieB sich beim Nageln offentlich demonstrieren. Fast beschworend erinnert 
Oberbiirgermeister RiBmiiller bei der Einweihung des Osnabriicker Kriegswahr- 
zeichens an die rauschhafte Stimmung zu Kriegsbeginn: „So tief aus dem Inner- 
sten heraus hat die Gesamtheit des deutschen Volkes noch nie eine Bewegung er- 



70 S. hierzu meinen Aufsatz: Zur Mobilisierung der „Heimatfront": Das Nageln soge- 
nannter Kriegswahrzeichen im Ersten Weltkrieg, in: Zeitschrift fur Volkskunde 95 (1999), 
S. 44ff. 

71 Braunschweigische Landeszeitung Nr. 338 v. 6. 12. 1915. 



Nageln in Niedersachsen im Ersten Weltkrieg 277 

lebt, niemals eine Begeisterung so hoch emporlodernd. Beengende Schranken 
fielen, der Mensch trat zum Menschen, [wie] ein fest zusammengeschweiBter 
Eisenblock stand Deutschland da, in seiner Geschlossenheit niemals iiberwind- 
bar." 72 Dieser Gemeinschaftssinn miisse sich jetzt wieder erweisen, wenn es urn 
das Spenden fiir die Kriegsopfer geht. Dieser Appell schien umso notiger, als sich 
bereits wenige Monate nach Kriegsbeginn erste Risse in der „Volksgemeinschaft" 
gezeigt hatten. So veroffentlichten einige Zeitungen unter der Uberschrift „An 
den Pranger!" Berichte iiber offensichtliche VerstoBe gegen die Gemeinschaft. 
Die ganze Gemeinde Isenhagen wurde an den Pranger gestellt, nachdem ein 
Gendarm bei der Revision der Roggenbestande festgestellt hatte, dass gegeniiber 
den amtlichen Angaben tatsachlich ein Vielfaches an gedroschenem und unge- 
droschenem Roggen vorhanden war. „Wie muB sich jeder einzelne der Beteilig- 
ten schamen! Was werden unsere braven Soldaten drauBen im Felde, im Schiit- 
zengraben dazu sagen, wenn sie dies lesen?" 73 

Natiirlich hat sich die magische Aufladung des Nagelaktes nicht oft in verbaler 
Form offenbart. Doch finden sich gelegentlich Hinweise darauf, dass das Nageln 
von manchem Zeitgenossen als eine Form der Kraftiibertragung verstanden wur- 
de, so als ob der Nagelnde durch die Wucht seiner Schlage sich selbst und seinen 
Mitmenschenjene Kraft einhammern konnte, die die schmerzhafte Kriegserfah- 
rung ihnen entzog. In Osnabriick, wo in der Zeit der Nagelung des Eisernen Karl 
zahlreiche Gedichte erschienen, dichtete ein Zeitgenosse: „ . . . Ihr starkt die Boll- 
werke wider der Feinde Schar/ Mitjedem sausenden Hammerschlag . . . Ihrham- 
mert Zuversicht und Opfermut / In verzagende, trauernde Herzen tief; Ihr 
schweiBt zusammen in neuer Glut, / Was barst und weckt, was schaumte und 
schlief." 74 Gelegentlich gewinnt man gar den Eindruck, die Nagelnden konnten 
die Intensitat ihres Kraftaktes direkt auf die an der Front kampfenden Soldaten 



72 Osnabriicker Tageblatt Nr. 9413 v. 27. 9. 1915; einen etwas anderen Wortlaut der Re- 
de iiberliefert die Osnabriicker Zeitung Nr. 13352 v. 27. 9. 1915. 

73 Aller-Zeitung Nr. 34 v. 10. 2. 1915. Die mangelnde „Opferwilligkeit" der Gemeinde 
Hellern im Osnabriickischen wird wenige Tage spater in derselben Zeitung (Nr. 38 v. 14. 2. 
1915) angeprangert. Ein Gemiisehandler auf dem Wochenmarkt zu Riistringen wurde an 
den Pranger gestellt, weil er auf die Kritik an seinen hohen Preisen geantwortet haben soil: 
„Die Riistringer werden noch Ratten fressen". Mehrere Frauen haben ihn daraufhin gepackt 
und „auf seinen Wagen gesetzt, den sie nun unter Schimpf- und Spottreden iiber den Wo- 
chenmarkt zogen, um den Unverschamten aller Welt zu zeigen" (Gifhorner Zeitung Nr. 250 
v. 23. 10. 1915). „An den Pranger" gestellt sah sich auch eine Frau aus Resse nach einer 6f- 
fentlichen Bekanntmachung des Landrats in Burgdorf, weil sie sich mit einem belgischen 
Kriegsgefangenen „eingelassen" hatte, „indem sie mit ihm Zusammenkiinfte verabredet, 
ihm Eier, Tabak, Zigaretten zugesteckt hat usw." Sie erhielt eine Geldstrafe von 100 Mark 
(Aller-Zeitung Nr. 67 v. 19. 3. 1916). 

74 Osnabriicker Tageblatt Nr. 9414 v. 28. 9. 1915. 



278 Gerhard Schneider 

iibertragen. In Osnabriick heiBt es in einem mundartlichen Gedicht, das auf die 
bevorstehende Erstnagelung des Eisernen Karl einstimmen sollte: „. . . Dorbuten 
slaut wie de Feinde, / Slaut Russen und Franzos, / Hier slat de Stadtgemeinde / 
Up Korl den grauten los." 75 Und ebenfalls in Osnabriick reiht sich der „Eiserne 
Karl" in die Volksgemeinschaft ein und kampft mit an der Heimatfront. 

„DrauBen kampfen unsre Scharen, 

Opfermutig, glaubensvoll, 

Zeigen uns, wie jeder soil 

Sich als Deutscher offenbaren. 

Solchen Geist, du Mann von Eisen, 

Brauchen wir in harter Zeit. 

Komm herbei! Es ist so weit! 

Hilf uns, Deutschlands Ehre preisen!" 76 

Es gab mehrere Gemeinden, die wohl unter dem Druck der stark angewachse- 
nen Gefallenenzahlen sich verpflichtet glaubten, schon jetzt, da ein Ende des 
Krieges noch nicht absehbar war, ein Kriegerdenkmal zu errichten. 77 Dies war 
zwar von der Obrigkeit als zu voreilig und als nicht erwiinscht deklariert worden. 
Manche Gemeinden behalfen sich aber damit, dass sie ihr lokales Kriegswahrzei- 
chen mit einer zusatzlichen, sekundaren Sinnstiftung bedachten: so konnte man 
die obrigkeitlichen Bedenken umgehen und doch bereits jetzt schon der Ge- 
fallenen gedenken. Das Verdener „Eiserne Buch" erfiillte diesen doppelten 
Zweck. In ersterLinie sollte dieses Kriegswahrzeichen die Bevolkerung zwarzum 
eifrigen Spenden fur die Kriegshinterbliebenen veranlassen. Daneben ermog- 
lichte der eigenartige Aufbau des „Eisernen Buches" aber, dass man schon jetzt 
zugleich auch der Kriegstoten gedenken konnte. Das Eiserne Buch von Verden 
war ein holzerner Kasten mit den MaBen 45 x 75 cm, dessen Deckel die genagelte 
Inschrift „Seinen gefallenen Sohnen - Kreis und Stadt Verden" trug. „Im Innern 
des Buchs sollen die Namen der aus den einzelnen Orten Gefallenen auf Perga- 



75 Osnabriicker Zeitung Nr. 13351 v. 25. 9. 1915. 

76 Aus dem Festgedicht zur Einweihung des Eisernen Karl (Osnabriicker Tageblatt Nr. 
9413 v. 27. 9. 1915). 

77 Es ist auffallend, dass ein derartiges Bediirfnis ganz uberwiegend in Gemeinden mit 
nur geringer Einwohnerzahl auftrat; einige Beispiele: In Ohrdorf (damals Krs. Isenhagen) 
wollte man im Innern der Kirche eine „Ehrengedachtnistafel" mit den Namen der Gefalle- 
nen aufhangen (Allgemeine Zeitung" der LiineburgerHeide Nr. 40 v. 10.2. 1916); in Gifhorn 
sollte eine vergleichbare Tafel im Rathaus aufgestellt werden (ebd. Nr. 284 v. 14. 10. 1915); 
in der Offizier-Reitschule zu Soltau wurde ein „echtes" Kriegerdenkmal (ein Findling) be- 
reits Anfang September 1915 eingeweiht; es trug die Inschrift: „Den gefallenen Helden der 
Reitschule - die Garnison und Stadt Soltau" (ebd., Nr. 243 v. 3. 9. 1915). In Fallersleben wur- 
de fur jeden Gefallenen des Kirchspiels „im Gotteshause eine kleine Gedenktafel mit dem 
Namen, Heimatsort und Todestage angebracht" (Aller-Zeitung Nr. 118 v. 20. 5. 1916). 



Nageln in Niedersachsen im Ersten Weltkrieg 279 

mentblattern der Nachwelt erhalten bleiben." 78 Die nicht ganz eindeutige Formu- 
lierung lasst die Vermutung zu, dass diese Gefallenenblatter nach und nach (und 
nicht etwa erst gesammelt nach Ende des Krieges) in diese Art Vitrine eingelegt 
wurden. Die benagelte Inschrift des Eisernen Buches „Seinen gefallenen Sohnen 
- Kreis und Stadt Verden" macht den Charakter dieses Kriegswahrzeichens als 
vorlaufiges und sich fortschreibendes Kriegerdenkmal deutlich. 

In Kirchgellersen nagelte die Gemeinde „ein Kreuz, das den Kopf einer Ehren- 
tafel fiir die auf dem Felde der Ehre gefallenen Mitglieder unserer Kirchenge- 
meinde bildet". 79 Hier war das Objekt der Nagelung sichtbar ein Kriegerdenk- 
mal, wie es vor allem in preuBischen Kirchen seit dem sog. Befreiungskrieg gegen 
Napoleon bekannt gewesen ist. In Osnabriick erganzte man den vier Wochen zu- 
vor eingeweihten Eisernen Karl mit einem Nagelschild, das die Inschrift trug „Die 
Stadt Osnabriick ihren gefallenen Helden." 80 Das Kriegswahrzeichen, das zuvor 
Spendengelder fiir Kriegshinterbliebene einwerben sollte, erhielt auf diese Weise 
eine zusatzliche Sinnstiftung. 

Nicht immer ist die Sekundarbedeutung des Kriegswahrzeichens als Krieger- 
denkmal so eindeutig wie in Verden, Kirchgellersen und in Osnabriick. In Braun- 
schweig haben Angehorige von Gefallenen von sich aus ihrem Bediirfnis nach 
Kriegstotenehrung beim Akt des Nagelns dadurch Ausdruck verliehen, dass sie 
schon wenige Wochen nach Einweihung des Kriegswahrzeichens meist beson- 
ders teure und mit dem Namen des Gefallenen gravierte Nagel in das Symbol ein- 
schlugen 81 und so dem Eisernen Heinrich dem Lowen eine zusatzliche Bedeu- 
tung einstifteten. Ahnlich verfuhrman in Liineburg. Dort sollte die Nagelung am 
urspriinglichen Aufstellungsort des Eisernen Hermann Billung am 30. April 1916 
beendet werden. Als neuer Aufstellungsort wurde die Diele des Kammereigebau- 
des im Rathaus ausersehen, wo weitergenagelt werden konnte,jetzt allerdings mit 
der ausdriicklichen MaBgabe, dass kiinftig „namentlich Gedachtnisschilder fiir 
die Gefallenen" 82 genagelt werden sollten. Das Kriegswahrzeichen Liineburgs 
wurde auf diese Weise zum Gefallenengedachtnismal umgewidmet. 

Sowohl die Sinnspriiche, mit denen die Nagelnden ihre Nagel einschlugen, als 
auch die Weihereden beinhalteten oft eine Art Geliibde, das die Teilnehmer ab- 
legten. Mit diesem Geliibde schworen sie in einer Art Selbstverpflichtung gegen- 

78 Liineburgsche Anzeigen Nr. 264 v. 10. 10. 1915. Die Einweihung erfolgte erst drei 
Monate spater zu Beginn des neuen Jahres. Identischer Bericht in: Die Harke Nr. 292 v. 8. 
11. 1915. Das „Eiserne Buch" befindet sich heute im Historischen Museum Verdens. 

79 Liineburgsche Anzeigen Nr. 286 v. 7. 12. 1915. 

80 Osnabrucker Tageblatt Nr. 9437 v. 25. 10. 1915. Die Initiative hierzu ging von den 
Stadtischen Kollegien aus. 

81 Braunschweigische Landeszeitung Nr. 360 v. 29. 12. 1915. 

82 Liineburgsche Anzeigen Nr. 87 v. 12. 4. 1916. 



280 Gerhard Schneider 

iiber der Offentlichkeit wie auch gegeniiber den Frontsoldaten, dass sie in materi- 
ellerund ideellerHinsicht alles einsetzen wollten, um den Sieg zu erzwingen. Zu- 
gleich waren solche Reden nicht selten ein Huldigungsakt, ein Bekenntnis und 
Treuegelobnis dem Herrscher und der Staatsform gegeniiber. Die Reden waren 
oft so angelegt, dass die Anwesenden, ob sie es wollten oder nicht, in dieses Ge- 
liibde mit einbezogen wurden. Bei der Einweihung des Eisernen Goeben in Stade 
sagte Regierungsprasident Grashoff: „Wer diesen gewaltigen groBen Weltkrieg 
auch hier in der Heimat wahrhaft mit erleben will, der muB im Glauben an Gottes 
Weltregierung beten fur den Sieg unserer Waffen und fur das Geschick unseres 
Volkes und Vaterlandes. Er muB in restlosem und bedingungslosem Opfermut 
sein Alles herzugeben bereit sein und seine ganze Personlichkeit einsetzen fur das 
geliebte Vaterland . . . Das wollen wir geloben dieser Reckengestalt, dem Wahr- 
zeichen unserer eisernen Zeit. Wir wollen es geloben dem Andenken Goebens 
und der Erinnerung an die groBe vaterlandische Zeit, in der er gelebt und gewirkt 
hat. Wir wollen es geloben unseren tapferen Briidern da drauBen, die ihr Leben 
fiiruns einsetzen. Wir wollen es endlich uns selbst geloben: Fest und treu und un- 
erschiitterlich wollen wir durchhalten. Fest und treu wollen wir stehen zu Konig 
und Vaterland, Kaiser und Reich.. Was wir sind und haben, wollen wir zu opfern 
bereit sein. Unsere ganze Personlichkeit wollen wir einsetzen furs Vaterland." 83 
Dieses Geliibde hatte oft auch den Charakter einer Selbstbeschworung. Solan- 
ge sich „die Heimat" in derart geschlossener Form zum Nageln einfand und damit 
offentlich ihre Bereitschaft beschwor, alles zu tun, um den Sieg zu erringen, solan- 
ge das Biindnis zwischen Front und Heimat hielt und der Durchhaltewille immer 
wieder von neuem bekraftigt wurde, solange Gottes Segen erkennbar der „deut- 
schen Sache" beschieden war, solange konnten dieses Volk und seine Armeen 
nicht besiegt werden. Im „Hammerlied", das zur Feier der Nagelung Karls des 
GroBen in der Osnabriicker Zeitung erschien, ist das Nageln zugleich Kraftiiber- 
tragung und Selbstbeschworung: 

„. . . Haut drein, daB MiBmut und Kleinsinn zerfallt 

Zum Frommen der edelsten Giiter der Welt! 

Ihr hammert die zweifelnden Herzen stark, 

Ihr schmiedet zusammen, was Zwietracht trennt, 

Ihr funkt in die Lauen Mut und Mark, 

Schiirt hell zur Lohe, was glimmend nur brennt. 

Ihr hammert die deutschen Herzen hart, 

DaB sie singen wie stahlerne Schwerterklingen 

Und nimmer vergessen der Urvater Art, 



83 Zit. nach: von Staden: Eiserne Denkmalerin eiserner Zeit, in: Das neue Stader Weih- 
nachtsbuch, Stade 1915, S. 65. 



Nageln in Niedersachsen im Ersten Weltkrieg 281 

Nun es gilt das letzte, schwerste Ringen! 

So quillt auch Deutschlands Urkraft reicher 
Beijedes Hammerhiebes Saus, 
So zimmert jeder Nagel am Speicher 
Deutschen Gliicks, scheucht Kriegesgraus!" 84 

Mit der Wucht ihrer Hammerschlage wollten die Menschen in der Heimat ihre 
Verbundenheit mit den Soldaten an der Front demonstrieren. Selbstbeschworen- 
den Charakter hatte auch die in den Weihereden immer wieder apostrophierte 
groBe, ja, gewaltige Zeit, in der man lebte, mehr noch: in der zu leben nur wenigen 
Gliicklichen beschieden sei. Dieser groBen Zeit habe jeder einzelne sich wiirdig 
zu erweisen, indem er groB dachte und GroBes, notfalls auch Ubermenschliches 
zu leisten bereit sei. Das Pathos, das in den Weihereden den industrialisierten 
Krieg mit seinem banalen, oft anonymen Tod zum „Ringen auf Leben und Tode, 
ein Ringen um das Wohl und Wehe unseres Vaterlandes vielleicht auf Jahrhun- 
derte hinaus" 85 stilisierte, mag manchen Teilnehmer derfeierlichen Nagelakte er- 
hoben und mit neuer Zuversicht versehen haben. Als sich dieses Pathos mit Fort- 
gang des Krieges verfliichtigte, als dergleichen Akte der Selbstbeschworung ange- 
sichts derlangen und unabsehbaren Dauer des Krieges und der stetig steigenden 
Opferzahlen kaum noch etwas bewirkten, waren Verzweiflung und Mutlosigkeit 
der Bevolkerung groB. Zum Nageln konnte kaum noch jemand bewegt werden. 



84 Osnabriicker Zeitung Nr. 13351 v. 25. 9. 1915. 

85 Der Bamberger Eiserne Reiter. Ein Erinnerungsblatt an den Volkerkrieg 1914-1916, 
o.O. O.J., nicht paginiert. 



Verzeichnis der Gemeinden Niedersachsens, 
in denen wahrend des Ersten Weltkrieges 
sog. Kriegswahrzeichen genagelt wurden. 



Achim 

Aerzen 

Alveslohe 

Badbergen 

Bad Harzburg 

Bad Nenndorf 

Bad Pyrmont 

Bardowiek 

Barsinghausen 

Bassum 

Bleckede 

Boffzen 

Bramsche 

Braunschweig 

Bremerhaven 

Bremervorde 

Brinkum 

Clausthal 

Cuxhaven 

Delmenhorst 

Diepholz 

Dorstadt 

Duderstadt 

Einbeck 

Eitzum 

Elsfleth 

Emden 
Fischbeck 
Frensdorf 

(ehem. Krs. Bentheim) 
Goslar 
Hameln 

Hannover 



Eisernes Kreuz; 10. 10. 1915 

Eisernes Kreuz; 27. 1. 1918 

Eisernes Kreuz; 17. 10. 1915 

Adler; 2. 9. 1915 

Eisernes Kreuz; 11. 8. oder 17. 8. 1915 

Motiv nicht bekannt; August 1916 

Erzengel Michael; 21. 5. 1915 

Eisernes Kreuz; 5. 12. 1915 

Stadtwappen; 2. 7. 1916 

Eisernes Kreuz; 12. 12. 1915 

Eisernes Kreuz; 24. 10. 1915 

Nagelschild; Einweihungszeitpunkt unbekannt, wohl 1916 

Bramscher Rose; Datum der Erstnagelung nicht bekannt 

Heinrich der Lowe; 5. 12. 1915 

Kriegssaule; 2. Halite September 1915 

(gemeinsam mit Geestemunde und Lehe) 

Deutscher Krieger; 31. 10. 1915 

Eisernes Kreuz; 26. 3. 1916 [heute: OT. von Stuhr] 

Nageltisch; Datum der Erstnagelung nicht bekannt 

Eiserne Kreuze; vor dem 11. 11. 1915 

Stadtwappen; 14. 5. 1916 

Eisernes Buch; Junil916 

Schild mit Eisernem Kreuz; 27. 2. 1916 

Eiserner Tisch; Datum der Erstnagelung nicht bekannt 

Eisernes Kreuz aulTischplatte; 14. 9. 1915 

Eisernes Kreuz; 12. 12. 1915 

[heute: OT. von Schoppenstedt] 

Anker (Stadtwappen?); Datum der Erstnagelung 

nicht bekannt 

Isdern Keerl; 2. 9. 1915 

Eisernes Kreuz; vor dem 27. 12. 1915 

Eisernes Kreuz, Oktober 1915 geplant; 

Realisierung nicht nachgewiesen 

Ehrenschilder; 1. 8. 1915 

1. Schild mit Wappen; 2. 9. 1915. 

2. Ehrenschild fur Hindenburg; 1. 7. 1917 

1. Eisernes Sachsenross; 15. 8. 1915. 

2. Erste Eiserne Feldkanone; Ende August 1915. 



Nageln in Niedersachsen im Ersten Weltkrieg 



283 



Hannoversch Miinden 

Harburg 

Haste (zu Osnabriick) 

[Hildesheim 

Holzminden 

Kirchgellersen 

Lamspringe 

Lauenforde 

Leer 

Lehe 

Lingen 

Ltineburg 

Melle 

Munster 

Neuhaus/Elbe 

Neustadt a.R. 

Niedermarschacht 

Nienburg 

Oldenburg 

Osnabriick 

Otterndorf 

Peine 

Quakenbriick 

Rinteln 

Riistringen 

Sarstedt 

Schneeren 

Schoningen 

Schiittorf 

Seesen 

Sittensen 

Soltau 
Sottrum 

Stade 



3. Eiserner Roland; 5. 3. 1916. 

4. Tischaufsatz im Gasthaus „Zum Bahnhof" in 
Hannover-Hainholz; vor dem 9.10. 1915; 

5. Zweite Eiserne Feldkanone; April 1916; 

6. Bemalte Schiitzenscheibe, genagelt von der Schiitzen- 
gesellschaft der Biirgervereine Siidost-Heidorn; Mai 1916; 

7. Eiserner Propeller; August 1917; 
Eisernes Kreuz; 7. 11. 1915 

Eiserner Schiitzenvogel; 2. 9. 1915 [heute zu Hamburg] 

Eisernes Kreuz; 28. 11. 1915 

Opferstock] 

Eisernes Kreuz; 19. 12. 1915 

(christliches?) Kreuz; 5. 12. 1915 

Eisernes Kreuz; 24. 10. 1915 

Gedenkschild; 31. 10. 1917 

Eisernes Kreuz; 22. 10. 1915 

Eisernes Kreuz; Datum der Erstnagelung nicht bekannt 

Stadtwappen mit Eisernem Kreuz; 1. 1. 1916 

Hermann Bilking; 24. 10. 1915 

Eiserner Feldgrauer; 14. 11. 1915 

Bienenkorb; 5. 3. 1916 

Eisernes Kreuz; 17. 10. 1915 

Eisernes Kreuz auf Tischplatte; 19. 12. 1915 

Eisernes Kreuz; 21. 11. 1915 

Bemalter Schild mit Helm; August 1916 (Schulnagelung?) 

Isern Hinnerk; 5. 9. 1915 

Eiserner Karl der GroBe; 26. 9. 1915 

Stadtwappen; 31. 10. 1915 

Saule mit Eule; 7. 5. 1916 

Eiserner Burgmann; 30. 9. 1917 

Eisernes Kreuz; 24. 10. 1915 

Eiserner Eriese/ Stadtwappen; 14. 11. 1915 

[heute: Stadtteil von Wilhelmshaven] 

Eichenstamm; 3. 10. 1915 

Eisernes Maschinengewehr; 1. 1. 1916 

Eisernes Kreuz auf christlichem Kreuz; 19. 9. 1915 

Eisernes Kreuz; 28. November 1915 

Verschlungene Hande; 27. 1. 1916 

Eisernes Kreuz; genaues Datum der Erstnagelung 

nicht bekannt (1915) 

Stadtwappen; 24. 10. 1915 

Heiliger Georg; genaues Datum der Erstnagelung nicht 

bekannt (1917) [heute: OT. von Holle/Kr. Hildesheim] 

Eiserner Goeben; 24. 10. 1915 



284 



Gerhard Schneider 



Stadthagen 

Stadtoldendorf 

Stolzenau 

Syke 

Twistringen 

Uchte 

Uelzen 

Vechta 

Verden 

Vienenburg 

Vilsen 

Volpke 

Walsrode 

Weener 

Wiedensahl 

Wilhelmshaven 

Winsen/Luhe 

Wittingen 

Wunstorf 

Zasenbeck 
(ehem. Kreis 
Isenhagen) 



Stadtwappen; 27. 1. 1916 
Stadtwappen; 28. 11. 1915 

1. Gedenkplatte; Marzl916. 

2. Eisernes Kreuz; 27. 1. 1917 
Wappenschild; 1. 10. 1916 
Eichentafel mit Sachsenross; 16. 7. 1916 
Eisernes Kreuz; November 1916 
Nagelschild; wohl Januar 1916 
Nagelbalken; April 1916 

Eisernes Buch; 8. 11. 1915 

Ehrenschild; 3. 10. 1915 

Eisernes Kreuz; 18. 9. 1915 [heute: OT. von Bruchhausen] 

Eisernes Kreuz; 19. 3. 1916 

Stadtwappen; 20. 8. 1916 

Isdern Hinnerk bi de Kake; Fruhherbst 1915 

Eichenplatte; 31. 1. 1917 

1. EisernerTirpitz; 12. 12. 1915. 

2. U-Boot; Datum der Erstnagelung nicht bekannt 
Eisernes Kreuz; 3. 10. 1915 

Stadtwappen mit Hufeisen; 27. 2. 1916 

Eisernes Kreuz; Datum der Erstnagelung nicht bekannt 

Eisernes Kreuz; Ende Januar 1916 

(ob realisiert, konnte nicht festgestellt werden) 



Nicht in die Liste aufgenommen wurden die so genannten Schulnagelungen. 



KLEINE BEITRAGE 



Albert oder Gervasius? Spat oder friih? 

Kritische Bemerkungen zu dem Buch von Jiirgen Wilke 
uber die Ebstorfer Weltkarte* 

Mit acht Abbildungen 
Von Armin Wolf 



7. Einleitung 

Wilkes Interesse an der Ebstorfer Weltkarte wurde 1988 in einem Hauptseminar 
von Wolfgang Petke in Gottingen geweckt. Daraus entstand eine Dissertation, die, 
von Ernst Schubert betreut, 1999 von der Philosophischen Fakultat der Georg- 
August-Universitat angenommen wurde und 2001 im Druck erschien. Wie Wilke 
bereits auf der ersten Seite des Vorworts bekennt, wurde sein Engagement „immer 
wieder durch die Arbeiten von Armin Wolf, Bernd Ulrich Hucker und Hans Mar- 
tin Schaller angestachelt, die durch entschiedenes Eintreten fur ihre Thesen zu ei- 
ner bestandigen Herausforderung wurden" (9) 1 . Die Fahigkeit, seine Abneigung 
gegen diese Thesen deutlich zu machen, beweist Wilke an zahlreichen Stellen. 
Leider hat er in den vielen Jahren seiner Arbeit niemals das Gesprach mit den von 
ihm abgelehnten Autoren gesucht. 

So ist ein kritisches Buch entstanden, das eine kritisch differenzierende Rezen- 
sion verlangt. 2 Die genannten Historiker nehmen die Entstehung der weitaus 
groBten und inhaltsreichsten Weltkarte, die aus dem Mittelalter bekannt ist, im 



* Jiirgen Wilke, Die Ebstorfer Weltkarte. Bielefeld: Verlag fiir Regionalgeschichte, 1. 
Textband, 352 S. 2. Tafelband, 167 S., 2001 = Verbffentlichungen des Instituts fiir Historische 
Landesforschung der Universitat Gottingen. Band 39. 

1 Zahlen in Klammern beziehen sich auf die Seiten in Band I des Werkes von Wilke. 

2 Sie folgt der Gliederung des Buches von Wilke und wird erganzt durch eine systema- 
tisch angelegte Studie: Armin Wolf, Kriterien zur Datierung der Ebstorfer Weltkarte, Zur 
Konzeption des Gervasius von Tilbury, in: Kloster und Bildung, hg. v. Jiirgen Wilke, Gottin- 
gen (voraussichtlich 2005). 



286 Armin Wolf 

Umkreis des welfischen Kaisers Otto IV. oder Ottos des Kindes von Braun- 
schweig - also 1208/18 3 bzw. 1239 4 - an. Wilke schlieBt sich dagegen den Kunst- 
historikern Renate Kroos und Horst Appuhn an, die fiir ein Datum um 1300 ein- 
traten. Er meint, dies mit der Datierung der Schrift „abgesichert" zu haben (285) . 
Die Entscheidung zwischen Eriih- und Spatdatierung ist brisant, weil sie mit der 
Frage zusammenhangt, wer Autor oder spiritus rector der Karte gewesen sein kann. 
War dies der beriihmte Gervasius von Tilbury, der weitgereiste Autor einer der 
umfangreichsten Enzyklopadien des Mittelalters, oder kann derbisher wenig be- 
achtete Propst Albert von Ebstorf (1293-1307) Auftraggeber und moglicher Ver- 
fasser der Weltkarte gewesen sein, wie Wilke vermutet (285)? 

Die These, nach der Gervasius von Tilbury mit dem Propst Gervasius von Ebs- 
torf identisch und „um 1235" geistiger Urheber der Ebstorfer Weltkarte war, wur- 
de zuerst 1930 von dem Geographen Richard Uhden aufgestellt. 5 Die wichtigsten 
Argumente dafiir waren: 

1. Gervasius von Tilbury verfaBte ein Buch iiber die Wunder der Welt {Liber de 
mirabilibus mundi), das eine Beschreibung des ganzen Erdkreises (tocius orbis 
descriptio) 6 enthalt. Es ist das jiingste in der Ebstorfer Weltkarte verwendete 
Werk. 

2. Gervasius von Tilbury fiigte diesem Werk eine gemalte Weltkarte (pictura, 
mappa mundi) bei (subiunximus) 7 Er kiindigte sie nicht nur an, wie Wilke meint 
(139). 



3 Bernd Ulrich Hucker, Zur Datierung der Ebstorfer Weltkarte, in: Deutsches Archiv 44, 
1988 [erschienen 1989], S. 510-538, hier 535. Hans Martin Schaller, Das geistige Leben am 
Hofe Kaiser Ottos IV. von Braunschweig, in: Deutsches Archiv 45, 1989, S. 54-82, hier 78. 

4 Armin Wolf, Neues zur Ebstorfer Weltkarte, Entstehungszeit - Ursprungsort - Autor- 
schaft, in: Das Benediktinerinnenkloster Ebstorf im Mittelalter, hg. v. KlausjAiTNER und Ingo 
Schwab, Hildesheim 1988, S. 75-109, hier 84-92. Ausfuhrlicher Armin Wolf, Ikonologie der 
Ebstorfer Weltkarte und politische Situation desjahres 1239, Zum Weltbild des Gervasius 
von Tilbury am welfischen Hofe, in: Ein Weltbild vor Columbus, Die Ebstorfer Weltkarte, In 
terdisziplinares Colloquium 1988, hg. v. Hartmut Kugler in Zusammenarbeit mit Eckhard 
Michael, Weinheim 1991, S. 54-116, hier 66-73. Eine Ubersicht iiber die bis 1988 vorgenom- 
menen Datierungen der Karte ebenda S. 55-56. 

5 Richard Uhden, Gervasius von Tilbury und die Ebstorfer Weltkarte, in: Jahrbuch der 
Geographischen Gesellschaft zu Hannover fiir das Jahr 1930, Hannover 1930, S. 185-200. 

6 Gervase of Tilbury, Otia imperialia, Recreation for an Emperor, ed. and translated by 
Shelagh E. Banks and James W. Binns, Oxford 2002, Prefatio S. 14. 

7 Otia II 25, ed. Banks/Binns S. 526: Vt autem oculatafide auidis mentibus et sitientibus auri- 
bus satis faciamus, in summa naturalem prouinciarum ordinem et situm per tres orbis partes distincta- 
rum in emendatiore pictura subiunximus, considerantes quod ipsa pictorum uarietas mendaces effecit de 
locorum ueritate picturas quas mappam mundi uulgus nominat, plerumque enim pictor, ut alias testis, 
cum de suo adicit, partis mendacio totam testimonii seriem decolorat . . . Auch wenn mappa mundi 
bei Gervasius nicht nur Weltkarte, sondern anderswo auch Weltbeschreibung bedeuten kann 



Albert oder Gervasius? 287 

3. Gervasius von Tilbury iibte nach der Niederlage Kaiser Ottos von Braun- 
schweig 1214 sein Amt als dessen Marschall im Arelat nicht mehr aus und 
widmete 1214/15 dem in seine welfischen Lande heimgekehrten Kaiser sein 
Buch iiber die Wunder der Welt, das nun den Namen Kaiserliche MuBestun- 
den (Otia imperialia) oder auch Kaisertrost {Solatium imperatoris) erhielt. 

4. Gervasius von Tilbury iibersandte sein Werk dem ihm befreundeten Sekretar 
des Kaisers, den er um Vermittlung einer groBziigigen Belohnung vom Kai- 
sers bat (te mediatore operetur effusa principis largitas ad gratificandum) . 8 

5. Imjahre 1215 stellte ein Gervasius notarius nosterin Helmstedt die erste Urkun- 
de Herzog Ottos des Kindes, Neffe und Miindel Kaiser Ottos IV., aus. Sie be- 
trifft eine feierliche Schenkung an den Tempel in Jerusalem. 

6. Von 1223 bis 1234/37 istzehnmal ein Propst Gervasius von Ebstorf bezeugt. 

7. Im Kloster Ebstorf wurde um 1830 eine groBe mittelalterliche Weltkarte ge- 
funden. 

Wilke ist recht zu geben, wenn er hier zwei Thesen unterscheidet: 1. Gervasius 
von Tilbury sei der Autor oder spiritus rector der Weltkarte gewesen. 2. Er sei iden- 
tisch mit dem Propst Gervasius von Ebstorf. Beide Thesen seien nicht fur sich be- 
wiesen und Uhden habe sie in einem „ZirkelschluB" verbunden, wobei er die Kar- 
te falschlich als „Beweisstiick" bezeichnet habe (95). Wilke ist auch zuzustimmen, 
daB die Karte kein „Beweisstiick" ist, wenn man darunter einen Urkundenbeweis 
versteht. Auf der Karte findet sich keine Signatur, die etwa lautete „Gervasius Ti- 
lleberiensis me fecit". Es gibt allerdings nicht nur den Urkunden-, sondern auch 
den Indizienbeweis. Und als Indizien darf man die genannten Argumente wohl 
ansehen. Dabei stiitzen die Indizien 1 bis 2 die erste These und die Indizien 3 bis 6 
die zweite These, das Indiz 7 beide Thesen. 



(Otia I 20, ed. Banks/Binns S. 116 und xxxvi), so bedeuten pictor und pictura doch eindeutig 
Maler und Gemalde. „Um durch Zuverlassigkeit, die in die Augen fallend gemacht wurde (ocu- 
latafide), den hungrigen Sinnen und durstigen Ohren [der Kartentext wurde auch vorgele- 
sen!] Geniige zu tun, haben wir die natiirliche Ordnung und Lage der Provinzen, wie sie auf 
die drei Erdteile gehorig unterschieden wurden, im Ganzen in einem verbesserten Gemalde 
(pictura) [scil.: diesem Werk] hinzugefiigt; denn wir haben in Augenschein genommen, daB 
der Wankelmut der Maler (pictorum) iiber die Wirklichkeit der Orte falsche Gemalde (pictu- 
ras) hervorgebracht hat, die gewohnlich Weltkarten (mappas mundi) genannt werden; denn 
sehr oft beeintrachtigt ein Maler (pictor) wie jeder Zeuge, wenn er von seinem Eigenen etwas 
hinzufiigt, durch die Erfindung eines Teiles die Gesamtheit [wortlich: die gesamte Kette] sei- 
nes Zeugnisses . . ." Diese Stelle wurde von Uhden (1930 wie Anm. 5) S. 189 bis zu Anna-Do- 
rothee von den Brincken, Die bewohnte Welt in neuen Sichtweisen zu Anfang des 13. Jahr- 
hunderts bei Gervasius von Tilbury und Jakob von Vitry, in: Miscellanea Mediaevalia 27 
(2000) S. 614, 617 immer auf eine (Welt)karte bezogen. 

8 Begleitbrief an seinen Freund Johannes Marcus, den Sekretar des Kaisers, ed. Banks/ 
Binns S. 826. 



288 Armin Wolf 

Als ZirkelschluB gilt ein SchluB, der die zu beweisende Sache in einem der Un- 
tersatze als bewiesen voraussetzt. Fiir die 1. These ist die 2. jedoch keine Voraus- 
setzung. Gervasius kann die Karte oder ihr Vorbild 1214/15 zusammen mit den 
Otia dem Kaiser Otto IV. iibermittelt haben, ohne spater Propst von Ebstorf ge- 
worden sein. Falls jedoch glaubhaft gemacht werden kann, daB die Konzeption 
der Weltkarte auf Gervasius von Tilbury zuriickgeht, wiirde die Tatsache, daB die 
Karte um 1830 im Kloster Ebstorf gefunden wurde, die Wahrscheinlichkeit, daB 
Gervasius dort Propst wurde, erhohen. 

Wilke richtet sich gegen beide Thesen. Er bestreitet sowohl die Autorschaft des 
Gervasius von Tilbury an der Karte als auch dessen Identitat mit dem Propst Ger- 
vasius von Ebstorf. Zur Begriindung seiner Spatdatierung um 1300 holt er weit aus 
und geht dabei umsichtig Fragen nach, die bisher im Zusammenhang mit der Eb- 
storfer Weltkarte noch nie behandelt wurden. 

2. Die Ebstorfer Weltkarte als Handschrift 

Um dem Argument zu begegnen, „daB es - neben Klostern - gerade mittelalterli- 
che Herrscher . . . waren, die Weltkarten in ihren Reprasentationsraumen vorzei- 
gen konnten", 9 stellt Wilke Fragen wie: Was kostet die Welt? Wer ist finanziell in 
der Lage, eine solche Handschrift in Auftrag zu geben? Welche Rolle spielten 
Handschriftenhandel und privater Handschriftenbesitz (20-37)? 

Umfang. Aufgrund eines sehr anschaulichen Vergleichs mit anderen sachsischen 
Handschriften kommt Wilke zu dem SchluB, daB der Umfang der Ebstorfer Welt- 
karte einem Codex von ungefahr 182 Blatt oder 364 Seiten im Format der Gothaer 
Handschrift der Sachsischen Weltchronik entspricht (21). Dabei liegt „der Auf- 
wand an geschriebenem Text bei maximal 80 Seiten", aber das „wirklich Beson- 
dere der Karte" sind natiirlich die Bilder (22) . Die GroBe der meisten Figuren ist 
im Rahmen der sachsischen Buchmalerei des 13. Jahrhunderts „erstaunlich". Da- 
bei handelt es sich keineswegs um Miniaturen „auf hochstem kiinstlerischem Ni- 
veau", viele Figuren wirken eher „ungelenk, fast plakativ" (23) . 

Auftraggeber. Im Vergleich mit den illustrierten Handschriften des Sachsenspie- 
gels und der Sachsischen Weltchronik halt sich der „Illustrationsaufwand durch- 
aus im Rahmen" (23). Wilke meint, daB deswegen „eine Zuweisung an einen be- 
deutenden Hof keineswegs zwingend ist. Ein reicher Kleriker oder Burger konnte 
genauso zu einer solchen Stiftung in der Lage gewesen sein" (24). 

Allerdings wurde der illustrierte Oldenburger Sachsenspiegel im Auftrag des 
Grafen Johann III. von Oldenburg als eine spiegelverkehrt abgepauste Nach- 



9 Wolf, Ikonologie (1991 wie Anm. 4) S. 11 If. 



Albert oder Gervasius? 289 

zeichnung einer verlorenen, fur den welfischen Herzog Otto den Strengen 1314/ 
20 angefertigten Handschrift geschaffen, und die illustrierte Weltchronik entstand 
zwar im Auftrage eines Hamburger Burgers, wurde von diesem aber dem Grafen 
Gerhard III. von Holstein geschenkt. Bei all diesen vergleichbaren Handschriften 
ist also doch die Beziehung zu einem „bedeutenden Hof" gegeben. Wilke bemerkt 
selbst, daB man bei der Ebstorfer Weltkarte im Verhaltnis zu den erhaltenen 
Handschriften von St. Michaelis und vom Franziskaner-Kloster in Liineburg „von 
einem sehr aufwendigen ,Kodex' sprechen" muB (24). 

Herstellungsort. Im Gegensatz zu Appuhn, der die Herstellung der Ebstorfer Welt- 
karte in einer biirgerlichen Werkstatte Norddeutschlands vermutete (25), neigt 
Wilke dazu, diese „in einem klosterlichen Skriptorium oder an einem Domkapi- 
tel" zu suchen (28, 31). Aus dem Vergleich mit Kosten fur andere Handschriften 
kommt Wilke zu dem iiberzeugenden SchluB: „Eine Bilderhandschrift und damit 
auch die Ebstorfer Weltkarte, war eine Investition von erheblichem AusmaB" (31). 
Ihre Unkosten entsprachen etwa dem Jahreseinkommen eines Ritters. Sowohl 
das Kloster Ebstorf als auch St. Michael in Liineburg - und auch andere Konven- 
te - hatten eine solche Summe aufbringen konnen (37). 

Herstellungsweise. Die Karte, die 12 FuB (ca. 3,60 m) breit und hoch ist, wurde aus 
30 Pergamenthauten zusammengenaht. Neu sind die Erwagungen Wilkes iiber 
die Zusammenfiigung der einzelnen Blatter, die Reihenfolge der Beschriftung 
und der Bemalung. Wie eriiberzeugend darlegt, wurden die Bahnen nicht einzeln 
bemalt, sondern zuerst die 30 Blatter in einer bestimmten Reihenfolge zusam- 
mengenaht und dann auf einem riesigen Tisch die Konturen im Groben festge- 
legt. Danach wurde die gesamte Karte auf zwei Stangen befestigt, so daB jeweils 
nur ein etwa 80-100 cm breiter Streifen abgerollt werden muBte, um ihn im Detail 
bearbeiten zu konnen. Im Unterschied zu illuminierten Handschriften, bei denen 
zuerst der Text geschrieben wurde, wurden bei der Karte erst die Zeichnungen 
und danach der Text hergestellt (37-44). 

Koordinatennetz. Bei der Benennung der 30 Pergamenthaute befolgt Wilke gliick- 
licherweise nicht die „willkurliche Einteilung Kuglers" 10 (40), sondern den 30 
Pergamentblattern des Originals. Er folgt dabei der Bezifferung nach Sommer- 
brodt. 11 Diese Bezifferung hat allerdings den Nachteil, daB man zur Orientierung 
immer wieder auf der Ubersichtskarte nachschlagen muB (Abb. II S. 9). AuBer- 



10 Hartmut Kugler, Die Ebstorfer Weltkarte, Ein europaisches Weltbild im deutschen 
Mittelalter, in: Zeitschrift fur deutsches Altertum und deutsche Literatur 116, 1987, Abb. ne- 
ben S. 16. 

11 Die Ebstorfer Weltkarte nebst Atlas von 25 Lichtdrucktafeln, hg. v. Ernst Sommer- 
brodt, Hannover 1891. 



290 



Armin Wolf 



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Abb. 1: Die Ebstorfer Weltkarte (um 1239). 

Als „Gradnetz" sind hier die Nahte der 30 Pergamenthaute hervorgehoben, 

auf denen die Karte aufgemalt war. 

dem benennt Wilke die oberste waagerechte Bahn A, und die fiinf senkrechten 
Bahnen darunter von links nach rechts D, C, B, E und F. Doch wiirde eine Benen- 
nung der fiinf Senkrechten als A, B, C, D, E und der sechs Waagrechten als 1, 2, 3, 
4, 5 und 6 (wie ich es als „Gradnetz" miindlich 1988 Kugler vorgeschlagen und 
1994 - leider nur an etwas abgelegener Stelle - auch publiziert habe 12 ) die Orien- 



12 Armin Wolf, Das Einzugsgebiet der Elbe auf der Ebstorfer Weltkarte (um 1239), in: 
Die Elbe im Kartenbild (Kartographische Bausteine 9), Dresden 1994, p. 3-10, hier 4 Abb. 1. 



Albert oder Gervasius? 291 

tierung erleichtern (Abb. 1). Man kann sich auf diese Weise - ahnlich wie beim 
Schachspiel - z.B. bei A 2 sofort vorstellen kann, daB es sich um ein Blatt am lin- 
ken Rand ziemlich oben handelt, bei C 4 um ein Zentralblatt, bei E 6 um die rech- 
te untere Ecke usw. 

Arbeitszeit. UberdieDauerder Arbeit an derKarte kann man nach Wilke nurspe- 
kulieren. Indem erfiirjeden der2345 Text- und Bildeintrage eine durchschnittli- 
che Arbeitszeit von 15 Minuten unterstellt, so wiirde dies gut 586 Stunden oder 
186 Arbeitstage zuje vier Stunden ergeben. Vorbehaltlich aller Unwagbarkeiten 
ware die Karte dann in einem guten halben Jahrzu verfertigen gewesen. GroBen- 
ordnungsmaBig kame dies doch in die Nahe der Arbeit Rudolf Wienekes, der in 
zweijahren 1952 und 1953 die vier Reproduktionen derKarte herstellte (45-47), 
die heute das 1943 in Hannover verbrannte Original ersetzen miissen. 13 Bei einer 
solchen Arbeitszeit sind natiirlich nicht die Zeiten fur die notwendigen Vorstudi- 
en zum Inhalt eingerechnet, die fur das Original notig waren, nicht aber fur eine 
mittelalterliche oder die moderne Nachzeichnung. 

3. Vorbilder 

Bemerkenswertist Wilkes Beobachtung, daB dieEbstorferWeltkarte nicht nur die 
groBte bekannte mittelalterliche Weltkarte ist, sondern „auch die von der Flache 
hergroBte mittelalterliche Buchmalerei" (54). In derErage, ob sie in einer Traditi- 
on stand oder eine Neuschopfung war, wendet sich Wilke wohl zu recht gegen 
Kuglers Annahme der Karte als einer „Sonderanfertigung, die in diesen Dimen- 
sionen weder exakte Vorbilder noch getreue Nachahmer gehabt hat" und die nur 
„aus kleinformatigen Buchkarten entwickelt und ihnen nachgebildet" worden sei, 
„und zwar nachgebildet im Wege der graphischen VergroBerung und der inhaltli- 
chen Amplifikation" u (vgl. 48 und 50) . Wilke kommt demgegeniiber zu dem ab- 
gewogenen Urteil: „Die Ebstorfer Karte steht in einer jahrhundertelangen karto- 
graphischen Tradition, die bis in die Spatantike zuriickreicht. Welche Stationen 
auf dem Weg zur Ebstorfer Karte zuriickgelegt wurden, muB aufgrund der auBerst 
liickenhaften Uberlieferung der Vor- und Zwischenstufen vage bleiben. Denkbar 
ist eine Neuschopfung, wahrscheinlicher eine umfangreiche Uberarbeitung und 
Erganzung einerbereits vorhandenen alteren GroBkarte." (53) . Nach Wilke konn- 
te „auch eine englische Weltkarte Vorlage fur die Ebstorfer Weltkarte geworden 



13 Die vier Exemplare befinden sich im Kloster Ebstorf, im Museum Liineburg, auf der 
Plassenburg in Kulmbach und (ehemals) im Privatbesitz des griechischen Konigshauses. 

14 Hartmut Kugler, Abschreibfehler, Zur Quellenproblematik der Ebstorfer Weltkarte, 
in: Weltbild vor Columbus (1991 wie Anm. 4) S. 347-366, hier 365. 



292 Armin Wolf 

sein". InzweiterLinie bemerkt er„Einfliisse derspanischen Kartentradition" (71). 
Ein Stemma bietet Wilke II 21. 

Die stilistische Einordnung derEbstorfer Weltkarte ist unsicher. Ihre Problema- 
tik zeigt sich z.B. daran, daB der niedersachsische „Zackenstil", fiir den ein iiberra- 
gendes Zeugnis in Sachsen das um 1240 datierte GoslarerEvangeliarist, zwar „die 
Karte nicht gepragt hat" (62), daB aber doch auch dieses Evangeliar schon gotisch 
gemalte Figuren enthalt (63-64). Eine weitere Schwierigkeit des stilistischen Ver- 
gleichs liegt darin, daB die Zeit ab 1280 in Sachsen „eher arm an bedeutender 
Buchmalerei" ist. Ausnahmen sind die Bilderhandschriften des Sachsenspiegels 
und der Sachsischen Weltchronik(64) . Deren Miniaturen haben abermit den Bil- 
dern auf der Ebstorfer Weltkarte so gut wie nichts gemein (88) . 

Franziskanerkarte. Wilke zieht als erster eine bisher kaum beachtete kleine Karte 
aus dem sachsischen Raum heran, die zwischen 1263 und 1307 - moglicherweise 
im Liineburger Franziskanerkloster St. Marien - entstandene, heute in der Liine- 
burger Ratsbibliothek befindliche Karte der Provinzen des Franziskanerordens 
(Abb. II S. 29). Wilkes Deutung, daB es sich hier „um die einzige mittelalterliche 
Darstellung von Grenzen in einem Kartenbild", ja „die erste iiberlieferte poli- 
tisch-administrative Karte in der Geschichte der Kartographie iiberhaupt" han- 
delt (69) , ist wo hi etwas zu relativieren. Neben den von Wilke selbst beobachteten 
Ansatzen in der Angelsachsischen Weltkarte Cottoniana aus dem ll.Jahrhundert 
(Abb. 4, II S. 41) ist auf die aus dem 8. Jahrhundert stammende Weltkarte von Al- 
bi 15 hinzuweisen, die Lander nicht nur durch Fliisse, sondern auch durch Land- 
grenzen trennt. Auch die Karte des Guido von Pisa aus demjahre 1119 grenzt die 
Lander in Europa voneinander durch Linien ab 16 , ebenso die Karte zu Sallust De 
bellojugurthino aus dem 12. Jahrhundert 17 . Jiinger sind die in mehreren Fassungen 
erhaltenen Karten des Ranulf Higden (f 1363), die gleichfalls Landgrenzen ent- 
halten 18 . Richtig aber scheint, daB die Liineburger Franziskaner-Karte wohl die 
alteste bekannte Karte ist, „die die raumliche Gliederung einer Korporation, hier 
eines kirchlichen Ordens, in ein Kartenbild umsetzt" (69). Insofern hat Wilke ei- 
ne wertvolle Entdeckung gemacht. Eine Beziehung zur Ebstorfer Weltkarte ist 
aber nicht festzustellen (70). Auf der kleinen Franziskanerkarte sollten vor allem 
die Ordensprovinzen dargestellt werden. 

15 Albi, Bibl. Mimic. Ms. 29 fol. 57 v. Abbildung bei Konrad Miller, Mappaemundi, Die 
altesten Weltkarten, III: Die kleineren Weltkarten, Stuttgart 1895, S. 58, und David Wood- 
ward, Medieval Mappaemundi, in: The History of Cartography, Vol. I, ed. byjohn B. Harley 
and David Woodward, Chicago /London 1987, S. 348. 

16 Briissel, Bibl. Roy. Ms. 3897-3919 [cat. 3095] fol. 53v. Abb. Miller III (1895 wie Anm. 
15) S. 56, Woodward (1987 wie Anm. 15) S. 350. 

17 Paris Bibl. Nat. Ms. lat. 6253 fol. 52 v. Abb. Woodward S. 344. 

18 Abb. Miller III (1896 wie Anm. 15) S. 94-99. 



Albert oder Gervasius? 293 

Christus-Weltbild. 19 Eine Besonderheit der Ebstorfer Weltkarte ist die Tatsache, 
daB die Erde und der sie kreisformig umgebende Ozean oben den Kopf Christi, 
links und rechts seine Hande und unten seine FiiBe enthalt. Wir sind uns in der 
Deutung einig, daB auf der Ebstorfer Weltkarte Christi „Leib durch die Erdschei- 
be gebildet wird" (72) und „Christus Teil der Welt" (73) ist. Auf den von mir 1957 
publizierten Vergleichsbildern 20 „tra.gt" jedoch Christus nicht die Welt (so Wilke 
72), sondern „umfaBt" sie von oben (Wilke richtig 73). Christus ist nicht Atlas, der 
die Welt (von unten) tragt. Insofern ist auch die Aussage von Wilke nicht ganz 
richtig, daB Christus auf der Ebstorfer Weltkarte „nicht mehr langer Trager der 
Weltscheibe" ist (74) . Er tragt sie weder auf der Londoner Psalterkarte, noch in der 
Hildegard-Vision noch im Pisaner Schopfungsbild. In all diesen Beispielen ver- 
birgt sich sein Leib „hinter" der Welt. Insofern weichen alle diese Darstellungen 
wesentlich von iiblichen Vollbildern Christi ab, und darin liegt ihre Vergleichbar- 
keit (nicht Gleichheit) mit der Ebstorfer Weltkarte. 

Mit Recht weist Wilke auf den Unterschied hin, daB Christus auf diesen Ver- 
gleichsbildern iiber die Erde bzw. den Kosmos hinausreicht, wahrend er auf der 
Ebstorfer Weltkarte „Teil" des Erdkreises ist (72) . Wilke nennt auch die Miniatur 
der Civitas-Dei-Handschrift in Schulpforta (1 168/80) , 21 in der „a.hnlich wie auf der 
Karte . . . Christus miteinbezogen wird" (72). Als weitere Parallele ist die Pax-Tafel 
in Zwiefalten (urn 1 138) zu nennen. 22 In Zwiefalten umrahmen die Glieder Christi 
jedoch eine Kreuzreliquie und in der Augustinus-Handschrift ist Christus in einer 
Miniatur des Gottesstaates „eingeschrieben" (73) . Demgegeniiber sind die Londo- 
ner Psalterkarte mit ihren geographischen Angaben und das Pisaner Schopfungs- 



19 Uber diesen Fragenkreis, insbesondere die Mikro-Makrokosmoslehre handele ich 
ausfiihrlicher in: Kriterien zur Datierung der Ebstorfer Weltkarte (wie Anm. 2). 

20 Zeichnung der Visio secunda der Hildegard von Bingen, Londoner Psalterkarte und 
Schopfungsbild aus dem Pisaner Freskenzyklus bei Armin Wolf, Die Ebstorfer Karte als 
Denkmal eines mittelalterlichen Welt- und Geschichtsbildes, in: Geschichte in Wissenschaft 
und Unterricht 8 (1957) S. 204-215, hier 211, wiederabgebildet in: Ikonologie (1991 wie Anm. 
4) S. 101. Farbbild der visio secunda der HI. Hildegard bei Karl Clausberg, Kosmische Visio- 
nen, Mystische Weltbilder von Hildegard von Bingen bis heute, Koln 1980, Abb. 8. Psalter- 
karte recto und verso s. Wilke II S. 44-45, Abb. 7-8. Farbbild der Recto-Seite Paul D. A. Har- 
vey, Medieval Maps, London 1991, S. 27. Genesis in Pisa s. Johannes Zahlten, Creatio mun- 
di, Darstellung der sechs Schopfungstage und naturwissenschaftliches Weltbild im Mittel- 
alter, Stuttgart 1979, Abb. 31. 

21 Farbige Abbildung: Hessen und Thiiringen - Von den Anfangen bis zur Reformation, 
eine Ausstellung des Landes Hessen, Marburg 1992, Nr. 151, S. 130. 

22 Dazu Herrad Spilling, Sanctarum reliquiarum pignera gloriosa, Quellen zur Ge- 
schichte des Reliquienschatzes der Benediktinerabtei Zwiefalten, Bad Buchau 1992, S. 138 f. 
und Abb. 1. Katalog Heinrich der Lowe und seine Zeit, Band I, hg. v. Jochen Luckhardt und 
Franz Niehoff, Munchen 1995, Abb. B 16, S. 100. Vgl. Wolf, Denkmal (1957 wie Anm. 19) 
S. 214, Ikonologie (1991 wie Anm. 4) S. 102 Anm. 191. 



294 Armin Wolf 

fresko mit dem Erdkreis in der Mitte und dessen Einteilung in Asia, Europa und 
Africa der Ebstorfer Weltkarte ahnlicher. In all diesen Fallen gibt es also sowohl 
Entsprechungen als auch Abweichungen. Insofern ist die Ebstorfer Weltkarte ein- 
zigartig. 

Unrichtig ist, daB der Ebstorfer Christus, der mit Kopf, Handen und FiiBen die 
Karte dominiert, „durch die Wundmale seines Martyriums" gekennzeichnet sei 
(277) . Lediglich an der einen Hand ist ein Wundmal angedeutet, die andere Hand 
und beide FiiBe haben keine Wundmale. Ahnlich weist das Christusbild in der Vi- 
sit) secunda der Hildegard von Bingen nur an einem FuB ein Wundmal auf, der 
Christus auf der Zwiefalter Pax, auf der Miniatur der Civitas Dei und der Psalter- 
karte gar keine. 

Die Ebstorfer Weltkarte stellt Christus sogarnoch ein zweites Mai dar, und zwar 
im Zentrum als Auferstandenen injerusalem. Auch auf der Londoner Psalterkarte 
(um 1260/65) und auf der Hereford Map (1280/89) bildet Jerusalem die Mitte des 
Erdkreises. Sowohl in Hereford als auch in Ebstorf weisen die zwolf Tore Jerusa- 
lem als die Stadt der Apokalypse aus. In Hereford wird die Stadt von einem ge- 
kreuzigten Christus bekront, in Ebstorf zeigt sich der Auferstandene innerhalb der 
Mauern. Dort wird die Stadt rund, in Ebstorf quadratisch (bzw. wegen der abge- 
schragten Ecken zwolfeckig) dargestellt. Wilke bemerkt, daB „die Konzeption ei- 
nes quadratischenjerusalem mit einerdarin befindlichen Auferstehungsszene . . . 
in der Kartographie keine Parallele" findet (75) . 

4. Gervasius von Tilbury 

Lebensalter des Gervasius. In einem sehr ausfiihrlichem Kapitel widmet Wilke sich 
der Person des Gervasius von Tilbury (92-140) und in einem Exkurs dessen Her- 
kunft und Jugend (287-306). Da der Propst Gervasius von Ebstorf von 1223 bis 
1234/37 belegt ist, hangt von dem Geburtsjahr des Gervasius von Tilbury ab, ob 
dieser fur das Amt in Ebstorf zu alt gewesen ware. Wahrend ich fur ein Geburts- 
jahr „um 1165" eintrat, 23 versucht Wilke ein Geburtsjahr „vor 1160" bzw. ,,1159/60 
oder friiher" (96, 297) plausibel zu machen. Im einen Fall ware er um die 70, im 
anderen etwa 80 Jahre alt geworden, was zwar nicht sehr wahrscheinlich, aber 
auch nicht unmoglich war. Vergleichsweise wurden Eleonore von Aquitanien 
(1122-1202) und Hildegard von Bingen (1198-1179) beide iiber 80 Jahre alt. 

Zunachst untersucht Wilke die schwierige Frage der Einordnung des Gervasius 
in das Haus Tilbury. In verdienstlicher Weise macht er 13 weitere mannliche An- 



23 Armin Wolf, Gervasius von Tilbury und die Welfen, Zugleich Bemerkungen zur Eb- 
storfer Weltkarte, in: Die Welfen und ihr Braunschweiger Hof, hg. v. Bernd Schneidmiiller, 
Wiesbaden 1995, S. 407-438, hier 412-414. 



Albert oder Gervasius? 295 

gehorige der Familie de Tilleberia zwischen ca. 1175 und 1257 namhaft (287-292). 
Doch gelang es auch Wilke nicht, die Eltern des Gervasius festzustellen. 24 Be- 
kannt ist nur, daB Gervasius „mit Philipp von Salisbury durch Verwandtschaft in 
weiblicher Linie (cognatione) und Schulfreundschaft verbunden" war. 25 Irrtumlich 
bezieht Wilke diese Stelle „auf Patrick" von Salisbury, den Vater Philipps (288). 26 
Da auch Wilke die Verwandtschaft mit den Salisbury nicht rekonstruieren konnte, 
ist aus den Familienverhaltnisssen des Gervasius bisher nichts Genaueres iiber 
dessen Geburtsjahr zu gewinnen. 

Eine andere Moglichkeit, das Lebensalter des Gervasius zu bestimmen, ist sein 
Bericht von dem FriedensschluB zwischen Kaiser Friedrich Barbarossa und Papst 
Alexander III. in Venedig 1177. Dort heiBt es (in der Ubersetzung von Banks und 
Binns): „(the emperor) whom we had seen (vidimus) raging with cruel jaws against 
the Lord's flock, we beheld (conspeximus) shortly afterwards being subjected to the 
punishments of the heavenly kingdom. For we witnessed (intuiti sumus) the peni- 
tent emperor's return to the bosom of his mother the Church at the Congress of 
Venice, when he received the imperial stole with the utmost humility from the 
hands of his Holiness Pope Alexander, who gave it as a father bestowing a gift on a 
penitent son." 27 Wilke bezweifelt, daB Gervasius 1 177 in Venedig gewesen sei (96): 
Gervasius behaupte hier nicht, „er habe den Vorgang in Venedig gesehen". Es 
handele sich vielmehr „um eine Aneinanderreihung von drei fast parallel aufge- 
bauten Relativsatzen, bei denen der Leser vom Autor durch die erste Person Plu- 
ral mit einbezogen wird" (292) . Doch gehen auch die Editoren der Otia Imperialia 
mit Recht davon aus, daB Gervasius in Venedig „present" war. 28 

Auf diese einzige nachweisliche Begegnung von Gervasius mit Papst Alexan- 
der III. ist doch offenbar die Stelle zu beziehen, in der Gervasius schreibt, er sei zur 
Zeit des Papstes Alexander ein Knabe (puer), d.h. zwischen 7 und 14 Jahre alt ge- 
wesen. 29 Das daraus sich ergebende Geburtsjahr zwischen 1163 und 1170 lehnt 
Wilke ab, weil sich die Bezeichnung puer auf die gesamte Regierungszeit Alexan- 
ders (1159-81) beziehen miisse. Es erscheint vielmehr unwahrscheinlich, daB Ger- 
vasius einen Zeitraum von 22 Jahren mit seinem Alter als puer 30 kennzeichnet 



24 Auf der Stammtafel der Familie de Tilleberia (Wilke II S. 12) bleibt Gervasius isoliert. 

25 Wolf, Gervasius (1995 wie Anm. 23) S. 411 nach Otia III 12, jetzt Banks /Binns S. 
578-580. 

26 Er wiederholt damit eine Verwechselung des Rezensenten, der beim Aufenthalt am 
Hofe Kbnig Heinrichs II. von Patrick (statt Philipp) schreibt. 

27 Otia II 19 ed. Banks/Binns (2002 wie Anm. 5) S. 460-461. 

28 Banks /Binns S. 469 Anm. 51 und S. xxvi. 

29 Otia III 104 ed. Banks/Binns S. 790. Wolf, Ikonologie (1991 wie Anm. 4) S. 94, Gerva- 
sius (1995 wie Anm. 23) S. 413. 

30 Otia III 104, ed. Banks/Binns S. 790. 



296 Armin Wolf 

(293) . Da ist eher anzunehmen, daB er dabei an 1177 als den einzigen von ihm er- 
wahnten Zeitpunkt dachte, an dem er den Papst personlich gesehen hatte. 31 Banks 
und Binns schlieBen aus den beiden Stellen, daB Gervasius „was born in the 1150s 
or the early 1160s, though a later date has been suggested". 32 

Vergeblich scheint wohl der Versuch zu bleiben, das Geburtsjahr des Gervasius 
aufgrund einer Geschichte zu errechnen, die sich in Reims zur Zeit des Erzbi- 
schofs Wilhelm (1176-1202) ereignete und die Radulph von Coggeshall spater {po- 
sted) von Gervasius aus dessen eigenem Munde erfuhr. Gervasius habe bei einem 
Spaziergang in einem Weinberg vor der Stadt ein hiibsches Madchen getroffen 
und angesprochen, das sich aber seinen Annaherungsversuchen widersetzte und 
dann als Ketzerin verbrannt wurde. Weil Ketzerverfolgungen in Reims 1183 be- 
zeugt sind, wurde die Geschichte bisher auf diesesjahrbezogen. 33 Da sich die Ket- 
zerei der publicani bereits zur Zeit Konig Ludwigs VII. in Frankreich ausbreitete, 
datiert Wilke diese Geschichte jedoch vor dessen Tod 1180. Radulph, der die Ge- 
schichte erst um 1210/20 aufschrieb, 34 nannte Gervasius daxin juvenisxmd bereits 
magister. Wilke schlieBt daraus, daB Gervasius damals schon iiber 21 bis 28 Jahre 
alt gewesen sei und sein Studium in Bologna bereits beendet hatte. In der von Ra- 
dulph direkt wiedergegebenen Rede sprach das Madchen Gervasius jedoch als 
adolescens an, also als Jugendlichen zwischen 14 und 21 Jahren. Der Magistertitel 
wurde sich dann auf die spatere Begegnung des Radulph mit Gervasius beziehen. 
Je nachdem ware Gervasius „schon 1159/60 oderfriiher" (297) oder erst um 1165 
geboren 35 und hatte sein Studium des kanonischen Rechts in Bolognaje nachdem 
bereits hinter sich oder noch vor sich gehabt. 

1189 lebte Gervasius am Hofe Konig Wilhelms von Sizilien (96-97). Seit 1191 
oder wohl eher ab 1194/95 ist er in Aries nachweisbar, wo er eine Verwandte des 
Erzbischofs heiratete (102), die einen Palast in die Ehe einbrachte (105). Dortist er 
erstmals 1201 als Richterdes Erzbischofs {Magister Gervasius judex Arelatensis) , 1207 
als Richterdes Grafen der Provence {Magister Gervasius, domini comitis Provincie ju- 
dex) bezeugt (103), 1216/17noch einmal - allerdings nurim Regest („juge du Com- 
te de Provence"). Auch Wilke konnte nicht priifen, ob es hierbei wirklich um den 
damaligen Stand handelt oder nur um eine Reminiszenz aus dem Jahre 1207. 36 
Die Amtszeit ist also fur sieben, hochstens siebzehn Jahre sicher belegt und erlau- 
ben nicht das Urteil, Gervasius habe im Arelat „iiber 30 Jahre ... als Richter" ge- 
dient (283). Weder 1219 {magister) noch 1221 {arbiter) oder 1222 {magister) wird 



31 Otia II 19, ed. Banks/Binns S. 460. 

32 Banks/Binns S. xxvi. 

33 Literaturnachweise Wolf, Gervasius (1995 wie Anm. 23) S. 414 Anm. 34. 

34 Banks/Binns (2002 wie Anm. 5) S. xxxvii. 

35 Wolf, Gervasius (1995 wie Anm. 23) S. 414. 

36 Zum Lebenslauf in diesen Jahren vgl. auch Wolf, Gervasius S. 415-419, 423-425. 



Albert oder Gervasius? 297 

Gervasius als Richter {judex) des Grafen der Provence bezeichnet. Weil 1224 ein 
anderer Mann mit diesem Titel bezeugt ist, nimmt Wilke sogar an, daB Gervasius 
„das Amtbis zu diesem Zeitpunkt innehatte" (104). Wilke mochte damit ausschlie- 
Ben, daB Gervasius sich zwischendurch (1215) am welfischen Hof aufgehalten ha- 
ben und ab 1223 mit dem seit diesem Jahr genannten Propst Geruasius de Ebbeke- 
storpe identisch gewesen seinkonne. 37 Dabeiist es Wilke selbstklar, daB es damals, 
als die Grafschaft Provence sehr heftig umstritten war, fur Gervasius offensichtlich 
schwierig gewesen sein miisse, iiber einen so „langen und politisch instabilen Zeit- 
raum sein Amt" zu bekleiden, „auch ohne einen machtigen Schutzherren" (104 
mit Anm. 64). 

Kaiserlicher Marschallfiir das Arelat. Imjahre 1209 weilte Gervasius bei derKaiser- 
kronung Ottos IV. von Braunschweig in Rom, der ihn zum Marschall des kaiserli- 
chen Hofes im Konigreich Arelat (in regno Arelatensi imperialis aule mariscallus) 3S 
ernannte. Die Aufgaben dieses Amtes schatzt Wilke sehr hoch ein (105 ff.) und 
sieht sie im Zusammenhang mit dem Plan eines welfisch-englischen Feldzugs ge- 
gen Frankreich zur „Revision der Ergebnisse des englisch-franzosischen Krieges 
1203/04" (111). Doch schon im Sommer 1210 hatten sich die Plane erledigt (113). 
„Das Gervasius verliehene Amt hatte mit der Anderung der Plane zunachst seine 
Bedeutung verloren. Nur ein Erscheinen Ottos in der Provence hatte seine Stel- 
lung gefestigt" (113). Gervasius fiihrte noch im Mai 1214 den Marschalltitel. Ob er 
sein Amt nach meiner Vermutung infolge der englisch-welfischen Niederlage bei 
Bouvines am 27.Juli 1214 nicht mehrwahrnehmen konnte 39 oder nach Wilke den 
Titel erst Anfang 1215 „niederlegte" (115), erscheint mir eine sekundare Frage. 
DaB er den Titel noch bei der Absendung der Otia an Kaiser Otto 1214/15 fiihr- 
te, 40 ist naheliegend und besagt nichts iiber eine Amtsfiihrung in der Provence. 
Einigkeit besteht jedenfalls dariiber, daB sich der 1221 ausnahmsweise noch ein- 
mal auftretende Marschall-Titel „auf einen friiheren Zeitpunkt bezieht" (115). 

Reise des Gervasius nach Sachsen. In seinem Bemiihen, die Identitat des Gervasius 
von Tilbury und des Gervasius von Ebstorf zu widerlegen, iiberspitzt Wilke die 
Gegenposition. Niemand behauptet, Gervasius sei gezwungen gewesen, „das 
Land fluchtartig zu verlassen" (97) und aus der Provence „nach Sachsen an den 
Hof seines Kaisers auszuwandern" (115), habe dort „auf gepackten Koffern" ge- 
sessen (127), die Niederlegung seines Titels nach 1214 bedeute „zwingend, daB er 
das Land auch verlassen muBte," oder „zwingend die Emigration nach Sachsen" 



37 Wolf, Gervasius S. 422-423. 

38 Banks/Binns S. 824. 

39 Wolf, Gervasius S. 418. 

40 Banks/Binns S. 2 (Widmung) und 824 (Begleitbrief). 



298 Armin Wolf 

(116), erhabe die Provence „Hals iiberKopf verlassen" (120), er sei gar „als Partei- 
ganger des Welfen des Landes verwiesen", (118), oder „aus dem Land getrieben" 
worden(283). 41 

Dieser Phantasie-Position gegeniiber behauptet Wilke wiederholt, Gervasius 
sei „im Arelat heimisch geworden" (118, auch 127) und: „Seine Bindungen an sei- 
ne Wahlheimat erscheinen so stark, daB eine Auswanderung auszuschlieBen ist." 
(139). Wilke meint, er habe „festgestellt . . ., daB Gervasius von Tilbury nie das 
Arelat verlieB" (283) . Dies ist aber noch schwieriger zu beweisen als eine oder zwei 
Reisen nach Sachsen 1215 und 1223. Das Lob des Arelats, um Kaiser Otto zu be- 
wegen, dorthin zu kommen, stammt von 1210/12 (119), nicht aus der Situation 
nach 1214 und bedeutet nicht, daB Gervasius dort bis zu seinem Tode geblieben 
sei. Wenn Wilke wegen der Widmung des Traktats iiber das Vaterunser an das Ka- 
nonikercollegium in Marseille 42 die „Einbindung" des Gervasius im Arelat betont 
(283), so zeigt die Widmung der ganz erheblich umfangreicheren Otia imperialia 
an Otto IV. von Braunschweig eine noch starkere Bindung an das Welfenhaus. 
Aus dem Ton, in dem Gervasius den Kaiser frank und frei anspricht, schlieBen 
Banks und Binns sogar, „that he knew him personally". 43 

Es ist unstreitig, daB Gervasius den Kaiser, der sich nach der Niederlage von 
Bouvines 1214 in seine welfische Heimat zuriickgezogen hatte, nicht aufgegeben 
hat. DaB er bei seiner Bitte um Belohnung fur die Widmung eines Werkes, an dem 
er viele Jahre gearbeitet hatte, „an Besitz oder Titel in der Provence gedacht hat" 
(127) , ist nicht nur vollig unbewiesen, sondern auch unwahrscheinlich. Was fur ei- 
ne Pfriinde hatte denn Otto IV. nach 1214 noch in der Provence vergeben kon- 
nen? Gervasius ist auch mit keinem neuen Amt aus der Hand des Kaisers nach 
1214 in der Provence bezeugt. Auf der anderen Seite gab es den Notar Gervasius, 
der 1215 bei einer auBergewohnlich bedeutsamen Urkunde am welfischen Hof in 
Helmstedt tatig wurde. Da spricht die groBere Wahrscheinlichkeit dafiir, daB Ger- 
vasius nach Niedersachsen ging, allerdings nicht fiir sehrlange; denn von 1216/17 
bis 1222 war erin der Provence. Ab 1223 kann erdann als Propst in Ebstorf gelebt 
haben. 



41 An den von Wilke S. 115 Anm. 112 angegebenen Stellen heiBt es bei Wolf, Ikonologie 
(1991 wie Anm. 4) S. 92 und 99 vielmehr: „Ebenso kann der Anhanger des welfischen Kaisers 
nach dessen Niederlage . . . 1214 . . . ohne weiteres auch im Jahre 1215 am Welfenhofe gewe- 
sen sein . . ." Und: „Es ist also politisch durchaus moglich, daB dieser Anhanger des Welfen- 
hauses, der infolge des Sturzes des Kaisers (1214) sein Marschallamt in der Provence verlor 
und 1214/15 nachweislich eine Gratifikation des in seine braunschweigische Heimat zuriick- 
gekehrten Kaiser erhoffte, sich vorubergehend mit der Position des Notars am Welfenhof 
(1215) und spater eines Propstes in Ebstorf (1223/34) bescheiden muBte. Zwischen 1216/17 
und 1221 kann er auch erneut in der Provence gewesen sein." 

42 Banks /Binns (2002 wie Anm. 5) S. 902. 

43 Banks/Binns S. xxxii. 



Albert oder Gervasius? 299 

Das „Autorenexemplar". Ein weiteres Argument gegen einen Weg des Gervasius 
nach Niedersachsen ist fur Wilke die Tatsache, daB sich die als Autorenexemplar 
geltende Handschrift N der Otia heute in der Vatikanischen Bibliothek in Rom 
befindet. Es gibt keinen Anhaltspunkt dafiir, daB es sich je in Niedersachsen be- 
funden hat. Dies ware nach Wilke jedoch „zu erwarten gewesen, wenn Gervasius 
den Rest seines Lebens in Sachsen verbracht hatte und dort gestorben ware" 
(124, 126). Abgesehen davon, daB erbis 1222 wiederin der Provence lebte, gibt es 
inzwischen Zweifel, ob N wirklich das Autorenexemplar des Gervasius war. Die- 
se Handschrift war nach Banks und Binns zwar unbezweifelbar „involved in the 
actual process of composition", es scheint sogar „reasonable to accept the hypo- 
thesis that N does indeed show us the author at work", doch im Hinblick auf we- 
nigstens eine andere (verlorene) ,Originalfassung' konnten die Marginalien auch 
„be the work of a scribe bringing N into line with another manuscript in process 
of composition, rather than the author's direct intervention". Daher auBern sie 
„some cause for hesitation in attributing this hand to the author". Auch wenn sie 
eine solche Identifikation nicht fiirunmoglich halten, so urteilen sie doch, daB ei- 
nige „confusion seems surprising if this is the author's hand. 44 Nach Banks und 
Binns war iibrigens das an Kaiser Otto iibersandte Exemplar der Otia eine Rein- 
schrift dieser Rohfassung {rough draft) N, die augenscheinlich nach der Widmung 
an den Kaiser beiseite gelegt wurde und niemals die Veranderungen und Ergan- 
zungen erfuhr, die Gervasius spater vornahm. 45 Der kaiserliche Codex ist offen- 
bar verloren gegangen. 



arundlage. SchlieBlich spreche die „mangelnde Ubereinstimmung der 
Quellengrundlage" von Otia und Ebstorfer Weltkarte nach Wilke „entschieden 
gegen eine Verfasserschaft des Gervasius" an der Karte (128-129) . Diejenigen Au- 
toren, die in den Otia verwendet wurden, nicht aberin der Karte sind jedoch Au- 
toren, die fur eine Kartenzeichnung kaum etwas hergaben. Sie wurden z.B. auch 
auf der Hereford Map nicht verwendet. Es gibt sogar etwa doppelt so viele Auto- 
ren, die von Gervasius und auf der Ebstorfer Weltkarte verwendet wurden als von 
Gervasius und der Hereford Map. Dies spricht eher fur eine Konzeption der Eb- 
storfer Weltkarte durch Gervasius als gegen sie. AuBerdem laBt sich an demjiin- 
geren Zeitgenossen des Gervasius, dem englischen Hofhistoriographen Matthew 
Paris, von dem sowohl Chroniken als auch Landkarten iiberliefert sind, zeigen, 
daB die benutzten Autoren in den Texten und den Karten nur zu einem kleinen 
Teil iibereinstimmen. Matthew erwahnt auf seinen Karten Orte, die nicht in sei- 
nen Chroniken vorkommen, und in seinen Chroniken Orte, die nicht auf den 



44 Banks /Binns S. lxxx lxxxii. 

45 Banks /Binns S. xl, lxiv. 



300 Armin Wolf 

Karten beriicksichtigt wurden. 46 Man darf also nicht erwarten, daB ein Karten- 
autordes 13.Jahrhunderts in seinen Texten und seinen Karten die gleichen Auto- 
ren verwendete und dieselben Orte beriicksichtigte. 

Dies gilt auch fiir die Bischofssitze. Wilke bestreitet, daB die EbstorferKarte die 
in den Otia erkennbare Vorliebe des Gervasius fiir Bistumsgeographie spiegele 
(133) . 47 Wenn man von den 44 Bistiimern, die Gervasius in den Otia im Abschnitt 
Alemannia i& nennt, die acht ostelbischen weglaBt, weil dort die Ebstorfer Karte 
zerstort ist, bleiben 36 Bistiimer iibrig, von denen 30 auf der Karte eingetragen 
sind. Es fehlen lediglich Olmiitz, Eichstatt, Minden, Miinster, Osnabriick und 
Merseburg. Vergleichsweise enthalt die Hereford Map nur 15. Dort fehlt von den 
30 in Ebstorf genannten Bischofssitzen die Halfte: Wurzburg, Konstanz, Chur, 
Speyer, Hildesheim, Paderborn, Bamberg, Utrecht, Riga, MeiBen; Naumburg, 
Freising, Brixen, Trier und Toul. Die Ebstorfer Weltkarte ist hier also signifikant 
naher an den Otia als die Hereford Map. Es ist richtig, daB Gervasius zwar iiber ei- 
ne Liste aller Bistiimer in Frankreich verfiigt, 49 die Karte aber nicht alle umfaBt 
(131). Doch sind von den 37 auf der Karte eingetragenen Orten in den heutigen 
franzosischen Grenzen 31 Bischofssitze. Da darf man wohl schon von einergewis- 
sen Vorliebe fiir Bischofsgeographie sprechen. Hatte der Kartenzeichner samtli- 
che derzahlreichen franzosische Bischofssitze eintragen wollen, so hatte er die Si- 
gnaturen ganz erheblich verkleinern miissen. 

5. Erfahrunghorizont der Karte 

In einem besonders gelungenen Kapitel untersucht Wilke den geographischen 
Erfahrungshorizont der Karte. Er kniipft dabei an die Methode des Rezensenten 
an, die auf der Karte eingetragenen Orte, Fliisse usw. in eine moderne Karte um- 
zuzeichnen (Abb. 2-3 S. 302-303). 50 Seine eigene weiterfiihrende Leistung liegt 
vor allem darin, iiber die Fliisse als die „Autobahnen des Mittelalters" hinaus, 
auch StraBen und damit vermutete Itinerare als gepunktete Linien einzutragen. 
Die Karten fiir die einzelnen Lander haben iibrigensjeweils einen anderen (nicht 



46 Siehe ausfiihrlicher dazu kiinftig Wolf, Kriterien (wie Anm. 2) . 

47 Hucker (1988 wie Anm. 3) S. 530 Anm. 75. Banks /Binns S. XXXV. 

48 Otia II 9, Banks/Binns S. 274-276. 

49 Otia II 10, Banks/Binns S. 298-302. 

50 Fiir Norddeutschland zuerst Wolf, Neues (1988 wie Anm. 4) S. 94 und 95; fiir das 
Reich zuerst ebd. 78, 80 und 81. Ebenfalls Ders., Ikonologie (1991 wie Anm. 4) S. 83 und 84 
bzw. 59, 60 und 62. Fiir Siiddeutschland und die Schweiz in: Cartographica Helvetica Nr. 3, 
Januar 1991, S. 31. Nachweise fiir weitere publizierte Umzeichnungen unten S. 317. Unge- 

druckte Umzeichnungen fiir einige Lander haben Studenten in einem von mir an der Univer- 
sitat Heidelberg im Sommersemester 1987 gehaltenen Seminar iiber die Ebstorfer Weltkarte 
angefertigt. 



Albert oder Gervasius? 301 

genannten) MaBstab. Den Karten fehlt auch (wie leider schon meinen Vorbil- 
dern) eine Entfernungskala. Es wird auf diese Weise erschwert, festzustellen, wie- 
weit diese Itinerare den von Wilke zugrundegelegten Tagesleistungen mittelalter- 
licherReisender- durchschnittlich 30-50 km - entsprechen (142-143). Vorsichtig 
unterscheidet Wilke nach dem Grad der Wahrscheinlichkeit fett und diinn ge- 
punktete Wegelinien. Erhat seine Karten an zeitgenossisch iiberlieferten Itinera- 
ren und durch die moderne Forschung erstellten Wegekarten iiberpriift. Auch 
seine Differenzierung zwischen Orten, die schon auf anderen Karten vorkamen, 
und solchen die erstmals auf der Ebstorfer Weltkarte Eingang in ein Kartenbild 
gefunden haben, ist methodisch vorbildlich (143, II 23). 

Nach Wilke hat der Kartenautor „deutlich Itinerarinformationen verarbeitet" 
(146). Erhat eine englische Weltkarte vom Hereford-Typ und moglicherweise eine 
spanische Beatuskarte verarbeitet. Erganzt hat der Autor seine Kenntnisse aus 
„miindlich oder schriftlich tradierten Itinerarien" (155) . Er kannte sich „besonders 
gut langs des Hellwegs, bis hin zu den oberdeutschen Stadten, in Flandern und in 
Oberitalien aus", was Wilke auf ein „kaufmannisches Interesse" zuriickfiihrt (156) . 
Die Orte, die Gervasius „in seinem bewegten Wanderleben kennenlernte, . . . fan- 
den auf derKarte kaum Erwahnung" (283), so Wilke. Daherkonne „Gervasius als 
Verfasser der Karte ausgeschlossen werden" (141). 

Im Gegensatz dazu ist jedoch festzustellen: Wenn man Wilkes Itinerarkarten 
von Deutschland, Frankreich und Italien (II 24-27) auf den gleichen MaBstab 
bringt und zu einer einzigen Karte zusammenfiigt, ergibt sich als das weitaus lang- 
ste zusammenhangende fettgepunktete - nach Wilke also „sichere" - Itinerar 
(Abb. 4 S. 305) ein Weg von England iiber Flandern, nach Reims, den Rhein und 
die Rhone entlang bis in die Provence, nach Rom und Neapel und wohl auch Sizi- 
lien. 51 Dies sind nun abergerade diejenigen Orte, an denen Gervasius von Tilbury 
sich nachweislich aufgehalten hat. Wenn man nicht annehmen will, daB ein an- 
onymer Doppelganger des Gervasius zufallig dieselben Lander bereist hat und 
auch noch - ebenso wie Gervasius - eine Karte gemalt hat oder malen lieB, deutet 
dies doch darauf hin, daB dieses langste Itinerar auf der Ebstorfer Karte wohl auf 
eigene Erfahrungen des Gervasius zuriickgeht. Dann wird es bemerkenswert, daB 
dieses langste, aus der Weltkarte selbst zu gewinnende Itinerar sich vom Rhein 
auch nach Braunschweig und in die welfischen Lander fortsetzt. All dies fande ihre 
einfachste Erklarung in der Annahme, daB der Ebstorfer Karte eine Konzeption 
des Gervasius zugrunde liegt und dieser auch selbst nach Niedersachsen gekom- 
men ist. 



51 Die Uberfahrt von Neapel nach Palermo habe ich auf Wilkes Itinerarkarten erganzt, 
da man bis ins 20. Jahrhundert Sizilien lieber auf dem Seeweg als auf dem beschwerlichen 
Landweg durch Kalabrien erreichte. 



302 



Armin Wolf 




Abb. 2: Norddeutsche Orte aufder Ebstorfer Weltkarte. 



Albert oder Gervasius? 



303 




Abb. 3: Siiddeutsche Orte auf der Ebstorfer Weltkarte. 



DaB diese Wege vielleicht auch aus anderen Quellen zusammengesetzt sein 
konnten (einen Nachweis gibt es hierfiir bisher jedoch noch nicht), ware kein Ge- 
genargument. Denn der Kartenautor hat keineswegs alle denkbaren Itinerare, 
sondern nur eine bestimmte Auswahl von vielen Wegen in Europa geliefert. Und 
es ist bemerkenswert, daB der Autor der Ebstorfer Weltkarte an erster Stelle gerade 
die Wege zwischen den bekannten Lebensstationen des Gervasius beriicksichtig- 
te. Dagegen waren z.B. die vielbereisten „groBen Landwege nach Santiago de 



304 Armin Wolf 

Compostela . . . fiir unseren Verfasser augenscheinlich nicht interessant" (151). Er 
hat deren Stationen nicht aufgenommen. Damit harmoniert, daB eine Reise des 
Gervasius nach Spanien nicht iiberliefert ist. Der aus derKarte von Wilke gewon- 
nene Wegverlauf weicht auch von den Itinerarkarten des Matthaeus Parisiensis 
von England nach Rom aus demjahre 1253 ab, 52 ist von diesen also unabhangig. 

6./7. Die Welfen und die Karte 

Wegen der herausragenden Darstellung von Liineburg und Braunschweig auf der 
Ebstorfer Karte haben schon bisher fast alle Forscher eine Beziehung zum Haus 
der Welfen angenommen. Strittig ist jedoch, welcher Herzog zur Zeit der Entste- 
hung der Ebstorfer Weltkarte regierte. Hucker und Schaller, die die Karte auf 
1208/18 datierten, dachten an Kaiser Otto IV. 53 Das Banner iiber der Signatur von 
Liineburg deutete Hucker auf die Erhebung von dessen Bruder Wilhelm zum 
Herzog von Liineburg. 54 Die Interpretation des Banners als Lehnsfahne versucht 
Wilke mit dem Hinweis zu entkraften, daB in zwei Bildhandschriften des 13. und 
14. Jahrhunderts keine rechteckigen Banner, sondern „mehrlatzige Gonfanons als 
Lehnsfahnen" iibergeben wurden (160). Doch weist er darauf hin, daB Konrad 
von Thiiringen auf seinem Reitersiegel einen Gonfanon, auf seinem Thronsiegel 
von 1234 aber ein Banner tragt. Wilke schlieBt: Das Banner iiber Liineburg „sym- 
bolisiert nicht zwingend einen Reichsfiirsten, dem ein Fahnenlehen iibertragen 
wurde"(161). Das aber heiBt, es ist auch nicht auszuschlieBen. 

Wilke versucht daher, das Problem „von der reichsrechtlichen Stellung der Wel- 
fen" vor 1235 anzugehen. Wilhelm ist als Dei Gratia Dux de Luneborch vor Oktober 
1209 belegt. Wilke relativiert diese Titulatur, indem er auf eine andere Urkunde 
Wilhelms von 1209 hinweist, in derdieserohne Herzogstitel nur de Luneburchhei&t 
(162). Da Liineburg bei der Erhebung Ottos des Kindes durch den Kaiser 1235 als 
welfisches Allod (proprium castrum, eygen) bezeichnet wurde, halt er eine Lehnsfah- 
ne zuvor fiir nicht gut moglich. Weil aber Pfalzgraf Heinrich sich als dux Saxoniae 
bezeichnete und Otto das Kind ab 1225 als dux de Luneborchund ab 1226 als dux de 
Bruneswic (163) , hatte wegen des welfischen Ranganspruchs „jederzeit seit der Ab- 
setzung Heinrichs des Lowen an der Signatur ein Banner angebracht werden kon- 
nen" (165). „Von Wilhelm bis zu Otto dem Strengen und seinen Sohnen, [d.h. von 
1202 bis 1369] kannjeder welfische Fiirst mit einem Banner iiber Liineburg in Ver- 
bindung gebracht werden, so er seinen Sitz in Liineburg wahlte" (165). Damit ist 
die Friihdatierung aber nicht widerlegt. 



52 Miller III (1895 wie Anm. 15) S. 85-89. 

53 Siehe Anm. 3. 

54 Hucker (1988 wie Anm 3) S. 514-518. 



Albert oder Gervasius? 



305 




Abb. 4: 

Orte und Itinerare auf 

der Ebstorfer Weltkarte 



Legendc: 

Stack, On. Klosrcr, aus andcren Qpdteo enddinc 
[•) Siadt. On, Klostcr, unsichcr in dcr IdentiFikiiion 
<$> Stadt, Ort. Klosrer, centals in cincr Kane vcracichnci 

■ • ' sidiercr Wcgvcrlauf 
«■ + + unsiciicrcr Wcgverlauf 

(nachJiJRGEN Wilke 2001) 

Montage und Auszeichnung 

des langsten zusammenhangenden, 

(fiir Wilke „sicheren") Itinerars nach 

Armin Wolf 2004 



306 Armin Wolf 

Ortsauswahl und welfische Verwandtschaft. DaB die Auswahl der Orte sich an 
„Wegstrecken und FluBlaufen orientiert" (169) iiberzeugt; daB sie aber auch von 
Orten welfischer Verwandter gepragt wurde, steht damit nicht im Widerspruch. 
Beides trifft nebeneinander zu. 

Wilke mochte die Erwahnung Orte dernachsten Verwandten Ottos des Kindes 
auf der Karte (leo = Braunschweig, Br abantus, Austria, Sueonia = Schweden) herun- 
terspielen, weil „keine dieser Regionen . . . eigentlich auf einer so umfassenden 
Karte fehlen" diirfte (170) . Dieses Argument zieht schon insofern nicht, als auf der 
vergleichbaren Hereford Map davon nur Brabant, aber weder Braunschweig, 
noch Osterreich, noch Schweden zu finden sind. Erst recht fehlen auf der Here- 
ford Map gerade diejenigen drei Orte, deren Aufnahme auf derEbstorfer Weltkar- 
te auch Wilke iiberraschend findet: Orlamiinde, Plassenburg und Polozk (170). 55 
Diese sind sehr gut mit der Verwandtschaft Herzog Ottos des Kindes, viel weniger 
aber mit Itineraren zu erklaren. Orlamiinde liegt auf Wilkes Karte etwas willkiir- 
lich an einem „toten Ast" (II 24); denn die nachsten Stationen - Rudolstadt und 
Coburg kennt die Ebstorfer Weltkarte nicht. Fur Plassenburg und Polozk hat Wil- 
ke gar keinen Wegverlauf angegeben. Daher erscheint die welfische Verwandt- 
schaft in diesen Fallen immer noch als ein plausibles Auswahlkriterium. Dabei 
war die Verwandtschafrt mit den Grafen von Orlamiinde und den GroBfiirsten 
von Polozk bereits seit der Heirat Wilhelms von Liineburg 1202, d.h. schon in Zeit 
Kaiser Ottos IV. gegeben. 

Im iibrigen iiberrascht es, daB Wilke meinen genealogischen „Ansatz" ablehnt 
(16, 170 ff.), aber seinerseits das genealogische Argument, daB die Gemahlin Her- 
zog Ottos des Strengen von Konig Rudolf von Habsburg abstammte, zur Datie- 
rung heranzieht (175 ff., 258). Wilke nimmt diesen Bezug an, weil die fiir Liineburg 
und fiir Wien gemalten Burgen zwei bzw. einen Wappenschild aufweisen. Die 
kurz nach der Auffindung der Karte 1834 lithographierte Abzeichnung Nieder- 
sachsens von Blumenbach enthalt fiir das linke Wappen an der Signatur von Liine- 
burg einen nach rechts aufsteigenden Lowen, 56 den Wilke als welfisches Wappen 
deutet (178). Es verwundert allerdings, daB das Wappen in Blumenbachs handko- 
lorierter Tafel in weiBem (silbernem) Feld einen schwarzen Lowen zeigt, wahrend 
der Liineburger Lowe in gelbem (goldenem) Feld einen blauen Lowen fiihrt. Au- 
Berdem hat sich Blumenbach gerade bei der Signatur fiir Liineburg erheblich vom 
Original entfernt, indem er den dicken Turm an der rechten Seite ganz, sowie bei 
dem linken Turm den Zinnenkranz und die Lehnsfahne weggelassen hat. Gegen 



55 Auch Hucker S. 532 findet „wirklich auffallig . . . nur die Haufungen fiir Thiiringen, 
Osterreich sowie das Vorkommen der Burgen Orlamiinde und Plassenburg". 

56 Blumenbach, Beschreibung der altesten bisher bekannten Landkarte aus dem Mittel- 
alter, im Besitz des Klosters Ebstorf, in: Vaterlandisches Archiv fiir hannoversch-braun- 
schweigische Geschichte,Jahrgang 1834, Liineburg 1835, vor S. 1. 



Albert oder Gervasius? 307 

die Zuverlassigkeit von Blumenbach sind hier also Reserven erlaubt. Es ist nicht 
auszuschlieBen, daB erdas (welfische) Wappen erganzt hat. Jedenfalls sind auf den 
beiden Reproduktionen derKarte von Sommerbrodt und von Miller 57 die Wap- 
penschilde leer (II Abb. 12 und 14). 

Aber einmal angenommen, der linke Liineburger Wappenschild trug tatsach- 
lich das welfische Wappen, so ware die Vermutung Wilkes, daB der rechte (leere) 
Wappenschild der Frau des Herzogs zugehorte, plausibel; es ware allerdings of- 
fen, welche Herzogin gemeint ist. Wilke denkt an Mathilde von der Pfalz und Bai- 
ern aus dem Hause Wittelsbach, die 1288 Otto den Strengen von Braunschweig 
und Liineburg (reg. 1277-1330) heiratete. Dagegen spricht jedoch, daB gerade die 
wittelsbachischen Residenzen Miinchen und Heidelberg auf der Karte fehlen. 
Wilke weist stattdessen darauf hin, daB Wien einen (leeren) Wappenschild tragt 
und die Wittelsbacherin Mathilde in weiblicher Linie eine Enkelin Konig Rudolfs 
von Habsburg war, der Otto den Strengen und Mathilde 1288 in Ulm mit Stadt 
und Vogtei Liineburg belehnte (173-176). Dem Argument, daB Konig Rudolf nur 
von 1276-1281 in Wien und Osterreich weilte, 1288 und spater aber nicht mehr, be- 
gegnet Wilke damit, daB der Wappenschild bei Wien sich eher auf den Sohn Ru- 
dolfs von Habsburg, Albrecht von Osterreich, beziehen konnte, der von 1298- 
1308 Konig, daher Lehnsherr von Otto dem Strengen und Mathilde war und au- 
Berdem der „bedeutendste Verwandte, den die Welfen seit langem zu bieten hat- 
ten" (177, 181-183). 

In einem weiteren Rahmen datiert Wilke die Karte zwischen der Heirat Herzog 
Ottos des Strengen mit Mechthild 1288 und der Doppelwahl Friedrichs des Scho- 
nen und Ludwigs des Baiern zu romischen Konigen 1314. Eine spatere Datierung 
sei auszuschlieBen, weil danach ein Wappen an den Toren Wiens eine Parteinah- 
me fur den Habsburger bedeutet hatte, der welfische Herzog sich jedoch von dem 
Wittelsbacher belehnen lieB (183, 284). 

Es trifft iibrigens nicht zu, daB Mechthild mit Konig Albrecht von Osterreich 
„in einem wesentlich naheren verwandtschaftlichen Verhaltnis" gestanden habe 
als zu ihrem GroBvater Konig Rudolf (183). Nach dem mittelalterlichem Rechts- 
satz quot generationes, tot gradus ist namlich der GroBvater gradnaher (2. romischer 
Grad) als der Onkel (3. romischer Grad). Dennoch ist die Uberlegung erwagens- 
wert, daB die Karte, falls sie aufgrund anderer Argumente sicher um 1300 datiert 
werden konnte, auBer der welfischen Residenz Liineburg auch die Residenz des 
Konigs und Lehnsherren in Wien mit einem Wappenschild ausstattete. Derumge- 
kehrte SchluB, daB die Karte wegen des Wappenschildes in Wien zur Zeit Konig 



57 Konrad Miller, Mappaemundi, Die altesten Weltkarten, V: Die Ebstorfkarte, Stutt- 
gart 1896, gibt fur Liineburg nur den rechten Wappenschild an, Blumenbach (1834 wie Anm. 
55) und weniger deutlich Sommerbrodt (1891 wie Anm. 11) zwei. 



308 Armin Wolf 

Albrechts, also 1298-1308, entstanden sei (183), istjedoch- wie Wilke bei vonihm 
abgelehnten Argumenten gerne schreibt - „nicht zwingend". Die Datierung mit 
einem Bezug auf Konig Albrecht zu begriinden und diesen Bezug dann mit der 
Datierung, ware ein ZirkelschluB. Im Hinblick auf den mehrfachen Herrschafts- 
wechsel in Osterreich ist im iibrigen gar nicht bekannt, welches Wappen fur den 
leeren (!) Wappenschild vorgesehen war: ein babenbergisches (bis 1246), ein badi- 
sches (1248-1251), ein bohmisches (1251-1276), ein habsburgisches (1282-98 und 
seit 1308) oder ein Reichswappen (um 1237 und 1298-1308)? Die Signatur fur 
Wien ist im Verhaltnis zu Braunschweig und Liineburg, aber auch zu Mainz, Koln, 
Aachen und Paris so bescheiden ausgefallen, daB es wenig einleuchtet, darin eine 
zeitgenossische konigliche Residenz zu sehen. 

8. Heilige und Heiligengrdber 

Die Karte zeigt die Graber der Apostel Bartholomaus, Philipp und Thomas (II 
Abb. 19-21), auBerdem werden Matthaus, Markus und Paulus erwahnt. sowie bei 
dem agyptischen Theben ausfiihrlich der HI. Mauritius. Da Bartholomaus und 
Philipp „schon seit der Mitte des 1 1 . Jahrhunderts an vorderster Stelle der im Klo- 
ster St. Michael verehrten Heiligen standen" (190) und Mauritius der Ebstorfer 
Klosterpatron war, kommt Wilke zu dem SchluB: „Die Karte und damit ihr Ver- 
fasser steht offenbar zwischen St. Michaelis und dem Kloster Ebstorf" (191). 

9. Paldographie 

Das langste Kapitel des Buches von Wilke gilt der palaographischen Untersu- 
chung der Ebstorfer Weltkarte (192-256) . Hier sucht Wilke die starkste Stiitze fur 
seine Datierung um 1300. Die bisherigen Datierungen der Kartenschrift gingen 
sehrauseinanderundreichten von 1210-1230 (Schaller), 1. Halfte und z war eher 2. 
Viertel des 13. Jahrhunderts (Drogereit), 1. Halfte des 13. Jahrhunderts und „nach 
1275 immer unwahrscheinlicher" (Effertz),um 1290 (Petke),2. Halfte des 14. Jahr- 
hunderts (Ohnsorge). 

Fiir seine Untersuchung hat Wilke die Sommerbrodtschen Tafeln mit einem 
hochwertigen Laserkopierer und dem Faktor 200% wieder auf die urspriingliche 
GroBe gebracht und dabei eine fast fotografische Abbildungsqualitat erzielt 
(194 f.). Miller hielt die Schrift der Bildlegenden und der Randtexte zweifellos fiir 
das Werk einer Person, die fiir ihn auch der Maler war. 58 Wilke sagtnichtsiiberden 
Maler, halt aber ebenfalls die Karte fiir „das Produkt eines Schreibers und mogli- 
cherweise eines weiteren Rubrikators" (215). Fiir die palaographische Datierung 



58 Miller V (1896 wie Anm. 57) S. 4-5. 



Albert oder Gervasius? 309 

zieht er„nicht die einfachere und damit alter wirkende Schriftform derBildlegen- 
den, sondern vielmehrdie anspruchsvollere und damit jiingere Form derRandle- 
genden" heran (195). 

Wilkes Untersuchungen beziehen auch Handschriften aus Hamburg, Liine- 
burg, Kloster Medingen und dem Domstift Verden ein (217-218) . Wilke zahlt den 
Schreiber der Karte „zu einer Gruppe mehrerer Schreiber, die im Kloster Ebstorf 
wohl iiber einen langeren Zeitraum wirkten . . . Die Ebstorfer Weltkarte wurde 
demzufolge also auch tatsachlich in Ebstorf geschrieben." (240) . Wilke unterschei- 
det acht Ebstorfer Schreiber und nennt die Hand der Weltkarte „Ebstorf A" 
(221,230). 

Aufgrund des Vergleichs mit anderen norddeutschen Buchhandschriften aus 
dem 13. Jahrhundert (248-255) kommt Wilke zu dem SchluB, daB „charakteristi- 
sche Elemente der Kartenschrift in Urkunden und datierten Handschriften der 
Verdener und Liineburger Uberlieferung erstmals in den siebziger und achtziger 
Jahren des 13.Jahrhunderts" auftreten und sich um die Mitte des 14.Jahrhunderts 
wieder verlieren (254) . Die Zierschriften der Ebstorfer Weltkarte konnen ebenfalls 
aus einem norddeutschen Skriptorium stammen, eignen sich jedoch nicht zurDa- 
tierung, da sie schon vor 1200 vorkommen und sich bis ins 15. Jahrhundert halten 
(255). 

Die Hand Ebstorf A (Abb. 112-122, II 78-88) laBt sich zwar nicht in Ebstorfer 
Urkunden und in den Dorsualnotizen derZeit zwischen 1270/89 und 1330 nach- 
weisen (247), Wilke meint aber, sie in dem Fragment eines Breviers (Abb. 130-134, 
II 100-102) und einem Marienhymnus (Abb. 139, II 107 und Farbabb. 6, II 167) 
wiedergefunden zu haben. Um den Vergleich zu erleichtern, hatte man die von 
Wilke entdeckten Texte besser direkt Stellen aus der Karte gegeniibergestellt, so 
daB kein Blattern notwendig wurde. Dies sei hier nachgeholt (Abb. 5-8). 

Ohne eine detaillierte Rezension der palaographischen Untersuchung Wilkes 
liefern zu wollen, 59 sei doch angemerkt, daB die Schrift des Breviers runder und 
gedrungener und die Hand des Hymnus eckiger und schlanker als die Schrift auf 
der Karte wirken. 60 Wilke liefert auch eine Konkordanz der einzelnen Buchstaben 
(II S. 96-99). An Unterschieden fallen dabei zunachst die unteren Schwanzchen 



59 Wilke S. 192-203 setzt sich ausfiihrlich mit Hans Martin Schaller, Die Schrift auf der 
Ebstorfer Weltkarte, in: „In Treue und Hingabe", 800 Jahre Kloster Ebstorf, Ebstorf 1997, 
S. 81-95, auseinander. Schaller beabsichtigt, in einer Rezension im Deutschen Archiv darauf 
zu antworten. Er hat mich autorisiert, ihn mit folgendem Satz zu zitieren: „Ich bestreite, daB 
irgend eine Schrift auf den von Wilke herangezogenen spateren Handschriften palaogra- 
phisch gesehen mit der Schrift auf der Weltkarte insgesamt ubereinstimmt." 

60 Diesen Eindruck fand ich beim Messen bestatigt: Das Verhaltnis der Hohe von Buch- 
staben ohne und mit Oberlangen scheint im Durchschnitt im Brevier 6 : 7,5, in der Ebstorfer 
Weltkarte 6 : 8,4 und im Hymnus 6 : 10 zu sein. 



310 



Armin Wolf 



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j4M. 5: Sommerbrodt, Die Ebstorfer Weltkarte, Blatt 13 
(Ausschnitt; nach Wilke, Abb. 115; auf 86% verkleinert) 



Albert oder Gervasius? 311 




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^4M. 6a: Brevier (Fragment, oberer Teil) 

K1A Ebstorf, IX B 65 (nach Wilke, Abb. 131, 

„von der Hand des Ebstorf A") 






Abb. 6a: Brevier (Fragment, unterer Teil) 

K1A Ebstorf, IX b 65 (nach Wilke, Abb. 132, 

„von der Hand des Ebstorf A") 



312 



Armin Wolf 






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^436. 7: Sommerbrodt, Die Ebstorfer Weltkarte, Blatt 24, 
(Ausschnitt; nach Wilke, Abb. 114) 



Albert oder Gervasius? 



313 



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j4M. 5: Marienhymnus (Fragment) 
K1A Liine „Handschriftentruhe" Ms. 8 
(nach Wilke, Abb. 139, „von der Hand des Ebstorf A", auf 89% verkleinert) 



314 Armin Wolf 

und der links herausragende Mittelstrich der drei p aus dem Brevier auf, die die 
Vergleichsbuchstaben aus derKarte nicht aufweisen. Andererseits kennt die Kar- 
te auch das rfmit langem Schaft, das Brevier und der Hymnus nur das unziale, run- 
de d. Wiinschenswert ware zusatzlich eine Konkordanz langerer Buchstabenver- 
bindungen oder ganzer Worter mit gleichen oder ahnlichen Belegen aus der Karte 
gewesen. 

Das Brevier ist nicht genauer zu datieren, doch der Hymnus befindet sich auf 
der Riickseite der Miniatur einer Verkiindigung Marias, die kunsthistorisch auf 
1300-1350 datiert wird (255). In der Zusammenfassung macht Wilke daraus dar- 
aus „bisher nie anders als um oder kurz nach 1300 datiert" (285). 

Die Marienverehrung wurde besonders durch Propst Albert von Ebstorf (1293- 
1307) gefordert (236f.). Obwohl auf derKarte „nursehrzuriickhaltende Zeugnisse 
der Marienverehrung" (238) festzustellen sind, war dieser Albert, der Vermogen 
hatte und dem Verdener Domkapitel Handschriften stiftete, fur Wilke „wahr- 
scheinlich" (240) oder „moglicherweise . . . der Auftraggeber oder gar selbst der 
Verfasser und Schreiber der Ebstorfer Weltkarte." Wilke schrankt allerdings ein: 
„Einen abschlieBenden Beweis fiir diese Annahme gibt es jedoch nicht" (255). 

Nicht von Albert, wohl aber von Gervasius ist mit den Otia eine Beschreibung 
des ganzen Erdkreises (tocius orbis descriptio) 61 iiberliefert, der er das gemalte Bild 
(pictura) einer Weltkarte (mappa mundi) beifiigte (subiunximus) . 62 Von Albert sind 
auch keine weite Reisen bekannt. Erkonnte zwar um 1300 eine Kopie der Gerva- 
sius- Karte und vielleicht auch einige Erganzungen darauf veranlaBt haben, aber 
die Konzeption eines Werkes, wie es die Ebstorfer Weltkarte ist, ist ihm im Ver- 
haltnis zu einem welterfahrenen Gelehrten, wie es Gervasius von Tilbury war, 
kaum zuzutrauen. 

Sicherist sich Wilke in seinem Urteil: „Die Ebstorfer Weltkarte wurde um 1300 
- genauer wohl zwischen 1288 und 1314 - in Ebstorf von einem norddeutschen 
Schreiber geschrieben" (255), „enggefaBt auf diejahre 1298-1308" (284). Dabei ist 
aber daran zu erinnern, daB die genannten Eckdaten nicht auf Vergleichen mitjah- 
resmaBig bestimmten, identischen Handschriften beruhen, sondern lediglich auf 
einem heraldischen und genealogischen Indiz, namlich auf dem - leeren! - Wap- 
penschild auf dem Tor von Wien, auf der Heirat Herzog Ottos des Strengen von 
Braunschweig-Liineburg mit einer Enkelin Konig Rudolfs von Habsburg im Jahre 
1288, auf der Regierungszeit des Bruders der Schwiegermutter dieses Herzogs 
1298-1308 und auf der welfischen Parteinahme nach der Doppelwahl von 1314. 



61 Otia Prolog, ed. Banks/Binns 2002, S. 14. 

62 Siehe oben Anm. 7. 



Albert oder Gervasius? 315 

10. Verwendung der Karte 

Wegen ihres lateinischen Textes setzt die Ebstorfer Weltkarte einen Betrachter 
voraus, der Latein lesen und verstehen konnte oder dem die Legenden vorgelesen 
und iibersetzt wurden (258). Da der Ebstorfer Propst Albert 1307 in seinem Testa- 
ment auch einen Schiiler (scolaris) bedachte, nimmt Wilke an, daB die Karte wahr- 
scheinlich „urspriinglich fiir die Belehrung des Schiilers des Propstes gedacht 
war". Weil in dem Testament erstmals eine Klosterschule erwahnt wurde, konne 
die Karte dann auch den Schiilerinnen dort {puelle infra scolas existentes) der Beleh- 
rung gedient haben (269ff.) . Wilke zieht ferner Stellen aus der Descriptio mappe 
mundi des Hugo von St. Victor heran, aus denen deutlich wird, daB Weltkarten 
dem Unterricht, insbesondere iiber die Schopfungsgeschichte, dienten (266-269) . 
Dem ist durchaus zuzustimmen. 

Wilke lehnt es jedoch ab, daB die Weltkarte - neben der Belehrung - auch der 
Representation in fiirstlichen Gemachern gedient haben konnte (269, 271) . Damit 
schlieBt er die Moglichkeit aus, daB die Ebstorfer Weltkarte, falls sie eindeutig um 
1300 zu datieren ware, eine zeitgemaB leicht abgewandelte 63 Kopie der Gervasi- 
us- Karte war, die in die welfische Residenz auf dem Liineburger Kalkberg gelangt 
und dort 1371 bei der Zerstorung der Burg verloren gegangen sein kann. Eine sol- 
che - hypothetische - Losung konnte dem Streit um eine Eriih- oder Spatdatie- 
rung der Karte die Harte nehmen und sei hier nur angedeutet. 64 

Jedenfalls wurden die Bilderhandschriften der Sachsischen Weltchronik und 
der OldenburgerSachsenspiegel, die Wilke zum Vergleich heranzieht (257f., 262), 
durchaus fiir fiirstliche Hofe hergestellt. DaB sie im Unterschied zur lateinischen 
Weltkarte volkssprachlich geschrieben wurden, fallt m.E. weniger ins Gewicht. 
Wenn die Ebstorfer Weltkarte die Kopie einer fiir einen Fiirstenhof bestimmten 
Karte war, wurde sich auch das Problem losen, daB das Kloster wohl kaum iiber 
„eine fiir die Erstellung der Karte ausgestattete Bibliothek verfiigte" (257). Fiirstli- 
che Representation und Belehrung schlieBen sich jedenfalls nicht aus. Auch Prin- 
zen wurden erzogen. DaB ein so bedeutendes Werk wie die Weltkarte nur eine 
einzige Funktion gehabt haben soil, erscheint mir unwahrscheinlich. Immerhin zi- 
tiert Wilke auch meine Auffassung, wonach die Ebstorfer Karte „geographisch ei- 



63 Wolf, Neues (1989 wie Anm. 4) S. 90, Ders. Ikonologie (1991 wie Anm. 4) S. 116. Ver- 
gleichsweise sei auf die Heidelberger und die Wolfenbiitteler Bilderhandschriften des Sach- 
senspiegels hingewiesen, die mit einem Zeitunterschied von 60 bis 70 Jahren (1295/1304 
bzw. vor 1365) entstanden sind und entsprechende stilistische Abweichungen aufweisen, aber 
inhaltlich genau der gleichen Konzeption folgen. 

64 Eine solche Losung habe ich auch auf den Ebstorfer Tagungen 1988 und 1989 vor- 
geschlagen. Vgl. Wolf, Neues (1988 wie Anm. 4) S. 90, Ders., Ikonologie (1991 wie Anm. 4) 
S. 85 und 315, Ders. Gervasius (1995 wie 23) S. 421. 



316 Armin Wolf 

ne Landkarte, didaktisch ein enzyklopadisches Lehrmittel, ikonographisch ein 
Bild von Gottes Weltschopfung, politisch ein Herrschaftszeichen und frommig- 
keitsgeschichtlich ein Andachts- oder Meditationsbild" ist (11). 

77. Schopfungsbild 

Einig sind wir uns in der Deutung der Karte, daB sie „die vollendete Schopfung 
Gottes in all ihrer Vielfalt" darstellt. In ihrer Konzeption werden „Schopfung und 
Auferstehung . . . Altes und Neues Testament verbunden" (277). Jerusalem im 
Zentrum ist das „neue Himmlische Jerusalem der Offenbarung des Johannes" 
(278). Vom „Beginn der Schopfung . . . bis zum Beginn desjiingsten Gerichts" 
wird die gesamte Heilsgeschichte im geographischen Raum dargestellt" (278 f.). 65 
Neu ist die Beobachtung, daB die Legende im oberen rechten Eck der Karte 
nicht nur dem Siebentagewerk von Gottes Schopfung gewidmet ist, sondern auch 
die Sonntage, auf welche die wichtigsten Ereignisse der Heilsgeschichte datiert 
werden, aufzahlt (272-277). Wilke deutet sie als Hinweise auf hohe christliche 
Feiertage. Der AbschluB der Weltschopfung wird hier auf den 25. Marz gelegt. Die 
Otia Imperialia datieren die Schopfung jedoch - als Zitat aus Petrus Comestor - 
nur auf den Monat Marz. Der Tageszusatz auf der Karte unterstreicht fur Wilke 
aufs neue, daB Gervasius „mit der Abfassung der Karte nichts zu tun hatte" (274 
Anm. 10). Er bedeutet aber doch keinen Gegensatz, sondern nur eine Prazision. 

12. Quellen- und Liter aturverzeichnis 

Leider vermiBt man bei den in den FuBnoten genannten Publikationen - auch im 
Erstzitat - die Erscheinungsjahre, so daB man diese jeweils im Literaturverzeich- 
nis suchen muB. Bei den zahlreichen Aufsazen aus einem der Ebstorfer Sammel- 
bande findet man das Erscheinungsjahr nicht einmal unter dem Autor, sondern 
erst nach einem zweiten oder dritten Nachschlagen unter dem Herausgeberbzw. 
unter dem Titel des Sammelbandes (z.B. Jaitner/ Schwab 1988, Kugler/ Micha- 
el 1991 und- unter T, nicht I - „InTreue undHingabe" 800Jahre KlosterEbstorf, 
1997) . Erst wenn man sich diese doppelte oder dreifache Miihe gemacht hat, kann 
man feststellen, daB z.B. die Autoren im Abschnitt iiberdie Forschungsgeschichte 
„seit Anfang der sechzigerjahre" (15) nicht, wie erwartet, in chronologischer Fol- 
ge genannt werden, sondern irrefuhrend in der Reihenfolge 1961, 1962, 1976, 
1975/1989, 1974, 1963, 1957! Da passieren dann auch Pannen wie S. 135, wo 
„Wolf in Anlehnung an Strzelczyk" etwas darstellt, es in der belegenden FuBnote 
aber umgekehrt heiBt: „Strzelczyk folgt Wolf . . ." Bei einer Erwahnung der Er- 



65 Vgl. Wolf, Denkmal (1957 wie Anm. 20) S. 209. 



Albert oder Gervasius? 317 

scheinungsjahre 1957 (Wolf) und 1970 (Strzelczyk) hatte dieser Widerspruch ver- 
mieden werden konnen. 

Das Buch weist erfreulich wenige, fast gar keine Druckfehler auf. Auf S. 88 muB 
es Abb. 103-104 (statt 102-104) und Abb. 101 (statt 100 und 101) heiBen. S. 94/95 
ist „im Vergleichborgenen" stehen geblieben. Sowohl auf S. 135 als auch auf S. 
136 steht in einem wichtigen Zitat omnen statt omnem hominem dicit creaturam. Es 
geht auch nicht um die Frage, ob Gervasius der „spirius", sondern der „spiritus 
rector" der Karte war (140). Soast (S. 170 Anm. 58) heiBt auf der Karte Sosat 
(Soest) . Fur Strzelczky ist Strzelczyk zu lesen (292 Anm. 38) . Der Kommentar zur 
Descriptio mappe mundi Hugos von St. Victor von GautierDalche wird zwarzitiert 
(53-55, 270), ist aber im Literaturverzeichnis nicht zu finden. 

Das 25seitige Quellen- und Literaturverzeichnis verrat den weitgespannten 
Blick des Autos, doch scheint ihm Marianne Elsters Bibliographie Kloster Eb- 
storf, Ebstorfer Weltkarte, Uelzen 1996, unbekannt geblieben zu seien. Jedenfalls 
fehlt nicht nur dieser Titel selbst, sondern auch von den dort unter den Nummern 
154-198 genannten 45 speziellen Beitragen zur Weltkarte 22, d.h. fast die Halfte: 
154 (Aichel, Bericht), 160 (Dumrese, Einfiihrung), 161 (Elster, Niedersachsen), 
162 (Gribaudi, L'ltalia), 165 (Hundt, Plassenburg), 167 (Karstens, Weltkarte), 169 
(Lindemann, Neue Datierung), 171, 172 und 173 (Miller, Deutschland), 174 
(Neubecker, Endgiiltige Datierung), 178 (Rosien, Alteste Karte), 179 (Schaller, 
Geistiges Leben), 181 (Schroder, Weltkarte), 182 und 183 (Schulte, Westfalen; 
Schlesien), 186 und 187 (Staszewski, Mappa mundi; Polska), 188 (Strzelczyk, O 
powstaniu), 193 (Woehlkens, Weltkarte), 196 (Ebstorfer Weltkarte in: Lexikon des 
Mittelalters) , 198 (Spangenberg, Weltkarte). Auch wenn einige dieserTitel nurDe- 
tails betreffen oder relativ kurz sind und die Forschung nicht immer voran ge- 
bracht haben, so hatte man sich in diesem Werk, das fur die nachste Zeit als Stan- 
dardwerk zur Ebstorfer Weltkarte gelten diirfte, doch ein moglichst vollstandiges 
Literaturverzeichnis gewiinscht, zumal die Bibliographie von Elster nicht leicht 
zuganglich ist. 

Zur weiteren Vervollstandigung seien hier einige auslandische Publikationen 
des Rezensenten nachgetragen, die auch bei Elster fehlen (z. T. zusammenfassen- 
de Ubersetzungen seines Aufsatzes aus demjAiTNER/ScHWAB-Band): Nieuws over 
de Ebstorfer Wereldkaart. Datering - Herkomst - Auteur, in: Caert-Thresoor, 
Tijdschrift voorde Geschiedenis van de Kartografie in Nederland 7, 1988, p. 21-30 
[mit einer „Reconstructiekaart van het Nederlandse gebied"]. - News of the Ebs- 
torf World Map. Date, Origin, Authorship, in: Geographie du monde au moyen 
age et a la renaissance, ed. par Monique Pelletier, Paris 1989, p. 51-68. - Die Eb- 
storfer Weltkarte: Schopfungsbild und Herrschaftszeichen, in: Cartographica 
Helvetica 3, 1991, p. 28-32 [mit einer Umzeichnung der Orte in derSchweiz und in 
Siiddeutschland] (zuvor schon in der Neuen Ziircher Zeitung vom 24.2.1990). - 



318 Armin Wolf 

Ferner: Das Einzugsgebiet derElbe auf der Ebstorfer Weltkarte (um 1239) in: Die 
Elbe im Kartenbild (Kartographische Bausteine 9), Dresden 1994, p. 3-10 [mit ei- 
ner Umzeichnung des Einzugsgebietes derElbe]. - Ebstorf World Map, in: Trade, 
Travel and Exploration in the Middle Ages. An Encyclopedia, ed. John Block 
Friedman, Kirsten Mossler Figg et al., New York/London 2000, p. 160-162. 

Zu erganzen waren auBerdem: Marcel Destombes, Mappemondes A.D. 1200- 
1500, (Monumenta cartographica vetustioris aevi, vol. I) Amsterdam 1964. - Wil- 
helm Spangenberg, Aus der jiingsten Ebstorfer Chronik, in: Heimatkalender fiir 
Stadt und Kreis Uelzen 1970, p. 143-146. - Egon Klemp, Ebstorfer Karte, in: Lexi- 
kon zur Geschichte der Kartographie, hg. v. Ingrid Kretschmer, Johannes Dorflin- 
gerund Franz Wawrik, Band I, Wien 1986, p. 183-185. - David Woodward, Medie- 
val Mappaemundi, in: The History of Cartography, Vol. I, ed. by John B. Harley 
and David Woodward, Chicago/London 1987, p. 286-370. - Paul D. H. Harvey, 
Medieval Maps, London 1991. - Marcia Kupfer, The Lost Mappamundi at Chali- 
voy-Milon, in: Speculum 66, 1991, p. 540-571. - Leonid S. Chekin, Mappae Mundi 
and Scandinavia, in: Scandinavian Studies 65, 1993, p. 487-520. 

Wilke hat die Miihe nicht gescheut, seinem Werk ein Personen-, Orts- und 
Sachregister beizufiigen (332-347), das sogar die Autoren von Sekundarliteratur 
verzeichnet, soweit sie im Haupttext genannt werden. Ich habe das Register nicht 
durch Stichproben iiberpriift, nurzufallig bemerkt, daB der im Register fiir S. 137 
genannte Hugo von St. Victor dort nicht zu finden ist. 

Ergebnis 

Wilke fiihrt seinen Gedankengang mit einer bewundernswerten Konsequenz 
durch. Doch weder die stilistischen, noch die inhaltlichen, noch die palaographi- 
schen Kriterien belegen iiberzeugend eine Datierung der Ebstorfer Weltkarte um 
1300. Wilkes Annahme, daB die Autorschaft des Gervasius von Tilbury „in dieser 
Arbeit bereits widerlegt wurde" (166 Anm. 40) , fordert zum Widerspruch heraus. 
Falls Wilke den zwingenden Beweis geliefert hatte, daB die Ebstorfer Weltkarte 
erst um 1300 gemalt und geschrieben wurde, so ware diese als eine - zeitgemaB 
abgewandelte - Kopie einer alteren Gervasius-Karte anzusehen. Es lieBe sich 
dann zwar annehmen, daB Propst Albert von Ebstorf (1293-1307) die Kopie in 
Auftrag gegeben und vielleicht auch die eine oder andere Anderung veranlaBt 
haben konnte, aber „gar selbst der Verfasser" (255), also geistiger Urheber ihrer 
Konzeption wird er nicht gewesen sein. Auch wenn Wilkes Hauptthese nicht 
iiberzeugt, darf freilich niemand, der kiinftig iiber die Ebstorfer Weltkarte arbei- 
tet, an Wilkes Buch voriibergehen. Er sollte es allerdings sehrkritisch lesen, dann 
wird er Gewinn daraus Ziehen konnen. 



Die Celler Elle als NormmaB fur den 
hannoverschen Staat 

Mit zwei Abbildungen 
Von Helmut Ruggeberg 



Mit der „Ma6- und Gewichtsordnung des Norddeutschen Bundes" vom 17. Au- 
gust 1868, in Kraft getreten am l.Januar 1870,wurde das Metrische System einge- 
fiihrt. Durch die Verfassung des Deutschen Reiches vom 16. April 1871 wurde die 
Verordnung zum Reichsgesetz erhoben und am l.Januar 1872 in Kraft gesetzt. 1 
Bis dahin waren die iiblichen MaBe der Zoll, der FuB und die Elle, deren Verhalt- 
nis zueinander in der Regel gleich war: 12 Zoll = 1 FuB, und 2 FuB = 1 Elle. Ob 
diese LangenmaBe urspriinglich vom menschlichen Korper abgeleitet waren, 
lasst sich nicht beweisen, obwohl sich eine entsprechende Vermutung anbietet. 
Die Bezeichnungen Elle und FuB erklaren sich von selbst, der Zoll entspricht der 
Breite des vordersten Daumengliedes. 

In jedem der deutschen Territorien galten eigene MaBe, die von denen der 
Nachbarterritorien oft erheblich abwichen. Vor dem Ende des 18. Jahrhunderts 
fehlte ein iiberortlich geltenderMaBstab, so dass ein Vergleich der verschiedenen 
MaBe untereinander kaum moglich war. Man behalf sich dadurch, dass man fest- 
legte, wieviel Einheiten des eigenen MaBes denen des zu vergleichenden entspra- 
chen. Das richtige Messen und die Verhinderung von Betrug mit falsch anzeigen- 
den Messgeraten spielten eine groBe Rolle. Die staatlichen Autoritaten, Landes- 
herren und Stadtregierungen, bemiihten sich, in ihrem Einflussbereich Handel 
und Gewerbe durch moglichst einheitliche MaBeinheiten zu fordern und gleich- 
zeitig die Einwohner durch Kontrolle der Messgerate und MaBe vor Schaden zu 
bewahren. 

Am Rathaus in Celle hangt an einem Pfeiler neben dem Eingang eine angeket- 
tete eiserne Elle. Im Folgenden wird zusammengestellt, was sich dariiber nach- 
weisen lasst. 

1 300 Jahre Eichstadte Celle, Liineburg und Nienburg. Herausgegeben vom Niedersach- 
sischen Landesverwaltungsamt Hannover (Dezernat Eichwesen), o.O. u.J. (Hannover 1992), 
S. 33. 



320 Helmut Riiggeberg 

Verordnungen und Gesetze 

In der „Satzung die Stadt Ordnung vnd Polizey betreffendt" aus demjahre 1537 2 
heiBt es knapp: Es sol hinfiiro keiner mit gewicht elen oder Mafee welche des Rats Zeichen 
nichthaben, wareein oder auswegen odermessen, wehrdarvberthut, dersolso offt er es over- 
kommen wirteinen halben gulden verwirckt haben. Wiirde aber einer befunden, dermidtge- 
ringen gewicht, kurtzer elen oder kleinen mafie was aus oder einwigt der sol wie recht, 
ernstlich gestraffet werden. Offensichtlich war es Aufgabe des Rates, fur einheitliche 
MaBe innerhalb der Stadt und deren korrekte Anwendung zu sorgen. Dannnahm 
sich die Landesherrschaft der Angelegenheit an. Im Jahre 1564 erschien als Sam- 
melband mehrerer herzoglicher Verordnungen die in Wittenberg gedruckte Re- 
formation vnd Ordnung vnser von Gottes gnaden Heinrichen und Wilhelmen der 
Jiingern gebriidern Hertzogen zu Brunschweig vnd Lunenburg, so wir in etlichen 
gemeinen sachen vnsern Vnterthanen zu wolfart vnd gutem haben gemacht". 3 
Unter der Uberschrift „Von Mas, Eln vnd Gewicht" heiBt es darin: Es sollen vnsere 
Ampten vnd Rethe in den Stedten vnnd Flecken vleissig vffsehen haben, das rechte Mas in 
treuger [trockener] vnd nasser wahren gehalten vnd mit rechter Mas, Eln, vnd Gewichte 
ein- vnd ausgemessen werde. Also auch sollen diejenige, die etwas mit Eln oder Gewichte 
aufimessen, rechte, vnd durch die Oberkeit bewerte vnd gezeichnete Eln vnd gewicht haben, 
vnd mit denselbigen aufimessen vnd wegen [wiegen] . Vnd sojemand hierinne anders han- 
deln wiirde, der solzum ersten vier vnd zum andern mal zehen gulden zu straffe geben, aber 
zum dritten mal noch ernstlicher gestraffet werden. So soil auch injeder Stadt, Flecken vnd 
Caspelkirchen ein eisern Elnstab an dem Rathaus oder Waghaus hangen, damit ein jeder 
daran zusehen habe, ob seine Elen recht oder ime die Wahre recht zugemessen sey. 

Die „Policey Ordnung" Herzog Christians des Alteren aus demjahre 1618, ge- 
druckt von Sebastian Schmuck in Celle, 4 wiederholt als Kapitel 15 nahezu wort- 
lich die Bestimmungen von 1564 unter der Uberschrift: „Wie alle Betriegligkeiten 
und Benachteilung in MaB, Ellen vnd Gewicht zu verhiieten vnd abzuschaffen." 
In der Liineburger Gesetzessammlung von 1743 5 ist die Polizeiordnung von 1618 
unverandert abgedruckt. Damit wurde auch der Text der Anordnung von 1564 
noch einmal veroffentlicht, obwohl er inzwischen iiberholt war. 

Am 6. Juni 1692 erlieB Herzog Georg Wilhelm eine ausfiihrliche Verordnung 
und Reglement, Was in Unseren Fiirstenthum und Landen hinfiiro im Kauffen und Ver- 
kauffen undsonst im gemeinen Handel und wandel vor Ellen, Gewichte, Korn-, Wein- und 



2 Stadtarchiv Celle, 22-91. 

3 Stadtarchiv Celle, Sammhmg der Verordnungen 1564-1698, 1, 1.18. 

4 Wie Anm. 3. 

5 Chur-Braunschweig-Liineburgische Landes-Ordnungen und Gesetze, zum Gebrauch 
des Fiirstenthums Liineburg, auch angehoriger Graf- und Herrschaften Zellischen Theils, Lii- 
neburg 1741-1744, hier Teil 3, Band 1, 1743, Cap. IV, Sektion I, Nr. I, S. 1-140, hier: S. 39-41. 



Die Celler Elle als NormmaB 321 

Biermassen gebrauchet werden, undvon welchem Gehalt die Fdsser, auch wie grofe die Wa- 
gen-Spuhren seyn sollen, und was bey Vergleichung eines und andern zu beobachten. 6 Sie 
wurde bei Andreas Holwein in Celle gedruckt, hat einen Umfang von 20 Seiten 
und nennt 33 einzelne Punkte, von denen sich folgende auf die Elle beziehen (vgl. 
die Abbildung auf der folgenden Seite): 

Was 6. die Ellen-Maasse belanget, sol in Unsern Landen keine andere Elle, als die itzt z.u 
verordnende, welche der bisherigen Zeller Ellen gleich, so wenig ausser, als in den Mdrck- 
ten von frembden Krdmern, oder Unsern Unterthanen in den Hdusern, bey 20 Thaler 
Straffe gebrauchet werden. 

Und sol 7. hinfuhro die Ellen-Maasse wie folget, gerechnet und eingetheilet werden, 
ein Zoll sol lang seyn, wie beygefugter Rifi zeiget, 

Ein Fueji 12 Zoll, 

Eine Elle 2 Fueji, 

Eine Klaffter 6 Fueji, 

Eine Ruthe 16 Fueji. 

Wie dann auch in alien Stddten, Flecken und Kirch-Dorffern eine Eiserne gezeichnete 
Elle an einem publiqven Ort anzuhengen. 

Auch sol 9. keine Elle, welche nicht in den untenbenahmten 3 Eich-Stadten verglichen 
und mit dem verordneten Zeichen bemercket, gelitten und gilltig geachtet werden. 

In Punkt 22 werden die Stadte Liineburg, Celle und Nienburg als Eichstadte 
genannt, und in Punkt 26 wird als Zeichen das Pferd vorgeschrieben, daneben 
soil in jeder Eichstadt ein Neben-Zeichen auffgeschlagen oder gebrannt werden. In Punkt 
31 wird festgelegt, dass alle Bestimmungen mit dem 1. Januar 1693 in Kraft treten 
und alle alteren MaBe und Gewichte gdntzlich abgeschaffet seyn und weiter nicht ge- 
duldet werden sollen. 

Der oben genannte „beygefiigte RiB" ist eine auf der vierten Seite neben dem 
Text abgedruckte, in 6 Zoll eingeteilte Viertel-Elle. In der Gesetzessammlung von 
1743 wurde auch diese Verordnung wortlich abgedruckt, ebenfalls mit der Vier- 
tel-Elle neben dem Text. 7 Damit war zum ersten Male ein LangenmaB abge- 
druckt, an dem man die wirkliche Lange der damaligen Elle nachmessen kann. 

An einem Originaldruck der Verordnung von 1692 im Stadtarchiv Celle 8 wur- 
de diese Viertel-Elle vermessen. Der Abstand zwischen den beiden Endstrichen, 
jeweils in der Mitte der Striche gerechnet, betragt 14,6 cm, das bedeutet fiir den 
FuB ein MaB von 29,2 cm und fiir die ganze Elle von 58,4 cm. Es wird angenom- 
men, dass diese Messung des Originaldruckes annahernd den richtigen Wert er- 



6 Wie Anm. 3. 

7 Wie Anm. 5, Band 1, 1743, Cap. IV, Sektion 5, Nr. CXVI, S. 454-466, hier S. 456. 

8 Wie Anm. 3. 



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^456. 1: Seite 4 der herzoglichen Verordnung vom 6.Juni 1692 (etwas verkleinert) 

bracht hat. Eine Bestatigung ergaben die errechnete Lange aufgrund der Verord- 
nung von 1836 und das Ergebnis der Messungen der Original-Ellen (s.u.). 

Der Abdruckin der Gesetzessammlung von 1743 weichtjedochgeringfiigig ab: 
In der Ausgabe des Stadtarchivs Celle wurde 14,9 cm gemessen, was einer Elle 
von 59,6 cm entsprache, in einer Ausgabe der Landesbibliothek Hannover wurde 



Die Celler Elle als NormmaB 323 

von Witthoft sogar eine Lange von 15,2-15,25 cm festgestellt. 9 In einermodernen 
Faksimile-Wiedergabe der Verordnung aus dieser Gesetzessammlung wurde der 
Text leicht vergroBert, so dass hier die Viertel-Elle sogar 15,3 cm lang ist. 10 Als 
Clemens Cassel 1906 feststellte: Die Celler Elle war 60 cm lang, hat er vermutlich ei- 
nen Druck von 1743 zugrunde gelegt. 11 

Nach dem Tode Herzog Georg Wilhelms fiel sein Land an seinen Neffen, den 
Kurfiirsten Georg Ludwig in Hannover. Am 22. Dezember 1713 wurde eine ahnli- 
che Verordnung erlassen, was in Dero Landen, das Fiirstentum Lauenburg ausgenom- 
men, hinfiiro in Kaufen und Verkaufen, und sonst im gemeinen Handel und Wandel vor El- 
len, Gewichte, Korn-, Wein- und Bier-Majien gebrauchet seyn sollen. 12 

In der Einleitung folgt auf die Feststellung, dass in Unsern Fiirstenthiimern Calen- 
berg und Grubenhagen und einem Theile der Grafschaft Hoy a unterschiedliche MaBe 
gebraucht wiirden, die zu Missverstandnissen und Betriigereien Anlass gaben, 
die Ankiindigung, dass nun einheitliche MaBe eingefiihrt werden sollen, undzwar 
diejenigen, welche in Unserm Fiirstenthum Liineburg Zeithero mitgutem Nutzen und Suc- 
ces gebrauchet worden. Es wird dann auf die Verordnung von 1692 fur das Fiirsten- 
tum Liineburg und den damals zu Liineburg gehorenden anderen Teil der Graf- 
schaft Hoya hingewiesen. 

In Abschnitt V der Verordnung heiBt es dann: Die Ellen-Majie soil in Unsern Ca- 
lenb erg- Grubenhagen und Hoyaschen der in Unsern Liineburgischen Landen eingefuhrten 
Ellen gleich seyn, und keine andere als die jetztverordnete[. . .] bey 20 Rthlr. Strafe gebrau- 
chet werden. 

Damit war die Celler Elle Grundlage fiir das LangenmaB im Kurfiirstentum 
Hannover geworden. Eine Verordnung vom 29. November 1765 dehnte den Gel- 
tungsbereich auf das Herzogtum Lauenburg und die weiteren inzwischen erwor- 
benen Territorien, die Herzogtiimer Bremen und Verden und das Land Hadeln, 
aus. 13 Es heiBt darin, dass vom 24. Marz 1766 an in Unseren gesamten deutschen Lan- 
den, keine andere, als die in Unserm Fiirstenthum Liineburg unterm 6 ten Junii 1692, in 



9 Witthoft, H.: Umrisse einer historischen Metrologie zum Nutzen der wirtschafts- und 
sozialgeschichtlichen Forschung. MaB und Gewicht in Stadt und Land Liineburg, im Han- 
seraum und im Kurfiirstentum /Konigreich Hannover vom 13. bis zum 19. Jahrhundert, 2 
Bande Gottingen 1979, hier S. 423, FuBnote 8. 

10 Wie Anm. 1, S. 16. 

1 1 Cassel, C. : Die Stadt Celle zur Zeit Herzogs Ernst des Bekenners, Celle 1906, S. 146. 

12 Wie Anm. 5, Sektion 5, Nr. CXVII, S. 468-483; auch in: Willich, F. C, Churfurstliche 
Braunschweig-Liineburgische Landes-Gesetze und Verordnungen Calenbergischen und Gru- 
benhagenschen Theils in einen Auszug nach alphabetischer Ordnung gebracht, 3 Bande, Got- 
tingen 1780-1782, Suppl.-Band 1792, hier Band 2, S. 656-669. 

13 Hannoverische Anzeigen 1765, Nr. 104 vom 30. Dezember 1765, ebenfalls abgedruckt 
bei Willich (wie Anm. 12), Band 2, S. 673-678, allerdings nur soweit die Fiirstentumer Calen- 
berg und Grubenhagen betroffen waren. 



324 Helmut Riiggeberg 

Unsern Fiirstenthiimern Calenberg, Gottingen und Grubenhagen aber unterm 22 Un Dec. 
1713 eingefuhrten [. . .] Ellenmaajie [. . .] gebrauchet werden solle. 

Nach der Erhebung Hannovers zum Konigreich imjahre 1814 und der Vergro- 
Berung des Landes durch Eingliederung mehrerer Territorien - Goslar, Hildes- 
heim, Bentheim, Emsland und Ostfriesland - durch den Wiener Kongress ergab 
es sich erneut, dass in den einzelnen Landesteilen unterschiedliche MaBe, Ge- 
wichte und Miinzen in Gebrauch waren, die es zu vereinheitlichen gait. 

So erfolgte am 13. Dezember 1827 ein Ausschreiben der Landdrostei Liine- 
burg, „die Einfiihrung eines allgemeinen Normal-MaaBes und Normal-Gewichts 
betreffend". u Dabei sollte u.a. derGehalt des FuBmaBes zu 129,6 Franzosischen Li- 
nien zugrunde gelegt werden. Es wurden die Obrigkeiten aufgefordert anzuzeigen, 
ob noch andere Maajien und Gewichte, ah resp. unterm 6tenjunius 1692, 20sten Februar 
1741 und 29 sten November 1765 eingefiihrt worden[. . .] ndmlich[. . .] filr das Liineburg- 
sche und Lauenburgsche andere ah die unterm 29sten November 1765 eingefuhrte (Zeller) 
Ellen und Langen-Maajie [. . .]. 15 Die hier genannte Verordnung vom 20. Februar 
1741 hatte im Herzogtum Lauenburg die Hamburger Elle eingefiihrt, 16 die dann 
1765 durch die hannoversche abgelost worden war. 

Am 3. September 1836 wurde fur das Konigreich Hannover das „Gesetz iiber 
MaB und Gewicht" vom 19. August 1836 veroffentlicht, das am 1. Juli 1837 in 
Kraft treten sollte. 17 Esbrachtejedochzunachstnurdie allgemeinen Grundlagen, 
von denen hier die Artikel 2, 3, 4 und 31 zitiert werden: 

Art. 2: Die Ldnge des Hannoverschen Fujies wird zu elf und einem halben Zoll des 
Englischen Fujies festgesetzt. Drei und zwanzig Englische Fuji und vier und zwanzig 
Hannoversche Fuji geben daher gleiche Ldnge. 

Art. 3: Der Fuji wird in zwolfZolle. Der Zoll in zwolfLinien eingeteilt. 

Art. 4: Zwei Fuji sollen eine Hannoversche Elle, seeks Fuji eine Klafterldnge. Sech- 
zehn Fuji eine Ruthe,funfzehnhundert sieben und achtzig und eine halbe Ruthe (25,400 
Fuji) eine Hannoversche Meile ausmachen. 

Art. 31: Injeder Stadt ist an einem passenden bffentlich zuganglichen Orte ein von 
Glockengut verfertigtes, in Zolle eingetheiltes Ellenmaji zu befestigen, damitjedermann 



14 Stadtarchiv Celle, 9A, 152, Nr. 4. 

15 Ebenfalls zitiert bei Witthoft, wie Anm. 9, S. 686, aber leider unvollstandig, ohne das 
Wort „Zeller" (!) 

16 Landesarchiv Schleswig-Holstein, LAS Abt. 401 Nr. 512, veroffentlicht in: Lauenburgi- 
sche Verordnungen-Sammlung, 5 Bande, hier Band 3 (1733 bis 1753), Ratzeburg 1866, S. 196- 
205. Eine Faksimile-Fotokopie der Verordnung wurde dem Verf. freundlicherweise vom Ver- 
ein fiir Metrologie e.V., Bensheim, zur Verfugung gestellt. 

17 Gesetz-Sammlung fiir das Konigreich Hannover,Jahrgang 1836, 1. Abtheilung, Nr. 22, 
S. 117-125. 



Die Celler Elle als NormmaB 325 

Richtigkeit seiner Ldngenmajie daran priifen konne. Die Kosten sind von der Gemeinde 
zu tragen. 

Die „Bekanntmachung des Koniglichen Ministerium des Innern, das Verhalt- 
niB derHannoverschen MaBen und Gewichte zu anderen MaBen und Gewichten 
betreffend" vom 21. September 1836 wurde am 24. September 1836 veroffent- 
licht. 18 Die hannoverschen MaBe und Gewichte wurden auf die franzosischen zu- 
riickgefiihrt: 

7) Der Hannoversche Fuji (Art. 2. des Gesetzes) halt 129,4844 Pariser Linien, oder 
292,0947 Millimeter. 

2) Die Hannoversche Elle (Art. 4.) halt 258,9688 Pariser Linien, oder 584,1 894 Milli- 
meter. 

3) Die Hannoversche Ruthe (Art. 4.) halt 74,38776 Pariser Fuji, oder 2,39786 Toisen, 
oder 4,673575 Meter. 

4) Die Hannoversche Meile (Art. 4.) halt 22839,67 Pariser Fuji, oder 3806,602 Toisen, 
oder 7479,205 Meter. 

Aus diesen Angaben lasst sich die Lange der franzosischen Linie als 2,2558293 
mm errechnen. Diese Lange wird ebenfalls in Lexika des 19. Jahrhunderts ge- 
nannt, z.B. in Meyers Konversations-Lexikon von 1896, wo die Lange der Linie 
mit 2,2558 mm angegeben ist. (Anm.: Die vielen Dezimalstellen erscheinen iiber- 
fliissig oder spitzfindig, sie sind aber notwendig fur die Berechnung der groBen 
Vielfachen.) Dann sind die 129,6 Linien des vor 1836 geltenden FuBmaBes 
292,35548 mm, und die Lange der Elle ergibt sich daraus mit 584,71095 mm. Die 
Abweichung um 0,7 mm von der oben errechneten Lange nach dem „RiB" von 
1692 lasst sich aus der vierfachen VergroBerung der daran vorgenommenen Mes- 
sung erklaren. 

Bis auf den geringfugigen, durch das Gesetz von 1836 bedingten Unterschied 
von 0,52155 mm war die durch die Verordnung des Celler Herzogs 1692 festge- 
legte Elle bis 1868 - zumindest bis 1866 - in ganz Hannover giil tig, wie durch ihre 
Erwahnung in dem Ausschreiben der Landdrostei ja auch bestatigt wird. 

Die hannoversche Elle in der Liter atur 

In der zweiten Auflage des „Hamburgischen Contoristen" von J.E. Kruse von 
1783 19 heiBt es nach derNennung der Verordnung vom 29. November 1765: Die- 
seElle[. . .] muji dervorgedachten Verordnung gemdji 27 Zoll 6 Linien, oder 258 Linien des 

18 Wie Anm. 17, Nr. 27, S. 141-144. 

19 Kruse, J.E. : Allgemeiner und besonders hamburgischer Contorist, Hamburg 2 1783 
(Bibliogr. Angaben bei Witthoft, s. Anm. 9, S. 727, beide Stellen dort zitiert: S. 712). 



326 Helmut Riiggeberg 

FranzKbnigl. Fujies langseyn. Ein solcherHinweis bzw. ein solcher Vergleich wurde 
in der Verordnung von 1765 jedoch nicht gefunden, es ist nicht ausgeschlossen, 
dass Kruse ihn als Schluss aus den von ihm angegebenen Werten zog. An einer 
anderen Stelle ist hinzugefiigt: Den zuvor gebrauchlichen Calenberger Fuji habe ich zu 
729. 5 zu 729. 6 zu 7 29 .9 und auch zu 1 '30.0 Franzosische Linien lang zuseyn angegeben ge- 
funden. Da nur die Verordnung von 1765 zitiert wird, ist anzunehmen, dass Kruse 
die alteren Erlasse und Verordnungen nicht gekannt hat. 

Dasselbe trifft fur das „Handbuch der Deutschen Miinz- MaaB- und Gewichts- 
kunde" von M.R.B Gerhardt von 1788 20 zu. Auf Tafel I sind fur 148 Deutsche Lan- 
der und Oerter die EllenmaBe, vielfach auch die FuB- und RutenmaBe und ihre Ent- 
sprechung in franzosischen Linien aufgefiihrt. 21 In sechs Fallen von zwei vonein- 
ander abweichenden Angaben heiBt es bei alien 7) nach Kruse, bei drei Fallen 2) 
nacfi anderen, und bei den anderen drei Fallen werden die Verfasser namentlich ge- 
nannt. Es finden sich aber noch mehr Abweichungen. Aus dem Kurfiirstentum 
Hannover werden 15 Orte genannt (Celle doppelt, als Celle und als Zelle). Als ein- 
ziger Ort mit der als korrekt angesehenen Angabe 259.20 Linien fiir die Elle ist 
Miinden aufgefiihrt.Bei fiinf Orten sind nur die EllenmaBe mit 258.-franz. Linien 
angegeben, und zwarbei Einbeck, Hameln, Harburg, Nienburg und Osterode, bei 
weiteren fiinf Orten sowohl die gleichen EllenmaBe als auch die FuBmaBe mit 
729.— franz. Linien, und zwarbei Buxtehude, Gottingen, Stade, Verden und Zelle, 
und bei zwei Orten sowohl die gleichen Ellen- und FuBmaBe als auch als drittes 
die RutenmaBe mit 2064.- franz. Linien (= 16x129), und zwar bei Celle und 
Liineburg. 

Bei Hannover ist zu den gleichen drei MaBen iiberraschenderweise als viertes 
ein Calenb. Fuji mit 729.90 franz. Linien genannt. Noch erstaunlicher sind die An- 
gaben fiir Calenberg: Elle mit 258.-, FuB mit 729.60, Rute mit 2073.60(16 x 129,6) 
und Lauenb.Cal. Fuji mit 729.90 fianz. Linien. Hier ist der FuB mit 129,6 Linien 
zwar auch korrekt genannt, ebenfalls die Rute, aber die Elle ist nicht doppelt so 
lang wie der FuB, und die vierte Angabe ist ebenfalls unerklarlich, zumal Lauen- 
burg in der Tabelle nicht enthalten ist. In Zentimeter umgerechnet ergeben die in 
franzosischen Linien genannten MaBe folgende Werte: FuBmaBe: 129 Linien = 
29,1002 cm, 129,6 Linien = 29,2355 cm und 129,9 Linien = 29,3032 cm; Ellenma- 



20 Gerhardt, M.R.B. : Handbuch der Deutschen Miinz- MaaB- und Gewichtskunde fur 
Kaufleute und andere, welche von der ehemaligen und gegenwartigen Deutschen Miinzver- 
fassung, von Wechselcoursen und ihrem Pari in Silber, desgleichen von MaaBen, Gewichten, 
nebst andern dazu gehorigen Dingen, Nachricht haben wollen, gesammlet und bearbeitet 
von M.R.B. Gerhardt, Konigl. PreuB. Haupt-Banco-Buchhalter. Berlin, bey Arnold Wever, 
1788. 

21 Wie Anm. 20, S. 173-177. 



Die Celler Elle als NormmaB 327 

Be: 258 Linien = 58,2004 cm und 259,2 Linien = 58,4711 cm; RutenmaBe: 2064 
Linien = 465,6032 cm und 2073,6 Linien = 467,7688 cm. 

Der Lauenb.Cal. Fuji ist seltsamerweise noch ein weiteres Mai aufgefiihrt, und 
zwar bei Hildesheim auBerhalb des Kurfiirstentums. Hier sind folgende Zahlen 
genannt: Elle mit 248.40, FuB mit 124.20, Rute mit 1987.20 und Lauenb.Cal. Fuji 
mit 725. 70franzosischen Linien. Bei der Elle und der Rute handelt es sich um die 
entsprechenden Vielfachen des FuBes; die vierte Zahl bleibt unerklarlich, noch 
dazu, weil sie von dem fur Calenberg und Hannover genannten MaB abweicht. 

Die unterschiedlichen Angaben fur die Orte innerhalb des Kurfiirstentums 
Hannover bleiben unkommentiert. Offensichtlich hat Gerhardt die Zahlen kritik- 
los aus dem von ihm gesammelten Material iibernommen und als Tabelle zusam- 
mengestellt. Als Schlussfolgerung ergibt sich, dass diese Tabelle wohl nur einen 
auBerst geringen Quellenwert aufweist. Gerhardt war, wie er im Vorbericht ver- 
merkt, Bearbeiter von sechs Auflagen des „Nelkenbrecherschen Taschenbuches 
eines Banquiers und Kaufmanns", dessen 14. Auflage unter dem Titel „Allgemei- 
nes Taschenbuch derMiinz-, MaB- und Gewichtskunde" imjahre 1828 erschien. 
Darin wird fiir Hannover der Zoll mit 129,44 und die Elle mit 258,88 franz. Linien 
angegeben, was einer Lange von 29,1994 bzw. 58,3989 cm entspricht. 22 

H. Wagner errechnete 1924 die FuBlange aus den Angaben des Ing. Offiziers 
Hogreve, der an der Hannoverschen Landesaufnahme hervorragend beteiligt war, mit 
29,135 cm. 23 

Als G. Schnath 1933 einen Artikel iiber die kurhannoversche Landesaufnah- 
me des 18. Jahrhunderts veroffentlichte, 24 gab er den calenberger Fuji ebenfalls mit 
29,135 cm an, vermutlich aufgrund der Angabe Wagners. Das gleiche MaB wurde 
1959 von F. Engel in seinen Erlauterungen zur Neuherausgabe der Karten ge- 
nannt. 25 

In den ebenfalls von F. Engel 1965 herausgegebenen „Tabellen alter MaBe, Ge- 
wichte und Miinzen" 26 wird der calenberger (hannoversche) Fuji von vor 1836 mit 

22 Zitiert bei Witthoft, wie Anm. 9, S. 715 als Quelle 105. 

23 Wagner, H.: Hagemarms Flachenberechnung des Kurfiirstentums Hannover vomjah- 
re 1766. In: Nieders. Jahrbuch f. Landesgesch., Bd. 1/1924, S. 205. (Zitiert nach Witthoft, 
wie Anm. 9, S. 425 u. FuBnote 16). 

24 Schnath, G.: Die kurhannoversche Landesaufnahme des 18. Jahrhunderts und ihre 
Kartenwerke. In: Mitteilungen des Reichsamtes fiir Landesaufnahme 1933/34, S. 19-32, Wie- 
derabdruck mit Erganzungen in: Ders., Ausgewahlte Beitrage zur Landesgeschichte Nieder- 
sachsens, Hildesheim 1968, S. 258-279. 

25 Nieders. Jb. fiir Landesgesch., Bd. 31/1959, S. 1-19, hier S.13. Unverandert als Einzel- 
druck von der Historischen Kommission 1959 und in 2. Aufl. 1978 herausgegeben. 

26 Schaumburger Studien, Heft 9, Rinteln 1965, iiberarbeitete und etwas ausfiihrlichere 
Fassung in: Jager, H. (Hrg.), Methodisches Handbuch fiir Heimatforschung in Niedersach- 
sen, Hildesheim 1965, S. 65-76. 



328 Helmut Riiggeberg 

0,291 m angegeben, derFuB nach 1836 mit 0,292 m. Diese Werte entsprechen den 
bei Gerhardt genannten FuBlangen von 129 bzw. 129,6 Linien. 

In der Zusammenstellung „Alte MaBe, Miinzen und Gewichte" von F. Verden- 
halven aus dem Jahre 1968 27 heiBt es unter dem Stichwort „Elle": (Hannover) 
kurzfi E = 2 Fuji = 0,584 m und unter dem Stichwort „FuB" ebenfalls: (Hannover) = 
12 Zoll = 144 Linien = (vor 1836) 0,291 m, (nach 1836) 0,292 m und (Kalenberg) = 
0,293 m. Offensichtlich hat Verdenhalven auch dem calenberger FuB Gerhardts 
Angabe von 129,9 Linien zugrunde gelegt. 

1979 erschien die grundlegende und umfangreiche Untersuchung iiber die Ma- 
Be im Liineburger Land von H. Witthoft. 28 Bedauerlicherweise ist er darin zu 
keiner eindeutigen Aussage iiber die Elle gekommen. Er hat die Ausfiihrungen 
iiber die „Calenberger" und die „Hannoversche" Elle von Kruse iibernommen 
und daraus gefolgert: Es kann keinen Zweifelgeben, daji spatestens die Verordnung vom 
November 1765 die Calenberger Majie auch fur das Herzogtum Liineburg und fur Lauen- 
burg einfiihrte und daji die Majie die Celler Elle als Landesmaji ablosten. 29 An anderer 
Stelle heiBt es: Zugleich fehlen jegliche Hinweise auf Verdnderungen am Ellenmaji zwi- 
schen 1693 und 1765. 30 Daraus lasst sich schlieBen, daB ihm der Erlass von 1713 
und der Wortlaut der Verordnung von 1765 nicht bekannt waren. Witthofts Mes- 
sung des „beygefiigten Risses" war an dem in der Gesetzessammlung von 1743 
vorgenommen worden und gab ihm einen unrichtigen Wert. 31 Und schlieBlich 
hat er die Elle am Celler Rathaus gemessen und sie fur die Original-Elle von 1692 
gehalten. 

In Celle hat man genau gewusst, wie lang die hannoversche Elle sein sollte. Im 
Stadtarchiv Celle liegt ein Blatt mit mehreren handschriftlichen Eintragungen als 
Reaktion auf das Ausschreiben der Landdrostei vom 13. Dezember 1827. 32 Biir- 
germeister Lauenstein 33 notierte am 17. Januar 1828 zunachst: Nach J. E. Krusens 
Hamb. Contoristen von 1782 34 halt Ein Fuji in Frankreich 12 Zoll a 12 Linien = 144 Li- 
nien, Ein Fuji in Hannover 12 Zoll oder 129,0 franz. Linien, Ein Calenberger Fuji 12 Zoll 
oder 129 6 /w desgl., Die Hannoversche und die Calenberger Elle jedoch gleich 258 desgl. 
Einige Tage spater, am 23. Januar 1828, stellte C. Schulze, 35 Kanzlist an derjustiz- 



27 Verdenhalven, F. : Alte MaBe, Miinzen und Gewichte aus dem deutschen Sprachge- 
biet, Neustadt an der Aisch 1968, S. 22 bzw. 24. 

28 Witthoft, wie Anm. 9, S. 422-426. 

29 Witthoft, wie Anm. 9, S. 425. 

30 Witthoft, wie Anm. 9, S. 426. 

31 Witthoft, wie Anm. 9, S. 423, FuBnote 5 (s.o.). 

32 Wie Anm. 14, Nr. 14. 

33 Carl Christian Lauenstein (1764-1853) war von 1825 bis 1838 Biirgermeister von Celle. 

34 Kruse, wie Anm. 19. Die abweichende Jahreszahl beruht vermutlich darauf, dass Lau- 
enstein die erste Auflage benutzte. 

35 Carl Friedrich Ludwig Schulze war Kanzlist bei der Justizkanzlei Celle: Staats- u. 



Die Celler Elle als NormmaB 329 

kanzlei Celle, fest: Kruse macht freilich einen Unterschied zwischen Hannoverscher und 
Calenbergischer Fujimajie und meint pag. 284, daji die letztere Majie vor Einfiihrung der 
erstern gebrauchlich gewesen sei. Allein die betreffenden Verordnungen verstehen unter Han- 
noverscher Majie die Calenberger. Der Calenberger Fuji halt 129,6 Pariser Linien. Wenn 
Kruse die halbe Hanndversche Elle zu 129 Pariser Linien angibt, so hat er dieses unrichtige 
Resultat wahrscheinlich durch unmittelbare Messung einer Hannoverschen Elle erlangt. 
Ubrigens hat schon Meyer pag. 140 36 diesen Irrtum geriigt. 

Messung an Original-Ellen 

Der Unterschied zwischen der bis 1836 vorgeschriebenen und der in diesemjahr 
neu eingefiihrten Elle, der auf der Angleichung des hannoverschen MaBes an das 
englische beruhte, betrug nur wenig iiber l h mm (584,71095-584,1894 mm = 
0,52155 mm) und wurde vermutlich im alltaglichen Gebrauch nicht beriicksich- 
tigt. Dass man einen solchen Unterschied vernachlassigen kann, zeigt sich, wenn 
man Original-Ellen nachmisst. 40 holzerne Ellen und eine zusammenklappbare 
halbe Elle aus Elfenbein mit 4 VergleichsmaBen aus der Sammlung des Bomann- 
Museums Celle wurden vermessen. 

Zwei Ellen mit einer Lange von 50,0 cm scheiden aus der Uberlegung aus, da 
sie offensichtlich nach 1868 angefertigt wurden. Drei Ellen tragen eine Jahres- 
zahl, ,,1538", „ ANNO 1694" und „ 1796", sie sind vermutlich die altesten. Die Elle 
von 1538 misst 57,3 cm, die von 1796 dagegen 59,2. 

Dem oben genannten Ergebnis der eigenen Messung des „Risses" von 1692 
und der aus der Verordnung von 1836 abgeleiteten Lange von 58,47 cm entspre- 
chen 14 Ellen mit einer gemessenen Lange von 58,4 cm, und zwar die Elle von 
1694 und 13 weitere. Zwanzig Ellen liegen im Nahbereich, d.h. jeweils 5-6 mm 
oberhalb bzw. unterhalb von 58,4 cm, und zwar sind zehn langer (8x58,6 cm, 

1 x 58,7 cm und 1 x 59,0 cm) und ebenfalls zehn kiirzer (3 x 58,3 cm, 3 x 58,2 cm, 

2 x 58,1 cm, 1 x 58,0 cm und 1 x 57,9 cm) . 

AuBer den oben genannten Ellen von 1538 und 1796 gibt es noch zwei mit 
starkeren Abweichungen. Eine als „PreuBische Elle" inventarisierte misst 66,4 cm, 
eine als „Hamburger Elle" inventarisierte hat zwei MaBeinteilungen, 69,6 und 
57,5 cm. Ebenfalls zwei MaBeinteilungen haben zwei der oben schon aufgefiihr- 
ten Ellen, namlich 58,6 cm und 67,1 cm bzw. 58,3 cm und 66,7 cm. Auf letzterer 
sind die Buchstaben „HE" und „PE" neben den MaBeinteilungen angebracht, die 
vermutlich als „Hannoversche Elle" bzw. „PreuBische Elle" zu deuten sind. Auch 
die Elle von 58,7 cm hat zwei Einteilungen, die zweite betragt 50,0 cm und wurde 



AdreBkalender fur das Konigreich Hannover 1828, S. 170 (Stadtarchiv Celle, A 02/038-1828) . 
36 Diese Quelle konnte noch nicht ermittelt werden. 



330 Helmut Riiggeberg 

also vermutlichin derUbergangszeitangefertigt; eine derEllenmit58,6 cmEllen- 
maB erhielt nachtraglich eine 50,0 cm-Einteilung. 

Die elfenbeinerne halbe Elle tragt vier MaBeinteilungen mit zusatzlichen An- 
gaben. Auf den Schmalseiten steht „HANOVER" (29,1 cm) bzw. „LONDON" 
(30,4 cm) , auf den Breitseiten „RHINELAND" (31,4 cm) bzw. „PARIS" (32,5 cm). 

Von den 34 in Frage kommenden ganzen Ellen sind also nur 14 mit dem anna- 
hernd korrekten Wert von 58,4 cm gemessen worden. Das zeigt, dass es proble- 
matisch ist, aus solchen Messungen Riickschliisse auf die Festlegung derMaBe zu 
Ziehen. 37 

Die heutige Elle am Celler Rathaus 

Die heutige Elle ist keine Original-Elle. Zunachst entspricht sie nicht den Bestim- 
mungen des Gesetzes von 1836, dass eine „aus Glockengut", d. h. Messing oder 
Bronze angefertigte Elle anzubringen sei, da sie aus Eisen ist. Aber wesentlich 
wichtiger ist die Tatsache, dass dort lange Zeit gar keine Elle mehr vorhanden war. 
In einem Schreiben des Museumsdirektors Dr. A. Neukirch vom 25. Septem- 
ber 1944 als Antwort auf eine Anfrage des Instituts fiir Rechtsgeschichte der Uni- 
versitat GieBen 38 heiBt es: 

Unsere Rathauselle ist leider nur die Erneuerung einer alten, die allerdings ebenso ange- 
bracht war, aber im 19.Jh. verlorengegangen ist (nach der Tradition in derFranz.osenz.eit, 
wdhrend CI. Cassels Stadtgeschichte I. Bd. 1930, S. 279 sagt: „die Kettenreste erinnern 
daran, daji dort bis etwa 1855 hin die aus Messing hergestellte Musterelle der Stadt 
king".) Ein Stuck der Kette und 2 Osen waren noch da. Im Februar 1931 wurde von 2 
hiesigen kunstsinnigen Burgern, Stadtbaumeister Wilkens und Dr. med. Tiedemann, im 
Ratskeller der Gedanke gefajit, eine richtige Elle wieder anzubringen, und der letztge- 
nannte, der inzwischen verstorben ist, verfafete den Vers dazu [...]: 

„Ein ehrlich Burger hier ermijit, 
was eine Elle wirklich ist. " 

Die neu angebrachte Elle ist nach dem Muster einer in unserm Museum befindlichen, 
wohl nicht aus Celle stammenden alten aus Eisen angefertigt und zwar gemaJS einer An- 
gabe bei Cassel mit 60 cm langem A/a/?. 39 



37 Geringfiigige Messungenauigkeiten im Bereich ernes Millimeters lassen sich wohl 
nicht ganz ausschlieBen. 

38 Stadtarchiv Celle, Bestand 29, Nr. 499. 

39 Die zitierte Stelle: Cassel, C: Geschichte der Stadt Celle, Band 1, Celle 1930, S. 270; 
die Lange: wie Anm. 11. 



Die Celler Elle als NormmaB 



331 



Abb. 2: 

Die Elle 

am Celler Ra.tha.us 

(Aufn.: 

H. Riiggeberg) 




Wenn die Rathaus-Elle auch nicht die echte und urspriingliche ist und auch 
nicht das korrekte MaB angibt, so kann sie doch als Hinweis darauf dienen, dass 
an dieser Stelle einmal eine Elle hing, die zum NormalmaB fiir das ganze Land 
wurde. Immer wieder haben Celler Biirger und Handwerker sowie durchreisende 
Handler und Kaufleute ihre eigenen Ellen an der hier angebrachten Normal- Elle 
verglichen, indem sie beide aneinander hielten und dabei gegen den Pfeiler ab- 
stiitzten. Dadurch entstand im Laufe der Zeit an dieser Stelle eine Vertiefung, die 
man noch heute sehen kann. 



Die Urspriinge der Kurhannoverschen 

Landesvermessung im Elbe-Weser-Dreieck 

und die Nutzungsgeschichte 

des dabei entstandenen Kartenwerks 



Mit einer Karte 
Von Wolfgang Dorfler 



Die hannoversche Landesvermessung des zweiten Drittels des 18. Jahrhunderts 
und die aus ihr hervorgegangenen Kartenwerke sind unumstritten die interessan- 
tensten und zuverlassigsten historischen Kartendokumente fur groBe Teile des 
niedersachsischen Raums. Der Riickgriff auf diese Quelle wird durch die in zu- 
nehmender Zahl zur Verfiigung stehenden Farbreproduktionen sicher noch ein- 
mal intensiviert werden. Ich habe im Rahmen meiner Untersuchung zu der Gren- 
ze zwischen den Herzogtiimern Bremen und Verden 1 aus der verstreuten Litera- 
tur und eigenen Recherchen einige wenig bekannte Aspekte zu der Entstehungs-, 
Uberlieferungs- und Nutzungsgeschichte dieses Kartenwerks erschlossen. Das 
Thema hatte in den vergangenen Jahrzehnten bereits viel Aufmerksamkeit gefun- 
den. So sind zwischen 1919 und 1968 zwolf groBere Arbeiten zu verschiedenen 
Aspekten der Karte erschienen. 2 Hans Bauer hat 1993 unter Hinzuziehung der 



1 Dorfler, Wolfgang: Herrschaft und Landesgrenze. Die langwahrenden Bemiihungen 
um die Grenzziehung zwischen den Stiften und spateren Herzogtiimern Bremen und Verden 
(Schriftenreihe des Landschaftsverbandes der ehemaligen Herzogtiimer Bremen und Ver- 
den, Bd. 22),Stade2004. 

2 Die benutzte altere Literatur: Mager, Fritz:Die kartographischen Grundlagen des Pro 
beblatts Gottingen. In: Erlauterungen zum Probeblatt Gottingen der Karte der Verwaltungs- 
gebiete Niedersachsens um 1780 (Studien und Vorarbeiten zum Historischen Atlas von Nie- 
dersachsen 4. Heft 1919), S. 1-26. Wagner, Hermann: Begleitworte zurTopographischen Lan- 
desaufnahme des Kurfiirstentums Hannover von 1764/86 (1 :21.333 1/3, Lichtdruck 1:40 000) 
herausgegeben von der Historischen Kommission fur Hannover, Oldenburg, Braunschweig", 
Schaumburg-Lippe und Bremen (Hannover 1924). Schnath, Georg, Die Kurhannoversche 
Landesaufnahme 1764-1786. In: Hannoversches Magazinjg. 7 (1931), S. 33-53. Ders.: Die 
kurhannoversche Landesaufnahme des 18. Jahrhunderts und ihre Kartenwerke. In: Mitteilun- 
gen des Reichsamts fur die Landesaufnahme 1933/34, S. 19-32. (Hier zitiert nach dem Nach- 
druck ohne Kartenbeilagen: Georg Schnath, Ausgewahlte Beitrage zur Landesgeschichte 
Niedersachsens. Veroffentlichungen des Instituts fur historische Landesforschung der Uni- 



334 Wolfgang Dorfler 

Akten des Niedersachsischen Hauptstaatsarchivs Hannover eine umfassende 
neue Betrachtung geliefert. 3 Ich mochte seine Ergebnisse an Hand der Akten des 
Staatsarchivs Stade und der Karten, die in Stade und in der British Library Lon- 
don 4 liegen, unterstreichen und partiell erganzen. 

Die Londoner Bibliothek ist seit 1997 vom Britischen Museum raumlich ge- 
trennt, seitdem sie in den Neubau im Stadtteil St. Pancras umgezogen ist. Dereng- 
lisch-hannoversche Konig Georg III. hat, gefordert durch seine Umsicht und 
durch die giinstige Zeit sowie dank der ihm zur Verfiigung stehenden materiellen 
Mittel, eine der wertvollsten Kartensammlungen weltweit geschaffen. Diese 
Sammlung wurde 1829 von seinem Nachfolger Konig Georg IV. dem Britischen 
Museum gestiftet. 5 Als „Kings Collection" sind mehrere Tausend von Georg III. 



versitat Gottingen Band 3 1968), S. 258-271. Ders.: Die altesten topographischen Landesauf- 
nahmen und Flurvermessungen in Niedersachsen. Stand und Fortgang ihrer neuzeitlichen 
Wiedergabe. In: Neues Archiv fur Niedersachsen Band 12 (1963), S. 94-103. Ders.: Histori- 
sche Kartographie. In: Methodisches Handbuch fur Heimatforschung in Niedersachsen. 
(Veroffentlichungen des Instituts fur historische Landesforschung der Universitat Gottingen 
Band 1 1965), S. 396-408. Ders.: Nachtrag 1968 (zu: Die kurhannoversche Landesaufnahme 
des 18. Jahrhunderts und ihre Kartenwerke. In: Georg Schnath: Ausgewahlte Beitrage zur 
Landesgeschichte Niedersachsens. Veroffentlichungen des Instituts fur historische Landes- 
forschung der Universitat Gottingen Band 3 1968), S. 272-279. Ders.: Neuenkirchen in der 
kurhannoverschen Landesaufnahme (1770). In: Neuenkirchen 1283-1983. Beitrage zur alte - 
ren Geschichte eines Kirchspiels im ehemaligen Stift und Herzogtum Verden (Neuenkirchen 
1983) , S. 100-105. Grossmann, W.: Niedersachsische Vermessungsgeschichte im 18. und 19. 
Jahrhundert. In: C. F. Gauss und die Vermessung in Niedersachsen (Hannover 1955), S. 
17-59. Jager, Helmut: Alte Karten von Mitteleuropa in der Sammlung des Britischen Mu- 
seums in London. In: Berichte zurDeutschen Landeskunde 19. Band (Heft 2), S. 246-266. En- 
gel, Franz: Die Kurhannoversche Landesaufnahme des 18. Jahrhunderts. Erlauterungen zur 
Neuherausgabe als amtliches historisches Kartenwerk im MaBstab 1:25.000 (mit Blattiiber- 
sicht und Zeichenerklarung) . (Veroffentlichungen der Historischen Kommission fur Nieder- 
sachsen und Bremen XXVI), Hildesheim 2 1978. Auch in: Niedersachsisches Jahrbuch fur 
Landesgeschichte Band 31 (1959), S. 1-19. Kleinn, Hans: Nordwestdeutschland in der exak- 
ten Kartographie der letzten 250 Jahre. Ein Beitrag zur Landeskunde. In: Westfalische For- 
schungen 17 (1964), S. 28-82. Pertsch, Reimar: Alte Karten aus dem heutigen Regierungsbe- 
zirk Stade im Britischen Museum (London) und im Koniglichen Kriegsarchiv (Stockholm). 
In: Stader Archiv - Neue Folge Heft 56 (1966), S. 139-144. 

3 Bauer, Hans: Die Kurhannoversche Landesaufnahme des 18. Jahrhunderts. In: Nach- 
richten der Niedersachs. Vermessungs- und Katasterverwaltung 43. Jg. (1993) Nr. 3, S. 123- 
142. Der Aufsatz hat trotz seiner bedeutenden neuen Erkenntnisse wenig Rezeption erfahren. 

4 Die Benutzung der Bibliothek steht jedem offen, der eine entsprechende Qualifikation 
oder ein wissenschaftliches Interesse nachweisen kann. Es ist notwendig, Diplome oder Emp- 
fehlungsschreiben und einen Personalausweis mitzubringen. Der Bibliotheksausweis wird so- 
fort erstellt und gilt fur fiinf Jahre, die Benutzung der Bibliothek ist kostenlos. 

5 Der Katalogtitel lautet: Catalogue of Maps, Print, Drawings etc. forming the Collection atta- 
ched to the Library of his late Majesty King George the Third, and presented by his Majesty King George 



Urspriinge der Kurhannoverschen Landesvermessung 335 

angekaufte und von Georg IV. iibergebene Karten verzeichnet. Die heutige ge- 
meinsame Signatur fiir die hier interessierenden Karten lautet „K. Top.", was 
wohl fiir King's Topographical Maps stent. 6 

Der Beginn der Landesvermessung im Herzogtum Bremen durchjosua du Plat 

Die hannoversche Regierung hat bereits wahrend des 7-jahrigen Krieges iiber 
Verbesserung der Handelschancen nachgedacht. Wegen der Ausbreitung des Com- 
merce der benachbarten Lander wurde 1754 von Arnold Bodcher aus Wildeshau- 
sen ein ausfiihrliches Gutachten erstellt. 7 Er erortert darin die Angrenzung des 
Landes an die Nordsee sowie die Lage an den Fliissen Elbe und Weser, aber auch 
die ungiinstige, historisch gewachsene Einkreisung, die verhinderte, dass Wahren 
aus der ersten Hand in die Lander hineingelangen konnten. Sein Vorschlag war es, 
das Bremer Stadtgebiet und den Zoll bei Elsfleth zu umgehen und zwar vermittelst 
eines in der Gegend des AusfluJSes der Aller, nach der Wiimme, zu ziehenden Canals. Als 
weiteres Projekt diskutiert er eine Verbindung zu den preuBischen Landesteilen 
in Brandenburg mit Hilfe eines Kanals, der die Wiimme mit der Luhe verbinden 
sollte und so die Umgehung Hamburgs ermoglichen wiirde. 

Mit dem Jahr 1755 beginnend ist die Tatigkeit von Wilhelm Georg Josua du 
Plat im Elbe-Weser-Dreieck nachweisbar. Zunachst sind es bis 1756 zehn klein- 
raumige Karten, die aus seiner Feder vorliegen, meist sogenannte Zehntkarten, al- 
so Karten der Ackerflachen einzelner Dorfer, aber auch schon Vermessungen der 
Moore im heutigen Landkreis Osterholz ostlich von Bremen. 8 

1757, unmittelbar nach dem Ende des 7-jahrigen Krieges, wurde die Verbesse- 
rung der Okonomie" in den beiden Herzogtiimern in Angriff genommen. Dazu 
maBen die kurhannoverschen Ingenieur-Offiziere unterjosua du Plat Karten der 
fiir Neuerungen vorgesehenen Landstriche auf. Die Karte K. Top. 99. 57. in Lon- 
don kann als die alteste der direkten Vorlauferkarten zur Kurhannoverschen 
Landesaufnahme bezeichnet werden. Sie wurde 1757 von du Plat gefertigt und 



the Fourth to the British Museum London MDCCCXXIX (1829). Zitiert nach:jAGER, wie Anm. 2, 
S. 256. 

6 Die Karten sind nicht auf dem normalen computergestiitzen Weg zu bestellen. Sie sind 
samtlich auf Microfiches kopiert worden; die Bibliothek verlangt diese zunachst zu mustern 
und dann mit Begriindung die Originalkarten auf einem handschriftlich auszufullenden For- 
mular zu bestellen. 

7 Project die Durchziehung eines Canals durch das Bremische betr. vom 15. 1. 1754 mit 
Post Scriptum vom 20. 1. 1754 StA Stade Rep 31 12a Nr. 40, Bl. 1-31. 

8 StA Stade Karten 42 1 ReeBum 1, Kl. Sottrum 1 und Stapel 1; 42 k Lilienthal 4, Falken- 
berg 2, Frankenmoor 1, Kl. Moor 1, Moorhausen 1, Osterholz 20 und Neu Nr. 1086. Siehe da- 
zu auch: Krause, P. Flurkarten aus dem 18. Jahrhundert im Archiv der Regierung Stade. In: 
Staderjahrbuch 1947 (Aus dem „Stader Archiv" 1943/47), S. 149-156, hier S. 154. 



336 Wolfgang Dorfler 

zeigt im MaBstab von 1 : 33.000 die Gegend zwischen Bremervorde und Stade. 
Die Handschrift der Karte laBt die Gemeinsamkeit mit dem Bild der Kurhanno- 
verschen Landesaufnahme bereits erkennen. Das gilt auch fiir die im selbenjahr 
gefertigte Karte „Weser, Leine, Aller" (K. Top. 99. 42. 2.), 9 die sich noch auf das 
zitierte Projekt von 1754 bezieht. 

Danach klafft eine Liicke von etwa sieben Jahren, aus der nur vier kleine Kar- 
ten iiberliefert sind. 10 In diese Zeitspanne konnten die umfangreichen Vermes- 
sungsarbeiten fallen, die notwendig waren, um die im Jahre 1764 (oder kurz da- 
vor) abgeschlossene groBe und heute in London liegende Karte K. Top. 99. 53. 
fertigen zu konnen. An ihr war auBer dem inzwischen zum Obrist-Leutnant erho- 
benen du Plat auch schon der spater fiir die groBe Karte federfiihrende Inge- 
nieur-Leutnant Johann Ludwig Hogrewe beteiligt, wodurch die Datierung nach 
1757 und in die Nahe des groBen Kartenwerks wahrscheinlich wird. 11 Bereits fiir 
den 1. August 1760 ist durch eine Notiz in den Akten der Regierung in Stade das 
Vorliegen von 18 kleinen Broulions von der Gegend von Lehe nach Bremen belegt. Sie 
wurden von der dortigen Registratur an du Plat ausgehandigt. 12 

Diese in London liegende Karte ist injederHinsicht groB. IhrTitel lautet: Carte 
eines theils des Herzogtums Bremen und zwar der Aemter Bremervorde, Ottersberg, Oster- 
holz, Lilienthal und Blumenthal, derBbrde Rhade, dem Gericht Schdnebeck, Lesum, Ritter- 
hude und Schwachhausen, des Oberen- und Unteren Blocklandes, des Hollerlandes, des Go- 
gerichts Achim benebst der Stadt Bremen, unter der direction des Ingeniuer Obrist Lt. Du 
Plat von den beiden Lieutenants Hogrewe undPape. Die Messtischaufnahmen der Gro- 
Be 43,7 x 43,7 cm wurden zu einer einzigen groBen Karte zusammenmontiert, die 
die unhandliche GroBe von 244 x 193 cm aufweist. 13 Sie zeigt groBe Teile des Her- 
zogtums Bremen rechts der Weser von Achim im Siiden bis Blumenthal im Nor- 
den und Bremervorde im Osten und war das Produkt einer exakten Aufmessung 
dieses groBen Landstrichs. 

Zum Herstellungszweck dieser beiden das Herzogtum Bremen betreffenden 
Karten sind in der alteren Literatur etwas verwirrende Angaben gemacht worden. 
Nach Angabe von Mager bezog sich die Karte von 1757 auf die ErschlieBung gro- 
Ber Moore, 14 und nach Erinnerungen, die du Plat 1780 verfasste, diente diejiinge- 



9 Jager, wie Anm.2, S. 251. 

10 StAStade Karte 45 kMoorende 1(1758), 42 qBarnkrug2 und 6 (1758) und NeuNr. 946. 

11 Die wichtigsten Lebensdaten der beiden Offiziere bei Bauer, wie Anm. 3, S. 126-130. 
Von ihm habe ich die gut begriindete Schreibung des Nachnamens „Hogrewe" statt „Hogre- 
ve" (wie bei Schnath und anderen) iibernommen. 

12 StA Stade Rep 40 Nr. 436 (unpaginiert, erstes Blatt der Akte) . Exemplare dieser bei al- 
ien Vermessungen gefertigten Vorzeichnungen sind aber trotz intensiver Suche bisher nicht 
aufgefunden worden. 

13 Bauer, wie Anm. 3, S. 140; Jager, wie Anm. 2, S. 252. 



Urspriinge der Kurhannoverschen Landesvermessung 337 

re Karte zur Planung einer imjahr 1764 beratenen binnenlandischen Wasserver- 
bindung zwischen Niederelbe und Unterweser. 15 Hier ist zwischen zwei Kanal- 
projekten zu unterscheiden. Die altere Karte entspricht dem Projekt eines 
Oste-Schwinge-Kanals, wahrend dem Kanalprojekt zwischen Oste und Hamme 
der Schnitt der jiingeren Karte entspricht. Sie zeigt auch noch die Moore ostlich 
und siidlich von Bremen bis hinunter nach Achim und Ottersberg, die zur Kulti- 
vierung anstanden. Auch hier hat Bauer den Zusammenhang hergestellt und alte- 
re Ansichten geordnet. Die Intention war die Kultivierung des Teufelsmoors, 
dem sich die anderen Projekte, so der „Communicationskanal" (der Hamme- 
Oste-Kanal) und die Hafenstelle bei Osterholz zuordneten. Fur das Projekt der 
beiden Kanale ergab sich wieder die Begriindung der Umgehung des Elsflether 
Weserzolls und zusatzlich die Vorstellung, den Zug des Commercii und den Tausch 
der Waaren zwischen den Handelstddten Hamburg und Bremen durch das Land zu let 
ten} 6 Zum Hamme-Oste-Kanal haben sich Karten und Zeichnungen von du Plat 
im Staatsarchiv Stade erhalten, die den Kanalverlauf, die Hohenniveaus und die 
Konstruktion der notwendigen Schleusen darstellen. 17 Sie sind auf dasjahr 1765 
datiert. Beide Kanalprojekte sind schlieBlich verwirklicht worden, wobei 1769 
der Baubeginn des Hamme-Oste-Kanals war, der aber erst nach 21 Jahren voll- 
endet werden konnte. 18 

Die Karte, die du Plat und Hogrewe gemeinsam entworfen hatten, wurde Ko- 
nig Georg III. in London vorgelegt, 19 der von dem Ergebnis so iiberzeugt war, 
dass er am 21.Juli 1765 die Anfertigung einer von der gantzen Provintz beider von der 
See Seiten zu Unsereren iibrigen Teutschen Landen vorliegenden Hertzogthiimer Karte an- 
ordnete; es sollten also nur die Herzogtiimer Bremen und Verden aufgemessen 
werden. 20 Die Kurhannoversche Landesaufnahme war nicht das Produkt eines 



14 Mager, wie Anm. 2, S. 2. 

15 Mager, wie Anm. 2, S. 1-2; Wagner, wie Anm. 2, S. 7. Wortlich lautet das Zitat von du 
Plat beziiglich des Auftrags: Den Zwischenraum von Osterholz, wo die Hamme aus der Weser schiff- 
bar ist, bis Bremervbrde, wo die Oste aus der Elbe schiffbar ist, in einem Zusammenhang topographisch 
vermessen zu lassen. Zitiert nach Bauer, wie Anm. 3, S. 125; Quelle HStAHann. 41 VIII 15, Bl. 
6 vom 13. 6. 1767. 

16 Bauer, wie Anm. 3, S. 130-131; Zitat du Plat nach Bauer. Quelle: HStA Hannover 
Hann. 41 VIII 15, Bl. 238. 

17 StA Stade Karten Nr. 41 c/6 (Landkarte), 43 c/1 und 2 (Schleusenprojekte) sowie 45 
c/1 (Hohenniveaukarte) . 

18 Rabenstein, Peter: Jan von Moor. Ein Heimatbuch vom Teufelsmoor. Fischerhude 
1982, S. 24-25. 

19 Schnath 1983, wie Anm. 2, S. 100. 

20 Die Idee, dass bereits ganz Kurhannover aufgemessen werden sollte (Mager, wie 
Anm. 2, S. 2; Engel, wie Anm. 2, S. 16) korrigierte Bauer, wie Anm. 3, S. 132, und veroffent- 
lichte dazu als Faksimile und Transskription Das Rescript von St. James (S. 134-139). Quelle: 
HStA Hannover Hann. 76a Nr. 1544, Bl. 53-54. 



338 Wolfgang Dorfler 

weit ausgreifenden Planes oder einer kiihnen Vision, sondern entstand sukzessi- 
ve durch den Erfolg des einmal eingeschlagenen Weges. Sie ist somit etappenwei- 
se aus der Kombination von qualifizierter Arbeit der aufmessenden Ingenieur- 
Offiziere und interessiertem Wohlwollen des auftraggebenden Konigs entstan- 
den. Aus den Jahren 1765/66 existiert eine groBmaBstabliche Karte (MaBstab 
1 : 255.000) des kurhannoverschen Gebietes in vier Blattern, die von Hogrewe ge- 
fertigt wurde. Engel sah sie als Generalkarte fur die Planung des Kartenwerks, 21 
was aber abzulehnen ist, da ein solcher Plan nicht existierte. Ihr Bild ist fiir einen 
kleinen Teil als Extrakt aus den bereits erfolgten Aufhahmen im Elbe-Weser- 
Dreieck zustande gekommen und ansonsten aus den seinerzeit schon vorliegen- 
den Karten anderer Autoren extrahiert worden. 

Die ersten Blatter der Kurhannoverschen Landesaufnahme sollen ,,1764/66" 
erschienen sein, sind also merkwiirdig ungenau datiert. 1764 ist zudem sicher zu 
friih, da ja die Anordnung zur Anfertigung erst imjuli 1765 erfolgte. Es ist also zwi- 
schen dem Datum der AufmaBarbeiten und dem Erscheinungsdatum der„reinen 
Planchen" zu unterscheiden. Die Arbeiten an den Bremen und Verden betreffen- 
den Karten wurden von du Plat riickblickend in diejahre 1764-1769 datiert. 22 Die 
Zeichnung der ersten Planchen wurde von den Vermessungsoffizieren als Um- 
zeichnung aus der der groBen Karte von ca. 1764 gefertigt, die auf koniglichen 
Wunsch hin zu desto gemachlicherem Gebrauch in verschiedene Kleinere (Planchen) ver- 
teileth werden sollte. Es wurde das Format 87,4 x 58,3cm gewahlt, das nach Anga- 
be von Bauer das Format des damals handelsiiblichen Kartons war. 23 

1767 folgte die Aufnahme der Blatter der Nordseekiiste und des Elbufers. Ob- 
wohl du Plat es in seinen Erinnerungen behauptet hat, konnen bis 1769 die 
Messarbeiten fiir das Gebiet der Herzogtiimer Bremen und Verden nicht abge- 
schlossen gewesen sein, da erst im Friihjahr des Jahres 1770 die Anweisung von 
Hannover an die Regierung in Stade erfolgte: Konigl. Majestdt Unser Allergnadigster 
Hen wollen die in letztvorigen Jahren geschehene Vermessung des Hertzogthums Bremen 
nunmehrauch aufdasHerzogthum Verden fortsetzen lassen. 2i Die Nachricht wurde von 
Stade an Verden weitergeleitet und das dortige Amt zur Kooperation aufgefor- 
dert. Teile des Amtes Rotenburg im Herzogtum Verden waren allerdings 1769 be- 
reits vermessen worden. 25 Es scheinen dann die Arbeiten in Verden ziigig voran- 
gegangen und bereits im selben Jahr 1770 zum AbschluB gekommen zu sein. 

21 Engel, wie Anm. 2, S. 16. 

22 Schreiben du Plat vom 18. 10. 1785; StA Stade Rep 40 Nr. 436, Eingangs-Nr. 140. 

23 Bauer, wie Anm. 3, S. 140. 

24 Hannoversche Geheime Rate an Regierung in Stade vom 14. 4. 1770. StA Stade Rep 
40 Nr. 436 Eingangs-Nr. 117. 

25 Die 1791 gefertigte Kopie der Karte fiir das Amt Rotenburg nennt 1769 und 1770 als 
diejahre des AufmaBes der Originale (StA Stade Karte 41 1 / 13). 



Kurhannoversche Landesvermessung im Elbe-Weser-Dreieck 339 

Das Schicksal der beiden Originalkarten 

Als „Urausfertigung" des Kartenwerks wurden immerzwei identische Exemplare 
der Planchen gezeichnet, von denen uns heute nur die eine Serie erhalten geblie- 
ben ist, die in Berlin liegt. Das Berliner Exemplar stammt aus London und war 
dasjenige, welches fur Konig Georg III. gefertigt worden war. In London findet 
sich noch das Deckblatt der alten Registrierung (K. Top. 29. 2.) mit folgendem 
Text: A drawn topographical Survey of the Electorat of Hannover in 165 sheets with an In- 
dex Map in one sheet. Das Findbuch erganzt dazu: probably the survey here mentioned 
was in the library ofK. George III. but did not come to the British Museum. Dazu gehorte 
eine Anmerkung: having been privously sent to the Duke of Cambridge. Der Herzog 
Adolph Friedrich von Cambridge war nach der napoleonischen Ara Vertreter des 
englischen Konigshauses in Hannover. Er hatte sich in London dafiir verwendet, 
dass die dort liegende Ausfertigung 1826 nach Hannover abgegeben wurde. 26 
Dies war fur die Verwaltungstatigkeit dringend notwendig, da zwanzigjahre zuvor 
Hannover gezwungen worden war, sein Exemplar der Karte an die franzosische 
Landesherrschaft auszuliefern 27 und diese es 1812 auf ausdriicklichen Wunsch 
Napoleons von Hannover nach Paris transferiert hatte. Das 1826 nach Hannover 
gelangte Londoner Original des Kartenwerks in 165 Blattern (plus einigen Neben- 
bzw. Doppelblattern) musste 1868 nach der Annexion Hannovers durch PreuBen 
an den dortigen Generalstab abgeliefert werden, 28 womit es nach Potsdam oder 
Berlin gelangte. Von dort wurde es 1919 an die Staatsbibliothek Berlin abgege- 
ben. Wahrend des II. Weltkriegs war die Karte ausgelagert, war nach dem Kriege 
bis in die 1970er Jahre in der Westdeutschen Bibliothek in Marburg einzusehen 
und kam nach dem Neubau der Staatsbibliothek im Westen der Stadt nach Berlin 
zuriick. 

Das zweite, urspriinglich hannoversche und 1812 nach Paris ausgelieferte Origi- 
nal dagegen ist verschollen. Ob die Karte nach einer ersten Kopierung 1803 durch 
franzosische Beamte wiedernach Hannover zuriickgelangte, ob sie in derZeit des 
„Konigreichs Westphalen" nach Kassel gelangte und dort verloren ging, ob Napo- 
leon die Karte 1812 in Paris lieB oder mit sich auf den Feldzug nach Russland 



26 Schnath 1934/1968, wie Anm. 2, S. 271; Nach Schnath 1963, wie Anm. 2, S. 102 
Anm. 5 besitzt das Britische Museum in London noch eine 1826 anlasslich der Abgabe des 
Originals gefertigt Kopie der Karte, die aber in der British Library nicht verzeichnet ist und 
auch nicht zu dem oben zitierten Entnahmevermerk passen will. Sollte sie im Museum ver- 
blieben und nicht in die Bibliothek gekommen sein? 

27 Schnath 1931, wie Anm. 2, S. 44-45. Er schildert sehr anschaulich die zeitgeschichtli- 
chen Umstande und die versaumte Auslagerung der Karten vor der Konvention von Suhlin- 
gen im Mai 1803, die zur Okkupation Hannovers durch die franzosischen Truppen fuhrte. 

28 Schnath 1931, wie Anm. 2, S. 45. 



340 Wolfgang Dorfler 

nahm, wo sie dann bei St. Petersburg verbrannte (wie die franzosische Seite es be- 
reits 1814 behauptete), ist nicht geklart. 29 In Paris sah Schnath 1935 einige Karten 
dieses Inhalts, ohne aber aus der Erinnerung spater noch sagen zu konnen, ob es 
sich dabei um Blatter des verschollenen Originals der hannoverschen Karte ge- 
handelt hat. 30 Imjahr 1941 wurden von den deutschen Besatzern in Paris alle er- 
reichbaren historischen Karten des Reichsgebietes rekonfisziert, die 130Jahre zu- 
vor zur Zeit der franzosischen Landesherrschaft nach Paris gelangt waren. 31 Es 
scheinen dies aber beziiglich der kurhannoverschen Karte nur einige Ausschnitts- 
kopien fiir die Amter und Durchzeichnungen der Originalkarte auf Olpapier ge- 
wesen zu sein. Sie kamen nach Potsdam, wo die Karten zur Riickverteilung an die 
regionalen Archive vorbereitet gewesen seien, als 1945 in den letzten Kriegstagen 
die Archivspeicher des Reichs- und Heeresarchivs niederbrannten, wie Schnath 
berichtete, der Zeuge dieser Ereignisse wurde. 32 Was aber genau dort verbrannte, 
ist nicht bekannt, da ja z.B. die alten Amtskopien Rotenburgs in zwei Ausfertigun- 
gen in Stade vorhanden sind. Sie waren entweder nie konfisziert oder schon vor 
dem Brand von Potsdam aus weiter gegeben worden. 33 Die Originale des hanno- 
verschen Exemplars scheinen 1 94 1 jedenfalls nicht mehr in Paris gewesen zu sein, 
so dass sie auch nicht unter den 1945 in Potsdam verbrannten waren. 34 

Die Kopie von 39 Planchen fiir die Regierung in Stade 

Im Friihjahr 1783 trat die Stader Regierung an die Geheimen Rate in Hannover 
heran, um eine Kopie der Karte fiir ihren Bereich zu erlangen. Die konigliche Be- 
willigung fiir die Anfertigung erfolgte prompt unter dem Datum des 26. 5. 1783. 35 
Die Ausfertigung zog sich wegen Arbeitsiiberlastung der Vermessungsoffiziere al- 
lerdings zweieinhalb Jahre hin. Im Oktober des Jahres 1785 wurden Kopien der 
39 Kartenblatter der Landesaufnahme im OriginalmaBstab fiir den Bereich der 



29 Schnath 1931, wie Anm. 2, S. 44-45, und 1968, S. 272-273. 

30 Schnath 1968, wie Anm. 2, S. 273. 

31 Schnath 1968, wie Anm. 2, S. 273. 

32 Schnath 1968, wie Anm. 2, S. 274. 

33 Im StA Stade ist als Rep 80 Nr. 3848 (fruher Rep 80 A Tit. 1 Nr. 12) eine Akte Die in das 
Depot general de la direction des ponts et chaussees zu Paris gerathenen und von da zuriick zu hoffenden 
Charten, Plane, Risse und dhnliche die Hannoverschen Provinzen betreffende Actenstucke verzeichnet. 
Sie enthalt aber keine Nachrichten beziiglich der Exemplare des hier besprochenen Karten- 
werks. 

34 Dass Engel, wie Anm. 2, S. 22-23, und andere Autoren es vorzogen, 1945 in Potsdam 
das Original der Karte verbrennen zu lassen, hangt vielleicht auch damit zusammen, dass die- 
ses die anruhrendere bzw. dramatischere Version der Geschichte ist. 

35 Uberliefert im Schreiben der Geheime Rate in Hannover an Regierung in Stade vom 
27. 6. 1783. StA Stade Rep 40 Nr. 436. 



Kurhannoversche Landesvermessung im Elbe-Weser-Dreieck 341 

spateren Landdrostei Stade, deren Gebiet dem der ehemaligen Herzogtiimer 
Bremen und Verden entsprach, der „Koniglichen Regierung zu Stade" iiberge- 
ben. 36 Dazu kam als Nr. 40 ein von du Plat neu erstelltes Ubersichtsblatt iiber die 
Anordnung und Nummerierung der Teilkarten. 

Die 39 Planchen sind zum groBen Teil erhalten und haben ebenfalls ein beweg- 
tes Schicksal hinter sich. Sie waren im Juni 1806 an PreuBen (nach Berlin oder 
Potsdam?) ausgeliefert worden und erst nach vielen Anfragen zum Ende desjah- 
res nach Stade zuriickgekehrt. Die undatierte handschriftliche Aktennotiz lautet: 
und sind die sehr beschddigt zuriickgekommenen Planchen in den dafiir bestimmten Schrank 
gelegt. Sie wurden in der Folge restauriert und scheinen die folgenden Jahre der 
westfalisch-franzosischen Landesherrschaft in Stade unberiihrt iiberstanden zu 
haben. Bei einer Revision am 27. Mai des Jahres 1810 waren sie dort vollstandig 
vorhanden. 37 Vierjahre spater aber waren die 39 Blatter von der General Landes Ver- 
messungs Charte nicht mehr in Stade. Die Beamten berichteten, dass die Karten 
iiberliefert worden und von diesen Commissarien mit nach Cassel eingesandt, ohne dafi wir 
von deren nachmaligen Schicksal irgend etwas Weiteres erfahren haben. 3& Zwei Wochen 
spater teilten die Geheim-Rdthe in Hannover der Provisorischen Regierungs Commissi- 
on zu Stade mit, dass die reclamierten 39. Blatter wenigstens grofitentheils wieder an Ko- 
nigliche Cammer zuriickgeliefert worden sind, welche nach Stade hingehdrigen Blatter ilber- 
liefern wird. 39 Dies geschah tatsachlich wenige Tage spater, so dass die 39 Blatter 
Anfang April 1814 wieder in Stade eintrafen. 40 Die voriibergehende Ausleihe der 
Karten nach Kassel an den Regierungssitz des Konigreichs Westfalen unter Je- 
rome Bonaparte hat die Karten dem direkten Zugriff der franzosischen Zentralre- 
gierung entzogen und ihnen also gut getan. 

Nach der Auflosung des alten Stader Archivs in den 1860erjahren kam en die 
Karten nach Hannover. Sie gelangten aberbei derNeugriindung des Staatsarchivs 
in Stade im Jahre 1959 nicht wieder dorthin zuriick, sondern verblieben im Haupt- 
staatsarchiv. 41 Die von du Plat gezeichnete, zu den Planchen gehorige Ubersichts- 
karte, die die Geographie mit den Hauptorten und Fliissen zeigt und auf der die 
Planchen mit Nummern versehen eingezeichnet sind, befindet sich in Stade. 42 Aus 



36 Geheime Rate in Hannover an Regierung in Stade vom 31. 10. 1785. StA Stade Rep 40 
Nr. 436. 

37 StA Stade Rep 80 Nr. 4713, (unpaginiert) 1. Blatt der Akte. 

38 StA Stade Rep 80 Nr. 4713, vom 10. 3. 1814. 

39 StA Stade Rep 80 Nr. 4713, Eingangs-Nr. 4816 vom 26. 3. 1814. 

40 StA Stade Rep 80 Nr. 4713, Eingangs-Nr. 5025 vom 29. 3. 1814: die 39. bis 40. Blat, wel- 
che Wir uns hierbei zu iibermitteln beehren.; Eingangsvermerk in Stade: „3. 4. 1814". 

41 Engel, wie Anm. 2, S. 23-24. Dort auch ein Bericht (ohne Signaturangabe) iiber jiinge- 
re Kopien der das iibrige Niedersachsen betreffenden Blatter. 

42 StA Stade Karte 40 / 85 pm. 



342 Wolfgang Dorfler 

den Ubersichtsplanen ist zu ersehen, dass seit der Anfertigung der Karten die 
Nummerierung mehrmals gewechselt hat, so dass die alteren Nummem nicht mit 
einer zwischenzeitlich vorgenommenen und auch nicht der heutigen iiberein- 
stimmt und wiederum nicht mit der jetzigen Archivsignatur im Hauptstaatsarchiv. 
Das Blatt Verden hat bei du Plat die Nr. 39, bei einer spater gefertigten Ubersichts- 
karte die Nr. 40 43 und heute in der Reproduktionsreihe die Nr. 43 erhalten. In der 
Mappe 101 im Hauptstaatsarchiv ist es unter der Nr. 19 zu finden. 

Heute fehlen von den urspriinglichen 39 fur Stade gefertigten Planchen nur 
zwei, 44 und von einigen sind Doubletten vorhanden. Sie wurden entweder als Er- 
ganzung beschadigter Exemplare hergestellt oder als Kopien fiir andere Institutio- 
nen gefertigt, welche sie spater zuriickgaben. Einzelne der Karten (z.B. Nr. 14 Hor- 
neburg) tragen den Stempel „Konigliche Wasserbauinspection", weil sie dorthin 
ausgeliehen waren, aber spater nach Stade zuriickgelangten. 45 Die Nachricht bei 
Schnath, dass diese Karten in einem schlechten Erhaltungszustand seien, trifft nur 
furwenige der Blatter zu. Ansonsten ist es die von den Originalhanden gezeichne- 
te, sehr qualitatvolle Drittausfertigung der Karte, die als zusatzliche Information 
noch die Stellenzahlen der Dorfer liefert. Fiir Untersuchungen, die die Herzogtii- 
mer Bremen und Verden betreffen, macht ihr Vorhandensein den Weg nach Ber- 
lin iiberfliissig. 

Die Militarkarte und die Generalkarte 

Von der Kurhannoverschen Landesaufnahme wurden - was in derLandeskunde 
bisher nicht genutzt wurde - bereits bald nach der Fertigstellung verkleinerte Ex- 
emplare gefertigt, die als Militar- bzw. Generalkarte bezeichnet werden. 46 Sie 
weisen gegeniiber dem OriginalmaBstab von 1:21.333 Vs einen solchen von 
1 : 64.000 (1775-1779) und 1 : 192.000 (1787) auf. Die neue Generalkarte ist, weil sie 
durch Reduktion der Landesaufnahme entstanden ist, qualitatvoller als die vor- 
ausgehende Hogrewesche Karte von 1765/66. Auch von den verkleinerten Kar- 
ten sind mindestens zwei Exemplare gefertigt worden, wobei die „Urausfertigun- 
gen" in London liegen sollen. Ein Exemplar der Generalkarte liegt im Haupt- 
staatsarchiv Hannover. 47 Schnath fand erst 1968 auch von der Militarkarte ein 



43 StA Stade Karte 40 / 84 pm. 

44 HStA Harm. Karten Mappe 100 Nr. 1-23 und Mappe 101 Nr. 1-25. Es fehlen fiir den 
Bereich der ehemaligen Herzogtiimer Bremen und Verden und des Landes Hadeln nur die 
Planchen Nr. 1/2 und 7. 

45 Briefwechsel dazu in StA Stade Rep 80 Nr. 4713 fiir das Jahr 1845. 

46 Kleinn, wie Anm. 2, S. 62-63; Pertsch, wie Anm. 2, S. 139 und S. 141. 

47 Kleinn, wie Anm. 2, S. 62-63; HStA Hannover Karten 1 / 62g, alle vier Blatter sind 
hier zu einer groBformatigen Karte montiert. 



Kurhannoversche Landesvermessung im Elbe-Weser-Dreieck 343 

Exemplar in Deutschland, und zwar in der Wehrbereichsbibliothek II in Hanno- 
ver, wohin sie auf verschlungenen Wegen aus dem Besitz des Herzogs Adolf 
Friedrich von Cambridge gekommen war. 48 Die Stempelungen dokumentieren 
die verschiedenen Aufbewahrungsorte. Im Jahre 2003 wurde die Wehrbereichs- 
bibliothek aufgelost, und die Karte gelangte in die Landesbibliothek Hannover. 49 
Dort sind die 35 Einzelblatter als Faltkarten in den fiinf Original-Lederkartons 
des 18. Jahrhunderts erhalten. 50 Bremen & Verden ist in sieben Blattern angelegt, 
Grubenhagen &Harz'm fiinf, Calenbergm sechs, Hoja & Diepholtz'm vier und Liine- 
burg & Lauenburgin 13 Blattern. Fur den Bereich der Herzogtiimer Bremen und 
Verden sind die sieben Karten mit Otterndorf, Wischhaven, Bremervoerde, Stade, 
Bremen, Rothenburgund Ferrferaiiberschrieben.Das Gesamtwerkistbis auf die Kar- 
te Liibecks vollstandig vorhanden, allerdings sind zwei der Karten nur zu etwa 
zwei Dritteln fertiggestellt worden. sl Alle Planchen wurden je nach primarer 
GroBe in 6 bis 16 Teile zerlegt und die Teile mit wenigen Millimeter Abstand auf 
Leinen aufgezogen, um eine Faltbarkeit zu erreichen. Dadurch sind viele Be- 
schriftungen zerschnitten, und die Karte eignet sich wenig gut zur Reproduktion. 
Auch sind mit erschreckend schlechter Handschrift auf vielen der Planchen im 
19. Jahrhundert Nachtrage angebracht worden, die die Schonheit und Feinheit 
der alten Zeichnung und Kolorierung storen. 52 

Die Suche nach den Karten in London 

Schnath, Jager, GroBmann, Engel und Pertsch haben auf die Exemplare der ver- 
kleinerten Karten im British Museum bzw. der aus ihm hervorgegangenen British 
Library hingewiesen, aberbei keinem der Autoren findet sich eine Signaturwie- 
dergegeben, die zum Auffinden geeignet war. Bei den schon oben erwahnten 
Vorlauferkarten sind solche Hinweise sehr wohl gegeben worden, und zwei der 
Arbeiten (Jager und Pertsch) hatten sich j a die ErschlieBung von Karten aus die- 
ser Bibliothek fur die Regionalforschung in Deutschland zur Aufgabe gestellt, so 



48 Schnath 1968, wie Anm. 2, S. 275. 

49 Heutige Signatur LB Hannover Karte WWB K 95-1 bis K 95-5. 

50 Entgegen der Mitteilung bei Schnath (1968 Nachtrag, wie Anm. 2, S. 275) ist aber die 
Karte K 95-3,3 mit der Landeshauptstadt Hannover wieder vorhanden. Sie ist allerdings als 
einzige mit einem dunkelblauen und starker verschlissenen Seidenband gefasst. Bei alien an- 
deren Karten sind die Kanten mit hellblauem Seidenband verstarkt. 

51 Z.B. K 95-2,1 der Bereich um Holzminden. Man sieht hier schon die Zeichentechnik, 
die in einer primaren Strichzeichnung besteht, welche in einem zweiten Arbeitsgang kolo- 
riert wurde. 

52 Auf der Karte K 95-5,6 findet sich bei Voltzendorf (westl. des Arentsees) ein Preujii- 
sches Forsthaus, zu dem der Nachtrag gehort: 1818 abgebrochen, der ein datum post quern fur 
den Nachtrag" liefert. 



344 Wolfgang Dorfler 

dass das Fehlen der Signaturen besonders verwundert. Uber die Findmittel der 
Bibliothek gelang auch mir ein Auffinden nicht, denn weder sind in der Samm- 
lung der Mikrofiches noch in dem alten Findbuch oder dem computerisierten 
Katalog (der auch iiber das Internet einzusehen ist) verwertbare Hinweise enthal- 
ten. Ich vermute daher, dass die meisten der Autoren - vielleicht sogar alle - die 
Karten in London nicht gesehen haben. 53 Der gelaufige Hinweis „Map K. Top. 
99. 29. 1." fur die altere Generalkarte fiihrt nur zu einem handgeschriebenen 
Blattmit dem Text: Geographische Lage samtlicher Lander Sr.Konigl. Maiestet von Gros 
Brittannien welche nach ihren Hauptabtheilungen bestehen in den Herzogtiimern Bremen 
etc. samtlicher grosser Post-Strassen aus vielen Carten so zum Theil Topographisch vermes- 
sen zusammen getragen und mit zu ziehung anderer Nachrichten aufdas sorgfdltigste ver- 
bessert und verfertiget imjahre 1765 und 1766 von J. A. Hogrewe Ingenieur Lieutnant. 
Hannover Cases Vol. VI 6 Table. Es handelt sich also nur um einen Vermerk, aber 
nicht um die Karten selbst. Fur die neuere der Generalkarten ist die gleiche Situa- 
tion zu konstatieren, weil sich auch die Signatur K. Top. 99. 29. 3. nur auf ein 
Schriftstiick und nicht auf eine Karte bezieht. Der Text lautet: Geographische Char- 
te samtlicher Seiner Koniglichen Majestaet von Gros Britannien Churfurstlich Braun- 
schweig-Luneburgischen Erb Lande aus denen durch Officiers Allerhochst Ihro Ingenieurs 
Corps von 1764 bis 1786 angestellten topographischen Vemessung zusammen getragen ex- 
trahiret aus den Broillons des Landes Vermessung von dem Ing" Hahndrich Kahle und co- 
piiret von ihm Hahndr. Iffland und Conductor Sullow. Hannover den 3 ten April 1787 G.J. 
du Plat 4 blettern drawn. Hannover Cases Vol VI 6 Table. Fur die Militarkarte fand 
sich noch nicht einmal ein solcher Vermerk. 

Der Wissenschaftler, derbei meinem Besuch in London den Kartenlesesaal be- 
treute, hatte nach eigenem Bekunden selbst iiber Bremen und Verden gearbeitet 
und erinnerte sich noch an die Kommunikation mit Georg Schnath. Ihm gelang 
nach zahem Bemiihen das Auffinden einer als „Map 6 Tab 33" bezeichneten Sam- 
melablage von ca. 50 Kartenblattern. Die Karten sind samtlich in den Findmitteln 
nicht unter dieser "press mark" verzeichnet. Es handelt sich bei „6 Tab 33" um ei- 
nen ca. 70x50 cm groBen Holzkasten mit Resten eines Schlosses, der auBerlich 
wie ein Buch mit Buchriicken und Deckeln gestaltet ist. Die Beschriftung lautet 
Topographais Charte von dem Churfurstent. Hannover &.c. Vol. VI Der Biblothekswis- 
senschaftlerha.lt es fiir das Originalbehaltnis aus dem Ende des 18. Jahrhunderts, 
in dem die Karten unter Georg III. in London gesammelt worden waren. Dort fin- 

53 Manchmal finden sich allerdings Schilderungen, die eine In-Augen-Nahme suggerie- 
ren, wie etwa bei Grossmann, wie Anm. 2, S. 21: Nach der topographischen Karte wurde die soge- 
nannte Militdtkarte 7 : 64 000 gefertigt, die ebenfalls ganzungewbhnliche zeichnerische Qualitaten auf- 
weist. Schnath 1931, wie Anm. 2, S. S. 47-49, bietet die ausfiihrlichste Beschreibung des In 
halts der Miltarkarte und merkt an, dass sich seine Beschreibung des Londoner Exemplars 
auf Auskunfte aus der dortigen Bibliothek griinden. 



Kurhannoversche Landesvermessung im Elbe-Weser-Dreieck 345 




Militdrkarte von 1784, die als Verkleinerung aus der kurhannoverschen Landesaufnahme gefertigt 

wurde (Ausschnitt aus British Library London, Map 6 Tab 33, 99. 51-2f). 

Gezeigt wird das zwischen den Herzogtiimern Bremen und Verden 

strittige Gebiet im Norden des Amtes Rotenburg. 



346 Wolfgang Dorfler 

den sich die folgenden Karten: 1. Die auf das ganze Gebiet bezogenen Karte in 
vier Blatt, welche Hogrewe 1765/66 gefertigt hatte. Sie ist als Hanover Cases Vol. 6 
beschriftet und tragt die Nummern 99. 29-la bis 99. 29-ld. Die vier Einzelblatter 
sind mit griinem Seidenband eingefasst und mit kleinen Messingosen versehen, 
an denen die Blatter aufgehangt werden konnten. 2. Die von du Plat 1787 gefertig- 
te Generalkarte, die die Nummern 99. 29-3a bis 99. 29-3d tragt; sie umfasst vier 
Blatter von groBerem Format und ist an der Einfassung mit violettem Seidenband 
zu erkennen. 3. Das Gebiet der Herzogtiimer Bremen und Verden mit der Signa- 
tur 99. 51-2a bis 99. 51-2g auf sieben Blatt im kleinsten derreduzierten Ma6sta.be, 
namlich 1:64 000; es ist dies die Militarkarte. Weitere Blatter dieses MaBstabes 
decken auch eine Reihe der anderen Regionen der Landesaufnahme ab (99. 47a 
bis 47d fur Hoya und Diepholz und 100. 7-2a bis 100. 7-21 fur Liineburg). 54 Der 
Rest der Karten in der Ablage „Map 6 Tab 33" bezieht sich mit zahlreichen Exem- 
plaren auf die Planung einer WasserstraBe in der Heide bei Winsen. Diese letzten 
Karten sind von keinem der Voruntersucher erwahnt worden, was meinen 
Verdacht bestarkt, dass diese ganze Sammlung ihnen nicht vorgelegt worden ist. 

Der Wert dieser in sehr ansprechender Weise gezeichneten Karte liegt einmal 
in ihrem iibersichtlichem MaBstab; neun Planchen des Originalkarte sind auf ei- 
nem Blatt der Militarkarte zusammengefasst. Weiter ist sie nach Regionen ge- 
zeichnet, so dass ein geschlossenes Bild entsteht und natiirlich eine groBere An- 
zahl von Karten, als bei einer einfachen Teilung durch neun resultiert hatte. 
SchlieBlich sind in ihr Gebiete aufgenommen, die im OriginalmaBstab nicht vor- 
liegen, da sie zur Zeit der ersten Landesaufnahme noch nicht zu Kurhannover 
zahlten. 55 Die Abbildung zeigt als Ausschnitt das Gebiet der strittigen Grenzen 
zwischen den Herzogtumern Bremen und Verden im Amt Rotenburg auf dem 
Londoner Exemplar der Militarkarte. 

Die Amtskopien 

Von einigen der alteren Nordniedersachsen betreffenden Exemplare derKurhan- 
noverschen Landesaufnahme haben sich friihe Kopien in Form der Amterkarten 
im MaBstab der Originale erhalten. Das Vorhandensein der Kopien scheintin der 
regionalen Forschung unbekannt zu sein, da diese in der Vergangenheit weder er- 
wahnt noch beniitzt wurden; die vielen Nachdrucke von Kartenausziigen gehen 
alle auf das in Berlin liegende Kartenwerk zuriick. Im Staatsarchiv Stade sind zwei 



54 Ich habe bei meinem Besuch in London die Militarkarte leider nicht auf Vollstandig- 
keit aller 35 Blatter gepriift; das Blatt Liibeck scheint aber entgegen der Angabe Schnaths 
(1931 wie Anm. 2, S. 49) auch hier zu fehlen. 

55 Die Einzelheiten sind bei Schnath 1931, wie Anm. 2, S. 47-48, nachzulesen. 



Kurhannoversche Landesvermessung im Elbe-Weser-Dreieck 347 

Serien von Karten vorhanden, die das Amt Rotenburg inselformig darstellen. 
Die altere Kopie von 1791 war in neun Blatt angelegt, von denen allerdings drei 
schon seit 1854 nicht mehr vorhanden sind. 56 Die zweite Serie, die 1801 kopiert 
wurde, ist in nur sechs Blatt angelegt und vollstandig vorhanden. 57 Das Bild aller 
Karten ist, soweit ich es an Stichproben ermittelt habe, identisch. Die Anderun- 
gen in der Siedlungsstruktur usw. in den Jahrzehnten zwischen AufmaBtatigkeit 
und Kopie blieben wie auch schon bei der Kopie der 39 Planchen fur die kurhan- 
noversche Regierung in Stade von 1 785 unberiicksichtigt. Seinerzeit hatte du Plat 
in einem Begleitschreiben zur Kartenkopie dies schon bedauernd angemerkt. 58 
Es sind allerdings haufig erganzende Beschriftungen an den Siedlungen ange- 
bracht, die den Stand der Hofezahlen (wahrscheinlich zum Zeitpunkt der Kopier- 
tatigkeit) wiedergeben. Diese Zahlen lassen sich nicht mit dem Original der Karte 
vergleichen, da hier bei den altesten „Planchen" (vor 1772) die Stellenzahlen bei 
den Dorfern fehlen. 59 Die Amtskopien sind von besonderem Wert, wenn man ei- 
ne Reproduktion im Rahmen einer Grenzuntersuchung oder zur Darstellung der 
Flachen eines einzelnen Amtes wiedergeben mochte. Sie haben namlich den 
Vorteil, dass sie als „Inselkarten" Grenzen betonen und so auch bei der unum- 
ganglichen Verkleinerung die Verhaltnisse noch einigermaBen deutlich erken- 
nen lassen. 

Die Karte - ein Staatsgeheimnis? 

Ein interessanterund viel zitierter Aspekt der Karte ist ihr Status als Staatsgeheim- 
nis. Diese These erhoht noch heute die Aura der Karte und ist bis in die jiingere 
Vergangenheit von alien Autoren iibernommen worden. 60 Erstmals Bauer hat 
1993 auch mit dieserLegende aufgeraumt, so dass Schubert 1999 schreiben konn- 
te: Es war eine der grojien Leistungen des (. . .) hannoverschen Kurstaates, daji er seine 
(. . .) Landesaufnahme dffentlich zugdnglich machte. 61 Wagner hatte die Geheimnis- 
These begriindet. Er schrieb: Noch weniger liefi der noch allgemein herrschende Grund- 



56 StA Stade Karten 41 1 / 13 bisl8; es fehlen die ostlichen drei Blatter. Die Geschichte 
des Verlustes urn 1850 ist in StA Stade Rep 80 Nr. 4713 Eingangs-Nr. 3699 vom 12. 4. 1859 
beschrieben. 

57 StA Stade Karten 411/7 bis 12. 

58 StA Stade Rep 40 Nr. 436 (Akten-Nr. 14, Eingang-Nr. 140), du Plat an Regierung in 
Stade vom 18. 10. 1785: Nur schade ist es, dafi die seith derZeit dervon denjahren 1764bis 1769 ge- 
schehenen Landes Vermessung vorgenommenen Local Verdnderungen (. . .) nicht in diese reinen Plan- 
chen haben mit konnen eingetragen werden. 

59 Schnath 1985, wie Anm. 2, S. 104. 

60 Z.B. Engel, wie Anm. 2, S. 17. 

61 Schubert, Ernst: Normen und Rahmenbedingungen des Alltagslebens nach dem 
DreiBigjahrigen Krieg. In: Concilium medii aevi 2 (1999), S. 71-104, hier S. 79. 



348 Wolfgang Dorfler 

satz, jede genauere Aufnahme eines Stiickes des Staatsgebietes ah sorgfaltigzu bewahrendes 
Staatsgeheimnis zu betrachten, den Gedanken an eine Vervielfaltigung aufkommen. 62 
Schnath hat am intensivsten diese These verbreitet; er zitierte zwei Belegstellen: 
Ah GrafSchmettau um die Einsicht in einige hannoversche Karten von Lauenburg und Lii- 
neburgbat, (. . .) wurde ihm kein Einblick gewahrt. Ein Amtmann, der 1798 dem bei ihm 
einquartierten Prinzen Louis Ferdinand von Preufen seine Amtskarte gezeigt hatte, wurde 
mit einem schweren Verweis und der Entziehung der Karte bestraft! 63 Weiter berichtet 
Schnath, dass (im Rahmen der im Mai 1787 gefiihrten Diskussion um eine Ver- 
vielfaltigung der Generalkarte) der Konig iiberhaupt aufs neue alien Amtsstellen die 
unbedingte Geheimhaltung der ihnen anvertrauten Originale und Kopien aller drei Aus- 
fiihrungen des Kartenwerks zur unverbriichlichen Pflicht gemacht habe. 

Mehr Quellenmaterial ist bisher in der Literatur nicht geboten worden, um „den 
herrschender Grundsatz" oder den konkreten Umgang damit zu belegen. Fur die 
Grenzverhandlungen zwischen den Herzogtiimern Bremen und Verden wurde 
bereits 1775 die erste Kopie dernurfiinf Jahre zuvor fertiggestellten Karte gezogen 
und reihum zwischen alien beteiligten Verwaltungen hin und her geschickt, ohne 
dass in der Korrespondenz ein Hinweis auf die Geheimhaltungspflicht enthalten 
ware. 64 In den jiingeren Korrespondenzen sind weitere Kopien fur die Grenzbe- 
lange verzeichnet, die verschickt und auch erneut kopiert wurden. Diese Art des 
Umgangs wie auch die umfangreichen Kopien aus denjahren 1785, 1791, 1801 
und 1826 lieBen auch mich an der These vom strengen Amts- und Militargeheim- 
nis des Kartenwerks zweifeln bzw. nach einer zeitlichen Eingrenzung dieser Aus- 
sage suchen. Die Akten der StaderRegierung aus dem Ende des 18. Jahrhunderts 
geben hier nahere Auskunft. Die schon oben in ihrer Entstehung benannte Kopie 
der Karte aus demjahr 1785 lieBen die Geheimen Rate in Hannover in dem hierbei 
gehenden Kastchen, wozu voir den Schliissel anschliejien, den Herren Collegen und den Her- 
ren unter der Bemerkung zugehen, daft Seine [r] Koniglichen Majestat hochsten Befehl es ge- 
maJS sei, daft sothane Vermessungs-Planchen sorgfaltigst verwahret und geheim gehalten 
werden. 65 Man beachte die Reihenfolge: im Vordergrund steht die sorgfaltig Ver- 
wahrung der unter groBem Aufwand hergestellten Kopie, dann wird an die Ge- 
heimhaltung erinnert. 

Als der Moorkommissar Friedrich Findorff 1794 eine neue Karte der Moorge- 
biete um Osterholz anfertigen wollte, bat in seinem Namen der Amtmann in 
Osterholz nicht nurum die Benutzung, sondern schon um die Zusendung derKar- 



62 Wagner, wie Anm. 2, S. 7; eine Quelle oder Belege fur seine Ansicht liefert er nicht. 

63 Schnath 1934/1968, wie Anm. 2, S. 270. Inhaltlich konkreter sind die Ereignisse ge- 
schildert bei Ders. 1931, wie Anm. 2, S. 43. 

64 Dorfler, wie Anm. 1, S. 617 f. 

65 StA Stade Rep 40 Nr. 436 (Akten-Nr. 15, Eingangs-Nr. 56), an Regierung in Stade vom 
31. 10. 1785 



Kurhannoversche Landesvermessung im Elbe-Weser-Dreieck 349 

ten. Alle drei in Stade zu dem Thema Notizen verfassenden Beamten stimmten 
dem zu. Einer von ihnen notierte: Gegen die Verabfolgung alter Charten, die in der Re - 
gistratur seien sollen, habe ich (. . .) kein Bedenkens. 66 Findorffs Karte erschien 1 795 
unter dem Titel: General-Charte der in den Herzoglich Bremen und Verdenschen Aemtern 
und Gerichten Ottersberg, Osterholz, Lilienthal, Bremervorde & c. belegenen Moore und der 
seit 7 750 darin angelegten Colonien; samt den zur Verbindung der Hamme, Oste und 
Schwinge-Fliisse vorgerichteten Schiff-Canalen und den Ausfliissen in die Weser und die El- 
be. 67 Nachdem die Karten also schon 1794 als „alte Karten" bezeichnet wurden 
und ihr Aufenthalt nicht einmal alien Beamten mehr gelaufig war, wird die Benut- 
zung eher durch den Informationsmangel als durch das Geheimhaltungsgebot 
eingeschrankt worden sein. Von einer Geheimhaltung kann fur meine Begriffe al- 
lenfalls bis in die 1780er Jahre gesprochen werden, wobei auch in dieser Zeit 
schon mancher Zweifel an der strengen Handhabung dieses Gebotes angebracht 
erscheint. Danach stand die Karte der Verwaltung auf alien Ebenen offen. 

Bei Schnath war 1934 (im tendenziellen Gegensatz zu seinen Schilderungen aus 
dem Jahr 1931) nicht nur Verstandnis, sondern fast so etwas wie Sympathie fur ei- 
ne Geheimhaltung herauszulesen, als er - ohne Quellenverweis - schrieb: Auch 
wenn nicht Wehrinteressen, sondern Verwaltungsaufgaben den ersten AnstoJS zu den Lan- 
desaufnahmen gegeben hatten, (. . .) blieben ihre Erzeugnisse doch wieder aus militdrischen 
Abwehrgrunden der Offentlichkeit unzuganglich. Nur mil grojier Behutsamkeit wurden 
(. . .) einzelne Kopien oder Extrakte angefertigt. Auch sie waren nur fur den Dienstgebrauch 
bestimmt und durften nicht dffentlich gezeigt, geschweige denn vervielfaltigt werden. Die 
Argumente konnen nicht iiberzeugen; das militarische Prinzip, die Geheimhal- 
tung auf alles mogliche bis hin zu Banalitaten auszuweiten, wird hier assoziativ auf 
das Kartenwerk verlangert, denn was war innerhalb der Behorden um 1780 schon 
fur etwas anderes als den Dienstgebrauch bestimmt, was wurde von den Beamten 
offentlich gezeigt, und wie sollte man mit den Mitteln des 18. Jahrhunderts eine 
am Ende mit 165 Blatt a 60 x 90 cm also fast 90 m 2 groBe Karte vervielfaltigen? 68 
Auch die „gro6e Behutsamkeit" bei der Kopiertatigkeit ist fiir mich aus den Korre- 

66 StA Stade Rep 40 Nr. 436, anonyme handschriftlich Notizen zu einer Anfrage des 
Osterholzer Amtmannes vom 9. 12. 1794. 

67 British Library St. Pankras Maps K.Top. 99.52. 

68 Wagner, wie Anm. 2, S. 3, diskutierte trotz der von ihm akzeptierten Geheimhaltungs- 
maxime die Kosten und technischen Moglichkeiten (Kupferstich) , die einer friiheren Verviel- 
faltigung im Wege standen. Ob es zeitgenossisch bereits ein Interesse an der Karte gegeben 
hatte, diskutierte er nicht. Seit 1920 erschienen erste photomechanisch verkleinerte Kopien 
der Karte, zwischen 1959-1963 die wenig verkleinerten, alle Blatter umfassende sw-Kopie 
und seit den 1970er die bis heute noch nicht abgeschlossene Serie der farbigen Reproduktio- 
nen. Die im MaBstab reduzierten alten General- und Militarkarten wurde bisher nicht verof- 
fentlicht, obwohl gerade die Militarkarte durch ihre zeichnerische Brillianz und den darge- 
stellten groBeren Ausschnitt des Landes dies wiinschenswert macht. 



350 Wolfgang Dorfler 

spondenzen nicht herauszulesen; deren Genehmigung erfolgte prompt, aber die 
ebenso ziigige Verwirklichung scheiterte an der Arbeitsbelastung der Offiziere 
durch die gleichzeitige Anfertigung neuer AufmaBe und nicht an Erwagungen ei- 
ner etwa zu breiten Zuganglichkeit des Kartenwerks, die man in dieser Situation 
ja gut hatte vorschieben konnen. 

Natiirlich hat man einen militarischen Gegner oder einen landesfremden Offi- 
zier nicht freimiitig mit der Karte versorgt, aber die exakten Kopien der Planchen 
waren in recht groBer Zahl auch fur die mittlere und untere Ebene der Verwaltung 
gefertigt worden und standen damit nicht mehr unter militarischer Aufsicht, was 
man beim Anfertigen der Kopien bereits gewusst und beriicksichtigt haben muss. 
Dazu kommt, dass die Karte selbst fur militarische Zwecke denkbar ungeeignet 
war, da die groBen Einzelblatter unhandlich waren und auf einem Freiluftunter- 
nehmen, wie es die militarische Tatigkeit traditionell war, schlecht mitzufuhren 
und zu benutzen gewesen waren. 69 Folglich hat sich das Militar dann ja auch seine 
verkleinerten Kopien geschaffen. Bei dem hannoverschen Exemplar der „Militar- 
karte" sind die Einzelblatter konsequenterweise sekundar auBerdem in Faltkarten 
verwandelt worden. Fiir diese Ausgabe der Kurhannoverschen Karte im MaBstab 
1 : 64.000 ist ein Entzug aus der offentliche Nutzung sowohl in London (durch die 
mangelnden Findmittel-Nachweise) als auch in Hannover (durch die langjahrige 
Aufbewahrung in einer nichtoffentlichen Militarbibliothek) bis heute nachemp- 
findbar. 

Die Nutzung der Karte im spdten 18. und im 19.Jahrhundert 

Die Verwaltungen haben sich schon seit dem Ende des 18. Jahrhunderts rational 
um ihre Aufgaben und deren Losung gekiimmert und die Karte, wo sie helfen 
konnte, nach nur noch formalen kurzen Absicherungsdiskussionen nutzbar ge- 
macht. 

Ab 1815 wurden die Planchen der Karte von der Regierung in Stade auf Anfor- 
derung reihum an die Amter, Gerichte und anderen Institutionen ausgeliehen, 
wobei einzelne Exemplare verloren gingen. GroBe Amter wie Rotenburg besaBen 
seit 1791 auch bereits eigene Kopien. 1826, nachdem Hannover wieder mit der aus 
London beigebrachten Gesamtkarte versorgt war, hatte das Ministerium in 
Hannover iiber die Landdrostei in Stade bei den Amtern anfragen lassen, wo Ex- 
emplare der Karte vorhanden seien und wo nicht. Achim hatte die Anfrage wohl 
falsch verstanden und seinerzeit sein Exemplar nach Stade geschickt mit der Be- 



69 Dies war auch das Argument Schnaths, um die franzosischen Angaben anzuzweifeln, 
dass Napoleon das hannoversche Exemplar der Karte auf seinem Russlandfeldzug mitgefuhrt 
habe, wo es dann verbrannt sei. 



Kurhannoversche Landesvermessung im Elbe-Weser-Dreieck 351 

griindung: Fur unsere Zwecke ist er (der Plan) seiner Unvollstandigkeit halber nicht 
brauchbar. Alle nicht mit der Karte versorgten Amter und Gerichte sollten neue, 
um die aktuellen Grenzen korrigierte Karten erhalten; dazu wurde eine reger 
Schriftverkehr zwischen Hannover, Stade und den unteren Verwaltungseinhei- 
ten entfaltet. Im September 1828 erhielten die Amter Agathenburg wegen Alt- und 
Neu-Kloster, Himmelpforten, Neuhaus, Stotel, Wischhaven, die Gerichte Altes Land, 
Kehdingen Biitzfleh, Kehdingen Freiburg, Osten und das Land Wursten ihre neuen Kar- 
ten zugeschickt. 70 Von deren Verbleib allerdings ist mir nichts bekannt gewor- 
den. Allein das Blatt Kehdingen-Freiburg ist im Hauptstaatsarchiv Hannover 
heute zweimal vorhanden, so dass das 1826er Exemplar fur das dortige Gericht 
nach Stade zuriickgekommen sein konnte. 

Seit 1850 gait die Karte generell als so veraltet, dass Hannover die ganzliche 
Verteilung seiner Exemplare an die Landdrosteien plante. Dazu wurde eine prazi- 
se Vorschrift fur den Umgang damit erstellt und z.B. verfiigt, dafi etwaige Copien da- 
von nicht vermitteht Durchstechens des Papiers, sondern nur aufsolche Weise entnommen 
werden diirfen, bei welcher die Original- Charte vollig unbeschadet bleibt. In diesem 
Schreiben an die Landdrostei Stade ist die Ankiindigung der Kartenzuteilung 
aber kraftig rot durchgestrichen worden und die Randbemerkung gegeben: in der 
Registratur zuriickbehalten. 71 So blieb das Londoner Exemplar der Karte zusammen 
und wurde nach 1866 von Hannover an die siegreichen PreuBen ausgeliefert und 
von ihnen - gegen den Widerspruch des preuBischen Oberprasidenten 72 - nach 
Potsdam oder Berlin uberfiihrt. Nachdem ihr nur noch historischer Wert beige- 
messen wurde, kam sie 1919 an die Staatsbibliothek in Berlin, von dort voriiber- 
gehend nach Marburg und wieder nach Berlin zuriick, wie schon eingangs be- 
schrieben. 

Die Karte verbreitet noch heute einen lebendigen Eindruck und ruft tiefe Be- 
wunderung beim Betrachter hervor. Die kurhannoverschen Offiziere um du Plat 
und Hogrewe haben ein Werk von bleibendem kulturgeschichtlichen Wert ge- 
schaffen. Da ihr Blattschnitt schon damals groBe Teile des heutigen Niedersach- 
sens abdeckte, gehort fiir mich die Karte zu den Griindungsmythen unseres jun- 
gen Bundeslandes. Schnath versuchte sich und seine Leser mit den Worten zu tro- 
sten: Es sei oft bedauert worden, dass die Karte noch heute in Berlin liegt, was aber 
jetzt ertraglicher geworden ist, seitdem wir iiber gute fotografische Wiedergabe aller Blatter 
verfiigen. Ich finde, dass es eine gute Zeit ist, um noch einmal eine Riickfuhrung der 
Karte nach Hannover zu versuchen. 



70 StA Stade Rep 80 Nr. 4713, Ablage-Nr. 2174 vom 12. 2. 1831. 

71 StA Stade Rep 80 Nr. 4713, Ablage-Nr. 8610 vom 15. 7. 1853. 

72 Schnath 1931, wie Anm. 2, S. 45; Ders. 1985, wie Anm. 2, S. 103. 



FORSCHUNGSBERICHT 



Der Forschungsschwerpunkt 

„Geschichte des Berg- und Hiittenwesens im Harz 

in seinen wirtschaftlichen, sozialen, politischen 

und kulturellen Aspekten" 

Von Karl Heinrich Kaufhold 



I. 

Breit angelegte Forschungen zu groBeren geisteswissenschaftlichen Gegenstan- 
den, damit verrate ich den Lesern nichts Neues, sind aufwendig und in ihren Er- 
folgsaussichten meist unsicher. In einer Zeit, in der auch die Forschung zuneh- 
mend nach ihren unmittelbaren materiellen Ertragen bewertet wird, haben sie es 
schwer, gefordert zu werden. Eine erfreuliche Ausnahme davon bildete der vom 
Niedersachsischen Ministerium fur Wissenschaft und Kultur aus Mitteln des 
Niedersachsischen Vorabs der Volkswagen- Stiftung finanzierte, umfassend an- 
gelegte Forschungsschwerpunkt zum Thema der Harzer Montangeschichte mit 
Schwerpunkt in der friihen Neuzeit. Er wurde von 1997 bis 2001 fur den nieder- 
sachsischen Teil des Harzes durchgefiihrt. Ihm waren von 1992 bis 1995 vorberei- 
tende Studien zur ErschlieBung von Quellen und Literatur zum Thema, zur Erfas- 
sung der Standorte von Gruben und Hiitten sowie an einem Glossar zur berg- und 
hiittenmannischen Fachsprache des Harzes vorangegangen, die im damals von 
mir geleiteten Institut fiir Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Universitat Got- 
tingen bearbeitet wurden und iiber die ich in diesem Jahrbuch (Bd. 65, 1993, S. 
363-372) berichtet habe. Das Schwerpunktprogramm war an verschiedenen wis- 
senschaftlichen Einrichtungen in Bochum, Braunschweig, Clausthal-Zellerfeld, 
Gottingen, Goslar, Hannover und Salzgitter angesiedelt; koordiniert wurde es auf 
Wunsch des Ministeriums von mir. Die Historische Kommission fiir Niedersach- 
sen und Bremen beantragte und trug es mit. Auch iiber dieses Schwerpunktpro- 
gramm und dessen erste Ergebnisse hat dieses Jahrbuch einen Bericht gebracht 



354 Karl Heinrich Kaufhold 

(Bd. 72, 2000, S. 335-345), der die einzelnen Vorhaben vorstellte und auf den aus- 
driicklich verwiesen wird. Bei der Schwerpunktarbeit war ein vom Ministerium 
berufener Wissenschaftlicher Beirat hilfreich, dem Dr. Brigitte Cech, Archaologin 
Wien, Dr. Christoph Bartels, Deutsches Bergbau-Museum Bochum, Dr. Ekkehard 
Henschke, Universitatsbibliothek Leipzig, Professor Dr. Karl Heinrich Kaufhold, 
Universitat Gottingen und Professor Dr. Ekkehard Westermann, Padagogische 
Hochschule Karlsruhe angehorten. 

Inzwischen sind die Arbeiten abgeschlossen und zu einem Teil publiziert wor- 
den. Dabei gab es - bei Vorhaben dieser GroBenordnung keine Selbstverstand- 
lichkeit - keine Ausfalle, wenn auch bei einigen Vorhaben kleinere Verschiebun- 
gen gegeniiber den anfanglichen Planungen unvermeidbar waren, was, da nahezu 
iiberall Neuland betreten wurde, nicht iiberraschen wird. Eine Zusammenfassung 
der (damals noch nicht abschlieBenden) Ergebnisse des Schwerpunktprogramms 
und sein Vergleich mit anderen wichtigen Montan- und Hiittenrevieren in 
Deutschland und Europa brachte eine internationale Tagung in Goslar im Okto- 
ber 2000. Der interregionale und internationale Vergleich erwies sich dabei als 
fruchtbar. Vor allem fur die friihe Neuzeit, die innerhalb des Schwerpunktpro- 
gramms besonders ausfiihrlich behandelt wurde, trat die Rolle des Harzes als eine 
der bedeutenden europaischen Montanlandschaften mit einer beachtlichen Aus- 
strahlung auf andere Bereiche hervor. 

Die Referate der Tagung wurden in einem Sammelband „Europaische Montan- 
region Harz" 2001 publiziert. Er eroffnete eine neue Schriftenreihe „Montanregi- 
on Harz", die unter der Herausgeberschaft von Christoph Bartels, Karl Heinrich 
Kaufhold und Rainer Slotta vom Deutschen Bergbau-Museum Bochum im Rah- 
men dessen „Veroffentlichungen" erscheint. Sie nimmt die Ergebnisse aus dem 
Schwerpunktprogramm auf, soweit sie in Buchform vorliegen, sie steht aber auch 
fur andere thematisch einschlagige Studien offen. Bisher (Marz 2004) liegen fiinf 
Bande vor (vgl. die Auswahlbibliographie am Ende dieses Beitrages) ; vier weitere 
sind in Vorbereitung. Damit wird die Montangeschichte des Harzes iiber den bis- 
herigen Rahmen hinaus in die Forschungsdiskussion eingebracht. 

II. 

Es ist nicht notwendig, die bereits in den friiheren Veroffentlichungen vorgestell- 
ten einzelnen Vorhaben hier noch einmal wiederholend aufzufiihren. Statt des- 
sen werde ich versuchen, einige grundlegende Ergebnisse des Schwerpunktpro- 
gramm herauszuarbeiten, wobei die Reihen- keine Rangfolge ist. 

An erster Stelle zu nennen ist der Ausbau der interdisziplinaren Forschung. Sie 
war dem Harz auch vorher nicht fremd, wobei besonders auf die Arbeitsstelle 
Montanarchaologie des Niedersachsischen Landesamtes fur Denkmalpflege in 



Geschichte des Berg- und Hiittenwesens im Harz 355 

Goslar hinzuweisen ist. Die dort praktizierte Zusammenarbeit von Archaologie, 
Geschichts- und Naturwissenschaften verschiedener Fachrichtungen wurde im 
Schwerpunkt fortgesetzt und ausgebaut, und dieser keineswegs selbstverstandli- 
che Briickenschlag zwischen verschiedenen Fachern brachte lohnende Ergebnis- 
se. Wenn heute eine „fruhe Industrielandschaft" Harz mit bemerkenswerten Ein- 
zelheiten dargestellt werden kann, ist das nicht zuletzt diesem engen Zusammen- 
wirken zu danken. Im Schwerpunktprogramm waren aber auch Forstwissen- 
schaftler, Ingenieure, Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler tatig, die mit ihrem 
spezifischen Fachwissen anregende Akzente setzten. 

Methodisch ist vor allem die Betonung der Quantifizierung in einigen Vorha- 
ben zu nennen. Auch dies war nicht vollig neu, trat aber hier starker als bisher in 
den Vordergrund. Zahlenangaben iiber Produktionsergebnisse, Kosten und fi- 
nanzielle Ertrage des Berg- und Hiittenwesens wurden iiberwiegend in Teilberei- 
chen erarbeitet und verbessert. Der am Anfang des Schwerpunktes stehende 
Wunsch nach einem umfassenden Zahlenspiegel des Harzer Montanwesens, seit 
der friihen Neuzeit aus den Quellen gewonnen, lieB sich allerdings nicht realisie- 
ren, denn das Auswerten der Quellen (die iiberdies oft Liicken aufwiesen) stieB ge- 
legentlich auf erhebliche inhaltliche wie methodische Schwierigkeiten und erfor- 
derte vor allem wesentlich mehr Zeit als anfanglich angenommen. Hier bleibt also 
noch manches zu tun. Die Ergebnisse des Schwerpunktes bieten dafiir mehrfach 
eine tragfahige Grundlage. 

Auch wenn die Vorhaben des Programms grundsatzlich Neuland betraten, 
wurden sie selbstverstandlich eingefiigt in den Forschungsstand, der sich seit den 
1960er Jahren durch eine Reihe oft grundlegender Studien deutlich verbessert 
hat, ja fur einige Bereiche erst begriindet worden ist. Die meisten seiner maBge- 
benden Vertreter - ich nenne nur Christoph Bartels, Ekkehard Henschke, Lothar 
Klappauf, Hans— Joachim Kraschewski, Ekkehard Westermann - wirkten in ver- 
schiedenen Funktionen im Schwerpunkt mit und banden ihn in die Zusammen- 
hange der Forschung ein. 

Bei der Vorbereitung des Programms schien es verlockend, die Montange- 
schichte als Ganzes, zumindest aber groBere ihrer Teilbereiche in den Blick zu 
nehmen. Nahere Uberlegung lieB indes erkennen, ein solches Vorgehen iiberfor- 
dere den Forschungsstand und die Beteiligten. Die Liicken und Schwachen in un- 
seren Kenntnissen waren zu groB, diese selbst zu unregelmaBig, um an groBere 
Gesamtdarstellungen gehen zu konnen. Das Programm bestand daher aus einzel- 
nen Vorhaben, die von den Antragstellern vorgeschlagen und im Antragsverfah- 
ren begutachtet wurden. Zusammenhange zwischen den Themen spielten dabei 
eine Rolle. Deren Nahe zueinander vertieften die jahrlichen Treffen der Antrag- 
steller und der Bearbeiter mit dem Beirat, die mit ihren Berichten und Ausspra- 
chen sehr effektiv waren. 



356 Karl Heinrich Kaufhold 

Lediglich in einem, allerdings raumlich wie zeitlich begrenzten Vorhaben un- 
ternahm der Bearbeiter eine Gesamtdarstellung, namlich fiir das Fiirstentum Gru- 
benhagen vom 13. Jahrhundert bis zum Aussterben von dessen Herzogen 1596. 
Fiir dieses iiberschaubare Territorium, das aber mit Clausthal, St. Andreasberg, Al- 
tenau und Lauterberg montangeschichtlich wichtige Platze enthielt, war das eine 
gute Losung, umso mehr, als es bisher von derForschung vergleichsweise weniger 
beachtet worden war. Die Besitzverhaltnisse an den Gruben, die Verwaltungsge- 
schichte und das Eingreifen der Obrigkeit in den Montanbetrieb bildeten Schwer- 
punkte derauf das wichtige 16.JahrhunderthinkonzentriertenUnter- suchungen. 

Verwaltung, Organisation und Recht in Verbindung mit den Finanzen standen 
in einer Reihe von Vorhaben im Vordergrund, ohne dass eine vollstandige Bear- 
beitung dieser umfangreichen Themenkreise moglich gewesen ware. Die Grund- 
ziige waren hier bereits bekannt, zumal sich die zeitgenossische Literatur oft und 
intensiv damit beschaftigt hatte. Indes kam es bei unseren Arbeiten weniger auf 
den Aufbau und die Gliederung von Verwaltungsstellen an, sondern hauptsach- 
lich auf ihre konkrete Tatigkeit „vor Ort" und deren Wirkungen. Ohne hier auf 
Einzelheiten einzugehen, machten die Untersuchungen die Bedeutung der Ver- 
waltung fiir die Entfaltung des Montanwesens starker als bisher gesehen deutlich. 
Die fiir den Oberharz bis 1788, fiir den Unterharz dariiber hinaus giiltige Tren- 
nung zwischen Einseitigem und Kommunionharz scheint den Betrieb weniger be- 
eintrachtigt zu haben, als man gelegentlich annahm. Im modernen Verstandnis 
war sie fiir eine effektive Organisation hinderlich, doch verbietet sich eine einfa- 
che Ubertragung dieser Annahme auf das 18. und das friihe 19. Jahrhundert. Die 
Untersuchungsergebnisse zeigen einen unbeschadet der grundsatzlichen Mangel 
und Schwachen in der Organisationsstruktur der Bergbehorden leistungsfahigen 
Verwaltungsablauf. Er bewegte sich in einer Organisation, die trotz aller Reform- 
diskussionen iiber lange Zeit hinweg nahezu unverandert blieb. Das eigenartige 
Nebeneinander von Beharren und Innovation, das Verwaltung und Betrieb des 
Oberharzer Montanwesens kennzeichnete, trat hierhervor. Ebenso wird das stets 
heikle Verhaltnis zwischen den staatlichen Zentralstellen und der Montanverwal- 
tung des Harzes, besonders der Berghauptmannschaft, deutlicher als bisher. 

Mit der Kommunionverwaltung des Unterharzes in Goslar, der Zehntkasse 
Clausthal und der Hannoverschen Berghandlung wurden wichtige Einzelzweige 
der Berg verwaltung untersucht, die zwar bekannt, deren Organisation, Aufgaben 
und Wirken im Einzelnen aber naherer Studien bedurften. Ihr Bild und ihre Funk- 
tionen treten nun deutlicher hervor als Glieder einer Verwaltungsorganisation, die 
iiber langere Zeitraume hinweg das Berg- und Hiittenwesen des Harzes bestimm- 
te, die neben dieser Aufgabe nach innen aber auch fiir die Kontakte nach auBen 
zustandig war: das Goslarer Amt konfliktreich mit der Reichsstadt, die Zehntkasse 



Geschichte des Berg- und Hiittenwesens im Harz 357 

fiir die finanziellen Beziehungen zum Kammeretat des Kurfiirstentums, die Berg- 
handlung fiirden Absatz derBergwaren auBerhalb des Gebirges. Die von derFor- 
schung bisher wenig beachtete Einbindung des Harzer Montanwesens in seine 
„Umwelt", bei aller seiner Selbstandigkeit doch notwendig und beachtlich, laBt 
sich hier erkennen. 

Zur Organisation des Montanwesens gehorte auch die Versorgung der Berg- 
stadte im Oberharz mit Lebensmitteln und gewerblichen Erzeugnissen, denn kli- 
matisch bedingt war deren landwirtschaftliche Eigenproduktion besonders bei 
Getreide begrenzt, und das Handwerk war nur bescheiden vertreten. Die Harz- 
randstadte, vor allem Goslar und Osterode , hatten daher eine Versorgungsfunkti- 
on fiir den Oberharz. Das war bekannt, wie sie aber im Einzelnen wahrgenommen 
wurde, offen. Hier setzte ein Vorhaben ein, das sich bei den Lebensmitteln auf Ge- 
treide, bei den Betriebsmitteln des Bergbaus auf das Geleucht (Ol, Unschlitt) kon- 
zentrierte und eine Vielzahl von Details erschloB. 

In der Geschichte des Oberharzer Montanwesens nahm die Periode der beiden 
Weltkriege und der Zwischenkriegszeit eine besondere Stellung ein, fielen in sie 
doch mit den Stillegungen derjahre 1930/31, mit dem Ausbau des Rammelsbergs 
1935/37, dem beginnenden Aufbau der modernen Wasserwirtschaft (Talsperren) 
und den unmittelbaren und mittelbaren Auswirkungen der beiden Weltkriege 
wichtige Entscheidungen, die allerdings bisher kaum untersucht worden waren. 
Hierschaffte das Schwerpunktprogramm Wandel und konnte ungeachtet erhebli- 
cher Quellenprobleme erstmals ein detailreiches Bild dieser Periode zeichnen. Im 
Mittelpunkt standen die Auseinandersetzungen um die Stillegungen von Berg- 
werken und Hiitten, deren Folgen und die ausgedehnten Bemiihungen, als Ersatz 
neue Arbeitsplatze zu schaffen. Sie waren erst durch die Autarkie- und Aufrii- 
stungspolitik der nationalsozialistischen Regierung erfolgreich. 

Wie jede Wirtschaftstatigkeit kannte auch das Montanwesen des Harzes 
Schwankungen im Zeitablauf, die sog. Wechsellagen, iiber die wir aber bislang mit 
einigen Ausnahmen wie etwa der groBen Krise am Ende des Spatmittelalters nur 
wenig wissen. Sie zu einem zentralen Thema im Schwerpunkt zu machen, lag da- 
her nahe, doch wurde nach sorgfaltiger Uberlegung (freilich nicht leichten Her- 
zens) darauf verzichtet. Denn Untersuchungen solcher Art setzen weitreichendere 
Kenntnisse iiber das Revier voraus, als wir sie auch nach AbschluB des Schwer- 
punktprogramms iiber den Westharz haben. Vor allem fehlt es an in sich und un- 
tereinander abgestimmten langen Reihen der wesentlichen wirtschaftlichen Da- 
ten aus dem Berg- und Hiittenbereich, ohne die alle Aussagen unscharf, zum Teil 
spekulativ bleiben miissen, ferner an zumindest umriBhaften Kenntnissen des 
wirtschaftlichen Geschehens auBerhalb des Montanbereichs im Harz. Doch er- 
weiterte der Schwerpunkt auf mehreren Gebieten unsere Kenntnisse und liefer- 



358 Karl Heinrich Kaufhold 

te damit Bausteine fiir eine bessere Erfassung auch der Wechsellagen. Bis zu de- 
ren fundierter Erforschung wird aber noch ein erheblicher Aufwand notwendig 
sein. Zeitliche und/oderraumlich begrenzte Fallstudien konnen bis dahin Nutzen 
bringen. 

Grundlegend fiir den Betrieb des Bergbaus ist die Kenntnis der sog. Grubenge- 
baude, also der Anlagen unterTage. Sie sind seit dem 17. Jahrhundert durch die 
Grubenrisse bekannt, die fiir mehrere Zeitpunkte vorliegen, anhand deren also 
die Entwicklung der Bergwerke dargestellt werden kann. Fiir den Rammelsberg 
und im Oberharz fiir die Gruben des Zellerfelder und des Burgstatter Gangzuges 
leistete das ein auch methodisch weiterfiihrendes Vorhaben, das deren Grubenge- 
baude und die damit verbundenen Anlagen fiir verschiedene Jahre vom ausge- 
henden 16. bis zum Ende des 18. Jahrhunderts auf einer interaktiven CD-ROM 
vereinigte. Dieses Ergebnis der (im Wortsinne) Grundlagenforschung in einer 
„virtuellen Reise durch den historischen Harzbergbau" eroffnet mannigfache Nut- 
zungs- und damit auch Forschungsmoglichkeiten und erschlieBt mit dem neuen 
Medium inhaltlich wie methodisch bisher unbekannte Arbeitsmoglichkeiten. 

Von den drei Zentralressourcen des alteren Bergbaus, namlich Lagerstatten, 
Wasserund Holz, sind die Lagerstatten am langsten und am besten bekannt. Hier 
kann die historische Forschung auf die umfangreichen Arbeiten der geowissen- 
schaftlichen Disziplinen, vor allem der Lagerstattenkunde, zuriickgreifen, die 
auch den Harz betreffende Fragen umfangreich und tiefschiirfend beantworten. 
Die altere Wasserwirtschaft des Harzes, besonders die des Oberharzes, war 
hochentwickelt und zahlt zu den bedeutenden Beispielen der Wassernutzung in 
Europa. Sie ist dank der Arbeiten von Martin Schmidt vorbildlich aufgearbeitet. 
Es blieb das Holz. Es wurde im Rahmen des Schwerpunktprogramms Gegen- 
stand eines Forschungsvorhabens, das seinerseits in weitere forstgeschichtliche 
Untersuchungen an der Universitat Gottingen eingebettet war und seine Ertrage 
so vervielfachen konnte. In der Forstwirtschaft standen der Gesichtspunkt der 
Nachhaltigkeit und damit der schonende Umgang mit den Bestanden im Vorder- 
grund. Trotz mehrfacherMangelsituationen, ausgelost meist durch Sturmschaden 
oder Befall mit Schadinsekten, beeintrachtigte Holzmangel den Betrieb der Berg- 
werke und Hiitten nicht ernsthaft auf langere Zeit - ohne Zweifel eine beachtliche 
Leistung der Forstwirtschaft. Steinkohle gewann erst ab derzweiten Halfte des 19. 
Jahrhundert allmahlich an Boden, denn ihr Antransport ging iiber weite Strecken 
und war entsprechend teuer. 

Hinter dem Bergbau blieb die Erforschung der Eisen- und Metallhiitten im Ge- 
birge und an dessen Rande lange Zeit zuriick. Der Schwerpunkt widmete ihm da- 
her besondere Aufmerksamkeit und konnte dabei erfreuliche Fortschritte erzie- 
len. Bei den Eisenhiitten machte eine betriebswirtschaftlich orientierte Untersu- 
chung einer Hiitte (Gittelde) erstmals das wirtschaftliche „Innenleben" eines 



Geschichte des Berg- und Hiittenwesens im Harz 359 

solchen Betriebs aus kaufmannischer Sicht deutlich, und eine weitere Studie be- 
handelte einen bisher nicht bekannten wirtschaftlichen Verbund kurhannover- 
scher Hiitten am Ende des 18. Jahrhunderts, der eng zusammenarbeitete und ge- 
meinsam die Absatzmarkte erschloB. Als Fazit beider Studien tritt eine bemer- 
kenswerte „Modernitat" des Eisenhiittenwesens hervor, die den heutigen Leser 
iiberrascht. Die Leistungsfahigkeit dieser Hiitten wurde im 19. Jahrhundert auf 
die Probe gestellt, als sich die Kostensituation fur sie verschlechterte und zugleich 
die Konkurrenz zunahm. Auf alteren Arbeiten aufbauend untersuchte ein Vorha- 
ben hier ihre Reaktionen auf den davon ausgehenden Zwang zur technischen und 
organisatorischen Anpassung, dem die Hiitten mit innovativen Investitionen, neu- 
en Produkten, Qualitatssteigerung, Erhohung der Arbeitsproduktivitat und der- 
gleichen MaBnahmen im Ergebnis zumindest bis in die 1870erjahre erfolgreich 
zu begegnen verstanden. Der allmahliche Abstieg von einem der fiihrenden Pro- 
duktionsgebiete Mitteleuropas in die „relative Bedeutungslosigkeit" an der Wende 
vom 19. zum 20. Jahrhundert lieB sich allerdings nicht vermeiden. 

Auch fur die Metallhiitten konnten wesentliche neue Einsichten gewonnen wer- 
den. Das interdisziplinare Vorhaben zu ihnen und deren Verhiittungsverfahren in 
Goslar wurde oben schon kurz erwahnt. Es brachte besonders fur das Mittelalter 
grundlegende weiterfiihrende Ergebnisse; vor allem die Bedeutung Goslars auch 
fur den Bergbau des Oberharzes tritt nun deutlicher als bisher hervor. Insgesamt 
hat die Forschung hier das iiberkommene Bild der Entwicklung des Berg- und 
Hiittenwesens im nordwestlichen Harz deutlich verandert. Allerdings sind noch 
keineswegs alle Fragen geklart, im Gegenteil oft neue entstanden. Da die Montan- 
archaologie in die Forschungen im Rahmen des Schwerpunktes integriert war, 
werden die Arbeiten hier nahtlos fortgesetzt. 

Besonders groBe Defizite bestehen im Bereich der (weit verstandenen) Sozial- 
geschichte der Stadte im Oberharz und am Harzrand. Der Schwerpunkt brachte 
auch hier einige Fortschritte, ohne allerdings dieses sehr weite Thema auch nur 
annahernd vollstandig aufarbeiten zu konnen. Zunachst enthalten die Studien zur 
Verwaltungsgeschichte zum Teil ausfiihrliche personengeschichtliche Angaben, 
die sich auch sozialgeschichtlich interpretieren lassen. Speziell sozialgeschicht- 
lich orientiert war eine Studie zur Arbeitsverfassung am Rammelsberg in der frii- 
hen Neuzeit, die die Regulierung der Arbeitsverhaltnisse mit dem Betriebsablauf 
verband und so einen tiefen Einblick in die Arbeitswelt in und am Berg gewahrte, 
wie er bisher nicht vorlag. An der Grenze zwischen Sozialgeschichte und politi- 
scher Stadtgeschichte bewegte sich eine Untersuchung der Stadt Goslar um 1800, 
in deren Mittelpunkt die Veranderung der stadtischen Strukturen durch das Ende 
der reichsstadtischen Zeit und den Ubergang an PreuBen, spater an Westphalen 
und an Hannover steht. Es war eine fur die Stadt und ihre Bewohner schwierige 
Zeit; ein wirtschaftlicher Aufschwung trat erst nach 1850 ein. 



360 Karl Heinrich Kaufhold 

In den Kern der Sozialgeschichte zielte eine Studie zu den Arbeitsverhaltnissen 
und der sozialen Lage Oberharzer Berg- und Hiittenarbeiter im 19. Jahrhundert, 
in deren Mittelpunkt der Ubergang von der standischen Arbeitsverfassung zur 
freien Lohnarbeit stand. Sie brachte viel Neues zu wichtigen, doch bisher kaum 
untersuchten Fragen wie dem (erstaunlich groBen) Haus- und Grundbesitz der 
Arbeiter und zu deren Kreditaufnahmen sowie, auf den ersten Blick iiberra- 
schend, Kreditgewahrungen. Hier kamen zwei bisher kaum oder gar nicht be- 
kannte Gegenstande in den Blick und erwiesen sich als fur das alltagliche Leben 
der Berg- und Hiittenleute wichtig. Im iibrigen gelang es der Bergverwaltung, 
auch nach der Einfiihrung des liberalen preuBischen Bergrechtes 1867 Elemente 
der traditionellen Sozialordnung zu erhalten. Der Oberharz blieb damit zumin- 
dest bis 1914 sozial- und arbeitsrechtlich ein Raum eigener Pragung. 

III. 

Schon dieser knappe, auf die wesentlichen Punkte konzentrierte Uberblick iiber 
die Ergebnisse des Schwerpunktprogramms zurHarzerMontangeschichte mach- 
te deutlich, welche reichen, weiterfiihrenden Ertrage es gebracht hat. Methodisch 
wurden neue Wege beschritten, die sich als ergiebig erwiesen. Inhaltlich konnten 
manche bisher vernachlassigte Fragen intensiv bearbeitet werden, wodurch ihre 
Bedeutung klarer hervortrat. Dabei sprachen die fur die einzelnen Vorhaben aus- 
gewahlten Themen zentrale Problemstellungen des Schwerpunktes an, zumal 
Gutachter wie Beirat auf deren Einbau in den Forschungsstand und deren Ver- 
bindungen untereinander achteten. So entstand, um einen heute beliebten Begriff 
zu verwenden, ein Netzwerk, in dem sich die Studien gegenseitig stiitzten und for- 
derten und das nicht wenig zum Gelingen beitrug. Der Harz gehort heute zu den 
am besten erforschten mitteleuropaischen Revieren der Metallerzgewinnung. 
Diese Ergebnisse kommen auch derniedersachsischen Landesgeschichte zugute, 
denn der Harz war in diesem betont agrarisch-kleingewerblich gepragten Lande 
als „Montanlandschaft" eine Ausnahmerescheinung, allerdings eng mit seinem 
Umland verbunden. 

Noch eine Wirkung des Schwerpunktes ist zu nennen: Die Mitarbeit in ihm 
fiihrte die an seinem Thema interessierten Forscher verschiedener Disziplinen 
eng zusammen. Bestehende Bindungen wurden vertieft, neue entstanden. Die Hi- 
storische Kommission fur Niedersachsen und Bremen, vor allem aber ihr Arbeits- 
kreis fur Wirtschafts- und Sozialgeschichte trugen dazu ebenso bei wie einige Ein- 
richtungen im Harz. Es traf sich gliicklich, dass in der Laufzeit des Schwerpunktes 
die reichen Aktenbestande des (damaligen) Oberbergamtes Clausthal, die fiirun- 
sere Forschungen die unentbehrliche Quellengrundlage boten, im Zusammenwir- 
ken der Berg- mit der niedersachsischen Archivverwaltung im heutigen Nieder- 



Geschichte des Berg- und Hiittenwesens im Harz 361 

sachsischen Bergarchiv einen angemessenen und ausbaufahigen organisatori- 
schen Rahmen fanden und dieses Archiv den von der deutschen Erdol- und 
Erdgasindustrie finanzierten zweckmaBigen Neubau in Clausthal beziehen konn- 
te. Allerdings haben die am Schwerpunkt Beteiligten auch fiir die Zeit davor dem 
Oberbergamt zu danken, das ihre Arbeit fast durchweg hilfreich unterstiitzte und 
forderte. 

Auf der letzten Arbeitstagung des Schwerpunktes im Herbst 2001 im Gebaude 
des Oberbergamtes formulierten die Teilnehmer den Wunsch, bei ihren Harz- 
Forschungen auch weiter in Form einer lockeren Arbeitsgemeinschaft zusammen- 
zubleiben und dabei alle anderen am Thema Interessierten einzuladen, sich anzu- 
schlieBen. So entstand die „Projektgruppe Harz" im Arbeitskreis fur niedersachsi- 
sche Wirtschafts- und Sozialgeschichte der Historischen Kommission, die sich 
seither zweimal im Jahr in Clausthal-Zellerfeld trifft und sich zu einem Ort eines 
regen Gedankenaustauschs und der wechselseitigen Information entwickelt hat. 
(Auskunft iiber die Projektgruppe und Anmeldungen zu ihr beim Verfasser, An- 
schrift Platz der Gottinger Sieben 5, 37073 Gottingen.) In diesem erfreulichen In- 
teresse spiegelt sich wohl die Einsicht, wie erwiinscht eine Fortsetzung der 
montanhistorischen Arbeit fiir den Harz ist. So beachtlich die Ergebnisse des 
Schwerpunkts waren und sind: Es bleibt noch viel zu tun. Ich denke dabei nicht 
zuletzt an den Ostharz, der aus institutionellen Griinden nicht im Schwerpunkt ge- 
fordert werden konnte, der aber ein ergiebiges Feld fiir weitere Studien bietet. Ein 
neuer institutioneller Rahmen, wie ihn das Schwerpunktprogramm bot, ware da- 
bei erwiinscht. Wichtiger ist allerdings, die wechselseitigen Kontakte weiter und 
starker zu pflegen und in die zukiinftigen Arbeiten einzubringen. 



Auswahlbibliographie 

Die Bibliographic enthalt groBere Veroffentlichungen, die aus dem Schwer- 
punktprogramm hervorgegangen sind, erganzt durch einige neuere Standard- 
werke zum Thema. 

Bartels, Christoph: Vom friihneuzeitlichen Montangewerbe zur Bergbauindu- 
strie. Erzbergbau im Oberharz 1635-1866, Bochum 1992 

Ders.: Umschwiinge in derEntwicklung des OberharzerBergbaureviers um 1630, 
1760 und 1820 im Vergleich. Eine Erorterung von Zusammenhangen zwi- 
schen raumlichem Ausgriff und sozialen Folgen. In: Ekkehard Westermann 
(Hg.): Vom Bergbau- zum Industrierevier, Stuttgart 1995, S. 151-175 



362 Karl Heinrich Kaufhold 

Ders.: Strukturwandel in Montanbetrieben des Mittelalters und der Friihen Neu- 
zeit in Abhangigkeit von Lagerstattenstrukturen und Technologie, in: Hans- 
Jiirgen Gerhard: Struktur und Dimension. Festschrift fiir Karl Heinrich Kauf- 
hold zum 65. Geburtstag, Bd. 1, Stuttgart 1997, S. 25-70 

Fessner, Michael/FRiEDRiCH, Angelika/BARTELS, Christoph: „Griindliche Abbil- 
dung des uralten Bergwerks". Eine virtuelle Reise durch den historischen 
Bergbau. CD und Textband, Bochum 2002 (Montanregion Harz 3) 

Gerhard, Hans-Jiirgen: Die hannoversche Bergwarenhandlung im 18. und frii- 
hen 19. Jahrhundert, in: Kaufhold, Karl Heinrich (Hg.): Bergbau und Hiitten- 
wesen im und am Harz, 2. Aufl., Hannover 1994, S. 38-55 

Ders.: Der Harz als Bergbaurevier im 18. Jahrhundert, in: Ekkehard Westermann 
(Hg.): Vom Bergbau zum Industrierevier, Stuttgart 1995, S. 177-191 

Ders. /Kaufhold, Karl Heinrich/ Westermann, Ekkehard (Hg.): Europaische 
Montanregion Harz, Bochum 2001 (Montanregion Harz 1) 

Grubler, Beate: Zwischen Konjunktur und Krise. Der Harzer Bergbau und die 
Geschichte des Hiittenwesens vom Mittelalter bis zur Mitte des 20. Jahrhun- 
dert, in: Volkswagenstiftung (Hg.): Das Niedersachsische Vorab. Forschungs- 
forderung zwischen Ems und Elbe, Harz und Nordsee, Hannover 2002, S. 
30-33 

Henschke, Ekkehard: Landesherrschaft und Bergbauwirtschaft. Zur Wirtschafts- 
und Verwaltungsgeschichte des Oberharzer Bergbaugebietes im 16. und 17. 
Jahrhundert, Berlin 1974 

Kaufhold, Karl Heinrich: Eine Dokumentation zur Geschichte des Berg- und 
Hiittenwesens im Harz in der friihen Neuzeit und im 19. Jahrhundert: Aufga- 
ben und erste Ergebnisse, in: Nds. Jb. f. Landesgesch. 65, 1993, S. 363-372 

Ders.: Die Wirtschaft in der friihen Neuzeit: Gewerbe, Handel und Verkehr, in: 
Van den Heuvel, Christine/BoETTiCHER, Manfred v. (Hg.): Geschichte Nieder- 
sachsens, 3. Bd., Teil 1, Hannover 1998, S. 351-574, darin: Bergbau, Hiittenwe- 
sen und Salinen, Der niedersachsische Harz, S. 372-421 

Ders.: Neue Forschungen zur Montangeschichte des westlichen Harzes, in: Nds. 
Jb. f. Landesgesch. 72, 2000, S. 335-345 

Ders.: Neuere Forschungen zur Wirtschaftsgeschichte des Berg- und Hiittenwe- 
sens im westlichen Harz in der vorindustriellen Zeit. Ein Uberblick unter be- 
sonderer Beriicksichtigung der wirtschaftlichen Wechsellagen, in: Bartels, 
Christoph/DENZEL, Markus A. (Hg.): Konjunkturen im europaischen Bergbau 
in vorindustrieller Zeit. Festschrift fiir Ekkehard Westermann zum 60. Geburts- 
tag, Stuttgart 2000, S. 37-72 

Kraschewski, Hans-Joachim: Zur Arbeitsverfassung des Goslarer Bergbaus am 
Rammelsberg im 17. und zu Beginn des 18. Jahrhunderts, in: Hans-Jiirgen 



Geschichte des Berg- und Hiittenwesens im Harz 363 

Gerhard (Hg.): Struktur und Dimension. Festschrift fiir Karl Heinrich Kauf- 

hold zum 65. Geburtstag, Bd. 1, Stuttgart 1997, S. 407-444 
Ders.: Zur Arbeitsorganisation der Schmelzhiitten des Kommunion-Harzes in der 

zweiten Halfte des 17. Jahrhunderts, in: Nds. Jb. f. Landesgesch. 70, 1998, S. 

237-271 
Ders.: Das gemeinsame Probeschmelzen im Kommunion-Harz in der zweiten 

Halfte des 17. Jahrhunderts, in: Der Anschnitt 50, 1998, H. 1, S. 2-12 
Ders.: Wirtschaftliche Wechsellagen, ihre Einwirkungen auf den Bergbau des 16. 

und 17. Jahrhunderts und die bergbauliche Arbeitsverfassung, in: Bartels, 

Christoph/DENZEL, Markus A. (Hg.): Konjunkturen im europaischen Bergbau 

in vorindustrieller Zeit. Festschrift fiir Ekkehard Westermann zum 60. Geburts- 
tag, Stuttgart 2000, S. 203-219 
Ders.: Betriebsablauf und Arbeitsverfassung des Goslarer Bergbaus am Ram- 

melsberg vom 16. bis 18. Jahrhundert, Bochum 2002 (Montanregion Harz 5) 
Kroker, Angelika/STiEGLiTZ, Annette v./Stober, Martin/OBAL, Udo: Neue For- 

schungen zur Geschichte des Berg- und Hiittenwesens im und am Harz, in: 

Harz-Zs. 50/51, 1998/99, S. 323-332 
Kupper-Eichas, Claudia: Vom Montanrevier zum Krisengebiet. Niedergang, Per- 

spektiven und soziale Wirklichkeit im Oberharz (1910-1933), Bochum 2002 

(Montanregion Harz 4) 
Laufer, Johannes: Zur sozialen Lage der Beschaftigten im Oberharzer Berg- und 

Hiittenwesen unter den Bedingungen okonomischen Anpassungsdrucks zwi- 

schen 1830 und 1880, in: Westermann, Ekkehard (Hg.): Vom Bergbau- zum 

Industrierevier, Stuttgart 1995, S. 193-216 
Ders.: Wirtschaft und Gesellschaftim Oberharz im ausgehenden 19. Jahrhundert. 

Eine Skizze, in: Oberharzer Museums- und Geschichtsverein (Hg.): Photogra- 

phieren im Bergwerkum 1900, Clausthal-Zellerfeld 1998, S. 21-35 
Ders.: Aufbruch oder Krise? Bergwerkswirtschaft, soziale Verhaltnisse und ber- 

gamtliche Nachhaltigkeitspolitik im Oberharzer Montanrevier um 1800, in: 

Nds. Jb. f. Landesgesch. 72, 2000, S. 209-231 
Mende, Michael: Aus der Bliite ein Sturz in relative Bedeutungslosigkeit: Die Ei- 

senhiitten des Harzes und Weserberglandes im 19. Jahrhundert, in: Kaufhold, 

Karl Heinrich (Hg.): Bergbau und Hiittenwesen im und am Harz, 2. Aufl., 

Hannover 1994, S. 56-96 
Mex, Jenny: Der kurhannoversche Eisenhiittenverbund und sein Markt (1765- 

1806). Eine volkswirtschaftliche Untersuchung, Bochum 2002 (Montanregion 

Harz 2) 
Schmidt, Martin: Die Wasserwirtschaft des Oberharzer Bergbaues, 3. Aufl., Hil- 

desheim 2002 



364 Karl Heinrich Kaufhold 

Segers-Glocke, Christiane (Hg.): Auf den Spuren einer friihen Industrieland- 
schaft. Naturraum - Mensch - Umwelt im Harz, Hameln 2000 

Steinkamp, Mirja: Die Eisenhiitte Gittelde 1700-1787. Eine betriebswirtschaftliche 
Untersuchung, Stuttgart 1997 

Steinsiek, Peter-Michael: Nachhaltigkeit auf Zeit. Waldschutz im Westharz vor 
1800, Miinster usw. 1999 

Stober, Martin: Die Koniglich Hannoversche Berghandlung und ihr Handel in 
der ersten Halfte des 19. Jahrhunderts, in: Kaufhold, Karl Heinrich/DENZEL, 
Markus A. (Hg.): Der Handel im Kurfurstentum/Konigreich Hannover (1780- 
1850). Gegenstand und Methode, Stuttgart 2000, S. 213-248 

Ders.: Aus „Goslars Gebirge" in die weite Welt. Die Berghandlung von der Mitte 
des 17. Jahrhunderts bis 1867, in: Roseneck, Reinhard (Hg.): Der Rammels- 
berg. Tausend Jahre Mensch - Natur - Technik. Bergbau als Kulturtrager, 
Bd. 1, Goslar 2001, S. 328-343 

Westermann, Ekkehard (Hg.) : Vom Bergbau- zum Industrierevier, Stuttgart 1995 



BESPRECHUNGEN UND ANZEIGEN 



ALLGEMEINES 



Stupor Saxoniae Inferioris. Ernst Schubert zum 60. Geburtstag. Hrsg. von Wiard Hinrichs, 
Siegfried Schutz und Jiirgen Wilke. Mit Beitragen von Brage Bei der Wieden u.a. 
Gottingen: Duehrkohp & Radicke 2001. 302 S. = Gottinger Beitrage zur Geschichte, 
Kunst und Kultur des Mittelalters Bd. 6. Kart. 35,- €. 

Teilnehmer des Doktorandenkolloquiums zur Landesgeschichte an der Universitat Got- 
tingen haben ihrem akademischen Lehrer ein Geburtstagsgeschenk in Form einer ge- 
haltvollen Aufsatzsammlung verehrt. Unter drei Uberschriften - Mittelalter, Neuzeit, 
Andere Perspektiven - kann der Leser feststellen, zu welch unterschiedlichen For- 
schungsgegenstanden das Studium der niedersachsischen Landesgeschichte in Gottin- 
gen fiihren kann. Die Festschriftbeitrage bilden - sozusagen naturgemaB - einen bunten 
ThemenstrauB. 

Das Mittelalter-Kapitel leitet ein Beitrag von Brage Bei der Wieden ein. Er beschaftigt 
sich mit dem Schwanengesang aus den Carmina Burana und der Frage, was der Schwan 
am SpieB kulinarisch und sinnbildlich zu bieten hat. Ida-Christine Riggert-Mindermann 
stellt fiinf Kloster aus dem Blatt Harsefeld der Historisch-Landeskundlichen Exkursi- 
onskarte vor sowie als Erganzung das Benediktinerinnerkloster Buxtehude/Altkloster. 
Aus ihrer groB angelegten Untersuchung iiber die vielschichtigen Verbindungen adliger 
Familien zu den von ihnen gegriindeten oder bedachten Klostern ihres Lebensraums 
hat Nathalie Kruppa den Aspekt der Memorienstiftung ausgewahlt. Er stellt zusammen 
mit der Grablegung ein zentrales Motiv fiir die Unterhaltung der geistlichen Einrichtun- 
gen dar. Arend Mindermann versucht, den Lebensweg des Abts des Stader Klosters St. 
Marien nachzuvollziehen. Albert von Stade vollendet 1256 seine Weltchronik. In die 
Schilderung der Ereignisse flieBt immer wieder die Sichtweise des Autors ein und lasst 
so dessen Personlichkeit hervortreten. Den Ablauf der Eversteinschen Fehde stellt Frank 
Huismann unter Heranziehung auch der lippischen Uberlieferung dar und weist den 
Ausgang als eine Voraussetzung fiir die Hegemonialstellung der Welfen nach. 

Das den neuzeitlichen Themen gewidmete Kapitel enthalt zwolf Beitrage. Anhand ei- 
nes Strafbuches aus Duderstadt, in dem die Strafgelder fiir kleinere Delikte eingetragen 
wurden, schildert Heike Bilgenroth, wie es um die Kriminalitat und die Zahlungsmoral im 
16. Jahrhundert bestellt war. Peter Burschel untersucht am Beispiel des Trauerspiels „Ca- 
tharina von Georgien" von Andreas Gryphius, wie die Krisensituation des DreiBigjahri- 
gen Krieges, die Erfahrungen einer chaotischen Welt, die Intention der protestantischen 
Trauerspiele der Nachkriegszeit bestimmen. Wiard Hinrichs fragt danach, wann die Be- 
griffe der in der franzosischen Revolution aufgestellten Forderung an die Gesellschaft 
„Liberte, Egalite, Fraternite" diese gemeinsame Verbindung eingegangen sind und ver- 
mutet den Beginn im Frankreich des 16. Jahrhunderts. Uber die erstaunliche Geschichte 



366 Besprechungen und Anzeigen 

des Schiffsjungen Joseph Pitt, dessen Schiff von Piraten gekapertund dermit dergesam- 
ten Mannschaft in Algier als Sklaven verkauft wurde, berichtet Gerhard Diehl. Nach 15 
Jahren gelingt Pitt die Fluent und die abenteuerliche Riickkehr nach Exeter. 1704 verof- 
fentlicht er ein Buch iiber sein Leben in der islamischen Gesellschaft, das auf groBes In- 
teresse beim englischen Lesepublikum stoBt. 

Cecilie Hollbergherichtet von derjagdleidenschaft des Erzbischofs und Kurfiirsten von 
Mainz Lothar Franz von Schonborn, fur die vor allem seine Briefe an den Neffen Fried- 
rich Karl von Schonborn, Reichsvizekanzler, eine reichhaltige Quelle sind. Im 18. Jahr- 
hundert sieht sich der hannoversche Rat vor das Problem des umfangreichen Holzdieb- 
stahls und Weidefrevels im Stadtwald Eilenriede gestellt. Bettina Borgemeister berichtet 
iiber die Versuche der Obrigkeit, mit harten Strafen dagegen anzugehen. Die Briefe, in 
denen Peter Homfeld, von 1741 - 1746 Student in Halle, seinen Vater in Ostfriesland iiber 
seine Lebenssituation und den Fortgang seiner Studien unterrichtete, stehen im Mittel- 
punkt der Ausfiihrungen Marie-Christina Iherings. Gunter Erhard stellt die umfangreiche 
Dienstbeschreibung des Amies Herzberg von 1776 vor. Samtliche Dienstverpflichtun- 
gen jedes Hofes sollten darin aufgefiihrt werden. Eine Erfassung des Status quo gait als 
Voraussetzung fur die Umwandlung der Dienste in Zahlungen und schlieBlich ihrer voll- 
standigen Ablosung. 

Ende der 90erjahre des 20. Jahrhunderts hatten auf dem Baugelande beheimatete 
Feldhamster beinahe den Bau des molekularen Zentrums fur Biowissenschaften in Got- 
tingen verhindert. Daran ankniipfend hat Jtirgen Wilke das selten ungetriibte Verhaltnis 
des Menschen zum Hamster in den vergangenen drei Jahrhunderten verfolgt. Silke Wage- 
ner-Fimpel schildert das Studentenleben des Erbgrafen Carl zu Schaumburg-Lippe 
1779/80 in Gottingen. Es stand unter strengem vaterlichem Reglement und war ganz auf 
die Heranbildung des kiinftigen Landesherrn ausgerichtet. Die Hintergrunde einer Ver- 
ordnung, mit der die Kurmainzer Regierung 1783 dem Riickgang des Hopfenanbaus im 
Eichsfeld Einhalt zu gebieten suchte, legt Thomas T. Miiller dar. Siegfried SchutzkYart auf, 
was den hannoverschen Konzertmeister Joseph Joachim bewogen hat, sich 1855 taufen 
zu lassen und wie er zu den prominenten Taufpaten, Konig Georg V. und Konigin Marie, 
kam. 

Der dritte Teil der Festschrift wird seinem Titel „ Andere Perspektiven" in differenzier- 
ter Weise gerecht. Er zeigt, wohin das Studium der Geschichte fiihren kann und auf wel- 
chen Gebieten sich gut ausgebildete Historiker bewahren konnen. So beschreibt Claudia 
Kaufold, wie sie den Kulturschock gemeistert hat, als sie nach Geschichtsstudium und 
Promotion als Lektorin in einem Verlag fiir Literatur zu praklinischer Notfallmedizin 
landete. Stefan Brudermann war vierjahre am Deutschen Historischen Institutin Rom ta- 
tig und verarbeitet in seinem Beitrag seine Erfahrungen mit dem romischen StraBenver- 
kehr zu Fahrrad, zu FuB und per Bus. Beate SchusterhaX mehrere Jahre als Lektorin an ei- 
ner franzosischen Universitat gearbeitet und spricht in ihrem Beitrag den Kontrast zwi- 
schen deutschen und franzosischen Studiengangen an, wobei sie die moglichen Vorteile 
eines starker padagogisch als wissenschaftlich orientierten Studiums herausstellt. Ein 
Schriftenverzeichnis von Ernst Schubert mit dem Stand vom Juni 2001 schlieBt den 
Band ab. 

Die Vielfalt der Forschungsthemen, denen sich die Beitrage widmen, und der ausge- 
werteten Quellen spiegelt wider, wie vielseitig die Geschichtswissenschaft ist und sein 
muss; ein Anspruch, dem sich offensichtlich auch die ehemaligen Teilnehmer des Dok- 
torandenkolloquiums zur niedersachsischen Landesgeschichte in Gottingen verschrie- 



Allgemeines 367 

ben haben. So konnten sie mit diesem Band dem zu Ehrenden eine ihn sicherlich er- 
freuende Festgabe iiberreichen und der Fachwelt die Moglichkeit anregender Lektiire 
eroffnen. 

Osnabriick BirgitKEHNE 



Veddeler, Peter: Wappen - Siegel - Flaggen: Die kommunalen Hoheitszeichen des Land- 
schaftsverbandes, der Kreise, Stadte und Gemeinden in Westfalen-Lippe. Munster: 
Ardey-Verlag2003. 554 S. mit zahlr. Abb. = Veroff. derHistorischen Kommission fiir 
Westfalen Bd. V, 5. Geb. 59,- €. 

Mehr als sechs Jahrzehnte nach dem Erscheinen des MaBstabe setzenden „Wappen- 
buchs der westfalischen Gemeinden" von Eugen Meyer und Waldemar Mallek (Munster 
1940) war eine gegenwartsnahe Gesamtdarstellung der westfalischen Kommunalwap- 
pen seit langem ein Desiderat. Veddeler folgt in der Anlage des Hauptteils seines hervor- 
ragend ausgestatteten Buches dem Beispiel seiner Vorganger. Er bringt, auf den Akten 
fuBend, samtliche Wappen und Siegel (sowohl historische Siegel als auch moderne 
Siegelstempel-Abdrucke) in ausfuhrlichen Beschreibungen und schonen Farb-Abbil- 
dungen (wobei verniinftigerweise die Metallfarben Gold und Silber durch die im Druck 
ohnehin klareren Farben Gelb und WeiB wiedergegeben sind). 

Zuvor schildert er eingehend sowohl die Entwicklung des kommunalen Wappen- und 
Siegelwesens in Westfalen als auch die wechselnden historischen und politischen Rah- 
menbedingungen der Begutachtungs- und Genehmigungspraxis. Dabei wiirdigt er an- 
gemessenerweise den hinhaltenden zahen Widerstand der Leitung des Staatsarchivs 
Munster gegen die Versuche nationalsozialistischer Einflussnahme, die sich vor allem 
gegen die Verwendung christlicher Symbole und Wappenbilder der geistlichen Staaten 
des alten Reiches richtete. Dabei kam dem Staatsarchiv zu Gute, dass hier seit jeher nicht 
nur dienstlich, sondern auch personlich an der Heraldik lebhaft interessierte Archivare 
wirkten, von Eugen Meyer iiber Johannes Bauermann, Joseph Prinz oder Helmut Rich- 
tering bis zum Autor selbst. Dieser Umstand wirkte sich auf die Qualitat der westfa- 
lischen Kommunalheraldik forderlich aus, wie aus einem niedersachsisch/westfa- 
lischen Vergleich der Wappenschopfungen - und mithin auch der gutachterlichen Ta- 
tigkeit - schon der dreiBiger Jahre und sodann der kommunalheraldisch iiberaus 
fruchtbaren Nachkriegsjahrzehnte deutlich wird. Wahrend bei den niedersachsischen 
Kommunalwappen manchmal qualitativ unterschiedliche „Zeitschichten" erkennbar 
sind, hat die Kommunalheraldik in Westfalen fast durchgehend - einschlieBlich der 
Fahrnisse der NS-Zeit - einen hohen Standard an Einfachheit, Klarheit und gestalteri- 
scher Schonheit behauptet, sogar wahrend der Gebietsreformen der sechziger und sieb- 
ziger Jahre mit deren Neigung zu additiven Kompromisswappen. Besonders hervorzu- 
heben ist, dass in diesem Buch auch die kommunalen Flaggen (und zwar sowohl Hiss- als 
auch Hangeflaggen, Banner genannt) erstmalig zusammengefasst dargestellt werden, 
was nicht einmal die wappenmaBig ansonsten vorbildlichen Publikationen aus Baden- 
Wiirttemberg geschafft haben. 

Die durchgehende Starke des Buches, dass es aus den reichen Aktenbestanden des 
Staatsarchivs Munster (und erganzenden Nachrichten aus Detmold) erarbeitet ist, birgt 
freilich auch eine Achillesferse. Die kommunalheraldische Wirklichkeit ist vielfaltiger - 



368 Besprechungen und Anzeigen 

oft freilich weniger „sauber" - als die Aktenlage. Manche Wappen, die ohne Genehmi- 
gung, aber de facto gefiihrt werden, kommen in dieser amtlichen Ubersicht nicht vor, ob- 
wohl der Verfasser selbst auf eine von den genehmigten Fassungen abweichende Wap- 
pen- bzw. Flaggenpraxis aufmerksam macht. 

Das groBte Bedauern jedoch, auch und gerade unter einer heraldisch interessierten 
breiteren Leserschaft, wird hingegen durch den Verzicht auf die durch die Gebietsre- 
form „untergegangenen" Kommunalwappen - es sind viel mehr als die gegenwartig an- 
erkannten - ausgelost werden. Der Autor gibt lediglich eine Namensliste der in andere 
kommunale Einheiten eingegliederten wappenfiihrenden Gemeinden und aufgelosten 
Amter (die nordrhein-westfalischen Aquivalente der niedersachsischen Samtgemein- 
den) . Hier erweist sich der ansonsten vorbildliche „amtliche" Ansatz des Buches als Hin- 
dernis. In Wahrheit sind die meisten „untergegangenen" Kommunalwappen keineswegs 
verschwunden. Sie haben lediglich ihren rechtlichen Charaktergeandert und werden in 
den betreffenden Orten nicht nur munter weitergefiihrt, sondern wecken, wie auch in 
Niedersachsen, wachsendes Interesse der Bevolkerung, das sich in dem zunehmenden 
Wunsch nach Wappen sogar fiir bislang wappenlose Orte niederschlagt. In dieser Hin- 
sicht fallt das Buch leider sogar hinter die regionalen Wappenbiicher „Kommunale Wap- 
pen des Herzogtums Westfalen" von Belke, Bruns und Miiller (1986) und ,W a PP en > Sie- 
gel und Fahnen des Markischen Kreises und seiner Stadte und Gemeinden" von Hostert 
(1979) zuriick. Naturlich sind einer aufwandsmaBig so teuren Publikation Grenzen gezo- 
gen, doch ware der Platz fiir Ortswappenbeschreibungen und (evtl. kleinere) Abbildun- 
gen zu gewinnen gewesen durch Wegfall der allenfalls fiir Behorden und Spezialisten in- 
teressanten, ohnehin weitgehend schematisierten modernen Stempelbeschreibungen. 
So bleibt das Wappenbuch von Meyer/ Mallek auch nach 64 Jahren fiir den Benutzer un- 
entbehrlich. 

Wie auch immer: Ein „Staatsarchiv-Wappenbuch" wie dieses belegt die unentbehrli- 
che Funktion der Archive als Gutachterinstanzen und Sammelstellen und macht indi- 
rekt deutlich, wie verderblich die 1996 in Niedersachsen durch eine vermeintlich verein- 
fachende Verwaltungsreform geschehene Ausschaltung der hiesigen Staatsarchive aus 
dem Entstehungsprozess kommunaler Wappen ist. Die verheerenden Folgen, was Quali- 
tat und Nachpriifbarkeit des Wappenbestandes angeht, werden sich von Jahr zu Jahr 
starker zeigen. Das ahnte wohl sogar der seinerzeitige niedersachsische Innenminister 
und spatere Ministerprasident Glogowski, der Kommunalverbanden und Landkreisen 
1997 empfahl, bei geplanten Annahmen neuer Wappen wie bisher zu verfahren. Die ge- 
genwartige Landesregierung hat gewiss dringlichere Probleme, aber es ware zu wiin- 
schen, dass sie - was ohne groBen gesetzgeberischen Aufwand moglich ware - die 
Staatsarchive auch offiziell wieder in die bewahrte gutachtende und registrierende 
Funktion einsetzt und ein Kulturgut wie die Kommunalheraldik vor Verfall und Verwil- 
derung rettet. 

Braunschweig Arnold Rabbow 



LANDESKUNDE 



Der Landkreis Emsland. Geographie, Geschichte, Gegenwart. Eine Kreisbeschreibung. 
Hrsg. im Auftrag des Landkreises Emsland von Werner Franke, Josef Grave, Heiner 
Sohupp, Gerd Steinwascher. Meppen: Landkreis Emsland 2002. 931 S. Abb. u. Tab. 
Geb. 48,- €. 

Mit ihren 3,5 kg gehort die Kreisbeschreibung des Landkreises Emsland zu den 
Schwergewichten auf dem deutschen Buchermarkt. Doch nicht nur quantitativ, sondern 
auch qualitativ hat die neue Landeskunde Bemerkenswertes zu bieten. Uber 60 Autoren, 
darunter viele Hochschullehrer, namhafte Fachwissenschaftler sowie Experten aus Pra- 
xis und Verwaltung, prasentieren anlasslich des 25-jahrigen Bestehens des zweitgroBten 
deutschen Landkreises und „50 Jahre, nachdem das Emsland in die Moderne aufgebro- 
chen ist" auf uber 900 Seiten einen fazettenreichen landeskundlichen Uberblick. 

Das neue Werk kniipft an die Reihe der „Amtlichen Kreisbeschreibungen" an, die 
1946/47 von Kurt Briining, dem damaligen Direktor der Akademie fiir Raumforschung 
und Landesplanung in Hannover, und von Emil Meynen, dem Direktor des Instituts fiir 
Landeskunde, Bad Godesberg, in Gemeinschaft mit dem Deutschen Landkreistag ins 
Leben gerufen worden waren, um fiir Politik und Verwaltung, fiir die Kreisbevolkerung 
und fiir die Wirtschaft eine wissenschaftlich fundierte und trotzdem allgemeinver- 
standliche Gesamtdarstellung der einzelnen Kreisgebiete vorzulegen. Jede Kreisbe- 
schreibung sollte ein „Handbuch fiir Verwaltung, Wirtschaft und Kultur" sein, wie es im 
Untertitel der genannten Reihe pragnant hieB. 

Was als Bestandsaufnahme aller deutschen Landkreise geplant war (Sammeltitel „Die 
deutschen Landkreise"), wurde 1972 unvollendet eingestellt, nachdem 33 Bande, davon 
26 uber niedersachsische Landkreise, erschienen und das in Niedersachsen zuletzt da- 
mit betraute Dezernat „Landeskunde und Kreisbeschreibungen" im Niedersachsischen 
Landesverwaltungsamt im Zuge der Gebiets- und Verwaltungsreform aufgelost worden 
war. Fiir den Landkreis Emsland, der 1977 aus den Landkreisen Aschendorf-Hiimmling, 
Lingen und Meppen gebildet wurde, ist in dieser Reihe nur der Band uber den Kreis Lin- 
gen von Dr. Heinz Pohlendt im Jahre 1954 erschienen. 

Damals gait das Emsland mit seinen ertragsarmen Boden, seinen ausgedehnten 
Moor- und Heideflachen, der diinnen Besiedlung und abseitigen Lage als Armenhaus 
Deutschlands, in dem die Steuereinnahmen gering und nur wenig Industrie vorhanden 
waren. Der Anteil der in der Landwirtschaft Beschaftigten lag weit uber 50 %. Inzwi- 
schen ist ein halbesjahrhundert vergangen. In dieser Zeit hat die Region einen beispiel- 
losen Aufhol- und Umstrukturierungsprozess erfahren. Im Rahmen der ErschlieBungs- 
und Wiederaufbauhilfen des so genannten „Emslandplans" wurde in dem lange ver- 
nachlassigten Gebiet die Infrastruktur grundlegend erneuert. Das Wege- und StraBen- 
netz, die Wasserwege, die Energie- und Wasserversorgung wurden ausgebaut, iiber 1000 
km 2 Odland-, Moor- und Heideflachen kultiviert, melioriert oder trockengelegt, Flurbe- 
reinigungen und Aussiedlungen von Hofen durchgefiihrt, und es wurden Industrie- und 
Gewerbeansiedlungen gezielt gefordert. Das Emsland entwickelte sich dadurch zwar 
nicht zur Industrielandschaft, doch ist es gelungen, die Wirtschaftskraft und Lebensqua- 
litat so zu verbessern, dass es heute zu den entwicklungsstarksten Regionen Niedersach- 



370 Besprechungen und Anzeigen 

sens gehort, erkennbar an Zuwanderungsgewinnen und einem iiberdurchschnittlichen 
Beschaftigtenwachstum im Gewerbe- und Dienstleistungssektor im Mittel der letzten 
Jahre. 

Sind die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Wandlungen fur sich genommen 
schon Grund genug gewesen, eine Bilanz zu erstellen, so prasentieren sich auch die na- 
turraumlichen Grundlagen des Kreisgebietes nach 50 Jahren wissenschaftlichen Er- 
kenntnisfortschritts heute in einem neuen, differenzierteren Licht. Man denke nur an die 
Erkundung und Ausbeutung der reichen Erdol- und Erdgaslagerstatten des Emslandes, 
an die ErschlieBung und Sicherung der wertvollen Trinkwasservorrate im eiszeitlichen 
Untergrund oder an die problematische Nutzung der groBen Hochmoorflachen und ih- 
ren Schutz. Deshalb wurden in ausfuhrlichen Kapiteln und auf insgesamt rund 200 Sei- 
ten die Themenbereiche Landschaftsgliederung, Geologie und Bodenschatze, Boden, 
Witterung und Klima, Gewasser, Pflanzen- und Tierwelt aufgearbeitet und auf den neue- 
sten Stand gebracht. Auch dem Landschaftswandel dieser vom Menschen seit rd. 5000 
Jahren gepragten Region wurde ein eigenes Kapitel gewidmet, das die okologisch oft 
sehr nachteiligen Auswirkungen der Besiedlung des Emslandes seit vorgeschichtlicher 
Zeit deutlich macht: die Entstehung der einst landschaftspragenden Odland-und Heide- 
flachen durch die generationenlange Ausbeutung der Walder, die aus wirtschaftlicher 
Notwendigkeit heraus geschah. 

Auch der zweite Hauptabschnitt des Buches iiber die „Geschichtlichen Grundlagen" 
hatte einen reichlichen Umfang neuer Forschungserkenntnisse aufzuarbeiten. Durch 
seine periphere Lage und wohl auch durch die teils schwierige Quellenrecherche - viele 
historische Originalquellen befinden sich in Archiven auBerhalb der Region - war das 
Emsland jahrzehntelang von den Historikern nicht gebiihrend wahrgenommen worden. 
In den vergangenen 25 Jahren konnte dieser Riickstand weitgehend aufgeholt werden. 
Das war Anlass genug, dem historischen Abschnitt im vorliegenden Buch eine fur Kreis- 
beschreibungen eher ungewohnliche Breite einzuraumen. Auf rund 280 Seiten prasen- 
tiert sich dem Leser erstmals eine moderne Gesamtdarstellung der Regionalgeschichte, 
gegliedert in zwei Teile vor bzw. nach dem fur das Emsland so bedeutsamen Reichsdepu- 
tationshauptschluss von 1803 : „Das Emsland bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts" und 
„Zwischen 1803 und 1945". Reiche archaologische Funde belegen die Kulturphasen der 
Vor- und Friihgeschichte von der Alt-, Mittel- und Jungsteinzeit iiber Bronze- und vorro- 
mische Eisenzeit bis zur Romischen Kaiserzeit. Nach einer Fundliicke in der Volkerwan- 
derungszeit lasst sich das Hohe Mittelalter archaologisch wiedergut dokumentieren. Hi- 
storische Quellen beschreiben das Emsland erstmals in romischer Zeit (Tacitus). Dann 
fehlen bis ins Friihmittelalter die schriftlichen Quellen, so dass die Darstellung der mit- 
telalterlichen Geschichte des Emslandes erst mit der karolingischen Eroberung Sach- 
sens beginnen kann. Das Buch bietet in der Folge iiber die Darstellung der reinen Per- 
sonen- und Territorialgeschichte hinaus umfassende wirtschafts- und gesellschaftshisto- 
rische Informationen in eigenen Kapiteln: Wirtschaft, Bevolkerung, Kirche und Schul- 
wesen, Bau- und Kunstdenkmaler, Volkskunde, Niederdeutsche Sprache und Literatur. 

Den breitesten Raum nimmt in der Kreisbeschreibung die Darstellung der modernen 
Entwicklung des Emslandes in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft seit dem Ende des 
Zweiten Weltkrieges ein (375 Seiten). Dieser dritte groBe Hauptabschnitt behandelt zu- 
nachst den politischen Neubeginn der Nachkriegszeit, den Wiederaufbau der Verwal- 
tungsstrukturen und die Geschichte des Emslandprogramms, er skizziert die Aufgaben 
und die Schwierigkeiten von Raumordnung, regionaler Strukturpolitik, Stadtent- 



Landeskunde 371 

wicklung und Stadtebau in diesem noch immer diinn besiedelten und peripheren Ge- 
biet, und er beleuchtet perspektivisch auf nur 4 Seiten die historisch begriindeten Ver- 
flechtungen des Emslandes zu den benachbarten Niederlanden und Europa. Die wirt- 
schaftliche Entwicklung der Nachkriegszeit - vom Emslandplan bis zur Gegenwart - 
folgt im Text dem klassischen landeskundlichen Schema. Ausfiihrliche Darstellung er- 
fahren nacheinander die drei Wirtschaftssektoren: Land- und Forstwirtschaft, Hand- 
werk und Industrie sowie der aufstrebende Dienstleistungssektor, deren Strukturen, Pro- 
bleme und Zukunftsaussichten erortert werden. Komplettiert wird das Wirtschaftskapi- 
tel durch Ausfiihrungen iiber die Infrastruktur (Verkehr, Kommunikation, Ver- und 
Entsorgung), die wachsende Bedeutung des Tourismus als Wirtschaftsfaktor und die 
Entwicklung von Arbeitsmarkt und Beschaftigung. Die Kapitel „Kirche und Kon- 
fessionen", „Schule und Ausbildung", „Soziale Dienste" und „Gesundheitswesen", 
einschlieBlich der Themen Freizeit, Erholung, Sport und kulturelles Leben, runden den 
dritten Hauptabschnitt iiber das moderne Emsland ab. 

Am Schluss des Werkes folgen ein 33 Seiten langes Quellen- und Literaturverzeichnis 
mit rund 1.400 Titeln, ein vierseitiges geologisches Glossar mit Begriffserklarungen so- 
wie ein 14 Seiten umlassender Index der Orts- und Personennamen, die das Buch auch 
zu einem idealen lexikonartigen Nachschlagewerk machen. Ein Sachregister lehlt. 

Zusammenlassend stellt die neue Kreisbeschreibung eine wiirdige Nachfolge der tra- 
ditionellen Kreisbeschreibungen dar. Dank ihrer hervorragenden Ausstattung mit 475 
iiberwiegend larbigen Abbildungen, exzellenten Fotos und aussagekraftigen Luftbil- 
dern und durch ihren trotz der notwendigen wissenschaltlichen Prazision auch fiir „ge- 
bildete Laien" verstandlich geschriebenen Text wird dem Werk holfentlich eine weite 
Verbreitung beschieden sein. Es ist zu wiinschen, dass dem emslandischen Beispiel an- 
dere Landkreise lolgen werden. 

Erfurt Hans-Heinrich Meyer 



Historisch-landeskundliche Exkursionskarte von Niedersachsen - 1:50.000. Blatt Harsefeld- Sta- 
de. Hrsg. von Brage Bei der Wieden und Gerhard Streich. Bearb. von Brage Bei der 
Wieden, Gerhard Grosskopf, Bernd Habermann, Jan Lokers, Arend Mindermann, 
Ida-Christine Riggert-Mindermann und Ulrike Sauerland. Bielefeld: VerlagfurRe- 
gionalgeschichte 2003. 137 S. Abb. = Veroff. des Instituts fiir Historische Landesfor- 
schung der Universitat Gottingen Bd. 2, 17. Kart. 12,40 €. 

Das vorliegende Kartenblatt umfasst vollstandig das Blattfeld L 2522 Harsefeld der To- 
pographischen Karte 1 : 50 000 und dariiber hinaus noch den unteren Teil des nordlich 
anschlieBenden Blattes L 2322, so dass die Stadt Stade ganzlich mit erscheint und der 
dargestellte Bereich vom Elbstrom einschlieBlich der Marschen des Alten Landes bis 
weit in die Geestlandschaft der Heide mit ihrem alten Zentrum Harsefeld hineinreicht. 
Diese Disposition erschien wohl geboten, weil mit dem Harsefelder Gebiet an und fiir 
sich eine an einschlagigen Objekten weniger reiche Gegend vorliegt, wo ur- und friihge- 
schichtliche Fundplatze z. B. gegeniiber den nur wenigen mittelalterlichen Wiistungen 
und AltstraBen das Bild fast allein zu bestimmen scheinen. Stade und Umgebung konn- 
ten somit erheblich zur Belebung des Blattes und zur Bereicherung des Erlauterungshef- 
tes beitragen. In diesem Sinne ist auch die Hervorhebung alter Deichverlaufe ebenso 
wie das Bemuhen um eine Darstellung der alteren Topographie der Schwinge-Miindung 



372 Besprechungen und Anzeigen 

um 1700 als willkommen zu begriiBen. Was jedoch garnicht befriedigen kann,jagerade- 
zu eine Verarmung des Blattes bedeutet und hoffentlich eine einmalige Ausnahme 
bleibt, ist die Weglassung samtlicher Hohenlinien. Sowohl das Erkennen von topogra- 
phischen Lagebeziehungen der ur- und friihgeschichtlichen Objekte in ihrem natiirli- 
chen Umfeld als auch mittelalterlicher und heutiger Wiistungen bzw. Siedlungen sowie 
der AltstraBen-Trassen wird dadurch wesentlich beeintrachtigt, wenn nicht unmoglich 
gemacht. Nicht weil in einem dargestellten Gebiet die Oberflachenformen nur geringe 
Hohenunterschiede aufweisen, kann womoglich auf die Wiedergabe der Hohenverhalt- 
nisse als unwichtig verzichtet werden. Im Gegenteil erweisen sich geringe Hohenunter- 
schiede gerade in solchen Gebieten oft von tiefgreifender Bedeutung fur die unter- 
schiedlichen Nutzungsmoglichkeiten der natiirlichen Landschaft durch den siedelnden 
und wirtschaftenden Menschen in den verschiedensten Zeitepochen. 

Der Bearbeitungskanon der Abschnitte des Erlauterungsheftes folgt den eingefahre- 
nen Gleisen vorangegangener Blatter. Die als solche durchweg informativen Beitrage 
setzen ein mit der Schilderung von naturraumlicher Ausstattung und Gliederung des 
Gebietes. Angesichts der groBen Fiille archaologischer Gegenstande im Blattfeld scheint 
die hier etwas breiter angelegte Behandlung der Ur- und Friihgeschichte durch B. Ha- 
bermann wohl angezeigt. Ihr folgen vorbildlich konzentrierte Ausfuhrungen Brage Bei 
der Wiedens u. a. zur politisch-territorialen Entwicklung und administrativen Gliede- 
rung um 1800. Erneut fordert Rez., dass zu breit angelegte - wenn auch durchaus quali- 
tatvolle - Beitrage in den Erlauterungsheften iiberhaupt ihren rechten Platz nicht haben 
sollten. So hat z. B. T. Liidecke gerade erst 1999/2000 im Staderjahrbuch die Topogra- 
phie-Entwicklung Stades eingehend behandelt. Seine Ausfuhrungen sind somit fur je- 
den ernsthaft Interessierten unschwer zuganglich. Eine erneute ausfiihrliche Darstellung 
erscheint daher im Erlauterungsheft eigentlich durchaus entbehrlich und wenig ange- 
bracht. Welchem Zwecke - im Sinne von Karte und Erlauterungsheft - sollen bei Stade 
aber neben den vier sachinformativen Karten dariiber hinaus noch weitere fiinf ganz- 
seitige Faksimile-Wiedergaben von alten Stadtansichten dienlich sein ? Man ist fast ge- 
neigt an Fiillmasse zu denken, vermisst womoglich eine griindlichere redaktionelle Be- 
arbeitung. 

Im Weiteren steht einer knapp ausgefuhrten und iibersichtlichen Aufstellung der mit- 
telalterlichen Wiistungen zwar eine breite Schilderung des landlichen Siedlungswesens 
vor der Verkoppelung gegeniiber. Leider fehlt es aber weitgehend an Individualinforma- 
tionen zu den Einzelsiedlungen des Blattfeldes (etwa historische Ortsgrundriss- und/ 
oder Namenformen u. a. m.). Derartige Kontraste und Unterschiedlichkeiten in der Be- 
arbeitung der einzelnen Themenabschnitte lassen sich auch unter den iibrigen, z. T. sehr 
detailreichen Beitragen auffinden, in denen Kirchengeschichte, Kloster und Stifte, 
Wehranlagen, Bau- und Kunstdenkmaler, Wasserbau, wirtschaftliche Verhaltnisse und 
AltstraBen in unterschiedlicher Ausfuhrlichkeit (und Gebotenheit !) behandelt werden. 
Gerade in dem hier vorliegenden Erlauterungsheft wird der Kontrast zwischen dem im- 
mer wieder hervorgehobenen Desiderat kurzer konzentrierter, direkt objektbezogener 
Darstellungen einerseits und manchmal bis ins Lehrbuchhafte ausfiihrlich geratener Bei- 
trage andererseits auffallend deutlich. 

Exkursionskarte quo vadis? Fast alle der bei dem hier in Rede stehenden Blatt ange- 
merkten Starken und Schwachen hat Rez. wiederholt bei vorangegangenen Blattern/ 
Erlauterungsheften angesprochen und im Jahre 2002 dariiber hinaus zu einer Riickbe- 
sinnung auf die ursprungliche Zielsetzung des vor vierzig Jahren begonnenen Karten- 



Landeskunde 373 

werkes gemahnt. (Nieders. Jahrb. 74, S. 335 ff.) Im Vorwort des Herausgebers (?) zum 
vorliegenden Heft wird die von den damaligen Initiatoren so gemeinte und dementspre- 
chend auch erfolgte Benennung als „Exkursionskarte" nunmehr als missverstandlich an- 
gesehen. Es handele sich hier vielmehr „um eine historisch-landeskundliche Grund kar- 
te" (Hervorhebung durch Rez.). Von Seiten der damals federfiihrenden Historischen 
Geographie war freilich niemals die Rede von einem derart weit gehenden Anspruch. 
Wollte man die neuerdings geauBerte Vorstellung von der Karte aber fur kiinftige Bear- 
beitungen nun auch wirklich gelten lassen, so ist es endlich an der Zeit zum Nachdenken 
iiber eine in wesentlichen Punkten, vor allem inhaltlich, von Grund auf zu erneuernde 
Konzeption. 

Braunschweig Wolfgang Meibeyer 



Dahms, Thomas: Die Hagen von Salzgitter- Gebhardshagen, Braunschweig, Gandersheim und 
des Klutzer Ortes. Eine regionale Vergleichsstudie zur mittelalterlichen Wald- und 
Siedlungsgeschichte in Niedersachsen und Mecklenburg. Salzgitter: Archivder Stadt 
Salzgitter 2003. 160 S. Karten. = Salzgitter-Forschungen Bd. 4. Kart. 

Dahms mochte untersuchen, so schreibt er, „inwieweit von einer Hagenkolonisation - 
ausgehend vom mittleren Weserraum - „ gesprochen werden konne (S. 14). Im „mittle- 
ren Weserraum", das heiBt: im lippischen Bergland und in der Stadthager Ebene, im frii- 
heren Diilwald, wo der hochmittelalterliche Landesausbau eine charakteristische Aus- 
pragung gefunden hatte. Daran ankniipfend hatten Mortensen, Engel und andere die 
These von einer Ubertragung der Rodungs- und Siedlungsformen in den Ostseeraum 
formuliert. Dahms beschaftigt sich deshalb zunachst - ohne jedoch auf die lokalen Ver- 
haltnisse tatsachlich einzugehen - mit den „Hagen-Orten im Biickegau". Danach wen- 
det er sich den auf ,,-hagen" endenden Orten am nordlichen Westharz zu, fiir welche hi- 
des keiner der Genannten Zusammenhange mit der Ostsiedlung behauptet hatte. Breit 
legt er die urkundlichen Erwahnungen der Orte Gebhardshagen, Altenhagen, Petersha- 
gen (Vorsalz), Nienhagen, "fRolfshagen, fHeberhagen, fBurghagen/Wolfshagen, Klin- 
genhagen, Lichtenhagen/Stauffenburg und Fiirstenhagen dar. Seine Erkenntnis: „Ha- 
genhufen, Hagergut, Hagerrecht, Hagenrecht oder ein eigenes Bauernrecht sind weder 
fiir Gebhardshagen noch fiir die anderen Hagen-Orte des Untersuchungsgebietes im 
nordwestlichen Harzvorland bezeugt oder wahrscheinlich" (S. 83) . Daran schlieBt er ei- 
ne Behandlung der Dorfer im Klutzer Winkel, der Gegend zwischen Liibeck und Wis- 
mar, nach der gleichen Methode an und resiimiert, „dass man im Falle der dortigen Ha- 
gen-Orte weder von einer deutschen Ostsiedlung, noch von einer Hagen-Kolonisation 
im Sinne einer bestimmten Dorfform, Ackerflur oder eines Besiedlungsrechtes" zu re- 
den habe (S. 106). Seine Ergebnisse konnen keineswegs befriedigen, da die Theoriebil- 
dung in dieser Frage sich besonders auf die Siedlungsformen bezogen hatte, Dahms aber 
die geografische Forschung weitgehend ignoriert; sogar der Historische Atlas von Meck- 
lenburg (Karte 4: Historische Dorfformen) fehlt unter der benutzten Literatur. Die Rei- 
hungen der auffalligen Waldhufen, die sich an der mittleren Weser ebenso wie in Meck- 
lenburg und Pommern finden, interessieren ihn nicht. Er arbeitet sich am Begriff „Ha- 



1 Vgl. den Beitrag vonjiirgen Asch in dieser Zeitschrift 50 (1978), S. 107-192. 



374 Besprechungen und Anzeigen 

gen" ab, dem er die Bedeutungen „Grenze", „Bereich privatrechtlicher Nutzung", 
„Grundstiick" und „Wald(bezirk)" zuweist. Sicher ware es eine gute Idee gewesen, die 
gerade in den alteren Quellen haufigere Entsprechung „Indago", schon im klassischen 
Latein gut belegt, in die Uberlegungen einzubeziehen. Dahms hat allerdings das unbe- 
streitbare Verdienst, nicht allein einen neuen Grund fur die Lokalgeschichte im Salzgit- 
ter-Raum gelegt, sondern auch das wichtige Thema der hochmittelalterlichen Rodungs- 
siedlungen in ihren europaischen Zusammenhangen wieder auf die Tagesordnung ge- 
setzt zu haben. 

Hannover Brage Bei der Wieden 



VOLKSKUNDE 



Pelzer, Marten: Landwirtschaftliche Vereine in Nordwestdeutschland. Das Beispiel Badber- 
gen. Eine Mikrostudie zur Vereins- und Agrargeschichte im 19. und friihen 20.Jahr- 
hundert. Cloppenburg: Museumsdorf 2002. 546 S. m. 58 Abb. = Quellen und Studien 
zur Regionalgeschichte Niedersachsens Bd. 8. Geb. 24,80 €. 

Die volkskundliche Dissertation - angeregt von Helmut Ottenjann, an der Universitat 
Minister von Giinter Wiegelmann betreut - versteht sich als exemplarische ,,Mikrostu- 
die" iiber die bislang wenig erforschten lokalen landwirtschaftlichen Vereine im 19. und 
friihen 20. Jahrhundert. Gefragt wird in erster Linie nach Funktionen und Funktions- 
wandel dieser verbreiteten „staatsnah organisierte(n), gleichwohl private(n) Bildungs- 
einrichtungen zur Forderung der landwirtschaftlichen Produktion mit einer wachsen- 
den Zahl bauerlicher Mitglieder" (S. 12). Zentrale Quelle sind die Protokollbucher des 
Badbergener Vereins von 1839 bis 1933, die im Niedersachsischen Staatsarchiv Osna- 
briick verwahrt werden. Aus Mangel an parallelen Untersuchungen ist die Reprasentati- 
vitat der Vereinsentwicklung schwerzu beurteilen, doch weist die Untersuchungsregion 
einige Besonderheiten auf: Das Artland, eine protestantische Enklave in der Haseniede- 
rung im nordlichen Osnabrucker Land, gait schon den Zeitgenossen als „mit besonders 
fruchtbarem Boden und auch mit reichen und auBerst wohlgebildeten Bewohnern, wie 
man sie selten unter den Landwirthen findet, bevorzugt" (Miiller 1842, zit. nach S. 17) 
und wurde allgemein zum „Inbegriff fiir ein nicht nur von Natur aus begunstigtes, son- 
dern iiberhaupt kulturell hochstehendes Bauerntum" stilisiert (ebd.). 

Anfangs werden die Entstehungsgeschichte des Vereins und die Entwicklung des 
iibergeordneten Osnabrucker Hauptvereins betrachtet. Der „Landwirthschaftlich-ge- 
werbliche Verein zu Badbergen" wurde 1839 mit dem Ziel gegrundet, die Landwirt- 
schaft und die „damit in Verbindung stehenden Gewerbe" durch Erfahrungsaustausch, 
ein Leseinstitut und gemeinsame Versuche zu fordern. Als Initiator trat der Kaufmann 
Walmichrath hervor, der sein offentliches Engagement mit geschaftlichen Ambitionen 
verband und dabei anfangs von einem Gutsbesitzer, einem groBeren Bauern und dem 
ortlichen Pfarrer maBgeblich unterstiitzt wurde. Der landwirtschaftliche Verein kann als 
einer der ersten und dauerhaftesten des Osnabrucker Landes gelten. In der Griindungs- 



Volkskunde 375 

zeit erlebte die agrarisch gepragte Gesellschaft grundlegende Veranderungen: Die mei- 
sten Marken im Kirchspiel waren bereits geteilt und viele Hofe langst aus der Eigenbe- 
horigkeit freigekauft, die groBe Ablosungswelle lief gerade an und erreichte in den 
1840er Jahren ihren Hohepunkt. Der relativ spaten Verbandsbildung im Konigreich 
Hannover entsprechend, wurde der landwirtschaftliche Hauptverein fiir den Landdro- 
steibezirk Osnabriick erst 1849 gegriindet. Unter dem Vorsitz des Osnabriicker Biirger- 
meisters Stiive 1852-63 hatte er einen schweren Stand gegen die reaktionaren Tenden- 
zen in Hannover und der Landdrostei; die Spannungen wirkten sich zeitweilig auch auf 
den Badbergener Verein aus. 

Es folgen ausfiihrliche Analysen zur Mitgliederstruktur. Anfanglich lag der Anteil der 
bauerlichen Hofbesitzer bei etwa zwei Dritteln und damit wohl im Mittelfeld der umlie- 
genden Vereine, doch mit auffallig hohem Organisationsgrad insbesondere der groBen 
Kolone, die bald auch den Vorstand dominierten. In geringerer Zahl kamen Pfarrer, 
Kaufleute und weitere „Honoratioren" (zum Teil als Ehrenmitglieder) hinzu, auBerdem 
Lehrer, Gastwirte und Handwerker (meist zugleich Neubauern, darunter wenige „Auf- 
steiger" in den eigentlichen Bauernstand). Vereinzelt sind auch verwitwete Bauersfrau- 
en unter den friihen Mitgliedern nachweisbar. Mitte des 19. Jahrhunderts anderte sich 
die Zusammensetzung, teils bedingt durch offenbar nicht erfiillte Erwartungen, teils 
durch eine gewisse Politisierung 1848. Doch schlossen allenfalls die mittleren Kolone et- 
was auf, wahrend die klein- und unterbauerlichen Schichten nur schwach reprasentiert 
blieben. Fiir die zweite Halfte des Jahrhunderts lasst sich die Mitgliederentwicklung 
mangels Quellen kaum untersuchen, doch sind immerhin in den 1870er Jahren kurzfri- 
stig einige wenige Heuerlinge als Vereinsmitglieder nachweisbar. Ansonsten dominierte 
eine „besitzbauerliche" Perspektive, die das Heuerlingsproblem nicht als soziale Frage 
wahrzunehmen vermochte, sondern vorrangig darauf zielte, wie der Bedarf an Lohnar- 
beitern am gunstigsten gedeckt werden konnte. 

Im Mittelpunkt des nachsten Hauptabschnitts steht die Bildungstatigkeit. Unter die- 
sem Aspekt werden zunachst die Vereinsversammlungen analysiert, die im langerfristi- 
gen Durchschnitt programmgemaB etwa zweimonatlich stattfanden, mit deutlichen 
Spitzenwerten in den 1860er bis 1880er Jahren. In dieser Zeit wurden auch die Vortrage 
zu einem wesentlichen Bestandteil der Zusammenkunfte. Soweit feststellbar, unterlag 
die Teilnehmerzahl allerdings starken Schwankungen und erreichte eher in den Jahr- 
zehnten um die Jahrhundertwende ihren Hohepunkt, als Krisenerfahrungen ein breites 
Bewusstsein fiir die Notwendigkeit rationelleren Wirtschaftens hervorgerufen hatten. 
AnschlieBend widmet sich der Autor sehr eingehend dem Leseverhalten. Sogleich eta- 
blierte sich ein Lesezirkel, dessen Schriften nach dem Umlauf die Vereinsbibliothek be- 
stiickten, die anfangs auch Nichtmitgliedern offen stand. Die aus der Anfangszeit erhal- 
tenen Listen ausgeliehener und anzuschaffender Biicher lassen ein breites Spektrum von 
Zeitschriften, Lexika, „Volksbiichern" und landwirtschaftlicher Fachliteratur erkennen, 
fiir die in einzelnen Fallen eine gezielte Nutzung nachzuweisen ist. Bis zurjahrhundert- 
wende setzte sich insbesondere im Lesezirkel der Aspekt der Unterhaltung („Gartenlau- 
be", „Fliegende Blatter") immer mehr durch. In den Versammlungen trat die anfangs 
noch notwendige Besprechung von Fachliteratur hinter die Vortrage zuriick, die, zuneh- 
mend von Gastreferenten bestritten, zur Erhohung der Teilnahmequote beitrugen. In 
den Jahren um den Ersten Weltkrieg wurden Bibliothek und Lesezirkel aufgelost, zumal 
seit langerem Kirchengemeinde und Kriegerverein in Badbergen eigene, weitaus groBe- 



376 Besprechungen und Anzeigen 

re offentliche Biichereien unterhielten und der Bucherwerb allgemein giinstiger gewor- 
den war. Fur die Fortbildung hatten zudem private und offentliche Lehranstalten erheb- 
lich an Bedeutung gewonnen. 

AnschlieBend wird ein Panorama der „Themen und Aktivitaten des Vereins" entfal- 
tet, das fast die Halfte des laufenden Textes ausmacht und an dieser Stelle nur auBerst 
knapp skizziert werden kann. Drei zentrale Themen werden beispielhaft untersucht: 1. 
die Innovationen im Wiesenbau zur Nutzung des Griinlandes, das fur die Landwirtschaft 
im Binnendelta des „Quakenbriicker Beckens" von besonderem Interesse war; 2. die 
Entwicklung der immer mehr an Bedeutung gewinnenden Rindviehzucht und Milch- 
wirtschaft, einschlieBlich der Verbreitung des Genossenschaftswesens; 3. die Einfiih- 
rung landwirtschaftlicher Maschinen und Gerate. Indem der Autor diesen Themen sehr 
detailliert nachgeht, kann er nicht nur vielfaltige Wirkungen des Vereins illustrieren, die 
sich teilweise mit bestimmten Personlichkeiten und typischen „Generations"-Pra- 
gungen verbinden, sondern in wesentlichen Ziigen die Modernisierung der Artlander 
Landwirtschaft exemplarisch beschreiben. Im Ubrigen miissten fiir eine weiter reichen- 
de Wirkungsgeschichte die Hofarchive herangezogen werden (S. 300). Zudem werden 
„Verbiirgerlichungstendenzen" diskutiert, die durch die Offnung des Vereins gegenuber 
allgemein bildenden Themen gefordert sein konnten. 

Den letzten Unterabschnitt bildet eine Analyse der landwirtschaftlichen Interessen- 
politik im Verein seit dem Kaiserreich. Die spiirbar zunehmende Staatsnahe und Politi- 
sierung auBerte sich zunachst zuriickhaltend, eher symbolisch (Bismarckkult) , bevor der 
Erste Weltkrieg mit seiner Zwangswirtschaft eine jahe Zasur herbeifiihrte. Die nachfol- 
gende Krisenstimmung machte sich auch im Vereinsleben deutlich bemerkbar, doch 
konnten die NS-Aktivisten unter den Mitgliedern nicht die Oberhand gewinnen, ob- 
wohl die Partei im Artland groBen Zulauf erhielt. Mit der Auflosung der landwirtschaft- 
lichen Vereine Ende 1933 gelangte das Verhaltnis zwischen Vereinswesen und Staat zu 
einem gewissermaBen extremen Ende. Dieser Schlusspunkt diirfte, wie der Autor resii- 
miert, kaum der Tradition des Badbergener Vereins entsprochen haben, der sich weder 
von den Interessengruppen noch von der staatlichen Verwaltung habe vereinnahmen 
lassen, sondern dessen „Hauptaugenmerk . . . bis zuletzt der bauerlichen Selbsthilfe 
durch Rationalisierung und Intensivierung der landwirtschaftlichen Betriebe" gegolten 
habe (S. 296). Bei allem „Wechsel der Gesichter" (S. 299) nicht nur der pragenden Per- 
sonlichkeiten, sondern auch des zeittypischen Einflussen unterworfenen Vereins selbst, 
bleibt dies ein durchgangiger Zug seiner Geschichte. 

Die sehr umfangreiche Studie ist nicht ganz leicht zu resiimieren: Auf rund 300 
zweispaltig bedruckte A-4-Textseiten, die dankenswerterweise mit Ubersichtskarten, Ta- 
bellen und Abbildungen versehen sind, folgen iiber 220 Seiten Literaturverzeichnis und 
Anmerkungen sowie ein 22-seitiger Quellenanhang. Fiir eilige Leser ist der Band auch 
insofern weniger geeignet, als er nicht iiber ein Register verfugt und sowohl die Einlei- 
tung als auch die Zusammenfassung vergleichsweise knapp ausgefallen sind. Die statt- 
dessen zu erwartende Einordnung anhand „benachbarter" oder allgemeinerer Themen 
(biirgerliches Vereins- und bauerliches Genossenschaftswesen, Bildung auf dem Land, 
staatlicher und bauerlicher Anteil an der Agrarmodernisierung usw.) findet vielmehr in- 
nerhalb der Sachkapitel statt. Der wesentliche Wert der fliissig geschriebenen Arbeit 
liegt sicherin ihrer Anlage als in die Breite und Tiefe gehende „Mikrostudie", die den lo- 
kalen Gegebenheiten und Protagonisten sehr genau nachspiirt, ohne den Forschungs- 
hintergrund aus dem Auge zu verlieren. IhrErtragreicht weit iiber die engere Vereinsge- 



Allgemeine Geschichte und Landesgeschichte 377 

schichte hinaus und diirfte der nordwestdeutschen Volkskunde und Agrargeschichte 
willkommene Impulse geben. 

Osnabriick Nicolas Rugge 



ALLGEMEINE GESCHICHTE UND 
LANDESGESCHICHTE 



Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes. Abt. II: 1830-1848. Bd. 1: Reformplane und 
Repressionspolitik 1830-1834. Bearb. von Ralf Zerback. Miinchen: Oldenbourg 
2003. LXVIII, 806 S. m. 14 Abb. Geb. 99,80 €. 

Der vorliegende Band gehort in die Abteilung II der 1988 von der Historischen 
Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften ins Leben gerufenen 
Edition „ Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes". Als Band 1 der zweiten Ab- 
teilung umfasst er die Jahre von 1830 bis 1834. In diesen Zeitraum fielen als her- 
ausragende Ereignisse der deutschen Geschichte u. a. die Auswirkungen der Julirevo- 
lution von 1830, die zur Konstitutionalisierung einer Reihe von Staaten, wie Hannover, 
fuhrten und derliberalen und nationalen Bewegung neuen Auftrieb verliehen. Dies fand 
im Hambacher Fest vom Marz 1832 seinen Niederschlag, auf das der Deutsche Bund auf 
der Grundlage der „Sechs Artikel" mit reaktionarer Unterdruckungspolitik und De- 
magogenverfolgung reagierte. Der Frankfurter Wachensturm vom April 1833 schien ei- 
ne Verscharfung der RepressionsmaBnahmen zu rechtfertigen, die ihre Grundlage in 
den „Sechzig Artikeln" der Wiener Ministerialkonferenz vom Sommer 1834 fanden. 
Zeitgleich zu den MaBnahmen reaktionarer Politik vollzog sich die von PreuBen voran- 
getriebene handelspolitische Entwicklung in der Form des Zollvereins, der ebenfalls 
1834 ins Leben trat, der der norddeutschen GroBmacht die wirtschaftliche Fuhrung in 
Deutschland sichern und die kleindeutsche Nationalstaatslosung vorformen sollte. Sein, 
wenn auch weniger einflussreiches Gegenstiick war der Steuerverein, der u. a. die nord- 
deutschen Staaten Oldenburg, Braunschweig, Schaumburg-Lippe und Hannover um- 
fasste, das wegen seiner britischen Verbindungen und seiner Befurchtungen vor preuBi- 
scher Hegemonie einen Anschluss an den Zollverein ablehnte. 

Bei den von Ralf Zerback ausgewahlten 107 Dokumenten des vorliegenden Bandes 
handelt es sich um Texte aus den Kanzleien und AuBenministerien der deutschen Staa- 
ten, um Gesandtschaftsberichte und Konferenzprotokolle sowie publizistische und par- 
lamentarische Beitrage, die weniger Ereignisse der Einzelstaaten, sondern bundespoli- 
tisch relevante Vorgange zum Inhalt haben. Die Edition gliedert diese Dokumente in 
sieben Teile: In den Quellen des ersten Teils „Grundcharakter und Entwicklungspoten- 
tial" auBern sich die Entscheidungstrager prinzipiell zum politischen Aufbau des Bun- 
des und diskutieren Vorschlage zu seiner Weiterentwicklung. Besonders hervorzuheben 
sind in diesem Zusammenhang die Denkschrift Herzogs Ernsts I. von Sachsen-Coburg 
und Gotha vom August 1832 (Nr. 10), in der der Bund nach dem Erlass der Sechs Artikel 
an positive MaBnahmen auf dem Gebiet der Wirtschaft und des Rechtes zur Festigung 



378 Besprechungen und Anzeigen 

seiner Einheit erinnert wird; oder das Memorandum des badischen Bundestagsgesand- 
ten Friedrich Freiherr von Blittersdorff vom Juli 1833 (Nr. 13) iiber die deutschen Bun- 
desverhaltnisse, der ebenfalls vor dem Hintergrund der „hochverraterischen Bestrebun- 
gen" umfangreichere Bundeskompetenzen fordert. 

Im zweiten Teil, „Wirtschaftseinheit", werden Reaktionen auf die preuBische Zoll- 
einigungspolitik und Alternativmodelle veroffentlicht. Dazu gehoren die hanno- 
verschen Antrage auf bundeseinheitliche Handelserleichterungen, die der Bundestags- 
gesandte August Freiherr von Stralenheim im August 1832 in die Bundesversammlung 
einbrachte (Nr. 15). Der „Friihen Repressionspolitik" und ihren wenig systematischen 
Versuchen ist der dritte Teil gewidmet, der zum Abschnitt „Die Sechs Artikel" iiberleitet, 
in dem die Genese dieses Bundesbeschlusses und die Diskussion iiber seine Rechtma- 
Bigkeit veranschaulicht werden. Der fiinfte Teil „Wachensturm und Bundeszentralbe- 
horde" zeigt die Beurteilung dieses Ereignisses aus der Sicht der Bundespolitiker auf. 
Der Teil „Wiener Kabinettskonferenz von 1834" erhellt nicht nur deren Vorgeschichte, 
sondern legt auch die unterschiedlichen Positionen der Regierungen dar und verdeut- 
licht die Auswirkungen der oppositionellen Haltung Bayerns. Besonders aufschlussreich 
ist in diesem Zusammenhang der Schlussbericht des Oldenburger Vertreters Giinther 
Heinrich von Berg an GroBherzog Paul Friedrich August (Nr. 96). Aufschlussreich ist in 
diesem Teil auch ein weiterer Antrag Hannovers zur wirtschaftlichen Einheit des Bundes 
(Nr. 88). 

Der letzte Teil „Reformprojekte in Parlament und Publizistik" entha.lt AuBerungen 
von Reprasentanten der liberalen und nationalen Bewegung. Besonderes Interesse 
kommt dabei der Motion Karl Theodor Welckers in der badischen Zweiten Kammer 
vom 15. Oktober 1831 zu (Nr. 100), die eine realistische Reform des Bundes durch die 
vollkommene Verwirklichung der Art. 13 (Landstandische Verfassung) und 18 (Grund- 
rechte) der Bundesakte sowie die Errichtung eines nationalen Parlaments ^National- 
rath") aus reichsstandischen Adligen und Abgeordneten der Lander anstrebte. 

Der Bearbeiter hat aus der Fiille der Quellen zur Geschichte des Deutschen Bundes ei- 
ne representative Auswahl getroffen. Dabei treten die Spannungen, die zwischen den 
GroBmachten und konstitutionellen Staaten, zwischen Befiirwortern einer Starkung der 
Bundesgewalt und ihren Gegnern bestanden, vor allem aber die Riicksichtnahme, die 
auch reaktionare Regime auf die an Bedeutung gewinnende Offentliche Meinung neh- 
men mussten, besonders deutlich hervor. 

Hannover Hans-Georg Aschoff 



Lippe 1848. Von der demokratischen Manier eine Bittschrift zu iiberreichen. Hrsg. von 
Harald Pilzer und Annegret Tegtmeier-Breit. Detmold: Lippische Landesbiblio- 
thek 1998. 334 S., zahlreiche Abb. Kart. 

Das 150jahrige Gedenkjahr der Marzrevolution im Furstentum Lippe nahm die Lippi- 
sche Landesbibliothek in Detmold zum Anlass fur eine Ausstellung, deren bleibender 
Ertrag in einem gut ausgestatteten Begleitband niedergelegt ist. Das kleine Land, oft als 
Musterbeispiel deutscher Kleinstaaterei verspottet, gehorte nicht gerade zu den Brenn- 
punkten des revolutionaren Geschehens, sondern stand auch 1848 eher im Windschat- 
ten der Ereignisse in Paris, Berlin, Frankfurt oder Wien. Dennoch war auch fur Lippe- 



Allgemeine Geschichte und Landesgeschichte 379 

Detmold das biirgerliche Aufbegehren gegen die festgefahrenen politischen und sozia- 
len Verhaltnisse ein Markstein in der Geschichte des 19. Jahrhunderts. Die 23 Beitrage 
des Bandes - davon 13 von der Mitherausgeberin Annegret Tegtmeier-Breit verfasst - 
stellen den faktischen Ablauf des Protests, seine Auswirkungen und sein Scheitern an 
der Reaktion in einen weiten Rahmen, der die gesellschaftlichen Voraussetzungen eben- 
so umfasst wie die Rolle der literarischen Wegbereiter. Teil I (benannt wie der gesamte 
Band) erlautert die titelgebende Karikatur, begriindet die Beschrankung des Blickwin- 
kels auf die regionalen Vorgange und ordnet diese zugleich in die groBeren Zusammen- 
hange ein. Dabei gilt ein besonderes Augenmerk der Bedeutung von Information und 
Kommunikation, die durch das Aufkommen der Eisenbahnen in der Zeit des Vormarz 
und die Aufhebung der Pressezensur 1848 starken Auftrieb erhielten und wesentlich zur 
raschen Verbreitung des revolutionaren Gedankenguts beitrugen. Ein Revolutionska- 
lender verdeutlicht die Abhangigkeit der lokalen Bewegung in Lippe von den deutschen 
und europaischen Vorbildern. 

Teil II (Lippe zwischen Vormarz und Revolution) skizziert die innen- und auBenpoli- 
tische Situation Lippes vor 1848 und schildert die soziale Lage der Landbevolkerung, 
die zu groBen Teilen verarmt und zu Wanderarbeit oder Auswanderung gezwungen war. 
Der Bildungshorizont des lippischen Burgertums wird durch eine Betrachtung der Lese- 
kultur in Westfalen und eine Analyse der Nutzungsmoglichkeiten der Furstlich Offentli- 
chen Bibliothek, der Leihbibliotheken und Lesegesellschaften in Detmold umrissen. 
Hervorgehoben wird die Rolle des Publizisten Theodor Althaus, eines gebiirtigen Det- 
molders, der als Redakteur in Hannover 1849 wegen Hochverrats zu einer Haftstrafe 
verurteilt wurde, und der „Ressource", eines biirgerlichen Geselligkeitsvereins, der als 
eine der Keimzellen der Revolution bezeichnet, mit diesem Etikett aber wohl iiber- 
schatzt worden ist. 

Teil III (Die Revolution in Lippe) wendet sich dem faktischen Geschehen zu: der Er- 
richtung einer Biirgerwehr, der landlichen Protestbewegung und den stadtischen Unru- 
hen und Tumulten, dem Aufkommen politischer Vereine und parteiverbundener Zei- 
tungen. Die Arbeit des 1849 neu gewahlten Landtags und sein gescheitertes Bemuhen 
um eine konstitutionelle Verfassung wird ebenso dargestellt wie das Wirken des Lipper 
Abgeordneten zur Frankfurter Nationalversammlung, Heinrich Schierenberg. Bei aller 
Begeisterung fur die nationale Idee hing man in Detmold und in Lemgo - der Stadt ist 
ein eigener Beitrag gewidmet - doch an der Eigenstaatlichkeit fest; gegen die drohende 
Mediatisierung entstand eine Petitionsbewegung, die der ansonsten heftig kritisierten 
Regierung den Riicken starkte. 

Teil IV (Protagonisten der Revolution) stellt drei lippische Personlichkeiten heraus, 
die ihr Lebensweg in andere Gegenden Deutschlands gefuhrt hatte, die aber durch ihre 
Schriften doch mittelbaren oder unmittelbaren Einfluss auf die Entwicklung im Heimat- 
land genommen haben: die Schriftsteller Ferdinand Freiligrath, Georg Weerth und Mal- 
wida von Meysenbug. Freiligrath hatte sich in Diisseldorf wegen einer Revolutionshym- 
ne einem Prozess zu stellen, in dem er schlieBlich freigesprochen wurde. Weerth dage- 
gen musste in Koln eine Gefangnisstrafe absitzen und wurde vom preuBischen Staat 
ausgewiesen. Die Meysenbug erscheint als eine gebildete und geistig unabhangige Frau, 
fur die eigene politische Aktivitaten noch auBerhalb der Vorstellung lagen, die aber 
durch ihr Vorbild emanzipatorisch wirkte und sich im Sinne des gesellschaftspolitischen 
Fortschritts sozial betatigte .SchlieBlich arbeitet Harald Pilzer anhand der im Lippischen 
Volksblatt erschienenen Karikaturen heraus, wie dieses konservativ ausgerichtete Or- 



380 Besprechungen und Anzeigen 

gan den revolutionaren Geist, von dem ein GroBteil der Burger ergriffen war, kritisierte 
und sich iiber ihn lustig machte. Diese und andere Karikaturen bilden neben Aktenstii- 
cken, meist aus dem Detmolder Staatsarchiv, Zeitungsartikeln, Titelblattern von Flug- 
schriften und anderen Publikationen den Kern der Illustrationen des Bandes, die ihn zu- 
gleich zu einem Katalog der zugrunde liegenden Ausstellung werden lassen. Abbildun- 
gen und Texte erganzen sich gut zu einem Gesamtbild der Revolution im Lippischen, 
das nicht den Anspruch erhebt, alle Aspekte des Themas ausgeleuchtet zu haben, aber 
doch als eine zuverlassige und detailreiche Einfiihrung in diesen Abschnitt der Landes- 
geschichte gelten kann, wissenschaftlich fundiert und verstandlich formuliert und damit 
auch geeignet, einen breiteren Leserkreis anzusprechen. 

Hannover Dieter Brosius 



Herzogtum Lauenburg: Das Land und seine Geschichte. Ein Handbuch. Hrsg. von Eckardt 
Opitz. Neumiinster: Wachholtz Verlag 2003. 831 S. mit zahlr. farb. und sw. Abb., 1 
Stammtafel. Geb. 48,- €. 

Eine zusammenfassende Darstellung des Herzogtums Lauenburg, dessen territoriale 
Reste sich heute noch im schleswig-holsteinischen Kreis Herzogtum Lauenburg finden, 
war lange Zeit ein Desiderat. Altere Darstellungen wie die von v. Kobbe, v. Duve und 
Manecke konnten schon lange nicht mehr befriedigen und die Resultate der jungeren 
historischen Forschung, wie sie in Spezialmonographien und Aufsatzen, insbesondere in 
der Zeitschrift „Lauenburgische Heimat" und in den Kolloquiumbanden der Lauenbur- 
gischen Akademie fur Wissenschaft und Kultur zum Druck gelangten, verlangten nach 
einer neuen Gesamtdarstellung. Der Miihe, eine solche in Form eines (gerade noch 
handlichen) Handbuches herauszubringen hat sich Eckardt Opitz, gerade emeritierter 
Professor der Universitat der Bundeswehr Hamburg, unterzogen. Sein Motiv war es, dem 
kleinen Territorium, dem dritten Elbherzogtum, den Platz in der schleswig-holsteini- 
schen Landesgeschichte zuzuweisen, den es seiner friiheren Bedeutung nach beanspru- 
chen darf. Wie immer bei einem solchen Werk bedarf es der Mitarbeit zahlreicher Auto- 
ren, um dem Anspruch einer aktuellen, die verschiedenen Aspekte der historischen Ent- 
wicklung berucksichtigenden Landesgeschichte zu geniigen. Zwolf Mitarbeiterlnnen 
hat das Werk - der groBte Teil von ihnen bereits ausgewiesene Fachleute, andere junge 
Wissenschaftlerlnnen aus dem Umkreis des Herausgebers. Der Hauptteil des Handbu- 
ches ist chronologisch aufgebaut und behandelt Vor- und Fruhgeschichte (E. Noll), die 
mittelalterliche Geschichte (J. Meyn), die letzte Zeit der askanischen Herzoge (J. Hill- 
mann), einen Uberblick iiber die Verwaltungsgeschichte bis 1689 (E. Opitz), die hanno- 
versche Zeit (E. Opitz), die ,Franzosenzeit' (H. Stubbe da Luz), die ,danische' Zeit (M. 
Busch), die preuBische Zeit bis 1918 (E. Opitz), die Zeit der Weimarer Republikund des 
Nationalsozialismus (H. Zimmermann), Kriegsende und erste Nachkriegszeit (C. Ober- 
lander) und schlieBlich die Zeit der Bundesrepublik bis zur Wiedervereinigung 1990 (E. 
Opitz). Drei Exkurse zur Geschichte der Landwirtschaft (D.W. von Biilow), der Kirche 
(H. Harms) und der Kunst (M. Knauer) schlieBen sich an. Ihnen folgen fiinf kurze stadt- 
geschichtliche Exkurse zu Geesthacht (M. Kleinfeld), Lauenburg (E. Opitz), Molln (M. 
Limbacher), Ratzeburg (B. Stelter) und Schwarzenbek (H. Stubbe da Luz). 

Alle Beitrage sind - von kleineren und unwesentlichen Fehlern abgesehen - kenntnis- 



Allgemeine Geschichte und Landesgeschichte 381 

reich und auf dem neuesten Stand der Forschung geschrieben. Zu Beginn jeden Ab- 
schnitts ist die einschlagige wissenschaftliche (nicht die heimatkundliche) Literatur ge- 
nannt. Einzelnachweise finden sich im ausfiihrlichen Anmerkungsapparat zu Ende je- 
den Kapitels. Es fallt ein gewisses Ubergewicht der Politik- und Verfassungsgeschichte 
auf, wahrend die Ansatze der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte, aber auch der Mentali- 
tatsgeschichte vergleichsweise schwachen Widerhall finden. Und selbstverstandlich 
sind die alteren Epochen, in denen das Eigengewicht des Territoriums bedeutender war, 
viel regionalspezifischer dargestellt, als die spateren Zeitabschnitte (insbesondere nach 
dem Ubergang an PreuBen, wo sich die Vereinheitlichungstendenzen der modernen Ge- 
sellschaft und ihrer Verfassung dann doch sehr stark bemerkbar machen) . Die hannover- 
sche Zeit, also die Periode von 1689 bis 1801/1803, nimmt mit fast 50 Seiten einen recht 
breiten Raum ein, obwohl das im wesentlichen nordelbische Herzogtum fur das Kur- 
furstentum Hannover nur ein Randterritorium darstellte. Die Bewertung der Zeit durch 
Herrn Opitz ist widerspriichlich. Wahrend er einerseits bemerkt: „Von einem Moderni- 
sierungsschub, der von Hannover hatte ausgehen konnen, ist im Verlauf des 18. Jahrhun- 
derts kaum etwas zu spiiren" (S. 251) , sagt er andererseits : „Die hannoversche Zeit wurde 
. . . furLauenburg . . . eine Periode des Fortschritts und der wirtschaftlichen Prosperitat" 
(S. 255). Egal - die Zeit der kurhannoverschen Herrschaft war fur das kleine Landchen 
vor allem aufgrund der dem Erbfolgestreit folgenden Friedensperiode von lOOJahren ei- 
ne gute - auch wenn das zum Herzogtum gehorende Land Hadeln in die Turbulenzen 
des groBen Nordischen Krieges (1700-1721) geriet. Und schlieBlich behielt das Konig- 
reich und die spatere Provinz Hannover zwei territoriale Bestandteile des dann doch 
1815 verlorenen Herzogtums: Das Land Hadeln mit Otterndorf und das Amt Neuhaus - 
beide heute (wieder) Bestandteile des Bundeslandes Niedersachsen. 

Ein umfangreicher Dokumentenanhang (mit 61 Stricken auf 150 S.) bietet die Mog- 
lichkeit, historisch besonders bedeutsame Texte (in deutscher Ubersetzung) nachzule- 
sen. Urspriinglich war ein eigener Quellenband geplant, der aus finanziellen Griinden 
nicht realisiert werden konnte. Herr Opitz wollte damit die wichtigsten Texte, die die 
Grundlage fur historische Forschung darstellen, fur die Leser zuganglich machen. Uber 
die Auswahl solcher Texte laBt sich trefflich streiten; mir scheint sie gelungen. Dass das 
Handbuch eine ausfiihrliche Literaturliste aufweist, die uber die den Kapiteln vorange- 
stellte Basisliteratur weit hinausreicht, macht es dem Weiterforschenden leicht, sich zu- 
rechtzufinden. Dass dariiber hinaus dem Buch ein Register beigegeben ist, erleichtert 
die Benutzung sehr. Beigelegt ist eine graphische Darstellung der Genealogie der askani- 
schen Herzoge von 1180 bis 1689, die die bisweilen verzwickten dynastischen Verhalt- 
nisse veranschaulicht. 

Insgesamt ist damit fur ein im groBten Teil seiner Geschichte marginales Territorium 
auf der Grenze groBerer Einheiten (Schleswig-Holstein, Mecklenburg, Hannover) ein 
historisches Handbuch vorgelegt worden, das nur wenige Wunsche offenlaBt und in Zu- 
kunft als grundlegend fur die Geschichte des Herzogtums und des Kreises angesehen 
werden wird. 

Hamburg Klaus-Joachim Lorenzen-Sohmidt 



382 Besprechungen und Anzeigen 

Beziehungen Mecklenburgs zu Reichsterritorien und auswartigen Mdchten (15. bis 19.Jahrhun- 
dert): Findbuch des Bestandes 2.11-2/1 Acta externa Bd. 3. Bearb. von Dirk Sohlei- 
nert unter Mitarb. vonjohann Peter Wurm. Schwerin: Landeshauptarchiv 2003. 461 
S. mit 4 Abb. = Findbiicher, Inventare und kleine Schriften des Landeshauptarchivs 
Schwerin Bd. 9. Geb. 

Das Landeshauptarchiv Schwerin folgt dem guten Brauch, wichtige Bestande neu oder 
hier erstmals eingehend zu verzeichnen, sie damit unter modernen Gesichtspunkten zu 
erschlieBen und vor allem die neuen Findbiicher durch den Druck einer breiteren Of- 
fentlichkeit zuganglich zu machen. Die auswartigen Akten der Schweriner und Giistro- 
wer Herzoge und in geringem Umfang der Schweriner GroBherzoge sind nun iiber ein 
dreibandiges Repertorium bequem zu iiberschauen. Dem hier anzuzeigenden Band gin- 
gen zwei Teile voraus. Sie enthalten einmal die Staaten und Stadte rund um die Ostsee 
(1998) und zum andern Kaiser und Reich, Osterreich, Brandenburg und PreuBen (2000) . 
Der dritte Band bietet den ,Rest', der fur die Beziehungen zu den welfischen Herzogen 
von besonderer Bedeutung ist. 

So erfreulich die Veroffentlichung ist, so fiihrt ein erster Blick in sie doch zu einigen 
Fragen. Der Bestand heiBt neben einer komplizierten Signatur „Acta externa" (Titel und 
Schmutztitel), ist aber mit „Auswartige Angelegenheiten" zu zitieren (S. 15). Unter den 
Akten gibt es eine Abteilung „Belgien". Sie enthalt aber kein Schriftstuck, welches das 
Konigreich Belgien betrifft. Vielmehr handelt es sich um die habsburgischen Niederlan- 
de, die Herzoge von Croy und das Bistum Liittich, das aber zum Reich gehorte und des- 
sen Bischofe Reichsfursten waren (daher friiher auch ein selbstandiger Betreff) . Die Ab- 
teilung war vordem mit „Acta Belgica", aus dem jetzt die friihen Niederlande ausgeglie- 
dert sind, zutreffend bezeichnet. Gleiches gilt fur die Abteilung „Italien und Vatikan". Er 
enthalt kein Schriftstuck, das einen Konig von Italien oder den Vatikan betrifft. Hier 
handelt es sich vielmehr um die italienische Staatenwelt vor dem Ende des Risorgimen- 
tos und um den Stato della Chiesa. Das bisherige „Italica" kennzeichnete die Abteilung 
genauer. Nur nebenbei sei bemerkt, dass die Grafen von Hohnstein und von Limburg 
Stirum in alter Schreibung erscheinen. Unklar bleibt, weshalb die unabhangigen Reichs- 
grafschaften Schaumburg und Lippe in einer Abteilung zusammengefasst wurden. Au- 
Berdem wurde noch - ohne dass es in der Uberschrift erscheint - Schaumburg-Lippe 
hinzugefiigt, das staatsrechtlich mit Lippe nichts und mit Schaumburg nur zum Teil et- 
was zu tun hatte. Deshalb hieBen die Grafen und Fiirsten auch „zu" und nicht „von" 
Schaumburg-Lippe. Uberhaupt scheinen in diesem Band die adligen Partikel grundsatz- 
lich mit „von" wiedergegeben zu sein. Wenn auch derUnterschied von „von" und „zu" in 
der Regel nicht beriicksichtigt zu werden braucht, sollte ein Findbuch die in ihm ste- 
ckende Aussage iiber Rechtsverhaltnisse zum Ausdruck bringen. Von seiner Bedeutung 
wird noch zu reden sein. Die Beachtung dieses Unterschieds steht nicht im Widerspruch 
zu dem Brauch, Orts- und Personennamen in moderner Lautung und Schreibung zu ver- 
wenden. 

Als die Giistrower Linie des Hauses Mecklenburg 1695 ausstarb, hat man die Akten 
der Giistrower Kanzlei mit den Schwerinern zusammengelegt. Im „Ostseeband" sind die 
Provenienzen dankenswerterweise im Einzelnen festgestellt und vermerkt worden. Das 
ist in Bd. 3 nicht geschehen. Doch wenden wir uns den Abteilungen zu, die das heutige 
Land Niedersachsen beriihren. Ostfriesland ist verhaltnismaBig stark vertreten (Ifd. Nr. 
2280-2306). Familiare Verbindungen spielen hier eine wichtige Rolle. Bei Oldenburg 



Allgemeine Geschichte und Landesgeschichte 383 

(2236-2257) steht die Korrespondenz mit Graf Anton Giinther im Vordergrund. In der 
Abteilung Erzbistum (und Herzogtum) Bremen (736-819) geht es vielfach um den Er- 
werb geistlicher Amter. Doch auch die schwedische Verwaltung in Stade ist hier zu fin- 
den. Bei einem Bestand, der teils nach geographischen Gesichtspunkten (Bd. 1), teils 
nach politischer Bedeutung (Bd. 2) und teils alphabetisch (Bd. 3) geordnet ist, kommt es 
zu Uberschneidungen. Stade ist auch in Bd. 1 (260, 263) zu suchen. Entsprechendes gilt 
fur Kniphausen, Oldenburg und Ostfriesland. Verweise waren niitzlich gewesen. Das 
Niederstift Minister ist nicht vertreten, Bentheim-Steinfurt (124 f.) mit zwei, das Bistum 
Osnabriick (2275-2279) mit fiinf Akten. Auch kleine Grafschaften haben Schriftgut hin- 
terlassen: Diepholz (838) und Hoya (1429). Bedeutend umfangreicher ist die Abteilung 
Bistum Hildesheim (1391-1425). Fehden und Schulden stehen hierim Vordergrund. Die 
umfangreichste Abteilung betrifft die welfischen Territorien (155-735). Die engen nach- 
barlichen Beziehungen werden in umfangreichen Korrespondenzen deutlich, die alle fa- 
miliaren und territorialen Belange betreffen. Die Abteilung bietet eine wichtige Ergan- 
zung zu den Wolfenbiittler und Hannoveraner Bestanden fiir die friihe Neuzeit. Es ist sti- 
listisch nicht immer einfach, die welfischen Herzoge als Inhaber ihrer Furstentiimer 
richtig zu bezeichnen. Einen Herzog Friedrich von Calenberg (516) z. B. hat es nicht ge- 
geben. Vielleicht hatte eine Vorbemerkung den Sachverhalt klaren und damit die Be- 
zeichnung „Herzog von Calenberg" ermoglichen konnen. SchlieBlich ist noch einmal 
auf „Schaumburg und Lippe" (2426-2443) zuriickzukommen. Die Grafen zu Holstein- 
Schaumburg werden standig „von Schaumburg-Holstein" genannt. Dabei gibt es kein 
Aktenstiick mit dieser Reihenfolge. Es ist gerade so, als ob man die Konige von PreuBen 
„von Hohenzollern-PreuBen" nennen wiirde. Die Schaumburger haben ihren Grafenti- 
tel von Holstein, daher muss dies an erster Stelle stehen. Da die Konige von Danemark 
zugleich Herzoge von Holstein waren, waren die Schaumburger nur Grafen „zu" Hol- 
stein. Ein „von" hatten die Konige nicht geduldet. 

Zum Schluss noch einige Hinweise: „Furstinwitwe Charlotte . . . von Schaumburg- 
Lippe" (2437). Charlotte war zwar geborene und verwitwete Fiirstin, aber mit Graf Al- 
brecht Wolfgang zu Schaumburg-Lippe verheiratet, also nur Grafinwitwe. Derartige Zu- 
ordnungen zum Geburtsrang finden sich mehrfach. Haus und Stift Gandersheim sind 
zweierlei (279 und Index) . Mollenbeck (1475, 2049) muss Mollenbeck heiBen. Der engli- 
sche Gesandte (2330) heiBt Sir Robert Anstruther. Er ist identisch mit Anstrutherus 
(1099, 1518). Die Bezeichnungen „Ceremonialia" und „Litterae familiares" erinnern an 
Altrepertorien. Ebenso hatte man auf „I." bei dem mecklenburgischen Herzog Christian 
(Louis) verzichten konnen, weil es keinen Zweiten gab, denn Christian Ludwig ist ein 
Doppelname. 

Die vorgetragenen Ausstellungen sind letztlich marginal im Hinblick auf den Wert 
des Bestandes, der um die Mitte des 15. Jahrhunderts einsetzt und sein Schwergewicht in 
der friihen Neuzeit hat. Moge die Neuverzeichnung zu eingehender Beschaftigung mit 
der mecklenburgischen Geschichte dieser Zeit anregen. 

Buckeburg Helge Bei der Wieden 



384 Besprechungen und Anzeigen 

Nachkriegszeit in Niedersachsen. Beitrage zu den Anfangen eines Bundeslandes. Hrsg. von 
Herbert Obenaus und Hans-Dieter Schmid. Bielefeld: Verlag fur Regionalgeschichte 
1999. 182 S. = Hannoversche Schriften zur Regional- und Lokalgeschichte Bd. 12. 
Kart. 

Das 50jahrige Bestehen des Landes Niedersachsen nahm die Arbeitsgruppe Regional- 
und Lokalgeschichte, eine facheriibergreifende Einrichtung an der Universitat Hanno- 
ver, im Winter 1996/97 zum Anlass fur eine Vortragsreihe, die sich mit der Landesgriin- 
dung und einer Reihe von Aspekten und Problemen aus der Friihphase des Bundeslan- 
des beschaftigte. Die Auswahl ergab sich aus den Arbeitsschwerpunkten und -interessen 
derbeteiligten Historikerinnen und Historiker; meist handelt es sich um die zusammen- 
fassende, im Blick auf ein breiteres Publikum formulierte Presentation von Themen, zu 
denen die Vortragenden bereits umfangreichere Arbeiten vorgelegt haben. 

Carl-Hans Hauptmeyervevfolgt in groBen Ziigen die wirtschaftliche und politische Ent- 
wicklung des niedersachsischen Raumes seit dem Mittelalter, die er durch die natiirli- 
chen Grundlagen und durch die aus der Sicht der europaischen Zentren periphere Lage 
vorgepragt sieht. MittelmaB und kulturelle Vielfalt sind ihm die charakteristischen Leit- 
begriffe des historischen Prozesses. Am Beispiel Schaumburgs zeigt er, wie gerade die 
Ambivalenz der geographischen und politischen Situation zum Entstehen einer ausge- 
pragten regionalen Identitat gefiihrt hat. Heide Barmeyer schildert den Weg, der von der 
deutschen Kapitulation im Mai 1945 zur Landesgrundung durch eine Verordnung der 
britischen Militarregierung im November 1946 fiihrte, und wiirdigt besonders das Wir- 
ken der drei Manner, die die entscheidenden Weichen dazu gestellt haben: Hinrich Wil- 
helm Kopf als gewiefter Taktiker, Heinrich Hellwege als Reprasentant traditioneller Ei- 
genstandigkeitsbestrebungen und Kurt Briining als Ideengeber, dessen raumpolitischen 
Vorstellungen sich letztlich auch die Besatzungsmacht nicht verschloss. Karl Heinz 
Schneiderhetra.chiet den einschneidenden sozialen und wirtschaftlichen Strukturwandel, 
dem die Dorfer in Niedersachsen in den Nachkriegsjahren durch den Zustrom der 
Fliichtlinge und ihre Integration einerseits, die damit einhergehende Modernisierung 
andererseits unterworfen waren. Er stellt heraus, dass Stadtnahe und Stadtferne von ent- 
scheidendem Einfluss auf den Ablauf des Wandlungsprozesses sein konnten. Die Rolle 
der Deutschen Partei im ersten Jahrzehnt nach Kriegsende beleuchtet Hans-Georg 
Aschoff. Er beschreibt ihre Wurzeln in der deutsch-hannoverschen Bewegung nach 1866 
und deren Wiederbelebung als Niedersachsische Landespartei durch Hellwege, skiz- 
ziert ihr Programm und ihre Rolle in der Landespolitik und verfolgt den Abstieg bis hin 
zur Fusion mit dem BHE 1961. 

Die Auseinandersetzungen um die Schulpolitik in Niedersachsen analysiert der Bei- 
trag von Christian Simon. Er stellt die Reformziele des Kultusministers Adolf Grimme in 
den Mittelpunkt, die trotz ihrer Absage an radikalere Konzepte an mangelnder Unter- 
stiitzung auch in der eigenen sozialdemokratischen Partei scheiterten, und erlautert die 
von Grimmes Nachfolger Richard Voigt verantworteten Schulgesetze von 1954, die die 
katholische Kirche mit einem „Schulkampf" vergeblich zu verhindern suchte. Anikd 
.fears' widmet sich der zum Teil skandalosen Behandlungdervom NS-Staat aus dem Amt 
entlassenen und emigrierten Gottinger Hochschullehrer. Ihre Rehabilitierung und Wie- 
dereinstellung wurde durch mangelndes Engagement der zustandigen Dienststellen und 
oft ebenso durch eine Abwehrhaltung der im Amt verbliebenen Kollegen vielfach be- 
hindert. Erst 1951 erfolgte durch ein Bundesgesetz wenigstens die materielle Wiedergut- 



Allgemeine Geschichte und Landesgeschichte 385 

machung. Anke Quastheschxeiht den Wiederbeginn jiidischen Lebens in Niedersachsen 
nach dem Holocaust, die Bildung von Komitees und den schwierigen Aufbau von Ge- 
meinden bis hin zu der Auswanderungswelle nach der Griindung des Staates Israel, die 
allein in Hannover die Zahl der Juden von iiber 1000 auf etwa 300 sinken lieB. Die be- 
stimmende politische Kraft in Niedersachsen war fur fast zwei Jahrzehnte die SPD. 
Hans-Dieter Schmid untersucht, welche Bedeutung fur die Mitglieder der Partei das tradi- 
tionelle Milieu hatte, wie dieses allmahlich erodierte und die Offnung fur andere gesell- 
schaftliche Schichten und - parallel zum Generationswechsel - den Wandel hin zur 
Volkspartei ermoglichte. 

Fur alle Beitrage gilt, dass sie zwar im Detail - der eine mehr, der andere weniger - 
durchaus neue Erkenntnisse und Forschungsergebnisse bieten; der Wert des Bandes 
liegt aber vor allem darin, dass er einen sehr konkreten und gut lesbaren Einstieg in die 
vielfaltige Problematik der niedersachsischen Nachkriegsgeschichte vermittelt, ohne 
den Anspruch auf vollstandige und umfassende Behandlung des Themas zu erheben. 

Hannover Dieter Brosius 



Quellen zu den geschichtlichen Beziehungen Schaumburgs zu Schleswig-Holstein und Hamburg im 
Staatsarchiv Buckeburg. Ein sachthematisches Inventar. Bearb. von Lars E. Worgull. 
Buckeburg: Staatsarchiv 2000. XVII, 167 S. m. 5 Abb. i. Anh. = Veroff. der Nieder- 
sachsischen Archivverwaltung. Inventare und kleinere Schriften des Staatsarchivs in 
Buckeburg Heft 6. Kart. - GrafschaftHolstein-Schauenburg-Pinneberg: Findbuch des Be- 
standes Abt. 3. Bearb. von Malte Bischoff und Lars E. Worgull. Schleswig: Schles- 
wig-Holsteinisches Landesarchiv2002. 89 S. = Veroff. des Schleswig-Holsteinischen 
Landesarchivs 72. Kart. 

Kiirzlich las Rez. im Vorwort eines Buches aus dem Jahr 1880 den Dank des Verfassers 
an die Archivverwaltungen in Berlin und Dresden, dass sie ihm die Archivkataloge (d.h. 
Findbiicher) zuganglich gemacht hatten. Das sei der Forschung viel dienlicher, als wenn 
die Archivbeamten allein Einblick hatten und nach ihrem Gutdiinken Akten vorlegten, 
weil das nur in seltenen Fallen erschopfend geschehe. Auch wenn Rez. sich noch daran 
erinnert, wie er in einem Archiv kein Findbuch zu sehen bekam und sich mit den Akten 
begniigen musste, die ihm der Archivar brachte, so haben sich die Zeiten doch entschei- 
dend verandert. Es wird zunehmend iiblich, die Findbiicher neuerschlossener oder -ver- 
zeichneter Bestande oder auch Spezialinventare durch den Druck allgemein zuganglich 
zu machen. So kann sich ein Benutzer ausreichend auf den Besuch eines Archivs vorbe- 
reiten. Er erspart sich damit Leerlauf und dem Archivpersonal allgemeine Beratungs- 
zeit. 

Hier sollen nun ein Spezialinventar und ein Findbuch vorgestellt werden, denen inso- 
fern besondere Bedeutung zukommt, weil sie auf Archivalien hinweisen, die historisch 
zusammengehoren, aber in den Staatsarchiven zweier Bundeslander verwahrt werden. 
Die aus dem Gebiet der mittleren Weser stammenden Schaumburger waren von 1110 
bis 1459, als ihre dortigen Linien ausstarben, Grafen von Holstein. In Schaumburg leb- 
te das Geschlecht bis 1640 weiter und besaB nordlich der Elbe die Herrschaft, spater 
Grafschaft (im Gegensatz zum Herzogtum) Holstein mit dem Verwaltungssitz in Pinne- 
berg. Daher kommt es, dass sich im Staatsarchiv in Buckeburg eine umfangreiche Uber- 



386 Besprechungen und Anzeigen 

lieferung zu holsteinischen und hamburgischen Belangen befindet, wahrend die Akten 
der Pinneberger Verwaltung aus der schaumburgischen Zeit im Landesarchiv Schleswig 
liegen. 

Lars E. Worgull stellt nach einer iibersichtlichen Darstellung der historischen Bezie- 
hungen und der Archivgeschichte aus dem Biickeburger Archiv etwa 860 Urkunden und 
Aktentitel zusammen. Die Uberlieferung reicht von 1190 in Abschrift und im Original 
von 1293 bis 1946 in einem Auslaufer. Ihr Schwergewicht hat sie in den Akten des 16. 
und der ersten Halfte des 17. Jahrhunderts. Das Schriftgut stammt iiberwiegend aus dem 
Schaumburgischen Samtarchiv mit der Uberlieferung bis 1640/47 (Bestand L 1) und 
dem erganzenden Bestand des Fiirstl. Schaumburg-Lippischen Hausarchivs (F 3) sowie 
den dazugehorenden Urkunden (Orig. 1 und F). Es umfasst alle Bereiche derLandesver- 
waltung. Weiter herangezogen wurden die Capaunsche Urkundensammlung (L 0), 
Reichskammergerichtsakten (L 24, H 24), die hessische Regierung in Rinteln (H 1), das 
altere Kammerarchiv (K 1) sowie die Kartensammlung (S 1). Damit ist die holsteinische 
Uberlieferung fast vollstandig in diesem Inventar erschlossen. Wegen des Verwaltungs- 
bruchs 1640/47 sollte aber die spatere Uberlieferung (bes. F2) nicht auBer Acht gelassen 
werden. Selbst im eigentlichen fiirstlichen Familienarchiv (F 1) wird man noch fiindig 
werden. So hangt vor dem Biickeburger Benutzersaal eine Abbildung der prachtigen Ur- 
kunde, mit der die Stadt Hamburg sich fur die Unterstiitzung beim Wiederaufbau nach 
dem Stadtbrand (1842) bedankte. Das Original hat die Signatur F 1 A XXXV 28 Nr. 35 a. 
Die Akten des Niedersachsischen Reichskreises hatten nicht so ohne weiteres beiseite- 
geschoben werden sollen, denn die Grafschaft Holstein gehorte nicht zum Westfali- 
schen Kreis. Fiir die schaumburgische Miinze in Altona war es von Bedeutung, dass sie 
im Niedersachsischen Kreis lag, wenn auch die Grafschaft Holstein kein Kreisstand war. 
Das Inventar wird durch einen Personen- und einen topographischen Index erschlossen. 
Zu beachten ist, dass die Archivalien des Hausarchivs nur mit Genehmigung der Fiirstl. 
Hofkammer eingesehen werden konnen, die fiber das Staatsarchiv in Biickeburg einzu- 
holen ist. 

Zusammen mit Malte Bischoff hat Worgull das Findbuch fiir die Grafschaft Holstein- 
Schauenburg-Pinneberg bearbeitet. Es ist Rez. unklar, was das „Schauenburg" bei dem 
Namen soil. Die Landesherren nannten sich Grafen zu Holstein und Schaumburg oder 
Holstein-Schaumburg. Es gab keine Grafen zu Holstein-Schauenburg-Pinneberg, denn 
Pinneberg meint Holstein. Allenfalls konnte man Otto III. so bezeichnen, der in Pinne- 
berg residierte. Die Grafschaft hieB Holstein und wird im Unterschied zum Herzogtum 
auch Holstein-Pinneberg oder nur Pinneberg genannt. Nach der geschichtlichen Einlei- 
tung geben die Bearbeiter eine dankenswerte Ubersicht fiber die unterschiedliche Zah- 
lung der Grafen in Schleswig-Holstein und auBerhalb. Der Bestand reicht in Abschriften 
bis ins ausgehende 13. Jahrhundert zuriick und beginnt in Originalen um die Mitte des 
15. Jahrhunderts. Er endet 1640 - abgesehen von den Altrepertorien, die bis 1970 rei- 
chen. Neben den lokalen Verwaltungsakten finden sich zahlreiche Schriftstiicke, welche 
die Grafen und ihre Kanzlei betreffen. Das gilt in erster Linie fiir die Gruppen „Herr- 
scherhaus und Grafschaft" sowie „Reichsinstitutionen und Auswartiges", aber nicht nur 
fiir sie. Die Korrespondenz etwa mit den graflichen Faktoren und Hamburger Kaufleu- 
ten ist unter „Amtsverwaltung. Kleinere Teilgebiete . . ." (Nr. 7) zu finden. Den Band 
schlieBt ein Gesamtindex fiber Personen, Orte und Sachen ab. 

Die beiden Findbiicher stellen fiir die Erforschung der schaumburgischen Besitzun- 
gen in Holstein wie auch fiir die Geschichte der Grafschaft Schaumburg und ihrer 



Rechts-, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte 387 

Grafen eine wesentliche Hilfe dar. Den Bearbeitern ist Dank zu sagen, dass sie diese er- 
arbeitet und bereitgestellt haben. Es ist zu hoffen, dass man nun in Schleswig-Holstein 
wie in Schaumburg die gegenseitigen Archivalien starker heranzieht, als das bisher ge- 
schehen ist. 

Buckeburg Helge Bei der Wieden 



RECHTS-, VERFASSUNGS- UND 
VERWALTUNGSGESCHICHTE 



Drecktrah, Volker Friedrich: Die Gerichtsbarkeit in den Herzogtiimern Bremen und Verden 
und in der preujiischen Landdrostei Stade von 1715 bis 1879. Frankfurt/ Main: Peter Lang 
2002. 519 S. = Rechtshistorische Reihe Bd. 259. Kart. 70,60 €. 

Gegenstand dieser von dem Hamburger Rechtshistoriker Gotz Landwehr betreuten juri- 
stischen Dissertation soil schwerpunktartig die „Gerichtsbarkeit" in den Herzogtiimern 
Bremen und Verden sowie in der preuBischen Landdrostei Stade zwischen 1715 und 
1879 sein. Der Untersuchungszeitraum beginnt also mit dem Ubergang der beiden Her- 
zogtiimer aus schwedischer Herrschaft an das Kurfiirstentum Hannover und endet mit 
dem Inkrafttreten der Reichsjustizgesetze. In diesem Rahmen setzt sich Verf. drei zeitli- 
che Schwerpunkte, namlich die Ausgangslage imjahre 1715, die Situation in den beiden 
Herzogtiimern nach der preuBischen Besetzung imjahre 1806 und die Zeit der Tren- 
nung von Justiz und Verwaltung durch die hannoversche Gerichtsverfassung von 
1850/52. 

Die an sich gut gegliederte und verstandlich geschriebene Arbeit bereitet dem Leser 
zunachst gewisse Schwierigkeiten, weil unklar bleibt, was Verf. unter dem Begriff der 
„Gerichtsbarkeit" versteht. Diese ist im allgemeinen Ausdruck der staatlichen Souvera- 
nitat und bedeutet die Rechtsprechung und Rechtspflege, die den Gerichten generell 
iibertragen worden ist, mithin die ihnen zugewiesene und meist nur durch die Regeln 
des Volkerrechts eingeschrankte Entscheidungsgewalt (facultas iurisdictionis). Darum 
geht es aber dem Verf. in erster Linie offenbar nicht. Denn er will vor allem versuchen, 
„die Rechtsentwicklung und insbesondere die Gerichtsverfassung" darzustellen. An an- 
derer Stelle erklart er, dass es ihm vornehmlich um die „organisatorische Grundlage fur 
die Arbeit der Gerichte" ginge. Und da „die Gerichte" noch lange „mit der verwalten- 
den Tatigkeit eine Einheit bildeten", sollen zudem Gegenstand der Arbeit „samtliche 
gerichtliche Einrichtungen und Instanzen sein, einschlieBlich deren personeller und 
sachlicher Ausstattung". In Wahrheit will Verf. ausgewahlte Fragen der Gerichtsverfas- 
sung untersuchen, darunter die verschiedenen Arten oder Zweige der Gerichtsbarkei- 
ten, den Gerichtsaufbau, die sachlichen und ortlichen Zustandigkeiten der Gerichte, 
die Instanzenziige, die innere Organisation und Besetzung der Gerichte, die Besoldung 
der Richter u.a.m. Damit nicht genug. Verf. setzt sich daruber hinaus auch mit dem in 
den beiden Herzogtiimern geltenden materiellen Recht auseinander, darunter bei- 



388 Besprechungen und Anzeigen 

spielsweise mit dem Konkursrecht, Dienstrecht, Gebiihrenrecht, Nachlassrecht oder 
Strafrecht und subsumiert in einem Falle unterletzteres sogarfehlerhaft das Strafverfah- 
rensrecht. 

Trotz dieser Unscharfen in der Formulierung des Themas und der vom Verf. zusam- 
mengetragenen enormen Fiille iiberaus griindlich recherchierter Einzelinformationen 
verliert der Leser den roten Faden nicht. Angesichts der fur den Untersuchungszeitraum 
weitgehend fehlenden Trennung zwischen Justiz und Verwaltung, konzentriert sich 
Verf. auf die „Betrachtung derjenigen Institutionen, die gerichtliche Aufgaben" wahr- 
nahmen. Insgesamt gelingt es ihm, mehr Licht in die „Verwaltungsgeschichte" der Her- 
zogtiimer Bremen und Verden sowie in den „Wirrwarr" ihrer ,,Gerichtsbarkeiten" zu 
bringen. Dabei hat er vor allem auch bisher nicht edierte, im Niedersachsischen Staats- 
archiv Stade aufbewahrte Quellen ausgewertet. Insoweit stiitzt er seine Ausfiihrungen 
nicht nur auf normatives Material, sondern versucht zusatzlich, „die Gerichtsverfassung 
anhand einzelner Vorgange darzustellen", um der Rechtswirklichkeit einen Schritt na- 
herzu kommen. Ein Teil der vom Verf. benutzen Quellen sind im Anhang der Arbeit ab- 
gedruckt worden. 

Die vom Verf. in verschiedenen Zusammenfassungen mitgeteilten Ergebnisse sind 
iiberzeugend begriindet, aber nicht sonderlich iiberraschend. So blieben die Justiz- und 
Verwaltungsstrukturen sowohl in personeller als auch in sachlicher Hinsicht nach der 
hannoverschen Herrschaftsiibernahme zunachst weitgehend unverandert. Das hing da- 
mit zusammen, dass „die Herzogtiimer dem Kurfiirstentum Hannover nicht einfach ein- 
verleibt wurden, sondern dass sie staatsrechtlich getrennt blieben". Mit der sog. „Vor- 
gangigen Punctation" von 1716 gab sich die in Stade angesiedelte Regierung fur die bei- 
den Herzogtiimer eine Verwaltungs- undjustizorganisation. Danach fiihrte die von den 
Standen besetzte Regierung u.a. die Aufsicht fiber die Justizkanzlei und das Hofgericht. 
Als eine Art Mittelinstanz wurden in einigen Teilen der Herzogtiimer die „Justiz-Land- 
gerichte" eingefiihrt, die zugleich eine verwaltungsinterne Kontrolle der Amter auf dem 
Lande ausiibten. Oberste und letzte Instanz war das Oberappellationsgericht Celle. Ei- 
ne Appellation an das Reichskammergericht oder den Reichshofrat war nach Ansicht d. 
Verf. ausgeschlossen, nachdem das Kurfiirstentum Hannover am 9. Juli 1718 das Appel- 
lationsdiplom „privilegium de non appellando illimitatum" erhalten hatte. Dabei iiber- 
sieht Verf., dass der Rechtszug an die beiden hochsten Gerichte des Alten Reiches in den 
Fallen von „iustitia denegata" und „iustitia protracta" weiterhin moglich sein sollte. 

Mit dem Ende des Heiligen Romischen Reichs deutscher Nation und der ersten Be- 
setzung Hannovers durch franzosische Truppen im Jahre 1803 waren fiir die Gerichts- 
verfassung der beiden Herzogtiimer keine wesentlichen Veranderungen verbunden. 
Erst nachdem 1810 die beiden Herzogtiimer in das Konigreich Hannover eingliedert 
worden waren, erhielten sie eine neue Gerichtsverfassung, die 1813 mit dem Sturz der 
napoleonischen Herrschaft endete. In der Folgezeit fand man zunachst zum Status quo 
ante wieder zuriick. Wesentliche Veranderungen ergaben sich erwartungsgemaB mit 
derFreiheits- und Einigungsbewegung. So wurden nach 1848 u.a. die Patrimonialgerich- 
te abgeschafft und Schwurgerichte eingefiihrt. Fiir die drei Obergerichte Stade, Verden 
und Lehe wurde in Stade ein „Schwurgerichtshof" eingerichtet. 

Entscheidende Neuerungen erfolgten sodann durch das am 1. Oktober 1852 in Kraft 
gesetzte Gerichtsverfassungsgesetz. Als Gerichte erster Instanz wurden die Amtsgerich- 
te sowie in Lehe, Stade und Verden Obergerichte etabliert. Die Richter wurden auf Le- 
benszeit ernannt und damit die Unabhangigkeit der Justiz vorangebracht. Nach franzo- 



Rechts-, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte 389 

sischem Vorbild wurde die Offentlichkeit der Verfahren eingefiihrt. AuBerdem wurde 
ein Staatsgerichtshof zur Ahndung dienstrechtlicher Vergehen vorgesehen, der aller- 
dings nie tatig geworden ist. Und schlieBlich wurde nun „zumindest in der rechtspre- 
chenden Tatigkeit der Gerichte" die Trennung von Justiz und Verwaltung sichtbar. Ein 
Teil aller dieser fortschrittlichen Neuerungen wurde allerdings 1859 infolge von Zentra- 
lisierungsbestrebungen im Konigreich Hannover wieder riickgangiggemacht. Nach der 
preuBischen Besetzung des Konigreichs Hannovers blieben die gerichtsverfassungs- 
rechtlichen Strukturen weitgehend unangetastet. Die Justizverwaltung und die Zustan- 
digkeit in Gnadensachen lagen allerdings nunmehr in der Zustandigkeit des preuBi- 
schen Innenministeriums in Berlin. Die ausschlieBliche Zustandigkeit fur „Staatsverbre- 
chen" hatte das Berliner Kammergericht. 

Zusammenfassend stellt Verf. zu Recht ab 1715 eine nicht ohne Briiche verlaufende 
„Tendenz zur Verstaatlichung" und „Zentralisierung der Justiz" fest. Die Kompetenzen 
wurden „auf standig hohere regionale Ebenen verlagert: nach der gutsherrlichen Ge- 
richtsbarkeit schwand die dorfliche und schlieBlich die der Gemeinden und Flecken, die 
Zahl der Gerichte reduzierte sich nahezu bestandig . . . Das urspriingliche Nebeneinan- 
der von weltlicher und geistlicher Gerichtsbarkeit sowie eine Fiille von Ausnahmen vom 
allgemeinen Gerichtsstand fiihrte im Laufe der Zeit von der uniibersehbaren Spaltung 
des Gerichtswesens . . . zu einer Einheit". Damit waren zugleich aber auch wesentliche 
Fortschritte verbunden, darunter insbesondere die personliche und sachliche Unabhan- 
gigkeit der Justiz und die Verfahrensoffentlichkeit. 

Ganz am Schluss seiner Arbeit stellt Verf. fest, dass in einer ,,Zeit vielfach neuer mate- 
rieller sowie prozessualer Regelungen" ein Blick in die Rechtsgeschichte notwendig sei. 
Denn man konne „aus partiellen Entwicklungen und auch Fehlentwicklungen durchaus 
Schliisse fiir die Gegenwart" Ziehen. Urn welche Schliisse es sich im Einzelnen handeln 
konnte, lasst er allerdings weitgehend offen. Die Vermutung des Verf., die heute zu be- 
obachtende zunehmende Verlagerung auf andere Formen der Streitbeilegung wie 
Schiedsgerichte oder die Mediation konne im Hinblick auf den vormals im GVG gere- 
gelten Grundsatz „Die Gerichte sind Staatsgerichte" eine Fehlentwicklung sein und mit 
den vom Verf. gewonnenen rechtshistorischen Einsichten als solche erkannt werden, ist 
eher skeptisch zu bewerten. Im Ubrigen handelt es sich um eine ungewohnlich fleiBige 
und griindliche Arbeit, mit der Verf. die Forschung auf dem Gebiete der Geschichte der 
deutschen Gerichtsverfassung ein gutes Stuck vorangebracht hat. Angesichts des stattli- 
chen Umfanges der Dissertation und der enormen Fiille mitgeteilter Einzelinformatio- 
nen hatte ihr ein Register gut getan. 

Gottingen Wolfgang Sellert 



7 00 J ahre Bremer Recht: 1303-2003. Hrsg. von Konrad ELMSttAusERund Adolf E. Hofmei- 
ster. Bremen: Staatsarchiv 2003. 376 S. zahlr. Abb. = Veroff. aus dem Staatsarchiv 
der Freien Hansestadt Bremen Bd. 66. Geb. 38,- €. 

Es handelt sich hier um den wissenschaftlichen Begleitband zur Ausstellung des Staats- 
archivs Bremen unter gleichem Titel vom 28.11.2003 - 16.01.2004. Der Band widmet 
sich mit jeweils mehreren Beitragen in drei chronologisch - thematischen Hauptteilen 
der Vorgeschichte und der Kodifikation des Bremer Stadtrechtes, der Bremer Stadt- 



390 Besprechungen und Anzeigen 

rechtsfamilie und den Einfliissen, die fremdes Recht auf das Bremer Recht ausgeiibt hat, 
sowie der weiteren Entwicklung des Bremer Stadtrechts in der Neuzeit. Als Anhang ist 
dem vorliegenden Sammelband der Text des Bremer Stadtrechts von 1303 als Reprint 
der durch Karl August Eckhardt besorgten „Schulausgabe" aus dem Jahre 1931 beige- 
fiigt. 

Ziel des Bandes ist es iiber die Funktion eines herkommlichen Ausstellungskataloges 
hinaus, der die wesentlichen Exponate der Ausstellung beschreibt, durch Aufsatze von 
Fachwissenschaftlern zu verschiedenen Aspekten der Bremer Rechtsentwicklung einen 
wichtigen Aspekt der Geschichte der Stadt und des Landes Bremen in das offentliche In- 
teresse zu riicken. Ausgangspunkt der Darstellung sind die in Archiven und Bibliothe- 
ken vorhandenen Rechtshandschriften, alien voran die Kodizes des Bremer Stadtrechts, 
die in diesem Band erstmals gemeinsam gezeigt und beschrieben werden. 

Fur die Zeit von 800 bis 1300 erlautert Dieter Hagermann die wesentlichen Stationen 
der Geschichte von Recht und Verfassung in Bremen, die zur Entwicklung eines eigenen 
Stadtrechts um 1300 hinfuhren. Fur das unmittelbare Umfeld der Stadtrechtskodifikati- 
on um 1303 schildert Herbert Schwarzwalder die Rolle von Recht, Verfassung, Gesell- 
schaft und Politik der mittelalterlichen Stadt Bremen. Mit den Handschriften der Bremer 
Stadtrechtskodifikationen von 1303, 1428 und 1433 und ihrer Entstehung beschaftigen 
sich der Beitrag und der Handschriftenkatalog von Konrad Elmshauser. Der besonderen 
Bedeutung des Bremer Stadtrechts von 1303 als eines der fruhesten und umfangreich- 
sten mittelniederdeutschen Sprachdenkmaler widmet sich Ute Siewert mit einem eige- 
nen Beitrag. Der fur eine Hafen- und Handelsstadt besonders wichtigen Bereich schiffs- 
und seerechtlicher Bestimmungen wird ausfuhrlich von Ulrich Weidinger untersucht, 
der hier eine deutliche Beeinflussung des mittelalterlichen Bremer Rechts durch das be- 
reits im 13. Jahrhundert stilbildende Hamburger Seerecht sowie die Ubernahme einzel- 
ner Hanserezesse belegen kann. Dass das Bremer Stadtrecht nicht nur fremde Einfliisse 
aufgenommen, sondern auch selbst rechtliche Impulse weitergegeben hat und so im 
nordwestdeutschen Raum zum Vorbild fur andere Stadte geworden ist, wird von Al- 
brecht Eckardt behandelt. Er stellt den Kreis der Stadte vor, die in unterschiedlichen 
Umfang der Bremer Stadtrechtsfamilie angehorten. Dagmar Hiipper widmet sich im An- 
schluss wieder den fremden Einfliissen auf die Entstehung des Bremer Stadtrechts und 
zwar der Rezeption verschiedener Bestimmungen des Sachsenspiegels (1224/25) durch 
Ubernahme entsprechender Regelungen des alteren Hamburger Rechts (Hamburger 
Ordeelbok von 1270) in die Bremer Stadtrechtskodifikation von 1303. Die Autorin un- 
tersucht einzelne Bestimmungen des Bremer Stadtbuchs, des Hamburger Stadtrechts 
und des Sachsenspiegel-Landrechts aus verschiedenen Rechtsbereichen auf ihre Ab- 
hangigkeiten. Es gelingt ihr dabei - nicht zuletzt durch Riickgriff auf die einschlagigen 
Rechtsbilder in den codici picturati des Sachsenspiegels - sehr anschaulich die festge- 
stellten Ubereinstimmungen aber auch die den speziellen stadtischen Bediirfnissen ge- 
schuldeten Abweichungen des Bremer Stadtrechts zum Sachsenspiegelrecht herauszu- 
arbeiten. Im gleichen Umfeld wird im Anschluss von Jiirgen Bohmbach das Stader 
Stadtrecht von 1279 in seiner inhaltlichen Abhangigkeit zum alteren Hamburger Stadt- 
recht vorgestellt, ohne dass in diesem Beitrag allerdings eine direkte Linie zur Bremer 
Rechtsentwicklung deutlich wird. Thomas Elsmann stellt im Folgenden in einem reich 
bebilderten Beitrag ausgewahlte Rechtshandschriften in den Bremischen Bibliotheken 
des Mittelalters vor. Neben einer friihen Abschrift des Sachsenspiegels aus dem Jahre 
1342 sind hier mehrere reich bebilderte kanonische und legistische Handschriften aus 



Rechts-, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte 391 

dem 13. und 14. Jahrhundert hervorzuheben, die urspriinglich zum Bestand der ehema- 
ligen Bremer Dombibliothek gehort haben. 

Der Abschnitt zur Entwicklung des Bremer Stadtrechts in der Neuzeit wird von Wal- 
ter Barkhausen eingeleitet, der zeigt, wie der Versuch einer am romischen Recht orien- 
tierten Stadtrechtsreformation in der ersten Halfte des 16. Jahrhunderts trotz des Ent- 
wurls eines nur maBvoll romisch rechtlich beeinflussten „Verbeterten Stadtbooks" am 
Widerstand konservativer Ratskreise letztlich scheitert. Leider konzentriert sich Bark- 
hausen in seinem Beitrag in erster Linie auf das politische Umfeld dieses am gelehrten 
Recht orientierten Erneuerungsversuches des aus dem Mittelalter iiberkommenen alten 
Stadtrechts, ohne auf Einzelheiten der konkreten Anderungsvorschlage des Entwurfs 
einzugehen. Gesicherte Erkenntnisse zu den Griinden fur die ganz allgemein als „kon- 
servativ" gekennzeichnete Ablehnung des Entwurfs durch die Ratsmehrheit konnten al- 
lerdings wohl nur durch eine - wohl bisher noch nicht geleistete - eingehende Untersu- 
chung der einzelnen Anderungsvorschlage gewonnen werden. 

Dem Sonderbereich der Kriminalgerichtsbarkeit und hier namentlich der Frage nach 
den Zustandigkeiten und dem bis zum Jahre 1802 fortbestehenden Recht der Vogtei, 
widmet sich in einem weiteren Beitrag Konrad Elmshauser. Fragen zur Strafrechtspraxis 
in Bremen in der friihen Neuzeit werden zwar fur das 18. Jahrhundert angerissen, hatten 
aber sicherlich in diesem Zusammenhang eine vertieftere Behandlung verdient. 

Adolf E. Hofmeister beschreibt die ersten gedruckten Ausgaben des Bremer Stadt- 
rechts die im Vergleich mit anderen Stadten und Territorien des Alten Reichs erst ver- 
haltnismaBig spat wahrend der ersten Halfte des 18. Jahrhunderts an die Stelle der 
Handschriften traten. Mit Blick auf die Professionalisierung der Rechtswissenschaft in 
der Neuzeit untersucht Bettina Schleier den Zusammenhang zwischen der Zunahme 
nicht nur rechtskundiger sondern auch akademisch gelehrter Ratsmitglieder und des 
Verhaltnisses des Bremer Rats zu den iiberkommenen Normen des Bremer Stadtrechts. 

Die Ablosung des mittelalterlichen Stadtrechts vollzog sich in Bremen im 19. Jahr- 
hundert im Umfeld von politischen und gesellschaftlichen Umbriichen, die Andreas 
Schulz untersucht. Einen abschlieBenden kurzen Uberblick iiber die Entwicklung der 
neuzeitlichen Bremer Rechtstexte von der Kundigen Rolle bis zur Sammlung des bremi- 
schen Rechts bietet Adolf E. Hofmeister. 

In seiner Gesamtkonzeption bietet der Band einen guten Uberblick iiber 700 Jahre 
Bremer Rechtsentwicklung. Positiv ist dabei hervorzuheben, dass dariiber hinaus in gu- 
ter Tradition von Ausstellungskatalogen, die exemplarische Auswahl und die Bildquali- 
tat der in die einzelnen Textbeitrage aufgenommenen Abbildungen iiberzeugt. Bedauer- 
lich ist es allerdings, dass bei der im Rahmen eines solchen Bandes natiirlich nur in Aus- 
wahl moglichen Behandlung samtlicher relevanter Rechtsentwicklungen, der Bereich 
des kanonischen Rechts und damit auch die Frage seines Einflusses auf das altere Bre- 
mer Stadtrecht, vollig ausgeklammert worden ist. Dies iiberrascht umso mehr, als es sich 
bei Bremen um eine bischofliche Stadtgriindung handelt mit bis in die Reformationszeit 
fortwirkendem kirchlichem Einfluss des Klerus auf die stadtischen Belange. Auch die 
vorgestellten mittelalterlichen Prachthandschriften des kanonischen Rechts und des 
Corpus Iuris, die zum Bestand der Bremer Dombibliothek gehorten, lassen eine Be- 
einflussung des alten Bremer Stadtbuchs von 1303 oder seiner Uberarbeitungen aus 
den Jahren 1426 und 1433 durch romisch-kanonisches Recht zumindest als moglich er- 
scheinen. Fur die Frage nach der Rezeption des gelehrten Rechts in der friihen Neuzeit 
diirfte auBerdem ein Blick in die Zivilrechtspraxis unerlasslich sein. Gerade hier er- 



392 Besprechungen und Anzeigen 

scheint es kaum vorstellbar, dass ein bedeutendes Handelszentrum wie Bremen ohne 
Anschluss an die allgemeine Rechtsentwicklung im Alten Reich bis ins 19. Jahrhundert 
hinein in der Anwendung von im 14. und 15. Jahrhundert aufgezeichneter Rechtsregeln 
verharrt sein soil. Auch wenn die beabsichtigte Stadtrechtsreformation aus der ersten 
Halfte des 16.Jahrhunderts iiber einen Entwurf nicht hinausgefiihrt hat, so steht doch zu 
vermuten, dass in der Folgezeit durch Fortschreibung des iiberkommenen Stadtrechtes, 
sei es durch Erganzungen des Stadtbuches oder in Form selbstandiger Statuten und Ver- 
ordnungen, eine am allgemeinen Standart der Rechtsentwicklung orientierte Weiterent- 
wicklung des Zivil- und Strafrechts auch in Bremen festzustellen sein diirfte. 

Osnabruck Andreas Bauer 



Steinert, Mark Alexander: Die alternative Sukzession im Hochstift Osnabruck. Bischofs- 
wechsel und das Herrschaftsrecht des Hauses Braunschweig-Liineburg in Osnabruck 
1648-1802. Osnabruck: Selbstverlag des Vereins fur Geschichte und Landeskunde 
von Osnabruck 2003. XII u. 283 S. = Osnabrticker Geschichtsquellen und Forschun- 
gen Bd. 47. Geb. 20,- €. 

Die durch den Westfalischen Frieden von 1648 fur das Hochstift Osnabruck geschaffene 
alternative Sukzession kann wohl als eines der merkwurdigsten Verfassungsmodelle der 
territorialen deutschen Verfassungsgeschichte angesehen werden. Die europaischen 
Machte hatten auf dem Friedenskongress zu Minister und Osnabruck fur das konfessio- 
nell gespaltene geistliche Furstentum im Nordwesten des Alten Reiches die Regelung 
getroffen, dass sich fortan ein katholischer, vom Domkapitel frei zu wahlender Fiirstbi- 
schof mit einem evangelisch-lutherischen Landesherrn aus dem Haus Braunschweig- 
Liineburg in der Herrschaft abwechseln sollte. 

In seiner Freiburger Dissertation untersucht Mark Alexander Steinert die durch die 
alternative Sukzession geschaffenen verfassungsrechtlichen Regelungen und ihre Um- 
setzung in der Praxis. Im Wesentlichen ist Steinerts Untersuchung in zwei groBe Berei- 
che gegliedert. Nach Einfuhrung ins Thema und Beschreibung der Quellen wird in ei- 
nem ersten Teil die Entstehung der Successio alternatio ebenso ausfiihrlich wie grundle- 
gend dargestellt. Der schwedische Vorschlag vom Fruhjahr 1647, das konfessionelle 
Hochstift Osnabruck wechselweise von einem katholischen und von einem lutherischen 
Landesherrn regieren zu lassen, wurde schlieBlich gegen den Widerstand des Osna- 
briicker Domkapitels und des Fiirstbischofs Franz Wilhelm von Wartenberg vom Kaiser 
akzeptiert und durch Art. XIII des Osnabrticker Teils des Westfalischen Friedens festge- 
schrieben. 

Kleinere Unstimmigkeiten und Details wurden zwischen Franz Wilhelm von Warten- 
berg und Ernst August I. von Braunschweig-Liineburg durch die Capitulatio Perpetua 
von 1650 bzw. durch den Iburger Nebenrezess von 1651 geregelt. Eine besondere He- 
rausforderung fur die Verhandlungspartner bestand darin, das neue Herrschaftsprinzip 
der alternativen Sukzession sowohl mit der Verfassung des Hochstifts Osnabruck als 
auch mit dem Kirchenrecht zu synchronisieren. Das Bischofsamt nach katholischem 
und nach lutherischem Verstandnis, Stellung und Rechte des Domkapitels, Sedisva- 



Rechts-, Verfassungs- und Verwaltungsgeschichte 393 

kanz, Bischofswahl und Regierungsantritt - dies sind nur die wichtigsten Punkte, die mit 
der alternativen Sukzession in Einklang gebracht werden mussten. 

Der zweite Teil der Untersuchung Steinerts beschaftigt sich mit der Umsetzung der 
Prinzipien der alternativen Sukzession beim Wechsel von katholischen zu evangelischen 
Fiirstbischofen in denjahren 1661/62, 1715/16 und 1761/64. Der Herrschaftsiibergang 
von Franz Wilhelm von Wartenberg auf Ernst August I. von Braunschweig-Liineburg 
1661/62 erfolgte ohne nennenswerte Zwischenfalle, da die Nachfolge bereits durch den 
Westfalischen Frieden von 1648 festgeschrieben worden war (S. 81-98). Erst die Wahl 
des Nachfolgers fur den 1698 verstorbenen Karl von Lothringen stellte somit die erste 
richtige Bewahrungsprobe fur die Regelungen des Westfalischen Friedens dar. Unge- 
achtet verschiedener Stormanover - Bewerbung des konvertierten Welfenprinzen Maxi- 
milian Wilhelm, Verhangung papstlicher Sanktionen gegen die Domherren - bewahrte 
sich das Prinzip der alternativen Sukzession, indem nach katholischem Ritus und in 
strenger Befolgung der reichsrechtlichen Bestimmungen ein evangelischer Fiirstbischof 
fur Osnabriick gewahlt wurde (S. 98-131) . 

Wahrend der Regierung Ernst Augusts II. kam dann der Anspruch des Hauses Braun- 
schweig-Liineburg auf, ein „ewig dauerndes jus realis" auf das Hochstift Osnabriick zu 
besitzen, wenngleich man damit heftige Proteste des Domkapitels ausloste. Seit 1722 
gab es auch bei Regierung eines katholischen Fiirstbischofs einen standigen Residenten 
Hannovers in Osnabriick. Im Siebenjahrigen Krieg standen dann Uberlegungen derKa- 
tholiken zur Beseitigung der Successio alternativa hannoverschen Sakularisations- und 
Annektionsplanen gegeniiber. Georg III. von England-Hannover verhinderte zunachst 
nach dem Tod Clemens Augusts' 1761 eine Bischofswahl, da er hoffte, bei einem Frie- 
densschluss das herrenlose Hochstift dem Kurfiirstentum Hannover einverleiben zu 
konnen. Nach dem Hubertusburger Frieden musste Georg III. jedoch einlenken, so dass 
1764 sein Sohn Friedrich von York zum Bischof von Osnabriick gewahlt wurde. „Trotz 
teilweise erbitterter Streitigkeiten" - so das Fazit der griindlichen Untersuchung Stei- 
nerts - „wurde in den mehr als 150Jahren vom Abschluss des Westfalischen Friedens bis 
zur Sakularisierung 1802 an der Osnabriicker Stiftsverfassung keine einzige Anderung 
vorgenommen" (S. 240). 

Einige kleine Korrekturen bzw. Erganzungen seien gestattet: Das Hochstift Hildes- 
heim gehort nicht zu Westfalen, sondern zum Niedersachsischen Reichskreis (S. 9) . Die 
Angabe, nach 1648 habe es 25 Osnabriicker Domherren gegeben, 1688 sei dann eine zu- 
satzliche Prabende gestiftet worden, ist dahingehend zu berichtigen, dass die 1676 gestif- 
tete und 1688 erstmals besetzte von Galen'sche Familienprabende das 25. Kanonikat 
war (S. 50f). Zu derS. 67f. erorterten Frage derKoadjutorwahl 1721/22 lasst sich anmer- 
ken, dass zwar nicht - wie Steinert richtig feststellt - die Capitulatio Perpetua, wohl aber 
das Gewohnheitsrecht des Domkapitels eine solche Wahl ausschloss; 1572 etwa war der 
Fiirstbischof Johann von Hoya mit seinem Bestreben, Johann Wilhelm von Kleve zum 
Koadjutor in Osnabriick wahlen zu lassen, an diesem Herkommen gescheitert. 

Die 1900 von Bar eingefiihrte Charakterisierung des Fiirstentums der alternativen 
Sukzession als „teilsakularisiertes Territorium" ist nicht erst 1994 von Michael F. Feld- 
kamp (so Steinert S. 27-30), sondern schon 1985 von Anton Schindling als im staats- 
rechtlichen Sinne unzutreffend gekennzeichnet worden (vgl. Osnabriicker Mitt. 90, S. 
1 1 2 f. Anm. 21) . Steinerts Schilderung der Besetzung der Archidiakonate S. 74 f. schlieB- 
lich ist leider oberflachlich bzw. falsch. Fast alle Amter, mit denen ein Archidiakonat 



394 Besprechungen und Anzeigen 

verbunden war, wurden vom Landesherrn verliehen. Ausnahmen waren hier lediglich 
die Dompropstei sowie Propstei und Dekanat von St.Johann zu Osnabriick. Das Dom- 
kapitel besaB niemals „das Privileg, die Archidiakonate zu besetzen". Es konnte ledig- 
lich durch die Wahl des Dompropsts iiber die Vergabe eines einzigen Archidiakonats 
entscheiden. Diese kleinen Erganzungen bzw. Korrekturen sind allerdings nur neben- 
sachlich. 

Erheblicher scheint, dass die Auswahl der Quellen die Thematik in erster Linie aus 
der Sicht der Welfen beleuchtet. Die vorziiglichen Bestande des Staatsarchivs Osna- 
briick rechtfertigen in der Tat - hierin ist Steinert uneingeschrankt zuzustimmen - den 
Verzicht auf eine Heranziehung der Bestande anderer Archive (S. 3) . Allerdings hat Stei- 
nert leider auch eine wichtige Quellengruppe des Osnabrticker Staatsarchivs nicht be- 
riicksichtigt. Durch die Auswertung der Protokolle des Osnabriicker Domkapitels 
(StAOs Rep. 560 III) hatte das Gesamtbild zwar wohl keine grundlegend andere Aus- 
richtung erfahren, mancher Aspekt aber ware doch in einem anderen Licht erschienen 
bzw. hatte noch Erganzungen erfahren konnen. So bestand beispielsweise nach Ausweis 
der Kapitelsprotokolle ein wesentlicher Beweggrund fur die Weigerung des Domkapi- 
tels, im Fruhjahr 1716 den Termin der Bischofswahl vorzuziehen, in dem allzu forschen 
Vorgehen des welfischen Wahlgesandten von Bar, der sich - angesichts des Umstands, 
dass die Bischofswahl ja auf einen Welfen fallen musste - zunachst in dem Irrglauben be- 
fand, dem Kapitel Vorschriften machen zu konnen (vgl. zu S. 1 1 9 f . ) . Den positiven Ge- 
samteindruck der gelungenen Studie Steinerts, die wesentliche neue Erkenntnisse iiber 
das Furstentum der alternativen Sukzession liefert, konnen diese Monita jedoch in kei- 
ner Weise mindern. 

Stade Christian Hoffmann 



WIRTSCHAFTS- UND SOZIALGESCHICHTE 



Schropfer, Torsten: Fundgrube. Wissenswertes iiber den Westharzer Bergbau und das Hiitten- 
wesen. Clausthal-Zellerfeld: Piepersche Druckerei und Verlag 2000. 621 S. = Schrif- 
tenreihe des Oberharzer Geschichts- und Museumsvereins e. V. Geb. 

In seinem Geleitwort zu dem ansprechend aufgemachten Band spricht Helmut Radday, 
der Vorsitzende des Oberharzer Geschichts- und Museumsvereins, den Wunsch aus, das 
vorliegende Buch moge fur den Montanhistoriker und alle Freunde des historischen 
Oberharzer Bergbaus eine „Fundgrube" sein fur die Beschaftigung und kritische Ausein- 
andersetzung mit der Geschichte des Bergbaus, mit den sozialgeschichtlichen, kultur- 
und technikgeschichtlichen Aspekten eines Wirtschaftszweiges, der iiber viele Jahrhun- 
derte hin das Leben der Menschen im Oberharz bestimmt hat. Folgt man der Definition, 
die Johann Gottlieb Voigt in seinem 1771 erschienenen Bergwerkstaat des Ober- und Unter- 
harzes gegeben hat, so ist eine Fundgrube die erste Grube auf einem Gang. Sie umfasst 
nach Lazarus Erckers Untererdische(r) Hoffhaltung aus demjahre 1703 „drey Wehr, das ist 



Wirtschafts- und Sozialgeschichte 395 

42 Lachter". Eine Fundgrube ist demnach zugleich der Anfang eines ertragreichen Berg- 
baus und ein feststehendes MaB. 

Betrachtet man Schropfers Werk unter diesen definitorischen Vorgaben, so ist 
zunachst festzuhalten, dass es sich in der Gegenwart sicherlich um so etwas wie eine erste 
Grube, eine Art Pionierarbeit, handelt, wobei der Begriff Arbeit kaum genug betont wer- 
den kann. Jeder, der sich irgendwann ahnlichen Tatigkeiten gewidmet hat, weiB um die 
unendliche Miihe, die hinter einer solchen Veroffentlichung steckt, kennt aber auch die 
Frustration, die aus der Erkenntnis entspringt, trotz aller Akribie niemals zu einer voll- 
standigen Erfassung aller vorhandenen Begriffe gelangen zu konnen. Die Frage, ob es 
sich bei der vorliegenden „Fundgrube" auch um ein feststehendes MaB, also so etwas 
wie ein Vorbild, eine zu befolgende Vorgabe fiir weitere Biicher dieser Art, handelt, lei- 
tet zu den folgenden kritischen Gedanken iiber. 

Der Rezensent kann sich des Eindrucks nicht erwehren, dass in mancher Hinsicht we- 
niger mehr gewesen ware. Hinter der Erfassung von Stichworten aus so vielen im Unter- 
titel angesprochenen Bereichen steht wohl der an sich verstandliche Versuch, moglichst 
alle relevanten Gebiete abzudecken. Dies aber hat zwangslaufig eine groBere Unvoll- 
standigkeit im Detail zur Folge, die schlicht darauf zuruckzufiihren ist, dass ein Einzelner 
nicht in der Lage ist, Tausende und Abertausende von Begriffen unterschiedlichster Art 
zu bearbeiten. Eine Beschrankung auf die erklarten Schwerpunkte (siehe Vorwort!), die 
zentralen Bereiche Westharzer Bergbau und Hiittenwesen, unter Vernachlassigung von 
Archaologie, Geographie, Botanik, Geologie und Mineralogie hatte unter anderem die 
Moglichkeit geboten, in einzelne Felder wie etwa das Eisenhiitten- und Miinzwesen de- 
fer einzudringen; Begriffe wie den der Zehntkasse, der zentralen Rechnungsinstanz der 
Bergverwaltung, korrekt und vollstandig zu erfassen und Bereiche wie zum Beispiel die 
Drahtzieherei oder den Bergwarenhandel nicht ganzlich zu vernachlassigen. Wiin- 
schenswert ware es auch gewesen, wenn der Autor nicht bei einer durchgangigen alpha- 
betischen Abfolge der Stichworte stehen geblieben ware, sondern seinem Buch eine ein- 
fache Unterteilung gegeben hatte. Dem Anliegen vieler Benutzer ware es zum Beispiel 
sicher entgegengekommen, wenn Betriebe und Anlagen wie Gruben und Hiitten, Gra- 
ben, Gebaude und Teiche in Unterabschnitten komprimiert und nicht iiber den ganzen 
Band verstreut aufgefiihrt waren. 

Damit stellt sich aber zugleich auch die Frage nach der grundlegenden Konzeption 
des vorliegenden Buches, auf die sich eine wirklich befriedigende Antwort auch nach 
der mehrfachen Lektiire des Vorwortes nicht finden lasst, weil der konzeptionelle An- 
satz unerwahnt bleibt. Ziel des Nachschlagewerks ist es nach Aussage des Autors, „auf 
die vielen Bauten und Fachausdrucke des alten Bergbaus und Hiittenwesens einzuge- 
hen". Umso mehr muss ein Blick in das Literaturverzeichnis Verwunderung auslosen, 
enthalt dieses doch - abgesehen von Agricola und Calvor - ausschlieBlich Autoren des 
20. Jahrhunderts, wahrend Zeitgenossen des alten Bergbaus wie Ercker, Blumhof, Voigt, 
Berward, Bose, Gatterer, Stunkel oder der Franzose Villefosse, um nur einige zu nennen, 
vollig fehlen. Ein Widerspruch in sich, der Auswirkungen hat: Ein lexikalisches Werk 
mit historischem Ansatz gerat immer dann in Probleme, wenn sich die aufgenommenen 
Stichworte ihrem Inhalt nach im Zeitablauf verandert haben. Als Beispiel dafiir sei die 
sehr alte, aus der Arbeit auf dem Treibherd stammende Bezeichnung „Blicksilber" ge- 
nannt, die vom Autor in Zusammenhang mit der modernen elektrolytischen Raffinie- 
rung, der Erzeugung von Silberanoden, gebracht wird. Dies stellt einen Anachronismus 
dar, der letztlich auf konzeptionelle Schwachen zuriickzufiihren ist. Diese lieBen sich 



396 Besprechungen und Anzeigen 

umgehen, indem der begrifflichen Wandel thematisiert oder indem in dieser Hinsicht 
von vornherein eine Beschrankung auf die Begrifflichkeit einer bestimmten Zeit dekla- 
riert wird. 

Angesichts dieser nicht zu umgehenden kritischen Anmerkungen, ist es auBerordent- 
lich zu bedauern, dass aus dem enormen Arbeitsaufwand nicht mehr erwachsen ist als 
lediglich eine erste Grube, die - um im Bild zu bleiben - recht schwieriges Mischerz ent- 
halt, die teilweise zwar recht beachtliche Ertrage liefert, deren Abbauwiirdigkeit insge- 
samt gesehen aber im Ungewissen bleibt und deren Ausbeute wohl nicht ganz den an- 
fangs wiedergegebenen Wunsch von Helmut Radday erfiillen kann. 

Hardegsen/Ellierode Hans-Jiirgen Gerhard 



Agrarmodernisierung und okologische Folgen. Westfalen vom 18. bis zum 20. Jahrhundert. 
Hrsg. von Karl Ditt, Rita Gudermann und Norwich Russe. Paderborn: Schoningh 
2001. XI, 812 S. m. zahlr. z. T. farb. Abb., Kt. u. Graph. = Forschungen zur Regional- 
geschichte Bd. 40. Geb. 67,40 €. 

Auf den ersten Blick mag dieser dickleibige Tagungsband, der die stattliche Zahl von 31 
Beitragen vieler renommierter Forscher zusammenbindet, Bewunderung, aber auch 
Skepsis erregen. Skepsis, inwieweit die zahlreichen Aufsatze konvergieren. Bewunde- 
rung, weil es bisher zum Thema weder fur die allgemeine Agrargeschichte noch fiir die 
Landesgeschichte etwas Vergleichbares gibt. Unter dem Dach des Westfalischen Insti- 
tuts fiir Regionalgeschichte entstand ein opulentes Werk, das Agrargeschichte in Bezie- 
hung zur Industrialisierungs- und Umweltgeschichte stellt. Wegen dieses grundlegen- 
den, uber die westfalische Landes- oder Regionalgeschichte hinausweisenden Ansatzes 
kommt dem vorliegenden Buch eine Pionierfunktion zu. 

Noch bis in jiingste Zeit vernachlassigte die agrargeschichtliche Forschung scheinbar 
nahe liegende okologische Beziige der Agrarmodernisierung, also des langen Prozesses 
okonomischen und sozialen Wandels auf dem Lande, derim spaten 18. Jahrhundert mit 
dem Aufbruch zur ,rationellen' Landwirtschaft begann und seit den 1970er Jahren im 
beschleunigten ,H6festerben' und den Uberproduktionskrisen der kapitalintensiven 
Agrarwirtschaft gipfelt. In der jiingeren Agrar- und Wirtschaftsgeschichte dominierten 
zuletzt zwei Komplexe das Bild dieser Entwicklung: zum einen die liberalen Agrarrefor- 
men und enormen Produktivitatssteigerungen, die eine wesentliche Voraussetzung fiir 
die Urbanisierung und Industrialisierung bildeten; zum anderen die sozialen Kosten, 
die sich in der Landflucht niederschlugen. Demgegeniiber blieben die okologischen Fol- 
gen der Agrarmodernisierung, etwa der Flurbereinigungen, des Chemie- und Maschi- 
neneinsatzes, aber vor allem auch Fragen nach dem Verhaltnis von Mensch und Natur 
oder der Ressourcennutzung weithin auBer Acht. Wie die Herausgeber konstatieren, 
verstellte der am Ende des 19. Jahrhunderts aufkommende allgemeine Fortschrittsopti- 
mismus zum Teil den Blick auf die okologischen Beziige. Die Privatisierung des Bodens, 
die hohen Ertragssteigerungen und die Verwissenschaftlichung des Landbaus, die den 
Ausweg aus der „malthusianischen Falle" wiesen, diskreditierten die traditionelle bauer- 
liche Wirtschaftsweise einseitig als unproduktiv oder als Raubbau. Die aktuellen Debat- 
ten uber die Umwelt- und Gesundheitsrisiken der modernen Intensivlandwirtschaft 
starkten das historische Interesse an den langfristigen Ursachen und Triebkraften dieser 



Wirtschafts- und Sozialgeschichte 397 

Entwicklung. Mit dem vorliegenden Band haben sich die Herausgeber die Aufgabe ge- 
stellt, das groBe Themenfeld der Agrarmodernisierung inn eine umwelthistorische 
Komponente zu erweitern. Es ist ihnen gelungen, viele profunde Einzeluntersuchungen 
zu einer innovativen Forschungsperspektive zu verbinden. 

Im Zentrum des Bandes stehen Fragen nach Veranderungen der agrarischen Produk- 
tionsweise, nach dem Verhaltnis des Bauern oder des modernen Landwirts zur Natur, 
zum Umgang mit der Ressource Boden und nach den Konsequenzen fur den Naturhaus- 
halt und die Nahrungsmittelkonsumenten. Mit drei bzw. vier Fragekomplexen - Agrar- 
modernisierung und Ressourcennutzung; regionale Modernisierungs- und Rationalisie- 
rungsprozesse sowie deren Einflusse auf Umwelt und Landschaft; Umweltbewusstsein 
und gesellschaftliche Reaktionen auf okologische Veranderungen - deckt der Band ein 
breites Themenspektrum von interdisziplinarem Zuschnitt ab. Die Perspektive des Ban- 
des reicht weit bis in die jiingste Vergangenheit, indem auch die offentliche Umweltkritik 
und die staatliche Naturschutz- und Umweltpolitik Beriicksichtigung finden. Nicht zu- 
letzt deswegen erwies sich die Kooperation der Historiker mit historisch orientierten 
Geographen, Biologen, Okonomen oder auch ,Praktikern' wie Raumplanern und Natur- 
schiitzern als wertvolle Bereicherung. Eine vorziigliche Orientierungshilfe bieten die 
profunden Einfuhrungen, die jeweils den groBen Themenblocken vorgeschaltet sind 
und die Reichweite der verschiedenen Forschungsbeitrage im groBeren Zusammenhang 
ausloten. 

Der erste Teil, den Josef Moser einleitet, beschreibt den Forschungsrahmen und gibt die 
Zielrichtung des Projekts vor. Zunachst lenkt RolfGehrmann den Blick auf die elementare 
Frage nach dem Verhaltnis von Bevolkerung und Ressourcen, genauer gesagt auf die Re- 
flektion dieses Problems in der demographischen Theorie seit dem 18. Jahrhundert und 
in der neueren Sozial- und Bevolkerungsgeschichte, und pladiert fur dessen Beriicksich- 
tigung in der umwelthistorischen Forschung. Im Folgenden entwerfen Rita Gudermann 
und Karl Ditt ein hochst differenzierendes Bild der langfristigen agrarwirtschaftlichen 
Entwicklung vom „Take-off der Landwirtschaft" im zweiten Drittel des 19. Jahrhunderts 
bis zum Ende des 20. Jahrhunderts. Kommerzialisierungs- oder Rationalisierungspro- 
zesse in der Landwirtschaft und agrarpolitische Weichenstellungen werden hinsichtlich 
ihrer okologischen Implikationen neu bewertet. Das Bild der hochrationellen, agrarin- 
dustriellen Produktion der Gegenwart wird mit der Vorstellung einer im Ausgleich mit 
der Natur stehenden vormodernen Bauernwirtschaft kontrastiert - ohne jedoch einer 
falschen Idealisierung den Weg zu ebnen. Vielmehr entwickeln Gudermann und Ditt 
miteinander konkurrierende zentrale Leitgedanken. Sie gleichen die okonomische und 
okologische Bilanz der Agrarmodernisierung ab, ohne sie gegeneinander aufzurechnen. 
Auf der einen Seite betrachten sie die sozial normierte nachhaltige Bodennutzung oder 
„naturale Okonomie" der traditionellen Landwirtschaft, auf der anderen Seite die Ten- 
denz zur Ubernutzung der Ressourcen unter den Bedingungen von Mangelernahrung 
oder Hungerkrisen und vormoderner Subsistenzwirtschaft. Auf der einen Seite stehen 
die hohen Produktionssteigerungen, die ErschlieBung neuer Ressourcen und der Ein- 
satz innovativer Methoden in der marktorientierten Landwirtschaft, die den Ernah- 
rungsbediirfnissen der urbanen Industriegesellschaft, also dem steigenden Milch- und 
Fleischkonsum, Rechnung zu tragen vermochten. Auf der anderen Seite stehen die Kos- 
ten massiver Eingriffe in den Naturhaushalt und die Landschaft. 

Im umfangreichen zweiten Abschnitt des Bandes konkretisieren 14 regionale oder 
lokale Fallstudien zu Westfalen die vielfaltigen Ablaufe und Konsequenzen der Agrar- 



398 Besprechungen und Anzeigen 

modernisierung. Zunachst behandeln im Anschluss an Ulrich Pfisters Einfiihrung Bern- 
ward Selter, Peter Exner, Burkhard Theine, Jiirgen Biischenfeld, Andreas Dix und Paul Walter 
die okonomische Seite der Rationalisierungsprozesse. Die enorme Bandbreite der For- 
schungen erstreckt sich auf die Themenschwerpunkte ,Formen der landlichen Waldnut- 
zung', ,Landwirtschaftsschulen und Wissenstransfer', ,Faktoreinsatz landwirtschaftli- 
cher Betriebe' oder ,Technisierung' und ,Einsatz von Diingemitteln und chemischem 
Pflanzenschutz'. Besonders aufschlussreich sind Erkenntnisse iiber Fehlinvestitionen in 
neue Techniken, erfolgreiches Festhalten am Erfahrungswissen oder die zogerliche 
Durchsetzung unternehmerischen Verhaltens in der Landwirtschaft. Sie decken Wider- 
spriiche zur allgemeinen Entwicklung auf oder modifizieren den Forschungsstand und 
zeigen, dass zumindest die friihen Phasen der Agrarmodernisierung im 19. Jahrhundert 
nicht allein als Vorgang des Auseinanderdriftens von Okonomie und Okologie fassbar 
sind. 

Im anschlieBenden Unterabschnitt nehmen nach der Einleitung von Stefan Brakensiek 
Ulrich Harteisen, Michael Kopsidis, Georg Fertig, Volker Liinnemann, Friedrich Becks und 
Hansjorg Kiister die Faktoren raumlicher Strukturveranderungen und den Wandel des 
Landschaftsbildes ins Visier. An einzelnen Beispielen, aber auch in regionaler Gesamt- 
ansicht werden Landschaften oder Veranderungen der Raumstruktur und der Vegeta- 
tion als Abbild unterschiedlicher standortspezifischer Flachennutzungsformen und ex- 
terner Faktoren dargestellt. Auffallige regionale Unterschiede werden als Resultat un- 
terschiedlicher Marktzugange oder Integration in iiberregionale oder internationale 
Agrarmarkte erklart. Als Spezifikum stellen einige Beitrage heraus, dass sich die westfa- 
lische Landwirtschaft trotz friihzeitiger, marktinduzierter Intensivierungsfortschritte im 
19. Jahrhundert - insbesondere in Bezug auf das expandierende Ruhrgebiet - eher mo- 
derat entwickelte und dass es in dieser Phase keine groBflachigen Landschaftszersto- 
rungen gab. Vielmehr forderte ein Nebeneinander von alter extensiver Flachennutzung 
und neuen intensiven, regenerativen Kreislaufsystemen die Biodiversitat. Zu tiefgrei- 
fenden, sichtbaren okologischen Einschnitten in die Vielfalt von Flora und Fauna kam 
es erst seit den 1950erjahren. Gerade auch aus dieser Perspektive wird die Auffassung 
von einer vorindustriellen bauerlichen Misswirtschaft und Ubernutzung, die liberale 
Agrarreformer oder adlige und biirgerliche Protagonisten der ,rationellen Landwirt- 
schaft' im spaten 18. und friihen 19. Jahrhundert verbreiteten, einer kritischen Revision 
unterzogen. Dariiber hinaus ware vielleicht zu priifen, inwieweit die verkehrstechni- 
schen Innovationen und der Ausbau der Infrastruktur im 19. Jahrhundert den Zugriff 
auf externe Ressourcen ermoglichten und so zur regionalen ,,Entlastung" des Natur- 
raums beitrugen. 

Der dritte Teil des Bandes, denjoachim Radkau moderiert, behandelt die Frage der ge- 
sellschaftlichen Wahrnehmung und der Reaktionen auf Natur- und Umweltveranderun- 
gen im Zuge der Agrarmodernisierung. Willi Oberkrome, Bernd Tenbergen, Ulrich Bangert, 
Ulrich Hapke und Jb'rg Haafke, Matthias Frese, Rolf Spittler, Gefion Apel und Jan Carstensen, 
Ulrike Gilhaus und Norwich Riifie zeigen fur das 19. Jahrhundert, vor allem jedoch fur die 
Zeit nach 1950, wie sich Natur- und Landschaftsschutz in Westfalen aus einer vorwie- 
gend raumspezifischen Umweltwahrnehmung heraus - oftmals auch im Konflikt mit der 
Industrie - entwickelten. Als wesentliche Impulsgeber der Kulturlandschaftspflege wer- 
den das wachsende Erholungsbedurfhis der Bevolkerung und der Tourismus ermittelt. 
Zu den vielen bereichernden Ergebnissen dieses etwas heterogenen Abschnitts gehort 
die „Wiederentdeckung" der verstreuten Initiativen zum Landschafts- und Naturschutz, 



Wirtschafts- und Sozialgeschichte 399 

die sich unmittelbar in den Nachkriegsjahren noch im Vorfeld der kommenden, okolo- 
gisch schwerwiegenden Flurbereinigungen formierten. Damit wird der Blick fur die 
Vorgeschichte der Griinen Bewegung gescharft, die in den 1980er Jahren auch auf dem 
Lande als Reaktion auf die Umweltbelastungen der Intensivlandwirtschaft und die Ver- 
drangung der kleinbauerlichen Betriebe Zulauf fand. Fur weitere Untersuchungen, die 
der sozialen und politischen Einbettung des Landschafts- und Naturschutzes in der frii- 
hen Bundesrepublik und der Frage nach den historischen Kontinuitaten iiber die NS- 
Zeit hinaus nachspiiren, wird die Richtung bereits klar markiert. 

Als Forschungsperspektive, die auch am Anfang des Bandes gut platziert gewesen wa- 
re, entwickelt die Anthropologin Verena Winiwarter am Schluss ein hochdifferenziertes 
Konzept zur umwelthistorischen Erfassung und Analyse okonomischer, okologischer 
und sozialer Systeme oder Elemente der Agrarmodernisierung. Zusatzlichen Nutzen 
verspricht die modellhafte Beriicksichtigung regionaler oder raumlicher synchroner wie 
diachroner Vergleiche, die in der Gesamtkonzeption des Bandes leider zu kurz kommen. 
Positiv sei schlieBlich noch die ausfiihrliche systematische Spezialbibliographie er- 
wahnt, die das Ganze komfortabel abrundet. 

Die Verdienste und Anregungen des Bandes sind vielfaltig. Gerade auch fur die nie- 
dersachsische Landesgeschichte erscheint es lohnend, zentrale Aspekte der jungeren 
Agrargeschichte in Verbindung mit den Umwelt- und Landschaftsveranderungen und 
den Transformationsprozessen des Jangen 19. Jahrhunderts' zu analysieren. Mit Nie- 
dersachsens Rolle als Agrarland, die im 19. Jahrhundert deutliche Konturen gewann, 
korrespondiert eine raumspezifische Umweltproblematik, die genauer zu bestimmen 
ware. 

Gottingen Johannes Laufer 



Mex, Jenny: Der kurhannoversche Eisenhuttenverbund und sein Markt (1765-1806). Bochum: 
Deutsches Bergbau-Museum Bochum 2002. 352 S. m. Abb., Kt. Diagr., Schemata = 
Veroff. aus dem Bergbau-Museum Nr. 104. Montanregion Harz. Bd. 2. Kart. 

Bei der vorliegenden Studie von Jenny Mex handelt es sich um ihre im Jahr 2001 an der 
wirtschaftswissenschaftlichen Fakultat der Georg-August-Universitat Gottingen abge- 
schlossenen Dissertation, die in der von Christoph Bartels, Karl Heinrich Kaufhold und 
Rainer Slotta neu herausgegebenen Reihe „Montanregion Harz" erschienen ist. Die Ar- 
beit entstand im Rahmen des von Herrn Professor Dr. Karl Heinrich Kaufhold geleite- 
ten Forschungsschwerpunktes zum Harzer Montanwesen. Mex Ausfiihrungen basieren 
im Wesentlichen auf umfangreichen Archivstudien im Landesbergamt Clausthal-Zeller- 
feld und im Niedersachsischen Hauptstaatsarchiv Hannover. Die Arbeit zahlt nach der 
problemorientierten Einleitung drei systematisch unterteilte Hauptkapitel. Ein umfang- 
reicher Anhang aus zahlreichen Tabellen, Abbildungen, Diagramme, Karten und Sche- 
mata veranschaulicht die schriftlichen Ausfiihrungen. 

Die Studie behandelt die wirtschaftliche Situation der Eisenhiitten im Welfischen 
Harz von der Mitte des 18. bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts, da erst fur diesen Zeit- 
raum ein quantitativ gesattigtes Quellenmaterial vorliegt, das eine Bearbeitung unter 
okonometrischen Gesichtspunkten zulasst. Sie untersucht alle wirtschaftlichen Indika- 
toren der Hiitten bis hin zum Absatz der Produkte auf dem Markt und analysiert die dort 



400 Besprechungen und Anzeigen 

herrschenden Konkurrenzbeziehungen unter Beriicksichtigung administrativer Struktu- 
ren. Mex verfolgt dabei unter Nutzung der einschlagigen theoretischen Konzepte einen 
volkswirtschaftlichen Ansatz, indem sie sich mit der Situation und Entwicklung einer 
Gruppe von Eisenhiitten und deren Stellung im Markt unter Beriicksichtigung der 
marktbeeinflussenden Faktoren in vorindustrieller Zeit auseinander setzt. 

Das Bergamt und die Landesregierung nutzten alle Interventionsmoglichkeiten, um 
den Markt so weit wie moglich zu organisieren und zu regulieren. Da die Hiitten landes- 
herrschaftliche Betriebe waren, betraf die Einflussnahme alle Belange der Anbieter- 
seite: Planung, Errichtung und Finanzierung der Produktionsanlagen, Preis- und Men- 
genpolitik, Produktpolitik fur jede einzelne Hiitte, die vertraglich geregelte Absatzorga- 
nisation seitens der Hiitten-, Berg- und Landfaktoreien, die Zuteilung bestimmter Ab- 
satzgebiete und die teilweise Abschottung des inlandischen Marktes vor auslandischer 
Konkurrenz. 

Diese Regulierungsmechanismen konnten jedoch die Gesetze des Marktes nicht voll- 
standig ausschalten. Die Stellung der Hiitten im Markt und letztlich ihr wirtschaftlicher 
Erfolg hingen von zwei Faktoren ab, und zwar von der allgemeinen Eisennachfrage und 
derFahigkeit, sich gegeniiberkonkurrierenden Anbietern zu behaupten. Die Hiittenver- 
waltung konnte die inlandische Nachfrage durch Verordnung teilweise auf kurhannove- 
risches Eisen umlenken. Um sich gegen die auswartige Konkurrenz durchzusetzen, 
schuf sie ein vielschichtiges Instrumentarium zur Absatzsicherung und -steigerung, das 
einen Vergleich mit heutigen Strategien nicht zu scheuen braucht. Die Landesherrschaft 
verhangte zunachst im Jahre 1776 ein generelles Einfuhrverbot fur auswartiges und ein 
Monopol fur einheimisches Eisen. DerBerghauptmann Claus Friedrich von Reden bau- 
te dann geschiitzt vor der auslandischen Konkurrenz einen Hiittenverbund auf. Die drei 
ehemals selbststandig produzierenden Hiitten (Sollinger Hiitte, Rothe- u. Konigshiitte) 
wurden zu einem stark kostenorientierten und vielschichtigen verflochtenen horizonta- 
len Hiittenverbund zusammengelegt, der schlieBlich aus den drei oben genannten 
Haupthiitten und fiinf Nebenhiitten (Gittelder, Lerbacher, Mandelholzer, Elender u. 
Steinrenner Hiitte) bestand. Als das Monopol 1796 wieder fiel, war der Hiittenverbund 
in der Lage, gegeniiber der auslandischen Konkurrenz erfolgreich zu bestehen. 

Das groBe Verdienst dieser Arbeit liegt darin, erstmals die Entstehungsgeschichte 
und die Funktionsweise dieses Hiittenverbundes detailliert aufgezeigt zu haben. Summa 
summarum: Mex hat auf der Grundlage einer sehr intensiven und detaillierten Quellen- 
auswertung eine wesentliche Forschungsliicke zum Harzer Montanwesen geschlossen. 
Ihre Arbeit leistet einen wesentlichen Beitrag zum besseren Verstandnis dieser sehr 
komplexen Wirtschaftsregion in vorindustrieller Zeit. 

Bochum Michael Fessner 



Wirtschafts- und Sozialgeschichte 401 

Siemers, Viktor- Ludwig: Braunschweigische Papiergewerbe und die Obrigkeit. Merkantilisti- 
sche Wirtschaftspolitik im 18. Jahrhundert. Braunschweig: Selbstverlag des Braun- 
schweigischen Geschichtsvereins 2002. 288 S. = Beihefte zum Braunschweigischen 
Jahrbuch Bd. 16. Geb. 

Angesichts der Fiille ,obrigkeitlicher' Schriftstiicke des 18. Jahrhunderts, die in den Ar- 
chiven von Braunschweig und Wollenbiittel iiberliefert und nicht zuletzt Gewerbeange- 
legenheiten gewidmet sind, miisste es eigentlich iiberraschen, dass die zeitgenossischen 
Verhaltnisse bei der Herstellung von deren buchstablich materiellen Grundlage erst 
jetzt in den Blick genommen wurden. Herstellung und Verwendung von Papier sind in 
den einschlagigen Darstellungen der Landesgeschichte wie auch der Wirtschaftsge- 
schichte gleichermaBen wenig beachtet geblieben. Weder in der von Karl Burmeister 
1928 an der Universitat Franklurt vorgelegten Dissertation iiber den ,Merkantilismus im 
Lande Braunschweig- Wollenbiittel im 16. bis 18. Jahrhundert' noch in Peter Albrechts 
demgegeniiber sogar viel genaueren Arbeit von 1980 iiber ,Die Forderung des Landes- 
ausbaues im Herzogtum Braunschweig-Wolfenbiittel im Spiegel der Verwaltungsakten 
des 18. Jahrhunderts' spielen Papiermiihlen oder Buchdruckereien eine Rolle. Ebenso 
wenig wurden sie bislang augenscheinlich von der wahrlich reichen Literatur zum Mer- 
kantilismus gewiirdigt. Lediglich die umfangliche, 1987 erschienene Abhandlung von 
Giinter Bayerl iiber ,Die Papiermiihle. Vorindustrielle Papiermacherei aul dem Gebiet 
des alten deutschen Reiches - Technologie, Arbeitsverhaltnisse, Umwelt' macht hier ei- 
ne Ausnahme. Indes streilt sie ihrem Thema gemaB sowohl die Braunschweiger Verhalt- 
nisse als auch das ,Merkantilismusproblem' wiederum nur am Rande. Insolern ver- 
spricht das Buch von Victor Siemers, seine von der TU Braunschweig angenommene 
Dissertation, eine bis dahin oflenbar noch gahnende Liicke zu schlieBen. 

Mit den vor allem in den 1930er und 1950erjahren nach dem Erscheinen von Eli Hek- 
schers Studien eher theoretisch geliihrten Debatten um Inhalt und Grenzen des ,Mer- 
kantilismus' beziehungsweise dessen begriflliche Aussagekralt halt sich Victor Siemers 
nur sehr kurz auf. Er geht zudem so gut wie gar nicht auf das Phanomen fiirstlichen Un- 
ternehmertums ein, das nicht unwesentlich zur Ausbildung des Merkantilismus beitra- 
gen und gerade liir Braunschweig durch Herzog Julius vergleichsweise Iriih und promi- 
nent vertreten werden sollte. Auch die im Braunschweigischen vermutlich spatestens auf 
die Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert zu datierenden Anfange der Papierproduktion 
und in diesem Zusammenhang die Rolle von Adelsfamilien wie die der Wrisbergs blei- 
ben aus verstandlichen Griinden ausgeblendet. Vielmehr beschrankt er sich von vorn- 
herein auf die Praxis merkantilistischer Wirtschaftspolitik im 18. Jahrhundert und fragt 
sich dazu einleitend lediglich, ob die andernorts so sehr in den Vordergrund geriickten 
Gewerbe- oder Handels-Monopole, sich durch niitzliches Wissen auszeichnenden Glau- 
bensfluchtlinge oder nicht zuletzt auch die auf ihnen beruhenden Manufakturen nicht 
doch eher die Ausnahmefalle gebildet hatten und es daher in der Regel nur mehr um den 
Ausbau bereits vorhandener und sogar gefestigter Gewerbe gegangen ware. 

Nach einer konzentrierten Beschreibung des im Laufe des Untersuchungszeitraums 
in den braunschweigischen Papiermiihlen erreichten Standes derTechnikund derparal- 
lelen Entwicklung in Buchdruckerei und Buchhandel wendet sich Victor Siemers vor al- 
lem der Frage einer stets gesicherten Rohstoffversorgung zu, die ,natiirlich' nicht von un- 
gefahr im Mittelpunkt der Beziehungen zwischen der Landesherrschaft und dem Papier- 
gewerbe gestanden hat. Ihr ist mit knapp einhundert Seiten ein wesentlicher Teil der 



402 Besprechungen und Anzeigen 

Darstellung gewidmet. Entsprechend und gewissermaBen technisch folgerichtig werden 
daran anschlieBend Papierherstellung und Papierverwendung betrachtet. Hierbei geht 
es einerseits um die am Ende des 18. Jahrhunderts insgesamt sechzehn braunschweigi- 
schen Papiermiihlen als landliches Gewerbe und „Objekt der obrigkeitlichen Wirt- 
schaftspolitik", andererseits um den Herzog mit seinen leitenden Beamten und Ratge- 
bern als sowohl marktbestimmende GroBverbraucher an Papier aller Art wie ebenso als 
einen auf diesem Sektor, namlich in Buchdruck und Verlagswesen unmittelbar selbst ta- 
tigen Unternehmer. 

Bereits beim Studium der einschlagigen Akten in den Archiven von Braunschweig 
und Wolfenbiittel, seiner entscheidenden Quellengrundlage, war Victor Siemers sehr 
bald aufgefallen, ,,dass merkantilistische Argumente in den . . . Reskripten der Regie- 
rung Karls I. vollig fehlen, wahrend solche in den Antragen und Berichten von Mittelin- 
stanzen und Biirgern immer wieder gebraucht werden". Hieran vermochte auch Georg 
Heinrich Zincke kaum etwas zu andern, der „immerhin" 1746 als einer der „. . . wichti- 
gen Vertreter kameralistischer Lehren" in das Kuratorium des im Jahr zuvor eroffneten 
Collegium Carolinum und dort zugleich auf den Lehrstuhl fur ,Kameralistik und Polizei- 
wissenschaft' berufen worden war. In seinem Fazit kommt er zu dem Schluss, dass die 
braunschweigische Papierproduktion „eine im Wesentlichen von den jeweiligen Absatz- 
markten bestimmte Entwicklung genommen" hatte und nach der „Aufhebung einengen- 
der staatlicher Regulierungen . . . ein innerhalb des Herzogtums weitgehend unbehin- 
derter Lumpenmarkt" entstehen konnte. Die Papiermiihlen waren zwar seit den 1770er 
Jahren in der Wahl ihrer Bezugsquellen frei und mussten sich nur noch jeweils mit dem 
Lumpenhandel arrangieren, doch sollte die angesichts des vor allem in den 1780er Jah- 
ren steigenden Bedarfs an Druckpapier „vom Absatz her mogliche Produktionsauswei- 
tung" haufig schon deshalb ausbleiben, weil „iiberkommene Privilegien" der Anlage zu- 
satzlicher Betriebe und der Einfuhrung effizienterer Verfahren insbesondere in der Auf- 
bereitung des Faserstoffs schnell und deutlich eine Grenze setzten. So ware aufgrund der 
weiterhin wirksamen Einteilung der Distrikte fur das Einsammeln der Lumpen jede zu- 
satzlich eingerichtete Papiermiihle in ihrer Rohstoffversorgung auf erhebliche Schwie- 
rigkeiten gestoBen. Zwar brachte der Landtagsabschied, der 1770 einer entsprechend an- 
gelegten Enquete folgen sollte, fur die Betreiber der Papiermiihlen einen „freien Markt", 
doch fur ihre zuliefernden Lumpensammler eifersiichtige Kontrollen, „vollige Abhan- 
gigkeit" und sozialen Abstieg mit sich. 

Indem sich schlieBlich auch die Obrigkeit nicht zuletzt in Gestalt des Herzogs Karl I. 
selbst trotz voriibergehenden Abnahmezwangs fur die in seiner Regie im Waisenhaus 
gedruckten Bibeln als Unternehmer „iiberforderte", blieb die direkte Gewerbeforde- 
rung im Fall der Papiergewerbe letztlich „ein ebenso unhandliches wie stumpfes Werk- 
zeug", odermit anderen Worten „zwar nicht ganz erfolglos, aber doch nachhaltig folgen- 
los . . ." Trotz eines betrachtlichen Verwaltungsaufwandes sollten die meisten der selbst- 
gesteckten Ziele unerreicht und unter dem Nachfolger Carl Wilhelm Ferdinand 
lediglich die AuBenhandelspolitik ,merkantilistisch' beeinflusst bleiben. In ihr wiede- 
rum genoss zumindest die Papierherstellung mit ihrem vergleichsweise geringen Um- 
fang indes eher nur marginale Aufmerksamkeit. Auch wenn mit der weit verbreiteten 
Flachsverarbeitung und zudem nahezu iiberall reichlich vorhandenen Wasserkraft der 
Papierproduktion durchaus giinstige Voraussetzungen geboten wurden, hinderte spate- 
stens die Kleinraumigkeit des in mehrere Teile zerrissenen Territoriums die Landesherr- 
schaft daran, den merkantilistischen Grundgedanken eines einheitlichen und weitge- 



Wirtschafts- und Sozialgeschichte 403 

hend ihrem Willen unterworfenen Wirtschaftsraums in die Tat umzusetzen. Blieb sie 
nach innen darauf angewiesen, sich mit den privaten, aberwenigrisikofreudig auf herge- 
brachten Rechten bestehenden ,Unternehmern' zu arrangieren, so nach auBen auf die 
Interessen all der Nachbarn, mit denen gemeinsam Braunschweig meist erst auch tat- 
sachlich einen Wirtschaftsraum zu bilden vermochte. Um dessen konstitutive Beziehun- 
gen zu erforschen, hatte Victor Siemers allerdings seine Quellenbasis erheblich ausdeh- 
nen und den gesetzten Rahmen seiner Untersuchung sprengen mussen. 

Braunschweig Michael Mende 



Beckmann, Werner: Die Reedereien der Hochsee- und Heringsfischerei in Bremerhaven. Bre- 
merhaven: Heimatbund der Manner vom Morgenstern 2003. 224 S. Abb., graph. 
Darst. = Sonderveroff. des Heimatbundes der Manner vom Morgenstern Bd. 40. 
Geb. 14,50 €. 

In den vergangenen Jahren erschien eine Vielzahl von Veroffentlichungen zur Ge- 
schichte der deutschen Hochseefischerei. Neben schifffahrtshistorischen Publikationen 
im engeren Sinne des Wortes sowie anlassbezogenen Schriften zu verschiedenen Jubila- 
en waren dies vor allem bio- und autobiographische Werke, die einen Einblick in die 
vergangene Arbeitswelt der Hochseefischerei bieten. Werner Beckmann beschreitet mit 
seiner gemeinsam vom Heimatbund der Manner vom Morgenstern und der Schiff- 
fahrtsgeschichtlichen Gesellschaft Bremerhaven verlegten Studie demgegeniiber einen 
neuen Weg, indem er die Reedereien und Schiffseigner der Fischereifahrzeuge in den 
Mittelpunkt seiner Arbeit stellt. 

Einem einleitenden Uberblick iiber die Geschichte der Hochseefischerei an der Un- 
terweser folgt als Hauptteil die Darstellung der Entwicklung samtlicher ermittelbaren 
Reedereibetriebe in unternehmensspezifischen Kurzbiographien. Der besondere Wert 
dieses alphabetisch angeordneten Reedereiregisters liegt in seiner Vollstandigkeit. Ne- 
ben den ausfuhrlich dargestellten Entwicklungslinien der bekannten Reedereibetriebe 
wie der „Nordsee" oder Friedrich Busse & Co. werden kleine und kleinste Unternehmen, 
die teilweise nur wenige Jahre bestanden oder nur einen einzigen Fischdampfer bereede- 
ten, beriicksichtigt. Der Grad der gebotenen Information iiber die einzelnen Unterneh- 
men schwankt entsprechend den verfiigbaren Quellenmaterialien naturgemaB stark. Er 
reicht von wenigen Angaben zur Existenzdauer und Flotte eines Betriebes bis zu um- 
fangreichen Darstellungen der Besitzverhaltnisse im Hintergrund der Reedereibetriebe 
oder deren Beteiligung an technischen Neuerungen in der Hochseefischerei. Eine fur 
solch ein Registerwerk umfangreiche Illustrierung sowie ein Quellen- und Literaturver- 
zeichnis runden das Werk ebenso ab, wie ein Schiffs- und Personenindex. Insgesamt ge- 
hort die Publikation von Beckmann mit Sicherheit zu den fur die fischereihistorische 
Forschung wichtigen neuen Publikationen, die zugleich einen Beitrag dazu leistet, die 
einstige Vielfaltigkeit einer heute nur noch kleinen Branche der maritimen Wirtschaft 
am Standort Bremerhaven/ Geestemunde zu illustrieren. 

Ihr Charakter als wirtschaftshistorisches Nachschlagewerk bewirkt allerdings zu- 
gleich leider, dass die strukturellen Veranderungen der Reedereilandschaft in Bremer- 
haven/ Geestemunde etwas in den Hintergrund geraten. Zwar wird die Reduktion der 
Betriebszahl und die Konzentration auf wenige Betriebsstandorte durch Graphiken im 



404 Besprechungen und Anzeigen 

Anhang verdeutlicht, doch hatte eine Analyse der Veranderungen derUnternehmensty- 
pen (Einzelreederei, Partenreederei, Kapitalgesellschaft, Reederei als Konzernbestand- 
teil etc.) dazu beigetragen, den Wert der Studie als wirtschaftshistorische Analyse zu er- 
hohen. Ebenso stellt sich die Frage, ob die gewahlte alphabetische Anordnung der Kurz- 
biographien im Vergleich zu einer chronologischen die optimale Form darstellt. 

Insgesamt lasst sich jedoch feststellen, dass es sich bei der vorliegenden Arbeit von 
Beckmann um einen wichtigen Beitrag zur deutschen Fischereigeschichte und der Ge- 
schichte des Wirtschaftsraumes Bremerhaven/Geestemunde handelt, welche die bis- 
lang vorliegenden Schiffsregister von Spiering und Walter sinnvoll erganzt. Fiir den fi- 
schereigeschichtlich arbeitenden Historiker ist sie mit Sicherheit ein Muss und eine 
wichtige Arbeitsgrundlage fiir kiinftige Projekte, fiir den interessierten Laien ein infor- 
matives Werk, das anschaulich zeigt, dass die Hochseefischerei nicht nur aus den weni- 
gen bekannten Reedereien bestand, und schlieBlich fiir die ehemals an der Fischerei Be- 
teiligten eine gute Moglichkeit, sich iiber die Genese ihrer ehemaligen Reedereien zu in- 
formieren. 

Bremerhaven ln g° Heidbrink 



Knoke, Hans: Hamelner Wasserbauwerke an der Weser. Die Geschichte der Schleusen und 
Wehre, der Miinsterbriicke und des Hafens. Bielefeld: Verlag fiir Regionalgeschichte 
2003. 194 S. Abb. und graph. Darst. = Studien zur Hamelner Geschichte Bd. 2. Geb. 
19 - €. 

Knapp zwei Jahre, nachdem das Stadtarchiv Hameln mit seinen „Studien zur Hamelner 
Geschichte" eine neue Reihe eroffnete, liegt nun mit Horst Knokes Untersuchung der 
Hamelner Wasserbauwerke der 2. Band vor. Wahrend Band 1, Mario Keller-Holtes Ar- 
beit iiber die Revolution von 1848 in Hameln (vgl. Rez. Nieders. Jb. 2003, 439), schon 
wegen des Themas iiber die Stadtgrenzen hinaus auf groBeres Interesse gestoBen sein 
diirfte, scheint der Gegenstand des ehemaligen Leiters des StraBenbauamtes Hameln 
auf den ersten Blick doch recht speziell zu sein, da sich Knoke auf die Baugeschichte be- 
schrankt. Fiir die Stadt und damit fiir die Lokalgeschichte sind natiirlich die unterschied- 
lichen Wasserbauten zu alien Zeiten von groBer Bedeutung gewesen. Aber bereits eine 
fluchtige Lektiire zeigt, dass hier auch wichtige Fragestellungen der allgemeinen Ver- 
kehrs-, Wirtschafts- und Stadtgeschichte angerissen werden. 

Knoke greift fast ausschlieBlich auf die lokale Uberlieferung bis hin zu Beitragen frii- 
herer Lokalforscher in der „Deister- und Weserzeitung" zuriick, wie die Verweise und 
das Quellen- und Literaturverzeichnis belegen. Nacheinander bearbeitet Knoke auf je 
rund 20 Seiten chronologisch bis zur Gegenwart die Schifffahrt mit den Hafenbauten, 
die Wehre und Schleusen. Den bei weitem groBten Umfang von iiber 100 Seiten nimmt 
die Darstellung der verschiedenen Briickenbauten ein. Dieser bautenbezogene Aufbau 
erschwert leider den Uberblick iiber die historischen Zusammenhange zeitgleicher Bau- 
phasen an den Gewerken. Eine detaillierte Gliederung erschlieBt zwar den Text, auf ein 
Register wurde jedoch leider verzichtet. Dem Ortsfremden ist eine kommentierte Karte 
auf dem Vorsatz hilfreich, die jedoch nicht alle Orientierungsfragen beantwortet. Dem 
Buchformat und sicher auch den Erstellungskosten geschuldet ist die z.T. schlechte Les- 
barkeit von Kartenskizzen, vor allem bei den naturgemaB stark verkleinerten Bauplanen. 



Wirtschafts- und Sozialgeschichte 405 

Hameln lag an einem der wichtigsten und zugleich leichtesten Weserubergange zwi- 
schen Hoxter und Minden, was wohl mit ausschlaggebend fur die Fuldaer Grundung des 
hiesigen Bonifatiusstiftes um 851 war und bis zum lO.Jahrhundert zur Entwicklung einer 
Marktsiedlung gefuhrt hatte. Erstaunlicherweise erlangte Hameln jedoch keine Bedeu- 
tung als Schifferstadt: 1780 gab es nur einen Schiffseigner in Hameln. Die Stadt errichte- 
te erst im 19. Jahrhundert Hafenanlagen, vor allem als hier 1842 die „Vereinte Weser- 
Dampfschiffahrt" gegriindet worden war und sich nun auch mehrere Schiffseigner in der 
Stadt angesiedelt hatten. Bis dahin existierte als Anleger am Weserufer offenbar nur eine 
befestigte Boschung. Im Zuge der Industrialisierung wurden die Hafenanlagen weiter 
ausgebaut, auch aus Griinden des Hochwasserschutzes fur die Siidstadt. GroBere Projek- 
te um 1900 blieben jedoch wohl aus wirtschaftlichen Griinden weitgehend in der Pla- 
nungsphase stecken. Hier ware ein Ankniipfungspunkt fur tiefer gehende Untersuchun- 
gen iiber das Verhaltnis von Hafen- und Industrieentwicklung in Hameln gegeben. 
Nach 1950 nahm der Umschlag im Hafen - vor allem Massengiiter - mit dem Anwach- 
sen des StraBenverkehrs rapide ab, die Weserschifffahrt hat heute allein touristische Be- 
deutung. 

Weitaus wichtiger fur die Stadt war bis ins 18. Jahrhundert das in der umfangreichen 
Bestatigung des Stadtprivilegs 1277 sanktionierte Recht, den schon seit langem eingefor- 
derten Schiffszoll zu erheben. Die Stadt erleichterte sich die Zolleinnahme dadurch, 
dass sie um 1300 die beiden bis heute bestehenden Wehre in den Fluss baute. Zu Recht 
geht Knoke nicht weiter auf die groBenteils spekulativen, alteren Thesen iiber den Ur- 
sprung und das Alter der Wehre ein und datiert iiberzeugend den Wehrbau in die Zeit 
zwischen Bestatigung des Stadtprivilegs und der ersten Erwahnung 1314. Die vorbeifah- 
renden Schiffer wurden nun gezwungen, in Hameln ihr Schiff zu entladen, das leere 
Schiff gegen Gebiihr iiber eine Art Holzrutsche durch das „Hamelner Loch", die „Fieh- 
re", zubugsieren und dann auf dem zunachst mehr als 1 Meter, bis heute auf rund 3,50 m 
hoheren oder tieferen Flussniveau wieder zu beladen. Dieser „Stapel" (der als Privileg so 
nicht gewahrt worden war) mit dem erzwungenen oft tagelangen Aufenthalt der Schiffer 
ermoglichte den Hamelner Biirgern umfangreichen Handel und trug so bis ins 17. Jahr- 
hundert zur Prosperitat der Stadt bei. Knoke behandelt kurz auch die Probleme, die der 
Stadt durch den Wehrbau entstanden waren wie Verlagerungen des Flussbettes durch 
die Anhebung des Wasserspiegels und Probleme der Wasserversorgung der unterhalb 
gelegenen Miihlen. Die groBten Probleme verursachten aber die immer wiederkehren- 
den Hochwasser und der Eisgang im Winter, die der Stadt hohe Unterhaltungskosten an 
den Wehren und Briicken durch die standig notwendigen Reparaturen und Erweiterun- 
gen verursachten. 

Eine Zasur bedeutete der Bau der ersten Schleuse (1732-1734). Mit Einrichtung der 
Festung Hameln, auf die Knoke nicht naher eingeht, hatte sich der landesherrliche Ein- 
fluss auf die Stadt verstarkt, die Flusswehre hatten fur die Bewasserung des Festungsgra- 
bens Bedeutung erlangt wie die Schifffahrt fur die Landesokonomie. Die Stadt furchtete 
jedoch um ihre Einnahmen durch den Schleusenbau, da nun das Entladen der Schiffe 
entfiel und die Schleusengelder iiberdies in die Landeskasse flossen. Der listige, doch 
vergebliche Vorschlag der Stadt, doch einfach die Wehre niederzulegen, wurde vom 
Landesherrn in Riicksicht auf die Festungsbauten abgelehnt. Offenbar ein schones Bei- 
spiel fur das Erstarken der Landesherren und der Schwachung der Stadte in der Friihen 
Neuzeit, dessen nahere Analyse wiinschenswert ware. Der Aufschwung der Weser- 
schifffahrt im 19. Jahrhundert machte einen Neubau der Schleuse notwendig, da die alte 



406 Besprechungen und Anzeigen 

zu klein geworden war. Besonders fur Schleppziige wurde 1929-1933 eine vollig neue, 
groBe Schleusenanlage gebaut, die heute iiberdimensioniert wirkt. 

Die umfanglich vorgestellte Geschichte der Weserbriicke, die seit 1973 den Namen 
„Munsterbriicke" tragt, beginnt wohl im lO.Jahrhundert mit derEntwicklung derMarkt- 
siedlung. Seit 1243 nachweisbar, war sie seit 1277 Eigentum der Stadt. Wie beim Wehr- 
bau lagen darin Vor- und Nachteil dicht beieinander: Die Einnahmen aus den Brii- 
ckengeldern wogen langst nicht immer die Kosten der Bauunterhaltung oder gar not- 
wendiger Neubauten auf, sodass etwa 1391 die Stadt in ihrer Finanznot einen Ablass von 
Papst Bonifaz IX. zur Briickenfinanzierung erwirkte oder 1431 Konig Sigismund die 
Stadt zum besseren Unterhalt der Brticke ermahnen musste. 1709- 1712 konnte nur mit 
landesherrlicher Unterstiitzung der dringend erforderliche Neubau bewerkstelligt wer- 
den, wiederum ein in Knokes detailreicher Darstellung nicht naher diskutiertes Beispiel 
fur die Veranderungen im Verhaltnis Landesherr - Stadt. Die verarmte Stadt vermochte 
es im weiteren Verlauf nicht, die Briicke in Stand zu halten, sodass sie um 1800 vollig 
baufallig geworden war. Langwierige Verhandlungen wegen des Neubaus zwischen 
Stadt und Landesherrn zogen sich hin, wahrend die Briickennutzung immer weiter ein- 
geschrankt werden musste, bis endlich 1836-1839 der Bau der asthetisch ansprechen- 
den Kettenbriicke erfolgen konnte: eine briickenbautechnische Meisterleistung. Die 
Baulast lag nun beim Landesherrn. 

Doch Ende des 19. Jahrhunderts reichte die Tragkraft der Kettenbriicke nicht mehr 
aus, sodass 1892/95 ein weiterer Neubau notig war, der sich aber bald ebenfalls als unzu- 
reichend erwies: Die von Knoke leider nur erwahnte Eisenbahnbriicke von 1896/97 hat- 
te kaum fur eine Entlastung vom Schwerverkehr der Hamelner Miihlenbetriebe gesorgt. 
1929/31 wurde ein weiterer Neubau errichtet, dem nach der Sprengung aller Weserbrii- 
cken beim Riickzug der deutschen Truppen 1945 binnen fiinfzig Jahren der dritte Bau 
folgen musste. Trotz des Baues der zweiten, vierspurigen Weserbriicke 1970/74 flussab- 
warts wurde in der Gegenwart eine weitere Erneuerung der Miinsterbriicke notwendig: 
Wiederum ein Beleg fur die immense Zunahme des StraBenverkehrs im 20. Jahrhundert, 
die sich aus der detailreichen Darstellung Knokes gut nachvollziehen lasst, wie gewiss 
zahlreiche interessante Details fur den Bau- und Technikhistoriker. 

Die Untersuchung leidet allerdings insgesamt darunter, dass die analytische Ver- 
kniipfung der vielen Details nicht immer gelingt, etwa die Verbindung von Umschlags- 
zahlen des Hafens mit denen der Schleusendurchgange und den Angaben zum Brii- 
ckenverkehr, die die Verlagerung des Verkehrs auf die StraBe im 20. Jahrhundert bele- 
gen. Kurze Querverweise bedingen so Wiederholungen von Details in unterschiedli- 
chen Zusammenhangen. Auch der Mangel an Rezeption iibergeordneter Quellen und 
Literatur macht sich darin bemerkbar. Gern hatte man, um ein weiteres Beispiel zu nen- 
nen, mehr fiber das Verhaltnis Stadt - Landesfiirst auch aus Sicht der fiirstlichen Verwal- 
tung gewusst, wie etwa im Zusammenhang mit dem Festungsbau im 18. Jahrhundert. So- 
zialhistorisch interessant ware auch eine biografische Ubersicht fiber die Bau- und 
Schleusenmeisterfamilie Dammert gewesen, die offenbar fiber 150Jahre die Hamelner 
Wasserbauten maBgebend betreute. 

Doch sollen diese Kritikpunkte Knokes Arbeit mitnichten entwerten: Die historische 
Analyse ist nicht die Hauptaufgabe des historisch interessierten Fachmannes, sondern 
die quellennahe Darstellung vor allem der ingenieurtechnischen Probleme. Die Arbeit 
ist in jedem Falle einmal mehr Beleg dafiir, dass lokale Untersuchungen sehr spezieller 



Wirtschafts- und Sozialgeschichte 407 

Themen wichtige Anregungen fiiriibergeordnete Fragestellungen geben konnen. In die- 
sem Sinne ist der Untersuchung die Rezeption iiber den Kreis der an Hamelns Stadtge- 
schichte Interessierten hinaus zu wiinschen. 

Alfeld Thomas Krueger 



Industrie und Mensch in Sudniedersachsen - vom 18. bis zum 20.Jahrhundert. Hrsg. von Birgit 
Schlegel i.A. der Arbeitsgemeinschaft Siidniedersachsischer Heimatfreunde e.V. 
Duderstadt: Mecke Druck und Verlag 2003. 376 S. mit zahlr. Abb. = Schriftenreihe 
der AG Siidniedersachsischer Heimatfreunde Bd. 16. Geb. 17,90 €. 

Die volkskundliche Kommission der Arbeitsgemeinschaft siidniedersachsischer Hei- 
matfreunde hat unter der Leitung von Frau B. Schlegel einen Kreis von Wirtschaftshisto- 
rikern, Museumsfachleuten, Betreuern von Industriedenkmalen sowie erfahrenen Hei- 
matpflegern und -forschern zu einer Publikation zusammengefiihrt, in der in sechzehn 
Aufsatzen hauptsachlich lokale industrielle Einzelentwicklungen aus der Zeit vom 18. 
Jahrhundert bis zur Gegenwart dargeboten werden. Der buchtechnisch gut gemachte 
Band schlieBt sich an eine in ahnlicher Weise entstandene Veroffentlichung an, die dem 
alten Handwerk und Gewerbe in Sudniedersachsen gewidmet war. Er setzt also das lo- 
benswerte Bemiihen fort, die Leistung und Bedeutung des gewerblich-industriellen Ar- 
beits- und Produktionssektors im Untersuchungsgebiet zu erfassen und zu wiirdigen. 

Mit ganz unterschiedlichen Schwerpunkten - haufig stehen industrietechnische, re- 
gelmaBig auch wirtschafts- sowie unternehmens- und unternehmergeschichtliche Fra- 
gen im Mittelpunkt, eher selten gelingt es indessen entgegen dem im Buchtitel niederge- 
legten Anspruch, den arbeitenden Menschen sichtbarzu machen, - werden einzelne tex- 
tilindustrielle Unternehmungen (die Strumpfwirkerei in Sachsa, die mechanische 
Spinnerei im Gartetal, die Entstehung der Zeugfabriken vor allem in Osterode) , einzelne 
Nutzungen von Bodenschatzen (die Saline zu Siilbeck, der Salzbergbau zu Volpriehau- 
sen im Soiling, die Arsenikproduktion im Oberharz, auch das Aufbliihen und Vergehen 
der Keramikindustrie in Fredelsloh in der Nachkriegszeit) , interessante Teile der Holzin- 
dustrie (die Zundholzherstellung am und im Harz, die Kleinmobelindustrie in Uslar) so- 
wie an die landwirtschaftliche Produktion ankniipfende Industrieformen (die Rhume- 
miihle in Northeim, die Zuckerfabriken ebendort und in Norten, das kriegswirtschaft- 
lich bedingte Wiederaufleben industriellen Flachsrostens in Bad Gandersheim wahrend 
der NS-Zeit) abgehandelt. Einen gewissen Grad von Vernetzung dieser „Leuchtturme" 
industrieller Tatigkeit bewirken dann Aufsatze, in denen die Gewerbelandschaft Hils, 
die durch die Industrialisierung veranlasste Erweiterung und Veranderung der Hausfor- 
men eines Dorfes (Arholzen), die industriefordernde Eisenbahnentwicklung in Sudnie- 
dersachsen und am Beispiel Katlenburgs das Zusammenspiel von Eisenbahnbau, Dorf- 
entwicklung und spezieller Genussindustrie (Fruchtweinkelterei) exemplarisch zur 
Darstellung kommen. Nicht zu leisten war dagegen eine Erfassung des siidniedersachsi- 
schen Industrialisierungsprozesses in Zeitschichten, weil es dazu groBerer flachende- 
ckender Forschungen bedurft hatte. Dadurch, dass in den Aufsatzen Spezialkenner, die 
sich in der Regel langere Zeit mit ihrem Gegenstand beschaftigt haben, und dies haufig 
nicht zum ersten Mai, teilweise auch auf bereits komprimiert vorliegender Literatur fu- 



408 Besprechungen und Anzeigen 

Bend, zu Wort kommen, vermag der Band - auch dies ist freilich bedeutsam genug - in- 
teressant zusammengesetzte und gut polierte Mosaiksteine einer siidniedersachsischen 
Industriegeschichte zu bieten, nicht aber mehr. 

Das Buch ist schlieBlich, auch das ist ein erheblicher Vorzug, umfangreich und gut be- 
bildert. Die Abbildungen machen die Technik und den arbeitenden Menschen in man- 
chen Fallen anschaulich. Sie wollen nicht Erganzung zur, sondern Bestandteil der Argu- 
mentation sein und sind es zu groBen Teilen auch. Umso fragwiirdiger ist es gerade des- 
halb, wenn der Aufsatz iiber die Arsenikproduktion im Harz mehrere, immerhin als 
solche ausgewiesene Aufnahmen aus einem schlesischen Arsenikwerk zeigt. Und ganz 
und garunnotig war es, dem Band ein gewiss eindrucksvolles Titelbild, das den Arbeits- 
raum einer Textilfabrik um 1900 wiedergibt, voranzustellen, das aber nicht sudnieder- 
sachsisches, sondern belgisches Industriegeschehen veranschaulicht. Der Authentizi- 
tatsanspruch, dem - das haben wir gerade in jiingerer Zeit gelernt - Bilder in wissen- 
schaftlichen Veroffentlichungen gerecht werden miissen, er wurde hier nicht in alien 
Fallen beachtet. 

Hannover Otto Merker 



Wiese, Axel: Die Hafenbauarbeiter an der Jade (1853-1871). Wilhelmshaven als GroBbau- 
stelle. Die Entstehung des Reichskriegshafens unterbesondererBeriicksichtigung der 
Lebensverhaltnisse und Arbeitsbedingungen der beim Ausbau beschaftigten Arbei- 
ter. Oldenburg: Isensee 1998. 106 S. m. Abb. u. Tab. = Oldenburger Studien Bd. 41. 
Kart. 9,90 €. 

Bescheiden hat der Verfasser seine aus einer Staatsexamensarbeit an der Oldenburger 
Universitat hervorgegangene Untersuchung als „Dokumentation" bezeichnet. Tatsach- 
lich hat Axel Wiese die bislang griindlichste Monographie zur Sozialgeschichte der An- 
fangsjahre Wilhelmshavens vorgelegt. Verdienstlich an der Arbeit ist es, eine ausschlieB- 
lich lokalgeschichtliche Perspektive zu vermeiden und gleichzeitig die Lage der „unte- 
ren Klassen" in den Blick zu nehmen, da es in der regionalen Erinnerungskultur die 
Tendenz gibt, die friihe kommunale Entwicklung auf das Verhaltnis zum Kaiser zu ver- 
engen. Wieses Untersuchungsgegenstand ist die in hohem MaBe mobile Gruppe der 
Wanderarbeiter, die auf den GroBbaustellen des 19. Jahrhunderts zu finden war. Sind 
die Eisenbahnbauarbeiter schon Gegenstand historischer Arbeiten geworden, so trifft 
das fur die Wilhelmshavener Hafenbauarbeiter nicht zu. 

Die Quellenlage ist fur Wilhelmshaven erstaunlich giinstig. Neben den Akten staatli- 
cher Provenienz, v.a. den Akten preuBischer Ministerien und des Admiralitatskommis- 
sariats zu Oldenburg, konnte sich der Verf. vorallem auf Reiseberichte und Briefe zweier 
Reiseprediger der Inneren Mission stutzen. Auf Recherchen im Bundesarchiv-Militarar- 
chiv hat Wiese aus - bei einer Staatsexamensarbeit nachvollziehbaren - Entfernungs- 
griinden verzichtet. Uber die Pfarrarchive der beiden oldenburgischen Kirchspiele Hep- 
pens und Neuende, die Teile ihres Territoriums fur die spatere Stadt Wilhelmshaven ab- 
treten mussten, sowie der katholischen Kirchengemeinde Jever macht der Verf. keine 
Angaben. 

Der Verf. stellt einleitend das „Arbeiterdasein im 19.Jahrhundert" darund ordnet die 
Entstehung einer Wanderarbeiterschaft dem Pauperisierungsprozess, vor allem auf dem 



Wirtschafts- und Sozialgeschichte 409 

Lande zu. Bei GroBbaustellen wie in Wilhelmshaven konnte jetzt auf „freie" Lohnarbei- 
ter zuriickgegriffen werden, wahrend im lS.Jahrhundert GroBprojekte auf Frondiensten 
beruhten. Relativ ausfiihrlich geht die Arbeit auf die „Ausgangsbedingungen fur den 
Kriegshafenbau an der Jade" ein. Bei der Wiedergabe der diplomatischen Verhandlun- 
gen, die zum Verkauf eines kleinen oldenburgischen Gebietes amjadebusen an PreuBen 
fuhrten, und der verwaltungsrechtlichen Folgen der Bildung des „K6niglich PreuBi- 
schen Jadegebietes" bewegt sich die Arbeit im Wesentlichen in bekannten Bahnen. 
Auch die Beschreibung der Lebensverhaltnisse in diesem Areal stiitzt sich vor allem auf 
die mittlerweile mehrfach aufgelegten Erinnerungen Louise von Krohns, die Ende der 
1850erjahre ins Jadegebiet kam. Aufschlussreich ist dagegen das folgende Kapitel, das 
sich mit dem GroBbauprojekt „Kriegshafen" beschaftigt. Hier werden die Schwierigkei- 
ten und Probleme deutlich, mit denen sich PreuBen bei der Planung konfrontiert sah 
und die zeitweise die Anlage eines Hafens als aussichtslos erscheinen lieBen. Gleichzei- 
tig wird auf zeitgenossische GroBbaustellen ahnlichen AusmaBes hingewiesen. Eine ver- 
gleichende Betrachtung zwischen den Eisenbahnbaustellen und dem Wilhelmshavener 
Hafenbau konnte hier noch deutlicher das besondere Profil der Bautatigkeiten an derja- 
de herausarbeiten, zumal sich in den 60erjahren des 19. Jahrhunderts bei der Erstellung 
der Bahnlinien Oldenburg-Bremen, Oldenburg-Leer und Oldenburg-Wilhelmshaven 
auch in der unmittelbaren Umgebung solche GroBbaustellen befanden. 

Der Hauptteil der Arbeit wird von einer minutiosen Beschreibung der sozialen Situa- 
tion der Hafenbauarbeiter im Jadegebiet eingenommen. Diese Arbeitergruppe, die mit 
87% (Dezember 1870) alle anderen am Bauprojektbeteiligten Beschaftigtengruppen do- 
minierte, unterlag starken Reglementierungen und stand in der sozialen Rangordnung 
an letzter Stelle. Zusammengefasst waren die Erdarbeiter in „Schachten" unter der Lei- 
tung eines Schachtmeisters, denen wiederum Bauaufsichtsbeamte vorgesetzt waren. 
Erst mit Beginn der 70er Jahre wurden Feldbahnen und Dampframmen eingesetzt, bis 
dahin herrschte schwerste Handarbeit iiber 14 Stunden im Sommer und 9 Stunden im 
Winter vor, fur die Hacken, Spaten und Schippen von den Arbeitern selbst gestellt wer- 
den mussten. Als Unterkunfte dienten enge und ungesunde Baracken, teilweise Schlaf- 
gangerstellen in den benachbarten Dorfern. Die Lohne waren vergleichsweise gut, 
gleichzeitig aber durch die hohen Lebenshaltungskosten relativiert. Harte Arbeit, unge- 
niigende ArbeitsschutzmaBnahmen und das fur viele ungewohnte Kiistenklima beein- 
trachtigten die Gesundheit. Der Verf. konnte gerade in diesem Teil in groBem Umfang 
die bereits erwahnten Berichte von Reiseagenten der Inneren Mission heranziehen. Al- 
lerdings ware es fur weitere Arbeiten sinnvoll, diese Quellen mit groBerer Distanz zu 
verwenden. Zwar werden vom Verf. die Intentionen der Inneren Mission genannt, aber 
ihre moralisierende Sicht auf die Unterschichtenangehorigen erfordert selbst eine kriti- 
sche Interpretation. Dennoch ergeben sich durch sie und - nimmt man die gegenwartig 
iiberschaubare Quellensituation - nur durch sie instruktive Einblicke in das Leben der 
Hafenbauarbeiter an der Jade. Weitgehend ungeklart bleibt die Herkunft der Arbeiter, 
wenn man auch aus einer Ubersicht der Strafverfolgungssachen vor allem auf die preuBi- 
schen Provinzen Posen und Schlesien schlieBen darf. Moglicherweise hatten die Kir- 
chenbiicher weitere Auskiinfte gegeben. 

Die Arbeit schlieBt mit einem Ausblick auf die Entstehung von Arbeiterorganisatio- 
nen ab. Der seit 1866 in Heppens nachweisbare Arbeiterbildungsverein umfasste jedoch 
mehrheitlich Handwerksgesellen, nicht Erdarbeiter. Fur die ersten Lassalleaner und Ge- 
werkschafter am Orte lasst sich eine ahnliche Beobachtung machen. Die Veranderung 



410 Besprechungen und Anzeigen 

der Struktur der Arbeiterschaft des Jadegebietes nach der Flutung des Hafens im Jahr 
1870 und das sich verandernde Organisationsverhalten waren ein neues Thema, dessen 
Untersuchung auf die Befunde der vorliegenden Arbeit aufbauen konnte. Die Arbeit 
Wieses hat unsere Kenntnisse der friihen Wilhelmshavener Stadtgeschichte erheblich 
erweitert und eine solide Grundlage fur die weitere Erforschung gelegt. 

Oldenburg Joachim Tautz 



Szabo, Aniko: Vertreibung, Riickkehr, Wiedergutmachung. Gottinger Hochschullehrer im 
Schatten des Nationalsozialismus. Gottingen: Wallstein 2000. 765 S. = Veroffentli- 
chungen des Arbeitskreises Geschichte des Landes Niedersachsen (nach 1945) Bd. 
15. Kart. 74,- €. 

Die bei Herbert Obenaus in Hannover entstandene Dissertation von Aniko Szabo wid- 
met sich einem bislang weitgehend unerforschten Thema der Nachkriegszeit: dem Urn- 
gang mit den Wissenschaftlern, die in der NS-Zeit aus ideologischen Grunden entlassen 
worden waren. Die Verfasserin wahlt als Untersuchungsgebiet das heutige Niedersach- 
sen - hier schwerpunktmaBig die Universitat Gottingen - und methodisch vorwiegend 
einen breiten biographischen Ansatz, um das Schicksal des betroffenen wissenschaftli- 
chen Personals nachzuzeichnen. Die Untersuchung versteht sich als Beitrag zu verschie- 
denen Forschungsrichtungen, so Exil- und Emigrantenforschung, Wissenschaftsge- 
schichte und Sozialgeschichte der Wiedergutmachung (S. 12f., S. 15). 

Das umfangreiche Werk beginnt nach der Einleitung mit einem kiirzeren Teil iiber 
die Ausgrenzung und Vertreibung von Hochschulpersonal in der NS-Zeit als Hinter- 
grund des eigentlichen Themas (II., S. 31-84) . Hier stellt die Autorin eine Reihe von Bio- 
grafien vor, die nicht mehr vollstandig zu rekonstruieren waren, sowie diejenigen ver- 
folgter Wissenschaftler, die vor 1945 verstorben sind (S. 53-83) . Teil III behandelt die Re- 
habilitierungen nach 1945 (S. 85-232) und darunter zunachst die der nichtemigrierten 
Hochschullehrer. Die nach Universitaten, dann nach Fakultaten gegliederten ausfuhrli- 
chen Biografien der Betroffenen machen aus bloBen Vorgangen konkrete Schicksale. 
Deren breites Spektrum reicht von dem Psychologen Heinrich Diiker, als Sozialist im 
KZ Sachsenhausen inhaftiert, dessen aktiver Widerstand gegen das NS-Regime bei den 
amtierenden Professoren offenbar auf derart groBen Respekt stieB, dass sie seine schnel- 
le Wiedereinstellung engagiert betrieben (S. 205-209) , bis hin zu ehemaligen Hochschul- 
lehrern wie dem Anatom Karl Sailer oder dem Mathematiker Kurt Hohenemser, deren 
kritische Haltung und Forderung nach einer Auseinandersetzung mit der universitaren 
NS-Vergangenheit gar nicht goutiert wurden (S. 180-197, S. 214-232). Sie wurden nicht 
wieder berufen. Im Fall Hohenemsers verzichtete die Universitat sogar auf eine zusatzli- 
che Stelle in Form einer personengebundenen Wiedergutmachungsdozentur (S. 223). 

Der folgende Teil IV stellt, ausgehend von den Diskussionen der Hochschulkonferen- 
zen, die Riickberufung von Emigranten dar (S. 233-264). Auf der Prioritatenliste fur die 
Besetzung freier Stellen rangierten im September 1945 Professoren aus den abgetrenn- 
ten Ostgebieten und der sowjetisch besetzten Zone sowie aus Osterreich, der Tschecho- 
slowakei und dem Elsass ausdrucklich vor Emigranten und nichtemigrierten Verfolgten 
der NS-Zeit (S. 232) . Offensichtlich hatten die amtierenden Hochschullehrer Opfer aus- 
gemacht, deren Unterstiitzung als vorrangig wichtig empfunden wurde und die nicht 



Wirtschafts- und Sozialgeschichte 411 

standig als das schlechte Gewissen derer zu fiirchten waren, die die NS-Zeit in Deutsch- 
land recht gut iiberstanden hatten. Dass die Militarregierung im Gegensatz dazu fiir eine 
Riickberufung der Emigranten pladierte, scheiterte an der zugleich von den Briten ge- 
forderten Autonomie der Hochschulen, aus der ein exklusives Berufungsrecht resultier- 
te. Gegen die aus moralischen Griinden notwendige Riickberufung stellten die Hoch- 
schulen den Anspruch auf den hochstmoglichen wissenschaftlichen Standard („Ziel der 
Erganzung der Besten", S. 254), dem die Emigranten wegen des Bruchs in ihrer Lauf- 
bahn und der fehlenden Moglichkeit zu einer adaquaten wissenschaftlichen Betatigung 
im Ausland oft nicht geniigen konnten. Mit diesem allein auf die Wissenschaft gerichte- 
ten Blick vermied man zugleich eine Auseinandersetzung mit der eigenen Rolle in der 
NS-Zeit. Es herrschte eine verhangnisvolle Mischung aus einer konstruierten Realitat, in 
der die Wissenschaft auch zwischen 1933 und 1945 rein und unpolitisch war, und Vorur- 
teilen gegeniiber Emigranten, die auf Seiten des Feindes gestanden und im Exil ein gesi- 
chertes Leben gefiihrt hatten (S. 244f.). Vor diesem Hintergrund konnten Fliichtlinge 
aus den ehemaligen Ostgebieten viel eher mit der Solidaritat ihrer Kollegen im Westen 
rechnen als die Emigranten. Diese sahen sich zusatzlich vor dem Problem der fehlenden 
deutschen Staatsbiirgerschaft, die ihnen von den Nationalsozialisten aberkannt worden 
war und die nun zu einer fiir viele unannehmbaren Bedingung fiir eine Wiedereinstel- 
lung in den Hochschuldienst wurde (S. 247-249). 

Teil V (S. 265-309) hat den Umgang mit der politischen Vergangenheit zum Gegen- 
stand. Dabei stellt die Autorin fest: „Nicht die Opfer des Nationalsozialismus hatten sie 
[i.e. die Teilnehmer der Hochschulkonferenz 1948] im Auge, wenn sie Rehabilitierung 
meinten, sondern die Personen, die unter die alliierte Besatzungspolitik fielen" (S. 269). 
Die damit angesprochene vielfach kritisierte Entnazifizierung wurde in Niedersachsen 
im Dezember 1951 offiziell beendet. Wenige Tage spater verfiigte ein Gesetz zum Artikel 
131 GG die Wiedereinsetzung nach dem 8. Mai 1945 entlassener Beamterin gleichwerti- 
ge Stellen (S. 292-293) . Die Hochschulen waren grundsatzlich verpflichtet, politisch Be- 
lastete bei der Neubesetzung vakanter Stellen zu berucksichtigen, was bis auf wenige 
Falle, in denen die Aspiranten in inakzeptabler Weise belastet waren, recht ziigig und 
problemlos ablief (S. 206-309). 

Die juristische Wiedergutmachung nimmt den umfangreichsten Teil der Untersu- 
chung ein (VI., S. 289-496). Bei den gesetzlichen Grundlagen ist die zeitliche Kongru- 
enz des Wiedergutmachungsgesetzes fiir den offentlichen Dienst (BWG6D) und des 
131er-Gesetzes zur Wiederverwendung politisch Belasteter bezeichnend (S. 313f.). Wah- 
rend die Opfer der ,Siegerjustiz' wenig bis gar keine Probleme hatten, ihre Versorgungs- 
anspruche durchzusetzen, musste fiir die in der NS-Zeit Entlassenen erst eine ange- 
nommene, also fiktive Laufbahn konstruiert werden, aus der sich dann die Hohe der 
Versorgung (falls iiberhaupt gewahrt) errechnete. Eine wichtige Grundlage dieser 
Laufbahn-Konstrukte waren Gutachten amtierender Hochschullehrer, die nicht seiten 
potenzielle Konkurrenten oder eine Bedrohung ihrer eigenen Integritat fiirchteten (S. 
328-330) . Dass sie sich iiberdies bei der Beurteilung immer noch von in der NS-Zeit ge- 
schaffenen Realitaten leiten lieBen, zeigt eindrucksvoll das Beispiel des Kinderheil- 
kundlers Kurt Bliihdorn, der im amerikanischen Exil nicht an einer Hochschule, son- 
dern als praktizierender Arzt tatig gewesen war. In Deutschland ware ihm, so ein Gut- 
achter, wegen seiner im Vergleich zu anderen Kandidaten nicht ausreichenden Qualifi- 
kation kein Ordinariat iibertragen worden. Diese Beurteilung hatte ausgereicht, um 
Bliihdorn die Wiedergutmachung als ordentlicher Professor zu verweigern, hatte sich 



412 Besprechungen und Anzeigen 

nicht herausgestellt, dass an seiner Stelle ein ungeniigend qualifizierter Kandidat allein 
aufgrund seiner langjahrigen Mitgliedschaft in der SAberufen worden war (S. 491-492). 

In der Schlussbetrachtung unter dem Titel „Das gebrochene Verhaltnis - Die Univer- 
sitat Gottingen und die ehemals verfolgten Hochschullehrer" (VII., S. 497-522) fiihrt die 
Verfasserin ihre zentralen Ergebnisse und Erkenntnisse, die sie als Mosaiksteine aus vie- 
len einzelnen Biografien, aus gesetzlichen Bestimmungen, aus Tagesordnungen von 
Hochschulkonferenzen, aus einzelnen Verfahren und vielem mehr gewonnen hat, noch 
einmal zu einem vollstandigen und stimmigen Bild zusammen, dessen zahlreiche Facet- 
ten in dieser Besprechung nur auszugsweise skizziert werden konnten. 

In den Anhangen findet sich eine ausfiihrliche biografische Dokumentation der in 
der NS-Zeit verfolgten Hochschullehrer in Niedersachsen (S. 523-661) sowie eine Reihe 
von Diagrammen, die erganzend zu den im Text geschilderten Einzelschicksalen einen 
quantitativen Uberblick iiber die Zahl der Entlassenen, der Remigranten etc. bieten. 

In dem biografischen Ansatz und dabei vor allem auch in der Einbeziehung der noch 
nicht zu Professoren Berufenen liegt eine der besonderen Starken der Arbeit, weil hier 
deutlich wird,wie junge Karrieren in der NS-Zeit im Keim erstickt oder doch zumindest 
massiv unterbrochen wurden und warum an diese auch nach 1945 oft nicht mehr anzu- 
kniipfen war. Der Verzicht auf die Darstellung exemplarischer Falle zugunsten umfas- 
sender Biografien verhindert eine kiinftige Beschrankung auf derartige Beispiele und ga- 
rantiert, dass auch diejenigen nicht in Vergessenheit geraten, von deren Schicksalen 
schon heute nur noch Bruchstiicke bekannt sind. Durch eine straffere Darstellung hatten 
einige der vorkommenden Wiederholungen sicher vermieden werden konnen. Aller- 
dings sind sie nicht wirklich gravierend und ein ausuferndes Verweissystem als Alterna- 
tive ware der Lektiire des inhaltlich iiberzeugenden Buches nicht forderlich gewesen. 

Lippstadt Claudia Becker 



Barnowski-Fecht, Sabine: Das Handwerk der Stadt Oldenburg zwischen Zunftbindung und 
Gewerbefreiheit (1731-1861). Die Auflrjsung der Sozialverfassung des „alten Hand- 
werks" und ihre Transformation unter den Bedingungen von Stadtentwicklung und 
staatlicher Gewerbepolitik. Oldenburg: Isensee 2001. 405 S. m. 16 Tab. i. Anh. = Ol- 
denburger Studien Bd. 44. Kart. 19,- €. 

In den letzten Jahren wurde in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft sehr intensiv iiber ei- 
ne gewisse Neuordnung des Handwerkswesens in Deutschland diskutiert. Im Vorder- 
grund stand dabei eine liberalere Handhabung der Zugangsvoraussetzungen zur Griin- 
dung einer Handwerksfirma: beschlossen wurde dann in 2003 vom Deutschen Bundes- 
tag u.a., dass langjahrige Handwerksgesellen in bestimmten Handwerken auch ohne 
Meisterpriifung eine eigene Firma oder eine sog. „Ich-AG" griinden konnen. Diese rela- 
tiv kleine Neuordnung war auf heftigen Widerstand insbesondere der sehr regen und 
einflussreichen deutschen Handwerkslobby gestoBen, die den „Untergang des Abend- 
landes" heraufbeschworte. 

Aus diesem Gesetzesvorhaben in unserer Zeit wird deutlich, welchen hohen Stellen- 
wert noch immer das „deutsche Handwerk" als eine der Saulen des wirtschaftlichen Mit- 
telstandes hier zu Lande hat. In ihrer Oldenburger Dissertation von 1998, die 2001 als 
Band 44 der Oldenburger Studien veroffentlicht wurde, liefert die Sozialwissenschaftle- 



Wirtschafts- und Sozialgeschichte 413 

rin Sabine Barnowski-Fecht im Rahmen einer lokalen bzw. regionalen Studie gewisser- 
maBen nebenbei auch eine historisch-soziale Begriindung dafiir. Sie widmet sich in ei- 
ner umfanglichen und sehr detaillierten Arbeit dem „Handwerk der Stadt Oldenburg 
zwischen Zunftbindung und Gewerbefreiheit" zwischen 1731, dem Jahr des Reichsab- 
schieds der Reichshandwerksordnung, und 1861, dem Jahr, in dem auch der oldenburgi- 
sche GroBherzog Nikolaus Friedrich Peter mit Zustimmung des Landtags ein modernes 
Gewerbegesetz verkundete, welches nunmehr die „unbeschrankte Gewerbefreiheit" be- 
inhaltete, allerdings doch eingeschrankt durch die Bedingungen der Volljahrigkeit und 
des kommunalen Heimatrechts sowie Regelungen zur Freiziigigkeit auslandischer Ge- 
werbetreibender. 

Eingangs liefert die Autorin eine fundierte historische Darstellung vom Niedergang 
des „alten Handwerks" im 18. Jahrhundert und der damit verbundenen „ziinftigen Le- 
bensform" in der Stadt Oldenburg. Dabei stellt sie mit Recht fest, dass „der Wandel der 
inneren Struktur des alten Handwerks im Ubergang vom Zunftsystem zur industriellen 
Gesellschaft ein altes Thema der Handwerksgeschichte" sei und verbindet es mit den be- 
kannten Vertretern der deutschen historischen Schule der Nationalokonomie, Gustav 
Schmoller und Karl Biicher. Mit dem Wort Ernst Blochs von der „Gleichzeitigkeit von 
Ungleichzeitigem" betont sie jedoch, dass in der modernen Handwerksgeschichtsfor- 
schung - wofiir u.a. H.U. Wehler, J. Kocka, W. Reininghaus, H.H. Kaufhold stehen - 
„das historische Nebeneinander von Pramodernem und Modernem" anerkannt wird 
und somit die Handwerker selbst nicht mehr nur als beharrende „reine Modernisierungs- 
opfer oder -gegner wahrgenommen", sondern auch als „bewegende Akteure" anerkannt 
werden. Fiir ersteres steht u.a. die Rolle bzw. Darstellung des Handwerkers in der zeitge- 
nossischen niedersachsischen Heimatbewegung im 19. Jahrhundert, in der das sie tra- 
gende stadtische Biirgertum seine Fortschrittskritik mit Agrarromantik und riickwarts 
gewandten Volkstumsgedanken verband. In diesem Zusammenhang ist auch das von der 
Autorin ausgesuchte Titelbild ihrer Studie zu betrachten: es stellt einen Ausschnitt aus 
dem groBformatigen Olbild „Schlosserei Hartmann in Oldenburg" dar, das dernoch im- 
mer populare Oldenburger Heimatmaler Bernhard Winter 1923 fertigte. Es zeigt haupt- 
sachlich die in einer damaligen Schlosserei vorkommenden handwerklichen Tatigkeiten 
und vermittelt selbst mit diesem Motiv ein „Bild von der scheinbar in sich ruhenden alten 
Zeit", was „dem Bediirfnis vieler oldenburgischer Burger nach , Tradition'" entsprach. 

Diese „vorindustrielle Tradition" bestimmte die relativ kleine Land- und Residenz- 
stadt Oldenburg, die - nach der biirgerlichen Stadtetypologie von L. Gall - sicher den 
Stadten zuzuordnen ist, „die von relativer Riickstandigkeit gepragt waren". Dafiir stehen 
auch die zahe Beibehaltung sozialer Traditionen und ein sehr langsamer historischer 
Wandel insgesamt. Im speziellen aber ging mit der Auflosung des Alten Reichs und der 
Neuetablierung eines aufgeklart-absolutistischen Fiirstenstaates Oldenburg einher auch 
der Entzug „der durchaus ausgepragten standisch-korporativen Lebensform in Meister- 
ziinften sowie Gesellenbriiderschaften". 

Die seit den 1790erjahren auch in der Stadt Oldenburg wiederholt aufflammenden 
Gesellenunruhen sind ebenso ein Synonym fiir den Wandel des ziinftigen Handwerks. 
Am Beispiel des Maurer-, Zimmerer- und Tischlerhandwerks schildert die Autorin an- 
hand signifikanter Quellen aus dem Niedersachsischen Staatsarchiv Oldenburg entspre- 
chende „Mi6brauche". Am Ende der „01denburger Unruhen" stand dann die Aufhe- 
bung der Tischlergesellenlade 1805. In diesem Zusammenhang schildert die Autorin 
auch den nachfolgenden Konflikt innerhalb der Diskussionen um die Revision der ol- 



414 Besprechungen und Anzeigen 

denburger Handwerksordnung - die dann 1839 erfolgte - um den althergebrachten 
„Blauen Montag": 1827 schlug der Magistrat der oldenburgischen Stadt Delmenhorst - 
in Anlehnung an die einschlagigen Strafbestimmungen im Reichsabschied zur Hand- 
werksordnung von 1772 - vor, diesen zu verbieten, da jener iiberkommene Feiertag der 
Gesellen im Kontext der „Abschaffung des Zunftwesens als umfassender Arbeits- und 
Lebensform seinen Sinn und Zweck verloren" habe und nur noch zu Trunk, Spiel, Schul- 
denmachen, Schlagereien etc. einlade. In der Stadt Oldenburg allerdings gab es solche 
„gerauschvollen Zusammenkiinfte der Gesellen" gar nicht, so dass die Regierung es dem 
Delmenhorster Magistrat uberlieB, eigene MaBnahmen zu ergreifen. Allerdings kam es 
dann noch 1839 in der Stadt Oldenburg zu einer Arbeitsniederlegung der Schneiderge- 
sellen im Zusammenhang mit eben dem alten Brauch des Blauen Montags: einige Gesel- 
len weigerten sich, am Montag wie an anderen Tagen zu arbeiten. Nach zeitweisen Ent- 
lassungen und Verhaftungen einigte man sich auf neue Arbeitszeiten: die Arbeitszeit - 
von montags bis samstags von 6.00 bis 20.00 Uhr - wurde um eine Stunde verkiirzt, wei- 
tere „Beibehaltung ihrer Rechte" wurde vom Oldenburger Magistrat abgelehnt. Die 
Meister gaben sogar an, „daB die meisten Gesellen mit der neuen Regelung zufrieden 
seien". 

Zusammenfassend stellt die Autorin fest, dass insgesamt das handwerkspolitische 
Taktieren des Magistrats der Stadt Oldenburg und der herzoglichen Regierung von ei- 
nem vorsichtigen Pragmatismus gekennzeichnet war. „Der einseitige Abbau des Zunft- 
systems zu Lasten der Gesellen in Form der Abschaffung der Verpflegungskassen" bei- 
spielsweise „vollzog sich in der ersten Halfte des 19. Jahrhunderts stetig". Trotzdem 
entwickelten sich in der Stadt Oldenburg erst zu Beginn der 1860erjahre eine Arbeiter- 
bildungs- und eine liberale Gewerkschaftsbewegung. Die entsprechenden, nur verein- 
zelten Fabrikgriindungen hier, „beeintrachtigten das ziinftige Handwerk kaum". Dieses 
steht im Gegensatz zur Situation in der kleineren oldenburgischen Stadt Delmenhorst 
zum Beispiel, wo im Zusammenhang mit der Protoindustrialisierung vor allem im Kork- 
schneider- und im Zigarrenmacherhandwerk schon nach der 1848er-Revolution ent- 
sprechende Vereinigungen entstanden. Mit der Griindung einer Jutefabrik 1870 und 
nachfolgenden Linoleum- und Textilfabriken hielt hier sogar die GroBindustrie Einzug, 
die in der Stadt Oldenburg zumindest bis 1918 nie zu finden war. 

Sabine Barnowski-Fecht hat in ihrer quellengesattigten, manchmal aber etwas miihse- 
lig zu lesenden, groBen Studie iiber „die Auflosung der Sozialverfassung des , alten 
Handwerks' und ihre Transformation unter den Bedingungen von Stadtentwicklung und 
staatlicher Gewerbepolitik" ein wichtiges Desiderat der Handwerks- und Sozialge- 
schichte der Stadt - und gleichsam auch des Landes - Oldenburg „zwischen Zunftbin- 
dung und Gewerbefreiheit" im 18. und 19. Jahrhundert geschlossen. 

Wenn man an die einschlagigen Arbeiten der Bonner Historikerin Margret Wensky 
iiber die Frauen in der stadtkolnischen Wirtschaft - allerdings mit dem Schwerpunkt auf 
der Zeit des Mittelalters - denkt, so bleibt dieses fur Oldenburg immer noch ein durch- 
aus schmerzliches Desiderat - in Bezug auf entsprechende Studien zur weiblichen Wirt- 
schafts- und Sozialgeschichte im Handwerk hat S. Barnowski-Fecht allerdings in etwas 
versteckter Weise erste Grundlagen geliefert: in mehreren Tabellen iiber das Handwerk 
in Oldenburg im 18. und 19. Jahrhundert im Anhang ihrer Studie tauchen u.a. auch die 
ominosen „Meisterwitwen" auf. Dem ware in kommenden Forschungen zu folgen. 

Ganderkesee Gerhard Kaldewei 



Wirtschafts- und Sozialgeschichte 415 

Siemon, Thomas: Ausbiixen, Vorwdrtskommen, Pflicht erfiillen. Bremer Seeleute am Ende 
der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus 1930-1939. Bremen: Staatsarchiv 
2002. 600 S. m. 26 Abb. = Veroff. aus dem Staatsarchiv der Freien Hansestadt Bre- 
men Bd. 65. Geb. 39,- €. 

Die vorliegende Studie von Thomas Siemon entstand aus seiner Dissertation, die im 
Wintersemester 1999/2000 von der Universitat Hannover angenommen wurde. Sie be- 
fasst sich mit der Situation Bremer Seeleute in den 1930erjahren und damit insbesonde- 
re mit einer Phase in der die Situation von Seeleuten durch zwei gegenlaufige Stromun- 
gen beeinflusst wurde. Einerseits entwickelte sich die Seeschifffahrt zu einer friihen glo- 
balen Wirtschaft und andererseits bewirkte der Nationalsozialismus eine deutliche 
Nationalisierung der Wirtschaftswelt in Deutschland. 

Die Untersuchung selbst ist in drei inhaltliche Abschnitte getrennt, von denen sich 
der erste mit den politischen und juristischen Rahmenbedingungen befasst und seinen 
Schwerpunkt auf den hiermit verbundenen sozialhistorischen Aspekten wie beispiels- 
weise der Frage der beruflichen Qualifikation oder der seemannischen Arbeitsvermitt- 
lung hat. Der zweite Abschnitt illustriert am Beispiel des Norddeutschen Lloyd, als dem 
fur die bremische Schifffahrt dominanten Unternehmen, wie sich die nationalsozialisti- 
sche Politik auf das Verhaltnis des Betriebs zu ihren Mitarbeitern auswirkte und wie 
Schifffahrtsbetriebe in die Propaganda des NS-Regimes integriert wurden. Der dritte 
und aus sozialhistorischer Sicht wichtigste Teil der Untersuchung greift schlieBlich die 
Perspektive der unmittelbar betroffenen Seeleute auf und zeigt die Auswirkungen der 
Veranderungen auf den jeweiligen Alltag. Ein wichtiger Bereich hier ist die Analyse der 
Handlungsmoglichkeiten der politischen Opposition im Umfeld der Seeschifffahrt und 
die Politisierung der Arbeits- und Alltagswelt. 

Insgesamt bietet die auf einer breiten Quellenbasis erarbeitete Studie einen wesentli- 
chen Beitrag zum Verstandnis der Sozial- und Alltagsgeschichte der Schifffahrt wahrend 
der 1930er Jahre. Obwohl sie auf die Verhaltnisse in der bremischen Schifffahrt fokus- 
siert ist, konnen ihre Ergebnisse mit Sicherheit fur ganz Deutschland als giiltig betrach- 
tet werden. Kritisch anzumerken erscheint jedoch die Reduktion des Begriffes der See- 
leute auf die Handelsschifffahrt im engeren Sinne des Wortes. Neben dieser waren ver- 
gleichbare Zahlen an Seeleute sowohl in der Fischerei als auch der Kustenschifffahrt mit 
jeweils vollig andersartigen Betriebs- und Arbeitsstrukturen tatig. Eine vergleichende 
Analyse hatte somit wesentlich dazu beitragen konnen, zu ermitteln, ob die analysierten 
Phanomene wirklich symptomatisch fur die gesamte Schifffahrt waren oder ob sie nur 
gerade aufgrund der besonderen systemimmanenten Bedingungen der Kauffahrtei- 
schifffahrt entstanden. 

Wenn Siemon abschlieBend zu dem Schluss kommt, dass nur eine geringe Zahl von 
Seeleuten die ihnen verbliebenen Spielraume nutzten, um gegen das System zu oppo- 
nieren ist dies im Vergleich zu anderen gesellschaftlichen Gruppen nicht sonderlich ver- 
wunderlich. Der Verdienst der Studie ist aber unumstritten, dieses zu erwartende Ergeb- 
nis wissenschaftlich analytisch belegt zu haben. Die Studie ist adaquat mit zeitgenossi- 
schen Photographien illustriert und mit einer Vielzahl von Tabellen ausgestattet, so dass 
sich fur ein teilweise recht weit theorielastiges wissenschaftliches Werk doch nie der Ein- 
druck ergibt, dass es ausschlieBlich von einem Experten fur Experten geschrieben wor- 
den sei. In der Summe ergibt sich somit eine fur den Schifffahrtshistoriker wichtige De- 
tailstudie zur Sozialgeschichte der deutschen Schifffahrt und fur den historisch interes- 



416 Besprechungen und Anzeigen 

sierten Laien eine gute Darstellung des Alltags in einer spezifischen Sparte des 
Wirtschaftslebens am Ubergang von der Weimarer Politik zur nationalsozialistischen 
Zeit, die zugleich die Frage nach den Handlungsoptionen des Einzelnen aufwirft. 

Bremerhaven I n go Heidbrink 



Reiter, Raimond: Sinti und Roma im „Dritten Reich" und die Geschichte der Sinti in 
Braunschweig. Marburg: Tectum Verlag 2002. 205 S. m. Abb. Kart. 25,90 €. 

In den letzten Jahren sind in Deutschland immerhin drei, wenn auch sehr unterschiedli- 
che Gesamtdarstellungen mit wissenschaftlichem Anspruch zur Geschichte der Verfol- 
gung der Sinti und Roma in der NS-Zeit erschienen, darunter als umfassendste Arbeit 
die von Michael Zimmermann, die sich inzwischen als Standardwerk durchgesetzt hat. 
Wahrend daher auf der Makroebene die wesentlichen Strukturen und Prozesse als eini- 
germaBen zufrieden stellend erforscht gelten konnen, hat es auf der regionalen und loka- 
len Ebene in den letzten Jahren - sieht man einmal ab von Hessen - vergleichsweise we- 
nig Fortschritte gegeben. Zumal in Niedersachsen ist Vieles noch vollig unerforscht. Le- 
diglich fur den Nordwesten ist eine neuere Untersuchung erschienen (Hesse /Schreiber; 
vgl. Nds. Jb. 74, 2002). Umso erfreulicher ist es, wenn weitere regionale Studien vorge- 
legt werden, zumal zu einer fur die Geschichte der Sinti so wichtigen Stadt wie Braun- 
schweig, in der sich in der NS-Zeit das vermutlich groBte „Zigeunerlager" in Nord- 
deutschland befunden hat. 

Schon der Titel der Studie von Raimond Reiter verwirrt allerdings etwas, da die 
schlichte Aneinanderreihung der Bestandteile dieses Titels den Eindruck erwecken, als 
habe sich der Autor nicht so recht entscheiden konnen, was er eigentlich schreiben woll- 
te, eine allgemeine Darstellung der Geschichte der Sinti in der NS-Zeit oder eine lokale 
Studie zu Braunschweig. Uber 70 Seiten muss sich der an Braunschweig interessierte Le- 
ser zunachst mit allgemeinen Ausfiihrungen unterschiedlichster Art befassen, bevor er 
zum Gegenstand seines Interesses vorstoBt. Zwar ist es sicher zu begriiBen, wenn in einer 
lokalen Studie versucht wird, den Gegenstand in allgemeine und ubergeordnete Zusam- 
menhange einzuordnen, ob es dazu aber notwendig ist, gleich reihenweise Lexikonarti- 
kel aus dem 19. Jahrhundert voller antiziganistischer Vorurteile und Stereotype zu zitie- 
ren, ohne im Einzelnen auf sie einzugehen, oder uber zweieinhalb Seiten einen Auszug 
aus einer Rede des sachsischen Ministerprasidenten Kurt Biedenkopf im Bundesrat von 

1999 abzudrucken, die zwar um Verstandnis und Wiedergutmachung bemiiht, aber 
nicht vorrangig durch historischen Sachverstand gepragt ist, darf bezweifelt werden. 

Auch das mit „Historischer Riickblick" iiberschriebene 2. Kapitel ist wenig hilfreich, 
da es einzelne Dokumente und Beispiele der Verfolgung seit dem friihen 18. Jahrhun- 
dert aus dem niedersachsischen Raum mehr zufallig als systematisch aneinander reiht, 
ohne dass dadurch das Bild einer Entwicklung entstehen wiirde, in das man die lokale 

1 Michael Zimmermann, Rassenutopie und Genozid. Die nationalsozialistische „Losung 
der Zigeunerfrage", Hamburg 1996; vgl. auBerdem: Martin Luchterhandt, Der Weg nach Bir- 
kenau. Entstefmng und Verlauf der nationalsozialistischen Verfolgung der „Zigeuner", Liibeck 

2000 sowie Guenter Lewy, „Ruckkehr nicht erwunscht". Die Verfolgung der Zigeuner im Drit 
ten Reich, Miinchen 2001. 



Wirtschafts- und Sozialgeschichte 417 

„Zigeunerpolitik" der Nationalsozialisten einordnen konnte. Schwerpunkt des Kapitels 
ist der Beginn des 20. Jahrhunderts, aber es bezieht seltsamerweise auch die NS-Zeit mit 
ein, auch hier ohne einen auch nur einigermaBen zufrieden stellenden Uberblick iiber 
die Entwicklung zu geben. So wird zum Beispiel die in die Phase der „territorialen End- 
losung" gehorende Maideportation von 1940 verharmlosend als „reichsweite Samm- 
lung" und „Verlegung nach Polen" bezeichnet (S. 36), obwohl der Autor sonst mit dem 
Begriff „Deportation" eher groBziigig umgeht. Auch die Gleichsetzung des Zwangsauf- 
enthalts in kommunalen Sammellagern mit KZ-Halt (S. 37 f.) ist vielleicht politisch op- 
portun, historisch fiihrt es aber zu einer Verharmlosung der unmenschlichen Bedingun- 
gen in den Konzentrationslagern. 

Es kann hier nicht auf alle Ungereimtheiten in Aulbau und Inhalt des allgemeinen 
Teils ausfuhrlich eingegangen werden, daher die weiteren Themen nur in Stichworten: 
Unter der Uberschrift „Wahrnehmung von ,Zigeunern' im Alltag" werden zwei Betrugs- 
bzw. Diebstahlsgeschichten von 1914 und 1950 erzahlt (2.2), gelolgt von einem Exkurs 
iiber den dilettantischen Versuch des „Zigeunerforschers" Robert Ritter, Romanes zu 
lernen (2.3), und einem wenig inlormativen Kapitel iiber Zwangssterilisationen, das die 
unterschiedlichen Rechtsgrundlagen, das Sterilisationsgesetz von 1933 und - viel wich- 
tiger fur die Sinti und Roma - den sog. Auschwitz-Erlass von 1943, nicht geniigend deut- 
lich macht, sowie einem Kapitel iiber die Behandlung der Sinti und Roma in Konzentra- 
tionslagern, in dem die Unterschiede zwischen Konzentrationslagern und Vernich- 
tungslagern durch das extensiv ausgelegte Konzept der „Vernichtung durch Arbeit" 
weitgehend eingeebnet werden. 

Der Teil zu Braunschweig beginnt auf Seite 75 ff. mit einer Tabelle von 73 „Sinti aus 
Braunschweig", die in dem erhaltenen und seit 1993 veroffentlichten Hauptbuch des 
„Zigeunerlagers" von Auschwitz-Birkenau nachweisbar seien. Bei naherem Zusehen 
zeigt sich, dass es sich um eine schlichte Auswertung des Hauptbuchs nach den Eintra- 
gungen mit dem Geburtsort Braunschweig handelt. Der Geburtsort sagt aber gerade bei 
Sinti kaum etwas iiber die Herkunft aus, da - wie auch der Verfasser weiB - die deut- 
schen Sinti in der ersten Halfte des 20. Jahrhunderts in aller Regel zumindest die Halfte 
des Jahres auf „Reise" waren, der Geburtsort also unter Umstanden rein zufallig sein 
konnte. Tatsachlich fiihrt eine solche Auswertung zu absurden Ergebnissen: So enthalt 
die Reitersche Liste zum Beispiel Maria Imker (Nr. 258 im Hauptbuch fur Frauen), die 
zwar in Braunschweig geboren wurde, aber mit ihrer Familie in Osnabriick lebte und 
von dort auch deportiert wurde. Oder sie enthalt z.B. Waltraud Kressig (Nr. 235), die 
ebenfalls in Braunschweig geboren und auch von dort deportiert wurde, aber nicht ihre 
Mutter Maria Laubinger und nicht ihre Geschwister Else und Erika, auch nicht ihre 
GroBmutter Liberta Kressig, obwohl die alle mit ihr zusammen aus Braunschweig depor- 
tiert wurden und im Hauptbuch unmittelbar vor und nach Waltraud Kressig stehen (Nr. 
234 u. 236-238). Ein Blick in die durchaus vorhandenen und der Forschung zugangli- 
chen Wiedergutmachungsakten im Hauptstaatsarchiv hatte diese Sachverhalte geklart. 
Allerdings ist die Auswertung der Wiedergutmachungsakten fur die Verfolgungsge- 
schichte miihsam und zeitaufwendig. Da aber die Akten der Verfolgungsbehorden, in er- 
ster Linie der Kriminalpolizeileitstellen, vor Kriegsende flachendeckend vernichtet wor- 
den sind, fiihrt - wie das Beispiel zeigt - kein Weg an dieser miihevollen Arbeit vorbei. 



2 Staatliches Museum Auschwitz-Birkenau (Hrsg.), Gedenkbuch. Die Sinti und Roma im 
Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau, 2 Bde., Miinchen etc. 1993. 



418 Besprechungen und Anzeigen 

Dass der Verfasser sich dieser Miihe nicht in ausreichendem MaBe unterzogen hat, ist 
ein wesentHches Defizit seiner Arbeit. 

Neben den Wiedergutmachungsakten sind Zeitzeugeninterviews eine zweite Mog- 
lichkeit, das Fehlen der Verfolgerakten wenigstens partiell auszugleichen. Auch diese 
Moglichkeit hat der Verfasser nicht ausreichend genutzt. Er hat selbst keinen einzigen 
Zeitzeugen interviewt, sondern nur die Interviews benutzt, die im Rahmen eines Inter- 
viewprojektes des Niedersachsischen Verbandes deutscher Sinti entstanden und im 
„Zentralnachweis" der Landeszentrale fur politische Bildung zuganglich sind. Dabei ist 
die Art der Benutzung charakteristisch. Obwohl zwei dieser Interviews durchaus kon- 
krete Aussagen zum Lager Veltenhof enthalten, werden sie in dem Veltenhof-Kapitel 
iiberhaupt nicht herangezogen, sondern nur in einem besonderen Kapitel iiber „Sinti als 
Zeitzeugen", in dem - weitgehend unkommentiert - Ausziige aus insgesamt vier Inter- 
views abgedruckt werden, darunter auf acht Seiten das fast vollstandige Interview mit El- 
vira R., das schon in der Veroffentlichung des Interviewprojekts ausfiihrlich dokumen- 
tiert worden ist. Ein zweites ausfiihrlich wiedergegebenes Interview mit Waltraud Franz 
aus Hildesheim hat keinerlei Bezug zu Braunschweig, auBer dass die Sinti aus dem Re- 
gierungsbezirk Hildesheim iiber den Braunschweiger Bahnhof nach Auschwitz depor- 
tiert worden sind. 

Der Teil, der die Entwicklung in Braunschweig darstellen soil, umfasst nur 40 Seiten 
und enthalt auch noch innerhalb weniger Seiten fast wortliche Wiederholungen (z.B. 
S. 88 u. 90) . Bei dem Kapitel iiber das Lager Veltenhof, das durchaus einiges Brauchbare 
enthalt, hatte man erwartet, dass der Verfasser auf die Frage der Zahl der Lagerinsassen 
eingehen wiirde, wird aber griindlich enttauscht: Nicht einmal die iiberlieferten wider- 
spriichlichen Zahlen - die Angaben in den Quellen schwanken zwischen ca. 200 und ca. 
700 - werden genannt. 

Angefugt ist ein 6. Kapitel, in dem es um „personliche Schicksale von Sinti aus 
Braunschweig" gehen soil, unterteilt in das schon beschriebene Unterkapitel iiber Zeit- 
zeugeninterviews und ein weiteres Teilkapitel iiber Dokumente aus einzelnen Wieder- 
gutmachungsakten. Auch in diesem Kapitel war nur die Halfte der Personen, die behan- 
delt werden, in der NS-Zeit in Braunschweig. In beiden Teilen beschrankt sich der Autor 
streng auf die jeweilige Quelle: Nicht einmal die Angaben im Hauptbuch des Zigeuner- 
lagers in Auschwitz werden zusatzlich herangezogen. Dies hatte allerdings zur Identifi- 
zierung der behandelten Personen gefiihrt, wahrend der Autor gerade in diesem Teil die 
Anonymisierungen auf die Spitze treibt, ohne sich offenbar der Problematik dieses Vor- 
gehens bewusst zu sein, das ja dazu fiihrt, dass die Opfer auch noch ihres Namens be- 
raubt werden. Hier wird selbst ein Polizeibeamter, dessen Name in der Erstveroffentli- 
chung eines Interviews noch genannt ist, nachtraglich anonymisiert. Abgesehen von der 
Entindividualisierung und Entpersonlichung, die dadurch entsteht, wird auch die Les- 
barkeit der Dokumente nicht gerade erhoht. 

Die letzten beiden Kapitel sind der Nachkriegsgeschichte der Sinti und Roma gewid- 
met. Das umfangreichere 7. Kapitel, das den irrefiihrenden Titel „Die Lage der Braun- 
schweiger Sinti nach dem Zweiten Weltkrieg" tragt, beschaftigt sich einmal mit dem 
Braunschweiger „Zigeunerpastor" Georg Althaus, von dem vor allem ein fiinfseitiges 



2 Cornelia Maria HEIN/Heike Krokowski, „Es war unmenschenmoglich". Sinti aus Nie- 
dersachsen erzahlen - Verfolgung und Vernichtung im Nationalsozialismus und Diskriminie- 
rung bis heute, Hannover 1995, S. 34-39. 



Wirtschafts- und Sozialgeschichte 419 

Dokument von 1959 iiber die „Zigeunermission" in Deutschland abgedruckt wird, ein 
hochinteressanter Text, der die ganze Problematik der „Zigeunermission" nach dem Ho- 
locaust deutlich macht. Leider wird auch dieses Dokument von Reiter nicht ausreichend 
und angemessen interpretiert, zumal er den differenzierten und kritischen Aufsatz von 
Gilad Margalit iiber Althaus nicht zur Kenntnis genommen hat. Althaus bemiihte sich 
vor allem um die Sinti auf einem groBen Wohnwagenstellplatz in Hildesheim, mit denen 
sich auch die Dissertation von Lukretiajochimsen von 1963 beschaftigte, die im zweiten 
Teil des Kapitels ausgeschlachtet wird. Das kurze 8. Kapitel, eher eine Nachbemerkung, 
enthalt schlieBlich einige Anmerkungen zum juristischen Umgang mit den Opfern und 
zur strafrechtlichen Verfolgung der Tater sowie eine Liste von 28 NS-Verfahren aus der 
Sammlung „Justiz und NS-Verbrechen", in denen es auch um Verbrechen an Sinti und 
Roma ging. 

Was in dieser Arbeit geboten wird, ist im Grunde eine Materialsammlung aus ver- 
schiedenen Quellenfunden, die isoliert voneinander prasentiert werden. Es ist dem Au- 
tor- aus welchen Griinden auch immer - offenbar nicht gelungen, die Aussagen aus den 
verschiedenen Quellengattungen in einem strukturierten Zugriff zu einer gegliederten 
Darstellung der im Titel versprochen Geschichte der Sinti in Braunschweig zusammen- 
zubringen. So bietet das Buch den Eindruck einer leidlich geordneten Materialsamm- 
lung, der zur Veroffentlichung noch die analytische und synthetische Durcharbeitung 
des Materials fehlt. Es ist kaum zu verstehen, dass der Autor sein Material in diesem un- 
fertigen Zustand veroffentlicht hat; dem Verlag ist vorzuwerfen, dass er ein solches Ma- 
nuskript zur Veroffentlichung angenommen hat. Unseren Kenntnisstand iiber die Ge- 
schichte der Sinti in Braunschweig in der NS-Zeit erweitert es in diesem Zustand leider 
nur unwesentlich. 

Hannover Hans-Dieter Sohmid 



Servorum Dei Gaudium. Das ist Treuer Gottes Knechte Freuden=Lohn. Lebensbeschrei- 
bungen aus dem Umfeld des Wismarer Tribunals. Hrsg. und komm. von Nils Jorn. 
Greifswald: Universitat Greifswald Presse- u. Informationsstelle 2003. 385 S. mit 
zahlr. Abb. = Publik. des Lehrstuhls fur Nordische Geschichte/Ernst-Moritz-Arndt- 
Universitat Greifswald Bd. 3. Kart. 26,- €. 

Die von dem Greifswalder Historiker Nils Jorn herausgegebene und kommentierte Pu- 
blikation bietet umfangreiches Material zur Geschichte des Wismarer Tribunals, zu ein- 
zelnen im Umfeld des schwedischen Oberappellationsgerichts agierenden Personen so- 
wie zur Gattung der Leichenpredigten und deren Bedeutung fur die Eriihneuzeitfor- 
schung. 

Ausloser fur das Entstehen dieses fundierten Sammelwerks war zum einen das 350. 
Griindungsjubilaum des Wismarer Tribunals im Jahr 2003, zum anderen die in Kiirze 
zum Abschluss kommende Habilitationsschrift von Nils Jorn, die sich wesentlich mit 
dem richterlichen Personal des Oberappellationsgerichts befasst. Dariiber hinaus hat 
Nils Jorn in den vergangenen Jahren - gerade im Jubilaumsjahr - durch die Organisati- 



3 Gilad Margalit, „GroBer Gott, ich danke Dir, daB Du kleine schwarze Kinder gemacht 
hast". Der ,Zigeunerpastor' Georg Althaus. In: WerkstattGeschichte 25 (2000), S. 59-73. 



420 Besprechungen und Anzeigen 

on von Tagungen, Herausgabe von Sammelbanden und das Verfassen eigener Aufsatze 
ganz entscheidend die Forschungen zum Wismarer Tribunal vorangebracht. 

In der Folge des Westfalischen Friedens erhielt Schweden fur seine neu erworbenen 
deutschen Provinzen - die Herzogtiimer Bremen und Verden, das Hamburger Domka- 
pitel, Vorpommern und die Herrschaft Wismar - das „privilegium de non appellando 
illimitatum" (die letztinstanzliche Rechtsprechung iiber die „Untertanen"), im Gegen- 
zug verpflichtete sich die schwedische Krone, fiirdiese Reichslehen ein eigenes Oberap- 
pellationsgericht einzurichten, das an die Stelle der beiden obersten Reichsgerichte - 
Reichskammergericht und Reichshofrat - trat. Am 17. Mai 1653 wurde das Tribunal in 
Wismar feierlich eroffnet. 

Nilsjorn stellt im vorliegenden Buch auf der Grundlage von gedruckten Leichenpre- 
digten die Lebensbeschreibungen von vierundzwanzig im 17. und 18. Jahrhundert dort 
tatigen, aus alien Reichslehen der schwedischen Krone kommenden Personen und ihrer 
Angehorigen vor, darunterzwei Prasidenten ( Johann Oxenstierna [amtierend 1654-57] 
und Carl Otto von Hopken [amtierend 1769-82]), drei Vizeprasidenten (David Mevius 
[amtierend 1653-70], Joachim Riidiger von Owstien (amtierend 1680-93) und Samuel 
von Palthen [amtierend 1729-50]) sowie acht Assessoren. Bemerkenswertist, dass mit ei- 
ner Enkelin und drei Ehefrauen von Tribunalsbediensteten auch Frauen Beriicksichti- 
gung finden. Aus Bremen-Verden, das bis zum Ende der schwedischen Landesherrschaft 
1712 zum Einflussbereich des Wismarer Tribunals gehorte, finden folgende Personen Er- 
wahnung: Burchard Uffelmann (1599-1664), von 1650 bis zu seinem Tod Stadtrichter in 
Verden und 1653 Kandidat fur die Besetzung eines Assessorats; der aus dem Bremer Ur- 
adel stammende Jiirgen Marschalck (1626 - 1696) , der 1656 auf ein Assessorat prasentiert 
wurde, das Amt jedoch nicht antrat; Petrus Drevenstedt (1631 - 1678), von 1653 bis 1657 
als Kanzlist am Tribunal tatig und von 1666 bis zu seinem Tod als Sekretar beziehungs- 
weise Inspektor am Bremer Dom; Georg von Engelbrechten (1626- 1693), Assessor von 
1664 bis 1693 und Vater des spateren bremisch-verdenschenjustiz- und Regierungsrats 
Georg Bernhard von Engelbrechten (1658-1719); Sebastian von der Lieth (1674- 1740), 
ebenfalls aus der bremischen Ritterschaft stammend, Assessor von 1704 bis 1723, seit 
1725 Regierungsrat in Bremen-Verden unter dem neuen hannoverschen Landesherrn. 

In einer ausgezeichneten Einleitung greift Nilsjorn unter anderem methodische Fra- 
gen auf. Er vermittelt dem Leser einen Einblick in die Quellengattung der Leichenpre- 
digten, die fur die personal- und sozialgeschichtliche wie kulturwissenschaftliche Friih- 
neuzeitforschung eine entscheidende Bedeutung besitzt. Besonders wichtig fur die Ge- 
schichtswissenschaft ist der Teil der Leichenpredigten, der sich mit dem Leben des oder 
der Verstorbenen befasst - die „Personalia" beziehungsweise das „Ehrengedachtnis". 
Diese Lebensbeschreibungen bilden bis heute eine wichtige Grundlage fur biographi- 
sche Nachschlagewerke. Die Beschaftigung mit den gedruckten Leichenpredigten, die 
als Begrabnispredigten der protestantischen Ober- und Mittelschicht entstanden sind, 
hat in den vergangenen Jahrzehnten wichtige Impulse erhalten, auch darauf geht Nils 
Jorn in der Einleitung ausfuhrlich ein. Uberliefert sind im deutschen Sprachraum rund 
250.000 dieser Quellen, die von den Forschungsstellen fur Personalschriften in Marburg 
und Dresden ermittelt und digital aufbereitet werden. Bisher wurde allerdings, so Jorn, 
„der durch die Katalogisierung gehobene Schatz zu wenig als solcher erkannt und ge- 
nutzt". 

Die fur die Publikation ausgewahlten Leichenpredigten stammen aus den Sammlun- 
gen der Greifswalder Universitatsbibliothek sowie aus den Staats- und Universitatsbi- 



Wirtschafts- und Sozialgeschichte 421 

bliotheken Bremen und Gottingen, der Niedersachsischen Landesbibliothek Hannover, 
der Herzog August Bibliothek Wolfenbiittel und dem Stadtarchiv Braunschweig. Die 
vierundzwanzig weitgehend unbekannten, unbeachteten und verstreut liegenden Perso- 
nalien wurden buchstabengetreu erfasst. Anliegen der Publikation ist jedoch nicht der 
einfache Neudruck der Lebensbeschreibungen, sondern „eine kommentierte Edition". 
Gerade die umfangreichen Kommentare machen dann auch die Veroffentlichung zu ei- 
ner ausgesprochen wichtigen, informativen Lektiire, die zu weiteren Forschungen an- 
regt. Die Lebensbeschreibungen sind chronologisch auf fiinf Kapitel verteilt, die ver- 
schiedene Epochen derTribunalsgeschichte darstellen. Jedem Kapitel ist ein fundierter, 
allgemeiner Uberblick vorangestellt, „in dem die Rahmenbedingungen fur das Wirken 
des Gerichtshofes und seines Personals skizziert werden". In einem abschlieBendem Ka- 
pitel entwirft Jorn interessante „Thesen zu einer Kollektivbiographie". Im Anhang befin- 
den sich eine Liste aller Vizeprasidenten und Assessoren am Tribunal von 1653 bis 1806, 
sowie eine Aufstellung iiber besetzte Posten am Gericht. 

Kleinere Mangel, wie beispielsweise vereinzelte Textwiederholungen, konnen die 
Qualitat der Publikation nicht mindern. Fur die gezielte Benutzung und weitere Er- 
schlieBung des Buches ware allerdings ein Personenregister ausgesprochen niitzlich ge- 
wesen! Die vorliegende Publikation bietet iiber den Abdruck der vielfach unbekannten 
Lebensbeschreibungen einzelner im Bereich des Wismarer Tribunals lebender und wir- 
kender Manner und Frauen hinaus wertvolle Kommentare zur weiteren Erfassung der 
Personen und ihres Umfeldes sowie umfangreiche, klar und kenntnisreich formulierte 
Informationen zum Wismarer Tribunal. Es regt dariiber hinaus an zu weiteren Forschun- 
gen. Die Verbindung von fundierter Wissensvermittlung und Anregung zu neuen For- 
schungen macht den unschatzbaren Wert der Arbeit aus. 

Stade Beate-Christine Fiedler 



Kohler, Nils: Zwangsarbeit in der Luneburger Heide. Organisation und Alltag des „Aus- 
landereinsatzes" 1939-1945. Bielefeld: Verlag fur Regionalgeschichte 2003. 493 S. 
Abb. = Quellen und Darstellungen zur Geschichte des Landkreises Celle Bd. 7. Geb. 
24,- €. 

Mit seiner Untersuchung beabsichtigt der Verfasser, eine bislang fehlende umfassende 
Darstellung des „Auslandereinsatzes" in der Heideregion vorzulegen und dabei vor al- 
lem Strukturen und die Bedeutung der Region im totalitaren Staat herauszuarbeiten. Er 
kann u.a. auf seine Magisterarbeit zuriickgreifen, in der er sich mit Kriegsgefangenen 
und Fremdarbeitern im Landkreis Celle 1939-1945 beschaftigt hat. Sein Vorhaben, „die 
Lebenswirklichkeit der Auslander in der Region 1939-1945" (S. 15) , also den so genann- 
ten „Lagerkosmos" zu beschreiben, darf als gelungen bezeichnet werden. 

Im Blick hat er dabei nicht nur die Opfer, sondern auch die Tater, etwa die Arbeitge- 
ber. Dem Ziel einer solchen Darstellung steht die Quellenlage entgegen: Sie ist uberwie- 
gend unzureichend, so dass nur der Weg der exemplarischen Auswahl und des Ver- 
gleichs bleibt. Erganzend zu Unterlagen in zahlreichen regionalen und iiberregionalen 
Archiven konnte der Verfasser auch Material von Zeitzeugen in Belgien, Frankreich und 
Polen benutzen und damit seine Beschreibung des „Lagerkosmos" abrunden. Dieses 



422 Besprechungen und Anzeigen 

Material erfiillt allerdings nicht die Anforderungen der Oral History, worauf er selbst 
einschrankend hinweist. 

Im Mittelpunkt der Betrachtung stehen die in der Heide iiberwiegende Land- und 
Forstwirtschaft, die Riistungsindustrie, die in einigen Heidegebieten eine iiberdurch- 
schnittliche Rolle spielt, sowie der offentliche Dienst, der vor allem am Beispiel der Lii- 
neburger Stadtverwaltung veranschaulicht wird. AuBenkommandos von Konzentrati- 
onslagern waren in den Landkreisen Celle, Fallingbostel, Harburg, Liineburg, Soltau 
und Uelzen sowie in den Stadtkreisen Celle und Liineburg dagegen von untergeordneter 
Bedeutung. Die Beschaftigung der Kriegsgefangenen und Zwangsarbeitenden war in 
den einzelnen Kreisen und in den verschiedenen Wirtschaftszweigen hochst unter- 
schiedlich. Auch wenn in Ermangelung statistischer Unterlagen nur Annaherungswerte 
zu ermitteln sind, lasst sich doch sagen, dass von den rund 60.000 Betroffenen ein gutes 
Drittel in Stadt- und Landkreis Celle beschaftigt waren, etwa ein Fiinftel im Landkreis 
Fallingbostel, in den Kreisen Harburg und Liineburg hingegen wesentlich weniger. Die 
vorwiegend in den Landkreisen Celle und Fallingbostel angesiedelte Riistungsindustrie 
vereinnahmte besonders viele Arbeitskrafte. Im Landkreis Uelzen dagegen waren Zivil- 
personen und Kriegsgefangene iiberwiegend in der Landwirtschaft tatig. Auch diese we- 
nigen Angaben machen deutlich, dass die wirtschaftlichen Rahmenbedingungen in der 
Heideregion nicht gleichformig waren und daher auch differenziert zu betrachten sind. 
Nach Feststellung des Verfassers hat die Wirtschaft in der Heideregion langer und star- 
ker vom „Auslandereinsatz" profitiert als andere Teile des Reiches: Im September 1944 
war jede dritte Arbeitskraft im Gau auslandischer Zivilarbeiter, im Reich jeder fiinfte. 
Die politischen Rahmenbedingungen des Auslandereinsatzes zwischen Aller und Elbe 
waren reichsweit vorgegeben. Es gelingt dem Verfasser, mit detaillierten Untersuchun- 
gen der Zustandigkeiten und Kompetenzen verschiedener regionaler Instanzen von Par- 
tei und Staat zu belegen, dass lokale und regionale Machthaber wie Regierungsprasi- 
dent, Landrate und Biirgermeisterbzw. die entsprechenden Parteifunktionare vom Gau- 
leiter bis zum Kreisleiter iiber betrachtliche Handlungsspielraume verfiigten. Erhellend 
ist hier das Beispiel „Auslanderkinder-Pflegestatten", bei deren Einrichtung sich der 
Landkreis Liineburg besonders hervortat. Das im September 1943 in Hohnstorf erbaute 
Heim hatte Vorbildfunktion, auch im Hinblick auf Abschreckung als Ziel der Heimun- 
terbringung. Zahlreiche weitere Beispiele lassen keinen Zweifel daran, dass bei der loka- 
len Umsetzung der reichsweiten Vorgaben die ortlichen Machthaber ihre Spielraume in 
positivem und negativem Sinn zu nutzen wussten. Dass sie dabei das alles entscheidende 
Kriterium „Arbeitsleistung", besser gesagt totale Ausbeutung nicht aus den Augen verlo- 
ren, wird umfangreich belegt. 

Die Darstellung lasst keinen Aspekt des Lagerdaseins unberiicksichtigt: von den Ar- 
beitsverhaltnissen iiber Krankheit und Tod, Schwangerschaft und Kinder, Propaganda, 
Widerstand, Kriminalitat und Verhaltnis von „Fremden" und Einheimischen breitet der 
Verfasser aus, was das Leben der Zwangsarbeitenden ausmachte. Es wird deutlich, dass 
der Arbeitseinsatz von Auslandern von der einheimischen Bevolkerung nicht als Un- 
recht wahrgenommen wurde und die Behandlung der iiberwiegend unfreiwilligen Mit- 
arbeiter auch davon abhing, ob man schon vorher mit „Fremdarbeitern" zu tun hatte, et- 
wa Saisonarbeitern in der Landwirtschaft. 

Ein Ausblick auf das Schicksal von Kriegsgefangenen, auslandischen Arbeitenden 
und Uberlebenden von Bergen-Belsen, also den so genannten Displaced Persons nach 
Kriegsende beschlieBt die eindringliche Darstellung. Beeindruckend sind das umfang- 



Wirtschafts- und Sozialgeschichte 423 

reiche Quellen- und Literaturverzeichnis sowie die Personen- und Ortsregister, die die 
weitere Beschaftigung mit dem Thema erleichtern. Erfreulich ist die Aufnahme von Ab- 
bildungen, die das ohnehin gut lesbare Buch noch anschaulicher machen. 

Liineburg Uta Reinhardt 



Schroder, Anette: Vom Nationalismus zum Nationalsozialismus. Die Studenten derTechni- 
schen Hochschule Hannover von 1925 bis 1938. Hannover: Verlag Hahnsche Buch- 
handlung 2003. 319 S. Abb. u. Tab. = Veroffentlichungen der Historischen Kommis- 
sion fur Niedersachsen und Bremen Bd. 213. Kart. 30,- €. 

Das erste, was an dieser am Historischen Seminar der Universitat Hannover unter der 
Obhut von Adelheid von Saldern und Joachim Perels entstandenen Dissertation ins Au- 
ge fallt, ist der ungewohnliche Untersuchungszeitraum. Nicht 1918-1933 oder 1918-1945 
bzw. 1933-1945, wie vielleicht zu vermuten gewesen ware, sondern 1925-1938. Nach den 
Griinden muss man nicht lange suchen. Der Schlusspunkt, dasjahr 1938, ist ausschlieB- 
lich Zufalligkeiten der Quellenlage geschuldet: Die im Staatsarchiv Wiirzburg aufbe- 
wahrten Akten der Reichsstudentenfiihrung reichen iiber 1938 nicht hinaus. Der Beginn 
hingegen, dasjahr 1925, wurde gewahlt, weil ganz bewusst die zwischen 1907 und 1918 
geborenen Studenten zum Gegenstand der Untersuchung gemacht werden sollten. Die 
Autorin fasst also die „Nachkriegsgeneration" ins Auge und meint damit eine Generati- 
on, die nicht durch die Teilnahme als Soldaten im I. Weltkrieg, sondern durch die Unsi- 
cherheiten des Nachkriegsalltags, durch Inflation und Wirtschaftskrisen gepragt bzw. 
sozialisiert worden ist. In der Tat diirften um 1925 die letzten Kriegsteilnehmer die 
Hochschule verlassen haben, und so gesehen ist es gewiss niitzlich und legitim zu unter- 
suchen, ob die fur die studentische Kriegsgeneration in der unmittelbaren Nachkriegs- 
zeit zu beobachtende politische Radikalisierung bei der so genannten „Nachkriegsgene- 
ration" ihre Fortsetzung gefunden hat. 

Bei einer vergleichenden Betrachtung der Technischen Hochschulen in der Weima- 
rerRepublikist schon friiher aufgefallen, dass die Technische Hochschule Hannover kei- 
nesfalls zu den Hochburgen des Nationalsozialistischen Studentenbundes gehorte. (Vgl. 
O. Brugge, J. Vallon: Studenten und Politik am Beispiel der Technischen Hochschule 
Hannover, in: A. v. Saldern: Stadt und Moderne. Hannover in der Weimarer Republik, 
Hamburg 1989, S. 225 ff.) . In der Tat konnte der NSDStB in Hannover bis in die Endpha- 
se der Weimarer Republik bei studentischen Wahlgangen nie mehr als 20% der Stimmen 
auf sich vereinigen, was unter den deutschen Universitaten und Hochschulen den letz- 
ten Platz (!) bedeutete. Aber schon die eben genannten Autoren haben davor gewarnt, 
hieraus die falschen Schlusse zu Ziehen und etwa eine geringere Anfalligkeit der an der 
TH Hannover Studierenden fur antidemokratisches, volkisches, nationalistisches und 
antisemitisch-rassistisches Gedankengut zu unterstellen. 

An Belegen fur die republikfeindliche Rechtslastigkeit der hannoverschen Studenten- 
schaft, insbesondere der Korporationen, mangelt es nicht. Genannt seien der „Fall Les- 
sing", also die Vertreibung des jiidischen Philosophieprofessors Theodor Lessing (we- 
gen eines gegen das Nationalheiligtum Hindenburg gerichteten Zeitungsartikels) oder 
auch die Auseinandersetzungen mit dem preuBischen Kultusminister Becker iiber die 
Verfassung der Deutschen Studentenschaft. Dabei war es genau diese Rechtslastigkeit, 



424 Besprechungen und Anzeigen 

die im iibrigen auch im Rahmen derjahrlichen Reichsgriindungsfeiern oder des „Lange- 
marck-Gedenkens" zum Ausdruckkam, die es dem NSDStB nahezu unmoglich machte, 
die Korporationen oder auch andere studentische Vereinigungen bzw. Vertretungskor- 
perschaften rechts zu iiberholen. Genau dies in einem ersten Kapitel naherbelegt zu ha- 
ben, gehort zu den Verdiensten der vorliegenden Arbeit. 

Im zweiten Kapitel werden die Ergebnisse einer offenbar griindlichen Durchsicht der 
„Hannoverschen Hochschulblatter" vorgestellt, einer Monatsschrift, die zwischen 1926 
und 1935/36 erschienen ist und im studentischen Diskurs eine nicht unwichtige Rolle 
gespielt hat, zumal dort nicht nur technisch-wissenschaftliche Themen behandelt wur- 
den, sondern auch immer wieder Texte zum Abdruck gelangten, die sich mit dem Ver- 
haltnis der Studierenden zu Staat, Politik und Hochschule beschaftigten. Von zusatzli- 
chem Interesse ist gewiss, dass die Jahrgange 1927-1929 von „freien", d. h. nicht der 
Deutschen Studentenschaft oder den Korporationen angehorenden Studierenden, pro- 
duziert worden sind und die Zeitschrift nach 1933 nicht mit dem gleichen Tempo gleich- 
geschaltet worden ist wie die vergleichbaren Organe anderer Hochschuleinrichtungen. 
Die inhaltliche Analyse dieser Hochschulzeitschrift ergibt, dass - zumal in wirtschaftli- 
chen Krisenzeiten - die volkisch-nationalistischen und antidemokratischen Grundiiber- 
zeugungen der angehenden Ingenieure und Architekten durch die sich verscharfenden 
Probleme auf dem Arbeitsmarkt und einen (scheinbar vergeblichen) Kampf der Techni- 
schen Elite um gesellschaftliche Anerkennung noch verstarkt worden sind. 

Die folgenden drei Kapitel, in denen uberwiegend Neuland betreten wird, behandeln 
die ersten 5 Jahre nach der nationalsozialistischen Machtubernahme. Von Interesse ist 
hier nicht zuletzt der hinhaltende Widerstand, den die studentischen Verbindungen un- 
geachtet aller Ubereinstimmung in den geistig-ideologischen Grunduberzeugungen ih- 
rer Gleichschaltung entgegensetzten. Die bemerkenswerte Starke traditioneller studen- 
tischer Lebens- und Gemeinschaftsformen, aber auch elitare Vorstellungen, die mit der 
von der NS-Ideologie propagierten Gleichsetzung von „Stirn" und „Faust" nicht viel an- 
zufangen wussten, vor allem aber der Macht- und Behauptungswille der alten Verbin- 
dungen werden neben personlichen Antipathien als Griinde fur die sich bis 1935 hinzie- 
henden Auseinandersetzungen mit den neuen NS-Studentenfuhrern herausgearbeitet. 
Letzteres iibrigens durchaus eine Parallele zu der zunachst gleichfalls gebremsten 
Gleichschaltung derhannoverschen Stadtverwaltungunter einem seit 1925 amtierenden 
Oberbiirgermeister, der 1933 in der nationalsozialistischen Machtubernahme alles an- 
dere als eine nationale Katastrophe gesehen hatte, aber dann, auf das nationalsozialisti- 
sche „Fuhrerprinzip" pochend, nicht bereit war, seine Macht widerstandslos mit den 
neuen Herren zu teilen. 

Natiirlich, ebenso wie die Gleichschaltung der hannoverschen Stadtverwaltung, die 
spatestens mit dem Abgang von Oberbiirgermeister Arthur Menge 1936 besiegelt wur- 
de, war auch die Gleichschaltung der Technischen Hochschule Hannover und ihrer stu- 
dentischen Vertretungskorperschaften, die ja dem Nationalsozialismus durchaus aufge- 
schlossen gegeniiber standen, nur eine Frage der Zeit. Im Herbst 1935 kam es zur Auflo- 
sung der Korporationen, wobei die dabei aufgerissenen neuen Graben durch einen im 
November 1936 einsetzenden „Versohnungskurs" (Wiederaufnahme des Konzepts der 
„Kameradschaftshauser" u. a.) wieder eingeebnet werden konnten. 

Dass fur die fortschreitende Integration der „arisch-deutschen" Ingenieurwissen- 
schaften in den NS-Staat, ihre zunehmende Ideologisierung und Indienstnahme fur die 
staatlichen, politischen, militarischen und okonomischen Interessen dieses Staates der 



Geschichte des geistigen und kulturellen Lebens 425 

Boden schon in den Jahren der Weimarer Republik bereitet wurde, ist gewiss keine neue 
Erkenntnis. Dies unter griindlicher Verarbeitung der einschlagigen Quellen und Litera- 
tur sehr konkret und bis in kleinste Verastelungen hinein am Beispiel einer Technischen 
Hochschule untersucht und nachgewiesen zu haben, ist das Verdienst dieser Arbeit, die 
von der Historischen Kommission fur Niedersachsen und Bremen zu Recht in die Reihe 
ihrer Veroffentlichungen aufgenommen worden ist. 

Hannover Klaus Mlynek 



GESCHICHTE DES GEISTIGEN UND 
KULTURELLEN LEBENS 



Funke, Brigitte: Cronecken der sassen. Entwurf und Erfolg einer sachsischen Geschichts- 
konzeption am Ubergang vom Mittelalter zur Neuzeit. Braunschweig: Stadt B. 2001. 
336 S., Abb. = Braunschweiger Werkstiicke. Reihe A. Bd. 48. Kart. 

Die Braunschweiger Dissertation widmet sich zwei groBen Themenkomplexen, die seit 
langerem in der Mediavistik und dariiber hinaus diskutiert werden: Zum ersten unter- 
sucht sie in Anlehnung an die von Schmale entworfene Herangehensweise ein Werk der 
Geschichtsschreibung. Am Beispiel der Cronecken der sassen (im folg. Cds) geht sie den 
Fragen nach, in welcher Situation sich dieses Werk entwickelte, welche Absicht der Au- 
tor verfolgte und welche Quellen er aufgriff, wie weit er seinen Berichtshorizont spannte 
und schlieBlich, dariiber hinaus gehend, wie es sich in seiner Rezeption durch Uberset- 
zungen und Bearbeitungen veranderte. Zum zweiten, wie im Untertitel beschrieben, 
stellt sie die Frage nach einer „sachsischen Geschichtskonzeption" bzw. der Konstruk- 
tion einer sachsischen Geschichte im 15. und 16. Jahrhundert. Anders formuliert: Was 
ist/sind Sachsen nach mittelalterlichem bzw. fruhneuzeitlichem Verstandnis und wel- 
che Ansatze entwickeln die durch die jeweilige Gegenwartssituation gepragten Ge- 
schichtsschreiber, um einen Stamm, eine Herrschaft, eine Landschaft - oder was immer 
unter , Sachsen' verstanden werden soil - zu erfassen? 

Funke sieht die sachsische Weltchronik, die Braunschweiger Reimchronik und die 
Magdeburger Schoppenchronik als wichtigste Quellen fur den - auch nach ihrer Unter- 
suchung - weiterhin anonymen Autor der Cds, deren Informationen er fur sein Werk 
nutzte, aber im Sinne seiner eigenen Darstellungsintention verarbeitete. Ihrer Behand- 
lung von sachsischer Geschichte „als Folie lokaler, dynastisch oder stadtisch orientierter 
Geschichtsschreibung" (242) folgte er aber nicht. Stattdessen - so bemiiht sich Funke um 
eine Aufwertung von Chronik und Autor - entwirft er eine „monographische Geschichte 
Sachsens" (243): Sein Berichtshorizont umfasst einen Geschichtsraum, der, ausgehend 
von einer gemeinsamen Abstammung seiner Bewohner, gleichermaBen in seiner herr- 
schaftlichen, dynastischen, kirchlichen wie stadtischen Dimension vorgestellt wird. 

Der Schwerpunkt der Darstellung liegt dabei auf dem altsachsischen Raum mit der 
Bindung an eine sachsische Herrschaftstradition seit dem ausgehenden 8. Jahrhundert, 
deren legitime herzogliche Nachfolger die Welfen und Askanier seien. Die Nachrichten 



426 Besprechungen und Anzeigen 

zu einzelnen Stadten spiegeln eine pro-hansische Einstellung des Verfassers. Bei Rezi- 
pienten wie Bearbeitern der Cds in humanistischen und protestantischen Kreisen wie 
Albert Krantz, Cyriacus Spangenberg,Johannes Pomarius und Mattheus Dresser, die F. 
jeweils in einzelnen Kapiteln ausfiihrlich behandelt, lieBe sich im 16. Jahrhundert 
schlieBlich „sachsische Geschichte als Kategorie historischer Bewusstseinsbildung im 
altsachsischen Raum" bis hin zum „Bewusstsein einer sachsischen Nation" (253) feststel- 
len. Aber: kann man bei einer Biindelung von Nachrichten aus unterschiedlichen herr- 
schaftlichen und institutionellen Gefiigen wirklich von einem „genuin sachsischen Ge- 
schichtsbild" (250) sprechen? Anders als wir heute in unseren Auseinandersetzungen 
um territoriale Grenzen und klare raumliche Absteckung von Regionen waren fur die 
mittelalterlichen und fruhneuzeitlichen Geschichtsschreiber andere BezugsgroBen, ins- 
besondere herrschaftlich-dynastische, oder auch, wie in den Chroniken der deutschen 
Stadte dokumentiert, stadtische Zusammenhange von Bedeutung. Die Cds konzentriert 
sich auf einen groBeren Berichtsraum, stellt Veranderungen und Verschiebungen dar 
und bemiiht sich in dieser Darstellung um den Nachweis der Legitimitat bestimmter 
Herrschaften. Aber was ist daran „sachsisch", auBer dass es sich um dynastische Herr- 
schaften und stadtische Gemeinwesen in einem bestimmten Raum handelt, der keines- 
falls fest umrissen war? Die Abgrenzung von anderen Gruppen und Institutionen bleibt 
eher vage. Geht es vielleicht doch in erster Linie um die Darstellung der als vom Autor 
als legitim erachteten dynastischen wie stadtischen Herrschaften? In wie weit die Cds ei- 
ne Form der Identitatsstiftung fur „Sachsen" anstrebt oder erreicht, lasst sich in Funkes 
Analyse nicht leicht nachvollziehen. 

Sehr anschaulich dagegen zeigt Funke in einem weiteren Betrachtungsansatz, auf wel- 
che Weise sich die Cds auf einem noch jungen, veranderten Buch- und Literaturmarkt 
behaupten konnte (77-95) . 1492 bei Peter Schoffer in Mainz gedruckt gehorte sie schon 
wenige Jahrzehnte nach der Erfindung des Buchdrucks zu den Produkten, fur die man 
eine breite Offentlichkeit erhoffte. Bereits das Titelblatt war als Werbetrager so konzi- 
piert, dass sich ein weiter Leserkreis angesprochen fiihlen konnte. Ein 12gegliederter 
Wappenbaum zeigte die Wappenschilde der Hochstifte Magdeburg, Bremen, Halber- 
stadt, Hildesheim und Liibeck sowie die Herrschaftsbildungen Sachsen, Braunschweig- 
Luneburg, Anhalt und Brandenburg. Als stadtische Wappen tauchen nur Braunschweig 
und Luneburg auf, deren Prasenz in erster Linie durch ihre Verbindung zu den Herr- 
schaftsbildungen erklart wird. Funke betont auch, dass bei den Wappen der Hochstifte 
keine individualisierende, also bestimmte Amtstrager bezeichnende Kennzeichnung 
hinzugefiigt wurde. Die Chronik selbst beschreibt F. als aneinander gefiigte Bild-Text- 
Einheiten, in denen die Bilder weit mehr als eine nur dekorative Aufgabe erfiillten. Die 
1255, sich z.T. wiederholenden, z.T. in ihren Versatzstiicken aus einzelnen Holzstocken 
zu neuen Bildern gruppierten Holzschnitte auf den 284 Blattern im Folioformat ermogli- 
chen als Gliederungselemente eine thematische Orientierung innerhalb der einzelnen 
Seiten; sie erfiillten fur Leser wie Betrachter, wie Funke es ausdriickt, „eine Art Index- 
funktion" (88). Die Arbeit schlieBt mit einem umfangreichen, iiber 40seitigen Quellen- 
und Literaturverzeichnis zu den verschiedenen behandelten Aspekten, einem Verzeich- 
nis der nachweisbaren Drucke der Cds sowie einer Auswahl der Holzschnitte, groBten- 
teils aus der Cds, die deren Gliederungsfunktionen deutlich sichtbar machen. 

So liest sich die Arbeit Funkes insgesamt als eine gelungene Zusammenfassung der 
Bedingungen des Buchmarktes im ausgehenden 15. und im 16. Jahrhundert sowie als ei- 
ne weitere Anregung zur Beschaftigung mit Werken der Historiographie, ihren Entste- 



Geschichte des geistigen und kulturellen Lebens 427 

hungs- und Gebrauchszusammenhangen und ihren - auch fur aktuelle Werke notwen- 
dig zu hinterfragenden - Konstruktionen von Geschichte. 

Oldenburg Gudrun Gleba 



Das Erbe der Provinz. Heimatkultur und Geschichtspolitik nach 1945. Hrsg. von Habbo 
Knoch. Gottingen: Wallstein 2001. 303 S. = Veroff. des Arbeitskreises Geschichte 
des Landes Niedersachsen (nach 1945). Geb. 30,- €. 

Der vorliegende Band beruht auf derjahrestagung des „Arbeitskreises fur die Geschich- 
te des Landes Niedersachen (nach 1945)" im November 2000 in Gottingen. Er enthalt 
neben der Einleitung des Herausgebers zwolf Beitrage, entstanden aus iiberarbeiteten 
Vortragen und Tagungskommentaren. Thema der Tagung war der Stellenwert von Hei- 
mat in Geschichtspolitik und Erinnerungskultur im Ubergang vom Nationalsozialismus 
zurNachkriegsgesellschaft. Dabei werden in einzelnen Beitragen Kontinuitaten beriick- 
sichtigt, die weit in die vornationalsozialistische Zeit zuriickreichen. Es geht um „Ver- 
gangenheitsverwandlungen im Schnittfeld von Heimatkultur und Geschichtspolitik" (H. 
Knoch) mit dem zeitlichen Schwerpunkt 1920-1960. Die zentrale These der Einleitung 
lautet: Heimatangebote dienten als „Kontinuitatsbriicken iiber die nationalsozialisti- 
sche Zeit hinweg, ohne dass diese ganz verschwand". Es gab keine Briiche, sondern prag- 
matische Anpassungen. Knoch zeigt Uberschneidungen und Anpassungen von Deu- 
tungsmustern eindrucksvoll an den Verwandlungen des Denkmals fur die SA-Wach- 
mannschaften im Park des Emslandlagers V Neusustrum. Anspruch des Bandes ist es, 
Regionalisierung als einen fruchtbaren Ansatz fur die Zeitgeschichte deutlich zu ma- 
chen, indem Veranderungen raumbezogener Identitatsbildung im 20. Jahrhundert un- 
tersucht werden. Raum wird dabei als Erfahrung und Konstrukt gefasst, als „symboli- 
sche Raumgebilde". 

Dieser Anspruch wird in jeweils drei Beitragen zu vier inhaltlichen Schwerpunkten 
voll erfiillt: „Raum, Volk und Region als kulturelle Vorstellungen", „Die Politik der Hei- 
mat nach 1945", „Die feme Heimat der Verbrechen" und „Die nationale Imagination 
der Heimat". Region als kulturelle Vorstellung behandelt der Beitrag von Karl Ditt iiber 
Westfalen. Leitende Fragestellung ist: Wie beeinflussten Mittel der Kulturpolitik das 
Westfalenbewusstsein, dessen Anfange bereits im 14. Jahrhundert angesiedelt werden. 
Als kulturpolitische Mittel werden die Forderung durch den Provinzialverband Westfa- 
len und die „landschaftliche Kulturpflege" durch Archive, Museen und das Provinzialin- 
stitut fur Westfalische Landes- und Volkskunde angefiihrt sowie die Zeitschrift „Westfali- 
sche Heimat". Trotz wachsender Verbitterung iiber die zentralistische NS-Politikkam es 
zu keiner inhaltlichen Opposition, vielmehr fiihrten gemeinsame ideologische Grundla- 
gen eher zu nicht intendierter Legitimierung der NS-Ideologie. Ditt verweist auf Konti- 
nuitaten bis in die 60erjahre ohne neue kulturpolitische Ansatze. 

Heimat als „Kontinuitatsbriicke" wird auch im Beitrag von Ulrich Prehn iiber den 
Volkstumsforscher Max Hildebert Boehm und seine Konzeptionen von „Raum und 
Volk" vom Ersten Weltkrieg bis zur zweiten Nachkriegszeit dargestellt. Boehm gehorte 
zu den Rechtsintellektuellen volkischer Weltanschauung, die sich nach 1933 trotz Ab- 
lehnung der NS-Rassenideologie anpassten und nach 1945 in der Fluchtlings- und Ver- 
triebenen-Szene engagiert waren, u.a. bei der Griindung der Nordostdeutschen Akade- 



428 Besprechungen und Anzeigen 

mie 1951 in Liineburg. Prehn sieht in der Person und Volkstumsideologie von Boehm die 
Mittlerfunktion zwischen Wissenschaft, Politik und Offentlichkeit verkorpert, die zur 
„intellektuellen Abfederung der Immoralitat der Verbrechen und zu einer Kontinuitats- 
sicherung iiber die entzivilisierende Katastrophe hinweg beitrug". Auf eine andere Di- 
mension von Kontinuitaten verweist Undine Ruge in ihrem Beitrag iiber Regionen als „or- 
ganische Gemeinschaften". Der Vergleich von franzosischer und deutscher Foderalis- 
musdebatte fiihrt zu dem Fazit, dass die Forderungen nach Foderalismus den Regionen 
in Westdeutschland nach 1945 erlaubten, an vornationalsozialistische Traditionen anzu- 
kniipfen, sich vom NS-Staat abzugrenzen, die Frage der deutschen Ostgrenzen offen zu 
halten und langfristig die westeuropaische Integration vorzubereiten. 

In den drei Beitragen zur Heimatpolitik nach 1945 wird deutlich, das in den drei Lan- 
dern Niedersachsen, Bayern und Saarland trotz unterschiedlicher Problemlagen die Be- 
miihungen um innere Integration bei chaotischer Sozial- und Wirtschaftslage ahnlich 
waren. Es ging um kulturelle und historische Sinnstiftung, um Konstruktion von Traditi- 
on, in die auch die Fliichtlinge einbezogen wurden. Dabei ist von Reeken sicher zuzustim- 
men, dass die angestrebte soziale Integration nicht durch symbolische Politik erreicht 
wurde, sondern durch die Wirtschafts — und Konsumentwicklung der 50er Jahre. Ulla- 
Britta Vollhardtweist fur Bayern nach, welche Funktion fur die Heimatpolitik der Riick- 
griff auf die „vier bayrischen Stamme" hatte : moralische Selbstentschuldung von Stamm 
und Staat. Mit derBetonungder „Kulturstaatstradition" in der Verfassung wurde Heimat 
als Gemiitswert eine Art Heilmittel gegen Chaos und zerstorte „Volksgemeinschaft". Ar- 
min Flenderwirft in seinem Beitrag iiber das Saarland die Frage nach den Grundlagen ei- 
nes Wir-Konzeptes in einer Grenzregion mit Identitatswechseln auf. Am Beispiel sym- 
bolischer Politik mit StraBenbenennungen, Denkmalern, Fest- und Feiertagen wird der 
Wechsel von franzosischer und deutscher Dominanz nach 1945 gezeigt. Bedarf an Hei- 
mat gab es auch im Saarland 1945, aber als Basis fur eine selbststandige politische Ein- 
heit war die Zelebrierung in Festen und Umziigen nicht ausreichend. Nach der Volksab- 
stimmung von 1955 wurde auch der Anschluss an die „erinnerungskulturelle Praxis" der 
BRD vollzogen. Die Briickenfunktion von Heimat unter Ausgrenzung des Nationalso- 
zialismus wirkte in alien drei Landern, im Saarland mit zeitlicher Verschiebung. 

In den drei Beitragen iiber konkrete Orte der nationalsozialistischen Lager und Ver- 
brechen wird deutlich, wie sehrund wie lange (bis in die 80er Jahre) versucht wurde, von 
den authentischen Orten abzulenken und stattdessen allgemeine Gedenktage zu schaf- 
fen. Das gait, wie Jens- Christian Wagner am Beispiel Mittelbau-Dora zeigt, fur die DDR 
wie fur die BRD. Hintergrund war die Umdeutung der Tatergesellschaft in eine Opfer- 
gesellschaft (Mythos West). Lokale Forschungen, die die Verbindung der Lager zur Zivil- 
bevolkerung gezeigt hatten, waren storend - auch fur die DDR, die dann iiber Tater im 
eigenen Staat hatte reflektieren miissen.Jorg Skriebeleitheschreiht fur Flossenbiirg, wie 
das Erbe des Konzentrationslagers allmahlich vom Stigma zum Standortfaktor wurde. 
Die in den Granitsteinbriichen eingesetzten Haftlinge gehorten zum Alltag der Gemein- 
de, die damals einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebte. Wahrend dann 1953 die Ge- 
meinde Flossenbiirg Wiedergutmachung fur den ihr durch das Lager entstandenen 
Schaden forderte, diente die Gedenkstatte 1976 als Argument fiir den Erhalt der bedroh- 
ten kommunalen Selbststandigkeit. Die hier gezeigte grundlegende Veranderung in der 
Bewertung der Gedenkstatte wird im Beitrag von Detlef Garbe iiber Neuengamme in ei- 
nen groBeren Zusammenhang ahnlicher Entwicklungsphasen von Gedenkstatten ge- 
stellt. Offen bleibt fiir Garbe die Frage, ob aus einem negativen Gedachtnis eine positive 



Geschichte des geistigen und kulturellen Lebens 429 

Regionalidentitat entstehen kann. Der Beitrag iiber Flossenbiirg legt nahe, dass nur iiber 
die grundlegende Anderung der Motive (Standortfaktor!) eine Akzeptanz odersogar po- 
sitive Regionalidentitat moglich wird. 

Im letzten Abschnitt iiber die nationale Imagination der Heimat geht es um Heimat- 
konzepte in der westdeutschen Nachkriegszeit (Alon Confino), um organisierten Heimat- 
schutz in derfriihen DDR am Beispiel Thiiringens {Willi Oberkrome) und um ein Fazit von 
Habbo Knock zu Krieg und Verbrechen in den Erinnerungsraumen der Bundesrepublik. 
Gemeinsam ist den Beitragen, dass sie einen Bedarf an Heimat konstatieren, aber nicht 
als Orts- und Bodenbindung, sondern als flexible Idee, mit der sich die NS-Zeit iiber- 
winden lieB und eine Opfergemeinschaft imaginiert werden konnte. Die „Geschmeidig- 
keit" der Heimatidee (Confino) nahm in der DDR durch staatliche Lenkung andere For- 
men an. Der Kulturbund wurde zum Sammelbecken fur aufgeloste Heimat- und Traditi- 
onsvereine, der Historische Materialismus wurde auf die neue Heimatgeschichte 
iibertragen. Oberkrome geht von anhaltendem ostdeutschen Regionalismus gegen 
DDR-Zentralismus aus, wobei die Intensitat des „Alltagsregionalismus" nicht messbar 
sei. Habbo Knoch befasst sich abschlieBend noch einmal mit dem Verhaltnis von kriti- 
scher Aufarbeitung der NS-Zeit in derZeitgeschichte einerseits und Heimat- und Lokal- 
geschichte andererseits. An den Schnittstellen von lokaler Gewalt und abstraktem Ver- 
brechen des Massenmordes wird konventionelle Erinnerungskultur durchbrochen. Ge- 
nau dies sollte durch die Bemiihungen verhindert werden, staatliches Gedenken zu 
kanalisieren und zu ritualisieren (Volkstrauertag) und regionales Erinnern zu verdran- 
gen zu Gunsten einer imaginierten Heimat als Opfergemeinschaft. Storend waren fur 
diesen Prozess die konkreten „kontaminierten" Orte, die ehemaligen Konzentrationsla- 
ger und die Synagogen, die in den 50er Jahren verfielen oder auch abgerissen wurden. 
Die Bilderwelten dieserZeit (Fotos, Heimatfilme, Schlager...) schufen eine virtualisierte 
Heimat. Mit der Entprovinzialisierung von Vergangenheit um 1960 (Grass' Blechtrom- 
mel als ein Indikator) wurde die Grenze zwischen lokaler Tat und NS-Verbrechen brii- 
chig, aber nicht wirklich durchbrochen, was bis heute in der Gedenkstattenarbeit spiir- 
bar ist. Die „Wahrnehmungssperre zwischen Lagern als Schreckensorten und den Kli- 
schees der sie umgebenden Bevolkerung" ist nicht wirklich behoben. 

Die Starke des Bandes liegt in der Differenzierung des vieldeutigen Heimatbegriffes 
und seiner Funktionalisierungen. Die gewahlten Falle sind gut geeignet zu zeigen, wa- 
rum die Regionalisierung fur die Zeitgeschichte ein weiterfiihrender fruchtbarer Ansatz 
ist, der sich aber erst entwickeln konnte mit der kritischen Wendung regionaler und loka- 
ler Erinnerung. 

Hannover Irmgard Wilharm 



Realitdt und Mythos: Hexenverfolgung und Rezeptionsgeschichte. Hrsg. von Katrin 
Moeller und Burghart Schmidt. Hamburg: DOBU Verlag 2003. 330 S. = Veroff. des 
Arbeitskreises fur historische Hexen- und Kriminalitatsforschung in Norddeutsch- 
land Bd. 1. Kart. 28,80 €. 

Die Hexenverfolgungen in den norddeutschen Territorien sind bislang nur schlecht er- 
forscht. Um eine Plattform fur den Austausch von Forschungsergebnissen zu schaffen, 
haben Burghart Schmidt (Universitat Hamburg), Katrin Moeller (Universitat Halle) und 



430 Besprechungen und Anzeigen 

Rolf Schulte (Universitat Kiel) im April 2001 den Arbeitskreis fur historische Hexen- 
und Kriminalitatsforschung in Norddeutschland gegriindet. Im Jahr 2003 ist der Ar- 
beitskreis erstmals mit zwei Tagungen hervorgetreten. Der vorliegende Sammelband 
prasentiert die Ergebnisse der ersten Tagung, die Ende Marz 2003 in Hamburg unter 
dem gleichnamigen Titel „Realitat und Mythos. Hexenverfolgung und Rezeptionsge- 
schichte" stattfand. Der Band, der neben einer Einleitung von Burghart Schmidt insge- 
samt sechzehn Aufsatze umfasst, ist in drei Sektionen gegliedert: erstens „Zwischen 
Glaube, Skepsis und Konstruktion - Eine andere Sicht auf den Umgang mit Hexerei im 
friihneuzeitlichen Alltag", zweitens „Funktionalisierung durch Forschung und Wahr- 
nehmung" und drittens „Rezeptionsgeschichte zwischen Schuldzuweisung, Wahrneh- 
mungsverengung und Aufklarung". 

Am Beginn der ersten Sektion stehen drei sprachwissenschaftliche Beitrage, die die 
sprach- und kommunikationshistorische Auswertung von Hexereiverhorprotokollen 
zum Gegenstand haben und im Rahmen eines DFG-Projekts zur „Kanzleisprache des 
17. Jahrhunderts" an der Universitat Miinster entstanden sind. Jiirgen Macha untersucht 
in seinem Aufsatz die 1634 erschienene „Instruction Wie in Inquisitionsachen des grew- 
lichen Lasters der Zauberey [. . .] zu procediren sey" des kurkolnischen Hexenkommis- 
sars Heinrich SchultheiB, ein zur Selbstrechtfertigung des Hexenrichters verfasstes Mu- 
sterbuch, das in seinem 5. Kapitel mit dramaturgischen Mitteln und in konstruierten 
Dialogen das Bild eines gerechten Hexenprozesses entwirft. Uta Nolting gibt am Bei- 
spiel von Hexenverhorprotokollen aus Minden derjahre 1614/15 Einblicke in das Ver- 
haltnis zwischen Schriftlichkeit und Mundlichkeit sowie in die Sprachenwahl in einem 
urspriinglich niederdeutschen Sprachgebiet. Elvira Topalovic schlieBlich macht anhand 
von Osnabriicker Hexenverhorprotokollen aus den Jahren 1636 bis 1639 deutlich, dass 
Verhorprotokolle keine Abbilder tatsachlich stattgefundener Kommunikation, sondern 
institutionell iiberformte und zu juristischen Zwecken gestaltete Texte sind. Eine weitere 
germanistisch inspirierte Form der Quellenkritik bietet die Literaturwissenschaftlerin 
Ursula-Maria Krah, die Flugschriften des 17. und 18. Jahrhunderts untersucht und diese 
nicht in ersterLinie als historische Tatsachenberichte, sondern als literarische Kleinfor- 
men begreift. AnschlieBend stellt Ingrid Ahrendt-Schulte mit dem Lemgoer Pfarrer Jo- 
docus Hocker und seiner 1569 posthum veroffentlichten Schrift „Der Teufel selbs" einen 
bislang wenig beachteten friihen Kritiker der Hexenverfolgung aus der Tradition der 
protestantischen Prozesskritik vor. Auch Katrin Moeller widmet sich in ihrem Beitrag 
uber den Mecklenburger Pastor Michael Freude einem Vertreter der protestantischen 
Prozesskritik, dessen 1667 erstmals erschienenes Werk „Gewissens-Fragen von Proces- 
sen wieder die Hexen" sie in den Kontext des obrigkeitlichen Kampfes gegen den Aber- 
glauben im Herzogtum Mecklenburg-Giistrow in der zweiten Halfte des 17. Jahrhun- 
derts einordnet. 

Die zweite Sektion wird eingeleitet von Robert Zagolla, der die Bedeutung derFolter 
im Hexenprozess relativiert, indem er sie, starker als bislang geschehen, als Rechtsmittel 
und integralen Bestandteil des friihneuzeitlichen Strafverfahrens begreift und in den 
Kontext der zeitgenossischen Gerichtspraxis einbettet. Danach liefert Nils Freytag einen 
Uberblick uber die Instrumentalisierung des Hexenthemas in den verschiedenen gesell- 
schaftlichen und wissenschaftlichen Auseinandersetzungen des 19. Jahrhunderts, wobei 
er mit der spataufklarerischen Tradition der Literatur- und Quellensammlung in der er- 
sten Jahrhunderthalfte, derkonfessionalisierten Hexendebatte zurZeit des Kulturkamp- 
fes und der medizinisch-physiologischen Deutung der Hexerei drei Strange der Hexen- 



Geschichte des geistigen und kulturellen Lebens 431 

geschichtsschreibung unterscheidet. Jorg Haustein, der sich vor allem auf die Hexende- 
batte zur Zeit des Kulturkampfes konzentriert, wirft in seinem Beitrag ebenfalls einen 
Blick auf die Rezeption der Hexenverfolgungen im 19. Jahrhundert. Rainer Walz ver- 
gleicht im Folgenden die Verfolgung von Juden und Hexen, die beide gern als Siinden- 
bocke bezeichnet werden, vor dem Hintergrund verschiedener alttestamentlicher Kon- 
zepte des Siindenbocks. Rolf Schulte lenkt die Aufmerksamkeit auf die bislang weniger 
wahrgenommenen mannlichen Opfer der Hexenprozesse, die immerhin ein Viertel al- 
ler Angeklagten ausmachten. Im letzten Beitrag der zweiten Sektion begreift Rita Volt- 
mer die als besonders extreme Form massenhafter Verfolgung geltenden Trierer Hexen- 
verfolgungen der Jahre 1585 bis 1595 als Konstrukt, das durch die Vermischung der 
quellenmaBig nur schlecht belegbaren Hexenprozesse in der Stadt Trier mit den gut do- 
kumentierten, massenhaften Verfahren der benachbarten Reichsabtei St. Maximin ent- 
standen sei. 

Die dritte Sektion beginnt mit einem Beitrag des evangelischen Pfarrers Hartmut He- 
geler, der die Frage nach der Schuld der Kirchen stellt und die Forderung erhebt, dass 
die Kirchen zu den Hexenverfolgungen offiziell Stellung beziehen und die Opfer durch 
ein Schuldbekenntnis theologisch rehabilitieren sollten. AnschlieBend stellt Sonja Kinz- 
ler nicht nur die historiographische und literarische Rezeption der Hexenverfolgungen 
in der ehemaligen freien Reichsstadt Nordlingen seit dem 19. Jahrhundert vor, sondern 
betont auch die Bedeutung des Erinnerns an die Hexenprozesse fur die lokale Ge- 
schichtskultur. Erika Miinster-Schroer setzt sich mit verschiedenen Denkmal- und Ge- 
denkinitiativen vornehmlich im Diisseldorfer Raum auseinander. Ihre Kritik gilt in er- 
ster Linie denjenigen feministischen Hexengedenkinitiativen, die in stereotyper Analo- 
gic Hexenverfolgung als Frauenverfolgung mit dem nationalsozialistischen Holocaust 
gleichsetzen. Beschlossen wird der Sammelband durch Jiirgen Schefflers Beitrag iiber 
die Rezeption der Hexenverfolgungen in Lemgo, die seit den 1920er Jahren durch die 
enge Verkniipfung von Heimatgeschichte und Tourismuswerbung gekennzeichnet ist 
und sich in dem Lokalmythos von „Lemgo, dem Hexennest" verfestigt hat. 

Der Band prasentiert in einer interessanten, vielfaltigen Mischung neuere For- 
schungsergebnisse verschiedener historisch arbeitender Disziplinen zu Aspekten der 
Hexenverfolgungen in den norddeutschen Territorien. Er ist das gelungene Debut des 
Arbeitskreises fur norddeutsche Hexen- und Kriminalitatsforschung, der der Hexenfor- 
schung in Zukunft sicherlich nicht nur in Norddeutschland wichtige Impulse geben 
wird. 

Hannover Claudia Kauertz 



Umschlossene Welt - geoffnete Biicher: Die Bibliotheken des Ratsgymnasiums Stadthagen 
im Zeitalter der Renaissance (1486-1648). Beschreibung und Analyse von Udo Jobst. 
Biickeburg: Staatsarchiv in Biickeburg 2003. 120 S mit sw. und farb. Abb. = Verof- 
fentlichungen der Niedersachsischen Archivverwaltung. Inventare und kleinere 
Schriften des Staatsarchivs in Biickeburg Bd. 7. Geb. 18,- €. 

Immer mehr Informationen stromen uns elektronisch zu und lassen uns bewusster wer- 
den, dass die herkommlichen Informationsmedien in ihrer Bindung an eine stoff liche Ba- 
sis einen Wert besitzen, der eben nicht verlustfrei migriert werden kann. Friiher ein 



432 Besprechungen und Anzeigen 

Aspekt des Denkmalswertes, wird heute der „intrinsische Wert" alter Akten, Biicher, Ge- 
brauchsgegenstande in DFG-Projekten genauer spezifiziert. Es gibt Kriterienkataloge, 
die Merkmale auffuhren wie „auBergewohnliche Erscheinungsform", „kiinstlerischer 
Wert", „Marktwert", „Schauwert", „Einbandtechnik und -gestaltung". Da kann es nicht 
erstaunen, wenn alte Biichersammlungen, deren Bedeutung fiir den Informationstrans- 
fer im Laufe der Jahrhunderte sehr zuriickgegangen war, neue Aufmerksamkeit erfahren. 

Die Bibliothek des Stadthager Ratsgymnasiums enthalt eine solche Sammlung, die, 
fiir ihren Entstehungszweck nicht mehr nutzbar, zur Erganzung der dort formierten hi- 
storischen Uberlieferung seit 1962 im Nieders. Staatsarchiv in Biickeburg verwahrt 
wird. Diese Biicher hat ein in Stadthagen wohnender Bibliophiler, Dr. med. Udo Jobst, 
einer genaueren Untersuchung unterzogen. Sachkundig unterscheidet er namentlich 
drei Bibliotheken, die in der Sammlung des Ratsgymnasiums aufgegangen sind: die Bi- 
bliothek des Franziskanerklosters, die der Lateinschule, endlich die des Predigers Peith- 
mann. Den Focus richtet Jobst auf die Buchkunst der Renaissance und wahlt 1648 zum 
Endjahr seiner Betrachtung. 

Das Franziskanerkloster in Stadthagen, 1486 gestiftet, 1559 aufgehoben, besaB die fiir 
Bettelorden iibliche Pultbibliothek mit einem Prasenzbestand angeketteter Biicher. 85 
Bande in der Sammlung des Ratsgymnasiums lassen sich anhand der Ketten, der Signa- 
turschilder bzw. der Einbande dieser Provenienz zuordnen. Ein Schwergewicht bilden 
die Werkausgaben von Theologen wie Dionysius dem Karthauser oder Rupert von 
Deutz, mit denen Kolner Klerikerkreise der Reformation entgegenzuwirken hofften und 
deren Vorhandensein in Stadthagen sich leicht aus den Beziehungen zur Landesherr- 
schaft, dem graflichen Haus Holstein-Schaumburg, erklaren lasst, das Mitte des 16. Jahr- 
hunderts zwei Kolner Erzbischofe stellte. Der GroBe nach konnte die Stadthager Biblio- 
thek nicht mit denen alterer Niederlassungen des Ordens konkurrieren: Das Franzis- 
kanerkloster in Gottingen besaB um 1530 450 Bande, der Braunschweiger Konvent ca. 
420, von denen allerdings nur ca. 70 nachweisbar sind. Diese Bibliotheken werden zu 
den umfangreichsten gerechnet, die der Orden in Deutschland unterhielt. 85 Bande der 
Liineburger Franziskaner finden sich in der dortigen Ratsbibliothek; aus der zerstreuten 
Bibliothek des Hildesheimer Franziskanerklosters hat man 65 Wiegendrucke nachwei- 
sen konnen. Jobst betont die groBe Zahl der Stadthager Inkunabeln (20 Titel, 26 Bande); 
Handschriften hingegen fehlen (mit einer Ausnahme). Ein Vergleich mit den genannten 
Bibliotheken in Gottingen und Braunschweig hatte zeigen konnen, dass sich die Stadtha- 
ger Franziskaner - anders als jene der groBeren Stadte - nicht iiber Kirchenrecht und 
Medizin orientieren konnten. 

Eine stadtische Schule in Stadthagen wird 1330/40 zuerst erwahnt. Der Landesherr 
bewegte den Rat 1565 dazu, ihr ein neues Gebaude zu errichten, und regulierte die Ver- 
haltnisse 1571 durch eine Schulordnung. In der Bibliothek fanden sich die wichtigsten 
Schulschriftsteller vereint, Cicero, Terenz, Plutarch usw.; zahlreiche Biicher stammen 
aus Schenkungen ehemaliger Schiiler, wozu bemerkt sei, dass der Stadthager Biirgers- 
sohn Johann Tiedemann es 1561 zum Bischof von Liibeck brachte und eine ganze Reihe 
von Verwandten und Bekannten in lukrative Kirchenpfriinden nachzog. Zur Schulbi- 
bliothek gehorten 95 vor 1648 erschienene Bande. 

SchlieBlich behandelt Jobst die Sammlung des Oberpredigers Ludolf Peithmann 
(1593-1648) ausfiihrlicher, der seine Biicher der Stadt vermachte. Diese (lutherisch-or- 
thodoxe) Theologenbibliothek spiegelt deutlich Peithmanns langjahrige Tatigkeit in 
Neubrandenburg, denn wahrend mecklenburgische und pommersche Theologen gut 



Geschichte des geistigen und kulturellen Lebens 433 

vertreten sind, fehlen die schaumburgischen (vom gebiirtigen Schaumburger Konrad 
Schliisselburg abgesehen) vollig. Jobst verweist ferner auf die Stadthager Ratsbibliothek 
und auf die Bibliothek der St. Martini-Gemeinde, aus denen sich aber keine Biicher er- 
halten haben. (Anders verhalt es sich z.B. im benachbarten Hess. Oldendorf, wo die Kir- 
chengemeinde eine noch vollstandige spatreformatorische Kollektion bewahrt). 

Der auBerlich mit Anspruch, doch angemessener Zuriickhaltung gestaltete Band bie- 
tet neben der Beschreibung und Analyse der genannten Bibliotheken ein von Ines Lie- 
bigke nach RAK-WB aufgenommenes Biicherverzeichnis sowie einen Beispielskatalog, 
der Einbande, Holzschnitte, handgemalte und gedruckte Initialen, Marginalien, 
Druckermarken, Titelblatter, Expicite und Schrifttypen erlautert. Erwahnt werden muss 
besonders die reiche Einbandmakulatur, die nach einer eigenen Bearbeitung verlangt; 
dem Vorwort kann man entnehmen, dass entsprechende Versuche bisher keine befriedi- 
genden Ergebnisse zeitigten. 

Das Werk als Ganzes verdient alles Lob, dennjobst ist nicht dem gewohnlichen Sche- 
ma „Schatze aus . . ." gefolgt, sondern hat eine umfassende Aufarbeitung der drei Biblio- 
theken geleistet. Der besondere Wert der Sammlungen, die er behandelt, liegt weniger 
darin, dass dazu einige seltene Wiegendrucke gehoren: In Stadthagen haben sich Re- 
naissance-Bibliotheken erhalten, die - iiber den intrinsischen Wert der Einzelbande hin- 
aus - durch ihren Zusammenhang, ihre Komposition eignen Quellenwert besitzen. Was 
in anderen Fallen langst zerstreut wurde, blieb hier beieinander: ein Reliktcharakter, der 
iibrigens nicht allein die Stadthager Ratsbibliothek, sondern auch das dortige Stadtar- 
chiv auszeichnet. 

Hannover Brage Bei der Wieden 



Mittelalterliche Rathauser in Niedersachsen und Bremen: Geschichte, Kunst, Erhaltung. Hrsg. 
von Ursula Schadler-Saub und Angela Weyer. Petersberg: Michael Imhof Verlag 
2003. 184 S. zahlr. Abb., graph. Darst. = Regionale Kulturerbe-Routen Bd. 2. Schrif- 
ten des Hornemann Instituts Bd. 6. Geb. 24,80 €. 

Den Rathausern in Braunschweig (Altstadtrathaus), Bremen, Duderstadt, Einbeck, Got- 
tingen, Goslar, Hannover, Hildesheim, Liineburg und Osnabriick widmet sich dieses 
Werk, das als Ergebnis eines Forschungsprojektes am Fachbereich Restaurierung der 
Fachhochschule Hildesheim/Holzminden/Gottingen entstand. Das Buch gliedert sich 
in zwei Abschnitte: sechs Aufsatze zur Geschichte, stadtebaulichen Lage, Architektur, 
Ikonografie, Restaurierung und Denkmalpflege der spatmittelalterlichen und fruhneu- 
zeitlichen Rathauser, gefolgt von der Bau- und Restaurierungsgeschichte der zehn Ge- 
baude. 

Ulrich Meier berichtet iiber das Entstehen der Stadte sowie die Ausbildung der Rats- 
verfassung, die in den seltensten Fallen auf friedlichem Wege verlief. Zum einen musste 
der Rat den geistigen oder weltlichen Stadtherrn Kompetenzen abringen, zum anderen 
stellte die Gemeinde in politischen oder okonomischen Krisenzeiten die Legitimation 
der Ratsherrschaft in Frage. 

In der Friihen Neuzeit wurde gerade die auBenpolitische Handlungsfahigkeit der 
Stadte durch die erstarkenden Territorialherren eingeschrankt. Allerdings verwundert 
Meiers Bemerkung, Braunschweig sei nach derEroberung durch Herzog Rudolf August 



434 Besprechungen und Anzeigen 

„schmahlich aller Stadtfreiheit beraubt und zur Garnisonsstadt degradiert" worden 
(S. 16). Zwar endete 1671 die Selbstbestimmung, wirtschaftlich wie kulturell bliihte 
Braunschweig jedoch auf und erhielt schon bald den Charakter einer Hauptstadt im 
Fiirstentum Braunschweig-Wolfenbiittel. 

Cord Meokseper untersucht die Lage der Rathauser, die haufig am Marktplatz mit 
den Pfarrkirchen und Bauten der fiihrenden Gilden der Stadt ein stadtebauliches En- 
semble bildeten. Sind im 13. Jahrhundert noch in mehreren Stadten Verlegungen von 
Rathausern nachweisbar, so gibt es im Spatmittelalter nur noch wenige Neubauten. Eine 
spektakulare Ausnahme ist das Bremer Rathaus, das zwischen 1405 und 1410 als vollig 
neues Gebaude am Marktplatz entstand. Nicht fur alle Kompetenzen, die der Rat besaB, 
bot das Rathaus geniigend Raum. Deshalb wurden fiir einzelne Aufgaben eigene Gebau- 
de errichtet, wie Miinzen, Waagen, Ratsapotheken, Zeug-, Tanz- oder Hochzeitshauser. 

Die architektonische Form der Rathauser behandelt Stephan Albrecht. Um die Mit- 
te des 13. Jahrhunderts entstanden in den norddeutschen Stadten die ersten Rathauser, 
deren Charakteristikum die haufig zweigeschossigen Lauben waren. Wahrend deren 
Erdgeschoss dem Warenverkauf Platz bot, diente das Obergeschoss dem Rat als Promul- 
gationsort. Von groBem Einfluss auf den spatmittelalterlichen Rathausbau in Westfalen 
und im Ostseeraum waren die Bauten in Dortmund und Liibeck. Inwieweit diese beiden 
Gebaude auch auf den niedersachsischen Raum gewirkt haben, ist schwer zu beantwor- 
ten, dauber das Aussehen der Rathauser und ihrer Lauben im 13. Jahrhundert wegen der 
vielen spateren Umbauten nur wenig bekannt ist. 

Zwei Korrekturen zu Albrechts Angaben iiber die Kapellen der niedersachsischen 
Rathauser (S. 34): Die Auctorskapelle am Braunschweiger Altstadtrathaus war schon 
1386 vollendet, nicht erst 1436; die Marienkapelle in Hildesheim wurde bereits 1417 ge- 
weiht, nicht erst 1429. 

In seinem zweiten Aufsatz widmet sich Ulrich Meier der Ikonografie und Ikonologie 
des Rathausschmucks. Die Skulpturen, Wappen und Gemalde driicken weniger das 
Selbstverstandnis der gesamten Stadt und all ihrer Bewohner aus, vielmehr spiegelt sich 
hier in erster Linie das Selbst- und Weltbild der Ratsherren. 

Betrachtet werden Kaiserdarstellungen am Rathaus, mit denen die stadtische Eigen- 
standigkeit dokumentiert wurde, Gerechtigkeitsbilder sowie Gemalde, auf denen die 
Weisheit des Rates gefeiert wurde. Der Schmuck der Rathauser war nach auBen wie 
nach innen gerichtet; er sollte nicht nur die Unabhangigkeit der Stadt demonstrieren, 
sondern auch die Herrschaft des Rates legitimieren. 

Ursula Schadler-Saub beleuchtet die Restaurierung der Rathauser in der zweiten 
Halfte des 19. Jahrhunderts, die nicht nur eine denkmalpflegerische Dimension hatte. 
Es ging immer auch um die politische Selbstdarstellung in der Gegenwart. 

Im Zeitalter des Historismus verbarg sich hinter der Bezeichnung „Wiederherstel- 
lung" vielfach eine Neu-Gestaltung, die zwar historische Formen als Vorbild nahm, doch 
haufig sehr rigide in die mittelalterliche Substanz eingriff. Exemplarisch werden die um- 
fangreichen RestaurierungsmaBen der „Gerichtslaube" im Rathaus zu Luneburg analy- 
siert. An der Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert setzte bei der Restaurierung der histo- 
rischen Rathaussale ein Umdenken ein. Man folgte nun seltener der Idee einer neu ge- 
staltenden Wiederherstellung; an ihre Stelle trat ein respektvollerer Umgang mit der 
uberkommenen Substanz. 

Edgar Rings Beitrag schlieBlich fiihrt in die Gegenwart und beleuchtet die konserva- 
torischen Probleme bei der aktuellen Nutzung der historischen Rathauser. Wo die Rat- 



Geschichte des geistigen und kulturellen Lebens 435 

hauser noch heute Rat und Verwaltung beherbergen, kollidieren die modernen Anfor- 
derungen an ein Verwaltungsgebaude mit denkmalpflegerischen Interessen. Dem kon- 
servatorisch Wiinschenswerten stehen haufig auch touristische Belange entgegen. 
Besonders apart ist der Fall im Rathaus zu Goslar: Hier wurde der „Huldigungssaal", im- 
merhin Teil des Weltkulturerbes, sehr aufwandig restauriert - nun ist „in einer bemer- 
kenswerten Konsequenz der Zugang zu diesem Raum fiir Besucher gesperrt" (S. 73). 

Der Katalog widmet sich vor allem den Restaurierungen der zehn Rathauser. Nach ei- 
ner knappen Einleitung von Stephan Albrecht zu Geschichte und Baugeschichte in 
Spatmittelalter und Fruher Neuzeit folgt jeweils eine Dokumentation der Erneuerungs- 
maBnahmen. Dieser Teil basiert auf den studentischen Untersuchungen, die im Rahmen 
des eingangs erwahnten Forschungsprojekts entstanden. 

Besonders ausfiihrlich werden die Raume im Liineburger Rathaus abgehandelt, da es 
als einziges der besprochenen Gebaude sowohl von groBeren UmbaumaBnahmen als 
auch von Kriegszerstorungen weitgehend verschont geblieben ist. Bei den im Zweiten 
Weltkrieg stark zerstorten Rathausern in Braunschweig, Hannover, Hildesheim und Os- 
nabriick werden die (stadtebaulichen) Wiederaufbauvorstellungen der 1950erjahre dis- 
kutiert. Auch die Restaurierungen der letzten Jahre werden kritisch beleuchtet. So be- 
klagt Heide Mattern, dass beim Umbau des Alten Rathauses in Hannover 1997 bis 1999 
die historische Bausubstanz fiir eine okonomische Nutzung geopfert wurde (S. 133f.). 

Das Buch ist mit rund 250 Abbildungen, jeweils zur Halfte schwarz-weiB bzw. farbig, 
aufwandig illustriert. Der positive Gesamteindruck ist bei einigen der farbigen Illustra- 
tionen durch groBe Lichtreflexe und knallbunte Farben leider empfindlich gestort. Zu 
jedem der zehn Rathauser finden touristisch Interessierte praktische Hinweise fiir einen 
Besuch. 

Gerade in seinem Katalogteil ist der Schwerpunkt auf die Restaurierungsgeschichte 
der zehn behandelten Rathauser gelegt. Bei aller berechtigter Kritik an den Wiederher- 
stellungen des 19. Jahrhunderts hatte doch erwahnt werden miissen, dass eben es diese 
MaBnahmen waren, die einen Abbruch der Rathauser verhinderten und die Baudenk- 
male der Nachwelt erhielten. Wie nah die Gefahr des Abbruchs war, zeigt das Beispiel 
Hannover, wo der Abriss des Rathauses in der Mitte des 19. Jahrhunderts bereits be- 
schlossen war, aber nach heftigen Protesten nicht vollzogen wurde. 

Dennoch bleibt es das groBe Verdienst des Buches, die RestaurierungsmaBnahmen 
des 19. Jahrhunderts sowie den Wiederaufbau nach dem Zweiten Weltkrieg ausfiihrlich 
zu dokumentieren und zu analysieren. Ein iiberzeugender Ansatz, da diese Abschnitte 
bei der Darstellung der Baugeschichte bislang haufig stiefmutterlich behandelt wurden, 
das Bild der mittelalterlichen Rathauser aber vielfach stark von den Umbau- und Wie- 
deraufbaumaBnahmen in den letzten anderthalb Jahrhunderten gepragt ist. 

Dortmund Matthias Ohm 



436 Besprechungen und Anzeigen 

Albrecht, Uwe: Der Renaissancebau des Celler Schlosses: zur Genese des Zwerchhauses 
und zum Bildprogramm der Fassaden des 16. Jahrhunderts. Celle: Stadtarchiv 2003. 
57 S. mit zahlr. Abb. = Celler Beitrage zurLandes- und Kulturgeschichte Bd. 23. Kart. 
9,80 €. 

Im Jahre 2000 tagte die Residenzenkommission der Gottinger Akademie der Wissen- 
schaften in Celle unter dem Thema „Erziehung und Bildung bei Hole". Das im Folgen- 
den vorzustellende, vorziiglich ausgestattete Heft enthalt den iiberarbeiteten Festvor- 
trag, den der Kieler Kunsthistoriker Uwe Albrecht bei dieser Gelegenheit hielt. Anders, 
als der damalige Horer und heutige Leser vielleicht erwartete, gab der Redner keinen ge- 
schlossenen Uberblick iiber die kunstlerischen Schwerpunkte der nachmittelalterlichen 
Welfenresidenz, die sehr wohl zum Tagungsthema hatten beitragen konnen. Vielmehr 
setzte er sich nach knapper Einfiihrung in die Baugeschichte mit noch nicht endgiiltig 
ausgeraumten Kontroversen zu ihrer Gestaltung im 15. beziehungsweise 16. Jahrhun- 
dert und mit dem Bildprogramm der zugehorigen Bauskulptur auseinander. 

A. stellte sich gegen die schon mehrfach angegriffene These von Horst Masuch, der 
die im Detail italienisch beeinflusste Gestaltung des Celler Schlosses bereits 1485 ent- 
standen denkt. Fur A. ist die Gesamtgestalt der den Ostflugel auszeichnenden Krone aus 
Zwerchhausern die Konsequenz aus der Anlage der Umwallung ab 1521 und zielt auf 
optische Steigerung derstadtseitigen Front. Als Vorlaufer hierfur gelten ihm die 1484 be- 
gonnene Moritzburg in Halle und das seit 1489 entstehende Schloss in Wittenberg; letz- 
teres den fur den Celler Bau in Teilen verantwortlichen Herzogen, zumal Ernst dem Be- 
kenner, wohlbekannt. Bezieht man das seit 1525 errichtete Schloss Gifhorn in die Be- 
trachtung ein, erweitert sich der Kreis der Anreger um den Dom, umgebaut 1520 bis 
1524, adlige und biirgerliche Hauser in Halle. Schlossbauten der Jahre ab 1527 in Forder- 
glauchau, Halle, Bernburg, Stolberg und Torgau sind zeitliche Parallelen zur Celler Resi- 
denz. Anders als der Vortragende meinte, ist das einzigartige Krummholzdachwerk des 
Gifhorner Torhauses uberwiegend existent und fur Bauforscher zuganglich. 

GroBen Raum beanspruchte der Exkurs zur Entstehung des Zwerchhauses in der 
herrschaftlichen Profanarchitektur. A. schlug dabei einen Seitenpfad ein. Er holte - was 
zu verstehen ist - nicht etwa eine fehlende Sammlung aller Zeugnisse zur Entstehungsge- 
schichte dieses Bauteiles nach. Angesichts der sicherlich hohen Denkmalverluste eine 
schwierige Aufgabe. Stattdessen wies er auf Mangel der Definition in derForschunghin. 
Entgegen alteren Uberlegungen lehnte er fur den Siegeszug des Zwerchhauses eine ent- 
scheidende Rolle Arnolds von Westfalen und der Albrechtsburg in MeiBen - und damit 
die Ubernahme aus Frankreich - ab. Er sah vielmehr eine Genese des von ihm als Ho- 
heitsform angesprochenen Bauteils aus den Giebelkranzen der Hallenkirchen und Rat- 
hauser, wobei sich in Hannover das monumentalisierte Zwerchhaus Mitte des 15. Jahr- 
hunderts voll entwickelt zeigt. Fur Celle bleiben die sachsischen Residenzen von Halle 
und Wittenberg zitierte Bezugspunkte, von denen aus sich im beginnenden 16. Jahrhun- 
dert das neue Element im Schlossbau verbreitete. A. gab die eindrucksvolle Geschichte 
einer Aufwertung. Doch wie alt ist das Zwerchhaus an sich, fragt sich sicher nicht nur der 
Rezensent. Viel spricht fur die positivistische Uberlegung von Emanuel Viollet-Le-Duc, 
der eine ursachliche Verbindung zwischen der Herausbildung eines steilen und daher 
nutzbaren Daches und der Erfindung des Zwerchhauses herstellt. Ubrigens ist der alte- 
ste Beleg in Celles Nachbarschaft eine Wienhauser Wandmalerei um 1310. 

AnschlieBend wandte sich A. dem Bildprogramm der Fassaden zu. Hier gilt das be- 



Geschichte des geistigen und kulturellen Lebens 437 

sondere Augenmerk der Hoffront des - anachronistisch als Corps-de-logis bezeichneten 
- ostlichen Schlossfliigels. Die vor Umbauten von Georg Ludwig Friedrich Laves 1836 
verfasste Bauaufnahme zeigt einen damals noch bestehenden gedeckten Gang auf acht 
machtigen Kandelaber-Saulen des 16. Jahrhunderts. Er war zuganglich iiber einen vom 
Gebaude abgeriickten Treppenturm und erschloss, urspriinglich den Hof dreiseitig um- 
laufend, den heute wiederhergestellten Festsaal im Osten und die seitlichen Fliigel. Ihm 
sind die Reste dreier Zyklen von Reliefs zuzuordnen. Helden und Tyrannen des Alten 
Testaments, schlieBlich die sagenhaften ersten Konige und Fiirsten der Deutschen sind 
nach Grafiken derjahre 1531 bis 1543 dargestellt. Wappen, womoglich Teile einergro- 
Ben Ahnenprobe, und Portrats dreier Herzoge erganzen die Reihe. Das Programm, A. 
referiert die Ergebnisse von Otto von Boehn, Konrad Maier und Helmut Riiggeberg, 
zielt auf gutes und schlechtes Regiment und nicht zuletzt die historische Legitimation 
des Fiirsten. Seine Anbringung hat Vorlaufer an den Schlossern von MeiBen, Dessau 
und Torgau; es entspricht etwa der spatgotischen Folge im Zierfries des hannoverschen 
Alten Rathauses. Fur den Grundstock schlieBt sich A. der Zuweisung an den „Meister 
von Rethen" Levin Storch an, die Gert v. d. Osten und Otto von Boehn herausgearbeitet 
haben. Hinzu kommen die Kandelaber-Stiitzen, Reliefs von Justicia und Temperancia. 
Sieben Torsi antiker Helden bringt er uberzeugend mit der Hildesheimer Werkstatt des 
Ebert Wulff und mit der dortigen Fassade des sog. Kaiserhauses in Verbindung. Freilich, 
eine Vorstellung des baukiinstlerischen Zusammenhangs entsteht nicht. Im Gegensatz 
zur profanen Ikonographie gonnt sich A. nur knappe Worte zu der groBen Leistung lu- 
therischer Kunstiibung, der Neuausstattung der Schlosskapelle unter Herzog Wilhelm d. 
J. zwischen 1565 und 1576, kurze Zeilen, um die Schaffung einer furstlichen Grablege in 
der Stadtkirche zu skizzieren, schlieBlich wenige Satze, um das Ausstrahlen der Resi- 
denz auf die ihr zunehmend untergeordnete Stadt anzudeuten. AbschlieBend wird der 
Bau des 16. Jahrhunderts als faszinierende Schopfung evoziert, ihr gebiihrende Beach- 
tung gewiinscht, die Darstellung als DenkanstoB eingeordnet. Dem folgt der Rez. gerne. 
Wichtig ist ein Hinweis: Wer sich in dem vorgegebenen Sinn mit dem Celler Schloss 
beschaftigen wird, dem seien die im Zusammenhang eines Festvortrags nicht zu erwar- 
tenden, nachgetragenen Anmerkungen als ein Kompendium des Wichtigen und Wis- 
senswerten empfohlen. Dennoch bleibt mancherlei ausgeblendet. Hier nenne ich vor al- 
lem die Crux der hohen Verschuldung des Fiirstentums, die unklaren Verhaltnisse der 
gemeinschaftlichen Regierung, die Regentschaften, aber auch die Sakularisation als 
Mittelschopfung. Dies alles muss sich auf Bauwesen und Mazenatentum ausgewirkt ha- 
ben. Wichtig sind die Hinweise auf die Hofe von Wittenberg und Halle und ihre Bauten, 
die ihre ganze Wirkung erst entfalten, wenn man das Duo Celle-Gifhorn um die Kleinar- 
chitekturdes Ablagerhauses von Medingen und die Stechbahn-Tribiine von Celle erwei- 
tert. Nur so lasst sich vielleicht auch dem Maurer Michel Clare und seiner Tatigkeit au- 
Berhalb Celles in Delmenhorst, Gifhorn, Schwerin und Wismar mehr Kontur geben. 
Oder auch seinem Bauherrn Herzog Ernst, der gegeniiber seinem Bruder Franz einmal 
auBerte, er konne sehr wohl die notigen Befestigungen selbst angeben, d. h. doch wohl 
entwerfen. Neue Bemiihungen verdient auch die Hypothese des Bildhauers Levin 
Storch. Und nicht zuletzt der vorerst anonyme und von A. gar nicht angesprochene Ur- 
heber der Briistungsreliefs aus der Schlosskapelle. Ein noch lange nicht vollstandiges 
Biindel offener Fragen. 

Hannover Urs Boeck 



438 Besprechungen und Anzeigen 

Die Universitat Hannover. Ihre Bauten, ihre Garten, ihre Planungsgeschichte. Hrsg. von 
Sid Auffahrt und Wolfgang Pietsch. Petersberg: Imhof Verlag 2003. 368 S. Abb. 
und graph. Darst. Geb. 24,- €. 

Zweijahrzehntelang erfahrene Hochschulmitarbeiter, Sid Auffahrt als renommierter Ar- 
chitekturhistoriker und Wolfgang Pietsch als geachteter Leiter des Universitatsbauam- 
tes, haben ihr Ausscheiden in den Ruhestand zum Anlass genommen, den Hochschulge- 
bauden der Universitat Hannover ein Buch zu widmen, das 2003 zum 200. Geburtstag 
von Karl Karmarsch, dem Griindungsdirektor der damaligen ,H6heren Gewerbeschule' 
und spateren Universitat, erschienen ist. Insgesamt 18 Autoren beschreiben in dem opu- 
lenten Band die Baugeschichte und die Architekturqualitaten der Hochschulstandorte, 
die das einstige Welfenschloss, Kasernen, Stalle und ehemals gewerbliche Gebaude ne- 
ben zahlreichen Bauten der jiingeren Vergangenheit umfassen. Diesen vorgelagert sind 
die Herrenhauser Garten, die die mehr als sehenswerte Einbindung der Uni Hannover in 
die Stadt bewirken. „Weltweit diirfte es nur ganz wenige Universitaten geben, die ihren 
Mitgliedern einen solchen Vorgarten bieten", bemerkt einleitend dazu der bis 2002 am- 
tierende Kanzler Jan Gehlsen, dem das Buch gewidmet ist, und konstatiert, „dass die 
Universitat heutzutage zwischen Konigsworther Platz und Herrenhausen iiber eine 
raumlich konzentrierte, in ihrer Vielfalt verwirrende, aber bauhistorisch interessante 
Mixtur von Gebauden der letzten 150 Jahre verfugt". 

In der von mehreren Autoren verfassten Einfuhrung beschreibt Gunther Nagel, ehema- 
liger Direktor des Instituts fur Griinplanung und Gartenarchitektur, folgerichtig die 
,Universitat im Garten'. Gemeinsam mit Wolfgang Pietsch, dem Leiter der Planungsab- 
teilung im Universitatsbauamt, stellt er nachfolgend die ,Entwicklungsschube und Pla- 
nungsschwerpunkte der Universitat im Wandel' der Zeit vor. Friedrich Spengelin zeichnet 
ein Bild der baulichen Universitatsentwicklung seit den sechziger Jahren nach, als die 
Studentenzahlen sich in wenigenjahren vervielfachten. Viele traditionelle Hochschulen 
in Deutschland mussten vor dieser Herausforderung neue Ideen entwickeln, wie man 
dem Massenandrang zur akademischen Ausbildung Herr werden wollte. In seinem Be- 
richt beschaftigt sich Spengelin mit der lang anhaltenden Suche nach der Vereinbarkeit 
der bis dahin gemachlich gewachsenen urbanen Universitatsstandorte und den Anfor- 
derungen der rasant angestiegenen Unterbringungsanforderungen, die bis heute zu kei- 
ner endgiiltig befriedigenden Losung finden konnten. 

Nach der umfassenden Einfuhrung widmen sich die Autoren (Kurzbiographien im 
Anhang) in acht Kapiteln den Bauensembles der Universitatsstandorte in Hannover, um 
bau- und funktionsgeschichtliche Facetten zu beleuchten. Man begegnet aber auch man- 
cher herausragenden Personlichkeit, die der Universitatsgeschichte ein ungewohnliches 
Profil verliehen hat. Zu ihnen gehort beispielsweise der 1933 ermordete Philosoph, 
Schriftstellerund DichterTheodorLessing, der seit 1909 als a.o. Professor an der ,Konig- 
lichen Technischen Hochschule zu Hannover' lehrte. Cord Meckseperhat die Horsale und 
die Themen, die Lessing in seinen Lehrveranstaltungen angeboten hat, ausfindig ge- 
macht. Wesentlich aberbleiben in dem Buch neben der Nutzungsgeschichte die Wiirdi- 
gungen der historischen, der aufgegebenen und auch der verlorenen Gebaude, die Giin- 
ther Kokkelinkkenntnisreich beschreibt. Maike Kozok hat sich der Bauornamente am Wel- 
fenschloss, Rita Seidel der Bilder, Figuren und Denkmaler an den Universitatsbauten 
angenommen. Die Entwicklung der Parks und deren Wandel erlautern eigens Joachim 
Wolschke-Bulmahn und Michael Rohde. Gerhard Schlitt stellt die Bibliotheken vor. Wolfgang 



Geschichte des geistigen und kulturellen Lebens 439 

Pietsch und Sid Auffarth beschreiben die Entstehung des Schneiderberggelandes, in dem 
die Naturwissenschaftler ihre Unterkunft fanden und wo sie ihre Hightechinstitute ein- 
richteten. 

Am Konigsworther Platz, wo das Universitatsviertel heute seinen baulichen Auftakt 
nimmt, hatte die Hochschule bereits 1937 ein ehemaliges Druckereigebaude erworben, 
in das die Architekturabteilung eingezogen war. Das Ensemble mit der stadtebaulichen 
Dominante des ehemaligen Continantalhochhauses, in dem die Rechts-, Wirtschafts-, 
Literatur- und Sprachwissenschaften untergebracht sind, wird von Herbert Obenaus, Wolf- 
gang Pietsch, Friedrich Spengelin, Sid Auffarth und Wolfgang Haas detailgenau untersucht. 
Wolfgang Pietsch verfolgt im Anschluss nicht nur die Geschichte der Architekturwerkstatt 
am Berggarten, sondern auch das ausgelagerte Versuchsgelande Marienwerder mit sei- 
nem Wissenschaftspark in Garbsen sowie die Studentenwohnheime, die fur die Univer- 
sitat errichtet wurden. Die Geschichte der ,Padagogischen Akademie' in der Bismarck- 
straBe wird von Hans-Dieter Schmid aufgerollt. 

Was das Buch zu einem gut benutzbaren Handbuch macht, sind die Listen und Ta- 
bellen im Anhang. Dort sind alle Hochschulen Hannovers mit ihren Standorten, den 
Studentenzahlen und dem derzeitigen Flachenbedarf aufgefuhrt. Dem folgen eine kom- 
mentierte Universitatschronologie und eine tabellenartig aufgelistete Ubersicht zu stad- 
tebaulichen und baulichen Gesamtplanungen sowie zu gutachterlichen Stellungnah- 
men, die die Herausgeber zusammengestellt haben. Eine Art kommentiertes Organi- 
gramm zur Bau- und Raumplanung vermittelt ein Bild davon, wie verschiedene Krafte 
zurUniversitatsentwicklung beigetragen haben. SchlieBlich ist eine tabellarische Bauge- 
schichte der Universitatsgebaude angefiigt, die dem eiligen Benutzer des Buches zu ei- 
nem schnellen Uberblick bei der Suche nach Einzelbauten und Bauensembles verhilft. 
Das sorgfaltige Personenregister macht jedem Freude, der das Buch lexikalisch benutzt. 
Das Literaturverzeichnis indes fiihrt nur die Publikationen zur Universitat Hannover 
auf; gerne hatte man hier Hinweise auf die eine oder andere Veroffentlichung zu den 
Bauten anderer deutscher Universitaten verzeichnet gesehen. 

Auf das ausgezeichnete Abbildungsmaterial der Publikation iiber die Universitats- 
bauten darf jeder Leser gespannt sein. Enthalten sind eine Fiille von historischen und ak- 
tuellen Farb- und SchwarzweiBfotos, angereichert mit Zeichnungen, Grundrissen, Iso- 
metrien und perspektivischen Darstellungen sowie mit Lageplanen, die verlassliche 
Standortbezeichnungen aufweisen. Eine gliickliche Hand haben die Layouterinnen Son- 
ja Auffarth, Stefanie Monecke und Melanie Zachariasbewiesen, so dass der Leser schonbeim 
Durchblattern auBerordentlich angetan sein wird. 

Die Universitat Hannover, vor allem aber die Hochschulgebaude selbst haben es ver- 
dient, mit diesem vorziiglichen Buch gewiirdigt zu werden. Wer als interessierter Laie 
die Alma Mater von Hannover mit dieser Publikation in den Blick nimmt, wird einen un- 
erwartet tiefen Zugang zur Historie der Universitat und zur Qualitat ihrer Bauten finden. 
Als Architektur- und Kunsthistoriker oder als Denkmalpfleger konnte man die Detailful- 
le eines herkommlichen Gattungsinventars vermissen. Dafiir entschadigt jedoch die the- 
matische Breite, mit der der Band angelegt ist und die ein viel groBeres Publikum an- 
spricht als die prazise Gelehrsamkeit des schematisch angelegten Fachbuches. Begei- 
stert wird der Leser vor allem davon sein, welche Symbiose die Universitatsarchitektur 
mit den wunderbaren koniglichen Garten eingeht. Dies in der Lektiire des auBerordent- 
lich lesenswerten Buchs zu erleben, ist mindestens so eindrucksvoll wie der Spaziergang 
des aufmerksamen Besuchers durchs Hannoversche Universitatsviertel. Mit Recht kon- 



440 Besprechungen und Anzeigen 

nen Autoren, Herausgeber und alle iibrigen Beteiligten an diesem Band stolz auf diese 
Publikation sein. 

Hannover Reiner Zittlau 



KIRCHENGESCHICHTE 



Ahlers, Gerd: Weibliches Zisterziensertum im Mittelalter und seine Kloster in Niedersachsen. 
Berlin: Lukas Verlag 2002. 245 S. = Studien zur Geschichte, Kunst und Kultur der Zi- 
sterzienser Bd. 13. Kart. 25,- €. 

Die zwanzig seit dem Mittelalter als Zisterzienserinnenkonvente geltenden oder erwahn- 
ten Frauengemeinschaften im niedersachsischen Raum werden in dieser Berliner Dis- 
sertation (FU, 1997) nach ihrem Verhaltnis zum Zisterzienserorden und zu regionalen 
Gewalten untersucht. Insofern verspricht derTitel mehr, als iiberdie Kloster zu erfahren 
ist, fur die im iibrigen auf die Uberblicke in den Banden 11 (1984) und 12 (1994) der „Ger- 
mania Benedictina" verwiesen wird. Die Darstellung ihrer Rechtslage in Bezug auf den 
Orden und innerhalb der Diozesen - nach denen geordnet sie im zweiten Teil der Arbeit 
abgehandelt sind - sowie Territorien soil allerdings eine Interpretation untermauern, 
die den ersten Teil einnimmt und die der Autor an durch Breite und Lage geeignetem re- 
gionalgeschichtlichen Material priifen wollte. 

Es geht ihm um die Frage, ob und ggf. warum und wie sich der Orden seit seiner 
Griindung fur die Integration von Frauenklostern aufschloss. Die Frage wird besonders 
seit den Arbeiten von Brigitte Degler-Spengler ab 1982 kontrovers diskutiert, die entge- 
gen der herrschenden Meinung, nach der der Orden den Aufbau eines weiblichen Zwei- 
ges zu vermeiden suchte, die unbezweifelbare Bereitschaft zur Inkorporation von Zister- 
zienserinnen sieht, also zur vollen Eingliederung mit alien Rechtsfolgen und prakti- 
schen Problemen des geistlichen und weltlichen Alltags. 

Ahlers bestreitet diese Sicht und nimmt erneut die Quellen des Ordens vor, die z. T. 
einander zu widersprechen scheinen und zu den widerspriichlichen Urteilen gefiihrt ha- 
ben, und gewichtet sie fur seine Grundsatzfragen. Als Voraussetzung fur das Verhalten 
des Ordens gegeniiber Frauengemeinschaften hebt er dessen strikte Ablehnung des Um- 
ganges von Ordensangehorigen mit Frauen hervor, die nicht nur in der Ordensliteratur, 
sondern auch seit einem Statut von 1134 in den Normquellen deutlich wird. Allerdings 
beobachtet auch er, dass der Orden als Institution sich zwar von der Ubernahme der vol- 
len Verantwortung fur zisterziensisch lebende Frauenkonvente im 12. Jahrhundert fern- 
hielt, aber ihre Griindungen und gelegentliche Bindungen an einzelne Abte nicht ver- 
hinderte und die Bezeichnung als Zisterzienserinnen nicht bekampfte. Dass sich das Ge- 
neralkapitel offenbar erst im 13. Jahrhundert mit der Angliederung von Frauenklostern 
befasste (Ahlers: zwischen 1202 und 1206), erklart der Verfassermit dem Druckder Pap- 
ste, die das weibliche Religiosentum fur haresieanfallig hielten und jeweils geeigneten 
Orden durch Mandat zuzufiihren suchten, in der Regel auf Wunsch von Bittstellern, die 
sich iibrigens auch direkt an den Orden wandten. 

Ahlers zeichnet die sich in den Beschliissen des Generalkapitels auspragende Politik 



Kirchengeschichte 441 

nach: Mindestens den papstlichen Befehlen konnte sich der Orden nicht verweigern, 
doch rechtlich behandelte er die schlieBlich vielen Inkorporationen als Ausnahmen von 
dem 1220 formulierten und oft wiederholten Verbot. Die Ausnahmen konnten nur unter 
Bedingungen und nach Pruning allein von dem Generalkapitel zugelassen (abgelegene 
Lage, wirtschaftliche Sicherung, strenge Klausur), abgelehnt oder sparer ruckgangig ge- 
macht werden. Meistens wurden die Abte von Citeaux oder Clairvaux als Vaterabte ein- 
gesetzt, die ihre Aufsichtspflichten an Abte aus der jeweiligen Nachbarschaft delegier- 
ten. Fur die Seelsorge und die Geschaftsfuhrung wurden hingegen moglichst Ordens- 
fremde bestimmt, als Propste oder Prokuratoren oder Provisoren sogar Laien, um 
Ordensangehorige nicht zu gefahrden. Fur die nichtinkorporierten Zisterzienserinnen- 
kloster lehnte der Orden ausdriicklich Seelsorge und Aufsicht ab. Er erklarte sich aber 
einverstanden mit der Nachahmung der Lebensform (1228). Auch fur sie galten die 
papstlichen Privilegien fur Zisterzienser (oft sogar die Exemtion von der bischoflichen 
Gerichtsbarkeit), sofern sie von den zustandigen Bischofen anerkannt waren und unter 
deren Aufsicht standen. Die Bischofe mussten iibrigens die Antrage auf Inkorporation 
und Exemtion genehmigen. Der Verfasser beobachtet, wie dieser Zustand durch Bischo- 
fe und weltliche Herren fur territorialpolitische Ziele genutzt wurde, wobei die geogra- 
phische Lage eine besondere Rolle spielte. So konnte den Bischofen im Ganzen wenig 
an der Inkorporation liegen, wenngleich sie die Visitation gelegentlich an Zisterzien- 
serabte vergaben. Fur die Nichtinkorporation sprach auch der Einfluss, der durch Aus- 
wahl und Einsetzung von Propsten auszuiiben war. 

Die Einzeluntersuchungen des zweiten Teils ergeben, dass nur Lilienthal dem Orden 
inkorporiert war (Ahlers erklart die Aufnahme mit der Stedingerproblematik). Bei den 
Klostern in Rinteln, Meerhusen, Neuenwalde konnte Ahlers auch nicht klaren, ob sie 
tatsachlich als zisterziensisch einzuordnen sind, wiewohl sie zuweilen so bezeichnet wer- 
den. Fur die Kloster in Rulle, Bersenbruck, Borstel, Himmelpforten, Woltingerode, 
Wienhausen, Isenhagen, Derneburg sieht ereindeutigen bischoflichen Einfluss, fur Neu- 
werk in Goslar, St. Crucis vor Braunschweig, Wiebrechtshausen, Osterode und H6- 
ckelheim weltliche Herrschaft iiberwiegen, in Mariensee, Medingen und Mariengarten 
beobachtet er die Zunahme welfischer Macht. 

Ahlers ermoglicht die Kontrolle seiner Interpretationen durch ausfiihrliche Quellen- 
zitate. Die Argumentation wirkt in sich schlussig, klart sie doch die Widerspriichlichkeit 
innerhalb der Beschlusslage des Ordens wie auch das Vorhandensein zahlreicher Zister- 
zienserinnenklosterohne die Ordenszugehorigkeit auf. Neben anderen Druckfehlern ist 
zu korrigieren: Heinrich (!) Schnath in Georg (S. 131 f.) und Theodor Meyer in Mayer 
(S. 102 und 239). 

Hannover Katharina Colberg 



Westfalisches Klosterbuch. Lexikon der vor 1815 errichteten Stifte und Kloster von ihrer 
Grundung bis zur Aufhebung. Teil 3: Institutionen und Spiritualitat. Hrsg. von Karl 
Hengst. Miinster: Aschendorff 2003. 913 S. m. Abb. = Veroff. der Historischen Kom- 
mission fur Westfalen Bd. XLIV. Quellen und Forschungen zur Kirchen- und Religi- 
onsgeschichte Bd. 2. Geb. 39,90 €. 

Der die Reihe abschlieBende dritte Band des Westfalischen Klosterbuches erscheint 
rund 10 Jahre nach seinen beiden 1992 und 1994 erschienenen Vorgangern. Auch er 



442 Besprechungen und Anzeigen 

wird mit seinen iiberblicksartigen Darstellungen als Nachschlagewerk zur Geschichte 
der westfalischen Kloster dienen. Ziel war es, den Forschungsstand darzulegen und gege- 
benenfalls auch eigene neue Forschungsergebnisse einzubringen. Anhand der sieben 
Themenfelder I. Monastisches Leben, Ideal und Wirklichkeit, II. Die geistlichen Ge- 
meinschaften in ihrer Zeit, III. Die geistlichen Gemeinschaften in der Kirche von West- 
falen, IV. Die geistlichen Gemeinschaften in ihrem sozialen Beziehungsgeflecht, V. Stif- 
te und Kloster als Wirtschaftsfaktor, VI. Kulturpflege in Stiften und Klostern Westfalens 
und VII. Kunst und Architektur in Stiften und Klostern Westfalens sollten „Institutionen 
und Spiritualitat" der westfalischen Kloster- und Stiftslandschaft herausgearbeitet 
werden. 

Im ersten Beitrag schildert Arnold Angenendt (S. 15-41) ganz allgemein die Ideale 
christlicher Vollkommenheit und ihre unterschiedliche klosterliche Realisation im Lau- 
fe derjahrhunderte. Dabei differenziert er nach den verschiedenen Orden. Kaspar Elm 
(S. 43-60) beschaftigt sich mit Semireligiosentum und semireligiosen Institutionen in 
Westfalen. Hans-Joachim Schmidt (S. 61-100) stellt iiberblicksartig Kloster und Stifte im 
Ordnungsgefuge von Orden und Kongregationen vor, wobei er notwendigerweise gele- 
gentlich iiber den Raum Westfalen hinausgreift, wenn er die jeweils eigene Verfassung 
der Orden und die Rolle der westfalischen Hauser untersucht. Die Ordensreformen des 
15. Jh. und ihre Umsetzung im praktischen Alltag schildert Gudrun Gleba (S. 101-129), 
wobei - ihrem Forschungsschwerpunkt gemaB - die Frauenkloster im Vordergrund 
stehen. 

Der zweite Abschnitt ist ganz chronologisch aufgebaut. Wilhelm Kohl (S. 133-154) be- 
schreibt die friihe Klosterlandschaft Westfalens (um 800-1100), Peter Johanek (S. 155-180) 
die Zeit von 1100-1300, Heinrich Riithing (181-200) das bis zur Reformation reichende 
Spatmittelalter (1300-1530), Alwin Hanschmidt (201-243) die Zeit von 1530 bis 1803 mit ei- 
nem fur den niedersachsischen Leser besonders interessanten Exkurs fur das Hochstift 
Osnabriick, das Niederstift Miinster und die Grafschaft Bentheim und Harm Klueting (S. 
295-331) schlieBlich die Aufhebung der Kloster und Stifte zu Beginn des 19. Jahrhun- 
derts. Aus derreinen Chronologie heraus bricht Manfred Wolfs (S-. 245-293) Geschichte 
der konfessionell gemischten Stifte, indem er - geordnet nach den Territorien Fiirsten- 
tum Minden, Grafschaft Ravensberg und Grafschaft Mark - die Verhaltnisse in jeder 
einzelnen Institution untersucht und um zahlreiche Details bereichert. 

Im dritten Abschnitt werden verschiedene Einzelaspekte der Klostergeschichte the- 
matisch aufbereitet. Alwin Hanschmidt (S. 335-384) untersucht die Klosterpolitik der 
geistlichen und weltlichen Landesherren in der Friihen Neuzeit, Johannes Meier Organi- 
sation und Durchfiihrung der Seelsorge (S. 385-401), Ursula Olschewski den Einfluss der 
geistlichen Gemeinschaften auf die Volksfrommigkeit und das religiose Brauchtum (S. 
403-434) und Gisela Fleckenstein (S. 435-453) schildert anhand von einigen in der Sekun- 
darliteratur geschilderten Einzelschicksalen in einem erfrischenden Beitrag die Tatig- 
keitsfelder ehemaliger Ordensleute nach der Sakularisation ihrer Kloster, ein bis jetzt 
noch weitgehend unerforschtes Forschungsgebiet. 

Das soziale Beziehungsgeflecht der einzelnen Gemeinschaften in Abschnitt vier wird 
seltsamerweise nur anhand des Adels ( Wilhelm Kohl, S. 457-473) , und zwar aus der Stifter- 
perspektive, geschildert. Interessant waren aber hier auch burgerliche oder auch bauerli- 
che Beziehungsgeflechte, die Verbindungen zur landesherrlichen Beamtenschaft und 
vieles mehr gewesen. Mit der Armen- und Krankenfursorge der Gemeinschaften be- 
schaftigt sich der Aufsatz von Riidiger Nolle (S. 475-494). 



Kirchengeschichte 443 

Derfiinfte Abschnitt beleuchtet die geistlichen Gemeinschaften als Wirtschaftsfakto- 
ren ihrer Umgebung. Leopold Schutte (S. 497-517) untersucht die Bedeutung fiir die Land- 
wirtschaft, Michael Drewniok {S. 519-543) den Einfluss auf denKapital- und Rentenmarkt 
und Kristin Rose (S. 545-569) die kunsthandwerkliche Produktion. 

Im Rahmen des Abschnitts sechs zur Kulturpflege der Stifte und Kloster behandelt 
Alfred Hartlieb von Wallthor(S. 573-595) die Dom-, Kloster- und Stiftsschulen. Volker Hone- 
mann (S. 597-623) erschlieBt die Literatur der Institutionen unabhangig von den Orden 
zunachst chronologisch und dann nach den Gattungen „biographische Literatur", 
„theologische und philosophische Literatur", „katechetische, Predigt- und Erbauungsli- 
teratur" sowie „Dichtung und Schultheater". Dabei bezieht er jene Autoren, die sich nur 
einen bestimmten Zeitraum in Westfalen aufhielten und es dann wieder verlieBen, mit 
ein und eroffnet so einen neuen und ungewohnten Blick auf die vorwiegend lateinisch- 
sprachige geistliche Literaturgeschichte Westfalens. Bertram Haller(S. 625-681) setztsich 
in seinem Beitrag iiber die heute in aller Welt zerstreute Buchkunst der westfalischen 
Kloster iiberaus konstruktiv mit der vorhandenen Fachliteratur auseinander. Hermann- 
Josef Schmalor (S. 683-731) analysiert die Bibliotheken der Stifte und Konvente anhand 
der noch vorhandenen Biicherverzeichnisse und rekonstruierbaren Bestande, wobei er 
sich leider nur auf eine sehr diinne Quellenlage stiitzen kann. 

Der letzte Abschnitt widmet sich Fragen der Klosterkunst und -architektur. Matthias 
Wemhoff(S. 735-755) behandelt die friihe Zeitbis 1200, Roland Pieper{S. 757-771) die Zeit 
der Gotik und Siegfried Rudigkeit (S. 773-790) die Kloster- und Konventsbauten der Ba- 
rockzeit, die mit ihrem Hang zur Reprasentanz und Prachtentfaltung manchen dem Ar- 
mutsideal verpflichteten Bettelordenskonvent in Gewissensnote stiirzte, wie anhand der 
Kapuziner zu Brakel anschaulich dargestellt wird. Gisela Muschiol (S. 791-811) wagt die 
unterschiedliche liturgische Funktion von Lettnerund Empore in Klosterkirchen gegen- 
einander ab, und zwar besonders im Hinblick auf die geschlechtsspezifischen Anforde- 
rungen an eine aktive bzw. passive Klausurmittelalterlicher Manner- und Frauenkloster. 
GerdDethlefs (S. 813-840) kniipft mit seinem hiibschen Beitrag thematisch direkt an Sieg- 
fried Rudigkeit an, indem er die weltliche Ausstattung derbarocken Klostergebaude im 
Hinblick auf Traditionsvermittlung und Selbstdarstellung untersucht, d.h. vor allem die 
Gemaldesammlungen analysiert, dann aber auch Porzellan, Glaswaren, Silber und Po- 
kale. Interessant ist der Beitrag schon deshalb, weil auch die niedersachsischen Bilder- 
galerien des Klosters Iburg und der Johanniterkommende Lage Erwahnung finden. 

Als Nachtrag gewissermaBen zu den ersten beiden Banden findet sich zum Schluss 
ein Artikel zur Franziskanerniederlassung in Hovestadt sowie eine alphabetische Aufli- 
stung der seither neu erschienenen Literatur. Ein von Anna-Therese Grabkowsky erstelltes 
Register sowie eine Karte „Adlige Kloster und Stifte in Westfalen um 1750" in der 
Kartentasche runden das Buch ab. 

Bei dem vorliegenden Band handelt es sich um ein Monumentalwerk, auch wenn von 
den zunachst vorgesehenen und bereits zugesagten 40 Beitragen nur 30 iibrig geblieben 
sind, weil eine Reihe von Bearbeitern wegen Krankheit oder anderer Griinde den Abga- 
betermin nicht einhalten konnten. Vorgesehen war z.B. ein Aufsatz iiber die Auseinan- 
dersetzungen zwischen Klostern und Bischofen, zur Wirtschaftsfiihrung der Stifte und 
Kloster, zur Frauenbildung und zur Musikpflege. Die Beitrage wurden vielfach von den 
Mitgliedern der Historischen Kommission fiir Westfalen, vor allem aber immer von den 
besten Kennern der Materie verfasst. Uns Niedersachsen ruft der Herausgeber Karl 
Hengst in seinem Vorwort zu: „M6ge die hier vorgelegte Publikation zur eigenen Stifts- 



444 Besprechungen und Anzeigen 

und Klostergeschichte Anreiz und Ansporn sein vor allem fiir die Nachbarregionen, da 
erst dann ein allgemeines, die Wirklichkeit treffendes Bild vom Stifts- und Klosterwesen 
in Deutschland gewonnen werden kann". In der Tat: das miissen wir den Westfalen erst 
einmal nachmachen! 

Braunschweig Bettina Sohmidt-Czaia 



Hirschfeld, Michael: Katholisches Milieu und Vertriebene. Eine Fallstudie am Beispiel des 
OldenburgerLandes 1945-1965. Koln: B6hlau2002. 634 S. m. 27 Abb.,27Tab. u. 2 Kt. 
= Forschungen und Quellen zur Kirchen- und Kulturgeschichte Ostdeutschlands 
Bd. 33. Geb. 64,- €. 

Die Bevolkerungsverschiebungen nach dem Zweiten Weltkrieg aufgrund von Flucht 
und Vertreibung bewirkten eine tiefgreifende Umgestaltung der konfessionellen Ver- 
haltnisse Deutschlands. In den katholischen Diasporagebieten der britischen, amerika- 
nischen und sowjetischen Zone lieBen sich groBere Gruppen von Katholiken nieder. 
Wahrend sich die Binnenwanderung vor dem Zweiten Weltkrieg auf die stadtischen Bal- 
lungszentren konzentriert und hier eine punktuelle Auflockerung der Konfessionszonen 
bewirkt hatte, verteilte sich der Fluchtlingsstrom nicht zuletzt wegen des hohen Zersto- 
rungsgrades deutscher Stadte auf landliche Gebiete. Gegenden, die ihren konfessionel- 
len Charakter seit der Reformation und Gegenreformation kaum verandert hatten, wur- 
den durch den Zuzug andersglaubiger Fliichtlinge mit konfessionellen Minderheiten 
durchsetzt. In den groBen zusammenhangenden landlichen Diasporabezirken Nord- 
deutschlands, Hessens, Frankens und Suddeutschlands wurde die Fliichtlingsgemeinde 
seit 1945 der „vorherrschende Typ der katholischen Pfarrei" (A. Kindermann). 

Wahrend „das Gesamtverhaltnis der Konfessionen eine erstaunliche Stabilitat" (H. 
Braun) zeigte, vollzogen sich im regionalen Bereich und auf der lokalen Ebene elemen- 
tare Umwalzungen. Die Bemiihungen deutscher Bischofe bei den alliierten Behorden 
um Beriicksichtigung der konfessionellen Gegebenheiten bei der Einweisung der Hei- 
matvertriebenen blieben erfolglos, so dass Katholiken in hoherem MaBe in protestanti- 
schen Gebieten angesiedelt wurden als Protestanten in katholischen Gegenden. Durch 
die Aufnahme groBerer Transporte aus dem Ermland, Oberschlesien und der Grafschaft 
Glatz lag in den ganz iiberwiegend evangelischen Bundeslandern Schleswig-Holstein, 
Niedersachsen, Hamburg und Bremen, aber auch in Hessen und Baden-Wiirttemberg 
der Prozentsatz der Katholiken unter den Vertriebenen bedeutend hoher als unter der 
einheimischen Bevolkerung. 

In Niedersachsen stieg die Zahl der Katholiken insgesamt von 737.979 (1939: 16,4 
Prozent der Bevolkerung) auf 1.277.637 (1950: 18,8 Prozent); davon waren 494.615 Ver- 
triebene (38,7 Prozent der katholischen Bevolkerung) . Wegen seiner geographischen La- 
ge am Ostrand der britischen Zone wurde das Bistum Hildesheim in einem starkeren 
MaBe als der niedersachsische Teil der Diozese Osnabriick und der zum Bistum Munster 
gehorende Offizialatsbezirk Oldenburg von der Zuwanderung der Vertriebenen betrof- 
fen. In Hildesheim verdreifachte sich die Zahl der Katholiken (1939: 263.800; 1950: 
669.532); im niedersachsischen Teil Osnabriicks kam sie fast einer Verdoppelunggleich 
(1940: 286.739; 1948: 411.827); in Oldenburg stieg sie von 144.996 (1940: 23,9 Prozent) 
auf 238.726 (1948: 27,5 Prozent). 



Kirchengeschichte 445 

Wahrend in den vergangenen Jahren etliche Veroffentlichungen iiber die Aufnahme 
und Integration von Fliichtlingen in Niedersachsen erschienen sind, fehlten einschlagi- 
ge Untersuchungen iiber die damit verbundenen religiosen, konfessions- und kirchen- 
politischen Probleme; die Frage nach der Rolle, die die Kirchen, insbesondere die Ka- 
tholische Kirche, in diesem Integrationsprozess spielten, blieb weitgehend unberiick- 
sichtigt. Neben der Arbeit von Renate Kumm („Das Bistum Hildesheim in der 
Nachkriegszeit", Hannover 2002) liegt jetzt die von Joachim Kuropka in Vechta betreute 
Dissertation von Michael Hirschfeld vor, die die Aufnahme und kirchliche Versorgung 
der Fluchtlinge im ehemaligen Verwaltungsbezirk Oldenburg zum Gegenstand hat. Das 
Untersuchungsgebiet war durch eine konfessionelle Teilung gekennzeichnet. Die Ka- 
tholiken konzentrierten sich vor dem Krieg im siidlichen Teil, im Oldenburger Miinster- 
land, wahrend sie in Nordoldenburg eine Minderheit von lediglich 6,98 Prozent der Be- 
volkerung darstellten. Im nordlichen Teil stieg ihre Anzahl vornehmlich durch den Zu- 
strom von Vertriebenen von 33.700 (1936) auf ca. 106.000. 

Auf der Grundlage umfangreichen, meist unveroffentlichten Quellenmaterials des 
Bistums- bzw. Offizialatsarchivs in Munster und Vechta, des Staatsarchivs Oldenburg 
und einer Vielzahl kleinerer kirchlicher und Pfarrarchive, das umsichtig ausgewertet 
wird, entstand eine hinsichtlich der regionalen Gegebenheiten in jeder Beziehung iiber- 
zeugende Arbeit. Diese befasst sich mit alien fur das Fliichtlingsproblem unter kirchli- 
chen Gesichtspunkten relevanten Fragen. Dazu gehoren das Wirken auf sozial-caritati- 
vem Gebiet (der Ausbau des sozialen Netzes fur Fluchtlinge durch Krankenhauser, Al- 
tenheime undjugend- und Waisenhauser, Unternehmungen der Pfarrcaritas usw.), die 
MaBnahmen im engeren kirchlichen Bereich (Griindung von Kirchengemeinden, vor 
allem in der nordoldenburgischen Diaspora, Kirchenbauten, Seelsorgemethoden), die 
Entwicklung im okumenischen Zusammenleben, die nicht zuletzt durch die Mitbenut- 
zung kirchlicher Gebaude der anderen Konfession gekennzeichnet war, und die Bernu- 
hungen um die Bewahrung konfessioneller Identitat durch die Konfessionsschule. Be- 
sonders eindrucksvoll sind die Ausfiihrungen iiber den vornehmlich aus Schlesien stam- 
menden Vertriebenenklerus, der sich durch seine Pragung durch die Liturgische und die 
katholische Jugendbewegung und eine starkere okumenische Offnung vom eingesesse- 
nen Klerus unterschied und in den neuen Diasporagemeinden eingesetzt wurde. Auf- 
schlussreich sind auch die Hinweise auf die Art der Aufnahme, die die katholischen Ver- 
triebenen in den unterschiedlichen Kirchengemeinden erfuhren. In den Pfarreien des 
katholischen Siidoldenburg und in den vor dem Krieg gegriindeten Pfarreien der Dias- 
pora gab es kaum Moglichkeiten fur ein regionalspezifisches religioses Eigenleben der 
Vertriebenen; hier wurden sie nach Meinung des Verfassers „trotz der konfessionellen 
Ubereinstimmung und einem ahnlichen Grad kirchlicher Sozialisation [. . .] weitgehend 
als Minoritat gesellschaftlich gemieden und ausgegrenzt" (S. 517). 

Wahrend Hirschfelds Darstellung hinsichtlich der Gegebenheiten in Oldenburg 
grundlegend und iiberzeugend ist, stellt sich die Frage, ob das Untersuchungsgebiet 
reprasentativ fur allgemeine Aussagen iiber den Nachkriegskatholizismus ist. Eine wich- 
tige These des Verfassers lautet, dass der Zustrom der Vertriebenen einen Sakularisie- 
rungsschub im katholischen Milieu bewirkte, den man bislang in der Forschung zeitlich 
in den 1960er Jahren ansetzte. Fur die Auflockerung des katholischen Milieus und die 
Abwendung katholischer Vertriebener vom kirchlichen Leben macht der Verfasser die 
Hierarchie mitverantwortlich, weil sie den Fliichtlingen zwar umfangreiche caritative 
Hilfe zukommen lieB, sie letztlich aber in ihren religiosen Anliegen nicht wahrnahm und 



446 Besprechungen und Anzeigen 

keine eigentliche Vertriebenenpastoral entwickelte. Urn diese Aussage abzusichern, be- 
darf es weiterer, vornehmlich regionaler Untersuchungen. Wenn Hirschfelds Studie da- 
zu anregt, wird dies nicht das geringste Verdienst seiner fur die niedersachsische Lan- 
des- und Kirchengeschichte wertvollen Untersuchung sein. 

Hannover Hans-Georg Aschoff 



Doll, Eberhard: Liebfrauenkirche in Neustadt a. Rbge. DerKlerus vorder Reformation und 
die ev.-luth. Pastoren bis 1679. Eine personengeschichtliche Studie. Bramsche: Rasch 
Verlag 2003. 251 S. mit zahlr. Abb. Kt. 15,- €. 

Welche Stadt kann sich schon riihmen, eine eigene Darstellung ihrer Kirchengeschichte 
zu besitzen? Insofern konnten sich die Neustadter Burger iiber das vorliegende Werk 
freuen. Der Autor - das unterstreicht seine Vita am Schluss des Buches - ist ein erfah- 
rener Heimatforscher, der zahlreiche Zeitungsartikel zur Ortsgeschichte und mehrere 
Ortschroniken publiziert hat. Er legt hier das Ergebnis seiner neuesten, umfangreichen 
Forschungen zur Geschichte der Neustadter Pfarrkirche vor. Mit immensem FleiB hat er 
einschlagige Quellen und Literatur ausgewertet: Das Verzeichnis der Archivalien, das 
zwischen Hannover und dem Vatikan und zwischen Berlin und London 16 konsultierte 
Einrichtungen nennt, und das fast 13 Seiten umfassende Verzeichnis derbenutzten Lite- 
ratur sind beeindruckend. 

Die Darstellung beschaftigt sich im ersten Teil mit den kirchlichen Verhaltnissen vor, 
im zweiten Teil mit den Verhaltnissen nach der Reformation bis 1679. Im dritten Teil 
wird auf sechs Seiten die Schulgeschichte dargestellt. Von Seite 123 bis 216 folgen zwolf 
Anhange mit diversen Personallisten, Verzeichnissen und Quelleneditionen, ein Abbil- 
dungsnachweis, ein Verzeichnis der Abkiirzungen, der Quellen, der Literatur, der 
Fachausdriicke sowie ein Register der Personen- und Ortsnamen. 

Der Schwerpunkt des Buches liegt auf der Personengeschichte. Wie der Autor einlei- 
tend bemerkt, macht er den (durchaus legitimen) Versuch, „die Geschichte der Liebfrau- 
enkirche Neustadt a. Rbge. . . . personengeschichtlich zu erschlieBen." Ihm ist bewusst, 
„dass Teile der Arbeit eine nach bestimmten Kriterien geordnete Sammlung von biogra- 
phischen Daten sind". Diese Pramisse hat der Rez. bei der kritischen, stichprobenarti- 
gen Durchsicht und Bewertung des Ergebnisses beachtet. 

Schon bei der Betrachtung des Inhaltsverzeichnisses stellten sich ihm die ersten Fra- 
gen. Warum werden die Altare unterschiedlich benannt, indem die Patrozinien mal im 
Nominativ („Altar St. Andreas", „Altar St. Barbara", „Altar St. Maria Magdalena", „Altar 
St. Ursula") , mal im Genitiv („ Altar St. Johannis", „ Altar St. Nicolai", „Altar St. Viti") auf- 
gefiihrt werden? Das gleiche Problem taucht auf Seite 28 sowie S. 37 ff. auf. Liegt es mog- 
licherweise an mangelnden Sprachkenntnissen? Der Verdacht wird erhartet durch Feh- 
ler ahnlicher Art, wenn beispielsweise zitiert wird „vicarius in parochiali ecclesiae Ni- 
genstadt" (S. 24) statt richtig „vicarius in parochiali ecclesia Nigenstadt" oder „ecclesia 
Nova Civitatis" (S. 73) statt richtig „ecclesia Nove Civitatis" oder „Protocollum relationis 
de visitationis ecclesiatica" (S. 182) statt richtig „Protocollum relationis de visitatione ec- 
clesiastica". 

Wissenschaftlichen Methoden entsprechend, ist der Text durchgangig mit Anmer- 



Kirchengeschichte 447 

kungen versehen. Doch an manchen Stellen fragt sich der kritische Leser, ob der Ge- 
brauch der Anmerkungen hier ausreichend, sinnvoll und richtig geschehen ist, wenn 
beispielsweise gleich im allerersten Satz festgestellt wird, dass Neustadt als Ort urkund- 
lich erstmals 1214 erwahnt wird und in der Anmerkung als „Beleg" dafurlapidar angege- 
ben wird: „Es ist strittig, ob es vorher eine Siedlung an dieser Stelle gegeben hat". Auch 
bei der dann folgenden Skizze der mittelalterlichen Ortsgeschichte fehlen sowohl Bele- 
ge wie auch weiterfuhrende Hinweise. Ohne nachvollziehbare Beweise bleibt auch die 
Behauptung, es gebe ,,urkundliche Belege iiber die Anwesenheit von Priestern" (S. 15). 
In der dazugehorigen Anmerkung werden stattdessen Behauptungen aufgestellt, die 
nach Belegen geradezu schreien. 

Urn bei den ersten Seiten zu bleiben: ,,1280 erreichten sie [die Grafen von Wolpe] . . . 
die Verlegung des erst 1274 in Ahlden gegriindeten Konventes [gemeint ist ein Kanoni- 
kerstift] nach Neustadt". In der Urkunde von 1280 ist von „canonici Nove Civitatis" bzw. 
vom „capitulum Nove Civitatis" und einmal von der „ecclesia Novae Civitatis" die Re- 
de. Es handelt sich um die erstmalige Erwahnung einer Kirche in Neustadt. Der Autor 
schlieBt daraus, dass es damals eine „geweihte Pfarrkirche" gegeben habe. Eine Vermu- 
tung wird hier wie anderswo als gesicherte Tatsache hingestellt. 

Zum Auffullen fehlender ortsgeschichtlicher Quellen werden ausfiihrlich Handbii- 
cher oder Beispiele aus anderen Orten zitiert, um am Ende den Schluss zu Ziehen, dass es 
denn auch in Neustadt so gewesen sei. Entwaffnend ist die zusammenfassende Erkennt- 
nis: „Fragt man, wie es um die kirchlichen Verhaltnisse in Neustadt a. Rbge. vor der Re- 
formation bestellt war, kann die Antwort nur lauten: 'So wie iiberall'" (S. 34.). 

Zweifel an der Beherrschung der „Fachausdrucke" kommen auf, wenn z. B. auf Seite 
145 (und im Verzeichnis auf Seite 238) „Nonobstantien" mit „Pfriinden" und die „Ewig- 
Vikarie" mit „Sinekure" gleichgesetzt werden. Manche Erklarung im „Verzeichnis der 
Fachausdrucke" stiitzt diesen Zweifel (z. B. Provision ist die Verleihung eines Anrechts 
auf ein Amt, Kanonikat ist das Amt eines Kanonikers). Dazu gehort auch die These (S. 
15), dass die „Bezeichnung als ,sacerdos' belegt, dass der Pfarrei neben einem Pleban 
(Pfarrer), dessen Namen wir nicht kennen, mindestens ein weiterer Priester, namlich 
Reinhard, angehorte". Geradezu abenteuerlich klingt die dann folgende Formulierung: 
„Ein sacerdos stand in der Rangfolge immer nach dem Pleban". 

Die Zuverlassigkeit der Quelleneditionen wurde stichprobenartig am Beispiel der 
Predigt des Kaplans Wiedenburg (S. 184-188) gepriift. Die Pruning ergab, dass der Text 
im Allgemeinen richtig wiedergegeben ist. Die Normalisierung (z.B. Gro6-/Klein- 
schreibung) ist nicht konsequent durchgefiihrt worden. Verlesungen fiihren in mehreren 
Fallen zu erheblichen Verstandnisproblemen, wenn z. B. „die glaubigen Christen ein lie- 
be Godt zum geistlichen Opfer begeben sollen" statt richtig: „die glaubigen Christen ih- 
re Leibe Godt zum geistlichen Opfer begeben sollen" (S. 185), oder wenn z. B. abge- 
druckt wird „dan wir so an Christum glauben undt ein geistliches undt von Chr[ist]o ge- 
heiligtes Priestertumb" statt „dan wir, so an Christum glauben, sindt ein geistliches undt 
von Chr[ist]o geheiligtes Priestertumb" (S. 186) u.a.m. 

Fazit: Der Autor versteht sein Werk in erster Linie als Sammlung von biographischen 
Daten. Darin ist ihm ein mustergultiger FleiB zu bescheinigen. Eine solche Sammlung 
ist jedoch nur so niitzlich wie sie zuverlassig ist. Die Zuverlassigkeit konnte nur durch 
wenige Stichproben gepriift werden. Dabei zeigten sich Mangel, die nicht unerheblich 
sind. Der wissenschaftliche Nutzen bleibt deswegen und wegen Mangel in derMethode 



448 Besprechungen und Anzeigen 

und im kirchengeschichtlichen Hintergrundwissen eher zweifelhaft. Die rechte Freude 
iiber den Besitz einer Kirchengeschichte seiner Stadt wollte deshalb beim Rez. nicht auf- 
kommen. 

Neustadt Hubert Hoing 



Findbuch zu denAkten des Konsistoriums in Stade (1652-1903) in staatlichen undkirchlichenAr- 
chiven. Bearb. von Brage Bei der Wieden, Sabine Graf und Hans Otte. Stade: Staats- 
archiv 2002. 992 S. = Veroff. der Nieders. Archivverwaltung. Inventare und kleinere 
Schriften des Staatsarchivs in Stade H. 6. Veroff. aus dem Landeskirchlichen Archiv 
Hannover Bd. 5. Kart. Zweite unveranderte Auflage. 28,- €. 

Ein Findbuch, das bereits nach kurzer Zeit in erster Auflage vergriffen ist, sucht sicher- 
lich seinesgleichen. Es belegt die unschatzbare Bedeutung dieser umfangreichen, sorg- 
faltig von drei ausgewiesenen Facharchivaren erarbeiteten und vom Staatsarchiv Stade 
verlegten Publikation. Heimatforscher, Familienforscher und Fachhistoriker werden zu- 
kiinftig unter den verschiedensten Fragestellungen mit dem Findbuch arbeiten. Erstmals 
sind alle vom Stader Konsistorium im Zeitraum von 1652 bis 1903 hervorgebrachten 
und iiberlieferten Akten - etwa 9.000 - zusammengefasst und inhaltlich erschlossen. 

Das Stader Konsistorium wurde zu Beginn der schwedischen Landesherrschaft, 1652, 
in den bis dahin geistlichen, nunmehr in der Folge des Westfalischen Friedens sakulari- 
sierten Reichsterritorien Bremen und Verden eingerichtet. Uber 250 Jahre war die 
Stader Kirchenbehorde zustandig fur die Verwaltung aller Kirchen- und Schulsachen in 
der Elbe-Weser-Region, bis sie mit der Vereinigung der Konsistorien von Hannover und 
Stade im Jahr 1903 aufgehoben und der Dienstsitz des Generalsuperintendenten fur die 
Herzogtumer Bremen und Verden nach Hannover verlegt wurde. 

Nach Auflosung des Stader Konsistoriums wurden die Akten dieser Behorde im we- 
sentlichen auf vier Archive verteilt, in denen sie sich bis heute befinden: das Landes- 
kirchliche Archiv in Hannover, das Niedersachsische Staatsarchiv in Stade, das Staatsar- 
chiv in Bremen und das Archiv des Synodalrats der evangelisch-reformierten Kirche in 
Leer (Akten zu den reformierten Pfarren Blumenthal, HolBel, Lehe, Neuenkirchen und 
Ringstedt). Erganzende Quellen finden sich im Geheimen Staatsarchiv PreuBischerKul- 
turbesitz in Berlin und im Niedersachsischen Hauptstaatsarchiv in Hannover. 

Anzumerken ist allerdings, dass ein Teil der Akten des Stader Konsistoriums nicht 
mehr erhalten ist. Dies betrifft vor allem die Unterlagen aus der Zeit der schwedischen 
Landesherrschaft (1652-1712), da das Konsistorialgebaude und mit ihm die Akten bei 
der Bombardierung Stades durch die Danen 1712 zerstort wurde. Weitere Akten ver- 
brannten 1943 bei der Zerstorung des Landeskirchenamtes Hannover wahrend eines 
Bombenangriffs. 

Dennoch: die rund 9.000 nunmehr akribisch verzeichneten und im gedruckten Find- 
buch leicht zuganglich gemachten Akten aus den vier verschiedenen Archiven bieten ei- 
ne ,Fundgrube' in vielerlei Hinsicht. Neben den allgemeinen Akten zur Behorde und zur 
Verwaltung des gesamten Kirchenwesens sind unter anderem Akten zu jeder Kirche 
und fast alien Elementarschulen des Konsistorialbezirks erfasst - mit Ausnahme der 
Stadte; Archivalien zu den unterschiedlichsten Sachbereichen wie beispielsweise zu 
Personal-, Vermogens- und Bauangelegenheiten; zu den regelmaBig durchgefiihrten Vi- 



Geschichte einzelner Landesteile und Orte 449 

sitationen; zu Gebet und Gottesdienst, zu Beichte, KirchenbuBe und Kirchenzucht; zur 
Verbesserung der Seelsorge; zu Disziplinarverfahren, Ehesachen und Gemeindearbeit. 

Dem etwa 750 Seiten umfassenden Aktenverzeichnis vorangestellt ist eine fundierte 
Einleitung mit grundlegenden Informationen zur Geschichte des Stader Konsistoriums 
und zur Uberlieferung der verzeichneten Akten, sowie mit Hinweisen auf weiterfuhren- 
de Quellen und Literatur. Ein umfangreicher Orts-, Personen- und Sachindex und eine 
Konkordanz der alten und neuen Signaturen beschlieBen das Findbuch, das zukiinftiger 
Forschung und neuen Forschungsergebnissen Tiir und Tor offnet. 

Stade Beate-Christine Fiedler 



GESCHICHTE EINZELNER LANDESTEILE 
UND ORTE 



Brucken in eine neue Welt. Auswanderer aus dem ehemaligen Land Braunschweig. Hrsg. 
von Horst-Riidiger Jarok und Elke Niewohner. Wiesbaden: Harrassowitz in Kom- 
mission 2000. 284 S. m. 139 z. T. farb. Abb. Kart. 

Der Ausstellung „Briicken in eine neue Welt" im Kornspeicher der Herzog August Bib- 
liothekin Wolfenbuttel z. Zt. der Expo 2000 und deren gleichnamigem Begleitband ging 
die Auswertung der Akten im Niedersachsischen Staatsarchiv Wolfenbuttel und in den 
wesentlichen Kommunalarchiven im Archivsprengel des ehemaligen Landes Braun- 
schweig und im Bereich der Braunschweigischen Landschaft e. V. zum Thema Auswan- 
derung voraus. Die Namen der ermittelten Personen - ca. 15.000 - sind im Katalog am 
Seitenrand alphabetisch wiedergegeben, zum Schluss die in den Akten mehrfach vor- 
kommenden Namen mit Nennung der Haufigkeit - leider ohne Uberprufung, ob ein 
und dieselbe Person in mehreren Akten auftaucht. 

Der Verfasser der Einleitung umreiBtprazise den Hintergrund fur die Massenauswan- 
derung mit ihrem Hohepunkt im 19. Jahrhundert: stetig steigende Bevolkerung seit En- 
de des DreiBigjahrigen Krieges - von knapp 10 Millionen auf 23,5 Millionen bis zum 
Jahr 1800 in Deutschland - bei gleich bleibendem Ertrag der Landwirtschaft. D. h. die 
meisten Auswanderer, die es vor allem nach Nordamerika zog, waren „Wirtschafts- 
fliichtlinge", getrieben durch den Mangel an Nahrungsmitteln, wahrend im Schrifttum 
der Behorden die Abgeschobenen iiberproportional stark hervortreten, da sie diesen 
viele Umstande bereiteten. 

Der Einleitung folgen 6 Kapitel von insgesamt 14 Verfassern; die Kapitel entsprechen 
thematisch den 6 „Stationen" der Ausstellung, in denen anhand von Gegenstanden, 
Zeichnungen, Gemalden, Fotographien und vor allem Schriftstiicken die Motive fur die 
Auswanderung aus dem ehemaligen Land Braunschweig vermittelt wurden. Die im Ka- 
talog abgebildeten Ausstellungsstiicke sind knapp beschrieben, die abgebildeten hand- 
schriftlichen Texte in der Regel sorgfaltig transkribiert, wobei die Auflosungen der Ab- 
kiirzungen durch runde Klammern gekennzeichnet sind. 

Das erste Kapitel umfasst zwei Beitrage. Im ersten stehen die aus Armut Ausgewan- 



450 Besprechungen und Anzeigen 

derten im Mittelpunkt, im zweiten eine kleinere Gruppe von Auswanderern: die poli- 
tisch Verfolgten, zu denen Burschenschaftler und Anhanger der Revolution von 1848 ge- 
horten. Im folgenden Kapitel „Sex and Crime" geht es um die Abgeschobenen: im er- 
sten Beitrag „Sex" um die Abschiebung von Vagabunden, Arbeitsscheuen, Ehebrechern 
und Prostituierten, im zweiten um die Abschiebung von Haftlingen vor allem aus der 
Besserungs- und Arbeitsanstalt in Bevern. Die Gemeinden ubernahmen oft die Uber- 
fahrtskosten, da sie zum Unterhalt dieser ,,Randgruppe" verpflichtet waren; auch die 
staatliche Seite gewahrte Zuschusse, um Kosten zu sparen. Das dritte Kapitel zeigt an- 
hand einer Reihe - uns zufallig iiberlieferter - Einzelschicksale, ob sich die Hoffnungen 
der Auswanderer erfiillten oder ob sie enttauscht wurden. Hauptquelle hierfiir sind die 
Auswandererbriefe. Im vierten Kapitel werden die Quellen vorgestellt, aus denen die 
Braunschweiger Informationen iiber Amerika gewinnen konnten: z. B. Briefe und Tage- 
biicher von Kriegsteilnehmern des Unabhangigkeitskrieges, Briefe von ausgewanderten 
Freunden und Verwandten, Werbeschriften, die sog. Amerikaliteratur wie die Tagebii- 
cher, die autobiographischen Romane und Erzahlungen und die Ratgeber von Friedrich 
Gerstacker, dem in diesem Kapitel noch ein eigener Beitrag gewidmet ist. Extra behan- 
delt wird auch die trotz vieler Anfangsschwierigkeiten gelungene Grundung der Kolonie 
Blumenau in Brasilien durch den Idealisten Hermann Blumenau; sie wird auf Dauer ein 
Beispiel fur eine Kettenauswanderung von Braunschweigern. Thema des fiinften Kapi- 
tels sind die Truppen, die Herzog Karl I. von Braunschweig auf Grund der starken Ver- 
schuldung seines Herzogtums wahrend des amerikanischen Unabhangigkeitskrieges an 
den Konig von GroBbritannien vermietete. Viele Soldaten - Angehorige der Hand- 
werksschichten und des Kleinbiirgertums - hatten sich den Truppen aus wirtschaftli- 
chen Grunden angeschlossen; von mehr als 5000 blieben ca. 2000 als Siedler in Ameri- 
ka. Das Schlusskapitel behandelt unter dem Stichwort „Riick-Wirkungen" das parallel 
zur Auswanderung zunehmende Interesse an fremden Landern, vor allem an Nord- und 
Sudamerika. Abenteuer- und Entdeckungsreisende wie Gerstacker vermittelten Kennt- 
nisse iiber die bereisten Lander, vor allem aber die zahlreichen deutschen Forschungs- 
reisenden, fur die Alexander von Humboldt Vorbild war. Der Forschungsreisende Carl 
Gotting vermachte sogar seiner Heimatstadt Braunschweig seine „gesamten ethnogra- 
phischen und andere Sammlungen". 

Eine erschopfende Behandlung der Auswandererproblematik ist - wie S. 15 hervor- 
gehoben - nicht Ziel dieser Publikation. Sie richtet sich vielmehr an ein breites Publi- 
kum, dem das Phanomen Auswanderung aus dem Herzogtum Braunschweig im 19. 
Jahrhundert auf anschauliche Weise nahe gebracht wird. Hierzu tragen neben der an- 
sprechenden Gestaltung des Kataloges vor allem bei die ca. 30 detailliert dargestellten 
Fallbeispiele unter Wiedergabe von zahlreichen Quellenausziigen. Ob Uberschneidun- 
gen (wie z. B. die Ausfuhrungen iiber Gerstacker) auf Grund deriiberlappenden Thema- 
tik der Kapitel vier und sechs hatten vermieden werden konnen, sei dahingestellt. 

Coppenbriigge Ursula-Barbara Dittrich 



Geschichte einzelner Landesteile und Orte 451 

Strathmann, Gabriele: Das ehemalige Herzogtum Braunschweig unterdemAspekt derAuswan- 
derung - bei besonderer Berucksichtigung der westlichen Landkreise Holzminden und Ganders- 
heim - von 1750 bis 1900. Braunschweig: Appelhans Verlag 2003. 384 S. Abb. und 
graph. Darst. = Beihefte zum Braunschweigischen Jahrbuch Bd. 17. Kart. 24,- €. 

Dieser Dissertation liegt die Auswertung der Aktenbestande des Niedersachsischen 
Staatsarchivs Wolfenbiittel zum Thema Auswanderung zugrunde, an der Verfasserin als 
ABM-Kraft von 1996- 1998 mitarbeitete. Erstellt wurde eine Datenbank, in der alle aus 
den Bestanden des Archivs namentlich erfassbaren Personen aufgenommen wurden, 
die aus dem ehemaligen Herzogtum Braunschweig ins iiberseeische Ausland ausgewan- 
dert sind; alle Angaben zur auswandernden Person wie Beruf bzw. Stand, Geburtsda- 
tum, mitauswandernde Personen, Wohnort oder Zielort wurden aus den Akten iiber- 
nommen. 

Im Mittelpunkt der eigentlichen Untersuchung stehen die Auswanderer aus zwei der 
insgesamt sechs - seit 1832 - bestehenden Landkreise des Herzogtums: Gandersheim 
und Holzminden; denn zum einen sind die Informationen zu den von dort Auswandern- 
den in den Akten am vollstandigsten und detailliertesten, zum anderen wanderten von 
dort die meisten Braunschweiger aus - insgesamt 7.825. 

Dieser Untersuchung stellt Verfasserin - abgesehen von der Einleitung - drei Kapitel 
voran. Im ersten gibt sie einen Uberblick iiber die interkontinentale Auswanderungsbe- 
wegung aus Gesamtdeutschland: Im 17. und 18. Jahrhundert war die Auswanderung 
nach Nordamerika vielfach religios motiviert. Da ca. 50-60% der Auswanderer die Reise 
nicht bezahlen konnten, entstand das bekannte bis 1819 bestehende Redemptionssys- 
tem - Abarbeitung der Reisekosten bei einem Dienstherrn in Amerika. Im 19. Jahrhun- 
dert trieb die Auswanderer bittere Not. Denn bei gleich bleibendem Ertrag der Land- 
wirtschaft stieg die Bevolkerung seit Ende des DreiBigjahrigen Krieges von knapp 10 
Millionen bereits bis 1800 auf 23,5 Millionen. Hohepunkte der Massenauswanderung 
waren diejahre 1846-1859, 1864-1873 und 1880-1893. 

AnschlieBend behandelt Verfasserin fur den gleichen Zeitraum nacheinander die po- 
litische, die okonomische und die soziale Entwicklung im Herzogtum Braunschweig. 
U.a. stellt sie vor den Geheimen Rat - das eigentliche Machtzentrum bis zur Ubernahme 
des Herzogtums durch Frankreich -, die franzosische Verwaltung, die erfolgreiche Re- 
volution von 1830, die „Neue Landschafts-Ordnung" vom 12.10.1832, den Liberalismus 
der achtzigerjahre - jedoch wird nicht deutlich, welche Auswirkungen diese politische 
Entwicklung auf die Auswanderungsbewegung hat. Nur zum Schluss erwahnt sie die zu- 
nehmende Einschrankung des Rechts auf Auswanderung ab 1750 und schlieBlich die 
Anerkennung der Auswanderungsfreiheitim Staatsgrundgesetz von 1832. Die okonomi- 
sche und - damit verbunden - soziale Entwicklung ist gekennzeichnet durch das iiber- 
proportional starke Anwachsen der unterbauerlichen Schichten seit Ende des 18.Jahr- 
hunderts bei gleich bleibendem Arbeitsplatzangebot: Brinksitzer, Anbauern und Haus- 
linge verfiigten - oft als Tagelohner und Handwerker arbeitend - in der Regel nur iiber 
ein Existenzminimum. Erst durch die fortschreitende Industrialisierung ab 1860 konnte 
die Armut der Unterschichten langsam iiberwunden werden; vorher blieb nur die Aus- 
wanderung aus dem Herzogtum, deren Maximum in diejahre 1844-1849 fiel. 

Thema des dritten Kapitels sind die beiden Sonderfalle von Auswanderung in der 
zweiten Halfte des 18.Jahrhunderts: Von den mehrals 5.000 Soldaten,die HerzogKarll. 
und sein Sohn, der Mitregent Karl Wilhelm Ferdinand, wahrend des amerikanischen 



452 Besprechungen und Anzeigen 

Unabhangigkeitskrieges an den Konig von GroBbritannien auf Grund der starken Ver- 
schuldung des Herzogtums vermieteten, blieben ca. 2.000 als Siedler in Amerika - 197 
allein aus den Kreisen Gandersheim und Holzminden. Sie gehorten durchweg den Un- 
terschichten an und nutzten die Chance fur einen wirtschaftlichen Neuanfang. - Anton 
Christian Friedrich Amelung, von 1773-1789 Pachter der herzoglich braunschweigi- 
schen Spiegelglasmanufaktur in Griinenplan, wanderte trotz herzoglichen Verbots 1794 
mit 40 Familien - 200 Personen - nach Nordlivland aus, denn die Glasherstellung in 
Griinenplan war auf Grund von Uberproduktion unrentabel; bei Dorpat lieB er die Glas- 
hiitte Catharine-Lisette errichten und von dort warb er mit Erfolg weitere Glasarbeiter 
an. Bis 1819 waren 100 Familien, die meisten aus Griinenplan, dorthin ausgewandert, 
eine fur Braunschweig untypische Arbeitswanderung. 

Die Auswanderung aus den beiden Landkreisen veranschaulicht Verfasserin, indem 
sie aus der Fiille des Aktenmaterials 7 Einzelfalle fur den Landkreis Holzminden und 12 
fur den Landkreis Gandersheim ausfuhrlich vorstellt. Motiv fur die Auswanderung, ob 
einzeln oder in der Gruppe, war in der Regel Not oder drohende Verarmung. Die statisti- 
sche Auswertung bestatigt dieses Ergebnis : die Mehrzahl der Auswanderer waren Hand- 
werkerund Tagelohner, die meisten waren jung - zwischen 16 bis 30Jahre alt. Am hau- 
figsten wanderten Manner allein aus, am zweithaufigsten Frauen allein. Trotz dieser 
Emigrationen stieg die Bevolkerung - unterschiedlich stark - in den einzelnen Amtern 
der beiden Landkreise zwischen 1814 und 1871. 

Unter den Auswanderern befanden sich auch Haftlinge aus der Korrektionsanstalt in 
Bevern/Landkreis Holzminden, in der nur die leichten Falle wie Vagabunden, Trinker, 
Diebe, Frauen mit „liederlichem Lebenswandel" zur sittlichen Besserung inhaftiert wur- 
den. 5 Fallbeispiele werden vorgestellt. Sie zeigen, dass man Haftlinge gerne vorzeitig 
entlieB, um sie in die USA auf Kosten der Gemeinden und des Staates abzuschieben - 
fur beide billiger als die Finanzierung der Haft. Zwischen 1844 und 1872 wurden von 
dort insgesamt 556 Gefangene - meistens Manner - zur Auswanderung entlassen, d. h. 
ihr Anteil an den Emigranten der zwei Landkreise ist verhaltnismaBig groB. 

Im Schlusskapitel steht die Reise nach Ubersee iiber Bremen und den 1830 eroffneten 
Hafen Bremerhaven im Mittelpunkt, die natiirliche Reiseroute fur die Braunschweiger: 
U.a. werden aufgezeigt die Entwicklung der Hafen, die dortigen damals sehr guten 
Uberfahrtsbedingungen sowie die Reise aus Sicht der Auswanderer anhand von deren 
Briefen. 

Die vorliegende Dissertation liefert einen guten Beitrag zur regionalgeschichtlichen 
Untersuchung der Auswanderungsproblematik. Der Schwerpunkt liegt zum einen auf 
der statistischen soziodemographischen Auswertung der Auswanderer aus den beiden 
von Armut besonders betroffenen Landkreisen des Herzogtums, zum anderen auf der 
Verlebendigung der Motive fur die Auswanderung durch die Darstellung der zahlrei- 
chen Fallbeispiele. Gelegentlich hatte man sich eine starkere Straffung gewiinscht. Z. B. 
haben die Baugeschichte von Schloss Bevern und das Schlusskapitel - zwar interessant - 
nur am Rande etwas mit der zentralen Themenstellung zu tun. 

Coppenbriigge Ursula-Barbara Dittrich 



Geschichte einzelner Landesteile und Orte 453 

Casemir, Kirstin; Uwe Ohainski undjiirgen Udolph: Die Ortsnamen des Landkreises Gbt- 
tingen. Bielefeld: Verlag fur Regionalgeschichte 2003. 533 S. = Niedersachsisches 
Ortsnamenbuch Teil 4; Veroff. des Instituts fiirHistorische Landesforschung derUni- 
versitiit Gottingen Bd. 44. Geb. 34,- €. 

Rund fiinf Jahre nach dem Erscheinen des ersten Bandes des Niedersachsischen Ortsna- 
menbuches liegt mit dem anzuzeigenden Band, der die Ortsnamen des Kreises Gottin- 
gen zum Gegenstand hat, bereits der vierte Teil dieser historisch-philologisch orientier- 
ten Ortsnamenbuch-Reihe vor. Die Verfasser scheinen mithin auf gutem Wege,ihre be- 
reits im ersten Band geauBerte Absicht, innerhalb eines iiberschaubaren Zeitrahmens 
zumindest einen groBeren Teil Niedersachsens, wenn nicht gar das gesamte Land hin- 
sichtlich seiner Orts- und Wiistungsnamen zu erschlieBen, in die Tat umzusetzen. 

Ausdriicklich gestiitzt durch die vorwiegend positive Resonanz auf die bereits er- 
schienenen Bande folgt auch der vorliegende Band im Wesentlichen der seinerzeit ein- 
geschlagenen Konzeption (S. 7). Damit die enorme Materialmenge bewaltigt werden 
und ein vertretbarer Bearbeitungszeitraum gewahrleistet werden kann, beschrankt sich 
die Quellenauswahl fiir das Niedersachsische Ortsnamenbuch im allgemeinen auf ge- 
druckte Belege, erfolgt ein zeitlicher Schnitt hinsichtlich des Erstbeleges aufzunehmen- 
der Orts- bzw. Wiistungsnamen „in den meisten Fallen zwischen 1500 und 1600" (S. 9) - 
im vorliegenden Band bei 1600 (S. 11), wird das jeweilige Bearbeitungsgebiet von den 
„heutigen administrativen Grenzen" abgesteckt (was im vorliegenden Falle zu einem 
sehr stattlichen Band gefuhrt hat). Eine kleine - aber in jedem Falle sehr zu begriiBende 
- Modifikation der Konzeption wurde allerdings fiir den Ortsnamen-Grundwort-Teil 
(S. 438-453) vorgenommen. Statt wie in den Banden 1 und 2 nur die haufigsten bzw. 
wichtigsten werden nun samtliche im Bearbeitungsgebiet vorkommende Grundworter 
zusammengesetzter Ortsnamen aufgelistet. Diese Vollstandigkeit diirfte den Gebrauchs- 
wert der Ortsnamenbiicher nicht nur fiir den interessierten Laien nochmals ein wenig 
steigern, da sehr schnell festgestellt werden kann, ob ein bestimmtes Grundwort vor- 
kommt oder nicht. Nach dem weiteren Fortschreiten der Publikation werden so die Be- 
funde groBerer raumlicher Gebiete schnell und zuverlassig verglichen werden konnen. 
Der Aufbau des Bandes, der nun schon als sich bewahrt habend einzustufen sein diirfte, 
sei kurz skizziert: An das Vorwort (S. 7-8) schlieBen sich die Abschnitte „Allgemeines 
zum Inhalt des Niedersachsischen Ortsnamenbuches" (S. 9-10), und „Hinweise zum 
Aufbau und zur Benutzung des Lexikonteiles" (S. 10-15), „Abkiirzungen" (S. 16-18) so- 
wie „Zeichen" (S. 18) an. 

Der Hauptteil des Buches, eben der Lexikonteil der Orts- und Wiistungsnamen des 
Kreises Gottingen, wie er durch die Gebietsreform von 1973/74 entstand, enthalt auf 
den Seiten21bis 435 (Wiistung Addenhusenbis Wiistung Wyckleveshuseri) rund 140 Namen 
bestehender Orte, 160 Wiistungsnamen und 30 Namen temporarer Wiistungen (gezahlt 

1 Der dritte Teil (Casemir, Kirstin: Die Ortsnamen des Landkreises Wolfenbiittel und der Stadt 
Salzgitter) erschien nahezu zeitgleich. - Dieser Band nimmt innerhalb der Reihe insofern eine 
Sonderstellung ein, als es sich urn die Dissertation der Verfasserin handelt. 

2 Ohainski, Uwe und Udolph, Jiirgen: Die Ortsnamen des Landkreises Hannover und der Stadt 
Hannover. (Niedersachsisches Ortsnamenbuch, Teil I) . Bielefeld: Verlag fiir Regionalgeschich- 
te 1998. (Veroffentlichungen des Instituts fiir Historische Landesforschung" der Universitat 
Gottingen; Bd. 37), S. VII. 



454 Besprechungen und Anzeigen 

jeweils nur Hauptansatze), sowie jeweils innerhalb einer Reihe entsprechender Ortsna- 
menartikel Abschnitte zu dem (namengebenden) Berg- bzw. Flussnamen (etwa Aspe 
bzw. Grone, Molle, Rhume, Rase und Scheie) . 

Dazu, dass auch dem Band zu den Gottinger Ortsnamen wieder der mit der gesamten 
Reihe intendierte Briickenschlag zu alien drei erklarten Zielgruppen - das sind Fachkol- 
legen, die Einwohner des jeweiligen Landkreises und dariiber hinaus alle namenkund- 
lich interessierte Laien - gelingen wird, tragt gewiss der sich an den Lexikonteil an- 
schlieBende Teil bei, den man vielleicht als fachkundlichen Anhang bezeichnen konnte. 
Er listet zunachst samtliche Ortsnamen-Grundworter des Bearbeitungsgebietes auf 
(S. 438-453; vgl. oben) und systematisiert die vorkommenden Suffixbildungen (S. 453- 
456). Beides wird durch einen zwar knappen, aber dennoch sehr instruktiven theoreti- 
schen Teil zur Wortbildung bei Ortsnamen vorbereitet (S. 437) . Den fachkundlichen An- 
hang vervollstandigt auf den Seiten 457 bis 459 die „Erlauterung einiger ausgewahlter 
Fachausdriicke". Den Band beschlieBen „Literatur-, Quellen- und Kartenverzeichnis" 
(S. 461-499) und ein fur den Benutzer sehr hilfreiches Register (S. 501-533). Nicht uner- 
wahnt bleiben soil auch die fur die Lokalisierung der behandelten Ortsnamen natiirlich 
iiberaus hilfreiche Lageskizze, die die letzte Seite sowie den hinteren inneren Einband 
einnimmt (so seit Band 2) . Darauf, dass die fur die Namendeutung wichtigen Friihbelege 
zumeist tatsachlich auch in Editionen greifbar sind und die im Interesse des Fortganges 
der Arbeiten gewahlte Konzeption der vorwiegenden Beriicksichtigung gedruckter 
Quellen so sicher vertretbar ist, wird im Abschnitt „Historische Belegformen des Orts- 
bzw. Wustungsnamens" zu Recht hingewiesen (S. 13). 

Allerdings scheint es mir aus sprachwissenschaftlicher Sicht wiinschenswert, statt der 
bloBen Namenform bei alien gebotenen Belegen einen moglichen Kurzkontext, etwa die 
prapositionale Fiigung, mit der der Ortsname in der Quelle erscheint, aufzufiihren. Ins- 
besondere bei Namen, deren Bestimmungswort Flexionsendungen aufweist oder aufwei- 
sen konnte, die aber nicht so einfach zu deuten sind wie Breitenberg, wiinscht sich der Be- 
nutzer diese Hilfe. Im Beispiel rekonstruieren die Verfasser das mutmaBliche urspriing- 
liche Syntagma ''torn breden berge, das aufzeigt, warum der Ortsname nicht etwa Breiterberg 
heiBt. In dem Zusammenhang ist auch der Artikel Bremke zu nennen. Es ist allerdings 
hinzuzufiigen, dass der Blick in die Quellen in diesen beiden Fallen nicht weiterfuhrt, 
da beide Namen in der fraglichen Zeit (1384 bzw. 1207) offenbar schon so weit verfestigt 
waren, dass das Syntagma nicht mehr erkennbar ist. Auslautendes e in der Belegreihe 
bei Dransfeld (S . 104) diirfte dazu vergleichbar auf eine Dativ-Form zuriickzufuhren sein, 
was die bloBe Form in der Reihe aber natiirlich nicht transparent machen kann. 

Warum einige objektsprachliche Namen, Worter oder Wortteile, so haufig im Ab- 
schnitt III der nummerierten Namenartikel, nicht kursiv formatiert sind, erschlieBt sich 
mir leider nicht, es wird auch nicht darauf eingegangen. Dafiir zwei Beispiele vom An- 
fang des Lexikonteiles: So sollte im ersten Wortartikel (Wiistung Addenhusen) im Ab- 
schnitt III auch das Grundwort -husen kursiv sein (das gilt auch fur die Personennamen- 
Stamme, die dort und im folgenden mit Kapitalchen formatiert werden, die aber auch 
besser kursiv sein sollten). Beim Artikel zur Wiistung Alperode erscheint das Grundwort 
unter I kursiv, unter III hingegen recte. Dass hingegen metasprachliche Kommata, etwa 
dort, wo Wortbelege gereiht werden (so bei den Aufzahlungen S. 10), hingegen mitunter 
kursiv erscheinen, ist wohl mehr ein „Schonheitsproblem". 

Gleichfalls nicht immer einheitlich gehandhabt zeigt sich die Markierung der Lange 
von Vokalen (so erscheint das Grundwort im Artikel Backenhusen beispielsweise unter I 



Geschichte einzelner Landesteile und Orte 455 

ohne Langemarkierung, unter III hingegen mit Langestrich) . In anderen Fallen ist nicht 
klar, ob etwa zwischen der Markierung altlanger und tonlanger Vokale unterschieden 
wird (fur das Niederdeutsche: altlanges -husen vs. tonlanges -hagen, wovon hier letzteres 
dann unmarkiert bliebe) , und erschlieBt sich aus dem Eintrag in der Liste der verwende- 
ten Zeichen leider nicht („a langer Vokal"; S. 18). Eine kurze Erlauterung im Instruk- 
tionsteil, welche langen Vokale markiert werden (sollen) , brachte Klarheit und erscheint 
deshalb wiinschenswert fur die weiteren Bande der Reihe. 

Die Verfasser sind mit dem vorliegenden Band zu den Orts- und Wiistungsnamen des 
Kreises Gottingen auf dem abgesteckten Wege ein weiteres gutes Stuck vorangekom- 
men. Jedem, der um die hinter einem derart stattlichen Band stehende Arbeit und Miihe 
weiB oder diese doch zumindest zu erahnen vermag, diirfte klar sein, dass der Zeitrah- 
men, in dem dieses Ortsnamenbuch entstand, als kurz einzustufen ist. Die erwahnten au- 
Berwissenschaftlichen „Schonheitsfehler" bei der Formatierung, die den wissenschaftli- 
chen Wert des Bandes natiirlich nicht schmalern (und hoffentlich auch nicht zu Verwir- 
rungen fiihren), jedoch den „Lesegenuss" ein wenig beeintrachtigen, diirften dem 
gesetzten Zeitrahmen geschuldet sein. Dem Verfasserteam gilt in jedem Falle der Dank 
aller an den Orts- und Wiistungsnamen des siidlichen Niedersachsens Interessierten. 
Dem Band mochte man eine weite Verbreitung wiinschen, die ihm als einem ausge- 
zeichneten Arbeitsmittel - im Einzelfall auch fur weitere Diskussionen - gerecht wird. 

Goslar MaikLEHMBERG 



Hillmann, Jorg: Territorialrechtliche Auseinandersetzungen der Herzbge von Sachsen-Lauen- 
burg vor dem Reichskammergericht im 16.Jahrhundert. Frankfurt am Main, Berlin, Bern, 
Brtissel, New York, Wien: Lang 1999. 582 S. m. 10 Abb., 4 Tab., 2 Diagr., 8 Karten so- 
wie 1 Faltblatt in einerTasche im Anhang. = Rechtshistorische Reihe Bd. 202. Kart. 

Diese Arbeit - obschon vor einiger Zeit erschienen - verdient, hier noch angezeigt zu 
werden, weil sie Landesgeschichte eines dem Herzogtum Braunschweig-Liineburg be- 
nachbarten, spaterhin mit ihm auf iiber 100 Jahre vereinigten, im historischen Sprachge- 
brauch durchaus „niedersachsischen" Territoriums in forschungsaktueller Thematik 
ausbreitet. Das Herzogtum Sachsen-Lauenburg, aus dem Erbe Heinrichs des Lowen 
den Askaniern zugefallen, nicht mehr als ein „kaiserfernes" Duodezfurstentum im Ver- 
bande des Heiligen Romischen Reichs und von begrenzter Lebensdauer, hat gleichwohl 
das Interesse landesgeschichtlicher Forschung auf sich gezogen. Werke von E. Schulze 
(1957), W. Prange (1960) und A. von Reden (1974) seien beispielhaft genannt; neuerlich 
zeugen Schriftenreihen der Stiftung Herzogtum Lauenburg und der Lauenburgischen 
Akademie fur Wissenschaft und Kultur von einer eigenstandigen regionalen For- 
schungs- und Publikationstatigkeit auch und gerade auf landesgeschichtlichem Gebiet. 

Was allerdings das Thema der vorliegenden Arbeit und die Schriftenreihe, in der sie 
erschienen ist, vermuten lassen ktinnten, trifft nicht zu: es handelt sich nicht um eine 
rechtshistorische, sondern um eine im Fachbereich Padagogik der Universitat der Bun- 
deswehr Hamburg angefertigte Dissertation. Der Verf. sieht seine Arbeit ausdriicklich 
„schwerpunktmaBig der Landesgeschichte verhaftet", mochte die Akten des Reichs- 
kammergerichts (RKG) vornehmlich als „historische Quellen", nicht als „Rechtsquel- 
len" verstanden wissen (S. 22). Allzu viel Gewicht sollte man freilich solchen Abgren- 



456 Besprechungen und Anzeigen 

zungen (weitere auf S. 25, 64 Anm. 45 und mit Kritik auf S. Ill) angesichts der Fragestel- 
lungen des Verf. nicht beimessen. Sie machen Sinn bei der Intention des Verf., 
„iiberregionale Strukturen und Beziehungsgeflechte in der Geschichte des Herzogtums 
Sachsen-Lauenburg im 16Jahrhundert zu erfassen und das Verhaltnis des Herzogtums 
zu seinen Territorialnachbarn und dem Reich zu beschreiben". Sie werden aber fragwiir- 
dig, wenn der Verf. in einem quantifizierenden Teil ausgewahlte Daten seiner lauenbur- 
gischen Prozesse mit denen vergleicht, die F. Ranieri in seiner rechts- und sozialge- 
schichtlichen Analyse der Tatigkeit des RKG im 16.Jahrhundert (1985) - freilich auf an- 
dere Weise - fiir die Reichskreise ermittelt hat. Sie werden beiseite gelassen, wenn der 
Verf. der Frage der Rezeption des romischen Rechts im Elbherzogtum im Zusammen- 
hang mit der Einrichtung eines Hofgerichts und des damit verbundenen Appellations- 
weges zum RKG nachgeht. Entscheidender diirfte sein, ob der Verf. sich das Riistzeug 
fiir Verstandnis und Interpretation der in den Prozessakten nun einmal vorliegenden, ge- 
wiss nicht einfachen Rechtsmaterien angeeignet hat. Die heute umfangreich zu Gebote 
stehende RKG-Literatur - und nicht anders die lauenburgische landes- und die reichsge- 
schichtliche Literatur - hat er sich jedenfalls griindlich erarbeitet: Forschungsstand und 
-ergebnisse finden wir im Text und in z.T. sehr ausgedehnten, ja seitenfullenden FuBno- 
ten breit - gelegentlich ausufernd auf Randthematik - referiert und diskutiert. Mit der 
gleichen Griindlichkeit hat er sich seine Quellengrundlage in Archiven von Kopenha- 
gen bis Wien verschafft - vorzuglich aus den RKG-Bestanden in Schleswig, Liibeck, Sta- 
de, um hier nur die zentralen Fundorte zu nennen. In Summa hat er 34 Prozesse ermit- 
telt, bei denen die Herzoge von Sachsen-Lauenburg vor dem RKG als Klager aufgetre- 
ten sind, 89 (Zitations- und Mandats-)Prozesse, die gegen die Herzoge gefiihrt worden 
sind, und 43 Appellationsprozesse, die von Angehorigen des Herzogtums Sachsen-Lau- 
enburg vor das RKG gebracht worden sind. Der Erhebungszeitraum erstreckt sich iiber 
die Spanne von 1495, dem Griindungsjahr des RKG, bis 1619, dem Todesjahr von Her- 
zog Franz II.; tatsachlich beginnt der friiheste Prozess 1518 mit einer Klage des kaiserli- 
chen Fiskals gegen Herzog Magnus I. von Sachsen-Lauenburg; das Ende mancher Pro- 
zesse bzw. der ihnen zugrunde liegenden Streitsache kann durchaus jenseits desjahres 
1619 liegen. 

Nicht alle, aber die Mehrzahl dieser Prozesse haben primar oder im weiteren Verlauf 
oder iiberhaupt nur im Hintergrund territoriale Auseinandersetzungen zum Gegen- 
stand, das gilt sowohl fiir die Zitations- und Mandatsprozesse unter Beteiligung der Her- 
zoge wie fiir die Appellationsprozesse aus dem Herzogtum (nur das Land Hadeln macht 
hier eine Ausnahme) . Belegt wird das freilich erst im quantifizierenden Teil. Ihm vorweg 
geht ein darstellender Teil, in dem Verf. die territorialen Konflikte im 16. Jahrhundert, 
geographisch gegliedert, aber jeweils in ihrem ganzen ereignisgeschichtlichen Ablauf 
behandelt. Man braucht sich nur die zwei beigefiigten Karten des Herzogtums Sachsen- 
Lauenburg um 1500 und 1619 anzuschauen, um das Konfliktpotential zu erahnen, das 
aus der Zersplitterung des Landes - das Stammterritorium nordlich der Elbe, davon 
durch fremdes Gebiet getrennt das Amt Neuhaus (Land Darzing) und das Land Hadeln 
- sowie aus der Einkreisung durch machtige und wirtschaftsstarke Territorialnachbarn 
resultieren konnte. Tatsachlich hatte die Schwache des askanischen Hauses bereits in 
den friiheren Jahrhunderten zu einer empfindlichen Schmalerung der territorialen Basis 
gefiihrt, so gingen die Vierlande (Amt Bergedorf) an die Hansestadte Hamburg und Lii- 
beck auf Dauer verloren und konnte Liibeck die im Zuge seiner Landgebietspolitik er- 
worbenen Exklaven im lauenburgischen Stammterritorium, namentlich Stadt und Vog- 



Geschichte einzelner Landesteile und Orte 457 

tei Molln, behaupten. Zu den territorialen Konfliktfeldern, denen sich Herzog Magnus 
I. am Anfang seiner Alleinregierungszeit (1507) gegeniibersah, kam als weitere „Erblast" 
innenpolitisch eine desolate Finanzlage des kaum durchorganisierten Herzogtums hin- 
zu, die einer bereits im 15. Jahrhundert aufgenommenen Riickerwerbspolitik der Herzo- 
ge enge Grenzen zog. Sie verscharfte sich im Verlauf des 16. Jahrhunderts, was die Her- 
zoge zu immer weitergehenden Verkaufen und Verpfandungen von Landbesitz an den 
inlandischen Adel und an auswartige Fiirsten zwang und zu Beginn der 70erjahre zum 
„Kollaps" der herzoglichen Finanzen fiihrte. Als Folge hiervon kam es zu Auseinander- 
setzungen innerhalb des sachsen-lauenburgischen Hauses. Die dadurch entstandene 
heillose Krisensituation des Herzogtums konnte nur durch das massive Eingreifen des 
Reichs behoben und durch den kaiserlichen Provisionalabschied von 1585 einer Ge- 
samtlosung zugefiihrt werden. 

Diese hier nur angedeuteten strukturellen Probleme schickt der Verf. voraus, ehe er 
auf S. 170 zu seinem eigentlichen Thema kommt. Getreu seiner landesgeschichtlich aus- 
gerichteten Leitlinie folgend, entwickelt er die Territorialkonflikte im Kontext politi- 
scher Ziele und Interessen der lauenburgischen Herzoge genetisch von den Ursachen 
bzw. Anlassen iiber ihre Wendungen und Verzweigungen bis zu ihrer oft fernen Beile- 
gung. Die prozessuale Auseinandersetzung vor dem RKG stellt sich auf diese Weise als 
nur ein, wenn auch der hier zentral im Blickpunkt stehende Weg der Konfliktbewalti- 
gungdar. Oftgenughatja auch dieservom Reich geschaffene „Konfliktbewaltigungsme- 
chanismus" insofern versagt, als ein Prozess ohne Abschluss im Nichts versandete, weil 
das Interesse der Parteien an einer Fortsetzung im oder durch Ablauf der Zeit erloschen 
war. Prozesspartei in den hier behandelten Territorialstreitigkeiten waren immer die 
Herzoge von Sachsen-Lauenburg, mal als Klager, mal als Beklagte. Auf derjeweils ande- 
ren Seite standen ihnen gegenuber: die Bischofe von Ratzeburg, seit 1554 die Herzoge 
von Mecklenburg als Administratoren des Bistums; die Erzbischofe von Bremen (Haupt- 
streitfall Land Wursten) sowie die Stadte Bremen und Hamburg als Nachbarn des Lan- 
des Hadeln; die Herzoge von Mecklenburg (nur mit zwei Prozessen vertreten); die Her- 
zoge von Holstein; die Stadte Hamburg und Liibeck als gemeinschaftliche Besitzer des 
Amtes Bergedorf; die Hansestadt Liibeck allein (Streitfalle u.a. der Besitz des Klosters 
Marienwohlde, Fischereigerechtigkeiten auf dem Ratzeburger See, Liibecker Exklaven 
im Herzogtum, wobei der Streit um Stadt und Vogtei Molln nur mit einem Ausblick ins 
spatere 17. Jahrhundert beruhrt wird, da Sachsen-Lauenburg seine Anspriiche voriiber- 
gehend an Schleswig-Holstein-Gottorf abgetreten hatte; die Sache wird endgiiltig erst 
1747 durch Staatsvertrag zwischen Kurhannover und Liibeck beigelegt). Obgleich das 
Herzogtum Braunschweig-Liineburg mit dem siidlich der Elbe gelegenen Teil Sachsen- 
Lauenburgs durchaus eine ausgedehnte gemeinsame Landgrenze hatte, sind territoriale 
Streitigkeiten zwischen beiden im Untersuchungszeitraum offenbar nicht vor das RKG 
gelangt. Vermutlich erklart sich dadurch das weitgehende Misslingen dieses Kapitels. 
Mit ausnahmsweise hier anzutreffender unzulanglicher Literaturkenntnis ergeht sich 
Verf. in iiberflussigen Ausfiihrungen iiber die dynastischen Verhaltnisse der „Herzogtii- 
mer Braunschweig-Liineburg in Liineburg und in Wolfenbiittel". Das Fiirstentum Wol- 
fenbiittel hatte getrost ganzlich unerwahnt bleiben konnen, da lediglich das Fiirstentum 
Liineburg/ Celle und die Nebenlinie Dannenberg an sachsen-lauenburgisches Gebiet 
angrenzte. In das Niedersachsische ragen indessen sehr spezielle Auseinandersetzungen 
um den Besitz des nordwestlich von Molln gelegenen Dorfes Kiihsen, das, im Allodialbe- 
sitz des Klosters Loccum befindlich, zum Streitobjekt mit Sachsen-Lauenburg vor dem 



458 Besprechungen und Anzeigen 

RKG wurde. Gleiches gilt fur die von Sachsen-Lauenburg wiederholt, doch letzten En- 
des vergeblich reaktivierten Anspriiche auf die Halfte derBurg Sachsenhagen sowie auf 
die Klenckeschen Giiter bei Rinteln: die Streitigkeiten mit den Grafen von Schaumburg 
fiihrten jeweils bis zum RKG, ohne hier ihren Abschluss zu finden. 

In einem nachfolgenden Teil richtet der Verf. dann noch sein Augenmerk auf die aus 
dem Herzogtum heraus gefiihrten Appellationsprozesse, d.h. es werden zunachst die in 
der zweiten Halfte des 16. Jahrhunderts neu geschaffenen Voraussetzungen hierfiir ge- 
schildert: die Organisation der Gerichtsverfassung im Herzogtum, insbesondere der Er- 
lass einer Hofgerichtsordnung, die Etablierung eines Hofgerichts und eines Konsistori- 
algerichts sowie eines Instanzenzuges bis zum RKG, der dadurch eroffnete Eingang des 
romischen Rechts in Sachsen-Lauenburg und dessen Konkurrenz mit dem sachsischen 
Gewohnheitsrecht. Dann werden die vom Verf. ermittelten Appellationsprozesse, unter- 
schieden nach Stammland und Land Hadeln, jahrweise listen- und tabellenmaBig er- 
fasst, „um so ein umfassendes Bild der Rezeption des romischen Rechts auf der Grundla- 
ge der Nutzung des RKG zeichnen zu konnen". Eine Gesamttabelle endlich weist jahr- 
weise von 1495 bis 1619 die Zahlen der aus dem Herzogtum an das RKG gelangten 
Mandats-, Zitations- und Appellationsprozesse nach. Ihnen zur Seite gestellt sind auf Ra- 
nieris Untersuchungen fuBende Zahlen fur den Niedersachsischen Kreis und das Reich 
sowie vom Verf. ermittelte Zahlen der vor dem Reichshofrat gefiihrten Prozesse. 

An dem vorliegenden Werk bestechen die ungewohnliche Breite der Quellengrundla- 
ge und die profunde Kenntnis der allgemeinen, landesgeschichtlichen und rechtshistori- 
schen Literatur, auf die der Verf. aufbauen kann. Indes hat ihn ersichtlich die Fiille des 
zusammengetragenen Stoffes zu dem ehrgeizigen Ziel verlockt, auf allzu viele derzeit in 
der Forschung aktuellen Fragestellungen, bezogen auf sein Untersuchungsgebiet, Ant- 
worten geben zu wollen. Ihm schwebt die Idee vor, „ein Gesamtbild des Herzogtums 
Sachsen-Lauenburg im 16. Jahrhundert zu zeichnen" (S. 24, 501); zugleich will er eine 
Geschichte der lauenburgischen Herzoge geben (S. 501); die Quantifizierung der RKG- 
Prozesse aus dem Herzogtum soil im Vergleich mit dem Reich territorialspezifische Ab- 
weichungen odergleichgerichtete „Trends" erweisen (S. 26); die Frage nach der Rezepti- 
on des romischen Rechts in Sachsen-Lauenburg soil beantwortet werden (S. 28) usw. Ei- 
ne Konzentration auf das im Titel formulierte Thema hatte der Arbeit mehr Dichte, 
Okonomie und Stringenz des Gedankenganges verliehen. Erschwerend fiir das Ver- 
standnis kommt eine Neigung des Verf. zu einer unprazisen, gelegentlich fast krypti- 
schen Ausdrucksweise und zu sprachlichen Nachlassigkeiten hinzu, die sich Stilbliiten 
leistet wie „binnenterritoriale Nachbarn", „verzahnte Herrscherhauser", „territorial ge- 
dachter Vertikalschnitt" „eine Frage abschlagig beantworten". Mit auffallender Vorliebe 
benutzt Verf. Mode- bzw. Schlagworter wie „Konfliktsbewaltigungsmechanismen", 
„Schnittstellenbetrachtung", „das Wendejahr 1420", „Verteilungskampfe", „gewaltbe- 
reit", „Grundversorgung". Zu beanstanden sind unzutreffend erklarte oder gebrauchte 
juristische Begriffe: Anklagevertreter, -schrift, -erhebung, Verteidigung, Rechtsanwalte 
sind dem Strafprozess entnommen, Prozessnebenakte meint das der RKG-Prozessakte 
regelmaBig beiliegende Protokoll, „gebrechen" sind keine Verbrechen, sondern Streit- 
punkte, spoliierte Besitzungen sind nicht beschlagnahmte, sondern geraubte, „Vidicatt": 
ein dem Rez. unbekanntes Wort, die Fiigung „allodialer Lehnsbesitz" ist ein Wider- 
spruch in sich (Allod = freies Eigen, Lehnsbesitz = gebundenes Besitzrecht). Wenn 
abschlieBend aus alledem ein Fazit gezogen werden soil: Das Buch verdient fiir seine 
quellenintensive Darstellung des im Titel vorgegebenen Themas voile Anerkennung. 



Geschichte einzelner Landesteile und Orte 459 

Seinen dariiber hinausgehenden Intentionen ist entgegenzuhalten: weniger ware mehr 
gewesen. 

Wennigsen Christoph Gieschen 



Linnemeier, Bernd-Wilhelm: Jtidisch.es Leben im Alten Reich. Stadt und Furstentum Min- 
den in der Friihen Neuzeit. Bielefeld: Verlag fur Regionalgeschichte 2002. 831 S. = 
Studien zur Regionalgeschichte Bd. 15. Geb. 49,00 €. 

Die vorliegende Arbeit ist das Ergebnis eines von der Volkswagen-Stiftung geforderten 
Forschungsprojekts beim Seminar fur Volkskunde/Europaische Ethnologie der Westfa- 
lischen Wilhelms-Universitat Minister. Diese zunachst etwas ungewohnliche Herkunft 
der Monographie macht sich im Weiteren jedoch nicht aufgrund besonderer, der Volks- 
kunde oder Ethnologie verpflichteter Fragestellungen oder Methodikbemerkbar. Es ist 
eine klassische, sehr detailreiche und auf breiter Quellenbasis aufgebaute Untersuchung 
iiber die Geschichte derjuden in Stadt und Furstentum Minden. Der Titel und die zeitli- 
che Eingrenzung verweisen auf den Forschungsschwerpunkt der Volkswagen-Stiftung. 
Daher resultiert wohlmoglich auch die Ausklammerung der wenigen hochmittelalterli- 
chen Zeugnisse jiidischen Lebens in diesem Raum, die allerdings in anderen Untersu- 
chungen bereits Eingang gefunden haben. In zwei chronologischen Schnitten vom Ein- 
schnitt der Schwarzen Pest um 1350 bis zur Eingliederung des Territoriums unter die 
brandenburgisch-preuBische Oberhoheit 1650, und von 1650 bis zum Ende des Alten 
Reichs 1806 (mit einem Zwischenschrittum 1740) werden die wichtigen Fragestellungen 
nach der Entwicklung jiidischer Siedlungen, Herkunft und Migration derjuden, rechts-, 
wirtschafts- und alltagsgeschichtliche Aspekten ihres Lebens eingehend abgehandelt. 
Im zweiten Teil ist noch ein Kapitel iiber ihre Stigmatisierung hinzugefiigt. 

Es fallt auf, wie reichhaltig vor allem die lokale Uberlieferung ist und wie eingehend 
der Autor die zahlreichen, zerstreut liegenden Quellen in Munster, Berlin, Hannover, 
Minden und einigen kleineren Stadtarchiven studiert und in ihren vielfaltigen Aussage- 
moglichkeiten ausgewertet hat. Auch ein Blick auf vergleichbare Entwicklungen in den 
Nachbarterritorien, wie die Grafschaften Hoya und Diepholz im Norden, das Herzog- 
tum Calenberg und die Grafschaft Schaumburg im Osten, die Grafschaften Lippe und 
Ravensberg inkl. Fiirstabtei Herford im Siiden sowie das Hochstift Osnabriick im Wes- 
ten wird immer wieder geworfen. Der Verfasser bietet also eine iiber das engere Territo- 
rium hinausgehende Untersuchung der Bedingungen jiidischen Lebens, was angesichts 
der Mobilitat derjuden und ihrer weit greifenden Verwandtschaftsbeziehungen einer- 
seits sowie der Orientierung der von auBen wirkenden Krafte, seien es Landesherren, 
Stadtherrschaften oder geistliche Einrichtungen andererseits auch von immenser Be- 
deutung fur das richtige Verstandnis der damaligen Politik und der Reaktion derjuden 
darauf ist. So kann Linnemeier aus fundierter Quellenkenntnis und weitsichtiger Per- 
spektive zu einem abgerundeten Bild seines Untersuchungsgegenstandes kommen. 

Dabei enthiillen seine Erkenntnisse trotz deutlicher Spitzen gegen die mangelnde 
und z.T. fehlerhafte Quellenauswertung durch friihere Forschungsarbeiten an sich nur 
wenig Uberraschendes, da die genannten Entwicklungen schon aus anderen Untersu- 
chungen nicht nur benachbarter Territorien (z.B. Ries zu Calenberg, Deventer zu Cor- 
vey oder Kosche zu Westfalen), wenn auch unter zeitlicher Verschiebung und mit ande- 



460 Besprechungen und Anzeigen 

ren Akzenten, bekannt sind. Die Untersuchung zu Minden ist in erster Lime als ein wei- 
terer (im iibrigen gewichtiger) Mosaikstein zum Verstandnis des Verhaltnisses zwischen 
Christen und Juden in der Friihen Neuzeit in den Territorien des Alten Reichs zu verste- 
hen. Dazu gehoren die bleibende Verwurzelung der Juden im Kleinkredit- und Pfand- 
leihgeschaft wie im Warenaustausch innerhalb der Region ebenso wie die steten Ausein- 
andersetzungen mit dem Knochenhaueramt bzgl. der Schlachterlaubnisse oder die Aus- 
bildung eines in das landesherrliche Machtgefiige eingepassten und in seinen Diensten 
stehenden Vorsteheramts derjudenschaft. 

Einige Beobachtungen zeigen jedoch regionale Besonderheiten auf, so der Preziosen- 
handel einiger jiidischer Handler wie Salomon Gans und Meyer Wallich oder die Beteili- 
gung Berend Levis an der Pragung minderwertiger Silbermiinzen mitten in der Zeit des 
DreiBigjahrigen Krieges, die auch zur Absicherung ihrer Positionen gegenuber lokalen 
Gewalten vor Ort in diesergefahrdeten Zeit dienten (S. 191-195 bzw. 577-582). Folgenrei- 
cher war die von Friedrich Wilhelm I. von Brandenburg-PreuBen veranlasste Zwangs- 
umsiedlung der im landlichen Raum des Fiirstentums lebenden Juden in die akzise- 
pflichtigen Stadte und Flecken in denjahren 1714-16, die die Entwicklung des Landju- 
dentums in Minden fur knapp ein Jahrhundert bis zum Emanzipationsdekret von 1808 
unterbrach (S. 413-418), einer MaBnahme, die der koniglichen Kasse allerdings nicht 
den erwiinschten Zuwachs an Einnahmen erbrachte. Die kurz zuvor aufgestellten 
Schutzpatente fiir die Judenschaft der Stadt Minden und „auf dem platten Lande" nutzt 
Linnemeier fiir eine tabellarische Darstellung der Haushalte mit Geleitsbezug und Her- 
kunfts- bzw. Geburtsnachweis in den Stadten und Amtern des Fiirstentums. Gegen die 
friihere Lehrmeinung, dass unter Brandenburg-PreuBen auch in dessen Provinzen erst- 
malig ein ,moderner', funktionierender Verwaltungsaufbau entstanden ist, zeigt er pla- 
kativ dessen Ineffizienz angesichts der Verwaltung weniger jiidischer Familien in derfer- 
nen, neu erworbenen Provinz Minden auf (S. 447-456). Diese Erkenntnis ist wieder ein 
Beleg dafiir, welchen Wert die Beschaftigung mit der Geschichte der Juden als Indikator 
fiir die Gesamtentwicklung eines Territoriums beizumessen ist. 

Die Untersuchung wird durch eine sehr kurz gehaltene Schlussbetrachtung und ein 
Literaturverzeichnis, Personen- und geographisches Register abgeschlossen. Linnemei- 
er verlasst sich in seiner Untersuchung abgesehen von den genannten Tabellen ganz auf 
den narrativen Text. Eine kartographische Darstellung der Siedlungsentwicklung oder 
eine topographische Verortung der jiidischen Haushalte im Stadtgefiige fehlen leider 
trotz der guten Quellenlage. Auch eine Genealogie der wichtigsten und immer wieder 
im Text vorkommenden Familien seines Untersuchungsgebiets hatte eine hilfreiche Ori- 
entierung geboten. Ganz unverstandlich ist es schlieBlich, dass einer so quellenfundier- 
ten Darstellung kein eigenes und fiir eine wissenschaftliche Untersuchung eigentlich un- 
erlassliches Quellenverzeichnis beigefiigt ist. Diese Mangel triiben ein wenig den insge- 
samt guten Eindruck, den die Untersuchung als wesentliche Erganzung der bestehenden 
Forschungen zur Geschichte der Juden im norddeutschen Raum bietet. 

Rom Thomas Bardelle 



Geschichte einzelner Landesteile und Orte 461 

Die Urkunden des Neustadter Landes.Bd. 1: 889-1302. Zusammengestellt von Klaus Fesche. 
Bearb., iibers. u. eingeleitet von Annette von Boetticher. Im Auftrag des Museums- 
vereins Neustadter Land. Bielefeld: Verlag fur Regionalgeschichte 2002. 303 S. m. 8 
Farbtaf. u. 2 Kt. = Quellen zur Regionalgeschichte Bd. 8. Geb. 24,- €. 

Lebt man in Bordenau, ist es eine freundliche Bemerkung wert, dass das Buch mit einer 
Urkunde zu Bordenau beginnt und mit einer zu Bordenau endet. Es bedeutet, dass die 
chronologisch erste Urkunde des behandelten geografisch-politischen Raums von Bor- 
denau handelt. Die Autoren folgen damit der Forschung, die den Ortsnamen Portanaha 
mit Bordenau identifiziert. Lokalpatrioten werden auch die Ubersetzung von „curtis 
Portanaha" mit „K6nigshof Bordenau" befriedigt zurKenntnis nehmen. Allerdings wiir- 
de der Zusatz „regis" in der Urkunde die Ubersetzung zwingender machen. 

Uberhaupt zeichnet sich die Quellenedition durch viel Frische aus. Bei Urkunde 9 
z.B. erledigt sich das Problem des Ubertragungsortes durch die Kennzeichnung als unle- 
serlich. Eine friihere Edition war noch auf Rettene (Wustung bei Bordenau) gekommen. 
Die Ubersetzung von: „Facta sunt autem hec Osterlinde" mit „Geschehen ist dies zu 
Osterlinde" diirfte kaum zutreffend sein, da Osterlinde ein Stadtteil von Salzgitter ist 
und der Bischof von Minden kaum auf dem Gebiet des Hildesheimer Bischofs fur 
Wunstorf geurkundet haben diirfte. Dass es sich bei Osterlinde um den Namen der Ab- 
tissin handeln konnte, hatte schon Dobbertin 1967 konzediert. Auch an dieser Stelle 
konnten die Autoren zwei Buchstaben nicht mehrlesen, was den Deutungsspielraum er- 
weitert. Hier liegt die Vermutung nahe, dass die Edition doch unter einem zu groBen 
Zeitdruck gestanden haben konnte, was die Autoren durchaus auch zugestehen (S.31). 
Immerhin lernt man aus Urkunde und Ubersetzung, dass es auch Probstinnen (preposi- 
tissa) gab. Das in der Urkunde verfugte Vermachtnis des Bischofs, dass das erwahnte 
Bordenauer Gut den Wunstorfer Stiftsfrauen jahrlich „zwei Malter Weizen, zwei Malter 
Roggen, 15 MaB Gerste, 200 Heringe, 6 Pfennige fur Wachs" geben soil, soil ewig gelten, 
da der Bischof ausdriicklich vorschreibt, dass sich an diesen Angaben nichts andern 
darf. Vierhundertjahre sparer ist aber von Weizen nicht mehr die Rede. Es kommen nur 
noch Roggen, Gerste und Hafer vor. Das mag daran liegen, dass seit dem 12. Jahrhun- 
dert das Klima rauer geworden ist. Interessant ist auch, dass die Ubersetzerin aus „sigili- 
nea" (wohl fur siliginea) Roggen macht, obwohl 1124 eigentlich Winterweizen gemeint 
ist. Die gemeinte Gerste, „braccium", iibersetzt von Boetticher im Glossar mit „MaB 
Gerste (zum Brauen)". Gerste an sich heiBt „hordeum". 

Urkunde 8 wiederum nennt als Zeugen der Beurkundung die Adligen Kersten de Lo- 
ne (Christian von Lohe) und Theodericus de Adenessen (Dietrich von Adensen), was be- 
weist, dass ihrer beider Familien zwischen 1120 und 1140 existierten. Ein schones Bei- 
spiel fiirgute editorische Arbeit ist Urkunde 148. Hier vervollstandigen die Autoren das 
nicht mehr ganz lesbare Datum, indem sie auf die Regierungs- bzw. Lebenszeiten der in 
der Quelle erwahnten Herrscher zuriickgreifen und im Ausschlussverfahren zur 
prazisen Bestimmung kommen. Mit dem geografischen Problem, wo „in campo Borde- 
no" war, hatten sie sich nicht zu beschaftigen. 

Analog kann ein ahnliches Problem durch die Quellenedition natiirlich nicht gelost 
werden: das der Identifizierung des Flusses Bordenau, der in Nr. Ill erwahnt wird. Am 
25. April 1260 iibertragenjohannes von Brunnighausen und seine Schwester Hedwig ih- 
ren Besitz u.a. ostlich „a flumine Bordenou et Minda" dem Bistum Minden. Da die Be- 
urkundung in Wunstorf geschieht und die anwesenden Zeugen (z.B. Graf Ludolf von 



462 Besprechungen und Anzeigen 

Wunstorf, Bernhard von Lohe, Herbert und Johannes von Mandelsloh, Konrad von 
Eckerde) aus der Gegend kommen, miisste ihnen der heute nicht mehr bekannte Fluss 
gegenwartig gewesen sein. 

Schon 1216 macht Johannes von Briinnighausen (ein nicht identifizierter Ort) dem 
Kloster Mariensee eine Schenkung zum Seelenheil seines verstorbenen und in Marien- 
see begrabenen Bruders. Unter den Zeugen war Widekind von Lohe. Mit der spateren 
Ubertragung betreibt Johannes offenbar Altersvorsorge, denn er erhalt jahrlich 10 Mark 
Unterhalt bis zu seinem Lebensende. In der Einleitung erfahrt man auf unbelastete Wei- 
se von „mancipia" (Unfreie) und „liberi" (Freie), ,,Liten" (Horige), „ministri" (Dienstleu- 
te) und „mundiburdus" (Muntherr) (S.21-22). 

Lobend hervorzuheben ist der historische Uberblick von Anette von Boetticher, in 
dem sie u.a. darauf verweist, dass in derDiozese Minden das neuejahr am 25. Dezember 
begann. Bei Tagesangaben zwischen diesem Tag und dem 31. desselben Monats muss 
daher das Jahr um eins zuriickdatiert werden. Dieser Umstand ist offensichtlich fur Ur- 
kunde 169 zu berucksichtigen, die am 26. Dezember 1219 (1218) oder 1270 (1269) ausge- 
stellt worden sein soil. An derjahreszahl wurde manipuliert. Das Dokument mit bescha- 
digtem Siegel befindet sich auf dem Gut Eckerde. Es handelt sich um die letzte in die Pu- 
blikation aufgenommene Urkunde und die erste dort erscheinende in deutscher 
Sprache. Sie existiert in mehreren Abschriften aus den Jahren zwischen 1200 und 1302. 
Von Boetticher legt die offensichtliche Falschung in das 15. Jahrhundert, indem sie au- 
Ber der fur das 13. Jahrhundert unwahrscheinlichen Benutzung der deutschen Sprache 
(allerdings miissten die gleichen Bedenken auch gegen die um 1220 datierte Urkunde 
Nr. 33 gelten) die Erwahnung der Guldenwahrung, die „individuell ausgepragte Schrift 
und die auffallende Verdoppelung des auslautenden n" ins Feld fiihrt (S. 241 Anm. 219). 
Auffallig ist auch, dass der Stifter einer Eigenkirche, Arnold von Lohe, in dem Dokument 
keine Angaben zu seinem gesellschaftlichen Status macht. Das geschieht erst 1306 in 
einer ebenfalls unechten Urkunde, in der er sich als Ritter bezeichnet. Diese wird aber 
erst in einem zweiten Band der Edition zu lesen sein. Dort wird man dann moglicher- 
weise Aufschluss dariiber erhalten, ob die Wunstorfer Abtissin Jutta, wahrend sie das 
Patronatsrecht an die von Campen verlieh, gleichzeitig eine Eigenkirche (Kapelle) an 
sich zog. 

Zu erwahnen ist auch derniitzliche Hinweis, dass die „anfangs selbstverstandliche en- 
ge Beziehung zwischen Zehntem und Pfarrkirche" seit der Karolingischen Gesetzge- 
bung „in den folgenden Jahrhunderten verloren gegangen" war, da adlige Kirchenher- 
ren ihn „in ihren Besitz gebracht" hatten (S.24). Die intensive Beschaftigung mit dem In- 
halt der Urkunden erlaubt es den Autoren dariiber hinaus auf Zusammenhange 
hinzuweisen, die sonst jeweils individuell neu herausgearbeitet werden miissten. Z.B. 
lassen die Urkunden den Schluss zu, dass Neustadt zum Loingau, Bordenau aber wie 
Wunstorf und Garbsen zum Marstemgau gehorte; ein Umstand, der fur spatere raumli- 
che Neuordnungen von Bedeutung wird, auch wenn die Grenze damals keine hohe 
Signifikanz hatte. 

Auch wird die Entmachtung des Grafen von Roden durch die beiden Starkeren, den 
welfischen Herzog und den Bischof von Minden, schon geschildert und in diesem Zu- 
sammenhang mit Urkunde 158 darauf hingewiesen, dass mit der Attitude der Siegerju- 
stiz schon 1299 „iiber die kiinftige Stellung von Bordenau verhandelt wurde". Burg Bor- 
denau muss damals schon in der Hand der Welfen gewesen sein, da der Herzog nur noch 



Geschichte einzelner Landesteile und Orte 463 

Schloss Ricklingen einnehmen und sich dann fur eine von den beiden Burgen 
entscheiden soil. Die andere soil zerstort werden. Die Belagerung misslingt aber, u.a. 
weil der Graf von Schaumburg sich mit seinem Schwiegersohn, dem Grafen von Wun- 
storf, gegen den Bischof verbiindet. 

Man wird zudem daran erinnert, dass das Zinsverbot im Mittelalter durch die Metho- 
den der Verpfandung und des vereinbarten Riickkaufs umgangen wurde. Umsichtig ist 
der Umgang mit dem Begriff „villicatio", der vom achten bis zwolften Jahrhundert der 
herrschenden Form der Grundherrschaft entspricht, danach jedoch nicht mehr unbe- 
dingt. Deshalb iibersetzt ihn von Boetticher dann mit ,,Hofverband" (S.26). 

Die Edition ist sicher ein weiterer gelungener Beitrag, Tumelei und Verklarung aus 
der Provinz zu vertreiben. Auf den nachsten Band wartet man mit Ungeduld. 

Neustadt Werner Besier 



Meiners, Werner: Nordwestdeutsche Juden zwischen Umbruch und Beharrung. Judenpolitik 
und judisches Leben im Oldenburger Land bis 1827. Hannover: Hahn 2001. 623 S. = 
Veroff. der Historischen Kommission fiir Niedersachsen und Bremen Bd. 204. Geb. 
50,- €. 

Aus dem Untertitel der 1999 abgeschlossenen, als Dissertation an derUniversitat Olden- 
burg angenommenen und fiir die Drucklegung iiberarbeiteten Darstellung geht der en- 
gere Fokus des Buches hervor: Untersuchungsgegenstand sind die Juden des „01den- 
burger Landes" wahrend der Friihen Neuzeit, genauer von der Wiederansiedlung von 
Juden Ende des 17. Jahrhunderts bis zur Veroffentlichung der Oldenburger Judenver- 
ordnung von 1827. Die vage regionale Bestimmung des Untersuchungsraums im Titel 
deutet den Anspruch der Arbeit an, mehr zu sein, als eine regionale Fallstudie; die Unbe- 
stimmtheit des geographischen Bezugs im Untertitel hingegen ist der historisch-poli- 
tisch-territorialen Vielgestaltigkeit des „01denburger Landes" geschuldet. 

Auf iiber 600 Seiten behandelt der Autor auf der Grundlage seiner langjahrigen For- 
schungstatigkeit kenntnisreich die Geschichte der Juden in dieser Ecke Nordwest- 
deutschlands. Den vier Hauptkapiteln, wovon die drei ersten zeitliche Untersuchungs- 
schnitte markieren, das vierte ein eher iibergeordnetes sachthematisches Kapitel dar- 
stellt, folgt ein wohl als Resumee zu betrachtender Schlussabschnitt, der im Vergleich 
zur weitgespannten Darstellung sehr knapp ausgefallen ist. Fiir seine Arbeit hat Meiners 
eine Vielzahl an archivischen Bestanden im In- und Ausland benutzt, wobei es sich im 
Wesentlichen um Quellen nicht-jiidischer Provenienz handelt. Fast beilaufig verweist 
Meiners darauf, dass er in diesem Rahmen eine Genealogie samtlicher (!) Juden des Ol- 
denburger Landes fiir den Untersuchungszeitraum zusammenstellen konnte. Diese 
Grundlagenarbeit ermoglicht ihm wesentliche Erkenntnisfortschritte bei dem erst am 
Rande erforschten Thema der „familiaren jiidischen Netzwerke", da sich Mobilitat, Fa- 
milien- und Heiratsbeziehungen und nicht zuletzt die geschaftlichen Verbindungen der 
Juden nicht auf das jeweilige Territorium beschrankten, in dem sie eine Niederlassungs- 
erlaubnis erworben hatten, sondern ubiquitar waren. Vielfache Hinweise auf jiidische 
Einwohner in Ostfriesland, Bremen-Verden, Bremen und Hamburg-Altona und zahlrei- 
che andere norddeutsche Orte gehen auf diese genealogische Datenbasis zuriick. Zu- 



464 Besprechungen und Anzeigen 

gleich erlaubt ein solcher familiengeschichtlicher Ansatz naturgemaB auch einen sehr 
personalen, ja „personlichen" Zugang zur jiidischen Geschichte, der Lebendigkeit und 
Farbigkeit in die Darstellung bringt. 

Im Vergleich zu Ostfriesland mit seinem relativ bedeutenden Anted jiidischer Ein- 
wohner waren die Juden des Oldenburger Landes seit ihrer Wiederansiedlung eine noch 
kleinere Minderheit, nur lokal und sporadisch hob sich die Zahl ihres Bevolkerungsan- 
teils iiber das fur norddeutsche Verhaltnisse bekannte geringe MaB hinaus. Doch misst 
sich historische Forschungsarbeit bekanntlich nicht an der Quantitat ihres Untersu- 
chungsgegenstands. Wegen der Zugehorigkeit der Grafschaften Oldenburg und Del- 
menhorst bis 1773 zum danischen Herrschaftsbereich richtet sich M.'s Blick zunachst 
vor allem auf die Voraussetzungen und Auswirkungen der danischen Wirtschafts- und 
Judenpolitik, die die erste Wiederansiedlung deutscherjuden seit 1681 ermoglichte. Die 
Veranderung der Niederlassungsbedingungen, die wechselnde Judenpolitik der jeweili- 
gen Herrschaftstrager in alien Landesteilen, die Rolle der Juden im Wirtschaftsleben, 
das Verhaltnis zu den Zunften, Migration etc., kurz der ganze Kanon moderner wissen- 
schaftlicher Fragestellungen zur deutsch-judischen Geschichte wird quellenbasiert und 
literaturgesattigt behandelt, wobei der Autor immer wieder iiber den engeren Oldenbur- 
ger Tellerrand hinwegschaut. Die Wandlungen der Judenpolitik vor und nach 1800 und 
die Diskussion um die „Verbiirgerlichung der Juden", hier insbesondere die Lage der 
„Betteljuden", Ziehen dabei das besondere Interesse des Autors auf sich. 

Nach dem im wesentlich von auBen auf die jiidische Geschichte gerichteten Blick 
folgt ein groBerer Abschnitt zum „inneren" Zustand der jiidischen Gemeinden. Gemein- 
deverwaltung und -institutionen, Synagoge und Gottesdienst, innergemeindliche Orga- 
nisation und Entwicklung werden vorgestellt. Auch auf ausgesprochen sozialgeschichtli- 
che Fragestellungen, wie z.B. Herkunft, Qualifikation und Arbeitsbedingungen der jiidi- 
schen Lehrer, geht M. ein. Einen Schwerpunkt bildet unter anderem das Verhaltnis der 
Kirche zu den Juden sowie, damit unmittelbar zusammenhangend, die Wechsellagen in 
den (alltaglichen) Beziehungen der nicht-jiidischen Einwohner zu ihren Nachbarn jiidi- 
schen Glaubens. Auch zu dem bislang wenig erforschten Phanomen der jiidischen Kon- 
vertiten findet sich bei M. ein interessanter Passus. 

Am Ende des Buches findet sich ein Oris-, Sach- und Personenindex, der der For- 
schung wegen der vielfaltigen Hinweise auf Sachverhalte und Personen auBerhalb des 
Oldenburger Landes sehrniitzlich sein wird. Allein eine die vielfaltigen Ergebnisse der 
Arbeit verdichtende Zusammenfassung vermisst der Rezensent. Meiners Arbeit lasst ne- 
ben der selbstandigen, bedeutenden Forschungsleistung auch erkennen, welch groBe Er- 
kenntnisfortschritte die Landesgeschichte gerade in den letzten 10 bis 15 Jahren bei der 
Erforschung der Geschichte der jiidischen Minderheit Niedersachsens gemacht hat. Ne- 
ben vielen lokalen und regionalen Einzelstudien verfiigen wir seit kurzem auch iiber das 
von der Nieders. Archivverwaltung herausgegebene Inventar „Quellen zur Geschichte 
und Kultur des Judentums im westlichen Niedersachsen", das einen weiten, den Blick auf 
die vielfaltigen Quellen offnenden Zugang zu diesem Forschungsfeld geschaffen hat. 
Freilich bedarf es der eigenen, akribischen Arbeit, wie Meiners sie fur eine ganze Anzahl 
von jiidischen Gemeinden in verschiedenen politisch-sozialen Konstellationen geleistet 
hat, um unsere Kenntnisse der jiidischen Geschichte in Nordwestdeutschland so zu er- 
weitern, wie es hier der Fall ist. 

Stade Jan Lokers 



Geschichte einzelner Landesteile und Orte 465 

Casemir, Kirstin: Die Ortsnamen des Landkreises Wolfenbuttel und der Stadt Salzgitter. Biele- 
feld: Verlag fur Regionalgeschichte 2003. 635 S. = Niedersachsisches Ortsnamen- 
buchTeil 3; Veroff. des Instituts fiirHistorische LandesforschungBd. 43. Geb. 34.- €. 

Mit dem vorliegenden Band ist in kurzer Folge schon der dritte Teil des erst 1998 von J. 
Udolph als Herausgeber mit der Bearbeitung der Ortsnamen von Stadt und Landkreis 
Hannover begonnenen Reihe Niedersachsisches Ortsnamenbuch (NOB) erschienen. 
Die Verfasserin war als Mitautorin auch an Teil II iiber den Landkreis Gottingen betei- 
ligt. Von dieser unterscheidet sich die auch von der Struktur des Namensgutes her nahe 
liegende und daher sinnvollerweise kombinierte Bearbeitung von Landkreis Wolfenbiit- 
tel und (Regional-) Stadt Salzgitter vor allem durch einen zweiten recht breit ausgefuhr- 
ten Teil mit allgemeinen sprachlichen und namenkundlichen Auswertungen. Somit 
wird das Buch nicht nur als lexikographisch angelegtes Orts-Nachschlagewerk auf das 
besondere Interesse von Namenkundlern sowie von Orts- und Regionalforschern sto- 
Ben. Da es aber gleichzeitig auch iiber den aktuellen fachwissenschaftlichen Stand der 
regionalen Namenforschung informiert, fordert es ebenso die siedlungskundlichen Teil- 
disziplinen wie Archaologie, Historie und Siedlungsgeographie (wie im Falle des Rez.) 
zur Uberpriifung eigener Standorte und kritischer Diskussion heraus. Die Arbeit ent- 
spricht im Wesentlichen der Fassung, wie sie als Gottinger Dissertation angenommen 
wurde. 

Kern des Buches ist derumfangreiche Lexikonteil (315 S.). Darin werden die bis zum 
Jahre 1500 berucksichtigten Namen von 228 Dorfern, Wiistungen und Burgstellen er- 
fasst und an Hand eines siebenteiligen - im einzelnen griindlich erlauterten - Schemas 
(S.38) untersucht und dargestellt. Dementsprechend gliedert sich die Bearbeitung der 
Ortsartikel wie folgt: Ortsname, Gemeinde (Landkreis). 1) Lokalisierungund Zeitpunkt 
der Siedlungsaufgabe bei Wiistungen. Aus siedlungs- oder namenkundlichen Griinden 
relevante Angaben zum Ort. 2) Archaologische Funde. 3) Urkundliche Uberlieferung. 
4) Belegdiskussion. 5) Bisherige Deutungen. 6) Eigene Deutung. 7) Auf der Gemarkung 
liegende, nicht belegte oder fragliche Wiistungen. 

Respekt und Anerkennung verdient die fleiBige, eingehende und aufwandige Bear- 
beitung der Ortsartikel, die sich in mancher Weise als ergiebige Fundgrube besonders 
fur die Ortsforschung erweisen werden. Ein vertieftes Eingehen auf einzelne Ortsnamen 
bzw. ihre Deutung verbietet sich angesichts von deren groBer Zahl hier von selbst. Keine 
Schmalerung dieser verdienstvollen Arbeit bedeutet das sich gelegentlich einstellende 
Unbehagen angesichts offenbar manchmal etwas subjektiv aufgegriffener Ansatze bei 
der sprachlichen Deutung der Namen bzw. ihrer Bestandteile. Das gilt aber nicht speziell 
nur fur die vorliegende Arbeit. Als wohltuend sei die Freimutigkeit hervorgehoben, mit 
der die Verfasserin auf die besonders schwierigen Vorbedingungen und Probleme bei 
der Deutung mancher Ortsnamen nicht nur gezielt aufmerksam macht, sondern ggf. 
auch ihr unlosbar scheinende Falle als solche offen lasst und nicht der Versuchung wo- 
moglich fragwiirdiger Deutungsversuche unterliegt. Das fiihrt eher zu mehr Vertrauen in 
ihre anderen Deutungen. Keine EinbuBe bedeutet auch der Verzicht auf die Beriicksich- 
tigung ortlicher Merkmale wie Orts- und Flurformen. Freilich ist bedauerlich der unter- 
bliebene Abgleich der (lediglich aus der Literatur entnommenen) archaologischen 
Fundsituation mit den einschlagigen Ortskarteien etwa des Braunschweigischen Lan- 
desmuseums. Manches aus der breit gefachert herangezogenen insbesondere (Orts-) Li- 
teratur erscheint seinem Aussagewert nach allerdings fragwiirdig und daher vielleicht 



466 Besprechungen und Anzeigen 

doch entbehrlich. Eine wegen ihrer Wiistungslokalisierungen u. a. mit Hilfe von Ober- 
flachenlesefunden hingegen wichtige - jedoch ungedruckt gebliebene - (Staatsexa- 
mens-) Arbeit hat leider keine Beriicksichtigung gefunden und sei hier nachgetragen: 
Wolfgang Erbens: „W us tungsgeographie des Wolfenbiitteler Raumes" (1964). 

Dem Lexikonteil vorangestellt sind drei einleitende Abschnitte 1. zur politisch-admi- 
nistrativen Strukturund 2. zur geomorphologischen Situation des Untersuchungsgebie- 
tes sowie 3. zu dessen „Besiedlungin vorschriftlicherZeit- Archaologische Funde". Ver- 
fasserin meint im letzteren den Nachweis der Kontinuitat der Siedlungen (in welchem 
Umfang ?) aus der Zeit um Christi Geburt durch die Volkerwanderungszeit bis ins frtihe 
Mittelalter fiihren zu konnen als wichtigen „Befund, beriihrt er doch auch die Namenfor- 
schung, denn damit sind die ON (= Ortsnamen, Rez.) und ON-Typen nicht zwangsweise 
nach der Volkerwanderungszeit entstanden . . ." (S. 35) . Ob dieses fur das Bestreben von 
Namenkundlern bei ihren Versuchen einer Verifizierung sehr friihzeitig angesetzter Da- 
tierungen von Ortsnamen (und Ortsgenesen!) natiirlich hochprioritare Grundaxiom (in 
der Archaologie und Siedlungskunde ist das eine noch langst nicht ausdiskutierte Frage) 
durch die hier praktizierte Vorgehensweise der - zumal fachfremden - Verfasserin aus- 
schlieBlich durch eigene Auswertung von Fundberichten und die Diskussion z. T. alterer 
Literaturzitate - ohne Abstimmung etwa mit Facharchaologen iiber den aktuellen 
Kenntnisstand! - reale Giiltigkeit beanspruchen kann, will Rez. mehr als zweifelhaft 
scheinen. 

Ungefahr das letzte Drittel des Buches wird auBer den iiblichen, besonders ausgiebig 
ausgefiihrten Verzeichnissen von Literatur, Quellen und Karten sowie einem umfangli- 
chen Register eingenommen von einem mehrgliedrigen Auswertungsteil, welcher iiber- 
wiegend besteht aus einem Abschnitt iiber 31 „Ortsnamengrundworter und -suffixe des 
Untersuchungsgebietes" (124 S.), einem Kapitel iiber den besonderen Bildungstyp von 
Ortsnamen mit Zusatzen wie GroB-/Klein- u. a. und schlieBlich einer sog. Gesamtaus- 
wertung, unterschieden nach lautlichen und namenkundlichen Aspekten. 

Fur die Siedlungskunde von ganz besonderem Interesse ist dabei die Behandlung der 
Grundworter. War sie doch viele Jahrzehnte lang unter dem Einfluss ihres Altmeisters 
der Siedlungsgeographie Otto Schliiter auf ein vor allem auf die Namenkunde bzw. die 
Grundworte gegrtindetes festes Schema der absoluten und relativen Chronologie hin- 
sichtlich der Genese und Altersstellung der Siedlungen regelrecht eingeschworen. Da- 
tierung von Ortsnamen ist demnach ein altes und aktuelles gemeinsames Problem von 
Namen- und Siedlungskunde. So konnte es nicht ausbleiben, dass zwischenzeitlich von 
beiden Disziplinen eingeschlagene getrennte Forschungswege hinsichtlich der zeitli- 
chen Einordnung von Ortsnamen bzw. Grundworten nicht nur Ubereinstimmungen 
sondern auch z. T. deutliche Unterschiedlichkeiten zu Tage gefordert haben. Letztere 
betreffen i. a. weniger die relative als vielmehr die absoluten Datierungsansatze der 
Grundworte. Da ein Durchgehen der zahlreichen behandelten Grundworte und Suffixe 
im Einzelnen hier nicht in Frage kommen kann, sei zunachst einmal ganz allgemein auf 
die erhebliche Bedeutung dieses Abschnitts der Arbeit insbesondere fur die Siedlungs- 
forschung in Siidostniedersachsen iiberhaupt hingewiesen. Dariiber hinaus soil hier 
gleichsam exemplarisch das wichtige Grundwort -hem (-heim) herausgegriffen werden 
und knapp auf die Behandlung der damit in Verbindung stehenden, nicht unstrittigen 
Fragen seiner Datierung eingegangen werden. 

Mit diesem Grundwort gebildete Ortsnamen bilden mit 20 v. H. die statistisch groBte 
Gruppe im Untersuchungsgebiet. Nach Durchmusterung dieses einschlagigen Namen- 



Geschichte einzelner Landesteile und Orte 467 

gutes hinsichtlich Bildungsweisen und Uberlieferungsformen sowie der Betonung weit- 
gehender Ubereinstimmung der Forschung iiber Etymologie und Semantik wird die seit 
langem strittige Frage nach der Datierung der -hem- Orte sowie nach deren moglichen 
Griindungsumstanden und -verursachern fur das Untersuchungsgebiet von der Verfas- 
serin aufgegriffen und eingehend diskutiert. Zu einer Klarung, geschweige denn einer 
entschiedenen engerzeitlichen Festlegung des Alters der Namen bzw. der Dorfer gelangt 
sie freilich dennoch nicht. So mutmaBt sie von der Namensbildung her auf Grund des 
Bestimmungswortes fur Ohrum ein „hohes Alter" (dessen Plangrundriss ausgerechnet 
jiingere Entstehung signalisiert!). „Nicht der altesten Besiedlungsschicht" sondern eher 
,,einer ersten Ausbauschicht . . . , die den altesten suffixalen Namen folgt" (S. 418) (wann 
also??) seien die Orte mit dem Grundwort -hem sonst zuzuordnen, dessen Produktivitat 
sie einer Annahme fur den Hildesheimer Raum folgend schlieBlich dennoch fur den 
iiberraschend langen Zeitraum „seit dem 3. Jh. und langstens bis 1000" gelten lassen 
mochte (S. 418). Da verwundert es freilich schon, wie entschieden sie weiter unten im 
namenkundlichen Abschnitt ihrer sog. Gesamtauswertung (S. 536ff.) den von dem Sied- 
lungsgeographen H.-J. Nitz friiher als Ergebnis seiner vielseitigen, nicht nur auf die Ge- 
nese von Orts- und Flurformen beschrankten, Studien herausgearbeiteten und zwi- 
schenzeitlich auch daruber hinaus bestatigten mittelbaren oder unmittelbaren franki- 
schen Einfluss auf die Siedlungs- und Namensgenese - diesbeziiglich unbeirrt der 
einschlagigen Dogmatik ihres Mentors J. Udolph folgend ! - nicht nur fur ihr eigenes Un- 
tersuchungsgebiet ausschlieBt, sondern auch iiberhaupt regelrecht abzutun bemiiht ist. 
Unverstandlich ist im Zusammenhang nicht nur mit dem Fragenkreis um die -heim-Or- 
te auch, wieso sie seit langerem publizierte, ihr Untersuchungsgebiet unter einschlagi- 
gen Fragestellungen direkt und gleichermaBen betreffende siedlungsgeographische For- 
schungen von anderer Seite ganzlich unbeachtet gelassen hat und diese nicht einmal im 
Literaturverzeichnis auftauchen lasst (z.B. in: Das Braunschweiger Land =Fiihrer zu ar- 
chaologischen Statten in Deutschland 34 (1997) und in: Die Braunschweigische Landes- 
geschichte (2000)). 

Nahere Beschaftigung mit den Auswertungsabschnitten des Buches macht immer 
wieder deutlich, wie schwer, ja manchmal geradezu waghalsig es ist, in vorschriftlicher 
Zeit zu nachvollziehbaren Aussagen iiber die Datierung von Ortsnamen (und Orten!) zu 
gelangen, weil sowohl den Namen als auch anderen Merkmalen der Siedlungen nur au- 
Berst selten einmal Hinweise auf ihr Alter abzusehen sind. Der wohl deswegen erneut 
eingebrachte Versuch, aus der statistischen Wustungsbeteiligung der Namenfamilien 
mit auf das relative Entstehungsalter der Ortsnamensgruppen zu schlieBen (S.518f), trifft 
zwar im Grundansatz durchaus zu. Friihere Ansiedler hatten eben leichteren Zugriff auf 
giinstigere, spater womoglich weniger wiistungsbetroffene Standorte. Dennoch bleibt 
dieses Vorgehen unsicher, wie sich das auch hier geradezu beispielhaft bei dem unange- 
messen hohen Wiistungsquotient gerade der einer recht alten Namensgruppe zuzurech- 
nenden Gruppe der -stedt-Orte zeigt. Zutreffend weist Verfasserin an anderer Stelle ja 
auch auf die bekannte Multikausalitat mittelalterlicher Wiistungsprozesse hin, und 
„Nachsiedlung" muss daher nicht von vornherein auch tendenziell hoheres Wustungsri- 
siko im Spatmittelalter bedeuten. Zudem zeigt sich bisweilen, dass auch die Optimalkri- 
terien siedlungsokologischer Platzwahl in den Zeitlaufen durchaus Veranderungen un- 
terworfen waren. Wiistungsanfalligkeit von Orten der verschiedenen Namengruppen 
wird somit eher nur zuriickhaltend als taugliches Mittel zur Bestimmung von deren Al- 
tersstellung einzusetzen sein. 



468 Besprechungen und Anzeigen 

Wechselseitig hilfreiche Impulse konnten auch der Namenforschung nach Auffas- 
sung des Rez. zugute kommen durch gezieltes engeres interdisziplinares Zusammenar- 
beiten vor allem mit den nachbarwissenschaftlichen Fachern der Archaologie und der 
historischen Siedlungsgeographie. Orts- und Flurformenforschung, ebenso die Einbe- 
ziehung von AltstraBen und Alt-Territorien (z. B. Gaubezirke und ihre Grenzsaume) sei- 
tens der letzteren wiirden vorliegende Ergebnisse nicht nur iiberpriifen helfen, sondern 
auch zur Erweiterung der Erkenntnishorizonte erheblich beitragen. Vielleicht sind ja 
Ortsnamenbiicher vorstellbar als gemeinsame Leistungen der genannten Facher? 

Dem vorliegenden Werk von Kirstin Casemir sei ein aufgeschlossener groBer Kreis 
von Benutzern gewiinscht. Fiir einen Teil des Braunschweiger Landes schlieBt es trotz 
der langjahrigen regionalen und ortlichen Namenforschungen Werner Flechsigs eine 
haufig empfundene Liicke. Den Namenkundlern und Ortsforschern wird es als Nach- 
schlagewerk eine hilfreiche und ergiebige Quelle sein, der Siedlungskunde bietet es dar- 
iiber hinaus reichlich Anregungen zu kritischer Auseinandersetzung. 

Braunschweig Wolfgang Meibeyer 



Urkundenbuch der Stadt Braunschweig. Band 6: 1361 - 1374 samt Nachtragen. Hrsg. von Man- 
fred R. W. Garzmann. Bearb. von Josef Dolle. Hannover: Hahn 1998. 1162 S. m. 1 
Siegelabb. = Veroff. der Historischen Kommission fiir Niedersachsen und Bremen 
XXXVII: Quellen und Untersuchungen zur Geschichte Niedersachsens im Mittelal- 
terBd. 23. Geb. 65,50 €; - Band 7 [1375-1387]. Bearb. von Josef Dolle. Hannover: 
Hahn 2003. 1263 S. = Veroff. der Historischen Kommission fiir Niedersachsen und 
Bremen Bd. 215. Geb. 65,50 €. 

Wer bei Wiederaufnahme der Editionstatigkeit am Urkundenbuch der Stadt Braun- 
schweig mit Erscheinen von Bd. 5 1994 in der vorziiglichen Bearbeitung vonjosef Dolle 
angesichts anschwellender Breite, Fiille und Vielgestaltigkeit stadtbraunschweigischer 
Uberlieferung der Fortsetzung des Unternehmens skeptisch entgegensah, wird die in ra- 
scher Folge 1998 und 2003 von Dolle vorgelegten Bande 6 und 7 - Band 8 ist in Vorberei- 
tung - dankbar und respektvoll zur Hand nehmen. Der Dank gebiihrt Herausgeber und 
Forderern des Projektes, der hohe Respekt der gleich bleibend qualitatvollen, sorgfalti- 
gen Bearbeitung des immensen Materials im vorgegebenen Rahmen. DieserRahmen ist 
unverandert der eines Pertinenzurkundenbuches mit dem Ziel, „samtliche erhaltenen 
und irgendwie nachweisbaren Materialien zur Geschichte der Stadt Braunschweig im 
Mittelalter einzubringen" (Bd. 6 S. 8) , und dem immanenten Anspruch, iiber diese Mate- 
rialien ein zwar i.e. vielleicht erganzungsbediirftiges, insgesamt jedoch zutreffendes und 
aussagekraftiges Bild der politischen, rechtlichen, wirtschaftlichen und sozialen, kirchli- 
chen und kulturellen Verhaltnisse der Stadt und ihrer Entwicklung im Spannungsfeld 
umgebender weltlicher und geistlicher Machte zu entwerfen. Die Bande zeigen also die 
bekannte Mischung aus Urkunden, Briefen, Stadtbucheintragen, Gildeordnungen, 
Kammerei- und anderen Registern, Aufzeichnungen und Notizen, die diesem Anspruch 
im Urteil des Bearbeiters gerecht werden, ausgenommen die Statuten und Rechtebriefe 
der Stadt, auf deren Vorabdruck in Bd. 1, 1873, jeweils verwiesen wird. 



1 Vgl. dieses Jahrbuch Bd. 67, 1995, S. 429-431. 



Geschichte einzelner Landesteile und Orte 469 

Die vorliegenden Bande umfassen die Zeitspanne 1361 - 1387 und damit die vielleicht 
einschneidendste und folgenreichste Phase mittelalterlicher Stadtgeschichte, im Mittel- 
punkt der Liineburger Erbfolgekrieg 1369ff. und die ,GroBe Schicht' von 1374 mit Ver- 
hansung 1375 (Bd. 7 Nr. 40), Beilegung des Konfliktes mit der Hanse 1380 (Nrn. 331, 
346) und Aussohnung mit den letzten vertriebenen Vertretern der alten Ordnung (z.B. 
Nrn. 674-678) in den Folgejahren. Weiterreichende Auswirkungen diirften freilich erst 
in den Folgebanden fassbar sein. Angesichts der bedeutenden Stellung Braunschweigs 
im Territorium wie in der Hanse kommt der Edition neben dem stadtgeschichtlichen 
auch landesgeschichtliches Gewicht zu. Es dokumentiert sich in 899 Nummern fur die 
Jahre 1361-1374 zuziiglich 11 Nachtragen derjahre 1331-1360 und 6 iiberfliissigen, 
weil 1993 gerade gedruckten Inschriften derjahre 1367-1373 in Bd. 6, 1203 Nummern 
fur die Jahre 1375- 1387 in Bd. 7 aus dem Stadtarchiv und 23 bzw. 21 Institutionen zwi- 
schen Oslo und Rom, Koln und Danzig. Hinter den ersten 4 Nummern eines jeden Jah- 
res verbergen sich zusatzlich insgesamt 1218 bzw. 746 vor den Weichbildraten getatigte 
private Rechtsgeschafte in formalisierten Eintragen („Deme rade is witlik . . ."; „Des sil- 
ven jares . . .") der Degedingbiicher von Alt- und Neustadt, Hagen und Sack. Inwieweit 
der auffallige Riickgang dieser Geschafte in der Altstadt (Bd. 6: 474, Bd. 7: 264 Eintrage) 
und im Hagen (Bd. 6: 336, Bd. 7: 255 Eintrage) mit Tiefpunkten 1371 - 1374 und 1379/80 
sowie die steigende Anzahl derUrkunden und Briefe 1370/71, 1374 und ab 1380 den ge- 
nannten politischen Ereignissen korrespondieren, bedarf genauerer Analyse. 

Der Verlust an ordnungspolitischer Kraft der Stadt in der Zeit politischer Isolierung 
infolge der Schicht schlagt sich in zahllosen Fehden, Ubergriffen auf Burger und ihr Ei- 
gentum, in Urfehden, Siihneverhandlungen und Schadenslisten nieder, die ebenso wie 
vereinzelte Verzichte auf das Btirgerrecht „dorch siner nod willen" wirtschaftliche Fol- 
gen anzeigen (Bd. 7 Nrn. 32, 36, 49, 50, 53, 62). Erbfolgekrieg und Schicht erzeugen eine 
intensive stadtische Korrespondenz, die Bearbeiter um unveroffentlichte Rechtferti- 
gungs- und Beschwerdebriefe der braunschweigischen Gilden an die Gilden der Hanse- 
stadte 1374 aus dem Stadtarchiv Liineburg (Bd. 6 Nrn. 845 - 847, 851 - 857) und um einen 
Schriftwechsel zur spaten Aussohnung mit dem vertriebenen Bertram van Damme 1383 
(Bd. 7 Nrn. 674 - 676) aus dem Stadtarchiv Gottingen bereichert. Diese und weitere Fun- 
de wie eine vollstandige Fassung des Berichtes der Vertriebenen an die Hansestadte mit 
der Bitte um Rechtshilfe und den Namen der Anfiihrer der Schicht 1374 im Stadtarchiv 
Liineburg (Bd. 6 Nr. 821) und der fur verloren gehaltene Text einer Vereinbarung zwi- 
schen Rat und Geistlichkeit zum Wohle der Stadt 1376 in einer Abschrift im Staatsarchiv 
Wolfenbuttel (Bd. 7Nr. 85 und 84) stiirzen bisherige Forschungsergebnisse nichtum, er- 
ganzen und akzentuieren sie aber. 

Wird hier und zu anderen im Literaturverzeichnis aufgefiihrten Spezialuntersuchun- 
gen wie der Landgebiets- und Bundnispolitik Braunschweigs, seiner Politik innerhalb 
der Hanse, zum Verhaltnis Stadtherr und Gemeinde, Klerus und Stadt, Bildungswesen, 
religiosen Bruderschaften u.a.m. die Quellenbasis aus zahlreichen Fundstellen nachge- 
liefert oder zusammengestellt, z.T. erweitert, so lasst sich der Ertrag des umfanglichen 
Materials, das mit den ca. 3.000 privaten Rechtsgeschaften in den Degedingbiichern 
1351 - 1387 der Forschung fur wirtschafts- und sozialgeschichtliche, prosopographische 
und topographische Untersuchungen erstmals bereitgestellt und erschlossen wird, noch 
garnicht abschatzen. Die Geschafte zeigen u.a. das alltagliche Umfeld, die personellen, 
wirtschaftlichen und sozialen Verflechtungen und Ressourcen jener ca. 50 fuhrenden 
Familien, deren stadtgeschichtlich relevante Aktivitaten sich in den Urkundenfonds fas- 



470 Besprechungen und Anzeigen 

sen lassen. Die Verkniipfung leistet der vorziigliche Index, zu dessen Anlage und Lei- 
stungsfahigkeit auf friihere Rezensionen verwiesen sei. 

Inhaltliche Fiille, Aussagewert und Nutzungsmoglichkeiten der Bande konnen hier 
nur umrissen werden. Sie verdanken sich fraglos der Anlage als Pertinenzurkunden- 
buch. DerPreis sei nicht verschwiegen. Sieht man von den ungedruckten Eintragen der 
Stadtbiicher ab, so sind ca. 45% der Texte gedruckt, uberwiegend weder unzuganglich 
noch unzulanglich. Die oft beklagte „Ausbeutung" fremder Fonds kommt fur die Fonds 
der Kollegiatstifte St. Blasii, St. Cyriaci, der Kloster St. Aegidien, St. Crucis, Riddagshau- 
sen im Staatsarchiv Wolfenbiittel fast schon einerTeiledition derjahre 1361 - 1387gleich 
(St. Blasii: 7Urk. Nr. 320-380; St. Crucis: 26 Urk. Nr. 150-203 z. B.), die nur den kunfti- 
gen Bearbeiter des Blasius-Fonds heiter stimmen diirfte. Fiir 6,5 m „Protokoll iiber den 
ProzeB zwischen den Franziskanern und den Geistlichen in Braunschweig wegen des Sa- 
kramentes der Beichte" kann er auf den Abdruck in Bd. 6 Nr. 153, S. 175-238!, verwei- 
sen, komplett, mit alien unsaglichen Kurialien und Textwiederholungen. Natiirlich for- 
dert erneute Kollationierung neuerschlossener Uberlieferung bekannter Texte wertvolle 
Beobachtungen zutage; natiirlich enthalten die Fonds auch ursprungliche Empfanger- 
provenienz der Stadt, schlieBt die Uberlieferung in den Auslaufregistern, Missivbii- 
chern, Briefcorpora der Stadtarchive, deren Edition, sofern nicht bereits geschehen 
(Goslar, Hildesheim) , kaum ansteht (Gottingen, Liineburg) , Liicken in der Braunschwei- 
ger Uberlieferung und hat hier ihren legitimen Platz. Und natiirlich eroffnet die Zusam- 
menfiihrung einander erganzender Eingange, Ausgange, Notierungen in den Stadtbii- 
chern, die Einbettung in zeitgleiches Handeln und Geschehen Zugange, die sich im 
Kontext des Fonds oder der Archivalieneinheit nicht erschlieBen. 

Einblicke in Verwaltungsaufbau und Behordenorganisation in den Weichbilden und 
der Gemeinen Stadt lassen sich der Edition nur sparlich und eher indirekt entnehmen. Es 
fehlt bislang von Ausnahmen abgesehen an Einzeluntersuchungen und Editionen der 
Stadtbiicher, vorliegend auch an einem Orientierung bietenden einleitenden Uberblick 
iiber die buchformige Uberlieferung der Stadt. Ad hoc-Beschreibungen neu herangezo- 
gener Biicher (z.B. Bd. 7 Nr. 98: Ausgaben und Einnahmen der Ulricikirche; Nr. 246: 
Zinsverzeichnis des Rates der Altstadt; Nr. 315: Gildeordnung derBackerim Hagen) und 
wertvolle Erlauterungen (z.B. Bd. 6 Nrn. 457, 821; Bd. 7 Nrn. 256, 406) sind kein Ersatz. 
Die Bande des Urkundenbuches bieten im iibrigen eine kontinuierliche Edition der De- 
geding-, Verfestungs- und Neuburgerbiicher, die deren Struktur wahrt und iiber den jahr- 
weisen Paralleldruck der Ausziige zudem zusatzliche Auswertungsmoglichkeiten schafft. 
Dagegen offenbart die Stiickelung der Eintragungen des 1. Gedenkbuches in der Gegen- 
iiberstellung mit dessen Edition die EinbuBen, die ein Stadtbuch vermischten und hete- 
rogenen Inhaltes ohne strikte chronologische Ordnung erleidet, wenn sein Inhalt in ein 
chronologischesZwangskorsettgepresst wird (vgl. Bd. 7 Nrn. 448,449,464; 462,465). 

Zwarmussten die SchoBregister von Neu- und Altstadt, die 1385 bzw. 1387 einsetzen, 
auf Grund ihres Umfanges und ihrer Anlage von der Edition ausgenommen werden, 
doch erscheint weder der Zuwachs an Stadtbiichern bis 1387 so groB noch ihre Differen- 
zierung so fortgeschritten, dass der eingangs skizzierte Rahmen des Urkundenbuches 
gesprengt, der Urkundsbegriff in der Anwendung auf dieses Geschaftsschriftgut endgiil- 
tig iiberdehnt wiirde. Im Uberblick iiber die qualitatvollen Bande 5-7 rechtfertigt sich 
die Entscheidung von Herausgeber und Bearbeiter, das Editionskonzept der Vorbande 



2 Wie in Anm. 8 und Braunschwjb Bd. 76, 1995, S. 210. 



Geschichte einzelner Landesteile und Orte 471 

beizubehalten und die Edition zumindest an das fur stadtische Urkundenbiicher „magi- 
schejahr" (Bd. 6 S. 8) heranzufiihren. Welches Editionskonzept, welche Editionsformen 
dem spatmittelalterlichen stadtischen Schriftgut allgemein, Braunschweigs speziell an- 
gemessen sind, bedarf intensiver Diskussion. Konzeption und Umsetzung wiinscht man 
sich diesem Bearbeiter anvertraut, der profunde Sachkenntnis und Editionserfahrung 
mit Sorgfalt und AugenmaB verbindet. 

Corrigenda: 

Von der Notierung unvermeidlicher Fluchtigkeitsfehler, die der Benutzer leicht selbst 
feststellen und korrigieren kann - z.B. Bd. 6 Nr. 80 Z. 4: pratum, Bd. 7 Nrn. 292, 556, 
1015: Satzkonstruktion - wird abgesehen. Es seien nur Zufallsfunde angemerkt. 

Bd. 6 Nr. 49: Original im HStA, Celle Or. 8 Nr. 148; Nr. 76 Z. 8: sollem/miter cele- 
brandam, cum quibus sic dzsposuit, Z. 15:sigillo meo;Nr. 129: decanus cfcapitulum; Nr. 
160:VerweisaufNr. 110,dort nur Regest, Text in Nr. 153 S. 179ff.;Nr. 198, 190, 191: Satz- 
konstruktion: Licet presentacioni . . . voluntatem nostram adhibuerimus . . ., nos pre- 
sentacioni . . . consensum . . . adhibemus . . . facientes sibi . . . responderi, salvo tamen hi- 
re presentacionis . . .; Nr. 462: i^redericus de Schaghen, vgl. Sudendorf Bd. 6 Nr. 271 
Anm., Hoyer UB Bd. I Nrr. 222, 223; Nr. 534 Z. 3: ecclesie . . . iam dicte, Z. 19: nullus so- 
cius seu secundarius, Z. 28: omnium vel plurzzzm; Nr. 837: presentantur. 

Bd. 7 Nr. 50: Anm. 1 fehlt; Nr. 110 Z. 7: ymmo verius, Z. 12: propositum, quod, Z. 19: 
stare iurz, Z. 25: recepta cautions iuratoria de stando iurz', S. 113 Z. 9: dfflmodo vel dein- 
ceps, Z. 16: pape undecimz, Z. 21: presents processus; Nr. 149 Z. 10: sine omni defectu 
ac si (= quasi) viveret; Nr. 164: B I 2 Bd. 2?; Nr. 435 Z. 8: litteram pergameneam, Z. 16: 
sequitur . . . tenor; Nr. 455 Z. 12: cum quo aliud habitaculum conduct; Nr. 988 Z. 6: in 
domino caritatcm, Z. 10: parte ex altera, Z. 25: et vice et auctoritate. 

Nicht im Quellenverzeichnis: Bd. 6 Nr. 500: 13 Urk, Bd. 7Nr. 246: B 1 9 Bd. 1, Nr. 547: 
B II 5 Nr. 1. 

Die Angaben iiber die Foliierung im Degedingbuch des Sackes scheinen nicht in Ord- 
nung: 1361: B I 19 Bd. 17 fol. 58r- 1376: ebda fol. 94v; 1377: ebda fol. 75r- 1387: ebda 
fol. 97 v. 

Wennigsen Karin Gieschen 



Denis, Walter: Aus der Geschichte der jiidischen Gemeinde in Cloppenburg. Ein Beitrag zur 
Stadtgeschichte. Hrsg. vom Heimatbund fur das Oldenburger Miinsterland. Clop- 
penburg: Heimatbund Oldenburger Miinsterland 2003. 270 S. Abb. = Beitrage zur 
Geschichte des Oldenburger Miinsterlandes. Die Blaue Reihe Heft 10. Geb. 19,50 €. 

Die Aufarbeitung der Geschichte jiidischen Lebens in Deutschland ist nach dem Geno- 
zid an denjuden in Europa eine der vordringlichen Aufgaben der deutschen Geschichts- 
wissenschaft geworden. Inzwischen gibt es zahlreiche Publikationen iiber Untersuchun- 
gen zu Ursachen, Genesis und Folgen des Antisemitismus. Auch im nordwestlichen Nie- 
dersachsen haben Publikationen zur Geschichte der Juden in den beiden letzten 
Jahrzehnten zugenommen. Allerdings macht eine kritische Bestandsaufnahme der vor- 
handenen Publikationen auch Desiderate sichtbar. So fehlt eine Gesamtdarstellung zur 
rund 650jahrigen jiidischen Geschichte fur das nordwestliche Niedersachsen,fernerfeh- 
len manchmal in der regionalen und ortsgeschichtlichen Literatur bestimmte Zeitab- 



472 Besprechungen und Anzeigen 

schnitte oder Orte und hinzu kommt, dass oftmals eine eigentliche Forschungsarbeit an 
den Quellen zu kurz gekommen ist oder gar nicht geleistet wurde. Das Defizit an Quel- 
lenforschung liegt teilweise auch daran, dass es miihsam und zeitaufwendig ist, die Viel- 
zahl von Bestanden in Archiven nach jiidischen Beziigen durchzuarbeiten. Zwar bedeu- 
tet das 2002 erschienene umfangreiches Quelleninventar zur Geschichte und Kultur des 
Judentums im westlichen Niedersachen vom 16. Jahrhundert bis 1945 eine wesentliche 
Erleichterung, obwohl leider nur die Quellenbestande der Staatsarchive ausgewertet 
werden konnten und die kommunalen und kirchlichen Archive unberiicksichtigt geblie- 
ben sind. 

Fur die vorliegende Monografie von Walter Denis konnte das Quelleninventar mit 
fast 90 Hinweisen auf Cloppenburg nicht genutzt werden, da der Verf. bereits 1997 ver- 
storben war. Dennoch wird deutlich, dass sich der Verf. sehrintensivund vielejahre hin- 
durch mit der Auswertung von Quellen aus staatlicher, kirchlicher, kommunaler und pri- 
vater Uberlieferung zur Geschichte der jiidischen Gemeinde in Cloppenburg befasst 
hat. Lag ihm zunachst daran, die Erinnerung an die nationalsozialistische Vertreibungs- 
und Vernichtungspolitik auch in Cloppenburg wach zu halten, so war ihm doch bald klar 
geworden, dass die rund 200 Jahre alte Geschichte des Zusammenlebens zwischenju- 
den und Christen in Cloppenburg als ganzes dazugehort, dass es nicht nur Konflikte und 
Vertreibunggab, sondern auch friedliche und fruchtbare Zeiten derbeiden Konfessions- 
gruppen in Cloppenburg. Da eine umfassende Darstellung der Geschichte derjuden in 
Cloppenburg bislang fehlte, so erkannte der Verf. dieses Desiderat, auch wenn nur weni- 
ge jiidische Familien in Cloppenburg lebten, die sich nach ihrer Gleichstellung in die 
kleinstadtische Bevolkerung nahezu vollig integriert hatten. Mit der Errichtung der Ge- 
denkstatte fur die ehemalige Synagoge in Cloppenburg 1983 und einer Ausstellung iiber 
diejuden in Cloppenburg 1987/88 hat die Stadt Cloppenburg auch offiziell den Weg fur 
eine Erforschung diese Teils der Stadtgeschichte geebnet. 

Ziel des Verf. und seiner Familie, die nach seinem Tode sein begonnenes Werk fertig 
stellte, war es einerseits, das Wissen iiber die ortliche jiidische Gemeinde und die An- 
siedlung von Juden vor mehr als 200 Jahre wach zuhalten, um so mehr, als diese Gemein- 
de nach dem Ende des II. Weltkrieges nicht wieder entstanden ist, andererseits wollte er 
durch die Darstellung der Vorgange keine neuen Belastungen schaffen und schlieBlich 
sein Werk so in Aufbau und Diktion gestalten, dass es auch einem breiteren Kreis von 
Interessenten zuganglich gemacht werden kann. 

Um diesem Anspruch gerecht zu werden hat der Verf. seinem Werk eine Einfiihrung 
iiber die Ansiedlung von Juden in Deutschland vorangestellt und die Geschichte derju- 
den im Stift Miinster vom Judengeleit, iiber die Judenpolitik des Fiirstbischofs Christoph 
Bernhard von Galen bis zurjudenordnung von 1662 und zu weiteren Regelungen beson- 
dererFragen dargestellt. Erst dann beschreibt erdie erste Ansiedlung eines sog. Schutz- 
juden, Meyerjacob, der sich mit seiner Familie im Marz 1713 in Cloppenburg ansiedeln 
darf. Wie auch die anderen Juden, die sich in Cloppenburg niederlassen durften, hatte 
bereits der erste Jude im Ort bald Streitigkeiten wegen des Handelswesens. Denis hat alle 
fiirihn greifbaren Informationen iiber die einzelnen jiidischen Familien in Cloppenburg 
zusammengetragen, wo sie wohnten und wie sie ihren Unterhalt erarbeiteten etc. Dabei 
entstehen natiirlich auch facettenreiche Aspekte kleinstadtischen Lebens in der Amts- 
stadt. Neben den Schutzjuden lebten auch sog. geduldete Juden in Cloppenburg, die zu- 
nachst keinen landesherrlichen Schutzbrief erhalten hatten, aber akzeptiert waren. Im 
Zuge der franzosischen Besetzung Deutschlands wurden diejuden kurzzeitig auch im 



Geschichte einzelner Landesteile und Orte 473 

Herzogtum Oldenburg gleichgestellt, dann wurde aber die alte Gesetzgebung wieder 
eingefiihrt, leicht reformiert, aber die rechtliche Gleichstellung erfolgte im Oldenburgi- 
schen erst 1848. Der Verf. beschreibt anschaulich diesen Entwicklungsprozess bis in die 
Zeit der Weimarer Republik stets mit Blick auf die Cloppenburger Verhaltnisse. 

Der Weg der Cloppenburgerjuden in den Untergang nimmt ein eigenes und umfang- 
reiches Kapitel ein. Minutios beschreibt der Verf. die MaBnahmen gegen die Juden, die 
Zerstorung der Synagoge und Schandung des jiidischen Friedhofs, aber auch den Nach- 
kriegsprozess, wo keinem der noch lebenden Beteiligten eine Schuld nachzuweisen war. 
Die meisten Cloppenburgerjuden kamen in Vernichtungslagern um, nur wenigen ge- 
lang es, durch rechtzeitige Auswanderung ihr Leben zu retten. Nach 1945 hatten nur 
noch drei Juden bis zu ihrem Tode ihren Wohnsitz in Cloppenburg. Die zahlenmaBige 
Entwicklung der Cloppenburgerjudenschaft hat der Verf. tabellenmaBig zusammenge- 
stellt und ausgewertet. Die wirtschaftlichen Verhaltnisse der Juden in Cloppenburg und 
die Entstehung und Auflosung der Synagogengemeinde sowie die Analyse des Verhalt- 
nisses zwischen Juden und Christen in Cloppenburg werden in eigenen Kapiteln abge- 
handelt. Sehr ausfuhrlich schreibt der Verf. iiber die Einrichtungen der jiidischen Ge- 
meinde in Cloppenburg, die jiidische Schule, die Synagoge und die jiidischen Friedhofe, 
die nach dem Ende des NS-Regimes wieder instand gesetzt wurden und iiber die Ge- 
denkstatte am Standort der 1938 zerstorten Synagoge, die 1983, 50Jahre nach der Zer- 
storung, eingeweiht wurde. 

Ein ausfuhrliches Literatur- und Quellenverzeichnis schlieBen die Darstellungen in 
dem Band ab. Sehr aufschlussreich ist aber noch der Anhang mit einem Beitrag von 
Bernward Deneke iiber die Amtstracht der Rabbiner und iiber die Dokumentation der 
Grabsteine auf dem jiidischen Friedhof, die unter Leitung von Johannes-Fritz Tollner 
von einer Arbeitsgruppe der Oldenburgischen Landschaft mit zahlreichen Abbildun- 
gen jiidischer Grabsteine in Cloppenburg zusammengestellt wurde. Am Schluss finden 
sich noch eine Ubersicht der auf dem jiidischen Friedhof in Cloppenburg beigesetzten 
Juden, eine Verwandtschaftstafel der jiidischen Familien in Cloppenburg sowie der obli- 
gate Fotonachweis. 

Wer sich mit jiidischer Geschichte in Nordwestdeutschland beschaftigen will, der 
wird durch dieses Buch und seine lokalen Bezugsstrukturen zu einem tieferen Verstand- 
nis des Judentums und des alten Konflikts zwischenjuden und Christen geleitet. Somit 
wird es einen wichtigen Platz nicht nur in der Ortsgeschichte Cloppenburgs, sondern 
auch in der niedersachsischen Regionalgeschichte einnehmen. 

Oldenburg Matthias Nistal 



Goslar im Mittelalter. Vortrage beim Geschichtsverein. Hrsg. von Hansgeorg Engelke. 
Bielefeld: Verlag fur Regionalgeschichte 2003. 271 S. Abb. =Beitrage zur Geschichte 
der Stadt Goslar: Goslarer Fundus Bd. 51. Geb. 19,- €. 

Den wesentlichen Inhalt dieses wohlgelungenen Sammelbandes hatte der Titel „Goslar 
und die Kaiser des Hohen Mittelalters" getroffen. Die Stadt spielt aberdoch eine gewisse 
Rolle. Zum einen in dem Beitrag von Evamaria Engel, der sich mit dem Verhaltnis zur 
Hanse befasst. Dieser gehorte Goslar zwar an, starker aber war es in den benachbarten 
sachsischen Stadtebund einbezogen. Zum anderen beschreibt Kirsten Weinig, auch an- 



474 Besprechungen und Anzeigen 

hand derdokumentierten Baubefunde, den sog. Huldigungssaal im Rathaus. Dieser wur- 
de im friihen 16. Jahrhundert als Ratsstube erbaut und reich mit Tafelbildern ausgestat- 
tet. Die zentrale Thematik dieser Malereien bildet die christliche Heilsgeschichte. Und 
das ist einzigartig fur eine biirgerliche Ratsstube. Dabei sind die wichtigsten Fragen, 
„namlich wer, was genau, wann und wieso immer noch nicht gelost". Einer der Griinde 
dafiir mag darin liegen, dass die Geschichte Goslars im friihen 16. Jahrhundert noch we- 
nig erforscht ist. 

Im Mittelpunkt des Buches steht die wichtige kunstgeschichtliche Magisterarbeit an 
der Universitat Gottingen von Wolfgang Beckermann, Das Grabmal Kaiser Heinrichs III. 
in Goslar. Dieses blieb bisher wissenschaftlich fast unbeachtet. Seine umfassende Unter- 
suchung, die auch historische und religiose Aspekte mit einbezieht, beginnt der Verfas- 
serimjahre 1056 mit der Verfiigung Heinrichs III. vonTodes wegen. Der Kaiser hatte fiir 
die damals iibliche Teilbestattung das Begrabnis seines Leichnams im Dom zu Speyer, an 
der Seite seines Vaters, bestimmt. Herz und Eingeweide jedoch sollten nach Goslar ge- 
bracht werden. Hier hatte er sich am liebsten und haufigsten aufgehalten und das Pfalz- 
stift St. Simon und Judas gegriindet als Pflanzstatte des Reichsepiskopates. Und hier fand 
er dann an prominentester Stelle, in der Vierung der Kirche, seine letzte Ruhestatte. Als 
mit dem Ausbleiben der Kaiser der Niedergang des Stiftes begann, hat man wohl die gro- 
Be Vergangenheit zu beschworen versucht. Es kam zwischen 1260 und 1290 zu einer 
Neukonzeption, und zwar fiir ein figiirliches Mai mit einer Sandstein-Grabplatte. Diese 
bildet Heinrich III. als vollplastisches Relief ab, liegend, in ganzer Figur mit einem Ar- 
chitekturmodell in der linken Armbeuge und einem Hund zu FiiBen. Damit nimmt die- 
ses Grab innerhalb des deutschen Sprachraumes in vielfacher Hinsicht eine ganz beson- 
dere Stellung ein: 1. Es ist das einzige figiirliche Konigsgrabmal fiir die Teilbestattung ei- 
nes Herrschers. 2. Vor 1290 entstanden, stellt es das zweitalteste Grabbild eines Konigs 
iiberhaupt dar. 3. Mit dem Modell von St. Simon und Judas weist es als einziges mittelal- 
terliches Konigsgrab den Herrscher als Stifter aus. 4. Der Hund zu FiiBen Heinrichs - 
hier als Symbol der Treue - ist wohl die frtiheste Darstellung dieses Tieres auf einem 
Grabmal und in Verbindung mit einem Herrschergrab singular. 

In der Vierung vor dem Hohen Chor, zwischen dem Gestiihl der Kanoniker, stand das 
Grab nicht nur den Heiligen St. Simon und Judas ganz nahe. Es war auch fest eingebun- 
den in die gottesdienstlichen Handlungen, ja es ist als das „Herzstiick des liturgischen 
Ordo" bezeichnet worden. Imjahre 1740 ersetzte ein neuer, jetzt barocker Schausarg, 
den alten Vorganger. 1819-22 kam es zum Abbruch der Stiftskirche. Das Grab wurde 
nun an verschiedenen Orten aufbewahrt. Als das Zweite Kaiserreich die Goslarer Pfalz 
restaurieren und zum Nationaldenkmal ausbauen lieB, bekam das Grabmal mit den Be- 
stattungsresten Heinrichs III. 1884 in der Ulrichskapelle seinen heutigen Standort. Da- 
mit ist aus liturgisch verehrten Fundatorengrab in der Stiftskirche ein Denkmal deut- 
scher Kaiserherrlichkeit geworden, die ihre Legitimation aus dem Mittelalter beziehen 
wollte. 

In dieser friihen Zeit bildeten die Konige durch ihre reisende Regierungsweise Voror- 
te aus, welche der politisch-religiosen Representation dienten. Diese waren mit den sie 
umgebenden Basislandschaften fiir die Reichsorganisation von Bedeutung. Uber die 
drei wichtigsten zur Regierungszeit Heinrichs III. handelt eingehend Wolfgang Huschner. 
Aachen war der alte Kronungsort, der Dom zu Speyer wurde Kaiser-Grabstatte. Goslar 
aber machte der Staufer zum wichtigsten der drei Herrschaftsvororte, verlieh ihm eine 
transalpine Ausrichtung. Von hier aus regierte der Kaiser relativ wirksam Italien und 



Geschichte einzelner Landesteile und Orte 475 

konnte 1056 in der Pfalz dem Papst Viktor II. einen prachtvollen Empfang bereiten. 
Nach der hohen Zeit unter Heinrich III. vermochte Goslar seinen hervorragenden Rang 
nicht ganz zu halten. Aber bis hin zu Friedrich I. Barbarossa blieb es einer der Herr- 
schaftsvororte. Das zeigt in ihrem Beitrag Elfie-Marita Eibl. Durch die Lage weit im Nor- 
den behielt die Pfalz ihre besondere Stellung. Gleichzeitig blieb sie ein Stachel im 
Fleisch Heinrichs des Lowen, der nicht aufgegeben werden durfte. Mit der Wahl Fried- 
richs I. hatten die Kampfe zwischen Welfen und Konigtum zunachst ein Ende gefunden. 
20 Jahre hindurch gab es nun ein enges Zusammenwirken der beiden Vettern Heinrich 
und Friedrich. Aber durch seine aggressive Politik machte der Lowe sich immer neue 
Feinde: „Einer gegen alle", wie Michael Lindner im Untertitel seines Aufsatzes formuliert. 
Da tat sich jedoch 1176 in Chiavenna der Konflikt zwischen dem Konig und dem mach- 
tigen Herzog auf, welcher das Reich bewegte. Jetzt fiihrte Barbarossa zusammen mit den 
Fursten „Alle gegen einen" den Sturz Heinrich des Lowen herbei. Der Archaologe Hart- 
mut Rotting kann im siidlichen Bereich der Goslarer Pfalz vor allem das alteste dort re- 
konstruierbare Bauwerk nachweisen. Es handelt sich um einen Wohnturm, welcher En- 
de des 10. Jahrhunderts niedergebrannt ist. Zu einem ebenso wichtigen wie wohlfun- 
dierten Beitrag handelt Marita Blattmann iiber den „ungliickbringenden" Konig des 
fruhen und hohen Mittelalters. Sein dauernd fehlerhaftes Verhalten zieht schlimme Fol- 
gen fur seine Untertanen nach sich. Das kann aber nur solange geschehen, wie ein meta- 
physisches Band existiert zwischen beiden, dem Volk und dem Konig. Das Idealbild des 
letzteren ist der fromme und gerechte Herrscher. Im Investiturstreit kommt es dann zum 
Bruch mit dem Sakralkonigtum. Nun stellt sich der Papst als Mittler zwischen Herrscher 
und Volk. Der „unrechte Konig" ist nur noch ein „Unfahiger". Das ist die „Epochen- 
scheide in der Geschichte des Konigtums". Letzteres ist jetzt sehr irdisch geworden. 

Dem sehr qualitatvollen Inhalt des Buches entspricht das auBerst wohlgelungene Au- 
Bere, der Einband und die graphische Gestaltung. So bleibt nur ein ganz kleiner Wunsch 
offen: der nach einem Verzeichnis mit naheren Angaben zu den Autoren. 

Buxtehude Margarete Schindler 



Kelichhaus, Stephan: Goslar um 1600. Bielefeld: Verlag fur Regionalgeschichte 2003. 
252 S. Abb. und graph. Darst. = Gottinger Forschungen zur Landesgeschichte Bd. 6. 
Kart. 24,- €. 

Diese Gottinger Dissertation will eine historische Darstellung der alten Reichsstadt lie- 
fern fur die Zeit von ca. 1575 bis 1625. So weist das in etwa auch die Gliederung aus. Die 
Bearbeitung geschieht dann auf der Grundlage einer begrenzten Auswahl von Quellen. 
Da sind zuerst erzahlende Aufzeichnungen, die ja oft subjektiv gefarbt sind. Sie werden 
in groBer Zahl zitiert, buchstaben- und zeichengetreu. Da die Arbeit sich aber nicht an 
Germanisten wendet, hatte Stephan Kelichhaus dem Leser die Lektiire sehr erleichtert, 
wenn er die Editionsgrundsatze von Johannes Schultze aus dem Jahre 1966 angewandt 
hatte. Zu den benutzten Quellen zahlen ferner eine Anzahl Amtsbucher, insbesondere 
die SchoBregister. Anhand dieser Unterlagen behandelt der Verfasser recht anspre- 
chend verschiedene Aspekte des stadtischen Lebens. Ausgezeichnet die Kapitel 8 und 9. 
Hierbreitet er seitenlang prosopographisches Material aus iiber die Armen und iiber die 
Hospitalpfriindner der Zeit. Dabei unterdriickt der Autor auch nicht Sondervergiitun- 



476 Besprechungen und Anzeigen 

gen aus der Armenkasse fiirwohlbestallte Stadtsekretare u.a. Auffalligkeiten. Positivher- 
ausgestellt sei ferner die aufwendige Sozialtopographie fiir die Zeit um 1600. Die beige- 
fiigte Karte allerdings ist auch fiir den Goslar-Kenner nur schwer zu lesen. 

Vorwort, Einleitung und Schluss werfen aber Fragen auf, die aus Buchtitel und In- 
haltsverzeichnis nicht ohne weiteres abzuleiten, in der ortlichen Historiographie bisher 
auch nicht gestellt worden sind: Bedeutet der Riechenberger Vertrag von 1552 wirklich 
die groBe Wende, ist also Goslar um 1600 eine Stadt des Niederganges? Oder soil dies 
„Gerede" nur hinwegtauschen iiber den sich damals dramatisch zuspitzenden Gegensatz 
von Arm und Reich? Diesen Problemen ist der Verfasser nicht quantitativ nachgegan- 
gen. Vielmehr hat er mit einer gezielten Auswahl eine qualitative Rekonstruktion ver- 
sucht. Und gleichzeitig bekennt er im Vorwort (S. 7), dass ihm erst im Verlauf der Dar- 
stellung „die ungeheure gesellschaftliche Dramatik" klargeworden sei, „die derheutigen 
erdriickend ahnlich ist". Die Frage des Abstieges behandelt der Autor an den Stellen, wo 
ergegen den Verlust an politischem Gewicht, das unzeitgemaBe Wehrwesen, die sinken- 
de Einwohnerzahl, den Niedergang der Wirtschaft und schlieBlich die Verarmung der 
gesamten Biirgerschaft zu argumentieren versucht. Diese einzelnen Faktoren kann der 
Historiker fiir die Zeit allgemein mit dem Erstarken der Territorialherren, dem Aufkom- 
men der Feuerwaffen, dem Niedergang der Hanse u.a.m. belegen. 

Fiir Goslar kommt jetzt die vollstandige Umklammerung durch die Welfen hinzu. 
Nun erst gewinnen diese - was ahnlich anderswo langst der Fall ist - rechtliche Bezirke 
im eigentlichen Stadtgebiet. Und herzogliche Beamte Ziehen nach Goslar, versuchen 
dort auch politischen Einfluss zu nehmen. - Da klingen die Gegenargumente des Au- 
tors, dass man doch Reichsstadt geblieben ist, vor dem Reichskammergericht vertreten 
wird und 1618 den Generalmiinzwardein stellt, wenig iiberzeugend. 

Zum Niedergang durch ein unzeitgemaBes Wehrwesen sei wenigstens an dieser Stelle 
erganzt: Anfang des 16. Jahrhunderts hat Goslar gewaltige fortifikatorische Arbeiten an 
den vorhandenen Werken unternommen. Das Breite Tor ist das letzte groBe Stadttor 
Mitteleuropas geworden. Ahnliches war von Biirgern nicht mehr zu finanzieren. Aber 
die Stadt hat die Bauten ausgefiihrt, als es bereits Feuerwaffen gab und schon die ersten 
modernen Bastionsbefestigungen entstanden. - Was danach in Goslar geschieht, sind 
nurnoch bescheidene Modernisierungen wie topographische Ausrichtung der Wehror- 
ganisation, Anschaffung von Schusswaffen u.a. 

Die Einwohnerzahl speziell Goslars lasst sich fiir die Zeit schwer schatzen. Der Verfas- 
ser und die kenntnisreiche Hannelore Drewes vertreten zudem gegensatzliche Auffas- 
sungen. Und aus der Zeit um 1625 fehlen die Angaben ganz. Die gesamte Wirtschaft lei- 
det seit 1552 natiirlich unter dem Verlust des Rammelsberges. Dies kann und will nie- 
mand leugnen. Etwa 15 Jahre spater - das sei an dieser Stelle hinzugefiigt - vollzieht die 
Stadt dann ihren Austritt aus dem Fernhandelsbund der Hanse. Die alten Montanfamili- 
en suchen jetzt, wie es anderswo Patrizier auch tun, entsprechende Anstellungen in lan- 
desherrlichen Diensten. Und neben den sonstigen Einnahmen bricht nach 1600 auch 
das Vitriolgeschaft weg, das einzige, das aus dem Bereich des Bergbaues lukrativ geblie- 
ben war. Selbst auf dem Gebiet der Bildenden Kunst finden sich nur noch kleinere Auf- 
tragsarbeiten. - Da konnen die erfolgreiche Kaufmannsfamilie Cramer, fahige Biichsen- 
macher u.a. Handwerker kaum fiir bliihende Wirtschaft stehen. Einen gewissen Aus- 
gleich versucht der Rat - das sei hier wiederum erganzt - 1557 mit der Steigerung der 
Bierbrauerei und 1588/89 durch verstarkten Abbau des Dachschiefers. 

Die zweite These der Dissertation benennt das Auseinanderdriften der sozialen Grup- 



Geschichte einzelner Landesteile und Orte 477 

pen einer „aus den Fugen springenden Stadtgesellschaft" (S. 216), welches, wie heute, 
„eine neue soziale Frage" auslose (S. 1). Zur Erlauterung zeigt Abb. 13 fur die Zeit von 
1580 bis zur Miinzverschlechterung der Kipper und Wipper langsam ansteigende Kur- 
ven bei Einnahmen von Haus- und GemeinschoB. Gegenlaufig sind Riickstande, Steuer- 
schulden, ausgewiesen. Der Verfasser versucht dann, um 1600 fur beide Seiten Beispiele 
festzumachen und sozialtopographisch zu verankern. Dies Ergebnis entspricht in der 
Tat nicht den Erwartungen. Es tut sich eine Schere auf zwischen den fuhrenden Famili- 
en, deren Wohlstand ansteigt, und den wirtschaftlich Schwacheren. Diese konnen sich 
ihrer Steuerschulden allerdings 1622 gunstig entledigen. In diesem Jahr ist die Miinz- 
verschlechterung in Goslar auf ihrem Hohepunkt angelangt. Bei einem Aufstand der Ar- 
men wird die soziale Schieflage in der Stadt offenbar. Die Situation zeigt sich aber nicht 
eigentlich dramatisch zugespitzt. Der Rat kann mit klugen Worten innerhalb weniger 
Stunden Ruhe und Ordnung herstellen. Und von nun an wird wieder gutes Geld ge- 
schlagen. 

Die Ergebnisse seiner Analyse regen den Verfasser zu allgemeinen Bemerkungen fur 
das 17. Jahrhundert und die Gegenwart an, welchen die Rezensentin nicht folgen kann. 
Uberhaupt versucht er nicht immer, die Dinge aus der Zeit um 1600 zu verstehen. Das 
zeigt sich schon an Begriffen wie „Wahrungsreform" (S. 69) und „Stadtmanagement" (S. 
215). Da werden Dinge „arbeitsvertraglich geregelt" (S. 103). Und es gibt verarmende 
Witwen, die zu ihren „Standesgenossinnen" Ziehen, um „Wohn- und Hausgemeinschaf- 
ten" zu bilden (S. 44) u.v.a.m. Sprachlich seien zur Korrektur wenigstens als wichtigste 
Beispiele genannt: Ernahm sich „den Belangen des Klosters an" (S. 105), es „verschleiB- 
te" (S. 36) statt verschliss, der „Ratszimmermannsmeister" (S. 30). 

Insgesamt mogen die kritischen Anmerkungen nicht als unfreundlich empfunden 
werden. Sie mochten gern eine Diskussion anregen. Denn die Arbeit von Kelichhaus 
bietet trotz mancher Schwachen viele Anregungen, die auf fruchtbaren Boden fallen 
sollten, in Goslar selbst und auch anderswo. 

Buxtehude Margarete Schindler 



Von der Polizei der Obrigkeit zum Dienstleister fur bffentliche Sicherheit. Festschrift zum 100. 
Gebaudejubilaum des Polizeiprasidiums Hannover 1903-2003. Hrsg. von Hans-Joa- 
chim Heuer, Hans-Dieter Klosa, Burkhard Lange und Hans-Dieter Schmid. Hilden: 
Verlag Deutsche Polizeiliteratur 2003. 272 S. Abb. Kart. 5- €. 

Anlass fur die hier anzuzeigende Festschrift war laut Titel das lOOjahrige Gebaudejubila- 
um der heutigen Polizeidirektion, wobei der zeitliche Rahmen einiger Beitrage daruber 
hinaus bis zur Griindung dieser Behorde im Jahre 1809 zuriickreicht. Im Gegensatz zu 
einem ahnlichen Veroffentlichungsvorhaben, welches zeitlich parallel in der Nachbar- 
stadt Braunschweig realisiert worden ist, wird hier kein chronikalischer Ansatz ver- 
folgt Fur die Hannoversche Festschrift hat man ganz bewusst sowohl Autoren gewon- 

1 Volker Dowidat, Polizei im Riickspiegel. Die Geschichte der Polizeidirektion Braun- 
schweig, Braunschweig 2003. 

2 Eine kurzgefasste Chronik der Polizei Hannover von Dirk Riesener findet sich viel- 
mehr in einer parallel erschienenen Festzeitung (Festzeitung 100. Gebaudejubilaum des Poli- 



478 Besprechungen und Anzeigen 

nen, die als Angehorige der Polizei die Binnenperspektive einbringen, als auch sachver- 
standige Historiker, die die Polizei unter geschichtswissenschaftlichen Fragestellungen 
betrachten. Dabei sind laut Vorwort der Herausgeber einzelne Schwerpunktthemen 
schlaglichtartig unter einem besonderen Verstandnis von Polizei und Polizeiarbeit auf- 
gearbeitet worden. Leitlinie war die Definition der Polizei als Dienstleistungsunterneh- 
men, welches fur die offentliche Sicherheit eines Gemeinwesens zustandig ist. Die 
Dienstleistungen, ihre Wirksamkeit und Qualitat werden nicht mehr allein von den An- 
bietern und Produzenten bewertet, sondern auch von den Nutzern dieser Dienstleistun- 
gen beurteilt. Im angehangten Autorenverzeichnis sind die beruflichen Standorte der 
Beitrager detailliert ausgewiesen und erlauben somit Riickkopplungen zu den in ihren 
Beitragen herausgearbeiteten Einschatzungen. 

Giinther Kokkelinkbeschreibt die Planungs- und Baugeschichte des Koniglichen Poli- 
zei-Prasidiums. Er berichtet iiber die Standorte und Gebaude der Polizeidirektion vor 
1903, die Suche nach einem geeigneten Bauplatz, das stadtebauliche Umfeld, die Pla- 
nungsphasen sowie die Bauausfiihrung 1900-1903. Besondere Aufmerksamkeit richtet 
er auf die Ausbildung des Baustils, der Neurenaissance als Variante des Historismus, der 
hier mit reicher figiirlicher Bauplastik wie dekorativen Maskaronen und allegorischen 
Steinkopfen aufwartet. Dargestellt sind zum Beispiel die „Justitia", die „Strafende Ge- 
rechtigkeit", ein „Mannlicher Verbrecher", ein „Weiblicher Verbrecher" sowie die Poli- 
zei „im Kampf mit dem Verbrechertum - bei der Abwehr des Bosen". Dirk Riesener schil- 
dert die Grundlagen der Geschichte der Polizeidirektion Hannover von ihrer Griindung 
imjahre 1809 bis 1866. Eruntersucht eingehend die Zustandigkeitsproblematik fur die 
Polizei in Hannover, die zu dieser Zeit einerseits eine stadtische und andererseits auch 
eine staatliche Einrichtung war (Untertitel des Beitrages: „Von der kommunalen Polizei 
zur General-Polizei-Direktion des Konigreichs Hannover") . Besondere Aufmerksamkeit 
widmet er auBerdem der politischen Polizei unter dem ab 1847 amtierenden Polizeidi- 
rektor Carl Georg Wermuth, dessen Wirken im Spannungsfeld zwischen Liberalismus 
und Monarchie iiber Hannover hinausgehend Bedeutung zukommt. Thomas Kailer 
nimmt sich aus einerungewohnlichen Perspektive des Serienmorders Haarmann an, des 
wohl bisher prominentesten Kriminalfalles in Hannover. Dieser erlangte schon damals 



zeiprasidiums Hannover 1903-2003, Hilden 2003); daneben erschien zu einer im Nieder- 
sachsischen Hauptstaatsarchiv Hannover gezeigten Ausstellung ein kleiner Katalog („Der 
Ordnung verpflichtet ..." - Polizeiliches Handeln in Hannover zwischen Weimarer Repu- 
blik und Griindung der Bundesrepublik Deutschland. Die hannoversche Polizei zwischen 
1918 und 1965. Dokumente, Bilder & Texte. Bearbeitet von Kerstin Rahn und Astrid Koh- 
LER. Hannover 2003 = Veroffentlichungen der Niedersachsischen Archivverwaltung. Inven- 
tare und kleinere Schriften des Hauptstaatsarchivs in Hannover Heft 6). 

3 Rieseners einschlagige Dissertation wurde in der Veroffentlichungsreihe der Histori- 
schen Kommmission fur Niedersachsen gedruckt: Dirk Riesener, Polizei und politische Kul- 
turim 19. Jahrhundert. Die Polizeidirektion in Hannover und die politische Offentlichkeit im 
Konigreich Hannover, Hannover 1996; Rezension von Gerhardt Schildt siehe Niedersachsi- 
sches Jahrbuch Band 71, 1999, Seite 349-351. 

4 Carl Wermuth /Wilhelm Stieber, Die Communisten-Verschworungen des neunzehn- 
ten Jahrhunderts. Im amtlichen Auftrage zur Benutzung der Polizei-Behorden der sammtli- 
chen deutschen Bundesstaaten auf Grund der betreffenden gerichtlichen und polizeilichen 
Acten dargestellt. 2 Bde., Berlin 1853 (Reprint Hildesheim 1969). 



Geschichte einzelner Landesteile und Orte 479 

in der Zeit der Weimarer Republik weitestgehende Bekanntheit durch eine vorher in die- 
sem AusmaB nicht gekannte Presseberichterstattung, nicht zuletzt auch durch den Gas- 
senhauer „Warte, warte nur ein Weilchen, dann kommt Haarmann auch zu Dir . . .". Kai- 
ler sieht den Fall als ein modernes Beispiel fur die Popularisierung von forensischem 
Wissen. Der Beitrag von Hans-Dieter Schmidhietet eine Darstellung derBildungund Ent- 
wicklung der hannoverschen Geheimen Staatspolizei (Gestapo) von 1933 bis 1945. Dar- 
in werden die organisatorischen und personellen Strukturen untersucht und die Arbeits- 
weise der Gestapo geschildert. Hans-Joachim Heuer berichtet iiber die nationalsozialisti- 
sche polizeiliche Verfolgung und die Leiden der Verfolgten im Zustandigkeitsbereich 
der Polizeidirektion Hannover in diesem Zeitraum. Er erinnert an die 1999 erfolgte Be- 
nennung des ostlich des Hauptdienstgebaudes der Polizeidirektion verlaufenden Weges 
am Leineufer nach der in Hannover-Linden geborenen und aus Deutschland emigrier- 
ten Philosophin Hannah Arendt und begrundet damit eindringlich den Auftrag zu sei- 
ner Darstellung: „So gibt der ,Hannah-Arendt-Weg' - an dem die Polizeidirektion Han- 
nover liegt - auch Anlass dazu, iiber die polizeiliche Verfolgung in den Jahren von 1933 
bis 1945 nachzudenken, denn die Verfolgung ist in dieser Liegenschaft und im Polizeige- 
wahrsam ganz wesentlich organisiert und exekutiert worden". Dirk Gbtting liefert eine 
Beschreibung der Kontinuitaten und Briiche am Beispiel der Kriminalpolizei Hannover 
zum Stichjahr 1945. Nach einem Riickblick auf die Kriminalpolizei in der Weimarer 
Republik und die Sicherheitspolizei des NS-Staates reflektiert er die britischen und 
deutschen Reorganisationskonzepte und resiimiert schlieBlich den unter britischer Mili- 
tarhoheit 1945/46 durchgesetzten umfassenden Reorganisationsplan als definitive Mog- 
lichkeit zur Neuorientierung. Frank Liebert skizziert die Reorganisation der niedersachsi- 
schen Polizei unter britischer Besatzung von 1945 bis 1951. Erthematisiert die britischen 
Versuche und Ergebnisse der Entmilitarisierung und Entnazifizierung der Polizei, das 
aus dem „Dritten Reich" stammende Berufsverstandnis und schlieBlich die ersten neuen 
Organisationsformen. Thomas Grotum setzt sich mit den Motivationen der ab 1953 auch 
in Hannover zu verzeichnenden sogenannten „Halbstarken-Krawallen" auseinander 
und berichtet iiber die polizeilichen Reaktionen. Er zeichnet das in der Polizei beginnen- 
de neue Verstandnis fiirjugendbewegungen und die ungewohnlichen Methoden der po- 
lizeilichen Offentlichkeitsarbeit am Beispiel dieser Gruppe nach. Heinrich Boge be- 
schreibt das Demonstrationsgeschehen 1969-1978 in Hannover aus der Sicht des Be- 
hordenleiters sowie die internen Uberlegungen der Polizei zur Auseinandersetzung mit 
neuen sozialen Bewegungen, beispielsweise „Rote-Punkt-Aktion", ,,Hausbesetzungen", 
,,AuBerparlamentarische Opposition", „Rote-Armee-Fraktion" und „Anti-Atomkraft- 
Bewegung". Wolf-Dieter Mechler analysiert die Entstehung der „Rote-Punkt-Aktion", ei- 
ner Protestaktion gegen die Fahrpreiserhohungen der hannoverschen Verkehrsbetriebe 
(USTRA) im Jahre 1969, und illustriert den Verlauf dieser lokalen sozialen Bewegung 
mit Dokumenten aus dem Stadtarchiv. fnteressant ist die im Gegensatz zum vorherigen 
Beitrag dokumentierte Sichtweise der Demonstrierenden. Hans-Dieter Klosa zeichnet in 
seinem Beitrag die Ausgangslage fur die seit Beginn der 1980er Jahre fiir Hannover be- 
kannten „Chaos-Tage", eines zuletzt bundesweit organisierten „Punker-Treffens" mit re- 
gelmaBigen krawallartigen Ausschreitungen, aus der Sicht des Polizeiprasidenten nach 
und diskutiert die verschiedenen Einsatzkonzepte, die schlieBlich 1996 in ein Versamm- 
lungsverbot mtindeten. 

Alle Beitrage enthalten mehr oder weniger ausfiihrliche Quellennachweise in FuBno- 
ten. Weiterfuhrende Literatur wird stets am Ende der Beitrage angefuhrt. Zahlreiche 



480 Besprechungen und Anzeigen 

SchwarzweiB-Abbildungen und -Fotos tragen zur Anschaulichkeit bei. Den besonderen 
Reiz dieser Festschrift macht freilich das breite Spektrum der Autoren und ihrer unter- 
schiedlichen Sichtweisen aus. Hierzu sollen noch zwei Aussagen zum Thema „Rote- 
Punkt-Aktion" zitiert werden: „Auch diese Ereignisse zeigen, dass in der Bundesrepublik 
ein anderes Klima entstanden war. Fur Hannover war, wie die Presse schrieb, der ,Poli- 
zeisommer' voriiber" [= nach der weitgehenden Riicknahme der Fahrpreiserhohungen 
infolge der Protestdemonstrationen, Rez.] (Boge, Seite 229) und „Willy Brandts spater 
geauBerter Leitsatz von ,mehr Demokratie wagen' wurde in Hannover im Juni 1969 vor- 
weg genommen. Die hier praktizierte Demokratie bediente sich aller bekannten auBer- 
parlamentarischen Protestformen wie Blockade, Besetzung, sit-in, Demonstration, Stra- 
Bentheater, teach-in, Diskussion und Kundgebung" (Mechler, Seite 261). Die angezeigte 
Festschrift stellt ein Gemeinschaftswerkdar, dessen Entstehungin dieser Form in der auf- 
geheizten Atmosphare Ende der 1960er bzw. Anfang der 1970erjahre sichernicht denk- 
bar gewesen ware. 

Braunschweig Hans-Martin Arnoldt 



Hohl, Monika: Die Pest in Hildesheim. Krankheit als Krisenfaktor im stadtischen Leben 
des Mittelalters und der friihen Neuzeit (1350-1750). Hildesheim: Stadt Hildesheim, 
Stadtarchiv 2002. 376 S. Abb. = Schriftenreihe des Stadtarchivs und der Stadtbiblio- 
thek Hildesheim Bd. 27. Geb. 29,- €. 

Im spaten Mittelalter und in der friihen Neuzeit war die Pest die von den Zeitgenossen 
am meisten gefiirchtete Massenerkrankung. In neuererZeit hat die Seuche das Interesse 
der sozialhistorischen Forschung gefunden, die die demographischen, wirtschaftlichen 
und gesellschaftlichen Auswirkungen der Pestepidemien untersucht. Das Pestgeschehen 
in den niedersachsischen Stadten ist bislang jedoch nur vereinzelt Thema der histori- 
schen Pestforschung geworden. Mit ihrer 1994 bei der Universitat Bielefeld eingereich- 
ten Dissertation untersucht Monika Hohl in acht Kapiteln unter Auswertung eines brei- 
ten Quellenspektrums die demographischen, soziookonomischen, administrativen und 
mentalitatsgeschichtlichen Auswirkungen der Pest in der (Alt-)Stadt Hildesheim vom 
14. bis zum 18. Jahrhundert. 

Einfuhrend gibt die Autorin einen Uberblick iiber ihre Fragestellung und Methoden, 
iiber den Stand der Pestforschung und iiber zugrunde liegenden Quellen. Mit Schossre- 
gistern, Kammereirechnungen, Kirchenbuchern, Ratsprotokollen, Ratskorresponden- 
zen, Pestverordnungen, Chroniken und nicht zuletzt dem sog. Hildesheimer Pestbuch, 
einem Verzeichnis der Pesttoten der Jahre 1597 bis 1623, liegt fur die Stadt Hildesheim 
eine auBerordentlich reichhaltige Uberlieferung zum Thema vor. Im zweiten Kapitel er- 
stellt Hohl eine Chronologie des Pestgeschehens in Hildesheim, wobei sie zwischen dem 
ersten Auftreten der Pest in Hildesheim im Jahr 1350 und der letzten stadtischen Pestepi- 
demie in den Jahren 1657/58 insgesamt 54 Pestjahre, 70% davon allein im 16. und 17. 
Jahrhundert, belegen kann. 

Das dritte Kapitel widmet sich derHerausbildung spezifischer Verwaltungsstrategien 
in Pestzeiten, die sich in erster Linie in Pestgesetzen und -verordnungen niederschlu- 
gen. Die Pestgesetzgebung des Rates bewegte sich dabei im Spannungsfeld zwischen 
wirtschaftlichen und gesundheitspolitischen Interessen. Die MaBnahmen gegen die Pest 



Geschichte einzelner Landesteile und Orte 481 

waren einerseits bestimmt durch die Angst vor dem Ausgreifen der Seuche, der man v. a. 
durch die Isolation bereits an der Pest Erkrankter zu begegnen suchte, andererseits wa- 
ren sie von der Sorge um die Aufrechterhaltung der gewohnten politischen, gesellschaft- 
lichen und wirtschaftlichen Ordnunggepragt. Wichtigste MaBnahme gegen die Pest war 
die Absonderung Kranker, die sich im privaten Bereich abspielte. Eine gezielte obrig- 
keitliche Forderung des Hospitalwesens zur Isolation und Pflege Pestkranker, wie sie et- 
wa in Sudeuropa iiblich war, war in Hildesheim wie in anderen norddeutschen Stadten 
unbekannt. 

Im vierten Kapitel wird die Pest als Storfaktor der stadtischen Wirtschaft in den Blick 
genommen. Als Zentrum des regionalen Handelsverkehrs war die Stadt Hildesheim ab- 
hangig von der Kontinuitat okonomischer Beziehungen, die durch die Pest empfindlich 
gestort wurden. Denn in Pestzeiten wurden nicht nur Handel und Verkehr als Haupt- 
iibertragungswege der Krankheit stark eingeschrankt, sondern pestverseuchte Stadte 
wurden von der AuBenwelt isoliert, was fur die betroffenen Kommunen erhebliche wirt- 
schaftliche EinbuBen zur Folge hatte und nicht selten zum totalen Zusammenbruch der 
stadtischen Wirtschaft fiihrte. Handels- und Reisebeschrankungen betrafen vor allem 
sozial randstandige Personengruppen, insbesonderejuden, die seit dem spaten 17. Jahr- 
hundert immer starker marginalisiert und kriminalisiert wurden. Das fiinfte Kapitel be- 
trachtet die Pest als einen bestimmenden Faktor der demographischen Entwicklung der 
Vormoderne und untersucht die Bevolkerungsentwicklung in Hildesheim unter dem 
Einfluss des Krisenfaktors Pest vom 14. bis zum 18. Jahrhundert. 

Indem sie die sozialtopographischen Verhaltnisse in den sechs altstadtischen Bauer- 
schaften untersucht, fragt Hohl im sechsten Kapitel nach den sozialen Folgen der Pest. 
Dabei kommt sie zu dem Ergebnis, dass in Hildesheim ebenso wie in anderen deutschen 
Stadten die Sterblichkeit in den unteren Bevolkerungsschichten signifikant hoher war. 
Griinde hierfiirsind die unzureichende Kenntnis derlnfektionswege, die fehlende medi- 
zinische Versorgung und Hygiene und nicht zuletzt die in den unteren Schichten kaum 
vorhandenen Fluchtmoglichkeiten. 

Die gesellschaftliche Elite verfiigte hingegen iiber verschiedene, auf materiellen 
Wohlstand und weit verzweigte soziale Kontakte gegriindete Strategien der Pestpraven- 
tion und -behandlung, wie Hohl in ihrem siebten Kapitel deutlich macht. Hier unter- 
sucht sie die Chroniken derHildesheimerPatrizierfamilie Brandis, die mehrfach von der 
Pest betroffen war und deren Mitglieder ihre Erfahrungen zum Teil in autobiographi- 
schen Schriften niedergelegt haben. So ist Henning Brandis (1454-1529) ein Beispiel da- 
fur, wie pestbedingte Verluste von Familienmitgliedern durch eine gezielte Heiratspoli- 
tik wieder ausgeglichen werden konnten. Sein Sohn Tilo (1511-1566) berichtet iiber die 
organisierte Flucht vor der Pest als preventive MaBnahme, wobei insbesondere die 
mannlichen Nachkommen reicher Patrizierfamilien in pestfreie Gebiete in Sicherheit 
gebracht wurden. Joachim Brandis derjungere (1553-1615), Tilos Neffe, schlieBlich gibt 
Aufschluss dariiber, welche medizinischen und pflegerischen Moglichkeiten dem wohl- 
habenden Burgertum bei der Behandlung an der Pest erkrankter Familienangehoriger 
zur Verfiigung standen. Nach einer Zusammenfassung ihrer Ergebnisse im achten Kapi- 
tel bietet Hohl im Anhang neben einem ausfuhrlichen Quellen- und Literaturverzeich- 
nis noch achtunddreiBig Grafiken, in denen sie die im funften und sechsten Kapitel un- 
tersuchten demographischen Quellen unter verschiedenen Gesichtspunkten auswertet. 

Die vorliegende Arbeit ist eine ausgesprochen quellenorientierte, von sozialhistori- 
schen Methoden und Fragestellungen geleitete Darstellung des Pestgeschehens in der 



482 Besprechungen und Anzeigen 

Stadt Hildesheim, die durch die Menge der ausgewerteten Quellen, eine detailreiche 
Darstellung und die Vielfalt der angesprochenen Aspekte iiberzeugt. Bemerkenswert ist 
auch die langfristige Perspektive der Arbeit, die den gesamten Zeitraum des Auftretens 
und Nachwirkens der Pest in Hildesheim vom 14. bis zum 18. Jahrhundert umfasst, wo- 
bei ihr Schwerpunkt eindeutig im 16. und 17. Jahrhundert liegt. 

Hannover Claudia Kauertz 



Muller, Ulfrid: Die St. Osdag-Kirche in Neustadt-Mandelsloh. Ein reprasentativer Sakral- 
bau aus fruhstaufischer Zeit. Regensburg: Verlag Schnell & Steiner 2004. 320 S. 
Zahlr. 111., graph. Darst. Kart. 29,90 €. 

Die St.-Osdag-Kirche in Mandelsloh, siidlichstes und - trotz vielernachtraglicher Veran- 
derungen - besterhaltenes Beispiel einer romanischen kreuzfbrmigen Backsteinbasilika 
in Niedersachsen, wurde 1861 von Conrad Wilhelm Hase in die Kunstgeschichte einge- 
fuhrt. Aber erst ein knappes Jahrhundert spater legte Eberhard G. Neumann mit seiner 
Dissertation (Hannover 1958) die erste groBe baugeschichtliche Monographie iiber die 
Mandelsloher Kirche vor. Diese Arbeit wurde nur in gekiirzter Fassung in den Nieder- 
deutschen Beitragen zur Kunstgeschichte 1964 gedruckt, weitere Abschnitte und Zusam- 
menfassungen waren zuvor schon an anderen Stellen veroffentlicht worden. Die infolge 
dieser Umstande nicht geschlossen publizierte zeichnerische Dokumentation ist zudem 
inzwischen durch InstandsetzungsmaBnahmen derjahre 1974 - 1976, bei denen der FuB- 
boden abgesenkt wurde, iiberholt. Gleichzeitig und spater durchgefuhrte Bauuntersu- 
chungen sowie ein allgemeiner Erkenntniszuwachs in der kunstgeschichtlichen For- 
schung lassen dariiber hinaus die von Neumann primar verfolgten Fragestellungen (Ent- 
stehungszeitraum, Bauanlass, kunstgeschichtliche Stellung) in neuem Licht erscheinen. 

Mit groBen Erwartungen nimmt man daher die vorliegende Publikation in die Hand, 
war doch ihr Verfasser, friiherer Leiter des Amtes fur Bau- und Kunstpflege der Ev.-luth. 
Landeskirche Hannovers und verantwortlich fur die BaumaBnahmen der 1970er Jahre, 
bereits mit zahlreichen kleineren Veroffentlichungen iiber Mandelsloh, u. a. einem 
mehrfach aufgelegten kleinen Kunstfuhrer, hervorgetreten. Doch schon beim ersten 
Blattern in dem anscheinend fur einen groBeren Leserkreis gedachten Buch wird man 
enttauscht. Auf eine umfassende Bestandsdokumentation ist verzichtet. Ein kleinmaB- 
stablicher periodisierender Grundriss sowie etliche darauf basierende Grundrisse mut- 
maBlicher friiherer Zustande, dazu einige isometrische Rekonstruktions-Skizzen, eine 
Baualterskizze der TurmauBenseiten und eine rekonstruktive Systemskizze eines Dach- 
werkgebindes - dies sind die einzigen zeichnerischen Illustrationen des Buches, wenn 
man einmal von einigen beigegebenen historischen Planen absieht. Auch die fotografi- 
schen Abbildungen bieten nur eine Auswahl. Vor allem das Kircheninnere kommt 
schlecht weg. Wie es in den Seitenschiffen oder in den Querhausarmen aussieht, wird 
nicht durch Abbildungen belegt. Zeichnungen der Grabungsbefunde und der Mauer- 
werksfreilegungen fehlen ebenfalls. 

So ist der Leser bei seiner Urteilsbildung hauptsachlich auf den Text angewiesen. Am 
Anfang steht eine kurze Lagebeschreibung. Die sich anschlieBende eigentliche Darstel- 
lung folgt dem Lauf derjahrhunderte, denen jeweils ein Abschnitt gewidmet ist, begin- 
nend mit dem 9. Jahrhundert und endend mit der Gegenwart. In jedem Abschnitt finden 



Geschichte einzelner Landesteile und Orte 483 

sich seitenlange, aus unterschiedlicherLiteraturzusammengeschriebene Betrachtungen 
iiber die allgemeine und auch regionale Geschichte, die iiberhaupt nichts mit dem The- 
ma zu tun haben und fur die Baugeschichte der Mandelsloher Kirche keinerlei Erkennt- 
nisse bringen. Fatal ist dies insbesondere, wenn bei den mittelalterlichenjahrhunderten, 
fur die keine oder nur sparliche Schriftquellen vorliegen, solche Ausfiihrungen in unzu- 
lassiger Weise mit Mandelsloh verkniipft werden oder gar in baugeschichtliche Hypo- 
thesen iiber die Kirche miinden. 

Die ersten beiden Kapitel erschopfen sich in MutmaBungen: Fiir den Zeitraum des 9. 
und 10. Jahrhunderts, fiir den - abgesehen von der sagenhaften Griindungsgeschichte in 
der jiingeren Mindener Bischofschronik aus dem 15. Jahrhundert - schriftliche Uberlie- 
ferungen fehlen, nimmt der Verf. in Analogie zu den archaologisch erschlossenen Holz- 
kirchen in Tostedt (Landkreis Harburg) ohne jeden Befund derartige Kirchenbauten 
auch in Mandelsloh an. Kaum weniger spekulativist fiir das 11. Jahrhundert die Annah- 
me einer kreuzftirmigen einschiffigen Steinkirche von den Abmessungen der heutigen 
Kirche (ohne Seitenschiffe und Turm) . Eine unter den beiden westlichen Arkadenbtigen 
der siidlichen Mittelschiffswand iiber das jetzige FuBbodenniveau tretende „Funda- 
mentbank", die sich vielleicht bis zum siidwestlichen Vierungspfeiler fortgesetzt hat, ist 
fiir den Verf. der Beweis. Warum auf die von ihm vermutete Baugestalt der Kirche aus 
dem „kreuzformigen Grundriss" der Vierungspfeiler geschlossen werden kann, bleibt 
sein Geheimnis. Ein in zwei Teile zerbrochenes Tympanon mit Taustabrahmung, das 
Neumann gefunden und nicht ohne Grund dem Bau des 12. Jahrhunderts zugeordnet 
hatte, wird ebenso wie die vierpassahnliche Kreuzoffnung im Giebelfeld des heutigen 
Siidquerhauses kurzerhand fiir die hypothetische Kirche des 11. Jahrhunderts in An- 
spruch genommen. 

Der im thematischen Mittelpunkt des Buches stehenden romanischen Backstein- 
kirche, einer flachgedeckten, kreuzformigen Pfeilerbasilika, sind die folgenden drei 
Kapitel gewidmet. Der urspriingliche Ostabschluss bestand nach des Verf. Feststellung 
aus dem noch vorhandenen apsidial schlieBenden Chorquadrum sowie einer heute feh- 
lenden, ebenfalls apsidial endenden Nebenkapelle am nordlichen Querarm und einer 
gleichfalls nicht mehr existierenden Apsis am Siidquerarm. Ein von Neumann ausgegra- 
bener und diesem Bau zugewiesener geradeschlieBender Nebenraum, der an den Siid- 
querarm und dessen Apsis sowie an die Siidwand des Sanktuariums stieB, wird vom 
Verf. zu Recht als nachtragliche Zutat angesehen. Doch wozu diente dann die vom Verf. 
als urspriinglich angenommene Tiir in der Chorsiidwand? Neumann hatte die romani- 
sche Kirche als Ganzes in das letzte Viertel des 12. Jahrhunderts gesetzt. Der Verf. 
nimmt fiir sie einen Baubeginn in der Zeit nach 1160 an und lasst die Bauarbeiten, nach 
langer Unterbrechung seit etwa 1180, mit Teilen des heutigen Turmes sowie mit den 
Giebeldreiecken des Querhauses, dem nordlichen Obergaden und den Seitenschiffen 
erst in der ersten Halfte des 13. Jahrhunderts wieder aufgenommen werden und im frii- 
hen 14. Jahrhundert enden. Den romanischen Charakter der nordlichen Obergaden- 
wand und der oberen Partien des Nordquerarms mit ihren rundbogigen Fenstern, vom 
Verf. der Zeit um 1300 zugewiesen, erklart er damit, dass man das dort verwendete Back- 
steinmaterial bereits im 12. Jahrhundert hergestellt habe. Ausschlaggebend fiir die so 
spat vermutete Fertigstellung ist das vom Verf. als urspriinglicher Kern des heutigen 
Dachwerks rekonstruierte Sparrendach mit doppelter Kehlbalkenlage, fiir das dendro- 
chronologische Untersuchungen „Falldaten der Holzer zwischen 1306 und 1320" erga- 
ben (Angaben iiber Anzahl und Ort der entnommenen Proben fehlen). Fiir den Bauan- 



484 Besprechungen und Anzeigen 

lass, fur die besondere GroBe und fur die Verwendung des Backsteins als Baumaterial 
greift er eine von Hansjiirgen Rieckenberg geauBerte These auf und spinnt sie weiter 
aus: Ein so groBer Kirchenbau, dazu noch mit dem aus Oberitalien neu iibernommenen 
Backstein, sei nicht einfach nur eine von vielen Archidiakonatskirchen. Vielmehr habe 
hier Heinrich der Lowe, vielleicht noch unter anfanglicher Mitwirkung des Mindener 
Bischofs Werner, „mit der Errichtung eines ansehnlichen Stiftskirchenneubaues seine 
Position im westlichen Grenzbereich seiner Eigenguter" starken wollen. Mit dem Sturz 
Heinrichs sei derBau vorerst zum Erliegen gekommen. Eine klarende kunstgeschichtli- 
che Analyse und Einordnung des Bauwerks wird gar nicht erst versucht, auch nicht ein 
fur die Annahme des Verf. nahe liegender Vergleich mit den vom Welfenherzog mitfi- 
nanzierten Dombauten in Liibeck und Ratzeburg, die ja auch, bis auf das Baumaterial, 
wenig Verbindendes zeigen. Kein Gedanke auch daran, dass Mandelsloh im 12. und 13. 
Jahrhundert als Ort der kirchlichen und weltlichen Verwaltung und vielleicht schon des 
Handels und Gewerbes in einer ahnlichen Ausgangssituation war wie etliche werdende 
Stadte des Spatmittelalters, die bereits in der Romanik Pfarrkirchen vergleichbarer Gro- 
Be erhielten. Schade nur, dass die wertvollen Einzelbeobachtungen des Verf. an derBau- 
substanz in der Anhaufung von Vermutungen, bloBen Behauptungen und Gemeinplat- 
zen untergehen. 

Die den groBten Teil des Buchumfangs ausmachenden weiteren Kapitel betreffen die 
nachtraglichen Veranderungen der romanischen Basilika sowie ihre Ausstattung. Sie 
sind, besonders in den nachmittelalterlichen Jahrhunderten, zunehmend durch Schrift- 
quellen belegt, die vom Verf. auch ausgiebig benutzt und zitiert werden. Gerade dort, wo 
er auf bisher nicht publiziertes Archivmaterial zuriickgreifen kann, haben die betreffen- 
den Abschnitte jedenfalls ihren Wert fur die jiingere Geschichte des Gotteshauses und 
dariiber hinaus fur die Ortsgeschichte. 

Es folgen in fiinf Exkursen Ausfuhrungen iiber die Osdag-Legende, die „Bo- 
genbegleitschicht" (ein mauertechnisches Detail, das in Mandelsloh nur an den siidli- 
chen und ostlichen Fensteroffnungen vorkommt, fur das zahlreiche Beispiele aus der 
romanischen Baukunst zusammengestellt werden), das Bildprogramm der Ausma- 
lungen in Chor und Querhaus (vom Verf. ins 16. Jahrhunderts datiert), das an der 
Mandelsloher Kirche verwendete Baumaterial und schlieBlich iiber „Bauherren und 
Bauleute" (eine Zusammenstellung von Lebensdaten, die von Bischof Heinrich von 
Minden und Heinrich dem Lowen bis zum Verf. und zum derzeitigen Ortsgeistlichen 
reicht). Ein umfangreiches, aber unnotig kompliziert gegliedertes Quellen- und Li- 
teraturverzeichnis und eine kurze Zeittafel beschlieBen den Text. 

Hannover Konrad Maier 



1 Nds. Jb. 49, 1977. S. 303-314 



Geschichte einzelner Landesteile und Orte 485 

Steinwascher, Gerd: Osnabruck undder Westfalische Frieden. Die Geschichte der Verhand- 
lungsstadt 1641-1650. Osnabruck: Verein fiir Geschichte und Landeskunde von Os- 
nabruck 2000. 416 S. = Osnabriicker Geschichtsquellen und Forschungen. Bd. 42. 
Geb. 

Zwei Jahre nach Ablauf der zahlreichen Gedenkveranstaltungen aus Anlass der 350. 
Wiederkehr des Friedenschlusses von 1648 sowie nach dem Ende der viel beachteten 
Europaratausstellung zum Thema „ 1648 - Krieg und Frieden in Europa" hat Gerd Stein- 
wascher in einerumfangreichen Untersuchung die Geschichte Osnabriicks als Verhand- 
lungsstadt sowie den Ablauf der Friedensverhandlungen vorgelegt. In dem dreibandi- 
gen, insgesamt mehr als 1700 Seiten umfassenden Katalogwerk zur Ausstellung waren 
die beiden KongreBstadte Minister und Osnabruck mit lediglich acht Seiten gewurdigt 
worden. In diesem Rahmen schienen offensichtlich derKongressverlauf und die alltags- 
geschichtliche Bedeutung der Verhandlungen fiir die Tagungsstadte nicht von groBem 
Interesse gewesen zu sein. 

Mit Verweis auf die alteren, vornehmlich im 19. und in der ersten Halfte des 20. Jahr- 
hunderts entstandenen Untersuchungen iiber die Geschichte Osnabriicks als Stadt der 
Verhandlungen zum Westfalischen Frieden betont Steinwascher zu Eingang seiner Un- 
tersuchung, kein „Neuland" zu betreten. So sehr diese Bescheidenheit den Verfasser 
ehrt, ist sie doch nicht am Platze, da Steinwascher als ausgezeichnetem Kenner der 
Osnabriicker Archivquellen im Ergebnis die iiberzeugende Darstellung eines bislang 
weitgehend unbekannten Kapitels der Stadtgeschichte gelingt. Moglich wurde dies 
durch eine intensive Auswertung aller verfiigbaren ungedruckten und gedruckten Quel- 
len, vornehmlich der reichhaltigen Uberlieferung im Staatsarchiv Osnabruck sowie ei- 
nerstattlichen Reihe aus wartiger Archive der an den Friedensverhandlungen beteiligten 
Staaten und Reichsstande. Ausgewertet wurden zudem die Editionsbande der Acta Pa- 
cis Westfalicae und die gleichnamige Publikation von Johann Gottfried von Meiern. 

Im Eingangskapitel legt der Autor den Weg Osnabriicks zur neutralen Verhandlungs- 
stadt dar, deren mehrheitlich protestantische Bevolkerung nach Jahren der Unterdrii- 
ckung durch den absolutistisch herrschenden katholischen Bischof Franz Wilhelm von 
Wartenberg auch unter der anschlieBenden Militarherrschaft der Schweden erfahren 
musste, dass rigide Eingriffe in die stadtischen und biirgerlichen Rechte sowie riick- 
sichtslose Kontributionsforderungen der schwedischen Besatzer die Stadt immer weiter 
in den Ruin fiihrten. Als 1641 im Hamburger Praliminarvertrag Miinster und Osnabruck 
zu Verhandlungsorten bestimmt wurden, sehnte die Bevolkerung die friedensstiftende 
Neutralisierung ihrer Stadt herbei, die - im Juni 1643 vom Kaiser verfiigt - Einwohnern 
und Gesandten die notwendige Sicherheit gewahrleistete und als Voraussetzung fiir die 
nachfolgenden Friedensverhandlungen gait. 

Osnabruck war fortan eine privilegierte Stadt, „ein Hort der Sicherheit" - wie der 
Verfasser betont - im weiterhin von Kriegsziigen und Pliinderungen gezeichneten west- 
falischen Nordwesten des Reichs. Steinwascher stellt dar, welche Bedeutung dieser vor- 
zeitige Frieden fiir Osnabruck als KongreBstadt gewann, die fiir mehr als fiinf Jahre rund 
500 Gesandte mit ihrem Personal und Gefolge innerhalb ihrer Stadtmauern unterbrin- 
gen, deren personliche Sicherheit und weitgehend auch deren Versorgung gewahrlei- 
sten musste. Der konkrete Beginn der Friedensverhandlungen wirkte sich positiv auf die 
gesamte Infrastruktur der Stadt Osnabruck aus, wenn auch die Burger und Einwohner 
nur Zaungaste des Geschehens blieben und im Endergebnis aus der Anwesenheit der 



486 Besprechungen und Anzeigen 

Gesandtschaften nur geringen wirtschaftlichen Nutzen zogen (S. 360). Sichere Postbe- 
forderung und Nachrichtenwege wurden wichtig, medizinische Versorgung von den 
hochrangigen Gasten nachgefragt. Die Kirchen beider Konfessionen profitierten von 
der Spendenfreudigkeit der Gesandten, die in den Verhandlungsjahren regelmaBig an 
den Gottesdiensten teilnahmen. Zwar veranderten sich die konfessionellen Besitzstande 
in der Stadt mit Eintritt in die Friedensverhandlungen nicht, dennoch ermoglichte der 
KongreB quasi unter der Aufsicht aBer Verhandlungspartner ein entspannteres Verhalt- 
nis zwischen Protestanten und Katholiken. Der Rat zeigte sich - so Steinwascher - in je- 
der Hinsicht bemiiht, den Gesandtschaften ein geregeltes stadtisches Leben zu prasen- 
tieren und eine Infrastruktur zu bieten, die einen regelmaBigen Warenumschlag, stabile 
Preise und einen sicheren Zahlungsverkehr gewahrleisteten. 

In einem zweiten Hauptkapitel untersucht der Autor den konkreten Ablauf der Frie- 
densverhandlungen, das Eintreffen der Gesandten, das Zeremoniell und den diplomati- 
schen Aufwand im Umgang und Austausch miteinander, das Umfeld der Kongressteil- 
nehmer mit ihren zum Teil mitreisenden Familien, die Quartiere der Gesandtschaften 
und deren Versorgung, das Verhaltnis zwischen Biirgerschaft und Gesandten sowie de- 
ren Freizeitvergniigen. 

Einen gesonderten und umfangreichen Abschnitt seiner Untersuchung widmet Stein- 
wascher der Klarung des Sachverhaltes, der die Stadt Osnabriick selbst zum Verhand- 
lungsgegenstand auf dem Friedenskongress machte. Aufgrund der politischen Vorge- 
schichte von Stadt und Hochstift seit dem Ausgang des 16. Jahrhunderts und der seit 
Kriegsbeginn wechselnden Zugehorigkeit zum katholischen bzw. protestantischen La- 
ger wurden beide selbst Teil der Verhandlungsmasse bei den Friedensverhandlungen. 
Stadt und Hochstift gehorten bis zum Friedensschluss zu den territorialen Satisfaktions- 
forderungen, die von den beteiligten Kriegsmachten an die jeweilige Gegenseite gestellt 
wurden. Die Stadt Osnabriick war daher nicht nur Tagungsort wie das benachbarte 
Minister. Vielmehr musste ihr angesichts des ungesicherten politischen Schicksals mas- 
siv an einer Einflussnahme auf die Gestaltung ihrer eigenen kiinftigen Rechtsposition 
gelegen sein. Allerdings stellte sich das Streben des Osnabriicker Rates nach der 
Reichsunmittelbarkeit angesichts dergegebenen Machteverhaltnisse zu Kriegsende und 
der geringen Finanzmittel der Stadt als unrealistische Maximalforderung dar, deren 
Weiterverfolgung bedeutet hatte, einen gestaltenden Einfluss auf das eigene politische 
Schicksal ganzlich zu verlieren. Erst als die Verhandlungen iiber die Zukunft von Hoch- 
stift und Stadt deutlich zeigten, dass nach einem Friedensschluss - bei zukiinftiger kon- 
fessioneller Alternation des Landesherrn - zunachst das Regiment des verhassten katho- 
lischen Bischofs Franz Wilhelm von Wartenberg zuruckkehren wiirde, wurde der Rat zu- 
nehmend realistischer und versuchte, fur die Stadt kiinftig wenigstens eine moglichst 
groBe Unabhangigkeit vom Landesherrn zu sichern. In der auf dem Niirnberger Exeku- 
tionstag 1650 geschlossenen Capitulatio perpetua konnte Osnabriick das zuriickgesteck- 
te Ziel erreichen. Dass die Verteidigung dieser Unabhangigkeit vom Landesherrn in der 
Folgezeit immer schwieriger werden wiirde, war zu diesem Zeitpunkt fur die Stadt noch 
nicht erkennbar. 

Stellt Steinwaschers Untersuchung insgesamt einen wichtigen Beitrag fur das noch 
weitgehend unerforschte 17. Jahrhundert der Osnabriicker Stadtgeschichte dar, so gilt 
das insbesondere fur die Darstellung der Position der Stadt innerhalb des Verhandlungs- 
geschehens, dessen Ausgang und Abschluss in der Capitulatio perpetua eine fur die Ver- 
fassungszustande des Alten Reichs einzigartige gesetzliche Regelung finden sollte. Im 



Geschichte einzelner Landesteile und Orte 487 

Rahmen der neuen Verfassungsverhaltnisse wurde die Stadt nicht dem Landesherrn un- 
terworfen. Sie behielt vielmehr - das zeigen auch die im Anhang veroffentlichten Ne- 
benerklarungen und Privilegienbestatigungen - ihre rechtlichen und konfessionellen 
Besonderheiten, die sie sich bis in das 19. Jahrhundert zu bewahren wusste. Insgesamt 
eine quellennahe, griindlich recherchierte und sprachlich unpratentiose Veroffentli- 
chung zur Geschichte der Stadt Osnabriick und des bedeutendsten europaischen Frie- 
denskongresses der Neuzeit! 

Hannover Christine van den Heuvel 



Urkundenbuch desKlosters Walkenried. Bd. 1. Von den Anfangen bis 1300. Bearb. von Josef 
Dolle nach Vorarb. von Walter Baumann. Hannover: Hahn 2002. 781 S. = Quellen 
und Forschungen zur Braunschweigischen Landesgeschichte Bd. 38. Veroff. der Hi- 
storischen Kommission fur Niedersachsen und Bremen Bd. 210. Geb. 44,- €. 

In der Reihe der Urkundenbucher des Historischen Vereins fur Niedersachsen erschie- 
nen 1852 und 1855 als Gemeinschaftsleistung von Hettling, Ehlers, Grotefend und Fie- 
deler Band 1 (bis 1300) und Band 2 (bis 1400) der Urkunden des Stifts Walkenried. Die 
Bearbeiter dieser Bande verzichteten oftmals auf eine vollstandige Wiedergabe der Ur- 
kundentexte, weitgehend auf Regesten und vollstandig auf Hinweise zur Uberlieferung 
und auf Indizes. Kurzum: Ihre Art der Erfassung und ErschlieBung von urkundlichen 
Texten geniigt heutigen Ansprtichen bei weitem nicht mehr. Unbestritten ist allerdings 
die Bedeutung des im Staatsarchiv Wolfenbiittel verwahrten, iiberaus umfangreichen 
Urkundenfonds des Zisterzienserklosters Walkenried fur die Zisterzienserforschung wie 
fur die siidniedersachsische und die nordthiiringische Landesgeschichte. Das um 1130 
von Grafin Adelheid gegriindete Kloster war die erste Zisterze in Norddeutschland. In 
gleichem MaBe, wie im 12. und 13. Jahrhundert durch zahlreiche Schenkungen und 
Kaufe die Besitzungen in siidostlicher Richtung und im Harz zunahmen, konnte das 
Kloster einen geschlossenen Herrschaftsbezirk am Siidharz ausbauen und seinen politi- 
schen Einfluss vergroBern. Nach Umfang und Relevanz war eine Neubearbeitung des 
Walkenrieder Urkundenfonds also dringend geboten. Dieser nahm sich bereits 1975 Pa- 
stor Walter Baumann an. Als er 1990 im Alter von 49 Jahren starb, hinterlieB er umfang- 
reiche Vorarbeiten zu einem Walkenrieder Urkundenbuch. Auf Anregung von Horst- 
Riidiger Jarck (Wolfenbiittel) ubernahm dann Josef Dolle die Aufgabe, das einmal Be- 
gonnene zu vollenden. 

So liegt nunmehr der erste Band des Walkenrieder Urkundenbuchs in einer komplett 
neuen Fassung vor. Allein fur die Zeit von den Anfangen bis 1300 enthalt er 729 Num- 
mern (40 Nummern mehr als der alte erste Band) . Fur die Aufnahme der Urkunden legte 
der Bearbeiter kein reines Fondsprinzip zugrunde: Zum einen seien erhebliche Verluste 
an Originalen zu verzeichnen, insbesondere wahrend einer Auslagerung im Gottinger 
Klosterhof, aber auch als die Grafen von Schwarzburg-Rudolstadt am Ende des 16. Jahr- 
hunderts - in der Hoffnung, damit ihre Erbanspriiche auf das Kloster untermauern zu 
konnen - das Archiv gewaltsam auf die Burg Kranichfeld und spater nach Rudolstadt 
brachten. Einen Uberblick iiber die wechselvolle Geschichte des Archivs bietet im Ubri- 
gen die Einleitung des Buches. Zum anderen lieBen sich zahlreiche Urkunden ermitteln, 
welche das Kloster bei BesitzverauBerungen dem Kaufer ausgehandigt hat. Dement- 



488 Besprechungen und Anzeigen 

sprechend berucksichtigt Dolle den Urkundenfonds Walkenried im Staatsarchiv Wol- 
fenbiittel (mit rund 430 Originalen), Urkunden in anderen Archivbestanden, soweit sie 
sich nachweislich einmal im Archiv des Klosters befunden haben, sowie die vielschichti- 
ge kopiale Uberlieferung des Klosters bis hin zu friihneuzeitlichen Abschriftensamm- 
lungen, die vor der Auslieferung des Walkenrieder Archivs an die Welfen in Rudolstadt 
angefertigt worden sind. In etwa 90 Fallen ist nur der Ruckgriff auf das von Prior Hein- 
rich Dringenberg anlasslich der Neuordnung des Klosterarchivs angefertigte Repertori- 
um von 1473 moglich gewesen. 

Die Edition folgt formal weitgehend den fur die Urkundenbiicher der Historischen 
Kommission iiblichen Kriterien. Sie geht in manchem noch iiber das Bewahrte hinaus, 
indem zum Beispiel die Uberlieferungszusammenhange im Apparat aufgearbeitet wer- 
den. Das Siegelverzeichnis im Anhang nennt zudem nicht nur den Siegelfuhrer, sondern 
weist dariiber hinaus veroffentlichte Siegelabbildungen nach und liefert in den Fallen, 
wo keine Abbildung vorhanden ist, noch eine kurze Siegelbeschreibung. Beides mag in 
Anbetracht der Uberlieferungslage gerechtfertigt sein, muss aber nicht zum MaBstab 
kiinftiger Editionsprojekte erhoben werden. Entscheidend ist, dass Josef Dolle nach der 
jeweils besten Uberlieferung einwandfreie Texte und sachkundige Kurzregesten gelie- 
fert hat. Die Inhalte werden durch einen Index der Personen- und Ortsnamen und einen 
Index ausgewahlter Sachen und Worter vorbildlich erschlossen. Besonders der Perso- 
nen- und Ortsnamenindex (131 Seiten) ist mit groBer Sorgfalt erarbeitet und belegt ein- 
drucksvoll die tief greifenden Kenntnisse des Editors. Allerdings ist die Lesbarkeit die- 
ser Seiten erschwert, weil fur alle nicht den Originalquellen entnommenen, quantitativ 
aber vorherrschenden Indexeintrage im Schriftsatz eine kursive Schrifttype verwendet 
wurde. Dessen ungeachtet darf dem Erscheinen von Band 2 des Walkenrieder Urkun- 
denbuchs nur mit positiven Erwartungen entgegengeblickt werden. 

Hannover Sabine Graf 



Manns, Hergen: Das Scheitern der Weimarer Republik und die nationalsozialistische Macht- 
ubernahme in Wilhelmshaven-Rustringen. Zwei Stadte im Schatten der Reichsmarine. 
Oldenburg: Isensee 1998. 349 S. = Oldenburger Studien Bd. 42. Kart. 19,90 €. 

Die Bedeutung der Marinestadt Wilhelmshaven iiber die nordwestdeutsche Region hin- 
aus diirfte unbestritten sein. Dennoch liegt bis heute keine umfassende, auf wissenschaft- 
licher Grundlage gearbeitete Stadtgeschichte vor. Umso erfreulicher ist deshalb die Ab- 
sicht der von Hergen Manns vorgelegten Arbeit, einer Braunschweiger Dissertation, ei- 
nen „weiBen Flecken" in der Geschichte Wilhelmshavens zu schlieBen. Schwerpunkt ist 
die Entwicklung der oldenburgisch-preuBischen Doppelstadt Wilhelmshaven-Riistrin- 
gen zwischen 1928 und 1933. Trotz dergroBenZahl der Studien zum Ende der Weimarer 
Republik halt Manns lokal- und regionalgeschichtliche Untersuchungen zu diesem The- 
ma weiterhin fur wichtig, um die „regionalen Erscheinungsformen der allgemeinen Ge- 
schichte" herauszuarbeiten. Uber die lokale Bedeutung hinaus ist ihm die Analyse der 
Wilhelmshavener Verhaltnisse relevant fur die Frage nach dem Verhaltnis von Militar 
und Kommune. Als leitende Fragestellung wird formuliert, welche Determinanten fur 
das Scheitern der Weimarer Republik in Wilhelmshaven von besonderer Bedeutung wa- 
ren. Die Darstellung gruppiert sich um die zentralen Elemente „Reichsmarine", „Mari- 



Geschichte einzelner Landesteile und Orte 489 

newerft" und „Parteien". Auf Grund der Zerstorung des Wilhelmshavener Stadtarchivs 
im Zweiten Weltkrieg musste der Verf. auf iiberortliche Archive zuriickgreifen, wobei er 
einen beachtlichen Quellenfundus zusammenstellen konnte. 

Im Wesentlichen folgt die Arbeit einer chronologischen Gliederung. Vor allem auf 
Literatur gestiitzt, skizziert der Verf. die Entwicklung Wilhelmshavens und Riistringens 
seit Mitte des 19. Jahrhunderts im Kontext der wilhelminischen Flottenpolitik. Deutlich 
wird vor allem die unterschiedliche Sozialstruktur des preuBischen Wilhelmshaven und 
der angrenzenden, bei Oldenburg verbliebenen Landgemeinden, aus denen zu Anfang 
des 20. Jahrhunderts die Stadt Rustringen gebildet wurde. War Wilhelmshaven der 
Wohnort der Marineoffiziere und der biirgerlichen Schichten, so iiberwogen in Rustrin- 
gen die Arbeiter. Die soziale Privilegierung der Werftarbeiter gegeniiber anderen Seg- 
menten der Arbeiterschaft lieB eine spezifische „kaiserliche Werftsozialdemokratie" 
entstehen, deren Profil aber in der Analyse blass bleibt. Das Desiderat, die Einstellung 
der Sozialdemokratie und der sie stiitzenden Werftarbeiter zur Marine zu untersuchen, 
bleibt auch nach dieser Untersuchung bestehen. 

Wie schon im Kaiserreich so hingen auch in der Weimarer Politik die kommunalen 
Probleme derjadestadte eng mit der Marinepolitik zusammen. Die Wohnungsnot hatte 
unter anderem seine Ursache in der mangelnden Bereitschaft der Reichsmarine, Kaser- 
nen zu raumen. Die provisorisch eingerichteten, aber lange Jahre bestehenden Notun- 
terkiinfte bargen - so der Verf. - „sozialen Sprengstoff", ohne dass aber dieses Politikfeld 
zu einem Gegenstand der Untersuchung gemacht wird. Vor allem in Wilhelmshaven wa- 
ren Grund und Boden groBtenteils in fiskalischem Eigentum, wodurch die wirtschaftli- 
che Entwicklung der beiden Kommunen gehemmt wurde, die sich durch die Bestim- 
mungen des Versailler Vertrages auf eine erheblich verkleinerte Marinewerft einstellen 
mussten. Die SchlieBung der Werftbetriebes der Deutschen Werke AG und das Ver- 
schwinden der Abwrackwerften Mitte der 20er Jahre, wie auch das Scheitern der Her- 
ausbildung eines Hochseefischereistandortes Wilhelmshaven trugen zur Arbeitslosig- 
keit bei. Bestrebungen, an derjade ein Nordseebad aufzubauen, anderten an der Grund- 
tendenz wenig, Die Reichsmarine blieb der zentrale Arbeitgeber der beiden Stadte, iibte 
nachdriicklichen politischen Druck auf die Kommunalverwaltungen aus und zeigte we- 
nig Interesse an einer Diversifikation der jadestadtischen Wirtschaft. 

Die Marine nahm nicht nur auf diesem Wege Einfluss auf die Entwicklung Wilhelms- 
havens und Riistringens. Die Weigerung des Marineoffizierkorps, sich an der demokra- 
tischen Republik zu orientieren, hatte weit reichende Folgen fur das politische Klima, 
vor allem der Stadt Wilhelmshaven. Kapitanleutnant Ehrhardt, Fiihrer der nach ihm be- 
nannten, ursprunglich aus Wilhelmshaven stammenden, Putschistenbrigade, verfiigte 
selbst nach seinem Ausscheiden aus dem aktiven Militardienst fiber vielfaltige Kontakte 
in der Marine. Marineangehorige waren am Aufstieg rechtsextremer Organisationen 
vor Ort beteiligt, so bildeten sie Angehorige rechtsradikaler Organisationen militarisch 
aus und stellten einflussreiche Mitglieder in der Ortsgruppe des Deutschvolkischen 
Schutz- und Trutzbundes. Gemessen am Reichsdurchschnitt fuhren deutschvolkisch- 
nationalsozialistische Formationen bei den Reichstagswahlen 1924 uberdurchschnittli- 
che Ergebnisse ein. Das traf auch fur die NSDAP bei den Wahlen von 1928 zu, wenn 
auch ihre Resultate im landlichen oldenburgischen Umfeld noch hoher lagen. 

Politisch dominierend blieb in Rustringen die SPD. Wahrend sie hier 1928 59% er- 
hielt, konnte sie in Wilhelmshaven nur 33% erzielen. Das entsprach der sozialen Zusam- 
mensetzung der Stadte und verweist auf ein vom Verf. nicht thematisiertes Problem. In 



490 Besprechungen und Anzeigen 

denjadestadten stieBen zwei Milieus aufeinander, die unterschiedliche politische Kultu- 
ren reprasentierten. Zur Analyse dieser Milieus hatte u.a. die Darstellung der differie- 
renden Vereinskultur, der Rolle der Konsumgenossenschaften und der konkurrierenden 
Zeitungen erfolgen miissen. Mit der Vernachlassigung dieses Aspekts hat sich der Verf. 
der Moglichkeit begeben, ein differenziertes Bild der Stadte zu zeichnen und ist gezwun- 
gen, eine insgesamt vage bleibende, aber anscheinend doch schichteniibergreifende 
Meinung der „Bev6lkerung Wilhelmshavens-Riistringens" ins Spiel zu bringen. Damit 
erhalt aber die sich als roter Faden durch die Arbeit ziehende These, die lokale Stim- 
mungslage sei von der Frage der Neubauten fur die Reichsmarine beherrscht worden, ei- 
ne nur unzureichende Fundierung. Es miisste tiefergehend erklart werden, warum die 
SPD bei den Reichstagswahlen 1928 die absolute Mehrheit in Riistringen erhielt, ob- 
wohl sie sich gegen den Panzerkreuzerbau aussprach. Offensichtlich gab es weitere Be- 
stimmungsfaktoren fur die politischen Entscheidungen der Werftarbeiter, die zwar ange- 
deutet, aber nicht ausgefiihrt und in die Untersuchung integriert werden. 

Der Verf. sieht als ein lokales Moment der Destabilisierung der Republik die Verlage- 
rung des Baues des Panzerschiffes A nach Kiel. Allerdings iiberzeugt die Analyse der 
zeitlich folgenden Reichstagswahlen von 1930 nicht in alien Punkten. Der vom Verf. 
konstatierte Einbruch der NSDAP in die sozialdemokratischen Hochburgen ist nicht 
nachvollziehbar, da lediglich Prozentpunkte gegeneinander aufgerechnet werden, die 
der Komplexitat von Wahlerwanderungen, sofern man sie auf der Ebene eines einzelnen 
Stimmbezirks iiberhaupt erfassen kann, nicht gerecht werden. Nahe liegender ist es, ei- 
nen Einbruch der NSDAP in die - auch Arbeiter umfassende - deutschnationale Wahler- 
schaft anzunehmen, zumal die DNVPnach Ubertritten zur NSDAP Anfang der 30erjah- 
re als fast nicht mehr existent betrachtet wurde und auch Manns fur die folgenden Wah- 
len kein weiteres Eindringen der Nationalsozialisten in die SPD-Wahlerschaft mehr 
annimmt. In dieser Frage sind weitere analytische Anstrengungen notwendig, die auch 
die Wohnorte der Pendler in den Umlandgemeinden einbeziehen sollten. 

Akribisch stellt der Verf. die Wahlen und Wahlkampfe in den letztenjahren der Wei- 
marer Republik dar und geht dabei auf die Entfaltung des nationalsozialistischen Orga- 
nisationsspektrums seit Beginn der 30erjahre ein, das durch die Neugriindung einer Ta- 
geszeitung der „Nationalen Opposition", des „Wilhelmshavener Kuriers", Unterstiitzung 
fand. Dennoch konnte die NSDAP bis zumjahr 1933 nur in geringerem MaBe in der Ma- 
rinewerft FuB fassen. Von 5.900 Beschaftigten hatte die NSBO gerade 250 organisiert. 

Zusammenfassend bewertet der Verf. die Marine als „Belastungsfaktor" fur die demo- 
kratische Entwicklung der beiden Kommunen. Sie wird hauptsachlich fur die Auflosung 
der Weimarer Republik auf lokaler Ebene verantwortlich gemacht. Unvermittelt folgt 
abschlieBend die These, der „Antimilitarismus" der SPD, ihre „unklare Haltung zur 
Wehrfrage", sei der „Katalysator" fur den Aufstieg der NSDAP gewesen. Undiskutiert 
bleibt, welche Folgen eine andere Politik fur die Sozialdemokratie gehabt hatte und ob 
das burgerliche Lager iiberhaupt der von Manns empfohlenen Wendung gefolgt ware. 

Bei alien kritischen Einwendungen hat der Verf. eine grundlegende Studie zur Ge- 
schichte Wilhelmshavens und Riistringens in der Zeit der Weimarer Republik erarbeitet, 
die zu weiteren Untersuchungen zur Stadtgeschichte und zu einem Vergleich mit der 
Entwicklung Kiels herausfordert. 

Oldenburg Joachim Tautz 



PERSONENGESCHICHTE 



Kruppa, Nathalie: Die Graf en von Dassel (1097 '-1337/38). Bielefeld: Verlag fur Regionalge- 
schichte 2002. 663 S. m. Abb. u. 10 Kt. = Veroff. des Instituts fur Historische Landes- 
forschung der Universitat Gottingen Bd. 42. Geb. 49,- €. 

Die Grafen von Dassel gehorten zu den zahlreichen edelfreien Geschlechtern Sach- 
sens, die um die Wende vom 11. zum 12.Jahrhundert erstmals auftraten, nach dem Sturz 
Heinrichs des Lowen ihre Bliitezeit erlebten, aber mit dem Erstarken der benachbarten 
territorialen Machte, insbesondere der Welfen, ihren Niedergang erlebten und vielfach 
bereits im Spatmittelalter ausstarben. Obwohl sie die Landesgeschichte wesentlich mit- 
gepragt haben, hat ihnen die moderne Forschung, von einigen bemerkenswerten Aus- 
nahmen abgesehen, bisher nicht die notwendige Aufmerksamkeit zukommen lassen. 
Wenn dieser Befund bei den Grafen von Dassel nur eingeschrankt zutrifft, so liegt das 
zweifellos an ihrem bedeutendsten Mitglied, Rainald von Dassel, Erzbischof von Koln 
und Kanzler Friedrich Barbarossas, iiber den es zahlreiche Spezialstudien gibt. Auch sei- 
ne Familie war Gegenstand mehrerer Arbeiten, die aber zum Teil veraltet sind oder sich 
vornehmlich mit der Genealogie beschaftigen. Die Untersuchung von Nathalie Kruppa, 
eine bei Ernst Schubert in Gottingen angefertigte Dissertation, reicht in ihren Ansprii- 
chen und Ergebnissen weit iiber sie hinaus und will sich mit moglichst alien Aspekten, 
die eine edelfreie Familie des Hochmittelalters betreffen, auseinandersetzen. 

Nach einem knappen Uberblick iiber die Geschichte der Familie befasst sich die Stu- 
die ausfuhrlich mit dem Konnubium des Geschlechts. In den Heiratsverbindungen spie- 
gelten sich das Standesbewusstsein und das Ansehen der Familie in ihrem sozialen Um- 
feld wider, zugleich dienten sie der Besitzsicherung und der Besitzvermehrung. Uber die 
Verwandtschaft konnten der politische Einfluss erhoht und die Aussicht auf Karrieren 
im geistlichen Bereich verbessert werden. Die Grafen von Dassel haben es vermieden, 
unter ihrem Stand zu heiraten, und sind bis in die letzte Generation hinein Ehen mit 
dem edelfreien, graflichen Adel eingegangen. Die Heiratspartner stammten, von weni- 
gen Ausnahmen abgesehen, aus der naheren Umgebung der dasselischen Kerngiiter. 
Ein sozialer Abstieg ist bis zu ihrem Aussterben nicht erkennbar. 

Insgesamt 12 Mitglieder sind in geistlichen Institutionen nachweisbar, davon 9 in pre- 
stigetrachtigen Domkapiteln und Kollegiatstiften, die iibrigen in den neuen Orden des 
12. und 13. Jahrhunderts. Der Schwerpunkt lag auch hier im siidlichen Niedersachsen, 
insbesondere im Domkapitel Hildesheim, doch lassen sich auch Domkanonikate in 
Magdeburg, Merseburg, Verden und Wiirzburg feststellen. Hier kann die Verfasserin 
wahrscheinlich machen, dass die Grafen von Dassel diese Kanonikate weitab von ihrem 
eigentlichen Wirkungskreis der Patronage durch ihre Verwandten verdankten. Bei der 
Memoria des Geschlechts kommt die Untersuchung zu dem Schluss, dass die Familie ih- 
re geistlichen Stiftungen weit streute. Besonders begiinstigt wurde das Kloster Lippolds- 
berg, das als Hauskloster und Familiengrabstatte diente. 

Auf Reichsebene waren die Grafen von Dassel nur fur wenige Jahrzehnte aktiv. Im 
Konflikt zwischen Friedrich Barbarossa und Heinrich dem Lowen unterstiitzten sie den 
Kaiser. Wahrend des staufisch-welfischen Thronstreits wechselten sie fruhzeitig zu Ot- 
to IV., dem sie, im Gegensatz zu den meisten groBen Familien der Region, bis zum Tod 



492 Besprechungen und Anzeigen 

treu blieben. Die spateren Generationen derFamilie konzentrierten ihre Aktivitaten auf 
ihr Stammgebiet und spielten nur regional eine Rolle. 

Ein umfangreiches Kapitel widmet sich dem Besitz der Familie, der vom Rhein bzw. 
dem Sauerland bis nach Thiiringen und Sachsen-Anhalt reichte. Die weit entfernt lie- 
genden Besitzungen wurden schon friih verauBert, um in den Kerngebieten, dem 
Soiling und dem Reinhardswald, eine Landesherrschaft aufzubauen. Aber im Wettlauf 
mit ihren iiberlegenen Nachbarn, den Landgrafen von Hessen, den Erzbischofen von 
Mainz und den Bischofen von Paderborn, vor allem aber den Welfen konnten sie sich 
nicht durchsetzen. Seit Ende des 13. Jahrhunderts begann unter deren Druck der Aus- 
verkauf auch der Kerngebiete, zumal sich das Aussterben derFamilie im Mannesstamm 
abzeichnete. Derletzte mannliche Vertreterdes Geschlechts starb 1325 als landesherrli- 
cher „Pensionar". 

Im Anhang findet sich eine Regestensammlung, in der alle Urkunden, in denen die 
Grafen von Dassel genannt werden, aufgefuhrt sind. Ausgenommen ist nur der Kanzler 
Rainald II., der an anderer Stelle bestens belegt ist. Die Regesten beruhen vornehmlich 
auf gedruckten Quellen, aber auch gezielten Archivrecherchen. Leider folgen die Signa- 
turen zumeist den Angaben aus den Urkundeneditionen und sind zum Teil iiberholt 
oder fehlen ganzlich. Eine Stammtafel, Karten iiber den Besitz und weitere Anhange 
runden die Arbeit ab. 

Mit dieser Erstlingsarbeit hat Frau Kruppa eine eindrucksvolle Leistung erbracht, an 
die die zukiinftige landesgeschichtliche Forschung und die Adelsforschung ankniipfen 
werden. 

Braunschweig Josef Dolle 



Wessels, Paul: „ Weiche nicht den Bosen, tritt kiihner ihnen entgegen". Der Historiker Onno 
Klopp. Eine biographische Studie auf der Grundlage seiner Tagebiicher. Hrsg. vom 
Verein fur Heimatschutz und Heimatgeschichte Leer e.V. Leer: 2003. 130 S. mit sw. 
und farb. Abb. Kart. 

„Onno Klopp redivivus" fragte Georg Schnath, als er 1950 die Neufassung der Biogra- 
phie Onno Klopps im Neuen Archiv fur Niedersachsen besprach. In den folgenden 
Jahrzehnten war in der Tat ab und an die Rede von Onno Klopp, bis 1995 Lorenz Mat- 
zinger eine neue Biographie iiber ihn veroffentlichte, in der er erstmals Klopps Nachlass 
in Wien verwendete, der der Entfernung halber aus Deutschland wenig benutzt worden 
war. Matzinger vermisste im Nachlass Tagebiicher und Briefe und niemand, auch nicht 
die Verwandten in Ostfriesland, wusste etwas von den fehlenden Papieren. 

Nach 50 Jahren ist Onno Klopp in der Tat „redivivus"; denn der gesuchte Teil des 
Nachlasses wurde von seinem Besitzer, einem Urenkel Klopps, bekannt gemacht. Er ent- 
halt die vermissten Tagebiicher, Briefe und Briefkonzepte; iiber die Art seiner Veroffent- 
lichung wird derzeit gesprochen. Paul WeBels konnte das Material fur eine Gedenkaus- 
stellung fur Onno Klopp in Leer benutzen, zu welcher er die anzuzeigende Studie ver- 
fasst hat. 

Das Bild des zahen Ostfriesen Klopp, dessen Wahlspruch als Buchtitel dient, andert 
sich dadurch nicht, erhalt aber durchaus scharfere Umrisse. Klopps Schicksal war es, we- 
nige Freunde zu haben und sich viele Feinde zu schaffen. Wenn iiberhaupt jemand mit 



Personengeschichte 493 

ihm befreundet war, so war es - auf seine Weise natiirlich - der hannoversche Konig 
Georg V., dem Klopp ganz selbstverstandlich 1866 ins Exil folgte. Es ist zu bedauern, 
dass WeBels nicht auf das steinerne Produkt dieser Freundschaft in Ostfriesland eingeht, 
namlich das Mausoleum fur die ostfriesischen Fursten auf dem Friedhof in Aurich. 
Klopp hatte 1863 den Bau bei dem Konig angeregt, dieser hatte zugestimmt, und bis 
1866 waren die ersten Entwiirfe gezeichnet worden. Konig Wilhelm I. von PreuBen hat 
das Gebaude dann aus monarchischer Solidaritat errichten lassen. 

Was aus dem neuen Material nicht hervorgehen kann, aber einer Uberlegung wert 
ware, ist die Beantwortung der Frage, ob der Hass, den Onno Klopp PreuBen entgegen- 
brachte, von dort erwidert wurde. Hat er sich nicht einen Popanz gebaut, der ihm zum 
Lebenselixier wurde? Anders gesagt, hat er sich nicht zu wichtig genommen? 

Aurich Walter Deeters 



Justus Moser. Politische und juristische Schriften. Hrsg. von Karl H. L. Welker. Miin- 
chen: Beck 2001. 381 S. m. Abb. = Bibliothek des deutschen Staatsdenkens Bd. 19. 
Geb. 50,11 €. 

Leben und Werk Justus Mosers haben in den vergangenen Jahrzehnten das verstarkte 
Interesse der Forschung gefunden, sowohl aus der Perspektive der Geschichts- wie der 
Literaturwissenschaft und der Rechtsgeschichte. Nicht zuletzt die breit angelegte Studie 
von Karl H. L. Welker, Rechtsgeschichte als Rechtspolitik. Justus Moser als Jurist und 
Staatsmann, 2 Bde, Osnabriick 1996, hat Mosers Stellung in der deutschen Aufklarung, 
seine historischen Arbeiten und das politische Wirken im Furstbistum Osnabriick um- 
fassend gewiirdigt. 

Mit der Edition im Rahmen der „Bibliothek des deutschen Staatsdenkens" legt Wel- 
ker nun eine representative Textauswahl zu Mosers politischer Vorstellungswelt vor. Ne- 
ben der Einleitung zur Erstausgabe der „Osnabriickischen Geschichte" von 1768 und 
drei erstmals aus den Handschriften edierten Entwiirfen von Landtagspropositionen 
derjahre 1765, 1766 und 1767 sind dies 82 Stiicke aus Mosers „Patriotischen Phantasien", 
jener Auswahl von Mosers Beitragen zu Osnabriicker und anderen Intelligenzblattern, 
deren erste Bande seine Tochter Jenny von Voigts seit 1774 herausgab oder ahnlichen 
Aufsatzen, die spater als „den patriotischen Phantasien verwandte Schriften" angesehen 
wurden. 

Die Landtagspropositionen werden dem Leser mitsamt Mosers Textanderungen und 
Streichungen dargeboten, allerdings nicht in Form eines genetischen Apparats, sondern 
als Abbildung des graphischen Befundes als durchstrichener Text im Druck, eine edito- 
risch problematische Darstellungsweise, welche die Abfolge von Mosers Gedanken bei 
der Textkonstitution nicht immer klar zum Ausdruck bringt. 

Der Druck der Stiicke aus den Patriotischen Phantasien erfolgt diplomatisch nach 
den Erstdrucken in den Intelligenzblattern, so dass erstmals bei einer Neuausgabe ein 
authentischer, orthographisch nicht modernisierter Text prasentiert wird, auf den selbst 
die Gottinger Akademie-Ausgabe glaubte verzichten zu konnen. Ein knapp gehaltenes 
Nachwort zu Leben und Werk Justus Mosers sowie ein Bildnachweis schlieBen den 
Band ab. 

Karl H. L. Welker hat mit diesem kleinen Band eine handliche Anthologie aus dem 



494 Besprechungen und Anzeigen 

Werk des „groBen Osnabriickers" vorgelegt, die jedoch sowohl fur den Kenner von M6- 
sers Arbeiten als auch fiir denjenigen, der mit den Osnabriicker Verhaltnissen und dem 
Wirken des „advocatus patriae" in der zweiten Halfte des 18. Jahrhunderts wenig ver- 
traut ist, einige Wiinsche offen lasst. So stellt sich die Frage, ob es sinnvoll ist, eine solche 
Edition (oder vielmehr Reprint mit modernisierter Drucktype) vollig unkommentiert, 
ohne Register und Glossar dem Leser an die Hand zu geben. Wenn sich politisches und 
staatsrechtliches Denken bei Justus Moser in Texten wie „Sie tanzte gut und kochte 
schlecht" oder „ Wider die Packentrager" niederschlagt, dann bedarf es gleichermaBen 
der verbindenden Einleitung wie eines Sachkommentars zu den einzelnen Stiicken, der 
iiber Anlass, Entstehungszusammenhange und die spezifische, zu einem guten Teil den 
besonderen Osnabriicker Verhaltnissen geschuldete, dem heutigen Leser nicht ohne 
weiteres verstandliche Begrifflichkeit Auskunft gibt. Eine solche ErschlieBung der ohne 
erkennbare Gliederung gedruckten Texte ware dem Herausgeber als derzeit wohl be- 
stem Kenner der Materie leicht gefallen, entsprach moglicherweise aber nicht den Vor- 
gaben der Schriftenreihe. Ein kurzes Nachwort, das im Ubrigen eine Nummerierung der 
Stiicke angibt, die sich im Band nicht wieder findet, ersetzt eine solche Kommentierung 
nicht. 

Fiir eine fruchtbare Arbeit mit der im Textbestand zuverlassig wiedergegebenen Aus- 
wahl bietet sich folgendes Rezept an: Man nehme die hier prasentierten Stiicke, infor- 
miere sich iiber die Druck- und Rezeptionsgeschichte anhand von Winfried Woesler 
(Hrsg.), Moser-Bibliographie 1730-1990, Tubingen 1997, ziehe zur Texterlauterung ne- 
ben J. Aegidius Klontrup, Alphabetisches Handbuch der besonderen Rechte und Ge- 
wohnheiten des Hochstifts Osnabriick, Osnabriick 1798, Glossar, Register und den rudi- 
mentaren Kommentar aus Band XI der in ihrem Textbestand nur bedingt zitierfahigen 
Moser-Akademie-Ausgabe hinzu und suche die Einordnung der Texte in Mosers Ge- 
samtwerk sowie ihre Interpretation aus der oben genannten Monographic von Karl H. 
L. Welker zu gewinnen. 

Hannover Gerd van den Heuvel 



Moser-Forum 3/1995-2001. Hrsg. von Winfried Woesler. Osnabriick: Selbstverlag des 
Vereins fiir Geschichte und Landeskunde von Osnabriick 2001. VIII, 392 S. = Osna- 
briicker Geschichtsquellen und Forschungen Bd. 43. Geb. 

Das 2001 in dritter Folge erschienene Moser-Forum setzt auch mit dieser Ausgabe sein 
Vorhaben fort, aktuelle Forschungsergebnisse iiber Justus Moser und seine Zeit sowie 
Arbeitsergebnisse der Osnabriicker Moser-Dokumentationsstelle und der dortigen M6- 
ser-Gesellschaft zu veroffentlichen. So beinhaltet der hier zu besprechende Band wie 
auch bereits die Vorganger-Bande aus den Jahren 1989 und 1994 die Vortrage, die all- 
jahrlich zum Andenken von Mosers Todestag am 12. Dezember im Jahr 1794 im Frie- 
denssaal des Osnabriicker Rathauses und vor der Justus-Moser-Gesellschaft gehalten 
werden, des weiteren aktuelle Forschungsergebnisse, die Fortsetzung der Moser-Biblio- 
graphie sowie eine Rezension. Die Beitrage dieses Bandes, die hier nur kurz vorgestellt 
werden konnen, sind sachthematisch nach den Gebieten , Philosophic', ,Werk', ,Recht', 
,Deutschland-Osnabruck', ,Biographisches' und ,Wirkung' geordnet und zeigen erneut 
den weiten Bogen, den die gegenwartige Moser- Forschung beschreibt, um dem Einfluss 



Personengeschichte 495 

des Staatsmannes und Aufklarers Moser in der Zeit der Aufklarung sowie auf seine 
Nachwelt gerecht zu werden. 

Alexander von Bormann verweist in seinem Beitrag ,Justus Moser: Aufklarung als Er- 
fahrungswissen" auf Mosers Grundannahme der erzieherischen Verantwortung, die als 
Kernthema der Aufklarung dessen gesamte schriftstellerischen AuBerungen kennzeich- 
net. Bormann legt dar, dass Mosers Menschenbild im Gegensatz zu den philosophischen 
Ansichten vieler seiner Zeitgenossen nicht auf der Idee der Gleichheit aller Menschen 
beruht, sondern auf der Uberzeugung von der Besonderheit im Allgemeinen, die in alien 
Lebensbereichen zutage tritt und daher stets beriicksichtigt werden miisse. Moser war - 
so folgert Bormann - ,,das Wohl aller mit mehr Unterschieden zu denken bereit als Spa- 
tere"(S. 13). 

In seinem Beitrag „Kant, Moser und Nicolai" geht Hans Reiss in Erwiderung auf Rein- 
hard Brandts Aufsatz zu „Kant und Moser" der Annahme nach, Mosers posthum er- 
schienenes Fragment „UberTheorie und Praxis" sei eine Antwort auf Kants „Metaphysi- 
sche Anfangsgriinde der Rechtslehre". Reiss versucht nachzuweisen, dass die Kantschen 
Attacken gegen den bereits verstorbenen Moser vielmehr dem Verleger Friedrich Nico- 
lai als Kritiker der Philosophie Kants, seiner Ethik und seines Staatsrechts galten. „Justus 
Moser: der deutsche Edmund Burke?" - mit der Aufnahme und Beantwortung der be- 
reits von Zeitgenossen Mosers gestellten Frage beschaftigt sich Heinz-Joachim Mullenbrock 
und kommt in seinen Ausfiihrungen zu dem Ergebnis, dass diese Bezeichnung „eine 
Wirkungsmachtigkeit suggeriert, die historisch nicht gegeben war" (S. 46) . Trotz Mosers 
Einwande gegen die Franzosische Revolution, denen Mullenbrock „beachtliche intellek- 
tuelle Selbstandigkeit und politische Sensibilitat" bescheinigt, hatten diese eindeutig kei- 
ne den Argumenten Burkes vergleichbare Resonanz gefunden. Heinrich iffln^fragt in sei- 
nem Beitrag „Der humane Realismus Justus Mosers in seiner heutigen Bedeutung" nach 
der „Begegnungsqualitat" von Mosers geschichtlicher Personlichkeit und stellt thesen- 
haft eine Reihe von Kennzeichnungen zusammen, die allesamt dessen „konstruktive 
Alltagsphilosophie" im Sinne eines natiirlichen Menschenverstandes umschreiben. 
Kanz sieht mit Recht in Mosers Ausfiihrungen aktuelle Beziige zu einer mit heutiger Be- 
grifflichkeit bezeichneten sozialen und historisch-politischen Mundigkeit. 

Mit Bodo Plachtas Beitrag „Justus Moser und die Oper" und Joachim Sengs Ausfiihrun- 
gen unter dem Titel „ ,Heitere Aufklarung' -Justus Mosers Harlekin" sind zwei Untersu- 
chungen zu Mosers literarischem Schaffen vertreten, die sich zum einen mit Mosers An- 
ted an der Operndebatte des 18. Jahrhunderts beschaftigen, zum anderen der Rolle des 
moserschen Harlekins in der zeitgenossischen Diskussion um die Entwicklung des deut- 
schen Nationaltheaters nachgehen. 

Heinz Duchhardts Ausfiihrung „Das Reichskammergericht zur Moser-Zeit", Arne Dirk 
Duncker Kurzdarstellung zu „Justus Moser - Ehe und Rechtsgeschichte" sowie Harriet 
RudolphsBeitrag „Biirgerliebe versus Menschenliebe - Verbrechen und Strafen in Theo- 
rie und Praxis bei Justus Moser" nahern sich aus unterschiedlicher Perspektive demjuri- 
sten Moser. Duchhardt betont die Ausstrahlung und den Symbolwert des Reichskam- 
mergerichts, den es trotz zunehmender Strukturmangel im 18. Jahrhundert auf Zeitge- 
nossen besaB, und verweist auf Affinitaten des konfessionell paritatisch besetzten 
Reichsgerichts zu dem im paritatisch regierten Hochstift Osnabriick tatigen Staatsmann 
undjuristen Moser. Duncker beschreibt das OsnabriickerEherecht des 18. Jahrhunderts 



1 Reinhard Brandt, Kant und Moser. In: Moser-Forum 1/1989, S. 176-191. 



496 Besprechungen und Anzeigen 

und stellt vor diesen Hintergrund Mosers AuBerungen zur Rechtsstellung der Frau dar. 
Harriet Rudolph relativiert die rigorose Haltung, die Moser in seinen Veroffentlichun- 
gen zu Kriminalitat und Strafrecht auBerte und zeigt mit Blick auf seine praktische Tatig- 
keit als Kriminaljustitiar im Hochstift Osnabriick, dass Moser zugleich von der Straf- 
rechtsdiskussion der Aufklarung beeinflusst war. 

Um Mosers Wirken im Kleinstaat des Alten Reichs {Anton Schindling), Mosers Ein- 
schatzung der deutschen Provinz in der Zeit der Aufklarung, die nach seiner Literatur- 
und Geschichtsauffassung den Blick auf das Besondere und Eigenartige der deutschen 
Nationalkultur lenkte (Renate Stauf) und um dessen - zunachst auf Osnabriick konzen- 
triertes - Westfalenbild und Westfalenbewusstsein [Michael Schimek) geht es in dem nach- 
folgenden Beitragen, die samtlich die Spannungsfelder ,Osnabriick-Provinz' und ,Altes 
Reich-Nation' umschreiben. Hierzu gehort auch der Beitrag von Hannelore Oberpenning 
zu Mosers amtlicher und publizistischer Beschaftigung mit dem Osnabriicker Wander- 
handel und den regionalen Warenmarkten, Sigrid Dahmens Beantwortung der Frage, in- 
wieweit Moser als „Uberwinder von Biirokratie und Etatismus" anzusehen ist und Karl 
H.L. Welkers Ausfiihrungen zu Mosers Scheitern an den Osnabriicker Landstanden. Vor 
allem die beiden letzten Beitrage zeigen die politische Einbindung und die daraus resul- 
tierende Abhangigkeit des Staatsmannes und Beamten innerhalb der standisch verfass- 
ten Verhaltnisse im Hochstift Osnabriick, der aber dennoch nicht darauf verzichtete, mit 
publizistischen Beitragen an der offentlichen Debatte der Aufklarung teilzunehmen. 

Ortrun Niethammer stellt an den Briefwechsel der Moser-Tochter Jenny von Voigts mit 
Luise von Anhalt-Dessau u.a. die Frage nach den literarischen Mustern und Vorbildern 
und verweist neben stilistischen Elementen der Frtihromantik auf Parallelen zu Goethes 
Werther. Hans Pelger geht in seinem Beitrag „Marxund Moser" derRezeption derMoser- 
schen Geschichts- und Rechtsauffassung durch Karl Marx nach, der sich seit Mitte der 
1830er Jahre fortlaufend kritischer mit der Historischen Rechtsschule und dessen Vor- 
denker Moser auseinandersetzte. Seit 1843 fertigte Marx selbst zahlreiche Exzerpte aus 
den ,Patriotischen Phantasien' an und beschaftigte sich mit der Nachwirkung von Mo- 
sers nationalokonomischen Ideen auf Friedrich List und Gustav von Giilich. 

Joachim Seng, mit einem zweiten Beitrag in diesem Band vertreten, untersucht Hugo 
von Hoffmannsthals Rezeption des Moserschen Gesamtwerkes anhand seiner in den 
1920erjahren entstandenen Herausgeberprojekte. Winfried Woesler kommentiert ab- 
schlieBend das Faksimile eines Moser-Briefes an Johann Benjamin Michaelis. Martin 
Siemsen setzt die 1997 erschienene Moser-Bibliographie mit einem Nachtrag der selb- 
standigen Publikationen fort. Renate Staufrezensiext die 1996 erschienene umfangreiche 
Monographie von Karl H. L. Welker „Rechtsgeschichte als Rechtspolitik. Jusuts Moser 
als Jurist und Staatsmann und beschlieBt damit den Band 3 des Moser-Forums, dem zu 
wiinschen ist, daB es sich ungeachtet seiner Konzentration auf die Person und das Werk 
Justus Mosers zu einer der wichtigen Veroffentlichungsreihen zur norddeutschen Auf- 
klarung entwickeln moge. 

Hannover Christine van den Heuvel 



2 Vgl. dazu die Rezension im NiedersachsischenJahrbuch 70, 1998, S. 528-531. 



Personengeschichte 497 

Voltaire et sa „grande amie". Correspondance complete de Voltaire et de Mme Bentinck 
(1740-1778). Edition de Frederic Deloffre et Jacques Cormier. Oxford: Voltaire 
Foundation 2003. XXIV, 363 S. 14,50 £. 

Frederic Deloffre gilt als Sherlock Holmes der franzosischen Literaturgeschichte: Meh- 
rere Autoren des 17. und 18. Jahrhundert hat er der Verfasserschaft von Werken iiber- 
fiihrt, die zuvor nicht iiberzeugend zugeordnet werden konnten. In den letzten Jahren 
hat er von verschiedenen Ansatzen her Entstehungserklarungen fur Voltaires ,Candide' 
publiziert. Jetzt hat er den mehrfach angekundigten Briefwechsel vorgelegt, dessen 
Kenntnis ihm ermoglicht hat, Voltaires satirische Fiktionen mit der Realitat zu verbin- 
den: den Briefwechsel Voltaires mit der Grafin Charlotte Sophie von Bentinck, gebore- 
ner Aldenburg (1715-1800). Die Grafin hatte im April 1740 die Scheidung von Willem 
Bentinck erreicht, mit dem sie seit ihrem 18. Lebensjahr verheiratet war. Als Voltaire im 
Dezember desselben Jahres 1740 zum ersten Mai in Biickeburg Station macht, trifft er 
die Grafin am dortigen Hof als Favoritin des regierenden Grafen Albrecht Wolfgang. 
Curd Ochwadt hat die Spuren dieses und des zweiten Aufenthalts Voltaires in Biik- 
keburg (1743) zusammengetragen und verkniipft mit den Zeugnissen, die das rege Inter- 
esse des Hofs an aufklarendem Denken belegen (Voltaire und die Grafen zu Schaum- 
burg-Lippe. Bremen u.a. 1977) . Auf diese Vergegenwartigung der Biickeburger Gespra- 
che und weiterer Beschaftigungen mit Voltaire und seinen Werken konnte Deloffre 
seine Uberlegungen aufbauen: Er findet in Biickeburg Muster fur Personen und Ortlich- 
keiten des ,Candide'. 

Eine anschauliche Vorstellung davon, wie die Gesprache am Biickeburger Hof ver- 
laufen sein mogen, liefert uns der Hofpredigerjohann Heinrich Meister, der in fleiBigen 
Niederschriften festgehalten hat, was diskutiert wurde, und insbesondere, wie er selbst 
in der Diskussion argumentiert und dem religionskritischen Voltaire widersprochen ha- 
be (vgl. Ochwadt, a.a.O). In Meister sieht Deloffre einen Vorentwurf des Lehrers Pang- 
loss auf dem westfalischen Schloss, auf dem die Geschichte ,Candides' ihren Anfang 
nimmt. Allerdings konnte Voltaire unbelehrbare Optimismus-Verfechter auch auBer- 
halb Biickeburgs antreffen, schwerlich aber eine Frau, die iiberzeugender mit Cunegon- 
de in Bezug gesetzt werden konnte, als dies Deloffre (mit vielen Belegen aus dem Brief- 
wechsel) entwickelt fur die Grafin Charlotte Sophie von Bentinck. Es geht dabei nicht 
nur um Bezugfindung in den Charakteren der beiden Frauen. Das die Handlung des 
,Candide' tragende Motiv der Liebenden, die getrennt werden und nach gescheiterten 
Versuchen endlich wieder zusammenfinden, hat eine auffallige Entsprechung in den 
Biographien der Grafin und Voltaires: Nach ihrergemeinsamen Zeit in Potsdam/Berlin 
(1750-1753), nach vielfachem Umherreisen und nach missgliickter Abstimmung fur ein 
Treffen (1755/56), kommt es endlich im Herbst 1758 zu einem Wiedersehen in der 
Schweiz - wahrend der abschlieBenden Arbeiten am ,Candide', der Januar des darauf 
folgenden Jahres erscheint. Es fehlt in der Korrespondenz nicht an Anspielungen Voltai- 
res, die ein „vivre ensemble" thematisieren wollen, eine schicksalhafte Verbundenheit 
hervorheben („conformite des destinees", „Mon Dieu, que votre vie et la mienne sont 
meles d'orages!"); Voltaire betont die romanartige Einmaligkeit ihrer Geschichte („que 
notre roman est singulier!" 17.8.1758) mit derDeutung, das Schicksal mache sich iibersie 
lustig („La destinee s'est quelquefois moquee de vous et de moi", 15.8.1758). 

Deloffres Ausgabe der Korrespondenz Voltaires mit der Grafin Charlotte Sophie von 
Bentinck bietet jedoch weit mehr als nur Argumente fur die Entstehung des ,Candide'. 



498 Besprechungen und Anzeigen 

Die mehr als 300 Briefe - die meisten von Voltaire, weniger als 20 von Charlotte Sophie 

- sind chronologisch geordnet und kommentiert, angelehnt an Theodore Bestermans 
Voltaireausgabe, in der ein GroBteil der Briefe bereits publiziert vorliegt. Deloffre kann 
jedoch einiges Unveroffentlichte beifugen und insbesondere Bestermans Datierungen 
aus dem Zusammenhang verbessern sowie in seiner ausfuhrlicheren Kommentierung 
wertvolle Verstandnishilfen geben; dabei werden nicht allein historische Ereignisse ein- 
geordnet und erwahnte Personen mit biographischen Daten erlautert; Deloffre enttarnt 
auch die Personen, die Voltaire unter mythologischem Namen oder in der Rolle von lite- 
rarischen Figuren versteckt hat, und bewertet Formulierungen unter dem Aspekt, dass 
sie informieren sollten, ohne bei geheimdienstlicher Kontrolle den Briefpartnern zu 
schaden. 

Deloffre hat die Briefe in 27 Gruppen gebiindelt, um thematischen Zusammenhang, 
Zeitklammern, Reisen u.a. zu berucksichtigen. In Einfuhrungen zu diesen Briefgruppen 
stellt er jeweils die Besonderheiten heraus und zeichnet Gedankenverbindungen nach. 
Damit erleichtert er den Zugang zu dem AuBerordentlichen dieser Korrespondenz: Vol- 
taire riihrnt Charlotte Sophies „belle imagination et ame charmante", ihre „bonte ferme 
et constante", nennt sie seinen Schutzengel, dem er viel zu danken hat, zumal in den Zei- 
ten existentieller Bedrangnis in Potsdam; Charlotte Sophie sieht sich als von Voltaire 
zum Denken befreit - in ihrer sozial schwierigen Position eine wichtige Errungenschaft 

- und ist ihm dankbar und freundschaftlich aufgeschlossen verbunden. In Schwierigkei- 
ten versuchen sie einander zu helfen, ohne hierbei entscheidend erfolgreich zu sein. Bei- 
de leben zeitweise in der Vorstellung, weltpolitisch wirken zu konnen: Voltaire bei Fried- 
rich II., Charlotte Sophie bei Maria Theresia, und beide konnen nichts Nennenswertes 
ausrichten. Aber beide achten und schatzen einander und suchen den Gedankenaus- 
tausch, durch fast vierzig Jahre hindurch, wie Charlotte Sophie nachrechnet in ihrem 
letzten Brief (17.4.1778), auf den sie keine Antwort mehr erhalten konnte. 

Hannover Hans-Peter Schramm 



NACHRICHTEN 



HISTORISCHE KOMMISSION 
FURNIEDERSACHSEN UND BREMEN 

Jahrestagung vom 14. bis 16. Mai 2004 
und Mitgliederversammlung am 15. Mai 2004 in Lingen 



7. Bericht iiber die Jahrestagung 

Die Historische Kommission fur Niedersachsen und Bremen folgte in diesem Jahr einer 
Einladung der Stadt Lingen. Zum traditionellen Stadtrundgang trafen sich die Teilneh- 
mer vor Beginn der Tagung auf dem Marktplatz beim Historischen Rathaus. Herr Dr. 
Ludwig Remling, Leiter des Stadtarchivs, und Herr Dr. Andreas Eiynck, Leiter des Ems- 
land-Museums, machten die Besucher mit den Sehenswiirdigkeiten der Stadt bekannt 
und lieBen ihre Rundgange bei derTagungsstatte enden. Dort, im Sitzungssaal des Neu- 
en Rathauses, hob Stadtbaurat Schowe in seiner BegriiBung hervor, wie gut das Tagungs- 
thema „Krisen und Krisenbewaltigung im 20. Jahrhundert" in die Stadt Lingen passe, die 
gerade in den letzten Jahren bemiiht sei, in verschiedenen Projekten die wechselvolle 
Geschichte Lingens im 20. Jahrhundert erforschen zu lassen. Die Erste Biirgermeisterin, 
Frau Ramelow, begruBte die Teilnehmerinnen und Teilnehmer namens der Stadt und 
wiinschte der Tagung einen ergebnisreichen Verlauf. Der Vorsitzende der Kommission, 
Professor Dr. Ernst Schubert (Gottingen), eroffnete dann mit einem Dank an die Stadt 
die gut besuchte Veranstaltung. 

Die Moderation der ersten beiden Vortrage lag in den Handen von Professor Dr. 
Dietmar von Reeken (Bielefeld), der als ersten Referenten Professor Dr. Karl-Ludwig 
Sommer (Oldenburg) vorstellte. Sein Vortrag hatte den Titel „Die Bremer Raterepublik, 
ihre gewaltsame Liquidierung und die Wiederherstellung ,geordneter Verhaltnisse' in 
der Freien Hansestadt Bremen". Er zeichnete die Ereignisse in Bremen vom November 
1918 bis Marz 1919 nach,indem er die Verhaltensweisen derRevolutionare und des Bre- 
mer Biirgertums analysierte. Herr Sommer hob hervor, dass es dem Arbeiter- und Solda- 
tenrat im Kampf gegen die ,alten Eliten' an revolutionarem Elan gefehlt habe. Die For- 
derung, den nur politisch entmachteten Senat komplett aufzulosen, wurde von den 
Mehrheitssozialisten abgelehnt. Nachdem diese bei den Arbeiterratswahlen am 6. Janu- 
ar 1919 fast die Halfte der Stimmen erhalten hatten, kam es zum taktischen Biindnis der 
USPD und der Kommunisten. Vor den versammelten Massen auf dem Bremer Markt- 
platz wurde am 10. Januar die sozialistische Republik Bremen ausgerufen. Sie bestand 
nur wenige Wochen und wurde durch das militarische Eingreifen der Reichsregierung, 



500 Nachrichten 

die in Bremen ein Exempel fur ganz Deutschland statuieren wollte, am 4. Februar liqui- 
diert. Die darauf folgenden Monate waren gepragt von Streikund Gegenstreik. Welcher 
propagandistischen Mittel sich die Gegner der Raterepublikbedienten, belegten die ab- 
schlieBend gezeigten Aufnahmen von Plakaten aus dem Staatsarchiv Bremen. 

Im zweiten Vortrag behandelte Professor Dr. Detlef Sohmiechen-Ackermann (Mag- 
deburg) das Thema „Stadt und Nationalsozialismus in Niedersachsen". Einleitend stellte 
er fest, dass im Vergleich mit anderen Bundeslandern der alten Bundesrepublik die nie- 
dersachsischen Stadte mittelmaBig gut erforscht seien. Er reflektierte die bislang zu nie- 
dersachsischen Stadten erschienenen Studien unter vier verschiedenen Gesichtspunk- 
ten : 1 . der Nationalsozialismus als Profiteur von Krisen der Weimarer Republik, 2 . stadt- 
geschichtliche Deutungsmuster, 3. Stadtneugriindungen, 4. politische Moral nach 1945. 
Die spezifischen Ergebnisse der bislang vorliegenden Einzelstudien machten zweierlei 
deutlich. Zum einen wiirden durch weitere Regionalstudien keine neuen Erkenntnisho- 
rizonte eroffnet, zum anderen erscheint die weitere Beschaftigung mit dem Thema je- 
doch als geboten, sofern Stadte mit exemplarischem Charakter erforscht oder Sonder- 
entwicklungen , wie etwa das zur ,Reichsbauernstadt' erhobene Goslar, in den Blick ge- 
nommen werden. Erhebliche Erkenntnisgewinne verspreche auch ein komparativer, 
regionaler, auf einer strukturierenden Vergleichsfolie basierender Zugriff. 

Professor Dr. Gunther Mai (Erfurt) hielt den Abendvortrag, in dem es nicht um Nie- 
dersachsen, sondern um das Allgemeine ging - wie der Vorsitzende der Kommission in 
seiner Einleitung bemerkte. Der Vortrag hatte den Titel „Krisen und Krisenbewusstsein 
in Deutschland im 20. Jahrhundert" und schlug einen weiten Bogen vom Ende der Kai- 
serzeit bis in die Zeit nach 1989. Mai skizzierte die wechselseitigen Beziehungen von 
Krisen und Mentalitaten. Das Ende des Ersten Weltkriegs bedeutete das Ende der Alten 
Welt, doch war fur viele keine neue zu erkennen. Die Erlosungserwartungen des in Frage 
gestellten Biirgertums richteten sich nun nicht mehr auf das Kaisertum, sondern auf eine 
Diktatur. Noch in den 50erjahren gait der Nationalsozialismus bei der Mehrheit als „gu- 
te Sache, aber schlecht durchgefiihrt", wurde die Lebenssicherheit hoher bewertet als 
die Freiheit und appellierten die Wahlslogans der Demokraten in der Bundesrepublik an 
die Sicherheit. Auch in der DDR wusste die Partei die Sicherheitssehnsuchte zu bedie- 
nen. Trotz aller Versuche gelang es in der DDR nicht, eine sozialistische Nation zu be- 
griinden, auch wenn heute in den neuen Bundeslandern ein - mithin nur sehr schwer 
kommunizierbares - Sonderbewusstsein vorhanden ist. AbschlieBend betonte Mai, wie 
wichtig der kulturgeschichtliche Ansatz fur die Landesgeschichtsschreibung ist. Von ihr 
konnten die durch Raum und Landschaft konstituierten Besonderheiten und sozialen 
Identitaten in besonderer Dichte erfasst werden. 

Am anderen Tag schloss sich an die ordentliche Mitgliederversammlung ein Vortrag 
von Walter Hirche, Niedersachsischer Minister fur Wirtschaft, Arbeit und Verkehr, an. 
Er sprach iiber die Reaktionen der niedersachsischen Wirtschaftspolitik auf die jeweils 
aktuellen Probleme in den letzten sechs Jahrzehnten. Minister Hirche, durch seine drei- 
malige Funktion als Wirtschaftsminister eines „alten" und eines „neuen" Bundeslandes 
selbst zum Zeitzeugen geworden, verwies eingangs darauf, dass die niedersachsische 
Wirtschaftsgeschichte der Nachkriegszeit noch geschrieben werden muss. Er stellte die 
historischen Ausgangsbedingungen und strukturellen Vorbelastungen des gerade ge- 
griindeten Bundeslandes in Niedersachsen dar und zeigte dann anhand ausgewahlter 
Krisenregionen, welche strukturpolitischen MaBnahmen angewendet wurden und wie 
sich diese auswirkten. Die meisten Krisenmanagementlosungen seien singular; den- 



Jahrestagung der Historischen Kommission 501 

noch lieBen sich allgemeine Veranderungen in der Entwicklungspolitik feststellen. 
Wenn es darum geht, Krisen- und Wachstumsmanagement in Niedersachsen zu beurtei- 
len, seien die Leistungen von Einzelpersonlichkeiten ebenso zu beriicksichtigen wie die 
organisatorisch-institutionellen und verwaltungspolitischen Voraussetzungen. Nicht zu- 
letzt stehe die historische Wiirdigung von 180 Jahren staatlicher Mittelbehorden aul 
dem Gebiet des heutigen Landes Niedersachsen noch aus. 

Die drei Vortrage am Samstagnachmittag - moderiert von Prolessorin Dr. Inge Mar- 
szolek (Bremen) - wendeten sich dem westlichen Niedersachsen zu. Zuerst referierte 
Dr. Gerd Steinwascher (Oldenburg) iiber „Die Entwicklung eines ,Armenhauses' - Ho- 
hen und Tiefen der EmslanderschlieBung von der Weimarer Republik bis zum Emsland- 
plan". Er skizzierte die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Veranderungen im Ems- 
land und hinterlragte kritisch die von staatlicher Seite ergriflenen Initiativen. Nach dem 
Ersten Weltkrieg arbeitete der preuBische Staat entschlossen am raschen Aufbau der 
vom Odland charakterisierten Region; er kaulte und enteignete Odlandereien im gro- 
Ben Stil. Dennoch blieb der Gedanke lebendig, die Entwicklung des Landes durch Sied- 
lungsgesellschaften zu betreiben. Besondere Verdienste erwarb sich der Osnabriicker 
Regierungsprasident Dr. Adolf Sonnenschein, der sich sehr fur die Emslander engagier- 
te. Die Nationalsozialisten lehnten nach ihrer Machtubernahme jede Zusammenarbeit 
mit Sonnenschein ab. Ihre MaBnahmen wurden von einem gewaltigen Propagandaauf- 
wand begleitet und waren charakterisiert durch den massenhaften Einsatz von Angeho- 
rigen des Reichsarbeitsdienstes und derlnsassen der Konzentrations-, Strafgefangenen- 
und Kriegsgefangenenlager. Mit Kriegsbeginn verlor der ErschlieBungsgedanke an Be- 
deutung, die Lager wurden zu Sammel- und Durchgangslagern. Nach dem Zweiten 
Weltkrieg wurde mit der Griindung der Emsland GmbH 1951 ein neuer, schlieBlich er- 
folgreicher Weg beschritten. Es gelang, die Eigeninitiative der Bevolkerung zu mobilisie- 
ren und der Wirtschaft nachhaltige Impulse zu geben. 

Der sich anschlieBende Vortrag von Dr. Bernhard Parisius (Aurich) beschaftigte sich 
mit Fluchtlingen und Vertriebenen in den ehemaligen Regierungsbezirken Aurich und 
Osnabriick. Parisius machte auf zahlreiche Besonderheiten und Gemeinsamkeiten in 
den beiden Regierungsbezirken aufmerksam. Er ging den Fragen nach, wie es zum Un- 
gleichgewicht in der Verteilung der Fliichtlinge kam, wie stark die Mobilitat der Fliicht- 
linge nach ihrer Ankunft in Westniedersachsen war, warum diese dann langfristig an ei- 
nem Ort blieben, in welchen Berufen die Fliichtlinge und Vertriebenen FuB fassten und 
welche Auswirkungen die Aufnahme der Fliichtlinge fur die Regionen hatten. In beiden 
Bezirken lag der Anteil der mannlichen Fliichtlinge unter dem Landesdurchschnitt, weil 
das westliche Niedersachsen gerade von Frauen aus Angst vor der Roten Armee bewusst 
als neue Heimat gewahlt wurde. Viele Fliichtlinge und Vertriebene suchten sich ihren 
neuen Wohnort selbst, zumal im Untersuchungsgebiet ein Wechsel leicht moglich war; 
dabei spielte die Ablehnung der Einheimischen eine wichtige Rolle. Die Wanderungen 
der 50er Jahre verstarkten die spezifischen kulturellen Unterschiede in den Regionen. 
Insbesondere fur Ostfriesland ist festzustellen, dass die Aufnahme von Fluchtlingen und 
Vertriebenen das Land politisch-kulturell und wirtschaftlich bereichert hat. 

Dr. Ludwig Remling (Lingen) zeichnete anschlieBend den Weg Lingens „Von der 
Stadt der Eisenbahner und Beamten zum iiberregionalen Energiestandort" im 20. Jahr- 
hundert nach. Trotz des Ersten Weltkriegs und derzeitweilig drohenden SchlieBung des 
Eisenbahn-Ausbesserungswerkes wuchs die Bevolkerung in Lingen bis 1930 stetig an. 
Die wachsende Zahl der Haushaltungen fiihrte zu Wohnungsnot. Bei den Reichstags- 



502 Nachrichten 

wahlen von 1932 erzielte die NSDAP erhebliche Gewinne, Lingen selbst gait mit einer 
aktiven Ortsgruppe der NSDAP als Hochburg der Nationalsozialisten im Emsland. Die 
Lingener Synagoge fiel beim November-Pogrom dem Terror zum Opfer. Trotz eines 
vielversprechenden wirtschaftlichen Neuanfangs nach dem Zweiten Weltkrieg (Erdol- 
raffinerie, Lingener Textilwerke) blieb der Stadthaushalt sanierungsbediirftig. Erst mit 
der Errichtung des Kernkraftwerkes Lingen 1968, FordermaBnahmen des Bundes und 
des Landes, vor allem aber durch die kommunale Neugliederung der 70erjahre begann 
fur die Stadt der Aufstieg. Seit den 80er Jahren nimmt zudem der Erlebnis- und Freizeit- 
wert durch die Stadtsanierung und kulturelle Angebote kontinuierlich zu. In einem Ex- 
kurs ging Remling schlieBlich der Frage nach, wie Lingen mit der Zeit des Nationalsozia- 
lismus umgegangen ist. Wie in vielen anderen Kleinstadten setzte auch in Lingen die 6f- 
fentliche Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus erst in den 70er Jahren ein. 
Nach diesem Vortrag machte sich die Versammlung fast geschlossen Richtung Universi- 
tatsplatz auf, wo die Erste Burgermeisterin, Ursula Ramelow, die Tagungsteilnehmer im 
historischen „Professorenhaus" der Lateinschule und spateren Universitat Lingen im 
Namen der Stadt empfing. In ihrer Ansprache machte sie deutlich, dass Lingen sich sei- 
ner Vergangenheit bewusst stellt und besondere Leistungen auf dem Gebiet der Kultur- 
pflege und des kulturellen Austausches erbringt. Die Zweite Vorsitzende der Histori- 
schen Kommission, Dr. Christine van den Heuvel, dankte ihrer Vorrednerin, unterstrich 
die GroBziigigkeit der Stadt und betonte, von welch groBer Bedeutung fiir die historische 
Erinnerung gerade das 1985 eingerichtete Stadtarchiv in Lingen ist. Danach verweilten 
die Teilnehmernoch zwei Stunden bei Essen und Trinken im Innenhof und den Raumen 
des interessanten barocken Vierfliigelbaus. 

Die traditionelle Exkursion am Sonntag, von Heiner Schiipp (Meppen) geleitet, fiihr- 
te bei freundlichem Wetter ins nordliche Emsland. Erstes Ziel der Rundreise war der 
Standort des Emslandlagers Esterwegen, wo sich Uberreste eines der insgesamt 15 in 
den emslandischen Mooren von den Nationalsozialisten errichteten Lager finden las- 
sen. Von dort steuerte der Bus in die nordlichste Stadt des Emslandes. Eindrucke ganz 
besonderer Art vermittelte die Besichtigung der Baudockhallen auf der Meyer Werft in 
Papenburg-Untenende. Nach einem kurzen Abstecher ins Ostfriesische fuhr der Bus 
nach dem Mittagessen in die alte Fehnkolonie Papenburg. Bei einem Spaziergang ent- 
lang der Kanale brachte Herr Schiipp den Teilnehmern die Geschichte dieser See- und 
Reedereistadt naher, bevor die Teilnehmer auf der Riickfahrt von Papenburg nach Lin- 
gen noch einmal die emslandische Landschaft genossen. 



2. Bericht iiber die Mitgliederversammlung;Jahresbericht 

Die Mitgliederversammlung fand am Vormittag des 15. Mai im Sitzungssaal des Neuen 
Rathauses in Lingen statt. Der Vorsitzende, Prof. Dr. Ernst Schubert, iibernahm die Ver- 
sammlungsleitung, eroffnete die Versammlung und stellte durch Augenschein die Be- 
schlussfahigkeit fest. (Nach Ausweis der Teilnehmerlisten waren 60 Mitglieder und Pa- 
trone bzw. Vertreter von Patronen anwesend, die 72 Stimmen fuhrten). Darauf erhoben 
sich die Anwesenden zur Totenehrung. Die Kommission verlorim vergangenen Jahr Dr. 
Friedrich-Wilhelm Schaer (| 20.01.2004) als Mitglied und Philipp Ernst Fiirst zu 
Schaumburg-Lippe (t 28.08.2003) als Patron. 



Jahrestagung der Historischen Kommission 503 

Nachdem die Versammelten wiederPlatz genommen hatten, erstattete die Geschafts- 
fiihrerin, Dr. Sabine Graf, den Jahres- und Kassenbericht. Zunachst dankte sie Frau 
Giintherund Herrn Ohainski in der Geschaftsstelle sowie Frau Diestelmann und Herrn 
Dr. Franke im Hauptstaatsarchiv Hannover fur ihren personlichen Einsatz und ihre 
Hilfsbereitschaft zugunsten der Kommission. 

An wissenschaftlichen Unternehmungen konnten vorangetrieben oder abgeschlossen 
werden: 

1. Niedersachsischesjahrbuch fur Landesgeschichte 

Das Niedersachsische Jahrbuch 75 (2003) wurde gewohnt piinktlich vor Weihnachten 
ausgeliefert. (Es enthalt ein Verzeichnis der Stifter, Patrone und Mitglieder sowie der seit 
1999 erschienenen Veroffentlichungen der Historischen Kommission fiirNiedersachsen 
und Bremen.) Dies ist der letzte Band, dessen Rezensionsteil von Dr. Dieter Poestges be- 
treut worden ist. Von Band 76 (2004) an wird Dr. Thomas Franke (Hannover) die Redak- 
tion der Besprechungen und Nachrichten iibernehmen. 

2. Monografien 

Im Berichtszeitraum erschienen als Werke der Gesamtreihe: 

212: Frank Zadach-Buohmeier: Integrieren und AusschlieBen. Zu Prozessen gesell- 
schaftlicher Disziplinierung durch die Arbeits- und Besserungsanstalt Bevern im 
Herzogtum Braunschweig (1834-1870), 

216: Handbuch der niedersachsischen Landtags- und Standegeschichte Bd. 1: 1500- 
1806, hrsg. von Brage Bei der Wieden, 

217: Matthias Lentz: Konflikt, Ehre, Ordnung. Untersuchungen zu den Schmahbriefen 
und Schandbildern des spaten Mittelalters und derfruhen Neuzeit (ca. 1350-1600), 

219: Stammtafel der Welfen, bearb. von Heinrich Bottger (f), hrsg. und eingeleitet von 
Uwe Ohainski, Ernst Schubert und Gerhard Streich. 

218: Gottfried-Wilhelm Leibniz, Schriften und Briefe zur Geschichte. Bearb. von Mal- 
te-Ludolf Babin und Gerd van den Heuvel, und Nummer220: Urkundenbuch der 
Bischofe und des Domkapitels von Verden Bd. 2. Bearb. von Arend Mindermann, 
befanden sich zur Zeit des Berichtes in der Satzkorrektur. 

Im Rahmen eines Werkvertrages wurden die Recherchemoglichkeiten in der Daten- 
bank zur Sammlung historischer Ortsansichten optimiert und benutzerfreundlicher ge- 
staltet. 

Der Vorsitzende bemerkte an dieser Stelle, dass die Veroffentlichungen der Kommission 
sich sehenlassenkonnen,undhob zweiProjekte hervor: das Handbuch zur niedersachsi- 
schen Landtags- und Standegeschichte und die neu aufgelegte Stammtafel der Welfen 
von Heinrich Bottger. 



504 Nachrichten 

Die Geschaftsfuhrerin erlauterte nun den Kassenbericht. Die Einnahmen und Ausgaben 
verteilten sich danach wie folgt: 

Einnahmen: E001 (Vortrag): 1.685,26 €; E100 (Beitrage der Stifter): 95.733,88 €; 
E200 (Beitrage derPatrone): 10.314,04 €; E210 (Jahrestagung): 1.162,00 €; E220 (Ar- 
beitskreise): 389,70 €; E300 (Niedersachsischesjahrbuch): 6.088,40 €; E400 (Projekte): 
1.660,00 €; E610 (Zinsen): 99,10 €; E620 (Verkauf von Veroffentlichungen): 480,14 €. 
Summe: 117.612,52 €. 

Ausgaben: A110 (Verwaltung) : 6.713,44 €; A120 (Personal): 17.565,36 €; A210 (Jah- 
restagung): 5.624,18 €; A221-224 (Arbeitskreise): 1.517,34 €; A300 (Niedersachsi- 
schesjahrbuch): 24.951,00 €; A400 (Projekte): 57.846,10 €; A991 (Riickzahlungen) : 
1.685,26 €. Summe: 115.902,68 €. 

Wie die Geschaftsfuhrerin zu erkennen gab, bewegten sich die Einnahmen und Ausga- 
ben des Haushaltsjahres 2003 weitgehend im kalkulierten Rahmen. Die in einigen Aus- 
gabetiteln erzielten Einsparungen hat die Kommission vor allem der Projektforderung 
zugefiihrt. Aufgrund der haushaltsrechtlichen Bestimmungen mussten 1.709,84 6 der 
wirklichen Einnahmen im Haushaltsjahr 2003 imjanuar 2004 an das Land Niedersach- 
sen zuriickgezahlt werden. Diese auch schon in den Vorjahren erfolgten Riickzahlungen 
konnten reduziert werden, wenn alle Patronatsbeitrage so rechtzeitig eingingen, dass sie 
bei der Mittelbewirtschaftung des laufenden Haushaltsjahres noch berucksichtigt wer- 
den konnen. Deshalb sei eine Anweisung der Patronatsbeitrage bis Anfang November 
dringend erwiinscht. Die Bremer Landesbank hat ihr Patronat niedergelegt; allerdings 
hat sie der Kommission nach ihrem Austritt eine Spende zukommen lassen. 

Die Kasse hatten Helmut Zimmermann und Heribert Merten am 25. Februar 2004 ge- 
priift. Da sich keine Beanstandungen ergeben hatten, beantragte Herr Zimmermann die 
Entlastung des Vorstandes und des Schatzmeisters. Sie wurde ohne Gegenstimme ge- 
wahrt. Im Anschluss daran unterbreitete Dr. Jiirgen Bohmbach den Vorschlag, die Ent- 
lastung des Vorstands und des Schatzmeisters, wie es bei anderen Vereinen auch iiblich 
sei, als eigenen Tagesordnungspunkt der Mitgliederversammlung anzukiindigen. 

Darauf legte die Geschaftsfuhrerin den Wirtschaftsplan fur das Jahr 2004 vor. Danach 
verteilen sich die erwarteten Einnahmen und Ausgaben so: 

Einnahmen: E001 (Vortrag): 1.709,84 €; E100 (Beitrage der Stifter): 95.733,88 €; 
E200 (Beitrage der Patrone): 9.000,00 €; E210 (Jahrestagung): 1.000,00 €; E220 (Ar- 
beitskreise): 260,00 €; E300 (Niedersachsischesjahrbuch): 6.200,00 €; E400 (Projekte): 
2.000,00 €; E610 (Zinsen): 100,00 €; E620 (Verkauf von Veroffentlichungen): 500,00 €. 
Summe: 116.503,72 €. 

Ausgaben: A110 (Verwaltung): 6.200,00 €; A120 (Personal): 18.500,00 €; A210 (Jah- 
restagung): 4.500,00 €; A221-224 (Arbeitskreise): 2.400,00 €; A300 (Niedersachsi- 
schesjahrbuch): 28.000,00 €; A400 (Projekte): 55.193,88 €; A991 (Riickzahlungen): 
1.709,84 €. Summe: 116.503,72 €. 

Die Versammlung erklarte sich ohne Gegenstimmen mit dem Wirtschaftsplan einver- 
standen. 



Jahrestagung der Historischen Kommission 505 

Von dem erfreulichen Fortgang der im Oktober 2002 ins Leben gerufenen Richard-Mo- 
derhack-Stiftung berichtete der Vorsitzende. Er konnte sich auf der letzten Vorstandssit- 
zung der Stiftung davon iiberzeugen, dass das Stiftungskapital in der treuhanderischen 
Verwaltung der Stiftung Niedersachsen sehr gut aufgehoben ist. Fur seine Anlagepolitik 
und die daraus flieBenden Zinsertrage gebiihrt dem Leiter der Geschaftsstelle der Stif- 
tung Niedersachsen, Dr. Matthias Dreyer, besonderer Dank. Da mit den bislang aus der 
Vermogensbewirtschaftung zur Verfiigung stehenden Mitteln noch keine dem Satzungs- 
zweck entsprechende Projektforderung moglich ist, wurde beschlossen, die verfugbaren 
Mittel in diesem und im nachsten Jahr weiterhin der zweckgebundenen Riicklage zuzu- 
fuhren. 

Unter dem Tagesordnungspunkt „Aufnahme neuer Patrone" konnte der Vorsitzende 
diesmal drei Antragsteller vorstellen: Herrn Dr. Gerd van den Heuvel (Hannover), das 
Niedersachsische Staatsarchiv in Oldenburg und den Lehrstuhl fur Frankische Landes- 
geschichte der Bayerischen Julius-Maximilians-Universitat Wiirzburg. Alle drei wurden 
ohne Gegenstimmen als Patrone in die Kommission aufgenommen. 

AnschlieBend erhielten der im November 2003 gewahlte Sprecher des Arbeitskreises 
„Wirtschafts- und Sozialgeschichte", Prof. Dr. Carl-Hans Hauptmeyer (Hannover), und 
der Sprecher des neu gegriindeten Arbeitskreises „Mittelalterliche Geschichte", Prof. Dr. 
Thomas Vogtherr (Osnabriick), Gelegenheit, sich personlich vorzustellen. Mit iiberwal- 
tigender Mehrheit wurden darauf beide Arbeitskreissprecher von den Anwesenden be- 
statigt. 

Fiir sieben der acht fur die Dauer von dreijahren gewahlten Mitglieder des Ausschusses 
endete die Amtsperiode auf der Mitgliederversammlung in Lingen, namentlich fiir Dr. 
Manfred von Boetticher, Dr. Hajo van Lengen, Dr. Hans Otte, Prof. Dr. Adelheid von 
Saldern, Dr. Ulrich Schwarz, Dr. Gerd Steinwascherund Prof. Dr. Thomas Vogtherr. Be- 
vor die Versammlung zur Wahl sieben neuer Mitglieder des Ausschusses aufgefordert 
wurde, erlauterte Herr Schubert, wie sich dieses Gremium zusammensetzt und wer ihm 
zurzeit angehort. Wie bereits bei den Ausschusswahlen 2001 waren doppelt so viele Kan- 
didaten zur Wahl aufgestellt worden, wie Platze zu vergeben waren. Hinsichtlich des 
Wahlverfahrens stellte der Vorsitzende klar, dass eine Wahl per Brief in der Satzung der 
Kommission nicht vorgesehen und deshalb ungiiltig ist. 

Um den organisatorischen Aufwand fiir die Wahlen zum Ausschuss und fiir die Wahl 
neuer Mitglieder zu begrenzen, wurden diese beiden Tagesordnungspunkte zusammen- 
gefasst. Als Kandidaten fiir die Mitgliederzuwahl stellten Prof. Dr. Ernst Schubert: Dr. 
Cord Alphei und Wolfgang Kunze, Dr. Dieter Brosius: Dr. Thomas Bardelle, Dr. Arm- 
gard Grafin zu Dohna: PD Dr. Thomas Klingebiel, Dr. Bernd Kappelhoff: Dr. Birgit Keh- 
ne und Dr. Gerd Steinwascher: Heiner Schiipp vor. Sodann schritten die Versammelten 
mit groBer Disziplin zu den Wahlurnen und gaben ihre Stimmen ab. Um dem Zahlkomi- 
tee, dem Dr. Stefan Brudermann, Petra Diestelmann, Dr. Beate-Christine Fiedler, Ga- 
briele Giinther, Dr. Arend Mindermann und Dr. Bettina Schmidt-Czaia angehorten, ge- 
niigend Zeit zum Auszahlen zu lassen, wurde die Versammlung fiir eine kurze Pause un- 
terbrochen. 

Nach der Pause berichteten die Sprecher der Arbeitskreise. Fiir den Arbeitskreis „Wirt- 
schafts- und Sozialgeschichte" verwies Prof. Dr. Carl-Hans Hauptmeyer auf die Tagun- 



506 Nachrichten 

gen, die wie gewohnlich im Herbst und im Friihjahr stattgefunden haben und gut besucht 
waren. In derSitzung am 29. November 2003 standen durch den Riicktritt von Prof. Dr. 
Adelheid von Saldern und Prof. Dr. Heidi Rosenbaum die Neuwahlen der Leitung an. 
Herr Hauptmeyer wurde als Sprecher und Prof. Dr. Hans-Werner Niemann (Osnabriick) 
als sein Stellvertreter gewahlt. Inhaltlich beschaftigte den Arbeitskreis in der von Prof. 
Dr. Karl Heinrich Kaufhold vorbereiteten Novembersitzung das Thema „Neue For- 
schungen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Harzes". Die Tagung im Marz, mo- 
deriert von Prof. Dr. Hartmut Berghoff (Gottingen), nahm sich der Unternehmensge- 
schichte in Niedersachsen an. Fur die nachste Sitzung am 27. November 2004 sei eine 
Fortsetzung dieses Themas geplant. 

Aus dem Arbeitskreis „Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts" trug Herr Dr. Dieter 
Brosius vor, der fur die letzten beiden Sitzungen eine maBige Beteiligung zu beklagen 
hatte. Wahrend sich die Novembertagung mit der „Kultur im Kaiserreich" beschaftigte, 
wurden auf der Zusammenkunft im Marz Referate zum Thema „Mentalitaten im Ersten 
Weltkrieg" gehalten. Auf der Tagung im Marz wurde zudem Herr Dr. Hans Otte zum 
neuen Schriftfuhrer gewahlt. Die nachste Sitzung am 6. November 2004 wird sich mit 
Geschichtsschreibung im 19. Jahrhundert befassen. 

Als Sprecher des Arbeitskreises „Geschichte derjuden" konnte Prof. Dr. Herbert Oben- 
aus auf zwei Sitzungen im September und im Marz verweisen. Der Arbeitskreis habeje- 
weils auf Einladung der Stadt in Oldenburg und in Stade getagt und sich parallel mit den 
Deportationen in der NS-Zeit und mit der Frage der Konversionen vom Judentum zum 
Christentum befasst. Die nachste Sitzung des Arbeitskreises findet am 29. September 
2004 in Gottingen statt und fuhrt das Thema der Konversionen fort. 

Prof. Dr. Thomas Vogtherr berichtete, dass der Arbeitskreis fur mittelalterliche Ge- 
schichte seit seiner konstituierenden Sitzung noch nicht wieder getagt habe. Fur den 11. 
September sei jedoch eine Sitzung geplant, die sich den Genera mittelalterlicher Uberlie- 
ferung widmen werde. 

In der Zwischenzeit hatte das Zahlkomitee seine Arbeit beendet, so dass der Vorsitzende 
die Ergebnisse verkiinden konnte. 

In den Ausschuss wurden gewahlt: Dr. Brage Bei der Wieden (Hannover), Dr. Man- 
fred von Boetticher (Hannover), Dr. Ernst Bohme (Gottingen), Dr. Hajo van Lengen 
(Aurich), Dr. Hans Otte (Hannover), Prof. Dr. Detlef Schmiechen-Ackermann (Magde- 
burg), Dr. Gerd Steinwascher (Oldenburg). 

Zu neuen Mitgliedern wird die Kommission aufgrund der Zuwahlen berufen: Dr. 
Cord Alphei (Hildesheim), Dr. Thomas Bardelle (Rom), Dr. Birgit Kehne (Osnabriick), 
PD Dr. Thomas Klingebiel (Gottingen), Wolfgang Kunze (Neustadt a. Rbge), Heiner 
Schiipp (Meppen). 

An Druckvorhaben hat der Ausschuss vorgesehen: Martin Jhering: Hofisches Leben in 
Ostfriesland. Die Fiirstenresidenz Aurich imjahre 1728; Beatrix Herlemann, Biographi- 
sches Lexikon niedersachsischer Parlamentarier 1919-1945 ; Kopfsteuerbeschreibungen 
der Stadt Braunschweig 1672 und 1687, bearb. von Heinrich Medefind; Nachdruck der 
Ostfriesland-Karte des Niederlanders Camp von 1804 in sechs Blattern. 

Zu den Unternehmungen gehoren, so der Vorsitzende, nicht zuletzt die von der Kommis- 
sion selbst durchgefiihrten Projekte. So wurde das vor mehr als 30 Jahren begonnene 



Jahrestagung der Historischen Kommission 507 

Projekt „Historische Ortsansichten" dank einer Neukonzeption in den vergangenen drei 
Jahren den veranderten technischen Moglichkeiten angepasst. Inzwischen liegt der Plan 
zur Veroffentlichung eines Bandes „Ansichten niedersachsischer Stadte in der Friihen 
Neuzeit 1550-1850" vor. Im verstrichenen Jahr hat die Kommission nun auch fur das 
erstmals 1969 in Angriff genommene Siegelwerk der Welfen ein neues Konzept erstellt. 
Wie die Geschaftsfuhrerin berichtete, ist unter Verwendung einer Fotokartei mit mehr 
als 1 100 Abbildungen von Welfensiegeln eine Access-Datenbank zu den Siegeln der Mit- 
glieder des herzoglichen Hauses von Braunschweig und Liineburg angelegt worden, die 
neben der Beschreibung eines jeden Siegels auch dessen Abbildung entha.lt. Bei einem 
Experten-Rundgesprach im Hauptstaatsarchiv Hannover am 5. April 2004 wurde diese 
Datenbank vorgestellt sowie iiber Grenzen und Moglichkeiten des Projekts gesprochen, 
das nach den Worten von Prof. Dr. Toni Diederich (Koln) aus landesgeschichtlicher 
Sicht von groBer Bedeutung ist und einen allgemein richtungweisenden Ansatz fur die 
Inventarisierung von Siegeln darstellt. Zurzeit werde die Datenbank von Prof. Dr. Wolf- 
gang Petke (Gottingen) im Rahmen einer Lehrveranstaltung genutzt. Dabei werden die 
auf C. von Schmidt- Phiseldeck beruhenden, weitgehend ungenugenden Siegelbeschrei- 
bungen iiberarbeitet. 

Fur die Jahrestagung 2005 gab der Vorsitzende bekannt, dass diese um Himmelfahrt 
in Uelzen stattfinden wird. Sie beschaftigt sich mit dem Thema „Die Stadt und ihr 
Umland". Der genaue Zeitpunkt der Veranstaltung wird rechtzeitig bekannt gegeben 
werden. 

Unter dem Punkt „Verschiedenes" wurden keine Wortmeldungen gewunscht. Mit einem 
Dank an alle Anwesenden schloss Herr Schubert die Versammlung. 

Hannover Sabine Graf 



BERICHTE AUS DEN ARBEITSKREISEN 



Arbeitskreis fur Wirtschafts- und Sozialgeschichte 



Der Arbeitskreis trat am 29. November 2003 im neu gestalteten Benutzersaal des Nieder- 
sachsischen Hauptstaatsarchivs Hannover zusammen und diskutierte „Neue Forschun- 
gen zur Wirtschafts- und Sozialgeschichte des Harzes". Die wissenschaftliche Leitung 
oblag Karl Heinrich Kaufhold (Gottingen). Es referierten: Johannes Laufer (Gottingen), 
Arbeits- und Lebensverhaltnisse der Oberharzer Berg- und Hiittenarbeiter im 19. Jahr- 
hundert. - Wilfried Reininghaus (Miinster) , Landesherrliche Montanpolitik in der Graf- 
schaft Mark und im Herzogtum Westfalen seit dem spaten Mittelalter. - Olaf Grohmann 
(Hannover), Harzwasserversorgung. ArbeitsbeschaffungsmaBnahme, Politikum und 
umweltrelevantes GroBprojekt. - Peter-Michael Steinsiek (Gottingen), Das Harzer Mo- 
dell. Forstwissenschaft und Nachhaltigkeit in der digitalen historischen Analyse. - Detlef 
Schmiechen-Ackermann (Magdeburg), Regionalkulturen und Regionalbewusstsein in 
Demokratie und Diktatur. Der Harz 1920-1990. Wie stets schlossen sich den Vortragen 
rege Diskussionen an. 

Anlasslich der Herbstzusammenkunft 2003 wurde das Sprechergremium neu ge- 
wahlt: Carl-Hans Hauptmeyer (Hannover) als Sprecher und Hans-Werner Niemann 
(Osnabriick) als Stellvertreter. Gudrun Fiedler (Wolfenbiittel) und Anne-Katrin Henkel 
(Hannover) setzen ihre bewahrte Arbeit als Schriftfuhrerinnen fort. Karl-Heinrich Kauf- 
hold und der neue Sprecher wiirdigten die groBen Verdienste, die sich Adelheid von Sal- 
dern als Sprecherin um den Arbeitskreis erworben hat, und dankten ihr herzlich fur die 
menschlich wie wissenschaftlich so vorziigliche Leitung. 

Die Fruhjahreszusammenkunft am 6. Marz 2004 fand dank einer groBzugigen Einla- 
dung der „Stiftung Nord LB Offentliche" im ARTmax in Braunschweig statt. Unter der 
fachlichen Leitung von Hartmut Berghoff (Gottingen) war „Unternehmensgeschichte in 
Niedersachsen" das wissenschaftliche Thema. Zunachst standen neue unternehmenshi- 
storische Forschungen im Mittelpunkt, sodann Probleme der musealen Presentation 
und schlieBlich Erorterungen zu Unternehmens- und Wirtschaftsarchiven. Im Einzel- 
nen referierten: Hartmut Berghoff, Perspektiven der regionalen Unternehmensge- 
schichte - Klaus Weber (Hamburg) , Vom protoindustriellen Leinengewerbe zur moder- 
nen Textilindustrie. Atlantischer Seehandel und regionale Exportgewerbe. - Ralf Rich- 
ter (Gottingen), Unternehmerische Personalpolitik vor- und nach der Wahrungsreform 
von 1948: Volkswagen. - Gerhard Kaldewei (Delmenhorst), Delmenhorster Anker-Li- 
noleum. Der Stoff, „auf dem die Moderne tanzte". - Ulrich Reiff (Gottingen), Kali im 
Wendland. Ein Projekt zwischen Kulturforschung und musealer Vermittlung. - Manfred 
Grieger (Wolfsburg), Erkenntnis- und Kommunikationsinteressen. Zur Wissenschafts- 
fundierung einer unternehmenseigenen Geschichtsschreibung der Volkswagen AG. - 
Horst-Riidigerjarck (Wolfenbiittel), Das Niedersachsische Wirtschaftsarchiv in Braun- 
schweig. Stand und Perspektiven. In der Herbstsitzung am 27. November 2004 in Han- 
nover wird das Thema weitergehend behandelt. 



Berichte aus den Arbeitskreisen 



509 



Von der Leitung des Arbeitskreises ging eine mittlerweile rege diskutierte Initiative 
zur Schaffung eines gemeinschaftlichen Internetportals zur niedersachsischen Landes- 
und Regionalgeschichte aus. 



Kontakte 
Sprecher 



Stellv. Sprecher 



Schriftfuhrerinnen 



Prof. Dr. Carl-Hans Hauptmeyer, Universitat Hannover, 

Historisches Seminar, Im Moore 21, 30167 Hannover 

Tel: (0511) 762-4201; Fax: (0511) 762-4479; 

Email: hauptmeyer@hist-sem.uni-hannover.de 

Prof. Dr. Hans-Werner Niemann, Universitat Osnabriick, 

Fb. 2- Kultur- und Geowissenschaften, Wirtschafts- und 

Sozialgeschichte, SchloBstr. 8, 49069 Osnabriick 

Tel: (0541) 969-4798; Email: hanieman@uos.de 

Dr. Gudrun Fiedler, Niedersachsisches Staatsarchiv 

Wolfenbuttel, Forstweg 2, 38302 Wolfenbiittel 

Tel: (05331) 935-225 (935-228); Fax: (05331) 935-211; 

Email: gudrun.fiedler@staatsarchiv-wf.niedersachsen.de 

Dr. Anne-Katrin Henkel, Niedersachsische Landesbibliothek, 

Waterloostr. 8, 30169 Hannover 

Tel: (0511) 1267-369; Fax: (0511) 1267-202; 

Email: katrin.henkel@mail.nlb-hannover.de 



Arbeitskreis fur die Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts 



Der Arbeitskreis fiihrte im Berichtsjahrwiederum zwei Arbeitstagungen durch,beide im 
Stadtarchiv Hannover. Am 15. November 2003 stand das Thema„Kulturim Kaiserreich" 
zur Debatte; dazu wurden die folgenden Referate vorgetragen: Cord Eberspacher (Ol- 
denburg), „Oh Wohlbier, Herr dein Tuten" - Wilhelmshavener Kultur zwischen Marine 
und Zivil 1869-1914; Sigrid Fahrmann-Tubbe (Gottingen), Der Gottinger Verschone- 
rungsverein und sein Beitrag zur Stadtkultur; Wolfgang Brandes (Fallingbostel), Kultur 
im landlichen Raum. Beobachtungen am Beispiel des Fleckens Fallingbostel. 

Die Tagung am 13. Marz 2004 behandelte „Mentalitaten im Ersten Weltkrieg". Zu 
diesem Thema referierten Rainer Poppinghege (Paderborn), Im Lager unbesiegt: 
Kriegsgefangene, Zivilinternierte und die „Presse hinter Stacheldraht" 1914-1918; Ger- 
hard Schneider (Wedemark), Nageln in Niedersachsen im Ersten Weltkrieg; Hans-Die- 
ter Schmid (Hannover), Lutherfeiern im Ersten Weltkrieg; Gerhard Wiechmann (Ol- 
denburg), Die Feldpostbriefe des Oldenburger Lehrerseminars. AnschlieBend fiihrte 
Cord Eberspacher (Oldenburg) den Stummfilm „Auf Feindfahrt mit der U 35 - Der ma- 
gische Giirtel" vor, der die Versenkung gegnerischer Handelsschiffe durch ein deutsches 
U-Boot im Mittelmeer im Marz und April 1917 dokumentiert. Uber alle Referate wurde 
lebhaft diskutiert. 

Zur Friihjahrstagung 2004 legte der bisherige Schriftfiihrer Dr. Karljosef Kreter sein 



510 Nachrichten 

Amt wegen Arbeitsiiberlastung nieder; Dr. Hans Otte trat an seine Stelle. In der Tagung 
am 6. November 2004, iiber die im nachsten Bericht zu referieren ist, baten die bisheri- 
gen Sprecher Dr. Dieter Brosius und Prof. Dr. Gerhard Schneider, die diese Funktion seit 
Griindung des Arbeitskreises im Jahr 1998 wahrgenommen hatten, um Ablosung. Zum 
neuen Sprecher wurde Prof. Dr. Detlef Schmiechen-Ackermann, zu seinem Vertreter Dr. 
Hans Otte, zum Schriftfiihrer Dr. Wolfgang Brandes gewahlt. 

Kontakte 

Sprecher Prof. Dr. Detlef Schmiechen-Ackermann 
Stellv. Sprecher Dr. Hans Otte 

Schriftfiihrer Dr. Wolfgang Brandes, c/o Stadtarchiv Fallingbostel, 
Vogteistr. 1, 29683 Fallingbostel 
Tel.: 05162-40118; Fax: 05162-40144; 
E-Mail: stadtarchiv@badfallingbostel.de 



Arbeitskreis Geschichte der Juden 



Der Arbeitskreis tagte am 24. September 2003 in Oldenburg auf Einladung der Stadt. Im 
Mittelpunkt stand das Schwerpunktthema „Deportation der Juden aus Niedersachsen 
und Bremen", in dessen Rahmen zunachst Marlis Buchholz iiber die Tatigkeit der staatli- 
chen Finanzverwaltung bei den Deportationen und Beate Meyer iiber die (erzwungene) 
Mitwirkung der Reichsvereinigung der Juden in Deutschland an den Deportationen 
sprachen. Zur Einfiihrung in das neue Schwerpunktthema des Arbeitskreises sprach 
schlieBlich Frau Rotraut Ries iiber die Konversion von Juden zum christlichen Glauben 
in derFriihen Neuzeit. Eine weitere Tagung des Arbeitskreises fand am 17. Marz 2004 in 
Stade auf Einladung der Stadt und des dortigenLandschaftsverbandes statt. Die dortigen 
Referate waren vor allem vom Schwerpunktthema Konversionen bestimmt, zu dem als 
erster Ralf Busch sprach: Martin Luther, das Religionsgesprach von 1704 in Hannover 
und die Folgen - Die Taufe des Schulmeisters Hirsch Marcus aus Bovenden in Gottingen 
1771. Ihm folgte Harald Storz mit einem Referat iiber die Taufe Samson Oppenheimers 
in Lemforde 1826. Zwei weitere Referate nahmen noch einmal das Schwerpunktthema 
der Deportationen auf. Werner Meiners sprach iiber Judenverfolgung und Euthanasie - 
Die Deportation von Juden aus dem Behindertenheim Albertushof bei Delmenhorst. 
Ihm folgte Bernhard Gelderblom mit einem Referat iiber die Deportation derjuden aus 
dem Dorf Ottenstein imjahre 1942. 

Bei der Tagung am 29. September 2004, iiber die im nachsten Jahrbuch zu berichten 
sein wird, legten Prof. Dr. Herbert Obenaus und Prof. Dr. Albrecht Eckhardt ihre Amter 
als Sprecher und stellvertretender Sprecher des Arbeitskreises nieder. An ihrer Stelle 
wurden Prof. Dr. Uwe Meiners zum Sprecher und Dr. Marlis Buchholz zu seiner Vertre- 
terin gewahlt. 



Berichte aus den Arbeitskreisen 511 

Kontakte 

Sprecher Dr. Werner Meiners 
Stellv. Sprecher Dr. Marlis Buchholz 

Schriftfiihrer Prof. Dr. Herbert Reyer, c/o Stadtarchiv Hildesheim, 
Am Steine 7, 31134 Hildesheim 
Tel.: 05121 - 16810; Fax: 05121 - 168124; 
E-Mail: reyer@stadtarchiv-hildesheim.de 



Arbeitskreis fur Mittelalterliche Geschichte 



Der Arbeitskreis veranstaltete am 11. September 2004 im Hauptstaatsarchiv Hannover 
sein erstes Kolloquium zum Thema „Quellen zur mittelalterlichen Geschichte Nieder- 
sachsens und ihre ErschlieBung". Etwa 35 Anwesende horten und diskutierten Referate 
zu folgenden Themen: „Die Editionen niedersachsischer Provenienzurkundenbiicher" 
(Dieter Brosius, Hannover) , „Die Edition eines Pertinenzurkundenbuchs am Beispiel des 
Bremischen Urkundenbuchs" (Adolf E. Hofmeister, Bremen/ Verden), „Edition und Er- 
schlieBung mittelalterlicher Amtsbucher" (Ulrich Schwarz, Wolfenbiittel), „Mittelalterli- 
che Bibliothekskataloge" (Helmar Hartel, Wolfenbiittel) sowie „Mittelalterliche Reliqui- 
en- und Schatzverzeichnisse" (Andrea Boockmann, Gottingen) . Erganzend wurde ein er- 
ster Einblick in die soeben aufgenommenen Arbeiten an einem Siegelkatalog der Welfen 
gegeben (Sabine Graf, Hannover, und Bengt Buttner, Gottingen) . - Als Ergebnis der Dis- 
kussion wurde u. a. vereinbart, fur kiinftige Bearbeiter von Urkundenbiichern im Rah- 
men der Veroffentlichungen der Historischen Kommission eine Handreichung vorzube- 
reiten und sie den zustandigen Gremien der Kommission zum Beschluss zuzuleiten. Mit 
einer Vorlage ist im Friihjahr 2005 zu rechnen. - Das nachste Kolloquium wurde fiir den 
26. Februar 2005 ins Auge gefasst. 

Kontakte 

Sprecher Prof. Dr. Thomas Vogtherr 
Stellv. Sprecher Dr. Adolf E. Hofmeister 

Schriftfiihrer Dr. Volker Scior, JohannisstraBe 52/53, 49074 Osnabriick 
Tel.: 0541-9694391; Fax: 0541-9694397; 
E-Mail: vscior@uni-osnabrueck.de 



Handbuch der niedersachsischen Landtags- 
und Standegeschichte 

Band I: 1500-1806 

herausgegeben von 

Brage Bei der Wieden 

Veroffentlichung der Historischen Kommission 

fur Niedersachsen und Bremen 

216 

469 Seiten und eine farb. Faltkarte, 2004 
ISBN 3-7752-6016-1 



Unbestritten liegt eine der Wurzeln der heutigen parlamentarischen Demokratie in 
den Landtagen der friihen Neuzeit, auf denen Fiirst und Stande - die Pralaten, die 
Ritter, die Stadte, zuweilen auch die Bauern - ihre Interessen ausglichen. Die Ver- 
handlungsgegenstande der Landtage lassen erkennen, welche Zustande, welche 
Probleme nicht nur die bevorrechtigten Stande, sondern auch die breite Bevo Ike- 
rung bewegten. Das Handbuch der niedersachsischen Landtags- und Standege- 
schichte zeigt den institutionellen Rahmen der Landtage auf und liefert daneben 
Grunddaten zu den 29 Territorien, die zwischen 1500 und 1806 auf dem Gebiet des 
heutigen Landes Niedersachsen existierten. 

Das Handbuch ist zweigeteilt: Einem schematischen Teil, der anhand eines Fra- 
genrasters vergleichbare Informationen zu den einzelnen Territorien liefert, folgt 
eine essayistischer Teil, in welchem die Entwicklung in den Territorien skizziert 
wird, die eine wirkliche landstandische Verfassung ausbildeten. Aus dem Vergleich 
der sehr unterschiedlichen Formen und Entfaltungen konnen Verfassungs- wie So- 
zialhistoriker neue Einsichten gewinnen; der Band eignet sich aber auch als Nach- 
schlagewerk fur jeden, der neugierig ist, welche Faktoren die niedersachsische Ge- 
schichte gepragt haben. 



VERLAG HAHNSCHE BUCHHANDLUNG 

Leinstr. 32 ■ D-30159 Hannover 
Tel. +49(0)511-80 71 80 40 ■ Fax +49(0)511-36 36 98 



Matthias Lentz 

Konflikt, Ehre, Ordnung 

Untersuchungen zu den Schmahbriefen und Schandbildern 

des spaten Mittelalters und der friihen Neuzeit 

(ca. 1350 bis 1600) 

Veroffentlichung der Historischen Kommission 
fur Niedersachsen und Bremen 217 

383 Seiten mit 65 s/w-Abb. und 16 S. Farbtaf. mit 25 Farbabb., 2004 
ISBN3-7752-6017-X 

Mit so genannten Schmahbriefen und Schandbildern versuchten Menschen des spaten 
Mittelalters und der friihen Neuzeit unter den grobmaschigen rechtlich-institutionellen 
Rahmenbedingungen des damaligen Deutschen Reiches untreue Vertragspartner (meist 
Schuldner) und wortbriichige Biirgen aufiergerichtlich zur Vertragstreue anzuhalten. 

Dieses in der Forschung unterreprasentierte „privatrechtliche" Instrumentarium der 
Ehrenschelte wurde bisher allenfalls mit den Begrifflichkeiten des modernen Privatrechts 
zu erklaren versucht. Entgegen dieser einseitigen und unhistorischen Sichtweise verfolgt 
die vorliegende Studie das Ziel, durch eine moglichst systematische und vollstandige Er- 
fassung und Dokumentation der Uberlieferung das komplexe Gesamtgeschehen um die 
Schmahbriefe und Schandbilder nachzuzeichnen und zu deuten. Dabei werden zunachst 
die grundlegenden rechtlich-normativen Ausgangspunkte der illustrierten Schmahbriefe 
dargelegt. Drei Fallstudien aus den Jahren 1441, 1468 und 1490 zeigen neben den Grun- 
den fur das Schelten auch den „ritualisierten" Ablauf des Verfahrens und die gesellschaft- 
lichen Auswirkungen eines solchen diskreditierenden Vorgehens. Eine vierte Fallstudie, 
die Analyse eines einschlagigen Prozesses vor dem Reichskammergericht aus dem letzten 
Drittel des 16. Jahrhunderts erklart dann schliefilich das rechtlich-normative Ende der ge- 
zielten Ehrenschelte mit Schmahbriefen und Schandbildern. 

Ein entsprechender Katalog im Anhang enthalt 200 Eintrage und beschreibt detailliert 
100 erhaltene Schandbilder mit alien relevanten Angaben und z.T. mit farbigen Abbil- 
dungen, von denen ein grofier Teil bislang ganzlich unbekannt war. So bietet der Katalog 
erstmals eine breite Quellenbasis, die sowohl fur Historiker des Mittelalters und der frii- 
hen Neuzeit und fur Rechtshistoriker als auch fur Kunsthistoriker das Thema Schmah- 
briefe und Schandbilder systematisch aufarbeitet und zuganglich macht. Ein Personen- 
und Ortsregister sowie ein Register der Bildinhalte erschlieKen den Katalog. 

VERLAG HAHNSCHE BUCHHANDLUNG 

Leinstr. 32 ■ D-30159 Hannover 
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Gottfried Wilhelm Leibniz 
Schriften und Briefe zur Geschichte 

Bearbeitet, kommentiert und herausgegeben 
von 

Malte-Ludolf Babin und Gerd van den Heuvel 

mit einer Einleitung von Gerd van den Heuvel und 
Ubersetzungen aus dem Lateinischen von Malte-Ludolf Babin 

Veroffentlichung der Historischen Kommission 

fur Niedersachsen und Bremen 

218 

1080 Seiten mit 7 s/w-Abbildungen und 4 Farbtafeln, 2004 
ISBN 3-7752-6018-8 

Leibniz' Abhandlungen, Briefe und Quellensammlungen zur Geschichte machen 
den grofiten Teil seines umfangreichen Nachlasses aus. Dennoch ist bislang wenig 
getan worden, diese Schriften zu erschliefien und das weitgehend ungedruckte oder 
in den vorangegangenen Publikationen nur unzulanglich prasentierte Material der 
Forschung zuganglich zu machen. Die vorliegende Edition dokumentiert Leibniz' 
Geschichtsauffassung und Historiographie anhand von 53 Schriften und Brief- 
wechseln zu Geschichtsbegriff, Methodendiskussion und Quelleneditionen, zu 
Hilfswissenschaften und Organisation der Geschichtsforschung. Themen aus den 
Bereichen Rechtsgeschichte, Geschichtsphilosophie und Didaktik sind ebenso ver- 
treten wie Arbeiten zu konkreten historischen Gegenstanden, von der romischen 
Numismatik bis hin zur Welfengeschichte. Bei den parallel zu den originalsprachi- 
gen Texten abgedruckten Ubersetzungen der 31 lateinischen Stiicke handelt es sich 
mit einer Ausnahme um Erstubertragungen ins Deutsche. Ausfuhrliche Erlaute- 
rungen und vier umfangreiche Register erschliefien den Band, der Leibniz' Wirken 
als Historiker in seiner ganzen Breite und Vielschichtigkeit deutlich werden lafit. 



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Stammtafel der Welfen 

Bearbeitet von Heinrich Bottger (f) 

Herausgegeben und eingeleitet von 

Uwe Ohainski, Ernst Schubert und Gerhard Streich 

Veroffentlichung der Historischen Kommission 

fur Niedersachsen und Bremen 

219 

18 Seiten Kommentar und 1 farbige Stammtafel 

(ca. 105 x 190 cm) in sechs Blattern, 2004 

ISBN 3-7752-6019-6 



Mit dem farbigen Neudruck der 1865 erstmals erschienenen Stammtafel wird der 
breiteren Offentlichkeit ein Werk wieder bekannt gemacht, das zu Unrecht in fast 
volliges Vergessen geraten ist. Die Stammtafel bietet neben den Vorgangerge- 
schlechtern und Verwandten der Welfen vor allem fair die Zeit des spateren Mittelal- 
ters bis in die Zeit Georgs V. hinein detaillierte und verlafiliche Informationen zu 
samtlichen Angehorigen aller Linien des Hauses Braunschweig-Luneburg (1190 
Personen). Die Tafel ist aber nicht nur ein Hilfsmittel fur genealogische Forschun- 
gen, sondern wegen der herausgehobenen historischen Bedeutung des Welfenhau- 
ses fur die Geschichte des Gebietes des heutigen Niedersachsens und iiber dessen 
Grenzen hinaus ein wichtiges Grundlagenwerk der Landesgeschichte. 

Dem optisch sehr ansprechenden Tafelwerk ist eine Einfiihrung in Heinrichs 
Bottgers Leben (1801-1891) und sein umfangliches historisches (Euvre beigegeben. 
Aufierdem wird neuere Literatur zur welfischen Genealogie auf gefiihrt, und es wer- 
den erganzend einige neuere Stammtafeln fur diejenigen friih- und hochmittelalter- 
lichen Teile wiedergegeben, in denen die jiingere Forschung gegemiber Bottger be- 
deutende Fortschritte machen konnte. 



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Andrea-Katharina Hanke 

Die niedersachsische Heimatbewegung 

im ideologisch-politischen Kraftespiel zwischen 1920 und 1945 

Quellen und Darstellungen zur Geschichte Niedersachsens 123 

191 Seiten, zahlr. Tab. und Abb., 2004 
ISBN 3-7752-5923-6 

Die Autorin verdeutlicht in ihrem vorliegenden Buch am Beispiel der niedersachsischen 
Heimatbewegung, die durch das Burgertum gepragt war, in welcher Scharfe die Regierung 
der Weimarer Republik vom konservativen Burgertum angegriffen und wie iiber einen 
permanent propagierten Foderalismus und Antipluralismus deren Politik torpediert wur- 
de. Diese antidemokratische Haltung miindete in die Forderung nach einer Loslosung von 
PreuKen und der Grundung eines eigenstandigen Reichslandes Niedersachsen. Unterstiit- 
zung fand die im Niedersachsischen Heimatbund organisierte Bewegung bei der „nieder- 
sachsischen Einheitsbewegung", einer konservativen Koalition verschiedener Interessen- 
vertretungen aus Politik, Wirtschaft und Wissenschaft, die ahnliche Ziele verfolgte. Sie in- 
strumentalisierte den Heimatbund im Verlaufe der zwanziger Jahre als Multiplikator, um 
ein Bewusstsein in der Bevolkerung fur die geforderte Reichsprovinz Niedersachsen unter 
der Beriicksichtigung politischer und wirtschaftlicher Aspekte zu schaffen. 

Durch den fortschreitenden Verfall der volkischen Kulturwerte und die sich zuspitzen- 
de politische und wirtschaftliche Krise zu Beginn der dreifiiger Jahre sah sich die Heimat- 
bewegung zunehmend in der eigenen Existenz bedroht. Dies fiihrte dazu, dass sie sich mit 
der Machtergreifung der NSDAP 1933 dieser als Partnerin geradezu anbot. Trotz des ab- 
soluten Machtanspruchs der Partei, die das Feld der Heimatpolitik nicht mit der biirgerli- 
chen Heimatbewegung teilen wollte, konnte der Niedersachsische Heimatbund aufgrund 
organisatorischer- und Kompetenzrangeleien in der NSDAP bis in die vierziger Jahre re- 
lativ unbehelligt iiberleben. 

Die Abwehrhaltung gegen eine Aufgabe der Eigenstandigkeit und die erzwungene 
Auflosung 1943 wurde nach Kriegsende von dem sich 1946 offiziell wieder formierenden 
Niedersachsischen Heimatbund als Beleg fur dessen Widerstand gegen den Nationalso- 
zialismus angefuhrt. Damit konnte sich die Bewegung gegeniiber der britischen Militarre- 
gierung und der niedersachsischen Provinzial- bzw. Landesregierung ihr Renommee be- 
wahren und nach Kriegsende endlich ein gewisses Mafi an Einfluss auf die Grundung des 
Landes Niedersachsen nehmen. 

VERLAG HAHNSCHE BUCHHANDLUNG 

Leinstr. 32 ■ D-30159 Hannover 
Tel. +49(0)511-80 71 80 40 • Fax +49(0)511-36 36 98